Kitabı oku: «Eva Siebeck», sayfa 7
So ging das noch eine geraume Weile fort. Oefters wollte Eva ein Wort anbringen, sei es, um eine Frage zu beantworten, sei es, um für die Schönheiten zu danken, mit welchen die mittheilsame Russin sie überschüttete, doch sie fand keine Gelegenheit dazu, so unaufhaltsam sprudelte der Andern Rede.
In einer entfernten Ecke des Salons führte der Hausherr das Wort. Um ihn herum stand eine Gruppe älterer Herren, darunter auch Ralph Siebeck. Doch unter all den kahlen Köpfen, ergrauenden Bärten und behäbigen Gestalten nahm Siebeck mit seinem dichten schwarzen Haar, mit seinem biegsamen Wuchs sich aus wie ein junger Kandidat vor einer Prüfungskommission von alten Professoren.
Liuba zeigte nach jener Ecke und machte auf den Kontrast aufmerksam.
»Ihr beau-père ist doch merkwürdig. Ich kenne ihn schon mehrere Jahre, und er ändert sich nicht … Immer reizend und so grand seigneur, so thourough gentleman.«
(»So ein Edelmann und edler Mann, verdeutschte Eva in Gedanken.)
»Ich gestehe Ihnen, daß ich närrisch bin von ihm. —«
»Ach wirklich? Sie – —«
»Ja, ja – wie denn! Ich werde Ihnen Alles anvertrauen. So bin ich: mein Herz auf der Hand. Wenn mir Jemand einflößt Vertrauen, dann habe ich kein Geheimniß mehr… Aber nicht jetzt, später einmal sollen Sie meine confidences hören.«
Unterdessen entwickelte Fürst Dürenberg ein politisch-ökonomisches System; brachte allen nationalen Hader Zum Ausgleich; reformirte das Unterrichtswesen nach den gesunden alten Grundsätzen einer streng christlichen Moral; säuberte das Land von aller volksaussaugenden Judenwirtschaft; festigte die Monarchie gegen jegliche auswärtige Gefahr durch energische Steigerung der Wehrkraft zu Wasser und zu Lande; und eben wollte er sich daran machen – so gewiß als Zugabe —, alle Schwierigkeiten der sozialen Frage aus der Welt zu schaffen, als die Thür des Speisesaales geöffnet wurde.
Die Hausfrau nahm den Arm des ältesten und zugleich vornehmsten Gastes und gab Ralph ein Zeichen, ihre Schwiegertochter zu führen.
»Wie denn! Wie denn!« rief Liuba lebhaft, als Antwort auf Siebecks: »Darf ich?«
Gleichzeitig war auch Robert mit gebogenem Arm herbeigeeilt, mußte aber vor seinem Vater zurücktreten.
»Wie fad!« brummte er. »Du, Eva,« flüsterte er seiner Frau zu, nachdem das Paar vorausgeschritten, »gieb Acht: uns blüht eine Stiefmutter.« Jetzt kam auch Evas befohlener Tischnachbar daher, und Robert mußte dem Wink des Hausherrn Folge leisten, der ihm ein Komteßchen von fünfzehn Jahren zur Partnerin anwies. Dazu drückte Roberts Gesicht wieder deutlich seine Lieblingsredensart aus: Wie fad!«
Die Kunst des »Schönlebens« – le beau-vivre, wie im Französischen die Lebensführung der reichsten Klassen heißt – äußert sich besonders charakteristisch in der Anordnung – man könnte sagen in der Feier – der Hauptmahlzeit. Einen solchen Aufwand, wie derselbe an der Dürenberg‘schen Tafel herrschte, sah Eva an diesem Tage zum ersten Mal. Blumengewinde auf dem Tischtuch, Blumengewinde von dem Lustre herab in geschwungenem Bogen an die Aufsätze befestigt, Silberschüsseln und – zum Nachtisch – Teller und Besteck von Gold; vor jedem Gast eine Garnitur regenbogenfarbiger Glaser, darunter einen Kelch mit einem Blumensträußchen; jede Speise ein malerisch aufgerichtetes Kunstwerk; die seltensten Früchte, die kostbarsten Weine; lautlose Bedienung durch eine Schaar von Lakaien – der Haushofmeister in würdevoller schwarzer Tracht an ihrer Spitze – kurz, die ganze Dekoration war so recht geeignet, die vorhin abgebrochene Abhandlung über das soziale Elend des Weiteren zu erörtern, was Fürst Dürenberg nach der Suppe auch zu thun sich herabließ:
»Wie ich also zuletzt bemerkte, die allgemeine Unzufriedenheit ist eine Folge der Ungenügsamkeit. Man bringe das Volk nur wieder zu den bescheideneren Ansprüchen früherer Zeiten zurück; man erziehe den Bauer so, daß er Bauer bleibe, nämlich sein Feld bestelle und nicht nach den Städten dränge, was nur maßlose Genußsucht und Lasterhaftigkeit zur Folge hat, – oder nach den Fabriken, wodurch die Ueberproduktion entsteht und wo die gewissenlosen jüdischen Fabrikbesitzer den armen Mann aussaugen – mit einem Wort, man hebe die unglückseligen Irrthümer auf, die ein blinder Liberalismus begangen hat: man schaffe einfachere, gesundere Zustände und das Elend wäre aufgehoben. Als noch die Robot herrschte, war das Volk bei Weitem glücklicher als jetzt. Damals gab es keine Sozialdemokraten. Wer auf dem Lande lebte, für den sorgte mit väterlicher Umsicht der Gutsherr, und wer in der Stadt geboren war, und dort ein ehrliches Handwerk betreiben wollte, der war sicher, von seiner Zunft aufrechtgehalten zu werden, und da gab es auch keine Großindustriellen, welche das kleine Gewerbe todtdrückten, kurz —«
»Kurz«, fiel Ralph Siebeck ein; »vor ungefähr zwölf Stunden war es früher Morgen, die Sonne ging rosig auf, die Luft war frisch und würzig, die Flur bethaut; jetzt hingegen ist es schwül draußen, die Sonne droht unterzugehen. Schicken Sie doch gefälligst einen Diener in den Thurm hinauf, daß er die Uhr auf fünf Uhr früh zurückrichte, da wird es gleich wieder frisch und morgenröthlich werden.«
»Mein lieber Siebeck, Ihr Vergleich hinkt. Das Zurückrichten der Zeiger hat auf den Lauf der Zeit keinen Einfluß – aber das Zurechtrücken politischer Einrichtungen liegt in den Händen der Gesetzgeber.« »Daß mein Vergleich hinkt, gebe ich rückhaltlos zu, Durchlaucht. Jedoch in anderer Richtung, als Sie hervorzuheben belieben. Die Unmöglichkeit einer effektiven Rückwärtsbewegung ist durch meine – übrigens schon oft gebrauchte Parabel ganz richtig illustrirt. Ebensowenig, wie das Uhrwerk auf Ihrem Schloßthurm, können die Gesetzgebungen die Zeit machen, sie zeigen dieselbe nur an. Wo aber besagter Vergleich erbärmlich hinkte, das ist da, wo er auszudrücken schien, daß so wie der frische Morgen schöner ist, als der schwüle Nachmittag, daß die vergangenen Epochen schöner und lieblicher waren, als die gegenwärtige, und das wollte ich durchaus nicht gesagt haben.«
»Und gerade das wäre das einzig Richtige an Ihren Allegorien gewesen, denn wahrlich, die Gegenwart ist gar unheimlich schwül.«
Siebeck wollte noch etwas erwidern, aber seine Nachbarin Liuba fiel ihm ins Wort:
»Ach, um die Liebe Gottes – wie Sie langweilig! So lassen Sie doch,« fügte sie leiser hinzu, »lassen Sie den beau-pére seine Parlamentsreden ruhig einüben und reden wir von angenehmeren Dingen. Für was alle diese Dispute? Die Welt geht doch wie der gute Gott will.«
Warum machte es Eva einen unangenehmen Eindruck, daß sich Ralph zu Liuba hinüberbog und leise Worte zu ihr sprach? Robert hatte mit großem Unwillen auf eine Möglichkeit hingedeutet, welche auch sie mit Unwillen erfüllte – jedoch nicht aus demselben Grunde. Ihr Mann hatte wahrscheinlich an das zu schmälernde Erbe gedacht – und sie? …
Nach Tisch forderte Liuba ihre neue Freundin auf, mit in ihre Zimmer zu kommen – sie wolle ihr ihre Lieblinge vorstellen und eine »bonne causerie« genießen. Dazu – zu einer vertraulichen Plauderei – fühlte sich Eva gar nicht hingezogen; die lebhafte Russin flößte ihr nicht das mindeste Vertrauen ein; aber selbstverständlich: was konnte sie auf den freundlichen Vorschlag anderes erwiedern als: »Mit größtem Vergnügen!«
Liubas Zimmer spiegelten – wie dies Zimmer häufig zu thun pflegen – die Eigenthümlichkeit ihrer Herrin deutlich wieder. Reich, nachlässig, launenhaft, sehr » grande dame«, flattersinnig, kunstliebend, thierfreundlich, eitel, bigott, verliebter Natur – alle diese Züge, welche Liubas Charakterphysiognomie bildeten, fanden hier in Wahl und Anordnung der Einrichtungsgegenstände ihren Ausdruck.
Im Schlafzimmer das große mit einem von Amoretten gehaltenen Himmel überdachte Bett; ein Rokokoputztisch mit silberfunkelndem, dem Toilettenraffinement dienendem Werkzeug; ein hoher Ankleidespiegel; schwellende Sitzmöbel; Vorhänge und Wandverkleidung aus spitzenverschleiertem rosa Atlas und dazu in einer Ecke ein strenger dunkelfarbiger Betschemel mit Heiligenbildern und ewig brennendem Oellämpchen. In dem andern Zimmer – dem eigentlichen Wohngemach – noch bunteres Durcheinander: Staffeleien, Stickrahmen, Modellirtisch, Ruhebett, Puffs, Fauteuils in allen Formen und allen Farben, ein Pianino mit einer aufgeschlagenen Operrettenpartitur auf dem Pult, kleines mit Bronze und Email geziertes Schreibtischchen, Blumenvasen, Nippes, Rauchgeräthe, herumliegende, halb aufgeschnittene französische Romane mit Titeln wie: » Une Page d‘amour«, » Amours criminelles«, » Folle d‘amour« und dergleichen; ein Papageienhaus, in welchem auf seinem Messingring ein Kakadu sich schaukelt, ein zweiter Käfig, in dem ein ganz kleiner Seidenaffe an den Gefängnißstäben rüttelt, auf dem Boden verschiedene weiche Kissen, die für Darling, Tresor und Galubka – die drei regierenden Favorit-Hündchen – als Ruhelager dienen; eingelegte, geschnitzte, vergoldete Kasten und Kästchen, in deren sammetgefütterten Schubladen vermuthlich allerlei Pretiosen ruhen; an einer Wand ein lebensgroßes Bild, welches die Besitzerin darstellt – eben im Begriff ein englisches Pferd zu besteigen; mit der einen Hand hebt sie das Reitkleid ein wenig empor, um das bestiefelte Füßchen in den Bügel zu setzen; mit der anderen hält sie den Sattelknauf.
Als Liuba und Eva dieses Gemach betraten, stürzten ihnen Darling, Tresor und Galubka mit lärmendem Gebell entgegen.
»Schweigt, schweigt, meine Seelchen – meine Schönheiten, schweigt!« befahl die Herrin auf Russisch.
Zugleich hub der Kakadu ein schrilles Schreien an, wobei er seinen gelben Schopf wie einen Fächer auf- und zuklappte, und der Affe spielte sich mit verstärktem Kerkergitter-Rütteln auf den freiheitsdurstigen Staatsgefangenen hinaus; kurz, es herrschte im ersten Augenblick ein Heidenlärm. Indessen ein paar Machtworte der Gebieterin stellten die Ruhe bald wieder her.
»So, und jetzt, liebe Gräfin Siebeck,« – sie wies mit der Hand nach einem Fauteuil, der neben der Chaiselongue stand, auf welchem sie sich selbst niederließ, – »setzen Sie sich daher, und ich hier auf meiner gewohnten »Couchettka«, da können wir plaudern.« Sie zog aus ihrer Tasche eine goldene Cigarettenkapsel und reichte sie Eva hin. »Ihnen gefällig?«
»Nein ich danke – ich rauche nicht.«
»Nicht rauchen? … Das müssen Sie lernen – ganz bestimmt – ohne Rauchen lebt man nur halb.« Und sie steckte ihre Cigarette in Brand. »Ach – Sie schauen das Bild dort an, das bin ich, als junges Mädchen … und das Pferd war das erste, das ich geritten, die gute alte Lady-Bird – hat ihren Pensionsstall auf meiner Besitzung im Gouvernement Kiew. Wie oft habe ich das edle Thier abgemalt … Sehen Sie dort an der Wand, den Pferdekopf – das ist auch die Lady-Bird – erkennen Sie sie nicht?«
»Ja,« sagte Eva, »es ist dasselbe Gesicht, nur mit etwas lächelnderem Ausdruck.« In der That, das von Liuba gemalte Thier schaute so verschmitzt drein, als ob es eben im Begriffe wäre, mit den Vorderhufen Rübchen zu schaben.
»Und diese Photographien an dem Paravent, das ist die ganze kaiserliche Familie – die meisten mit eigenhändigem Namenszug. Der Kaiser ist der Pathe von meinem Sohn. Ach, den kennen Sie noch gar nicht?« Sie klingelte. »Sergey Gugowitsch!« befahl sie der eintretenden Kammerfrau.
»Sergey Gugowitsch njetu« (nicht da), lautete die Antwort.
»Nicht? – Auch gut!« Und sie winkte die Dienerin wieder ab. »Mein Sergey ist fast den ganzen Tag im Walde. Der Doktor hat es befohlen. Mir hat der Doktor auch große Fußtouren befohlen – aber ich folge ihm nicht – ich hasse, zu gehen. Reiten – ja … aber jetzt sind meine zwei Reitpferde unwohl, da kann ich nicht hinaus und nehme, gar keine Bewegung. Das macht mich noch nervöser … ich werde mich im Monat August behandeln müssen – vielleicht in den Wassern von Vichy oder Scheveningen Sie haben gar keine Idee, wie ich bin nervös! Oft ich muß so bitter weinen, ohne zu wissen warum – dann knie ich vor meinem Heiligen und bete, bete, daß die Seele überfließt, und er erhört mich und schenkt mir Ruhe. Er ist ein sehr guter Heiliger, der Alexander Newsky – was man von ihm ordentlich verlangt, das bekommt man; der ist mein Liebling, den sollten Sie auch adoptiren. Ach so, ich vergaß: Sie sind ja nicht orthodox. Mein Sergey ist auch nicht orthodox, und das kränkt mich – aber der gute Gott ist ja für Alle da, nicht so? Und der Unterschied ist so klein zwischen unseren Religionen, nicht so? Sie müssen einmal nach Petersburg kommen – ganz bestimmt. Die Großfürsten werden sein alle ganz närrisch von Ihnen. Ach – ein Ball im Winterpalast – es ist féerique … Lieben Sie tanzen? Ich tanze so viel, bis ich hinfalle, müde, selig. Tanzen und reiten, das sind große Freuden, Und lesen … lesen Sie viel? Ich nur von Liebe – ein Buch ohne Leidenschaft ist gar kein Buch: Il n‘y a que ça! Das ist die Glorie des Lebens: für die Männer der Krieg, für uns andere Frauen die Liebe.«
Noch lange ging es in diesem Tone fort. Kaum daß Eva hier und da ein Wörtchen anbringen konnte; unaufhörlich sprudelte der Andern Redequell, hastend, von einem Gegenstand zum andern so unvermittelt überspringend, daß die nothwendig vorhergegangene Ideenverknüpfung unmöglich sich errathen ließ.
Alles, was sie da hörte, berührte Eva im höchsten Grade befremdend und neu. Es ward ihr ganz schwindlig dabei. Welche Lebensgeister in dieser Frau doch sprühten, welche Heftigkeit in allen ihren Neigungen, in ihrem Fühlen – dabei aber wie klein und seicht in ihrem Denken. Ja, leidenschaftlich war sie – aber, mit dem gleichen Feuer entbrannte ihre Begeisterung für die Schutzkraft des Lieblingsheiligen Alexander Newsky, wie für das Modegenie des Pariser Schneiders Worth. In Zichy – o wie süß malte er kaukasische Bilder – bewunderte sie das Malertalent ebenso rückhaltlos, wie sie von dem »süßen gelben Schopf« ihres Kakadus entzückt war. Ach – der herrliche Bariton Faures und der göttliche Wellenschlag des Ozeans in Dieppe – auch die Austern so deliziös … In der Blumenschlacht von Nizza hatte ihr Wagen einen Preis davongetragen: das war doch einer der schönsten Siege ihres Lebens gewesen; aber am herrlichsten war es doch, wenn sie auf ihre Besitzung im Gouvernement Kiew kam, und alle ihre Bauern den Saum des Kleides küßten: »Mütterchen, Mütterchen, Gott mit Dir!«
Alle diese Bilder hatte Liuba in einer Viertelstunde, ohne Athem zu schöpfen, an ihrer verblüfften Zuhörerin vorbeiziehen lassen, dann sprang sie auf.
»Ach!« rief sie, »wie gut es sich plaudert mit Ihnen! Jetzt kennen wir einander, als kennten wir uns seit vielen Jahren – nicht so? Aber ich darf Sie nicht langer aufhalten; gehen wir in den Salon zurück, Ihr junger Gatte wird schon Sehnsucht haben nach Ihnen … Ist der jetzt immer so still? Sein Vater ist viel lebhafter – ein herrlicher Mensch, unser Ralph … gehen wir – gehen wir – diese Herren werden sonst böse.«
»Unser Ralph« – — Um ihr Leben gern hätte Eva die Gräfin Dürenberg gefragt, wie weit Ralph »der ihre« war, doch es fehlte ihr der Muth dazu. Es war ihr überhaupt nicht möglich, zu der quecksilberhaften Russin Vertrauen zu fassen, jetzt, nach diesem Besuch noch weniger als zuvor.
Im Salon wurde Eva von der alten Fürstin in Beschlag genommen, und von ihrem Platze aus konnte sie sehen, wie in einer Fenstervertiefung, von allen Andern getrennt, Liuba und Ralph eine halbe Stunde lang in eifriges Gespräch vertieft blieben. Robert stand in einer Gruppe von aus dem Nachbarstädtchen herübergekommenen Kavallerie-Offizieren und unterhielt sich mit diesen ausschließlich von Pferden, wenigstens hörte Eva, die öfters hinüberhorchte, nichts Anderes, als Sportausdrücke.
Nachdem der Thee herumgereicht worden, gab Ralph das Zeichen zum Aufbruch. Die Hausleute trugen eindringlich an, daß Siebecks die Nacht in Dornegg bleiben und erst am folgenden Tag nach Hause fahren mögen; aber dieser Antrag wurde dankend abgelehnt —: auf Uebernachtung hatte man sich nicht vorbereitet, und der Vollmond gewährte ganz genügendes Licht.
»Wir müssen oft zusammenkommen,« sagte Liuba beim Abschied zu Eva, »wir verstehen einander so gut! Und Sie, Graf Ralph Siebeck, vergessen Sie nicht, daß Sie zwischen zwei und vier Uhr bei mir immer finden können eine Tasse Thee.«
Auf dem Rückweg faß Eva wieder auf dem Kutschirwagen neben Ralph, während Robert auch wieder vorgezogen hatte, zu reiten.
»Wie hast Du Dich unterhalten?« fragte Ralph, nachdem der Wagen aus dem Schloßhof ausgefahren.
Es war in der That eine prachtvolle, vom hellsten Mondlicht durchfluthete Sommernacht, von duftbeladenem, lauem Windzug durchfächelt.
»O köstlich, köstlich!« rief Eva tief aufathmend. »Das heißt – diese Nacht finde ich köstlich und diese Fahrt – nicht die stattgehabte Unterhaltung.«
»Und wie fandest Du diese?«
»Das kann ich nicht recht sagen, König … Ich erhalte jetzt so viele und so fremdartige Eindrücke auf einmal, daß ich mir selber nicht Rechenschaft geben kann über die Empfindungen und Gedanken, die mich nun erfüllen. Es sind auch gar zu wechselnde Gefühle: bald froh, bald traurig … ich komme mir so unerfahren, so nichtig vor. Was weiß ich von der Welt im Allgemeinen, was von der großen Welt, in die ich da versetzt bin? Ich habe ja bisher in so einfachen Verhältnissen gelebt, alle diese fürstlichen Herrlichkeiten blenden mich und drücken mich nieder. Solcher Reichthum, solche Vornehmheit … Dieser Liuba gehört ja von der Krim bis Ostende und quer darüber, von Biarritz bis Petersburg, die ganze Welt und was für eine? überall die höchste, verfeinertste, während ich … Andererseits, König, Liubas Welt ist doch wieder eine kleinere Welt als diejenige meiner Jugendträume, als diejenige, welche mir so hohe Ziele zu enthalten schien, – ach, ich drücke mich ungeschickt aus … aber ich glaube, daß Jener doch so vieles, vieles fehlt, von dem ich glaube, daß das Leben … siehst Du, ich kann die Worte nicht finden, um zu sagen, was ich meine.«
»Ich verstehe Dich, Kind, mein armes Kind.« Er sprach es mit weicher Stimme.
»Ja, Du, König – Du bist der Einzige in dieser mir neuen Umgebung, von dem ich glaube, daß – schon wieder fehlen mir die Ausdrücke.«
»Der Einzige, der an das Verständniß Deiner Ideale hinanreicht, willst Du sagen?«
»Hinanreicht? O, sie weit überflügelt. Ich glaube, Dein Geist ist mit Dingen erfüllt, von welchen ich keine Ahnung besitze. Das habe ich aus dem Inhalt Deiner Lieblingsbücher gesehen, in welchen ich geblättert, ohne sie verstehen zu können; das habe ich aus manchen Deiner Aeußerungen herausgehört, welche Du fallen ließest, wenn Du mit dem Fürsten – oder mit Andern – über große, allgemeine Fragen sprachst. Da wollte ich am liebsten zu Dir gehen und Dich bitten: unterrichte mich, belehre mich.«
»Du bist ein liebes Mädchen.«
»Mädchen? Ich wollte, ich wäre es.«
»Das wollt‘ ich auch …«
Darauf schwiegen Beide.
Zu Hause angelangt, half Ralph seiner Schwiegertochter vom Wagen herab und drückte einen flüchtigen Kuß auf ihre Stirn.
»Gute Nacht,« sagte er. »Robert wird wohl schon hier sein – der Reitweg ist kürzer.«
IX
In ihren Zimmern fand Eva nur die Kammerjungfer, welche ihrer harrte; Robert war nicht da.
»Der Herr Graf ist schon vor einer Viertelstunde angekommen,« antwortete die Jungfer auf Evas diesbezügliche Frage. »Er ist noch einmal hinausgegangen – ins Dorf.«
Eva konnte ein ärgerliches Achselzucken nicht zurückhalten. Also wieder ins Wirthshaus – war das doch eine abscheuliche Gewohnheit… Sie entließ ihr Mädchen.
»Ich werde mich noch nicht niederlegen – der Graf wird wohl gleich kommen – geh‘ nur, ich kann mich allein auskleiden.«
Sie wollte Robert erwarten. Sie nahm sich vor, mit ihm eine lange Plauderei über die Erlebnisse des Tages in Gang zu bringen, die beiderseitigen Eindrücke auszutauschen über das Dürenbergsche Haus und dessen Einwohner, über die politischen Reden des Fürsten, über die Charaktereigenthümlichkeiten Liubas … sie mußte wahrlich sich daran machen, zwischen Robert und sich einen mitteilsameren Ton einzuführen, und ein paar Vorwürfe – ganz leise Vorwürfe – wollte sie ihm auch machen über diese Manie, Abends immer noch Wein zu trinken und noch dazu in der Schänke – war das gesund? – schickte sich das? Vielleicht konnte doch versucht werden, was ihr von verschiedenen Seiten aufgetragen worden: die Erziehung Roberts. Solche Dinge kommen vor; sie hatte von ähnlichen Verhältnissen gehört und gelesen, wo es dem Einfluß einer Frau gelungen, dem Gatten seine Fehler abzugewöhnen, ihm Sinn für edlere Bestrebungen zu wecken und in seinem Herzen Begeisterung für höhere Ideale zu entfachen. Um dies zu erreichen, muß freilich die Frau vor Allem eine gewisse Gewalt über den zu leitenden Mann gewinnen – eine Gewalt, die nur auf der Liebe beruhen kann, welche sie ihm einflößt. So nahm sich Eva vor, ihr Möglichstes zu versuchen – sich gegen Robert recht zutraulich, recht zärtlich zu zeigen, um auch seine Zärtlichkeit, sein Zutrauen zu erlangen; dann würde ihres Gatten Charakter vielleicht allmählich ein anderer werden und – wer weiß – wenn das Erziehungswerk gelänge, vielleicht würden sie noch ein innig beglücktes Paar … Ja, sie mußte aus sich heraustreten, ihm entgegenkommen – er war keine mittheilsame Natur, im Gegentheil sehr schüchtern und verschlossen. Nun hatte auch sie sich zurückhaltend gezeigt, seiner Kälte eine noch größere Kälte entgegengehalten, und dadurch war dieses Fremdgefühl entstanden, das wie eine Mauer zwischen ihren beiden Seelen sich erhob. Diese Mauer durfte man nicht noch höher werden lassen, im Gegentheile: dieselbe energisch niederreißen. Heute noch wollte sie damit beginnen… Nun hub sie an, sich im Geiste vorzuspielen, wie sie in der nächsten Viertelstunde – er mußte ja jeden Augenblick kommen – den heimkehrenden Gatten empfangen, welche Worte sie an ihn richten würde. »Mein lieber Robert,« wollte sie sagen und dabei ihren Arm um seinen Hals schlingen, »mein geliebter Robert« – dann führte sie die Scene weiter aus. Wenn er auch – nach seiner Gewohnheit – eben weil er so schüchtern und undemonstrativ ist, wenn er sie etwa wieder fortstieße: »Geh‘ sei nicht sentimental!« so würde sie diesmal nicht, wie sie es sonst gethan, sich gleich zurückziehen und dann stunden- und tagelang kalt bleiben – nein: sie würde mit sanfter Beharrlichkeit sich ihm von Neuem nahen: »Nicht sentimental bin ich, mein theurer Mann – ich habe Dich nur herzlich lieb, und das sollst Du, wissen – in diesem Wissen, daß wir uns gegenseitig gut sind, ist ja unser beiderseitiges Glück begründet, nicht wahr, mein Robert?«
So träumte und plante sie lange fort; führte ganze Gespräche durch; lieh ihrem Gatten zuerst kalte, dann immer wärmere Antworten; sie zeigte ihm eigentlich viel mehr Liebe, als sie empfand, denn, wahrlich, in letzterer Zeit hat sie sich oft bei Anfällen heftiger Abneigung ertappt – doch die hervorgekehrte Zärtlichkeit gehörte zu der anzuwendenden Methode; einen ganzen Erziehungsplan baute sie für die Zukunft, – ganz allmälig nur wollte sie vorgehen.
Auf diese Weise verging eine Stunde. Eva erschrak, als sie, aus ihrem Sinnen erwachend, auf die Uhr blickte und gewahr wurde, daß Robert schon eine volle Stunde ausgeblieben. Sie ging an das Fenster, öffnete es und horchte hinaus, ob seine nahenden Schritte nicht schon zu hören seien – nichts. Unausstehlich! Wie konnte er nur so lange draußenbleiben an dem Dorfwirthshaustisch … waren denn die Gespräche des Försters und seines Gehilfen gar so fesselnd? Sie begann sich zu ärgern, und der Vorsatz, den Heimkehrenden zärtlich zu empfangen, kam ins Schwanken – verdiente er nicht eher Vorwürfe als ein freundliches Willkomm? Doch nein, zur »Gardinenpredigerin« werde sie sich niemals erniedrigen… Gerade, weil er fühlen mochte, daß er Vorwürfe verdiente, würde er desto freudiger berührt sein, einen freundlichen Empfang zu finden.
Sie machte das Fenster wieder zu und setzte sich auf ihren vorigen Platz. Um sich die Wartezeit zu vertreiben, versuchte sie, ihre Gedanken von vorhin wieder aufzunehmen: »Mein lieber Robert – nicht sentimental bin ich, sondern —« sie hatte den Kopf zurückgelegt und die Augen geschlossen – ein leiser Schlummer befiel sie, in welchem sie ihr Bewußtsein jedoch nicht gänzlich verließ; sie wußte ganz gut, daß sie da saß, die Ankunft Roberts erwartend, mit ihm eingebildete Gespräche führend, aber die Kraft, diese Gespräche willkürlich zu leiten, hatte sie verloren; sie konnte die Gedanken nicht mehr festhalten, und auch das Bild ihres Gesprächspartners fing an, in Nebel zu verschwimmen, um mit veränderten Umrissen wieder aufzutauchen: … »König, mein lieber König …« Wieder legte sie die Arme um seinen Hals, »nicht sentimental bin ich, theurer Gatte, sondern —« Er stieß sie nicht fort… und wie war das doch? Erziehen sollte sie ihn – ihn langsam zu ihrer Höhe heraufleiten? O nein, im Gegentheil: er, der sie so schützend umschlang, der so innig ihr zuflüsterte: »ich verstehe Dich, Kind, mein armes Kind —« er war ja weit erhaben über sie; um ihn zu erreichen, mußte sie die Emporgeleitete sein.
Ein Lärm schreckte sie auf. Verwirrt blickte sie um sich, aber zwei Sekunden genügten, um ihr Bewußtsein wieder herzustellen: ja, sie erwartete Robert, ihren Mann, und der Lärm war das Rütteln der Thürklinke unter seiner Hand. Aber warum rüttelte er so, warum trat er nicht einfach ein? Hatte sie in der Zerstreuung etwa zugesperrt?
Sie stand auf, um an die Thür zu gehen, dabei fiel ihr Blick auf die Standuhr. Wie – zwei Uhr? So lange hatte sie in Schlaf gelegen, und so spät, so spät kam Robert nach Hause?
Doch jetzt, noch ehe sie bis zur Thür gelangte, that sich dieselbe auf, und Robert trat – nein, – taumelte herein.
Er stieß an einem Lehnstuhl an und ließ sich hineinfallen. Eva eilte auf ihn zu:
»Robert – was ist Dir? Was ist geschehen?… Ein Unglück?«
Ja, es war ein Unglücksfall. Einer der bittersten, der eine junge Frau treffen kann: im eigenen Mann einen – Trunkenbold zu erkennen. Die Stunde, welche nun folgte, war die fürchterlichste, welche Eva noch erlebt hatte. Denn der Rausch, den Robert mitgebracht, glich mehr einem Rasereianfall als einem Rausche. Zuerst ein Lallen, dann ein Fluchen, zuletzt ein Toben. Er wollte mit dem Kopf an die Mauer rennen, er wollte die Stühle zerbrechen, er wollte mit dem Arm ausholen, um Eva zu schlagen – doch zum Glück war er so schwach, daß sie ihn jedesmal bändigen konnte, daß er beim geringsten Stoß ihrer Hand wieder auf seinen Sitz zurücktaumelte. Was sie jedoch nicht bändigen konnte, das war seine Rede, das waren die gemeinen Schimpf- und Lästerworte, die von seinen Lippen flossen, die cynischen Scherze, und daneben die bösartigsten Drohungen – Mord- und Mordbrennerpläne: Den Vater, den alten Lumpen, der noch einmal heirathen will und ihn um sein Erbe verkürzen, den soll man todtschlagen … und dem russischen Weibsbild soll man das Dach über dem Kopf anzünden …» »und Dir, dumme Bestie … warum giebst Du mir keinen Wein? … Dir soll man den Hals umdrehen … einen Wein her! oder ich hau‘ Dir den Schädel ein …«
Seine Stimme wurde immer lauter, die Sprache immer undeutlicher; endlich war es nur noch ein Stöhnen und Brüllen. Die Kammerjungfer, welche unweit schlief, war durch den Lärm geweckt worden und kam hereingestürzt.
Auch sie rief, wie vorhin die Herrin:
»Was ist geschehen? … Ein Unglück?«
Doch sie erkannte schnell den Sachverhalt.
»Ah so,« sagte sie – »der Herr Graf hat Einen —«
Eva hätte vor Scham in den Boden versinken mögen.
»Es ist das erste Mal —« begann sie.
Die Jungfer schüttelte den Kopf:
»O nein, Frau Gräfin – ich hab‘ gehört, daß der junge Herr, so oft er in Großstetten war, immer ein paar Mal … aber das thut ja nix,« fügte sie hinzu und erzählte hierauf eine Anzahl Erfahrungen aus früheren Dienstplätzen, in welchen betrunkene Herren eine Rolle spielten. Da war der Baron So und So der alle Nacht eine Flasche Cognac leerte und mit vierzig Jahren am Säuferwahnsinn gestorben; da waren drei junge Brüder ihrer früheren Komteß, die allwöchentlich zwei Saufgelage veranstalteten, wo einer den anderen unter den Tisch trank. Da war noch dieser und jener; – »nein, nein, wirklich, Frau Gräfin« schloß sie, »das dürfen‘s Ihnen nicht zu Herzen nehmen – auch wenn der Herr Gemahl ein bissel wild wird… das is schon so: Der Eine wird traurig und weint wie ein Kind, wenn er ein‘ Rausch hat; der Andere wird lustig und fidel, und ein Dritter wird rabbiat – Der Herr Graf Robert is halt so Einer.«
Während sie so sprach, hatte sie ihren Herrn am Arm gefaßt und schleppte ihn zum Bett. Jetzt stieß er keine wüthenden Laute mehr aus, sondern jammernde, da er von Ueblichkeiten befallen war.
Von unsäglichem Ekel erfaßt, floh Eva aus dem Schlafzimmer in das Nebengemach. Hier warf sie sich auf das Ruhebett und weinte bitterlich.
Nach einiger Zeit kam die Kammerjungfer herein:
»So, Frau Gräfin – jetzt ist alles in Ordnung – der Herr schläft und wird sicher vor acht Stunden nicht wach. Frau Gräfin können jetzt auch zu Bette gehen … soll ich auskleiden helfen?«
»Nein, geh nur … danke.«
Das Mädchen entfernte sich, und Eva blieb da, wo sie war – die ganze Nacht. Sie hätte es nicht über sich gebracht, neben dem Rauschausschlafenden sich zur Ruhe zu legen. Derselbe flößte ihr Ekel und – Furcht ein. »O ich Unglückliche – Unglückliche! … Das ist mein Mann – mein Lebensgenosse – mein Gebieter. – Und solche Auftritte können sich wiederholen … es kann nächstens wieder geschehen, daß er als Wahnsinniger, als wildes Thier sich geberdet…«
Es stiegen ihr Gedanken auf an Scheidung, an Flucht… Aber welchen Scheidungsgrund anführen? Weil der Gatte einen Rausch gehabt? Das löst keine Ehe auf. Und wohin fliehen? Sie war ohne Familie, ganz mittellos, was beginnen?
Vor Allem: ihr Leid mußte sie Jemandem klagen, allein konnte sie es nicht tragen. Aber wem? Es gab nur Einen, dem sie ihr Herz hätte ausschütten mögen, und gerade diesem Einen konnte sie doch nicht sagen: »Dein Sohn ist mir ein Greuel.«
Sie verbrachte ein paar qualvolle Stunden. Aus dem Nebenzimmer drang das Schnarchen des Schlafenden. Die eben stattgehabten Auftritte spielten sich immer wieder in ihrer Phantasie ab; sie konnte die Gefühle nicht los werden, und im Ohre gellten ihr unaufhörlich die vernommenen Stimmenlaute nach – schreiende, drohende, grunzende, bellende Töne, wilde, böse, gemeine, sinnlose Worte.