Kitabı oku: «TREU», sayfa 5

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MORITZ

11

Moritz saß etwas verloren auf der Couch im Wohnzimmer seiner Eltern. Sein Herz pochte und seine Gedanken rasten. Er spürte eine leichte Euphorie, die sich abwechselnd mit tiefen Zweifeln vermischte. Draußen war es dunkel, der Schnee der vergangenen Tage hatte sich größtenteils verflüssigt, nur noch ein paar Schneehaufen türmten sich hier und da an den Straßenecken auf. Er war nicht mehr so schön weiß wie letzte Woche, eher graumeliert. Veränderungen lagen in der Luft.

Er wusste gerade nichts mit sich anzufangen. Also ging er in die Küche und machte sich einen schwarzen Tee, in den er einen großzügigen Schluck Pottrum goss. Er schaute auf die Uhr – 0:45. Ob sie wirklich kommt?

Er war etwas verwirrt über das Telefonat. Marina mochte er eigentlich nie, doch nun war ausgerechnet sie es, die ihm sein größtes Geheimnis entlocken konnte. Er schaute zu, wie der Teebeutel vor sich hin zog und warf ihn dann in den Mülleimer. Mit der Tasse in der Hand ging er wieder ins Wohnzimmer und stellte sie auf dem kleinen Couchtisch ab. Dann stapfte er in den Keller, um nachzuschauen, ob sich noch eine Flasche Wein für Marina finden ließe.

Dornfelder, halbtrocken. Das hörte sich doch gut an. Er war zwar kein großer Weintrinker, doch wusste er, dass er die Flasche öffnen sollte, damit sie etwas atmen konnte. Er ging wieder nach oben und stellte sie zusammen mit zwei Weingläsern auf den Tisch.

Er roch an seinen Achseln. Eine Dusche würde er noch dringend brauchen, also ging er die Treppen hoch ins Badezimmer, das Teeglas in der Hand. Er stellte den Tee auf der Spiegelablage ab und zog sich aus. Die stinkigen Klamotten warf er den Treppenschacht hinunter.

Mit einem dumpfen Schlag landeten sie in der untersten Etage. Um die Wäsche würde er sich morgen kümmern.

Er steckte seinen Finger in das Teeglas. Es war noch zu heiß zum Trinken, also öffnete er die Tür der Duschkabine und stieg hinein. Er stellte das Wasser an und wartete einige Minuten, bis sich das heiße Wasser vom Heizkessel im Keller einen Weg nach oben gebahnt hatte. Dann nahm er eine Flasche Shampoo von der Ablage und setzte sich auf den Boden der Duschwanne. Das dampfende Wasser tat gut.

Eine ganze Weile kauerte er so da und ließ sich das heiße Wasser auf den Rücken prasseln, die Arme um seine Beine geschlagen, den Kopf auf seinen Knien. Weinen musste er nicht mehr. Er war jetzt sogar ein bisschen stolz auf sich.

Nachdem er sich fertig gewaschen hatte, stapfte er aus der dampfenden Duschkabine heraus. Es war ganz schön kalt im Badezimmer. Er hatte vergessen, die Heizung aufzudrehen. Seine Schultern waren leicht gerötet von dem heißen Wasser. Der Tee hatte nun eine gute Trinktemperatur, fast schon etwas zu sehr abgekühlt. Er trank ihn schnell aus, der Rum wärmte sein Inneres. Im Spiegel betrachtete er sich. Eigentlich ist doch alles okay bei dir, dachte er sich.

Mit einem Handtuch um die Hüften gewickelt, wollte er sich gerade frische Klamotten aus dem Kleiderschrank holen, als es an der Tür klingelte.

„Oh, also, so hätte ich dich jetzt nicht erwartet.“

Marina umarmte ihn mit einem Lächeln, der kühle Wind aus der offenen Tür fröstelte ihn und er bat sie schnell herein.

„Sorry, ich habe noch eben geduscht, ich dachte, ich hätte noch etwas Zeit“

Sie musterte ihn.

„Also, ich könnte verstehen, wenn dir die Jungs hinterherlaufen!“

Das Eis war gebrochen.

„Ich zieh’ mir schnell was an, im Wohnzimmer steht schon der Wein.“

Er ließ Marina stehen und flitzte schnell die Treppen hinauf.

Vor dem Kleiderschrank sinnierte er noch kurz, was er sich eigentlich hier eingebrockt hatte. Doch er vertraute auf den Moment und zog sich schnell etwas an. Die Rollladen klapperten vom Wind, als würden sie ihm zustimmen wollen.

Wieder unten angekommen, saß Marina schon auf der Couch und nippte an ihrem Glas. Über den Schoß hatte sie sich eine Decke gelegt, die sie wohl irgendwo im Zimmer gefunden hatte. Auf der anderen Seite des Tisches stand ein volles Glas Wein für ihn bereit. Er setzte sich auf den Sessel gegenüber. Dann stand er wieder auf und ging zur Heizung, die er etwas aufdrehte. Es war wirklich kalt hier.

„Musik?“

„Ja, mach mal! Es ist doch etwas still hier.“

Er ging zum Regal und schaltete das Radio ein. Marina beobachtete ihn dabei und musste schmunzeln. Offenbar schaffte es heute niemand, einfach mal still sitzen zu bleiben.

„Was lachst du?“, fragte Moritz.

„Ach nichts – insider ...“

„Insider?“ Moritz verstand nicht so ganz.

„Du brauchst nicht so aufgeregt zu sein, es ist alles gut, Moritz.“

Er setzte sich hin.

„Also, willst du darüber reden?“, Marinas Stimme klang beruhigend.

„Hast du Lukas etwas erzählt?“, fragte Moritz unsicher.

„Nein“, sagte sie, „und es spielt auch keine Rolle, meinst du nicht? Es geht um dich und nicht um Lukas.“

„Ich liebe ihn“, protestierte er zögerlich und blendete aus, dass er es ausgerechnet Lukas’ Freundin offenbarte.

„Zuerst fängst du mal an, dich selbst zu lieben. Was Lukas angeht, ich glaube nicht, dass er sich etwas mit Jungs vorstellen könnte. Und er würde dich nicht fallen lassen, nur weil du ... schwul ... bist. Er kann zwar manchmal ein ziemliches Arschloch sein, aber er lässt niemanden hängen. Er mag dich ja auch.“

„Hattet ihr Streit?“

„Nun ja, ich dachte, es ginge hier um dich, aber gut. Er hat sich in letzter Zeit irgendwie unberechenbar verhalten. Manchmal ist er gut gelaunt, von einer auf die andere Sekunde kippt es dann. Ich weiß manchmal wirklich nicht, woran ich bei ihm bin.“

„Und liebst du ihn?“ Moritz war ihr auf einmal etwas zu direkt.

„Ich glaube nicht, dass wir das hier besprechen sollten, Moritz. Ich meine, hey, du hattest heute dein Coming Out, das ist toll. Du solltest dir nicht so viel den Kopf um Lukas oder andere zerbrechen. Fang an, dein Leben zu leben!“

„Ich weiß nicht ...“ Marina griff seine Hand und schaute ihm tief in die Augen.

„Doch, du weißt genau, Moritz. Du hast den ersten Schritt gemacht und du kannst stolz auf dich sein.“

Moritz lächelte.

„Prost, auf dein neues Leben!“ Sie hielt ihm ihr Weinglas entgegen, an dem etwas Lippenstift klebte. Seine Eltern würden sich freuen, wenn sie diesen Beweis einer weiblichen Anwesenheit hier zufällig entdecken würden.

Er dachte an seine Einhorntasse.

„Hast du es dir gedacht?“, fragte er.

„Ehrlich? ... Nein. Aber dazu kenne ich dich auch nicht gut genug. Aber ich glaube, keiner würde es sich denken. Aber vielleicht ist das ja auch gut so. Du bist kein bunter Paradiesvogel. Ein Kakadu bietet viel mehr Angriffsfläche für Häme als du!“

Sie dachte an all die bunten Vögel, die sich immer in die Medien drängten. Moritz war einfach normal für sie.

„Seit wann weißt du es schon?“

„Hmmm, keine Ahnung. Ich glaube, seit ich vierzehn bin. Aber ich weiß es nicht ...“

„Naja, die Hauptsache ist, dass du es jetzt für dich weißt –

und jetzt betrinken wir uns!“

Sie stießen an.

Moritz hätte nie gedacht, dass sie sich so gut verstehen würden. Er verspürte in diesem Moment keine Eifersucht, sie war für ihn ein Engel, der ihn ein bisschen näher ans Licht zog. Sie tranken die Flasche Wein aus und er fand ab und zu sogar sein Lachen wieder. Doch als sie ihn löchern wollte, auf was für einen Typ Mann er stehen würde, war es ihm zu früh und zu unangenehm, darauf einzugehen. Er wusste es ja selber noch nicht so ganz. Er war wie ein Küken, das seine Eierschale unter Wasser aufgebrochen hatte und erst mal an die Oberfläche gelangen musste, um klarer zu sehen. Er fühlte sich das erste Mal befreit, zumindest für einen kurzen Augenblick. Auch, wenn seine Angst noch nicht ganz verflogen war. Der Kloß, den er ständig in seinem Hals spürte, wurde etwas kleiner. Er konnte nun wieder freier atmen.

Sie öffneten eine zweite Flasche Wein und redeten lange über Gott und die Welt, ohne zu sehr auf Lukas oder Liebe einzugehen. Zum Abschied umarmte sie Moritz noch einmal und küsste ihn auf die Stirn. Sie vergewisserte sich mehr als einmal, dass er heute alleine klar kommen würde und machte sich dann früh morgens auf den Weg nach Hause.

Er befand sich wieder an dem dunklen Ort. Die kleine Öffnung beobachtete ihn, ein Klacken drang von außerhalb zu ihm herein. Regelmäßig und laut. Klack ... klack ... klack ... dann wurde es still. Ein Windzug wehte um seine Arme, die tief im weichen Boden unter ihm eingesunken waren. Seine Knie und Füße erlitten dasselbe Schicksal. Die Erde bewegte sich. Sie krabbelte und waberte. Hinter sich hörte er ein leises Flüstern. Er konnte nicht einordnen, welches Geschlecht die Stimme hatte, die nach ihm rief. Er drehte sich um, doch sah er hinter sich wieder dieselbe Öffnung, die ihr verwirrendes Spiel mit ihm spielte. Er konnte sich nicht bewegen. Etwas bewegte sich seine Arme hinauf. Er wollte danach schlagen, doch er war wie gelähmt.

Wieder die flüsternde Stimme.

„Ich gehöre dir“.

JAKOB – damals

12

„Bella?“, rief Jakob leise, der immer noch wie versteinert auf dem lehmigen Pfad stand. Sein Herz pochte in seinen Schläfen.

Immer größere Tropfen rieselten von oben herab und erfüllten den Wald mit einem leisen Rauschen.

Das grünliche Licht war gespenstisch.

Ein Blitz zuckte in weiter Ferne.

Bella war außer Sichtweite. Für einen Sekundenbruchteil war es nun still.

Kein Laut von Bella und kein Rascheln. Nur der Regen.

Dann plötzlich ein lautes tosendes Krachen, nur wenige Meter entfernt.

Er schrie auf und stolperte einen Schritt zurück.

Er sah zuerst die spitzen Ohren, die großen schwarzen Augen und den langen braunen Hals, der aus dem Gebüsch schoss. Dann ein zweites Paar Ohren und endlos lange Beine.

Er verlor fast das Gleichgewicht. Hinter ihm war ein zwei Meter tiefes Loch mit kleinen herausgeschlagenen Steinplatten in der Mitte.

Bella quiekte. Der Laut hallte durch den sonst so stillen Wald.

Wie ein Geschoss stürzten zwei Rehe an ihm vorbei, schlugen einen Haken und verschwanden ebenso schnell, wie sie aufgetaucht waren, mit einem Krachen am Waldrand, an dem sich die Felder anschlossen. Bella wollte hinterherrennen, doch sie hatte sich ebenso erschrocken wie Jakob und wollte ihn auch nicht alleine lassen. Sie winselte leise und lief reumütig zu ihrem großen Menschenbruder, der inzwischen auf den Boden gesunken war und fast schon asthmatisch hechelte. Sie begann damit, seine Beine abzulecken.

„Alter ....!“, rief er und hielt sich mit der Hand seine Brust und spürte sein pochendes Herz. Ein Adrenalinschauer explodierte in seinem Körper. Dem Schrecken folgte euphorische Entspannung, als er begriff, dass er sich wegen zwei Rehen fast in die Hose gepinkelt hatte. Gänsehaut überzog seinen ganzen Körper. Er musste laut loslachen.

Bella nahm das zum Ansporn, laut zu kläffen und um ihn herumzutänzeln. Sie hatte nun auch ihr erstes Hundeabenteuer erlebt und war ziemlich stolz, diese großen braunen Ungeheuer verjagt zu haben.

Das Grollen wurde lauter. Sie sollten sich nicht bei Gewitter im Kraterwald aufhalten.

„Komm, Bella“, rief Jakob, der in vom Adrenalin aufgeputschter Stimmung war. Er zog sich seine Kapuze über den Kopf und hielt sie wie ein Vordach nach vorne, als er joggend den Wald über einen etwas breiteren Pfad an offizieller Stelle verließ. Bella rannte hinterher.

Den Weg, der hinter dem Kraterwald weiterführte und sich durch eine grüne Böschung zog, war Jakob noch nie gegangen. Komisch eigentlich, denn hier lag alles so nah beieinander. Der Weg führte in ein anderes Stadtgebiet, an dem riesigen Steinbruch und weiteren Wäldchen und Teichen vorbei. Den Steinbruch konnte man nur erahnen. Er verbarg sich hinter einem Hang, der auf der rechten Seite des Weges steil nach oben führte. Mit Unkraut zugewuchert verbarg er die Mondlandschaft des Kalksteinbruches, die sich hinter ihm verbarg. In seiner Fantasie stellte Jakob sich vor, wie ein kleines Wesen über diesen Hang marschierte, das einen verzauberten Ring bei sich trug, um ihn in den Steinbruch zu werfen. Doch glühende Lava gab es hier nicht, nur jede Menge rutschigen Kies und die steilen Bruchkanten von den Sprengungen. Der Diesellärm der riesigen Schaufelbagger, die im Steinbruch arbeiteten, drang, begleitet von dem grollenden Himmel, in seine Ohren.

Ob Lukas seinen Vorschlag, dort einmal hinzugehen, um nach Fossilien zu suchen, ernst gemeint hatte?

Auf halber Hanghöhe stand ein circa zwei Meter hoher Stahlzaun, der sich parallel zum Weg den Hang entlangschlängelte. Auf knallgelben Plastikschildern war alle paar Meter ein unmissverständliches Piktogramm mit der Unterschrift „BETRETEN VERBOTEN! LEBENSGEFAHR!“ angebracht, doch Jakob wusste vom Hörensagen, dass schon ein paar Jungs aus seiner Schule darüber geklettert waren, um im Steinbruch zu spielen. Die ganzen Schulferien hatten sie damit angegeben und eine Hysterie unter Eltern und Lehrern ausgelöst, die zur Folge hatte, dass Mitarbeiter der Kalksteinwerke in jede Klasse und jede Schule marschieren mussten, um über die Gefahren des Steinbruchs aufzuklären und die Kinder eindringlich davor zu warnen, dort hineinzugehen.

Jakob überlegte, ob er sich den Zaun mal von nahem anschauen sollte, doch ein zuckender Blitz am grüngrauen Himmel gab ihm direkt eine unmissverständliche Antwort.

Er war sowieso schon ziemlich nass und bestimmt schüttete es gleich wie aus Eimern. Er drehte sich um und ging talabwärts Richtung Bauernhof. Die Kastanie thronte einsam auf ihrer großen Wiese, die Kühe waren offenbar in ihrem Stall.

Auf dem Feldweg drehte er sich noch einmal um und betrachtete den nun düster aussehenden Kraterwald, der im schummrigen Gewitterlicht wie eine schwarzgrüne Festung aussah.

„Rehe ...“, sagte er und sprang über ein paar Pfützen, die sich schon auf dem Feldweg gebildet hatten. Sein Rucksack hüpfte im Takt seiner Schritte mit, die Glasschale darin schepperte leise.

Auf halbem Weg passierten sie einen morschen Holzpfahl.

Ein kleiner bunter Papierfetzen hing noch an seiner Spitze, widerstrebte noch den Zuckungen des Windes und flog dann unbemerkt davon, als Jakob mit Bella vorbeiging.

Sie sollten nun schleunigst nach Hause gehen, wenn sie nicht noch nasser werden wollten.

LUKAS

13

Lukas saß in Shorts auf seiner Bettkante. Er inspizierte seinen rechten Arm und streckte ihn dabei mit einer drehenden Bewegung nach vorne. An der Innenseite seines Oberarms lief ein kleines rotes Rinnsal herunter. Er hatte sich offenbar wieder im Schlaf gekratzt. Er stützte sich auf seine weiche Matratze und suchte auf dem Oberbett nach Blutflecken, doch anscheinend hatte es nur das Kopfkissen erwischt. Im Haus war es ruhig, ihn fröstelte. Das Schlafzimmerfenster stand sperrangelweit offen.

Er war immer noch etwas sauer auf Marina. Er mochte es nicht, wie sie sich in Dinge einmischte, die sie nichts angingen. Und das große Geheimnis wollte sie auch nicht lüften, als genösse sie es, ihm damit überlegen zu sein. Blöde Kuh, dachte er.

Er stand auf und zog sich die alten Klamotten von gestern über. Sie rochen nach Zigarettenrauch, doch das war ihm jetzt egal. Nachdem er mit Marina gestern heimgefahren war, setzte sie sich zu Moritz ab. Und er hatte nichts Besseres zu tun gehabt, als sich im örtlichen Pub volllaufen zu lassen. Max hatte ihm dabei spontan Gesellschaft geleistet und er fand in ihm einen guten Partner, um über Marina und Moritz herzuziehen.

Er schloss das Fenster und warf einen Blick nach draußen. Es regnete schon den ganzen Morgen. Die Ränder der Straße vor dem Haus wurden zu kleinen Bächen, die die Reste des Schneematsches den Berg hinunterspülten. Die Gullys waren wohl zu sehr mit Laub verstopft, als dass sie den ganzen Regen hätten aufnehmen können. Plätschernd fuhr ein alter Land Rover „Defender“ vorbei, der mal wieder eine Wäsche nötig hatte. Auf dem Beifahrersitz tobten zwei kläffende Zwergpinscher.

Lukas drehte sich um und ging hinaus in den großen Raum vor seinem Zimmer. Das Haus wirkte leer und verlassen. In solchen Momenten sehnte er sich nach seinen Eltern. Und nach Jakob.

Er öffnete die Zimmertür seines Bruders und ging hinein in den verlassenen Raum. Er war seit drei Jahren unverändert geblieben. Das Bett war frisch bezogen und eine Tagesdecke schützte das Oberbett vor dem Staub der Zeit. Auf dem Schreibtisch lagen Schulunterlagen neben Stiften und Zeitschriften und an dem Schreibtischstuhl hing ein dreckiger, bunter Rucksack. Ein kleiner Plüschhund schaute ihn hämisch an.

Lukas griff nach einem Stein, der im Regal lag und ein paar Bücher stützte. In ihm wanden sich einige schneckenförmige Gebilde, als würden sie noch den Meeresboden nach Aas und Kleinstlebewesen durchsuchen wollen. Er pustete den Staub ab, wischte mit seinem Ärmel über die Regalplatte und stellte ihn wieder behutsam zurück an seinen Platz. Es war stickig hier, also öffnete er ein Fenster. Die Seiten der Zeitschriften begannen leicht im Durchzug zu flattern. Unten knallte eine Tür.

Lukas zog die Tagesdecke glatt und schloss das Fenster wieder. Als würde er sich ertappt fühlen, zog er die Tür besonders leise hinter sich zu, als er das Zimmer wieder verließ. Er nahm einen Schlüssel von einem Haken, der in die Holzzarge der Tür eingedreht war und schloss ab. Den Schlüssel drapierte er wieder an seinen Platz.

Die Trümmer der vergangenen Party waren längst aufgeräumt. Es roch leicht nach Raumspray. Jans Wolldecke lag säuberlich gefaltet auf dem kleinen Sessel, der schon eine Sitzkuhle von den vielen durchzockten Nächten hatte. Die Spielekonsole hatte Lukas abgebaut und in einem großen Eichenschrank verstaut.

Heute war einer dieser Tage, an denen er die Schulferien hasste, und zum Lernen konnte er sich auch nicht aufraffen. Er schaltete den Fernseher ein und ging wieder in sein Zimmer. Bei offener Tür zog er, von dem Gebrabbel eines Nachrichtensprechers begleitet, das Bett ab und warf die dreckigen Laken in einen Korb aus Rattan. Dann holte er aus seiner Kommode einen neuen Bettbezug und verrichtete gewissenhaft seine Arbeit.

Aus einem schmalen Regal, das neben seinem Bett stand, holte er ein dickes Biologiebuch und schnappte sich aus einer Plastikbox daneben ein paar unbeschriebene Karteikarten. Er legte beides zusammen auf seinen Schreibtisch. Wenigstens die guten Vorsätze waren da. Das Wetter war eigentlich perfekt, um für das Abitur zu lernen.

Auf der Holztreppe machte sich leises Hundetapsen bemerkbar. Nun hatte auch Bella verstanden, dass der Tag begann. Ihm grauste es davor, bei diesem Wetter mit ihr nach draußen zu müssen.

Sie schaute ihn erwartungsvoll an, doch seine Laune war ziemlich mies, also ignorierte er sie fürs Erste.

Mit dem Smartphone in der Hand setzte er sich auf den Sessel und legte seine Füße auf den von Wasserkränzen verunzierten Beistelltisch. Bella trottete zu ihm hin und legte sich quer unter seine ausgestreckten Beine auf den Boden.

Mit ein paar geschickten Daumenbewegungen öffnete er das digitale Fotoalbum. Es dauerte immer eine gewisse Zeit, bis die Vorschaubilder erschienen. Er wischte die eingefangenen mosaikartigen Erinnerungen der letzten Monate in das leere Nichts unter seiner Hand. Der Fernseher referierte über das Wetter. Anscheinend hatte der kurze Schneefall der vergangenen Tage keine weißen Weihnachten angekündigt.

Auf einem Foto von Moritz stoppte sein Daumen mit einem kurzen Tippen die Scrollbewegung der Bilderflut. Er öffnete es und er sah in ein zu einer Grimasse verzogenes Gesicht. Moritz mochte es nie, wenn jemand von ihm Fotos machte und zog dann immer die unmöglichsten Fratzen. Hinter Moritz’ Kopf sah man zwei gestreckte Finger, die Hasenohren andeuten sollten, und die grinsenden Schemen von Max’ halbem Gesicht.

Lukas schmunzelte.

Er warf sein Smartphone auf den Tisch, das noch schlitternd an der Kante zum Stehen kam, stand auf und bewegte sich Richtung Treppe, ohne sich um die morgendliche Pflegeroutine zu kümmern.

„Komm, Bella. Gassi gehen.“

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