Kitabı oku: «Mehrsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht», sayfa 9

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4.2 Exkurs: Veränderungen der gesellschaftlichen Situation in Deutschland seit der Datenerhebung im Jahr 2012

Mehrsprachigkeit ist aktuell durch die Zuwanderungsbewegungen der Jahre 2015 und 2016 zu einer großen Herausforderung für die Schulen in Deutschland geworden. Seit der Erhebung der hier vorgelegten Daten in den Jahren 2011 und 2012 hat sich die Bedeutung der Zuwanderung nach Deutschland entscheidend verändert und die Situation der verschiedenen Herkunftssprachen in den Schulen stark beeinflusst. Waren zum Erhebungszeitraum Türkisch und – mit Abstand dahinter – Russisch die wichtigsten Herkunftssprachen der Kinder mit Migrationshintergrund1, so hat sich der Sprachenmix zugunsten arabischer Herkunftssprachen verschoben. Durch diese Entwicklung – gepaart mit einer innergesellschaftlichen Diskussion, die nicht immer demokratisch-humanitären Grundvoraussetzungen entspricht – hat sich eine völlige Veränderung der Ausgangsbedingungen für die vorliegende Untersuchung aus den Jahren 2011 und 2012 ergeben.

Mein Fokus liegt weiterhin auf den grundlegenden Aspekten wie der bestehenden Mehrsprachigkeit, sei sie schulisch oder lebensweltlich bedingt. Diese sind unverändert, denn, während die Flüchtlingskrise eine Ausnahmesituation darstellt, ist die lebensweltliche Mehrsprachigkeit durch die Kinder aus türkischen Familien zum Beispiel seit Jahrzehnten der Standard in den Schulklassen.

Im Migrationsbericht der Bundesregierung heißt es zu den Migrationsbewegungen vor 2016:

„Das Zuwanderungsgeschehen nach Deutschland ist seit Jahren vor allem durch Zuwanderung aus anderen europäischen Ländern bzw. Abwanderung in andere europäische Staaten gekennzeichnet. So kamen im Jahr 2015 fast drei Fünftel aller zugewanderten Personen (57,2 %) aus einem anderen europäischen Staat nach Deutschland. Insgesamt betrug der Wanderungssaldo gegenüber den anderen EU-Staaten +332.511. Aus den alten Staaten der Europäischen Union (EU-14) kamen 11,8 % aus den zwölf neuen EU-Staaten (EU-12) 28,2 % und aus Kroatien 2,7 % (zur EU-Binnenmigration vgl. Kapitel 2). Aus dem übrigen Europa kamen 14,5 % aller zugezogenen Personen des Jahres 2015. Weitere 32,2 % der Zugezogenen wanderten aus einem asiatischen Staat zu. Lediglich 5,4 % zogen aus afrikanischen Ländern nach Deutschland und 3,6 % aus Amerika, Australien und Ozeanien.“ (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2016: 31f.)

Da nur ein sehr geringer Teil der Zuwanderer aus Osteuropa und dem Nahen Osten eine sprachliche Sozialisation aus der romanischen Sprachenfamilie hat und es sich vielmehr um arabische oder slawische Herkunftssprachen handelt, kann in den heutigen Schulklassen erwartet werden, dass Bezüge zwischen den Schulfremdsprachen und diesen Sprachen im Fremdsprachenunterricht kaum hergestellt werden. Ableiten, Inferenzieren usw. sind angesichts der Verschiedenheit der Sprachfamilien kaum möglich. Dies ist lediglich bei rumänischstämmigen Schülerinnen und Schülern (Kinder von etwa 10,4 % Rumänen in der Migration) denkbar.

Die folgende Tabelle veranschaulicht das Migrationsgeschehen bundesweit für das Kalenderjahr 2015:


Abb. 1: Zuzüge im Jahr 2015 nach den häufigsten Herkunftsländern (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2016: 33)

Insgesamt konstatiert das Statistische Bundesamt 2016 zur aktuellen Migrationssituation, was die unverändert brisante Bedeutung meiner Studie unterstreicht:

„Mit rund 17,1 Millionen hatten im Jahr 2015 mehr Menschen in Deutschland einen Migrationshintergrund als je zuvor. [Dies] entsprach einem Zuwachs gegenüber dem Vorjahr von 4,4 %. Der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund an der Gesamtbevölkerung erreichte 21,0 %. Der außergewöhnlich hohe Anstieg ist vor allem auf ausländische Zuwanderer zurückzuführen. 2015 lebten 11,5 Millionen Zuwanderer in Deutschland, das waren 5,5 % mehr als im Vorjahr.

Die drei wichtigsten Herkunftsländer der Menschen mit Migrationshintergrund sind die Türkei, Polen und die Russische Föderation. Insgesamt 6,3 Millionen hatten ihre Wurzeln in den ehemaligen Gastarbeiteranwerbestaaten, darunter vor allem in der Türkei, in Italien und in Griechenland.

Die Bevölkerung mit Migrationshintergrund ist im Schnitt deutlich jünger als die Bevölkerung ohne Migrationshintergrund. Jede dritte Person unter 18 Jahren hatte einen Migrationshintergrund. Den höchsten Anteil gab es in der Altersgruppe der Kinder unter fünf Jahren (36 %). In der Gruppe der über 65 Jahre alten Bevölkerung lag der Anteil hingegen bei unter 10 %.“ (Statistisches Bundesamt 2016)

Leider liegen aus dem Statistischen Bundesamt und den aktuellen Ausländerstatistiken (vgl.: Bevölkerung mit Migrationshintergrund – Ergebnisse des Mikrozensus, Fachserie 1 Reihe 2.2–2015) keine Daten zu Sprachkenntnissen der Zuwanderer vor. In diesem Bereich herrscht insgesamt große Unsicherheit vor, die den oben genannten Vorurteilen Vorschub leistet und die „doppelte Halbsprachigkeitsvermutung“ bei den Lehrkräften unwidersprochen lässt (vgl. dazu Kapitel 2.2.1).

Neuere Forschungen beschäftigen sich seit etlichen Jahren mit den schulischen Erfolgen – hier vor allem interessant: im Fremdsprachenunterricht – dieser Kinder und Jugendlichen (vgl. Özkul 2015a: 256). Dieser Perspektivenwechsel, weg von „[…] einem defizit-orientierten Ansatz zu einem an Ressourcen orientierten Forschungszugang“ (Özkul 2015a: 257), ist von besonderer Bedeutung für die vorliegende Arbeit. Es wird zu zeigen sein, ob und inwieweit defizit-orientierte Haltungen und Einstellungen, die durch die Publikation der Ergebnisse aus den PISA-Studien seit 2000 eine breite Öffentlichkeit erreicht hat, sich in der Lehrerschaft durchgesetzt haben:

„Demzufolge werden monolinguale Lerner und homogene Fremdsprachenklassen als Normalfall akzeptiert, während die Multilingualität als Ausnahme gilt […]. Abendroth-Timmer und Breidbach (2000: 11) konstatieren als wichtiges Resultat eines solchen Sachverhalts, dass die Mehrsprachigkeit von Kindern mit Migrationshintergrund bereits im Ansatz geringgeschätzt oder als ein ‚Problem’ der Migrantenkinder betrachtet wird. Das Potenzial und die Ressourcen der Schüler mit Migrationshintergrund können in einer Schule mit monolingualem Habitus nicht chancengerecht gefördert werden.“ (Özkul 2015b: 166; Hervorhebungen im Text)

Vielversprechende erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass vor allem die Lernstrategien der erfolgreichen Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund übertragbar und für den Unterricht operationalisierbar sind (vgl. Aydin 2016). Alle genannten Fakten betreffen auch die Fremdsprachenfächer, die sich auf mehrsprachige Schülerinnen und Schüler einstellen müssen; diese befinden sich aktuell bereits in einem Wandlungsprozess. In der Lehrerausbildung hat die Bedeutung des Grundlagenwissens im Bereich Deutsch als Zweitsprache zugenommen. Dies manifestiert sich in der breiten Aufstellung der Studiengänge Deutsch als Fremdsprache / Deutsch als Zweitsprache an den meisten deutschen Universitäten, wo sie inzwischen stark vertreten sind2.

4.3 Datenerhebung – qualitative Interviews als Forschungsmethode

Als explorative Studie basiert das Projekt auf dem qualitativ-interpretativen Forschungsdesign, welches die Binnensicht gymnasialer Fremdsprachenlehrender und ihre Einstellungen und subjektiven Theorien zu ihrer Unterrichtspraxis zum Gegenstand hat. Die Interviewmethode in Form des qualitativen Interviews (Leitfaden-Interview – narratives Interview) eignet sich besonders gut, um Elemente der subjektiven Theorien von Lehrkräften aufzudecken, ihre diskursive Auseinandersetzung mit eigenen Praxiserfahrungen in der Form des Erzählens zu erfassen und zu explizieren.

Qualitative Interviews in der Sozial- und Fremdsprachenforschung sind eine anerkannte Forschungsmethode, bieten eine Bandbreite von Möglichkeiten,

„[…] um an Informationen zu Prozessen und Sachverhalten, an Erfahrungen oder an Denk- und Wahrnehmungsmuster individueller Akteure zu gelangen […].“ (Trautmann 2012: 218)

Karin Aguado stellt fest, dass seit den 1990er Jahren, in der deutschen Fremdsprachenforschung, präferenziell qualitativ gearbeitet wird (Aguado 2013: 119), und dass die Untersuchungen auf die „Innensicht der an Lehr- und Lernprozessen Beteiligten“ fokussieren (Aguado 2013: 119–135; auch Caspari 2016a).

Subjektive Theorien, Einstellungen und berufliches Selbstverständnis sind von den Befragten nicht in ihrer Gesamtheit reflektierbar (vgl. Caspari 2003: 92), sondern sie sind Teil eines größeren Narrativs, dem es sich mehrperspektivisch zu nähern gilt. Dies kann durch ein hohes Maß an Offenheit und Nicht-Direktivität erreicht werden.

„Durch die Möglichkeit, Situationsdeutungen oder Handlungsmotive in offener Form zu erfragen, Alltagstheorien und Selbstinterpretationen differenziert und offen zu erheben, und durch die Möglichkeit der diskursiven Verständigung über Interpretationen sind mit offenen und teilstandardisierten Interviews wichtige Chancen einer empirischen Umsetzung handlungstheoretischer Konzeptionen in Soziologie und Psychologie gegeben.“ (Hopf 2005: 350)

Bezüglich der Terminologie herrscht in der wissenschaftlichen Literatur zur qualitativen Sozialforschung eine relative begriffliche Vielfalt für die Vielzahl der angewandten Forschungsverfahren. So benennt Christel Hopf (2005) unter anderem Struktur- oder Dilemma-Interviews, klinische Interviews, biografische Interviews, fokussierte Interviews und narrative Interviews (vgl. Hopf 2005: 351ff.).

Die in der vorliegenden Studie als Erhebungsinstrumente eingesetzten Leitfadeninterviews werden vor allem explorativ zur Hypothesengewinnung verwendet und hier speziell zur qualitativen Beschreibung und Analyse von Einzelfällen im Sinne subjektbezogener Forschung (vgl. Stier 1999: 189). Als qualitativ werden Interviews vor allem dann bezeichnet,

“[…] wenn die damit befassten Wissenschaftler/innen subjektive Sichtweisen, Alltagsprozesse oder latente soziale Muster/Strukturen rekonstruieren wollen und dabei soziale Wirklichkeit im Prinzip als immer schon gedeutete und interaktiv hergestellte Konstruktionen verstehen.“ (Trautmann 2012: 218f.; Hervorhebungen im Text)

Aufgabe des Wissenschaftlers ist es hierbei, die individuellen Konstruktionen zu rekonstruieren.

„Damit die Befragten ihren Sinn artikulieren können, bedarf es einer (mehr oder weniger) großen Offenheit der Interviewer/innen in einer grundsätzlichen Reflexivität bezüglich der eigenen Vorannahmen sowie der interaktiven “Herstellung“ von Wirklichkeit im Interview.“ (Trautmann 2012: 219; Hervorhebungen im Text)

Der Leitfaden dient als Gerüst für die Datenerhebung und macht die Ergebnisse unterschiedlicher Interviews vergleichbar (vgl. Bortz & Döring 1995: 289). Sie stellen eine Mischform dar, die offen und nicht-direktiv und weitgehend nicht beziehungsweise wenig invasiv vorgeht, den Befragten zu selbstbestimmter Narration einlädt. Die Forscherin arbeitet gemeinsam mit der befragten Person einen Leitfaden ab. Grundlage für ein Leitfadeninterview ist ein Gesprächsleitfaden, der alle zu stellenden Fragen beinhaltet, um somit eine gewisse Vergleichbarkeit der Interviewergebnisse zu gewährleisten. Vorteil des Leitfadeninterviews ist, dass dem Befragten genügend Raum für eigene Formulierungen, Äußerungen gegeben wird und die Befragung damit wenig invasiv ist.

Für die vorliegende Studie wird ein halbstrukturiertes Interview mit einer Grobstruktur durch einen Leitfaden vorgegeben. Damit kann einerseits die Interviewthematik restringiert werden, um Exkurse zu verhindern (vgl. Viebrock 2007: 85), andererseits können vom Befragten auch über den Leitfaden hinausgehende Themen respektive Fragen eingebracht werden, und damit möglichen Antworttendenzen einerseits und zu starke Einschränkungen andererseits vorgebeugt werden.

"Beim halbstrukturierten-leitfadenorientierten Tiefeninterview wird der Kompromiß zwischen z.T. vorgegebenen Fragen und dem Erzählenlassen, d.h. dem flexiblen Eingehen auf nicht-antizipierte Äußerungen der Befragten gesucht [werden], um sowohl Reichweite als auch Tiefe des Themas abzudecken und um vielfältiges und vergleichbares Material zu erhalten." (Bock 1992: 94; Hervorhebung im Text)

Als Erhebungsinstrumente stehen für die genannten Forschungsfragen prinzipiell folgende Verfahren zur Verfügung, die hier in einer Mischform, dem explorativ-problemzentrierten Experteninterview, angewendet wurden: Leitfaden-(halbstrukturiertes) Interview, das problemzentrierte Interview.

4.3.1 Leitfaden-(halbstrukturiertes) Interview

Leitfadeninterviews werden überwiegend explorativ eingesetzt, zur Hypothesengewinnung oder hier zur qualitativen Analyse von Einzelfällen (vgl. Stier 1999: 189). Der Leitfaden dient als Gerüst für die Datenerhebung und macht somit die Ergebnisse unterschiedlicher Interviews vergleichbar (vgl. Bortz & Döring 1995: 289); dieser Gesprächsleitfaden enthält alle zu stellenden Fragen.

Die Forschungsmethodik der vorliegenden Studie entspricht dem Prinzip des halbstrukturierten Interviews und die Lehrkräfte wurden vorab schriftlich per E-Mail angefragt, ob sie für ein Interview bereit stünden. Zum Einstieg in die Befragung wird dann eine Einstiegsfrage gestellt, um das Gespräch in angenehmer Atmosphäre in Gang zu bringen. Zum Beispiel: "Können Sie mal erzählen, wie Sie dazu gekommen sind, Fremdsprachenlehrerin bzw. -lehrer zu werden?"

Der Hauptteil bezieht sich nun auf die Problemsicht des Befragten, hier werden im Leitfaden je nach Fragestellung drei bis fünf Themen angesprochen, bei denen nachgefragt wird, wie die Betreffenden diese Punkte sehen, welche Probleme bestehen, wo die Missstände liegen. Da es sich um Praxisforschung handelt, wird man es immer mit Unvollkommenheit und Problemen oder Missständen zu tun haben. Dabei wird der Interviewpartner als Experte angesprochen, und um Vorschläge und Änderungsideen gebeten, wie beispielsweise: „Was kann, was muss, was sollte getan werden, damit es besser wird?“

In letzter Konsequenz geht es hierbei oft auch darum, Menschen zu gewinnen, die möglicherweise bereit sind, sich aktiv für Veränderungen einzusetzen (epistemologische Funktion).

Vor dem Interview der Hauptstudie wird ein Kurzfragebogen eingesetzt (vgl. Witzel 1985: 236 und 2000), der Angaben zu Ort und Zeitpunkt der Interviewdurchführung, zu persönlichen Daten der Gesprächspartner (Name, Alter) und des beruflichen Werdegangs (Schule, Unterrichtsfächer) ermöglicht. Über jedes Gespräch hinaus wird ebenfalls ein Postskriptum angefertigt (vgl. Witzel 1985: 236ff.), in welchem die unmittelbaren globalen Eindrücke der Interviewerin zum Gesprächsverlauf, zur Atmosphäre etc. festgehalten werden (vgl. Viebrock 2007: 90).

4.3.2 Das problemzentrierte Interview

Mit diesem Konzept wird eine Interviewvariante bezeichnet, die eine lockere Bindung an einen knappen, der thematischen Orientierung dienenden Leitfaden mit dem Versuch verbindet, die Befragten weitgehende Artikulationschancen einzuräumen und sie zu freien Erzählungen anzuregen. Problemzentrierte Interviews werden oft als Kompromiss zwischen leitfadenorientierten und narrativen, erzählenden Gesprächsformen angesehen (vgl. Witzel 1985; Bortz & Döring 1995; Hopf 2005), die auf eine spezifische Fragestellung rekurrieren (vgl. Aydin 2016: 10). Sie eignen sich besonders gut für die detaillierte und nachvollziehbare Explorierung eines gegebenen thematischen Bereichs (vgl. Caspari 2003: 93).

„Sie vereinbaren ein hohes Maß an Offenheit und Nicht-Direktivität mit einem hohen Niveau der Konkretion und der Erfassung detaillierter Informationen und sind dadurch anderen Interview-Varianten überlegen.“ (Hopf 2005: 351)

Das problemzentrierte Interview wurde Anfang der 1980er Jahre von Andreas Witzel entwickelt (vgl. Witzel 2000; Trautmann 2012: 220). Nach Witzel geht es im problemzentrierten Interview um eine qualitative Analyse subjektiver Sinnbezüge.

Für die hier angesetzte Forschungsmethode habe ich mich für die Bezeichnung „explorativ-problemzentriertes Experteninterview“ (vgl. Gläser & Laudel 2010; Caspari 2003: 93; Bogner; Littich & Menz 2014) entschieden. Explorativ im Sinne der Hypothesengenerierung bedeutet hier den prinzipiell offenen Zugang zu den Daten und der Möglichkeit der sukzessiven Veränderung der Kategorien.

Diese Möglichkeit im Bereich der qualitativen Datenanalyse deuten auch Jochen Gläser und Grit Laudel (2010) an:

„Die Merkmalsausprägungen von Kategorien werden nicht vorab festgelegt. Stattdessen werden Merkmalsausprägungen frei verbal beschrieben. Man stellt gewissermaßen offene Fragen an den auszuwertenden Text und nicht geschlossene. Es kann während der Extraktion verändert werden, wenn im Text Informationen auftauchen, die relevant sind, aber nicht in das Kategoriensystem passen. […] Wird das Kategoriensystem verändert, dann verändert sich damit auch die Struktur der Informationsbasis, die also nicht ausschließlich durch die theoretischen Vorüberlegungen, sondern auch durch die im Material enthaltenen Informationen strukturiert wird.“ (Gläser & Laudel 2010: 205)

Sowohl Andreas Witzel (vgl. 1985: 236) als auch Siegfried Lamnek (vgl. 1995: 78) schlagen für das problemzentrierte Interview eine Kombination aus quantitativen und qualitativen Methoden vor, indem ein standardisierter Kurzfragebogen zu Beginn des Interviews wichtige Vorabinformationen zum Befragten erfasst. Dieser bietet einen günstigen Gesprächseinstieg und ermöglicht es, zentrale Informationen zum Befragten aus dem Interview herauszunehmen, um den Gesprächsfluss nicht zu stören. Beim problemzentrierten Interview dient der knappe Leitfaden als thematische Orientierung und Gedächtnisstütze zur Anregung der freien Erzählung, aber auch zur kontrollierten und vergleichbaren Herangehensweise an den Gegenstand (vgl. Witzel 1985: 236f.).

4.3.3 Explorativ-problemzentriertes Experteninterview

Für meine Studie ist der Hinweis wichtig, dass ich mich nicht für ein methodisches Verfahren in Reinform entschieden habe (vgl. Position von Aguado 2016: 244), sondern ich werde als Mischform der vorgenannten Verfahren ein explorativ-problemzentriertes Experteninterview einsetzen und kombinieren, da es sich um ein dialogisches Verfahren handelt, das auf die Beschreibung und Analyse von subjektiven Theorien zur Unterrichtspraxis fokussiert (vgl. Trautmann 2012: 219), und dabei die Experten als Interviewpartner in eine fragengeleitete, freie Narration führt. Es ist explorativ im Sinne der Grounded Theory, da keine Vorannahmen formuliert werden und auch nicht latent existieren, sondern erst die Daten und die zentralen Kategorien das Material liefern, anhand dessen Einstellungen rekonstruiert werden können. Karin Aguado (vgl. 2016: 245f.) weist darauf hin, dass diese ursprüngliche Vorstellung der amerikanischen Begründer der Grounded Theory – Glaser und Strauss in den 1960er Jahren – entsprechend der heutigen wissenschaftlichen Standards nicht mehr zu halten sei. Es könne ausgeschlossen werden bzw. es sei zugleich „unrealistisch und ineffizient“ so Aguado (2016: 245), dass Forscherinnen und Forscher ohne Vorannahmen, nur durch induktives Vorgehen, Daten zu kategorisieren und zu analysieren, in der Lage seien.

„Zu Beginn ihrer gemeinsamen Arbeit fordern Glaser und Strauss von Forschenden, die mit dem GTM-Ansatz arbeiten wollten, den völligen Verzicht auf jegliche Lektüre einschlägiger Literatur und daraus möglicherweise resultierenden Begriffsbildungen. […] Die Rezeption und Verarbeitung vorhandener Fachliteratur spielt für jeden Forschungsprozess eine zentrale Rolle – und sie schützt vor unangenehmen Überraschungen oder vermeintlichen Neuentdeckungen. Ferner ist unbestritten, dass empirische Untersuchungen nicht nur von fachlichem Vorwissen, sondern auch von subjektiven Erfahrungen und Erwartungen beeinflusst werden, und so gehört es inzwischen zum wissenschaftlichen Standard, Vorwissen jeglicher Art entsprechend zu dokumentieren und hinsichtlich seines Stellenwerts zu evaluieren […].“ (Aguado 2016: 245f.)

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