Kitabı oku: «Die Vögel», sayfa 2
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Allmählich war es spät am Abend. Später, als Mattis sonst auf war. Trotzdem mochte er nicht ins Bett gehen, sondern tigerte draußen herum. Nagte etwas an einem, dann war es noch viel schlimmer, wenn man sich im Bett hin und her wälzte.
Vielleicht schläft die Hege ja auch nicht. Ist nur so früh reingegangen, damit sie mich nicht mehr sehen braucht.
»Und das ist wirklich nicht lustig«, sagte er laut, so laut, dass es vielleicht durch die Wand bei ihr drinnen zu hören war.
Ihm machte das zu schaffen.
Ein plötzlicher Gedanke ließ ihn zusammenschrecken:
Du darfst mich nicht alleinlassen!, durchfuhr es ihn, an Hege in ihrer Kammer gerichtet. Was dir und mir auch passiert, du darfst mich nicht alleinlassen.
Neu war dieser Gedanke nun wirklich nicht, er fühlte sich nur jedes Mal neu an, jedes Mal gleich schlimm. Jedes Mal musste er den Gedanken wegschieben, das war Unsinn, Hege hatte nie ein Wörtchen von alleinlassen gesagt. Warum sich damit quälen?
Das Bild wollte nicht weichen. Er sah Hege weggehen, immer weiter weg. All ihr Eigentum in einem Bündel unter dem Arm.
Gehst du weg?
Ja, Mattis.
Das wird schwer, Hege.
Ja, Mattis.
Dann ging sie.
Hörte nicht mehr, was er sagte, wurde immer kleiner, war am Ende nur noch ein schwarzes Pünktchen – und so blieb sie. Ganz und gar verschwinden konnte sie nicht in diesem traurigen Spiel.
Und genau da passierte etwas Großes:
Wie er nachgrübelte und Hege weggehen sah, saß er auf seinem alten Stammplatz auf der Vortreppe und blickte über den See zu den Hängen im Westen. Der See lag jetzt schwarz, über den Hängen dunkelte es immer mehr. Schöne Sommerdämmerung überall, am Himmel und auf Erden. Mattis war für so was durchaus nicht blind.
Ihr Häuschen lag in einer etwas moorigen Senke, die sich vom See heraufzog. Fichtenwald, mit Birken und Espen gemischt. Ein schmaler Bach rann durch sie hinab. Manchmal fand Mattis, hier war es schöner als an allen anderen Orten, die er je gesehen hatte – was herzlich wenige waren.
Vielleicht hatte er auch jetzt diese Empfindung – jedenfalls blickte er gedankenverloren vor sich hin und ließ die Dämmerung voranschreiten, soweit man das noch dämmern nennen konnte und es nicht nur etwas unsagbar Mildes war.
In diesem Augenblick kam das Unerwartete.
Auf dieser Seite vom Wind ist es still, dachte er gerade, während er auf die beiden Espenwipfel und den Nachthimmel blickte. Da tat sich etwas zwischen den Wipfeln, er bildete sich ein, es sehen zu können, so klar war es. Kein Wind, nur eine Bewegung – und hier war es so still, dass sich an den belaubten Espen kein Blatt regte.
Und da, ein leiser Laut! Merkwürdige Töne auf einmal. Zugleich waren da undeutlich in der Luft über ihm ein paar kurze, rudernde Flügelschläge. Dann nochmals ein paar leise Lockrufe, in einer unbeholfenen Vogelsprache.
Es ging geradewegs übers Haus weg.
Aber Mattis durchzuckte es durch und durch. Stumme Erregung packte ihn, hellwach und getroffen saß er da:
War das etwas Unnatürliches gewesen?
Nein, alles andere als das. Obwohl …
Eine Waldschnepfe war das gewesen. Und die flog um diese Tageszeit nicht einfach so irgendwo lang: Ihr Balzflug hatte über sein Haus geführt!
Seit wann wohl?
Das hatte es im Frühling bislang noch nie gegeben. Nicht, soweit er sich erinnern konnte. Und er war oft so spät draußen unterwegs, er hätte es gesehen und gehört.
Aber heute Abend führte der Balzflug direkt über ihnen entlang, über Hege und ihm. Und so würde es weitergehen, jeden neuen Morgen und Abend wieder.
Mattis schaute auf sein Haus, es war wie verwandelt, man musste es mit anderen Augen ansehen. Der Flug der Schnepfen war irgendwie etwas, das in feinen Streifen weit von hier über ferne Täler ging. Das hatte er immer gedacht. Jetzt führte er hier entlang, war ganz einfach hierher verlegt.
Es sei denn, es wäre Einbildung gewesen – er wusste, so was passierte ihm häufig. Kam es denn vor, dass die gewohnte Strecke des Balzflugs verlegt wurde? Das wusste er nicht. Und warum hierher?
Atemlos saß Mattis da und wartete. Denn wenn das wirklich der Balzflug war, der Schnepfenstrich, dann kam der Vogel bald wieder vorüber, auf derselben Strecke, Mal ums Mal, während der kurzen abendlichen Flugzeit. Er kannte das von alteingeführten Strecken andernorts, von denen er wusste. Frühmorgens folgt der Vogel wieder demselben Strich, hatte ein Jäger ihm erzählt. In trockenen Gräben hatte er manchmal Stellen gesehen, wo Schnepfenschnäbel gestochert hatten, daneben die Spuren zarter Vogelfüße.
Er wartete gespannt. Die Zeit wurde ihm lang, der Zweifel wuchs.
Psst, da war es. Das ruckartige Flattern, der Vogel selbst schemenhaft und rasch in der Luft direkt über dem Haus, jetzt in der entgegengesetzten Richtung. Und wieder weg, verborgen im weichen Zwielicht und den schlafenden Baumwipfeln.
Da sagte Mattis laut:
»Ja, das ist der Schnepfenstrich.«
Er wusste nicht, warum er das sagte und woher er es hatte. Weniger konnte er nicht sagen oder tun – und niemand hörte ihn dabei.
Es fühlte sich an, wie wenn nach langer, schwerer Zeit etwas überstanden war.
Sein erster Gedanke war, es Hege zu erzählen, er wollte gleich hinlaufen. Ob sie jetzt schlief oder wach war, sie musste sofort davon erfahren – aber er hielt wieder inne. Wenn es wirklich stimmte, dann kam der Vogel bald zum dritten Mal, und Mattis war sich seiner Sache so wenig sicher, dass er das noch abwarten musste. Selig dasitzen und warten.
Wenn ich es drei Mal gesehen habe, muss Hege es glauben. Alle müssen es glauben.
Psst, da ist es wieder.
Genau wie vorhin, das Flattern, der pfeilschnelle Schatten im Dämmer – und der schöne Lockruf, ob den nun wer hörte oder nicht. Gleich überm Dach hier, und fort ins Unendliche. Dann wieder nichts als der Spätabend.
Aber es war wirklich da gewesen. Jetzt weiß ich was, stellte er fest, ohne weiter nach Erklärungen zu suchen. Er war spürbar verändert, innerlich.
Und Hege schläft!
Jetzt durfte auch Hege verändert werden.
6
Die schlafende Hege – wie ein Blitz mit Achtblattrosen und Strickzeug, die alles meisterte – jetzt war Mattis nicht mehr sicher, wer von ihnen beiden wichtiger war. In diesem Augenblick konnte er beinah wagen, sich an die erste Stelle zu setzen.
Etwas geräuschvoll betrat er die Kammer.
Das war unklug. Hege war vor längerem ins Bett gegangen, vielleicht eingeschlafen – jetzt wurde sie zur Unzeit geweckt. Sie schlug einen ziemlich scharfen Ton an.
»Was ist denn jetzt schon wieder?«, fuhr sie auf, bevor er auch nur einen Ton aus seinem vollen Herzen herausgebracht hatte. Den Klang kannte er nur zu gut. Wahrscheinlich war sie gerade eingeschlafen, und da kommt er reingetrampelt. Aber er wusste auch, wie es weiterging: Sie würde sich räuspern, zur Entschuldigung und um den Schmerz ihrer Bemerkung zu stillen.
»Ja, was ist, Mattis?«, sagte sie jetzt leise und müde, bereit zu zeigen, dass es ihr leidtat.
Mattis kam mit etwas Großem. Er wusste gar nicht, wie er es in Worte fassen sollte. Also einfach raus damit.
»Der Schnepfenstrich ist hier!«, erzählte er, es klang steif.
Er fühlte sich selbst ganz fremd, wie er da vor dem Bett stand.
Hege bemerkte seinen Tonfall wohl auch. Die vor Staunen und Ehrfurcht ungeschickte Zunge. Aber sie kannte es allzu gut, dass Mattis mit irgendwelchen Merkwürdigkeiten ankam. Die dann meistens rasch gar nicht mehr so merkwürdig waren und sich auflösten.
Sie sagte ruhig:
»Der Schnepfenstrich? Aha. Geh jetzt schlafen, Mattis.«
Mattis begriff es nicht.
»Geh schlafen, Mattis«, sagte sie behutsam, denn sie sah sein verstörtes Gesicht.
Mattis stöhnte enttäuscht auf.
»Hast du nicht gehört? Da ist eine Schnepfe, sie fliegt bei uns übers Dach. Jetzt. Jetzt, wo du in deinem Bett sitzt.«
Hege blieb sitzen, sah unverändert aus.
»Natürlich habe ich es gehört. Und? Die kann doch langfliegen, wo sie will?«
Ihm war das unbegreiflich. Als ob sie eine fremde Sprache spräche.
»Aber das ist doch was! Hast du schon mal gehört, dass eine Schnepfe ihren Balzflug einfach so verlegt und jetzt über deinen Kopf weg fliegt?«
Sie zuckte mit den Schultern.
»Was weiß ich.«
»So was hast du noch nie gehört! Los, zieh dich an und komm raus!«
»Jetzt? Mitten in der Nacht?«
»Klar! Das musst du sehen.«
»Ach, nein«, sagte sie.
»Doch, du musst! Es ist jetzt, draußen. Wenn das auch nichts ist, dann …«
Hege legte sich wieder hin, nichts zu machen. Sie gähnte, rasend müde.
»War sicher schön, das zu sehen«, sagte sie, »ich schau es mir ein andermal an. Wenn die heut fliegt, dann morgen sicher auch, oder?«
Mattis starrte sie an, mit aufgesperrtem Mund.
»Wenn die heut fliegt, dann morgen auch?«, echote er fassungslos. »Und du willst klug sein?«, entschlüpfte es ihm vor lauter Verblüffung.
»Wie meinst du das?«, fragte sie.
Er schaute sie immer noch ungläubig an. Und stellte fest:
»Du verstehst also gar nichts.«
Enttäuscht und ratlos stand er über ihr.
Sie berührte ihn kurz am Arm. Ihm war klar, das war versöhnlich gemeint. Aber dafür, dass Hege vollkommen übermüdet war, hatte er keine Augen. Da lag sie in ihrem verwaschenen Nachthemd, sah ihn nicht an, drehte ihm den Rücken zu und blickte an die Wand.
»Lass uns morgen drüber reden, Mattis. Geh jetzt ins Bett, hörst du.«
Für Mattis klang es reineweg wahnwitzig, so was zu verpassen.
»Ich sag doch, sie fliegt jetzt. Und das willst du nicht sehen? Ich versteh dich nicht, nichts findest du besonders!«
Jetzt war es Hege zu viel, es wuchs ihr über den Kopf. Sie schlug mit der Faust auf den Rand des Betts und rief:
»Was weißt du schon! Ausgerechnet du sagst so was, du, der …«
Sie hielt inne.
Er fragte erschrocken:
»Ich? Was ich?«
Immer noch mit dem Rücken zu ihm, rief sie:
»Lass mich endlich in Ruhe! Ich schaff das nicht mehr, wenn du nicht – kannst du nicht bitte gehen! Es ist so spät, Mattis, wir müssen schlafen!«
Mit einer jähen Bewegung rückte sie näher zur Wand. Er sah, wie ihre Schultern zuckten. Das machte ihm zu schaffen, er fühlte sich schuldig, ob er es jetzt war oder nicht.
Er war ratlos. Hatte er ihr was Böses getan? Er hatte ihr mit dem Schnepfenstrich nur eine Freude machen wollen. Ihm war es unvorstellbar, dass das für Hege weniger wichtig war als für ihn. Jetzt und hier war es, da draußen – aber Hege blieb gleichgültig, schimpfte, und jetzt weinte sie so unbegreiflich hilflos.
»Aber Hege – ich hab dir nichts tun wollen, hab doch nur …«
Jetzt schrie sie:
»Hörst du nicht, was ich sage!«, und mit ein paar schnellen Schritten war er aus der Kammer hinaus. Behutsam zog er die Tür zu, als ob Hege schliefe und nicht geweckt werden dürfte.
Wie verschieden die Leute sind, dachte er draußen verdattert. Jedenfalls Hege und ich.
Wahrscheinlich glaubt sie mir nicht mal.
Aber ich hab es gesehen und gehört. Da leg ich die Hand ins Feuer. Aber für heute Abend ist es vorbei.
Und jetzt singen wir ein Lied, sagte etwas in ihm. Natürlich fing er nicht an zu singen. Es passte nur so gut nach dem anderen Satz: Für heut Abend ist es vorbei. Ich bin bei vielen Versammlungen gewesen, ich weiß so ungefähr, wie es da zugeht.
Für heut Abend vorbei. Denn jetzt hat der Vogel seinen Schatz gefunden.
Als er aufblickte, sah er Lichtstreifen dort, wo der Balzflug entlanggegangen war. Direkt über dem Haus.
So ganz sicher war er da zwar nicht, um die Wahrheit zu sagen – aber dort oben war was anders als vorher, fand er. Und morgen ist es wieder da, genauso schön wie heute Abend. Da soll die Hege es auch sehen, und wenn ich sie hier draußen festbinden muss.
Jetzt wird alles anders, dachte er vor dem Einschlafen, gekrümmt wie ein Kind in der Schlaftruhe.
Für mich?
Bei dem Gedanken wurde ihm heiß.
7
Mattis nahm den Schnepfenstrich mit in den Schlaf, und warum auch immer, das bescherte ihm einen herrlichen Traum.
Ein Ruf erst, bevor er etwas sah:
»Wir kommen, wir kommen«, hieß es. »Du bist doch da?«
»Ja, klar«, antwortete er vielleicht.
»Das hat lange gedauert, Mattis«, hieß es freundlich, »aber die Zeiten sind jetzt vorbei.«
Und dann kamen sie wirklich. Ein heller Streifen hoch über dem Haus, und dicht über dem Haus, und zu den Seiten des Hauses, und ein Laut, gerade so hörbar – wie solche Laute sein sollen. Das Haus wurde auf einen Schlag neu, durch und durch.
»Aber das Haus ist nicht das Wichtigste«, sagte er.
Nein, und auch nicht das, was hier passierte, sondern er selbst. Die Streifen waren durch ihn hindurch gegangen und hatten ihn zutiefst verändert. Als er den rechten Arm anwinkelte, um seinen neuen Beugemuskel zu erproben, wölbte der sich so, dass der Hemdsärmel auf der ganzen Länge des Oberarms aufriss. Er schaute den glatten, wohlgeformten Muskel an und lachte.
»Schon besser«, sagte er.
»Gut zum Umarmen.« Mit scharfem Blick schaute er sich um.
»Wo seid ihr?«, rief er.
Sie lachten, im Wäldchen versteckt:
»Na, hier, wo denn sonst.«
Sein Haus war wirklich neu, er ging hin, um sich in den Fensterscheiben zu spiegeln. So einen stattlichen Kerl wie den, der ihm in dem dunklen Fensterglas gegenüberstand, hatte er noch nie gesehen. Er schaute sich von allen Seiten an, immer ebenso gut.
Er rief stolz:
»Seht ihr was?«
»Na klar«, kam es aus dem Wäldchen, »wir sehen nichts sonst.«
»Wartet mal«, sagte er. Aber ihm antwortete ein Chor.
»Jetzt warten?«
»Was hast du vor, Mattis.«
»Mach dich bereit, Mattis.«
»Na klar«, antwortete er mit ihren eigenen Worten.
Er schüttelte den Kopf, und im selben Moment war er voller wunderbar passender Wörter, die man zu Mädchen sagen konnte – und zu anderen Leuten natürlich auch. Nicht nur so hilflos aufblitzende wie sonst. Jetzt spielte er lachend mit seiner neuen Zunge und probierte ein paar von den kühnen Wörtern aus.
»Hey, ihr da in dem Wäldchen!«, rief er, »seid ihr bereit?«
»Wir sind bereit«, sagten sie, »wer wird kommen?«
»Willst du zu mir kommen, dich meine ich«, sagte er und sorgte dafür, dass das Hemd um seinen Oberarm spannte.
Das war jetzt aufregend. Aber gleich kam die Antwort:
»Ich will.«
Die anderen Stimmen waren wie weggesunken.
Da stand sie vor ihrem Wäldchen, nicht mehr verborgen. Er hatte sie sich tausendmal vorgestellt, und doch war sie anders. Aber irgendwie kannte er sie gut, und er hatte kein bisschen Angst. Sie kam dicht an ihn heran. Sie duftete.
Er durfte sie noch nicht berühren.
»Tu was«, sagte er.
Das verstand sie sofort.
»Ja«, sagte sie, »schau, hier.«
Sie bewegte den Arm, und die Luft war voller Vogelgesang.
»Ja, und im Schnepfenflug bist du geboren«, fing Mattis an, »und all meine Gedanken waren schon lange bei dir. Wenn du was sagen willst, dann jetzt.«
»Was sagen?«, fragte sie.
»Ja.«
»Nein, jetzt will ich nichts mehr sagen«, sagte sie.
Er sah ihr unbekümmert in die Augen. Dabei beugte er heimlich den linken Arm und ließ den Hemdsärmel leise krachend reißen. Der glatte, runde, enorme Muskel glänzte in der Sonne, dicht vor ihrem Gesicht.
»Keine Sorge«, sagte er gelassen, »ich habe Hemden genug.«
»Der linke Ärmel auch?«, fragte sie bewundernd.
»O ja«, meinte er wegwerfend, »der rechte ist schon lange hin.«
Mehr sagte sie nicht, war von dem Anblick so gepackt, dass ihr keine Worte mehr einfielen. Das hatte er sich gewünscht. Er bekam alles, was er sich gewünscht hatte. Obendrein konnte er die Dinge jetzt auf die richtige Weise sagen.
»Jetzt kannst du genau das tun, was du am liebsten tun willst«, sagte er zu ihr. »Du Schatz.«
Da kam sie gleich noch näher.
»Jetzt weiß ich besser, warum ich so lange und geduldig gewartet habe«, sagte er dann.
Sie sagte nichts mehr – denn sie hatte ein Geheimnis, das sie ihm erzählen wollte. Sie kam einfach näher. Sie hatte den Arm bewegt, und die Vögel sangen – jetzt bewegte sie sich ganz, es war ein Zauber.
Bewegte sich ganz, und er konnte es nicht fassen. Namenlos. Sie kam immer noch näher. Sie war ganz dicht bei ihm, aus dem Schnepfenflug geboren, sie gehörte zu ihm.
8
Wie üblich war Hege zuerst auf den Beinen. Mattis war zwar auch wach, aber er blieb lange liegen und lebte noch seinem Traum hinterher. Er hörte Hege in ihrem Zimmer hantieren, dann kam sie heraus. Rasch drehte Mattis sich zur Wand und tat so, als ob er schliefe. Das war am sichersten so, wenn man bedachte, wie sie gestern voneinander geschieden waren.
Hege blieb kurz stehen, während sie an ihm vorbei zur Küche eilte. Aufregend. Aber es ging weiter, schon war sie wieder in Fahrt. Bald war das vertraute morgendliche Klappern von Tassen und Messern zu hören.
Wird anders werden, dachte Mattis abwesend. Er nahm seine Sachen und zog sich an. Fühlte sich schon verändert, irgendwie von zwei starken Armen getragen: Der Schnepfenstrich und der Traum nahmen ihn zwischen sich. Er lauschte schon, ob sich auch heute etwas Ungewöhnliches melden würde. Vielleicht wartete ein nie gedachtes Wort oder etwas Schönes – jetzt, wo sich alles gewendet hatte.
Noch nicht. Aber dieser Tag durfte nicht so einer werden wie die zahllosen anderen, dafür musste man selbst sorgen.
»Gold im Mund«, sagte er zu Hege, er stand in der Küchentür. Ihm fiel nur ein Teil des alten Sprichworts als Morgengruß ein.
Er war unsicher. Der letzte Blick auf Hege gestern Abend war zu schlimm gewesen. Er konnte es nur so deuten, dass sie seinetwegen geweint hatte, das Gesicht zur Wand gedreht.
Und kurz darauf hatte er diesen Traum gehabt!
Jetzt hatte Hege jedenfalls geschlafen und es verwunden. Schmal und munter schnitt sie Brot. Fast, als versuchte sie absichtlich, sorglos und unbefangen zu wirken, um den Vorabend wettzumachen. Sie antwortete auf seinen Gruß mit dem Gold im Mund:
»Hast du so gute Laune?«
Er lachte in sich hinein, antwortete aber:
»Warum fragst du das?«
»Hast du keine gute Laune?«
»Du weißt nicht, warum«, sagte er.
Kein Wort zu gestern von ihr. Und da wagte sie sich auf gefährliches Gelände:
»Ich glaube, ich weiß schon warum: Weil du heute Arbeit suchen willst, das haben wir ja besprochen. Und dann kommst du mit Gold im Mund nach Hause.«
Ach Mensch, dass er um Arbeit fragen wollte, hatte er ganz vergessen. Anders als Hege, wie sich zeigte. Es war unausweichlich, ein leichter Schatten legte sich über seine Freude.
»Daneben«, sagte er.
»Aber du wolltest doch –«
»Der Schnepfenflug ist über uns«, unterbrach er sie. Als Erklärung, oder als Entschuldigung für den neuen Zustand. Jetzt, wo sich etwas so Freudevolles ereignet hatte, brauchte man ja wohl nicht mehr den beschwerlichen Gang ins Dorf auf sich zu nehmen und um Arbeit zu bitten.
Aber Hege war unbeeindruckt.
»Ja, na und?«, fragte sie, »was ändert sich, wenn hier eine Schnepfe herumfliegt?«
»Nein, ich – ich weiß nicht. Bist du sicher, dass du das auch nicht weißt? Hm?«
Er war jetzt mutiger, es nutzte aber nichts.
»Iss jetzt«, sagte Hege.
Und das tat er. Er lebte immer noch in seinem Traum. Später würde er Hege die Augen öffnen – über das Wichtige, das geschehen war, das sie nicht sehen wollte.
Auf einmal brach es aus ihm heraus:
»Hm!« Und er trat drei Mal laut mit der Spitze seines Schuhs auf den Boden.
»Ja?«
»Nein, nichts für dich.«
»Das kommt mir aber nicht so vor«, sagte Hege. »Du siehst ganz so aus, als ob du fast platzen würdest vor Lust, irgendwas zu erzählen.«
Stumm aß Mattis mehrere Mundvoll, aber er konnte nicht an sich halten, unmöglich.
»Komisch, was man alles träumen kann, wenn man nur will.«
Hege wollte nicht mitspielen.
»Ach so, du hast geträumt«, sagte sie, als ob das gar nichts wäre.
»Hm«, machte Mattis wieder.
»Jetzt erzähl schon, sonst platzt du mir noch.«
Dass sie so redete, ließ den Traum noch deutlicher und wirklicher werden. Beinah wahr.
»Erzählen, was ich geträumt hab?«
Sie nickte.
»Kann ich nicht«, sagte er ernst und schaute sie groß an.
»Dann wird es nichts weiter gewesen sein«, meinte Hege etwas missmutig und goss ihm von dem dünnen Kaffee ein, den sie immer tranken. Sie entfernte sich schon wieder von ihm.
Mattis sagte:
»Anständige Leute reden nicht von so was, wie ich geträumt hab, jetzt weißt du’s.«
»Ach ja?«
»Hilft dir auch nichts, immer weiter zu fragen, Hege. Außerdem weißt du es wahrscheinlich sowieso.«
Das machte Hege kein bisschen neugieriger, stattdessen verpasste sie ihm einen kalten Guss:
»Träume sind verkehrt rum, merk dir das. Du träumst das Gegenteil von dem, was dann passiert.«
»Was!«, rief er. Was sie da sagte, empörte ihn. Als wollte sie ihm was Böses. Aber sie wusste nicht, worum es ging, das war es. »Du weißt nicht, wie hässlich das war«, sagte er beleidigt und mochte nicht mehr essen. Er stand so unsanft auf, dass er die Tischplatte etwas anhob – er saß dicht am Tisch. Der dünne Kaffee schwappte über, eine Tasse fiel um.
»Pass doch auf, Mattis.«
»Und wer ist schuld?«
Sie musste doch einsehen, dass sie ihm alles kaputtmachte.
»Du darfst es mir nicht kaputtmachen!«, sagte er.
»Schon gut, Mattis.«
Und er beruhigte sich:
»Mir egal, hier wird jetzt sowieso alles anders. Ab heut Nacht.«
Hege fiel ein, wie schroff sie nachts gewesen war, es tat ihr leid.
»Ich komm mit raus und schau mit dir nach der Schnepfe, irgendwann mal abends. Du brauchst nicht zu drängeln.«
»So wie beim ersten Mal ist es nie wieder.«
Hege ließ das unbeantwortet, sie räumte den Tisch ab und nahm die halbfertige Strickjacke zur Hand. Dabei beobachtete sie Mattis, was er wohl unternehmen würde. Er bemerkte das und fragte scharf:
»Ist schon wieder was?«
»Ich will nur sehen, ob du zu den Höfen gehst, das wolltest du doch.«
Sie war gnadenlos.
»Ja, aber die Schnepfe …«
Hege verhärtete sich.
»Uns helfen keine Vögel und kein Schnepfenflug. Du hast gesagt, du wirst das tun, jetzt geh auch.«
Mattis bekam Angst. Diesmal musste es Hege wirklich ernst sein, dass sie so darauf bestand. Wusste sie nicht, wie ihn das quälte? Er wurde unruhig:
»Soll es hier so anders werden nach den Vögeln?«
»Wir dürfen nie aufgeben«, sagte Hege, »das habe ich dir schon tausendmal gesagt.«
»Ja, mindestens.«
Er überlegte.
»Warum hab ich nicht so starke Muskeln, dass das Hemd platzt?«, sagte er laut und schneidend.
Hege antwortete nicht.
»Du fragst mich nie!«, fuhr er in seiner Aufregung fort.
»Was denn?«
»Das, wonach man nicht fragen soll.«
Hege sagte scharf:
»Sei still jetzt.«
Das war eine schwierige Sache, für beide.
»Kann ich bitte noch bis morgen warten?«, bettelte er und meinte die demütigende Arbeitssuche auf den Höfen. Sie hatte sich schon so oft als gute Schwester gezeigt – aber jetzt wurde sie oft schneller wütend als bisher.
»Weil heut doch heute ist, weißt du.«
»Na gut, in Ordnung«, sagte Hege.