Kitabı oku: «Die Vögel», sayfa 3

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9

Heut war heute.

Mattis wanderte herum.

Da im Traum, das waren drei Dinge, dachte er.

Ich war dreifach anders.

Er schlenderte durch einen schönen Sommermorgen. Hege saß wahrscheinlich drinnen und schmollte, weil er nicht gehen wollte – egal. Das Neue war zu nah und wichtig. Frische Winde und sachte Düfte umgaben ihn.

Drei große Veränderungen. Heut früh waren sie wieder weg, etwas anderes brauchte er sich gar nicht erst einzubilden – ihm blieb nichts als die Erinnerung daran, sie erklang unter ihm, während er ging. Irgendwie, als ob er unabsichtlich auf einen Ton treten würde, in der Wiese, und dann stieg der Ton auf, zauberte und war wirklich und wahr.

Dreifach anders – aber heut war eben heute. Seltsam, dass Hege so wenig begreift, dachte er auf dem Weg hinab zum See.

Dort stand er am Ufer und warf Steine, wie ein kleiner Junge. Das Wasser lag spiegelglatt, es wäre witzlos gewesen, jetzt angeln zu wollen. Da konnte er sein löchriges Boot getrost liegen lassen.

Die drei Dinge. Sie waren irgendwo in seiner Nähe, in der Nacht war er selbst dreifach anders gewesen. Alles, was er an sich anders haben wollte, ganz nach Wunsch.

Er warf faustgroße Steine ins Wasser, sie plumpsten hinein, sein Blick war verhangen, abwesend.

»Mattis! Essen!«, rief Hege oben vom Haus her. Ein wohltuender, heimeliger Frauenruf.

Die drei Dinge machten einen Hüpfer.

»Und zwar jetzt« brauchte sie nicht zu rufen; wenn es ums Essen ging, war Mattis fix. Schnell war er den Hang hinauf und saß am Tisch.

»Kau, solange was zu beißen im Haus ist.« Hege schob ihm den Teller hin. Ihm war klar, das war eine Anspielung auf seine Weigerung, auf Arbeitssuche zu gehen. Darum sagte sie das so.

»Und wenn man jetzt auf einmal dreifach anders wär«, sagte er beim Essen.

»Wie dreifach?«

»Das ist wegen dem, was du nicht weißt. Und wegen Mädchen und …«

»Ja, iss jetzt.«

»Du bist nie anders, als du bist«, sagte er böse. »Du kannst da nicht mit.«

»Aha«, sagte Hege. »Und, hast du vor, morgen die Runde zu machen?«

Die ist wirklich stur und merkwürdig, dachte er. Aber gut, so kommt was zu essen ins Haus.

»Wenn ich das gesagt hab, dann mach ich das auch«, antwortete er. Ihm grauste bei der Vorstellung, hilflos neben tüchtig arbeitenden Leuten zu stehen.

Hege arbeitete rasch an der Jacke. Fast bettelnd sagte Mattis:

»Willst du den Vogel sehen, wenn er heute Abend wiederkommt? Heute früh hast du gesagt, das machst du mal.«

»Nicht heute Abend, es wird sonst so spät.«

»Aber du hast gesagt –«

»Ich möchte lieber schlafen«, sagte Hege entschieden.

Mattis meinte steif:

»Aber wenn du nie wieder aufwachst! Dann wird dir das schlimm leidtun.«

Sie zuckte zusammen. Ihm war nicht klar, welche Wirkung seine Worte hatten.

»Mattis!«, fuhr sie ihn an, »still!«

Er ging. Sie sagte noch irgendetwas hinter ihm her, aber er war schon rasch aus der Tür, verschreckt.

Am Abend saß er mit bangem Herzen und bangen Fingern auf der Eingangstreppe. Hege war das Risiko eingegangen und lag schon im Bett.

Die Zeit kam, die des Vogels.

Da, sein Ruf, und da, die Flügel, irgendwie unbeholfen flatternd, rasch und ruckartig.

Die Flügel waren oben in der milden Nachtluft, aber sie drangen auch tief in Mattis’ Herz. Der weiche, dunkle Hieb von etwas Unbegreiflichem füllte Mattis aus. Ich und die Schnepfe, dachte er verschwommen.

In seiner Freude versprach er: Morgen geh ich los, wie die Hege will. Wenn kein Gewitter kommt. Blitz ist Blitz, dann gehe ich nicht – und das weiß sie.

Er wartete die Schnepfe noch zwei Mal ab, dann ging er in das dämmerhelle, laue Sommerhaus schlafen. Doch falls er gehofft hatte, der Traum würde sich wiederholen, dann zeigte der ihm eine lange Nase. Keine Spur von irgendeinem Mädchenwald.

10

Die Hege-und-Mattis-Espen ragten in die Morgensonne und den tiefblauen Himmel auf. Mattis ging an ihnen vorbei zur Landstraße hoch. Mit zusammengekniffenen Lippen: Was kam der Schnepfenstrich hierher, wenn doch alles beim Alten blieb? Sollte man da nicht viel eher zu Hause abwarten, ob etwas passierte? Nein, hatte Hege gesagt.

Jetzt war er nicht mehr so willig wie in der Nacht, als er den Gruß des Vogels erlebt hatte.

Wäre Hege anders, als sie ist, würde sie ihn nie auf diese unnütze Runde schicken, ihr wäre klar, dass sie das besser lassen sollte. Aber die Hege, die wird nie anders. Sie braucht das auch nicht so. Irgendwie.

Er trottete weiter.

Als er aus dem Wäldchen kam, lag das ganze Dorf vor ihm. So gut wie jeder einzelne Hof stand für die Erinnerung an einen missglückten Arbeitsversuch.

Auf der Landstraße herrschte bereits Verkehr. Wie üblich wurden die Leute von den Autos in die Straßengräben gescheucht. Die Straßenränder waren grau vom aufgewehten Staub.

Manchmal ging Mattis die Straße auch entlang, ohne dass er auf Arbeitssuche war, nämlich wenn Hege ihn mit ein paar Kronen zum Kaufladen schickte, um etwas zu essen zu kaufen, oder mit einer fertigen Strickjacke. Das war immer ein Wagnis, es konnte gut ausgehen oder aber in Schimpf und Schande enden.

Auf den Höfen ringsum gingen die Leute eben jetzt an die Arbeit. Mattis sah sie überall um sich. Frühsommerarbeit. Meist Unkrautjäten auf den Äckern. Stark und klug sahen die Leute aus, als ob sie ebenso selbstverständlich der Arbeit nachgingen, wie sie atmeten und lebten. Mancher hatte eine brennende Morgenpfeife zwischen den Lippen, andere gebrauchten den Mund dazu, sich eins zu pfeifen, wieder andere gingen einfach nur mit schwingenden Armen einher.

Sollte er gleich auf die Leute zugehen und fragen? Auf dem erstbesten Hof? O nein. Das wäre denen nur peinlich, weil sie irgendeine Ausrede finden müssten, von wegen, dass es ihnen gerade heute nicht passte. An einem Hof nach dem anderen ging er vorbei und störte lieber nicht. Die Leute atmeten sicher erleichtert auf, wenn er vorüberging und sie ihn von hinten sahen, meinte er.

Aber ihr habt mal ganz sicher nicht so was geträumt wie ich!, dachte er. Ein wohltuender Gedanke.

Er hatte viele beschämende Erinnerungen, aber die waren sehr verschieden. Mit manchen von den Männern, denen er jetzt begegnete, hatte er zusammenzuarbeiten versucht, und die Erinnerung sorgte dafür, dass er starr auf die Straße blickte. Andere stahlen sich selbst rasch vorbei – als wollten sie eine gemeinsam erlittene Niederlage wegschieben.

Heut geht es sicher wieder so. Hege weiß das genau, und ich weiß es auch.

Ich kehr am besten um, dachte er, ich kann einfach nicht zu diesen ganzen Höfen gehen, wo mich die Leute schon von vorher kennen.

Aber wie seltsam:

Kaum hatte er das gedacht, tat er genau das Gegenteil. Er bog von der Landstraße ab und ging zu einem Hofplatz hinauf. Was war in ihn gefahren? Eine aufblitzende Erinnerung. Bei diesem besonderen Hof erinnerte er sich an ein kleines Ereignis, das mal nicht beschämend geendet hatte.

Vielleicht kam auch diesmal wieder so was Gutes.

Gleich an der Ecke des Hauses traf Mattis den Bauern. Der stand mit zwei jungen Leuten da, einem Jungen und einem Mädchen, jeder eine leichte Unkrauthacke in der Hand, bereit, zum Rübenacker aufzubrechen. Mattis sah sie nicht an, bis er dicht vor ihnen war, da tauchte sein Gesicht vor ihnen auf wie über einem Rand.

»Guten Tag, hast du Arbeit für mich?«, fragte er Hals über Kopf und blickte den Mann aus ängstlichen Augen forschend an. Hier galt es, nicht erst lang zu fackeln. An den beiden jungen Leuten drängte er sich vorbei, jetzt hatte er sie im Rücken.

Der Mann antwortete wahrscheinlich im selben Schwung, auch ohne Zeit, sich zu bedenken.

»Ja, wenn du Rüben ausdünnen kannst«, sagte er.

Kurz sperrte Mattis den Mund auf, dann lächelte er breit.

»Sag ich’s doch«, meinte er. »So ist das wohl, wenn es anders ist als vorher.«

»Wie?«

»Ach, nur so«, sagte Mattis. »Heut ist was ganz anders für mich. Aber das kannst du nicht verstehen.«

Das Mädchen und der Junge hatten ihn umrundet und standen jetzt vor ihm. Sie wechselten Blicke auf eine Art, die Mattis gut kannte und die nichts Gutes verhieß.

»Hat mit einem Schnepfenstrich zu tun«, sagte Mattis nervös zu dem Mann.

»Schnepfenstrich?«

»Ja, weißt du nicht, was das ist?«, fragte Mattis, schon mutiger.

Mittlerweile war dem Mann wohl klar geworden, wen er da vor sich hatte, aber jetzt war es zu spät, er konnte sein Wort nicht zurücknehmen.

»Von Schnepfen hab ich so dies und das gehört«, sagte er. »Aber jetzt geht es um einen Rübenacker. Dann wollen wir dir mal eine Hacke holen – dann können wir um die Wette ausdünnen.«

Das hat der wohl einfach sagen müssen, dachte Mattis, der hat sich das nicht verkneifen können.

Mattis hatte eine dünne Haut, er spürte den Seitenhieb sehr wohl.

»Ja, vielleicht können wir auch um die Wette laufen.« Er lachte kurz. Fast klang es echt.

Kurz war der Mann verblüfft, dann besann er sich und lachte mit.

»Wer zuerst bei den Rüben ist, meinst du?«

Sie machten Scherze, wetteiferten miteinander, wer am leutseligsten war.

»Aber du willst vorher sicher was essen?«, fragte der Mann, jetzt wieder ernst.

Mattis schüttelte den Kopf.

»Ach was, wir haben ja zu essen im Haus.«

Schön, so was sagen zu können, fand er.

Dann ging es an die Arbeit. Mattis bekam eine Unkrauthacke und folgte den anderen zum Rübenacker. Das Stück Land war übel groß, fand Mattis, kein Ende in Sicht, es erstreckte sich bis zu einer kleinen Anhöhe und verschwand dahinter.

Mattis fragte den Bauern unwillig:

»Was willst du denn mit so viel Rüben?«

Störrisch und unverständig stand er da.

»Wie? Schon bevor wir angefangen haben?«, fragte der Bauer. Es klang sinnlos, aber Mattis, der Dussel, wusste genau, was gemeint war. Er senkte den Kopf.

»Kann ich die hier nehmen?«, fragte er hastig, um das Thema zu wechseln. Er deutete auf die Reihen vor seinen Füßen.

Der Mann nickte.

»Also, ich denke, du hast bei so einer Arbeit schon mal mitgemacht, Mattis, und weißt, wie viel Abstand zwischen den Pflanzen bleiben muss, die wir stehen lassen?«

Das musste der Mann wohl sagen, Ausdünnen war eine wichtige Sache, es konnte für die Jahresernte, den Lohn der Mühe entscheidend sein.

»Klar, ich bin ja fast schon vierzig, also«, entgegnete Mattis. »Nur noch drei Jahre«, fügte er hinzu. Hier galt es, sich zu behaupten. Er war auf seine Antwort ein bisschen stolz.

»Mag schon sein«, sagte der Mann, »aber ich habe gefragt, was du gelernt hast, wie groß muss der Abstand sein? Zeig doch mal.«

Mattis gab mit den Zeigefingern ein Maß an. Aufs Geratewohl.

»Nein«, sagte der Mann, »wer dir das gezeigt hat, versteht nicht viel davon. So gehört das.«

Mattis duckte sich wieder.

Das Mädchen und der Junge wechselten einen Blick. Sie hatten sich so hingestellt, dass sie nebeneinander arbeiteten. Mattis bekam zwei Reihen Rüben zwischen dem Mädchen und dem Bauern zugeteilt. Das gefiel Mattis gut.

»Peng!«, sagte der junge Mann laut. »Los geht’s! Wer ist als Erster drüben am anderen Ende?«

Und er sah lachend das Mädchen an. Sie lachten einander gern an, die beiden, und schauten sich in die Augen. Mattis hatte schon so einen kleinen Verdacht, seit ihm das aufgefallen war.

Aber gut, peng, jetzt ging’s los. Mattis machte die anderen nach, wollte ebenso behände sein wie sie. Das Unkraut saß an den Wangen der Rübenreihen und oben auf den Dämmen zwischen den Rüben und überall. Jetzt wurde es ausgerissen und der Sonnenhitze überlassen. Außerdem standen die Rübenpflänzchen wirklich zu dicht, von denen mussten auch viele gerodet werden. All das sollte Mattis rasch und sicher bewerkstelligen, mal mit der Hacke, mal – wenn nicht richtig dranzukommen war – mit den Händen.

Er war nervös. Wusste nicht wie.

Bald passierte sicher wieder dasselbe wie sonst, wenn seine Gedanken sich während der Arbeit verwirrten, kreuz und quer gingen, ihn lähmten.

Kaum hatte er daran gedacht, war es auch schon da: Es fing an mit quer gespannten Fäden an den Fingern, die das Gegenteil von dem taten, was er wollte, und ihn langsamer werden ließen.

Links von ihm ein Räuspern. Der Bauer war das, über seine Rübenhoffnungen gebeugt, an denen er rasch und zielstrebig arbeitete.

Sofort war Mattis auf der Hut. Obwohl das noch nichts zu bedeuten hatte. Die Leute räuspern sich ja wohl manchmal einfach so.

Aber dann wurde Mattis immer nervöser, fummelte zwischen den Schösslingen herum und rupfte die falschen aus. Seine Hacke kriegte er nicht richtig in Schwung, sie war so starr.

»Die Hacke da bin ich nicht gewöhnt«, sagte er zum Bauern, »der Griff ist zu lang.«

»Dann lass sie liegen«, sagte der Mann, »mit den Händen geht es genauso gut. Ist sogar ordentlicher.«

»Gut, dass du das sagst«, meinte Mattis herzlich. Er spürte eine kleine freundliche Unterstützung in dem, was der Bauer sagte, und die konnte er gegen die beiden jungen Leute gut gebrauchen.

Mit denen hatte er auch gut mitgehalten auf den ersten Metern, schließlich hatte er zehn Finger zum Jäten. Aber die beiden arbeiteten dermaßen schnell nebeneinander. Und es schien ihnen auch noch Spaß zu machen, trotz der beschwerlichen Arbeit. Mattis war längst klar, die waren ein Liebespaar. Das war betrüblich, aber auch schön zu sehen, spannend. So nah war Mattis noch nie einem Liebespaar gewesen, glaubte er.

Das Mädchen schaute Mattis fröhlich an. Vor ihr brauchte er sich nicht zu fürchten, ihre Augen waren geradezu trunken, so verliebt war sie in den jungen Mann neben sich. Sie lachte bei allem, was er sagte. Endlich drehte sie sich auch mal zu Mattis um, der schon sehnlich darauf wartete. Das tat ihm innerlich so gut, es ließ sich gar nicht sagen. So ein rundes, lachendes Mädchengesicht, voller Freude ihm zugewandt.

»Gut, dass du mithilfst, auf diesem fürchterlichen Acker kann man jede Hand gebrauchen«, sagte sie. Gutherzig irgendwie. Und Mattis war bereit, es zu glauben, so, wie sie es sagte. Und an sich zu glauben. Mutiger geworden, wollte er das Mädchen mit etwas erfreuen, das er in der Hinterhand hatte.

»Schon mal was vom Schnepfenstrich gehört?«, fragte er sie. Sie arbeiteten so nahe beieinander, jeder an seiner Reihe, dass er das leise fragen konnte, nur für ihre Ohren.

Sie antwortete rasch und ohne nachzudenken:

»Glaub schon. Was denn?«

»Nichts, nur so.«

Mattis dachte eigentlich vor allem dies: Jetzt red ich mit einem Mädchen. Und vielleicht ist das nur ein Anfang.

»Aber direkt bei dir übers Haus sind sie noch nicht geflogen, was?«, fragte er weiter und spürte einen ungewohnt sicheren Halt.

Das Mädchen schüttelte den Kopf. Und jätete dabei schwungvoll weiter, riss üppig sprießende Ackermelde heraus und warf sie zum Welken auf den Boden. Mattis arbeitete auf seiner Seite nach bestem Vermögen. Und sie unterhielten sich dabei.

»Aber bei dir gibt es sicher auch keinen Schnepfenstrich direkt überm Haus, denk ich mir«, sagte sie, ohne es böse zu meinen.

»Wer weiß«, sagte Mattis.

Innerlich sprudelte es in ihm.

»Aha, ja.« Das Mädchen war vom Jäten abgelenkt, und von dem jungen Mann neben sich.

Sie redeten nicht weiter darüber. Mattis fand, er hatte sich sehr geschickt angestellt. Er mochte dieses Mädchen – aber sie hatte ihren Freund neben sich, also sollte er wohl nicht mehr viel mit ihr reden.

So was wird streng angesehen, wusste er. Nur noch ein klein bisschen mit ihr reden, und dann Schluss.

»Ich …«, setzte er an, aber der Faden riss ab. Jetzt war der junge Mann da, er kniff dem Mädchen ins bloße Bein. Sofort war sie für Mattis unerreichbar. Als wäre auf dieser Seite von ihr nie wer gewesen.

Ja, ja, das geht bisschen anders als im Traum, stellte er fest. Aber ist vielleicht am besten, dass das nicht weitergeht, die Leute sehen so was so streng.

Am schlimmsten war, dass er mit der ganzen Denkerei so viel Zeit verlor – jetzt zogen die beiden Verliebten in ihren Reihen von ihm fort. Gleich waren sie ein gutes Stück voraus, er sah sie von hinten. Mattis schrak zusammen und wandte sich zu dem Mann um. Da erschrak er gleich noch mal: Der Bauer arbeitete an drei Reihen auf einmal. Anfangs hatte er zwei gehabt wie die beiden anderen.

»Wie kommt das, dass du drei Reihen hast?«, fragte Mattis drauflos.

»Oh …« Der Mann zögerte. »So ist es leichter zusammenzubleiben – mit einem jedenfalls«, und er rupfte Ackermelde und Hanfnessel, dass es nur so staubte.

Mattis versuchte nicht weiter, das zu verstehen, sondern beugte sich zu dem Mann hinüber und flüsterte halb:

»Die zwei da, die sind verliebt, glaub ich. Sieht ganz so aus.«

Der Mann nickte.

»Hast du das schon gewusst?«

»Ja«, sagte der Mann. »Darum hab ich sie genommen.« Er flüsterte jetzt auch halb und zwinkerte Mattis zu. »So welche taugen gut zum Rübenausdünnen, weißt du. Die merken gar nicht, wie langweilig und mühsam das ist. Für solche wie dich und mich ist das schon anders, verstehst du.«

Das war ja ein kluger Mann. Beinah hatte Mattis Angst in seiner Nähe – obwohl klar war, dass dieser Mann heute freundlich zu ihm gewesen, die ganze Zeit über freundlich gestimmt war. Nein, er hatte keine Angst, mit dem Mann konnte er reden, und er verstand sehr gut, dass das hier langweilig und mühsam sein konnte.

»O ja, wir zwei merken, wie das Rübenausdünnen wirklich ist«, sagte er.

»Aber jetzt doch noch nicht«, sagte der Mann entschieden. »Wir werden ja nicht gleich am Anfang schon schlappmachen?«

Da musste Mattis sich wieder ducken.

»Nein, stimmt«, sagte er.

Obwohl der Mann drei Reihen hatte, zog er jetzt rasch voraus. Dann ging er doch zu zwei Reihen über, wie üblich. Und da dauerte es nicht lang, und er ließ Mattis wirklich hinter sich.

Ratlos fragte Mattis:

»Willst du von mir weg?«

»Muss ich wohl«, sagte der Mann. »Komm einfach nach, so schnell du kannst.«

»Ja, du siehst ja, wie ich anpacke.«

»Hm«, meinte der Mann in die Ackermelde hinein.

Dann war Mattis allein. Dieses »Hm« war das Letzte, was der Mann sagte. Wie sollte er das deuten? Wieder wurde Mattis nervös, schlimmer als zuvor geriet er in die übliche Verwirrung von Gedanken und Arbeit. Seine Reihen hingen hinter ihm wie ein immer längerer Schwanz. Schlappschwanz, so hieß das doch.

Ich bin kein Schlappschwanz, sagte er sich, ich kann nicht schneller.

Aber der Schwanz hing da und war beschämend, vor allem, wenn man bei so was so gemacht ist wie Mattis. Vor ihm die Reihen strahlten leuchtend grün, voll strotzendem Unkraut – und zu beiden Seiten lagen erdbraune, saubere Furchen, mit einer gleichmäßigen Reihe Rüben oben auf dem Erddamm.

Wenn man die Jäter irgendwie anhalten könnte, dass sie einem nicht so davoneilen. Das lief jetzt richtig schlecht. Der Bauer konnte feste anpacken, schon hatte er die Verliebten eingeholt, bald würden sie alle drei über den niedrigen Hügelkamm wandern und auf der Gegenseite verschwinden.

Da, es war schon so weit.

Mattis stand sozusagen allein auf dem Acker. Einsam und verschwitzt. Die Sonne brannte, das Hemd klebte ihm unangenehm auf dem heißen Rücken.

So viele Rüben!, dachte er unwillig. Wozu sollen die gut sein? Als ob es gar nichts anderes gibt als Rüben!

Mattis arbeitete schon lange nicht mehr gebeugt, sondern war auf die Knie gegangen und schaffte sich auf diese Weise voran. Seine Finger taten nicht, was er ihnen auftrug, sie ließen sich von seinen Gedanken auf Abwege bringen, manchmal stockte die Arbeit ganz und gar.

All das kannte er so furchtbar gut von zuvor, er war darauf gefasst. Er mühte sich, so gut er konnte, aber seine Gedanken waren unregierbar. Nach einer Weile bemerkte er, dass er die Ackermelde stehen ließ und die Rübenschösslinge ausriss. Da schrak er zusammen, richtete sich auf und stand zitternd da.

Werde ich jetzt …

Nein, nein.

Da kamen der Bauer und das Paar schon wieder gebeugt von der anderen Seite her über den Hügelkamm, jeder mit zwei neuen sauberen Reihen. Als sie auftauchten, hob das Mädchen ein wenig den Kopf und winkte dem entmutigten Mattis kurz zu. Nur so ein kleiner Wink mit der Hand, zwischen zwei Unkräutern. Aber was es nicht alles mit ihm machte.

Das ist nicht umsonst gewesen, versprach er, da muss ich ihr antworten. Wenn sie einander gleich nachher begegneten, würde er die Gelegenheit ergreifen und was zu ihr sagen, ob dieser Freund von ihr was davon mitbekam oder nicht.

Für eine kleine Weile hatte er jetzt auch eine sichere Hand. Schob sich kniend voran und rupfte. Die richtigen Pflanzen. Und als sie sich einander näherten, schien Mattis richtig tüchtig zu arbeiten, der Abstand schrumpfte zusehends. Doch dann riss Mattis nichts mehr aus, er schaute nur verträumt auf die Verliebten.

Das war wohl tatsächlich ein echtes Liebespaar.

Kein Wunder, war der Mann mit ihnen zufrieden, er blickte sie zwischendurch lächelnd an. Er konnte dabei nicht nur an die Arbeit denken – die beiden machten es für alle auf dem Acker schöner. Sie plauderten und lachten, zugleich schafften sie rasch und sauber. Ab und an fanden sie eine Möglichkeit, einander extra nahe zu kommen, und Mattis beobachtete genau allerlei kleine Dinge, die sie dann taten und die sich zu merken vielleicht lohnte.

So war also ein echtes Liebespaar. Der Bauer hatte Glück, und er konnte mit ihnen in seinen eigenen Rübenreihen mithalten. Zwischen den Leuten und Mattis befand sich jetzt ein dunkler, gereinigter Streifen. Seine beiden Reihen vor ihm standen wie vergessen daneben, ein hässlicher Anblick.

Aber es half nichts: Er musste den beiden blühenden jungen Leuten zusehen und zuhören. Der sprudelnden Freude. Diesen frohen Augen.

Jetzt waren sie neben ihm. Perlendes Lachen, trotz der Plackerei.

Mattis richtete sich auf.

»Ganz egal, dass ihr ein Liebespaar seid, ich will …«, setzte er mit wildem Mut an, zu dem strahlenden Mädchen gewandt. Dann blieb er hängen.

Die anderen warteten verwundert, das Mädchen und der junge Mann. Sie grinsten dabei auch nicht über ihn – daran hinderte Mattis selbst sie, ohne es zu wissen, durch die Ehrfurcht in seinem Gesicht und im Tonfall.

Der Bauer hatte auch in seiner Spur still innegehalten.

Sie warteten, vergebens. Dann mischte der Mann sich ein, halblaut:

»Sag schon, Mattis.«

Das Mädchen sagte nichts, der Junge ebenso wenig, sie warteten gespannt.

Und sie warteten alle drei vergebens. Mehr kam nicht nach Mattis’ Anfang – aber immerhin hatte er irgendwie eine Verbindung geschaffen und war nicht mehr völlig allein. Er hätte noch so viel mehr sagen wollen und auf andere Weise, aber es verlor sich wie üblich, verwirrte sich mit anderen Sachen, die hiermit nichts zu tun hatten.

»Denn ihr seid eins!«, sagte er schließlich, als Fortsetzung dessen, womit er angefangen und geendet hatte.

»Ja«, antwortete das Mädchen, »sind wir.«

»So gut sollte man’s haben«, entschlüpfte es ihm, ehe er sich besann.

»Das kann ja noch immer passieren.« Das Mädchen nickte ihm zu, als ob nichts wäre.

Er dachte: Ihr könnte ich meinen ganzen Traum erzählen, von vorn bis hinten.

»Ja, da wird es nichts mehr mit«, murmelte er beklommen, »ich mein, mit dem, was ich hab sagen wollen.«

»Schade«, sagte das Mädchen.

»Peng!«, sagte der Junge als Erinnerung daran, dass er auch noch da war, und an ihr Wett-Jäten.

Neben ihnen lachte der Bauer vor Freude, dass er so eifrige Arbeitsleute hatte. Mattis, den Dussel, zählte er sicher nicht dazu, wer tat das schon.

»O ja, ja«, antwortete das Mädchen auf das »Peng«, »ich bin ja nicht taub.«

»Peng«, machte es in Mattis, stumm, da hatte der junge Mann gerade einen kleinen Klaps gekriegt.

Alle arbeiteten weiter.

Die Sonne brannte immer gnadenloser. In den Furchen zwischen den Rübenreihen lag das ausgerissene Kraut und welkte verloren. Die Erde roch warm.


Mattis schaute hinter sich, zu dem Bauern: War der jetzt vielleicht auch müde und erschöpft? Nein, anscheinend nicht, stark und klug, wie er war. Mattis war jetzt müde und durstig, und seine Finger wussten nicht, wo lang. Das Mädchen hatte ihm Schwung gegeben, aber der versickerte, wenn man sich von einer Arbeit verfolgt fühlte, die einfach zu viel war. Und jetzt zogen sie ihm davon, auf das rückwärtige Ende zu, er fühlte sich allein, überdrüssig. Ja, er musste innehalten, seine Gedanken verwirrten sich, er jätete die jungen Rüben und ließ das Unkraut stehen.

Noch verlassener fühlte er sich, als er die kleine Anhöhe des Ackers erreichte und auf der anderen Seite hinab musste. Als ob die anderen endgültig verschwunden wären.

Seine Reihen leuchteten üppig grün und mahnend. Er jätete, er dachte: Ich muss mir doch mein Essen verdienen. Danach saß er eine Weile still. Niemand konnte ihn sehen, die Wirrnis seiner Gedanken machte ihm jeden Handgriff unmöglich. Außerdem war es einfach zu schön, ein bisschen auszuruhen, wenn man so erschöpft war.

Er schrak innerlich zusammen, als er die drei anderen nach einer Weile wieder über dem Rand auftauchen sah. So weit waren die schon? Schnell fummelte er weiter und machte dabei viele gesunde Pflanzen kaputt. Aber gut jedenfalls, dass jemand auf diese trostlose Rückseite kam. Die Verliebten zwitscherten nicht mehr ganz so fröhlich, aber doch. Und der Mann war wohl nicht müde. Wer einen so großen Acker hat, der wird nicht müde, der hält sich ran. Er hob auch nicht den Blick.

Ein seltsamer Laut ließ sie zusammenschrecken. Er kam von Mattis.

»Wartet mal!« Ein durchdringender Ruf.

Der Mann richtete sich rasch auf, wischte sich mit erdverschmierten Fingern die Stirn. Er war verschwitzt.

»Was ist denn, Mattis?«

Mattis war schlimm dran. Obwohl er noch keine ganze Länge des Ackers abgearbeitet hatte, war er erledigt. Unter seiner Nase hing staubige Erde wie ein dünner Bart. Die anderen hatten das vielleicht auch, aber bei ihnen machte es nichts. Unsicher ging Mattis zu dem Mann:

»Ihr seht ja, ich bin hinterher.«

Der Mann antwortete unwillig:

»Ja und?«

»Hast du das gewusst?«

Der Mann machte eine wegwerfende Bewegung, ja, ja –

»Weil, so komplizierte Arbeit, die mag ich nicht«, sagte Mattis ernst.

»Ist wohl so«, antwortete der Mann und bückte sich wieder tief über die Pflanzen.

Mattis war versucht zu fragen: Soll ich aufhören?, aber er verkniff es sich. Der Mann murmelte etwas für sich. Die beiden Verliebten nutzten die Pause, um sich ein bisschen gegenseitig zu kneifen.

Dann fragte der Mann direkt:

»Sollen wir deine Reihen übernehmen?«

Eine graue Wolke legte sich ihm vor die Augen. Bekannt aus dem alten Leben, genau wie vor dem Schnepfenstrich.

»Noch nicht«, entgegnete er hart.

»Dann nicht.«

Der Mann bückte sich mit seiner Hacke.

Mattis wollte zurück, aber im Vorbeigehen blickte er das Mädchen bittend an, ob sie nicht was tun könnte, um es ihm leichter und schöner zu machen – sie war doch so froh und jung und hatte einen Liebsten.

Er räusperte sich ein bisschen, wie als Signal, dass er schnell Hilfe brauchte.

Offenbar verstand sie es. Lächelte ihm zu, wie zur Erinnerung, hier sind wir, du und ich, und winken einander auf dem Acker zu.

Mehr brauchte es nicht. Er hörte es so laut und deutlich, dass er die Worte aufnahm:

»Ja, hier sind wir, du und ich auf dem Acker«, sagte er, ebenso lieb und freundlich, aber nicht so insgeheim wie sie.

»Ja, sind wir«, sagte das Mädchen.

Da stand sie wirklich und sah ihn an, nichts von wegen Dussel, sie strahlte.

»Peng!« Der Junge kniff ihr ins Bein – es sah aus, als ob es für ihn nichts Lustigeres gäbe –, und schon war das Mädchen wieder ganz verliebt und hatte nur Augen für ihn.

»Jawoll«, sagte der Mann.

Der mit dem großen Acker. Sie schauten ihn rasch an und wussten, was er meinte, peng.

Wieder arbeiteten sich die drei rasch an Mattis vorbei. Er schaute ihnen nach und fand, sie besaßen genau das, wovon er träumte: die drei Dinge. Diese Leute bestanden aus nichts anderem als genau aus diesen drei Dingen. Sie genossen es, dass sie so waren, und dachten nicht weiter darüber nach, wussten nichts davon, so sah es aus. Wie konnten die nur so tun, als ob nichts wäre, und einen Rübenacker ausdünnen?

Er jätete, vornübergebeugt, seine Gedanken fuhren wild umher. Helft mir, dachte er.

Aber die Gedanken schossen kreuz und quer wie zuvor, wollte er ein Unkraut packen, griff er eine Rübe.

Will mir also niemand helfen, dachte er, und es wurde ihm schwarz und rot vor den Augen.

Über die wertvollen Pflanzen konnte man sich auch so richtig ärgern, fadendünn und jämmerlich standen sie da, wenn man alles weggerissen hatte, woran sie sich angelehnt hatten. Mattis in seiner eigenen Armseligkeit hätte sie gern ausgeschimpft und sie elendes Kroppzeug genannt, nicht wert, dass man sich mit ihnen plagte. Seine Gedanken rasten hin und her. So pflegte es ja zu gehen, wenn er mal eine Arbeit bekam – nichts von wegen Veränderung. Das war eigentlich das Schlimme heute: keine Veränderung, alles wie gehabt.

Gottlob kam ein Ruf von den Unsichtbaren hinter der Kuppe:

»Mattis!«

Das war der Mann selbst, Klugheit. Die beiden anderen – Schönheit und Kraft – schwiegen, waren aber sicher auch dort. Alle drei Dinge waren dort.

»Gibt es Essen?«, rief Mattis zurück, blitzschnell.

»Ja, komm!«, rief der unsichtbare Mann. Die freundlichen Rufe gingen hin und zurück über dem Rücken des Ackers. Mattis war schon unterwegs.

Ein kleiner Rest von Mattis’ ersten zwei Reihen stand noch unberührt. Immerhin war das Ende in Sicht, es könnte schlimmer sein, dachte er, beschwingt, denn jetzt ging es an einen gut gedeckten Tisch.

Als er sich den anderen anschloss, um zum Haus zu gehen, sagten sie kein Wörtchen zu seiner schlechten Arbeit. Kein Wort sagten sie – aber Mattis war felsensicher, dass sie an nichts anderes dachten, dass es sich erst noch aufstaute und irgendwann herausbrechen würde:

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