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Kitabı oku: «Quitt», sayfa 12

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Zweiundzwanzigstes Kapitel

So verliefen die Gespräche, die die beiden preußischen »Kameraden«, wenn sie morgens auf die Felder hinausritten, miteinander führten, Gespräche, die Lehnert nur zu deutlich zeigten, daß mit dem guten Kaulbars (und mit der Frau lag es nicht viel besser) wohl ein friedlicher, aber kein freundschaftlicher Verkehr möglich sei. Und so würde denn das Gefühl von Vereinsamung, das ihn, sehr bald nach seinem Erscheinen in Nogat-Ehre, zu quälen begann, sehr wahrscheinlich in einem beständigen Wachsen geblieben sein, wenn ihm nicht der anfangs mit soviel Mißtrauen und Abneigung von ihm angesehene Monsieur Camille L‘Hermite mit jedem Tage teurer geworden wäre. Monsieur L‘Hermite hatte nichts von der selbstgefälligen Enge, darin sich beide Kaulbarse gefielen, und so kam es, daß sich mit dem Landesfeinde – »mon cher ennemi«, wie Monsieur L‘Hermite sagte – nach und nach ein Verhältnis anbahnte, das ihm der deutsche Landsmann nicht gewähren konnte.

Den ersten Anstoß zu dieser Bekehrung gab ein ganz kleiner, schon während der ersten Wochen sich ereignender Vorfall. Lehnert, wenn von Tisch aufgestanden und nach kurzem und meist die Wirtschaft betreffendem Gespräche der Rückzug in die Zimmer des oberen Stocks angetreten wurde, schloß sich diesem Rückzug nicht immer an, sondern zog es mitunter vor, in einer jenseits der Akazienallee gelegenen Garten- und Parkanlage, darin sich auch die von Obadja aus großen Feldsteinen aufgeführte Familiengruft befand, noch eine halbe Stunde lang auf und ab zu gehen, wobei Ruths Neufundländer ihn meistens begleitete. Stieg er dann, wenn‘s dunkel geworden, auch seinerseits die Treppe hinauf, so klang regelmäßig vom linken Korridor her ein Choral herüber oder ein geistliches Lied: Ruth sang und Toby begleitete. Was aber Lehnerts Gemüt mehr noch als dieser Gesang in Anspruch nahm, war das, daß er, wenn er an Monsieur L‘Hermites Zimmer vorüberkam, Mal auf Mal in aller Deutlichkeit hören konnte, wie dieser die Türe leis ins Schloß drückte, ganz so, wie wenn er‘s verbergen wolle, dem Gesänge Ruths gelauscht zu haben. Einmal aber traf es sich, daß L‘Hermite, trotz aller Vorsicht, auf seinem Lauscherposten von Lehnert doch überrascht und dadurch in eine kleine momentane Verlegenheit versetzt wurde. Seine französisch gute Laune half ihm aber rasch darüber hin, und sein Käppi zurückschiebend, wie seine Gewohnheit bei jeder Ansprache war, trat er an Lehnert heran und sagte, während er nach dem linken Korridor hinüberdeutete: »Ce n‘est pas mal; n‘est-ce pas?« Und als Lehnert nickte, nahm er dessen Arm und sagte: »Entrez, mon cher ennemi.«

Lehnert folgte denn auch der freundlichen Aufforderung und nahm in einem Schaukelstuhle Platz, während sich L‘Hermite mit übergeschlagenem Bein auf den durch eine grüne Schirmlampe nur mäßig erleuchteten Arbeitstisch setzte. Die mäßige Beleuchtung war denn auch Ursache, daß viele Stellen des Zimmers, der eigentlichen Ecken und Winkel ganz zu geschweigen, in einem Halbdunkel verblieben, gab aber immer noch Licht genug, um den umschauhaltenden Lehnert erkennen zu lassen, daß der ganze Raum ein merkwürdiges und sehr unordentliches Durcheinander von Schlosserwerkstatt und chemischem Laboratorium, von physikalischem Cabinet und Mineraliensammlung war. Das Chemische herrschte vor, im übrigen aber lief der Gesamteindruck darauf hinaus, daß es nichts auf der Welt gäbe, was hier nicht entdeckt und erfunden werden könne. Welchem Zweck das alles diente, gab zu denken, und Lehnert, der immerhin einiges von L‘Hermites Vergangenheit in Erfahrung gebracht hatte, würde beim Anblick all dieser Kolben und Retorten sicherlich auf einige für Europa bestimmte Nihilistenbomben geraten haben, wenn nicht Nogat-Ehre so ganz den Stempel des Friedens getragen und Obadja selbst bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit einer besonderen Vorliebe von Monsieur L‘Hermite gesprochen hätte.

Lehnerts Verweilen an jenem ersten Besuchsabend war nur von kurzer Dauer gewesen, aber es hatte doch ausgereicht, beide zu nähern und in weiterer Folge sogar regelmäßige Reunions herbeizuführen. An jedem dritten Tage, wobei zwischen hüben und drüben gewechselt wurde, kam man zu ziemlich später Stunde zusammen und plauderte dann bis Mitternacht. Das war die Regel, die, wenn Lehnert Wirt war, strikte galt. An den L‘Hermite-Abenden aber – an denen, außer einigen anderen Verpflegungsfinessen, auch ein in Galveston erstandener und mit Cognac- und Absinthflaschen reichlich ausgestatteter Rosenholzkasten eine Rolle spielte – ging ihr Geplauder gelegentlich bis über die zwölfte Stunde hinaus.

Obadja wußte von diesem Rosenholzkasten und daß ihm, vor allem von L‘Hermite selbst, fleißig zugesprochen würde, was er, wie sich denken läßt, mißbilligte; trotzdem ließ er es geschehen, einmal, weil ihm alles Erziehen, wenn es sich nicht von selbst machte, zuwider war, und fast mehr noch, weil er sich nicht das Recht zuschrieb, die Lebensgewohnheiten eines Mannes zu regeln, der, wenn auch ein Flüchtling, so doch immerhin ein unbeanstandeter Gast und, wie schon hier gesagt werden mag, auch eine Person von praktischer Bedeutung für Nogat-Ehre war. Und so störte denn niemand diese Zusammenkünfte, die bald beider Freunde besondere Lust und Freude wurde. Eins nur, was übrigens die Freude nicht minderte, fiel Lehnert bei diesen abendlichen Zusammenkünften auf, und das war die Zurückhaltung, mit der L‘Hermite seine »große Zeit«, seine historische Vergangenheit behandelte. Nicht als ob er Lust bezeigt hätte, sich von ihr loszusagen, durchaus nicht, er vermied nur einfach, ohne Veranlassung davon zu sprechen, und beschränkte sich, wenn diese Veranlassung eintrat, auf das unbedingt Nötigste. Der furchtbare Ernst der Szene, darin er mitgespielt, war ihm gegenwärtig, und ein feines ästhetisches Gefühl, das ihn überhaupt auszeichnete, hielt ihn ab, von einem Hergange zu sprechen, dessen Erwähnung, wenn es die Verhältnisse nicht geradezu geboten, entweder renommistisch oder zynisch berühren mußte. Lehnert, als er erst klar darin sah, stimmte seinem Flurgenossen zu, bevor dieser Zeitpunkt aber da war, war er doch wochenlang von dem Verlangen erfüllt, über den interessanten Hergang Ausführlicheres zu hören, und schwankte nur, nach welchem Plane er, um seine Neugier zu befriedigen, verfahren solle. Schließlich entschied er sich dafür, auf einem Umwege vorzugehen und das Gespräch zunächst auf die langen Einschließungstage von Paris zu lenken. Es seien langweilige Tage gewesen, auch für sie draußen, und das Zerstreuliche hab erst eigentlich begonnen, als die Franzosen untereinander ins Bataillieren geraten seien, die Versailler gegen die Pariser. Da hätten er und seine Kameraden oft viele Stunden lang auf dem Höhenzug zwischen St. Germain und St. Denis gestanden und dem Kriege wie einem richtigen Kriegsschauspiel zugesehen. Und einmal hab er ganz deutlich beobachten können, wie die Parisischen durch eine geschickte Bewegung über die Brücke von Asnieres alles, was von Regierungstruppen in der großen Seine-Schleife gestanden, abgeschnitten hätten. Aber das sei freilich auch der letzte Sieg gewesen, und schon am nächsten Tage wäre der Triumphbogen von den von St. Cloud vorgehenden Bataillonen erstürmt worden. Und wenn er sich vergegenwärtige, was er bei der Gelegenheit alles gesehen hätte, so begreif er nur zu gut, was unmittelbar darauf von Seiten der Kommunards geschehen sei, und könne von Grausamkeit keine Rede sein.

Monsieur L‘Hermite, während Lehnert so sprach, hatte still vor sich hin geblickt und eine Zigarette gedreht und erst nach einer Weile das Wort genommen. Es sei so, wie Lehnert sage. »Die Sache da draußen am Trocadero war kein Spaß, und daraufhin wurden die Geiseln erschossen … Und der letzte war der Erzbischof … Ich übernahm selber das Kommando … Er ist gestorben wie ein Held, wie nur die von der Kirche zu sterben verstehen.«

Lehnert, als L‘Hermite so sprach, sog jedes Wort ein und glaubte, jetzt sei der Augenblick für intimste Mitteilungen gekommen. Aber er sah sich abermals getäuscht, und sein Wissen blieb im wesentlichen auf dem Punkt, auf dem es schon vorher gestanden hatte.

Nicht viel besser erging es ihm, als er, auf einem ähnlichen Umwege, den Versuch machte, Näheres über seines Flurgenossen Flucht aus Numea, wohin dieser deportiert worden war, herauszuholen. L‘Hermite wiegte den Kopf hin und her und sagte dann, während er, um damit zu spielen, eine große Feile vom Arbeitstische nahm: »Es machte sich schnell. Wir waren unserer drei, die‘s wagten, weil wir gut schwimmen konnten, und schwammen denn auch wirklich, trotz Brandung, auf ein Schiff zu, von dem wir wußten, daß der Kapitän mit unserer Sache sei. Meinen beiden Kameraden aber ging die Kraft aus; ich für mein Teil konnte noch gerad ein Tau fassen, das mir von Deck aus zugeworfen wurde. Das ergriff ich denn auch, und eine Minute später zogen sie mich an Bord. In derselben Stunde noch ging‘s nach Portland. Und da war ich frei. Das andere wißt Ihr; Ihr kommt ja auch von San Francisco her. Ist eins wie das andere.«

So knapp waren Monsieur L‘Hermites Erzählungen, wenn es seine historische Zeit galt, aber desto mitteilsamer war er, wenn er auf seine mit Technik und Mechanik und vor allem mit dem Bergwerkswesen in Zusammenhang stehenden Pläne zu sprechen kam, was übrigens kaum verwundern konnte. War er doch vor allem, wie schon die Geschwister gleich am ersten Tag auf der gemeinschaftlichen Fahrt von Station Darlington nach Nogat-Ehre zu Lehnert gesagt hatten, ein Entdecker und Erfinder, und wenn er auch unzweifelhaft an seiner »Idee« mit einem stillen Fanatismus festhielt, so gab es doch eins, was in seinen Augen der »Idee« gleichkam, das war das »Projekt«. Ja, er war, vielleicht über alles andere hinaus, seiner ganzen Natur nach ein Projektenmacher, und was er die »Durchführung seiner Idee« nannte, war eigentlich auch nur Projekt und hätt ihn, wenn es anders gewesen wäre, schwerlich in seinem Gemüte derart ergriffen, wie‘s jetzt tatsächlich der Fall war. Er hielt Lesseps für den größten Mann des Jahrhunderts, und Isthmusdurchstechung oder eine Tunneleisenbahn unter dem Kanal hin, Ausschöpfung des Zuidersees und Füllung der Saharawüste mit Ozeanwasser, das alles waren Dinge, die seiner Seele mindestens so hoch standen (vielleicht noch höher) als der Sieg der Kommune. Sah man auf sein Leben zurück, so war es, in Gutem und Schlechtem, in Glück und Unglück, eine natürliche Folge dieser seiner Beanlagung. In der Mitte Frankreichs, in dem kleinen, aber mineralreichen Departement Creuze geboren, war er schon als Kind in den Galmei- und Bleierzbergwerken seines heimischen Departements beschäftigt gewesen, bis er 1849, damals erst neunzehn Jahr alt, nach Paris und hier wiederum (nach nur kurzer Beschäftigung in einer Fabrik, darin Bleiröhren gezogen wurden) unter die »Roten« ging, in deren Reihen er gleich danach die Junischlacht mitmachte. Verwundet, gefangen und eingekerkert, ließ er, als er wieder freikam, auf eine Weile die Politik fallen und machte, mittlerweile Soldat geworden, mit Passion den Krimkrieg mit, bei welcher Gelegenheit er sich im Minenkriege vor Sebastopol derart auszeichnete, daß ihm das Kreuz der Ehrenlegion zuerkannt und vom Obersten Niel, dem späteren Marschall, in Person an die Brust geheftet wurde. Zugleich empfing er die Galons. Aber fünf Jahre später, kurz nach Solferino, den Abschied nehmend, war auch, mit der Rückkehr in die bürgerliche Gesellschaft, sofort der »Rote« wieder da. Rasch erkannte die Parteileitung seine besonderen Meriten: ein Tüftelgenie höchster Gattung, das mit Rücksicht auf Höllenmaschinen und Dynamitbomben gehegt und gepflegt werden müsse. Welchem Vertrauen er denn auch entsprach. In einem Zeiträume von zehn Jahren verging kaum eine Woche, wo nicht neue Vorschläge von ihm eingereicht worden wären, und nur wenn politisch unfruchtbare Zeiten kamen, von ihm »Vacances« genannt, entsprach es ganz seiner Natur, den nun an die Stelle von Knallsilber und Nitroglyzerin tretenden harmlosen »Ferienarbeiten«, wohin beispielsweise Pencils mit Mechanik, neue Tornisterschnallung, Apfelschälmaschinen und ähnliches gehörten, ein nicht viel geringeres Interesse wie einer neuen Bombenfüllung entgegenzubringen. Er verfuhr dabei ganz nach dem Prinzip: »Wer des Kleinen nicht achtet, ist des Großen nicht wert«, und so durfte denn in der Tat von ihm gesagt werden, daß die Jahre von Solferino bis Sedan, gleichviel ob die Verschwörungschancen hoch oder niedrig standen, alles in allem eine Glücks- und Zufriedenheitsepoche für ihn darstellten, aus der ihn erst die »hundert Tage« der Kommune wieder herausrissen, um ihn dann, nach kurzem Glanz, als einen auf Lebenszeit Verurteilten an die Küste von Neu-Kaledonien zu werfen.

Seitdem, die Neu-Kaledonien- und die Nogat-Ehre-Tage zusammengerechnet, waren zwölf Jahre vergangen, aber er war derselbe geblieben, und als seine glücklichsten Momente konnten die gelten, wo die lange Serie wünschenswerter oder in seinen Augen auch wohl unerläßlicher Entdeckungen und Erfindungen angesichts des oft sich öffnenden Rosenholzkastens durchgesprochen wurden. Daß alles dabei zur Sprache Kommende jetzt nach der friedlichen Seite hin lag, nahm der Debatte nichts von ihrem Reiz und Eifer. Unter der hundertmal wiederholten Versicherung von »on revient toujours à ses premiers amours« war L‘Hermite, fast von dem Tag an, an dem er in Nogat-Ehre sein Refugium gefunden hatte, vor allem wieder auf das Bergwerkswesen, auf die Montanindustrie seiner frühesten Knabenjahre zurückgekommen und verfolgte dabei zu nicht geringer Befriedigung, um nicht zu sagen Erbauung Obadjas – der nach Art vieler Frommen einen stark ausgebildeten Sinn für die Güter dieser Welt hatte – den Plan einer »Exploitierung« der Ozark-Mountains auf Blei, zu welchem Behufe die verhältnismäßig nahe gelegenen Berge mannigfach von ihm durchforscht und wohl Hunderte von Erzstufen auf ihren Bleigehalt hin untersucht worden waren. Um das zerfallene Fort O‘Brien herum, und dann ansteigend bis zu dem Kamm der Mountains hinauf, lag das Erz an mehr als einer Stelle fast wie zutage, und wenn Obadja, so wenigstens versicherte L‘Hermite, sich vor Jahr und Tag schon zu Drangebung der jämmerlichen Feldwirtschaft, bei der nichts herauskomme, hätte bestimmen lassen, so war er längst schon zum Krösus, zum Roi de Lydie dieser Gegenden geworden. Denn einmal sei das Blei selbst ein wirklicher Schatz, aber wenn Obadja, der nichts davon verstehe, das auch anzweifeln wolle, so wisse doch jedes Kind, wo Blei sei, sei auch Silber, und wo Silber sei, sei auch Gold. In fünf Jahren, wenn alles geschickt exploitiert werde, müsse das ganze Territorium mit seinen Bahnen und Bergen in Händen von Obadja sein, und wenn dann Prinz Toby, Königliche Hoheit, zur Regierung komme, so sei Vanderbilt ein Strohmann dagegen und Mister Mackay eine Schillingspuppe. Das Durchsprechen solcher Pläne, begleitet von spöttischen Ausfällen gegen die Frommen und Gläubigen, die zwar alle gern reich sein wollten, aber in ihrer sich Gottvertrauen nennenden Beschränktheit immer verlangten, daß ihnen alles in den Schoß falle, das war ein Thema, das an den Reunion-Abenden mit einer gewissen Regelmäßigkeit wiederkehrte, wenn aber – genauso wie vordem in Paris – die großen Pläne momentan zu Boden fielen, so traten auch hier im Obadjaschen Hause wieder vergleichsweise kleine Sachen dafür ein.

Eines Abends standen auch wieder solche Nipp- und Kleinkramsachen auf dem Programm, lauter Dinge, die sich nicht auf ein Bleibergwerk, sondern ganz einfach auf den Hausstand und das unmittelbare Beisammenleben in Nogat-Ehre bezogen. L‘Hermite, wie gewöhnlich ganz hingenommen, sprach mit Lebhaftigkeit über Gasleitung und Anbringung eines Betsaalkronleuchters, dessen Fledermausflammen, wenn gewünscht, ja mit Leichtigkeit auch aus Christus- oder Prophetenköpfchen (selbstverständlich unter Bevorzugung des Obadjakopfes) aufschlagen könnten, und als Lehnert darüber lachte, spielte L‘Hermite Trumpf auf Trumpf aus und gefiel sich darin, immer grotesker zu werden. Endlich aber ließ man das Gas- und Kronleuchterthema fallen und kam überein, zunächst neue Stahlreifen und Croquethämmer für Ruth und Toby und, wenn das geschehen sein würde, ein neues großes Spind mit Fliegenfenster für Maruschka machen zu wollen.

Es lag nah, daß man, bei Besprechung dieser mit den einzelnen Hausinsassen sich beschäftigenden Dinge, von den Dingen zuletzt auch auf die Personen kam, und Lehnert, als er sah, daß L‘Hermite seinen Absinth ohne Wasser zu nehmen anfing, konnte, so vorsichtig er sonst war, der Versuchung nicht widerstehen, allerhand Fragen zu tun, um auf die Weise seinen nun schon im fünften Jahr in Nogat-Ehre weilenden Haus- und Flurgenossen über die verschiedenen Mitglieder der Familie, wie des Hauses überhaupt, auszuholen.

»Es ist sonderbar«, sagte Lehnert, »man hört und sieht dies und das und stellt sich natürlich auch allerhand Fragen über die, die so neben einem herleben, und doch hat man nicht recht Antwort darauf, auch nicht einmal bei denen, die die klarsten und einfachsten zu sein scheinen.«

»Ihr seid zu schwierig, Lehnert«, lachte L‘Hermite. »Zu schwierig und zu gewissenhaft, so recht ein Deutscher, und wollt immer zu tief auf den Grund. Aber das glückt nicht. Ich für meine Person, ich wüßte keinen, über den ich auch nur im geringsten in Zweifel wäre, und verpflichte mich, ohne Besinnen, einem jedem sein Zertifikat zu geben.«

»Das wäre«, sagte Lehnert. »Soll ich einmal den Versuch machen?«

L‘Hermite nickte.

»Nun denn, Kaulbars?«

»Tête carrée.«

»Und Maruschka?«

»Un peu de cochon.«

»Und Obadja?«

»Un peu de Mormon.«

»Und Toby?«

»Bon garçon.«

»Und Ruth?«

»Ange.«

»Und Monsieur Camille L‘Hermite?«

»Blagueur.«

»Und Lehnert Menz?«

»Caïn le Sentimental.«

Lehnert fuhr zusammen. L‘Hermite aber sah einfach zur Seite, nahm einen Absinth und riß dann ruhig ein Blättchen Seidenpapier aus dem Block, um eine neue Zigarette zu drehen.

Dreiundzwanzigstes Kapitel

Lehnert war derart getroffen, daß er unfähig war, das Gespräch weiterzuführen, und bald danach sich erhob, um in sein Zimmer hinüberzugehen. Da schritt er nun auf und ab und kam schließlich zu dem Resultat, daß alles ein Zufall gewesen sei. Sehr bald aber war es mit diesem Trost vorbei. »Nein, nicht Zufall. Er hat mich wissen lassen wollen: »Ich weiß.« Nicht aus böser Absicht (ist er doch selber mit drin), aber aus Laune, vielleicht auch aus Teilnahme.«

So sann er noch weiter nach, und Mitternacht war heran, als er sich, halb angekleidet, auf das aus Bambusstäben leicht zusammengefügte Ruhebett streckte; das Bett selbst aufzusuchen widerstand ihm. Was geschehen war, geschehen vor manchem Jahr, war ihm seit einer Stunde wieder mit vollem Gewicht auf die Seele gelegt worden, und lebhafter noch als gleich am ersten Tage bei seinem Erscheinen in Nogat-Ehre beklagte er es, daß Obadja keine Beichte von ihm verlangt habe. »Warum verlangte er sie nicht? Weil er‘s wohl mit mir meinte. Nun aber quält es mich und belastet mich. Was gebeichtet wird, das kann verziehen werden, aber die verborgene Schuld, vor niemand eingestanden, das ist die schwerste der Strafen.«

Und erschöpft schlief er endlich ein und nahm seine selbstquälerischen Gedanken mit in seinen Traum. Er schlief noch nicht lang, als ein Klopfen ihn weckte. Wer es sein könne, war ihm kaum zweifelhaft, und er ging auf die Tür zu und öffnete. Wirklich, es war L‘Hermite, nur in Slippers und weitem Beinkleid und sein Käppi wie gewöhnlich im Nacken. In der Linken hielt er einen Blaker, drin ein Lichtstümpfchen, mit einem Dieb am Docht, rußig qualmend hin und her flackerte. Das Groteske ging unter in dem Schmerzlichen der Erscheinung. Er mühte sich, überlegen dreinzuschauen, und schien sich und die Welt ironisieren zu wollen, aber ein mächtigeres Gefühl hielt seinen Spott im Bann, und er sah aus wie der Tod auf der Maskerade, der tanzen will. Endlich nahm er Platz, während Lehnert sich ihm gegenübersetzte.

»Ihr könnt nicht schlafen, Monsieur L‘Hermite. Was gibt es?«

»Es sah wer in mein Fenster.«

»Wer?«

»Ich sah ihn nicht. Aber er hielt ein Kreuz vor der Brust.«

»Das war das Fensterkreuz und der Mondschein dahinter.«

L‘Hermite lächelte. Lehnert aber, der das Grauen, das ihn mit erfaßt hatte, dem Freunde wie sich selber wegreden wollte, suchte bei seinem zwangsweis angeschlagenen Heiterkeitstone zu beharren und sagte; »Sinnestäuschung, Monsieur L‘Hermite. Wer Euch ins Fenster sehen will, muß von unten her eine Leiter anlegen.«

»Oder von oben.«

Er sprach das so, daß Lehnert verstummte. Und nun saßen sie sich einander gegenüber, und zwischen ihnen schwebte das Licht, dessen Flackerschein in dem Spiegelchen reflektierte.

So verging eine Weile. Dann sagte Lehnert: »Es gibt eine Himmelsleiter, und die Engel steigen hernieder, so steht geschrieben … Und vielleicht auch die Engel des Gerichts. Glaubt Ihr solche Dinge?«

»Nein. Aber das Ammenmärchen hat nun mal Gewalt über uns, das Eiapopeia, das uns schon von der Wiege her gesungen wird. Die pfäffische Lüge verdirbt alles. Da liegt es. Statt, wie jetzt, in der großen Lüge großgezogen zu werden, müssen wir großgezogen werden in der Idee. Bis dahin zittern wir vor dem Spuk und haben kein Mark in der Seele.«

Lehnert schwieg. Endlich sagte er: »Monsieur L‘Hermite, drüben vor Eurem Fenster steht der Mond, und der Mond ist nicht jedermanns Sache. Bleibt hier, legt Euch auf das Ruhebett!«

L‘Hermite aber erhob sich wieder von seinem Platz, legte seine Hand auf Lehnerts Schulter und sagte: »Nein, wir wollen lieber in die Kapelle gehen; ich will da das Kreuz vom Altar nehmen und es hochhalten und den Geist anrufen, den Saint-Esprit. Denn der Geist ist die Idee. Die Kapelle soll mal etwas anderes hören als die Geschichte von Pharaos Traum und den ewigen sieben Kühen. Obadja persönlich ist eine fette Kuh, aber seine Predigt ist eine magere. Kommt! Ich will sein Tabernakel in einen Tempel der Idee verwandeln und will bloß vor zweien sprechen. Vor Euch und dem Mond. Das ist mir genug.«

Es war nicht leicht, Monsieur L‘Hermite von seinem Vorhaben ab- und in sein Zimmer zurückzubringen. Endlich gelang es, und nachdem Lehnert, des noch immer draußen stehenden Mondes halber, die Läden des einen Fensters geschlossen hatte, ging er in sein eigenes Zimmer zurück, um hier wieder sein Lager aufzusuchen. Er war nun selber Zeuge gewesen von der gelegentlichen Geistesgestörtheit L‘Hermites, von der er schon gehört hatte. »Wenn es nicht sein Gewissen ist«, hatte Toby damals hinzugesetzt. Und Lehnert wiederholte jetzt Tobys damalige Worte.

Der andere Tag war ein Sonntag. Lehnert erschien zur Morgenandacht, beurlaubte sich aber gleich danach für den ganzen Tag, um ins Gebirge zu reiten, in die Ozark-Mountains, deren viele Meilen langen Zug er nun seit einer Reihe von Wochen in beinah nächster Nähe vor sich sah, ohne daß es ihm bisher möglich gewesen wäre, sie zu besuchen. Die Woche gehörte der Arbeit und der Sonntag der Betrachtung und Ruhe, worauf Obadja mit einer ihm sonst nicht eigenen Strenge hielt. Ausnahmen waren aber statthaft, und Lehnerts musterhafte Innehaltung aller Hausgesetze während seiner jetzt mehr als zweimonatlichen Anwesenheit in Nogat-Ehre ließ es Obadja nicht schwerfallen, heute solchen Ausnahmefall eintreten zu lassen.

Es war der zweite September, und Lehnert, als er eben eine leis ansteigende Ebereschenallee hinaufritt – er hatte sich für einen kleinen Umweg entschieden —, entsann sich mit einer gewissen Freudigkeit, daß es der Sedantag war.

Er versenkte sich wieder in die Vorgänge von damals und sah wieder den Angriff der Chasseurs d‘Afrique und wie die Säbel und roten Käppis der attackierenden Schimmelschwadron in der Sonne blitzten.

Solche Bilder vor der Seele, ritt er weiter, allmählich aber bog die Ebereschenallee wieder nach links ein und ging in einen Birkenweg über, der sich alsbald in geringer Entfernung von dem in Trümmern liegenden Fort O‘Brien ins Gebirge hineinzog. Als er in Höhe dieser Stelle war, stieg er ab und band sein Pferd an einen Baum, um, ehe er weiterritt, erst dem interessanten Trümmerhaufen, auf den sich, von seinem Fenster aus, sein Auge manches liebe Mal gerichtet hatte, einen Besuch zu machen. Fort O‘Brien war, vor kaum mehr als zwanzig Jahren, in einem der vielen kleinen Kämpfe mit den Indianern von diesen erstürmt und zerstört worden, wobei Dach und Inneres total verbrannt, der Wallgang aber samt seinen Palisaden und vor allem ein an einer Ecke stehender abgeflachter Steinturm in leidlich gutem Zustande verblieben waren. Lehnert, als er das Fort erreicht hatte, kroch überall umher, erstieg den Turm auf einer noch wohlerhaltenen Wendeltreppe und sah nun zurück nach Nogat-Ehre hin. Die Entfernung mochte fast zwei Wegstunden sein, aber die wundervolle Klarheit der Luft ließ ihn alles aufs bestimmteste erkennen. Das Eckfenster zur Linken, das war seine, und das an der anderen Ecke, da wohnte Ruth. Es war ihm, als sähe er sie, und indem er ihrer gedachte, gedacht er auch schon des Moments der Rückkehr und sah sich die Treppe hinaufsteigen und vernahm andächtig den Choral, den sie mit klarer Kinderstimme sang. Und nun bog er in den Korridor ein und hörte wieder deutlich, wie die Tür ins Schloß fiel und wie sich Monsieur L‘Hermite wie herkömmlich von seinem Lauscherposten zurückzog. Und während er das alles im Geiste vorwegnahm, trat er, sich wieder erinnernd, wo er war, an die Brüstung des alten Turmes heran und pflückte, sich bückend, allerlei kleine Blumen, die hier aus dem zerbröckelten Gestein reichlich aufsproßten, und band einen Strauß, den er mitnehmen und Ruth überreichen wollte.

Das Pferd nagte noch ruhig an den Birkenzweigen, als er nach einer Weile zurückkam, um wieder in den Sattel zu steigen. Der Weg aber, der immer steiler anstieg, erschien ihm jetzt mehr und mehr wie die Krummhübler Straße zwischen dem »Goldenen Frieden« und dem »Waldhaus«, und der Gebirgsbach, der da neben ihm schäumte, das war die Lomnitz, die vom Mittagsstein und den Teichen herunterkam. Und unwillkürlich sah er auch nach dem Inselchen aus und ob er das Haus sähe, sein Haus, mit den zwei Brückenstegen und dem Schindeldach und dem erst sich am Hause hin und dann bis aufs Dach hinaufrankenden gelben Rosenstrauch. Er sah aber nichts als Tannen und wieder Tannen und dann und wann eine Lichtung, und dabei wurde der Weg immer enger und steiler, bis zuletzt ein Quell kam, der aus einer niedrigen, aber senkrechten Felswand sprang und dicht darunter in einen aus vier mächtigen Steinen gebildeten Kessel fiel. Und an dem Kessel hin lief ein Pfad, und dahinter kam ein Moorstreifen und verdorrtes Gras und Huflattich … Und dann kam ein Kusselgebüsch … Und da lag wer …

Und Lehnert hielt an und fuhr mit der Hand über Stirn und Auge, wie wenn er das Bild verscheuchen wolle. Aber es wich nicht. Und zuletzt gab er dem Pferde die Sporen und ritt, so rasch es der Weg zuließ, immer höher bergan.

Nur einmal noch sah er nach der Stelle zurück.

»Das ist der, der bei L‘Hermite ins Fenster sah.«

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Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
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