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Kitabı oku: «Quitt», sayfa 19

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Vierunddreissigstes Kapitel

Lehnert ging in starkem Schritt auf das Vorwerk zu, bog aber, eh er heran war, nach rechts hin in einen Querpfad ein, der, in seiner Verlängerung, fast parallel mit der an Fort O‘Brien vorüberführenden Schlucht ins Gebirge hinaufstieg. Oben wollt er dann den Kamm entlang gehen und von den höchsten Punkten aus Umschau halten. Er war von einem festen Vertrauen erfüllt, daß er Toby finden würde, wenn nicht unterwegs, was freilich das wünschenswerteste, so doch in Nähe der weit vorspringenden Felspartie, die, wegen der mit Vorliebe darauf nistenden Adler, schon von alter Zeit her den Namen Eagles Point führte. Jeder Punkt an dieser Stelle war ihm, nach den vielen gemeinschaftlichen Jagdausflügen der letzten Monate, ziemlich genau bekannt, was aber sein Vertrauen noch stärkte, war der Umstand, daß etwa tausend Schritt von Eagles Point entfernt, ein noch höherer Kegel aufragte, der kurzweg der Look-out hieß und nicht bloß wundervolle Fernblicke, sondern einen genauen und leichten Einblick in die nächstgelegenen Felspartien, am besten aber in die von Eagles Point gewährte. Von diesem Look-out aus mußt er Toby sehen oder ihn abrufen können, denn dieselbe klare Luft, die das Sehen erleichterte, trug auch den Schall fort. Er mußte ihn finden, und über den an Fort O‘Brien vorüberführenden Weg wollt er dann mit ihm zurück … Aber wenn er ihn nicht fand? Er mochte den Gedanken nicht ausdenken.

Es war um die siebente Stunde, daß er an der Stelle hielt, wo der Look-out-Kegel erst in mäßiger Schrägung, dann aber, einen Knick, eine Stufe machend, in beinah senkrechter Steile anstieg. Am Fuße der gesamten Felsmasse, Sockel wie Spitze, sprang ein Quell und fiel in einen ausgehöhlten Stein. Und hier bückte sich Lehnert, um zu trinken, und stieg dann den unteren Absatz bis zu dem Einknick hinauf. Er war müde geworden und hätte hier gern eine kleine Weile gerastet, um neue Kraft für die letzte und schwerste Strecke, den eigentlichen Kegel, zu sammeln; aber die Sonne stand schon tief, und so war denn keine Zeit mehr zu verlieren, wenn er noch, mit Hilfe des Tageslichts, einen leidlich guten Einblick in die Spalten und Klüfte haben wollte. So warf er denn die Jagdtasche beiseite, die ihm beim Klettern bloß hinderlich gewesen wäre, und stieg ohne Säumen höher hinauf, Uncas wollte mit. Es war aber zu steil und zu glatt für ihn, und unglücklich, seinem Herrn nicht folgen zu können, blieb er auf dem breiten Rande, den der Einknick bildete, zurück und legte sich mit vorgestreckten Pfoten neben die Jagdtasche. Daß er etwas zu hüten hatte, schien ihm ein Trost.

Der Aufstieg ging besser, als von Lehnert erwartet war. Die Steile zeigte sich freilich beträchtlich, aber überall waren Spalten und Risse, die dem Fuß einen Hallt gaben, und an mehr als einer Stelle stand Zwergholz und hier und da selbst ein Busch, daran er sich halten und mit nicht allzuviel Schwierigkeiten hinaufziehen konnte. Die ganze Höhe betrug keine hundert Fuß, und ehe fünf Minuten um waren, war er oben und genoß eines wundervollen Umblicks. Zur Linken, unmittelbar über dem Kamm, in einer Art Quer- oder Giebelstellung, stand der Sonnenball und goß seine Glut derart über die ganze lange Berglinie hin aus, daß beide Seiten des Kamms in einem hellen Lichte lagen. Weiter abwärts freilich herrschte schon Dämmerung, was übrigens nicht hinderte, daß Lehnert die weite Talmulde, bis zu den Shawnee-Hills hin, überblicken kannte. Das da drüben mußte Fort Holmes sein, und die vereinzelt aufblinkenden Lichter im Tal bezeichneten die Linie, wo die Bahn lief. Und zuletzt weilte sein Blick auf Notgat-Ehre. Da lag es. Das erste Haus, das war Obadjas, da wohnte Ruth, und er grüßte hinüber. Ja, einen Augenblick vergaß er fast, um was er hier war, und erst als er sich‘s wieder in die Seele zurückgerufen, rief er Tobys Namen. Aber nur das Echo antwortete.

So vergingen Minuten. Alles blieb still. Das über den Kamm hin ausgebreitete Licht erlosch, und Lehnert fühlte, daß es keinen Sinn mehr habe, auf seiner Felshöhe zu verweilen. Und so wollt er denn rasch wieder hinab, um wenigstens vor Beginn völliger Dunkelheit noch bis Eagles Point zu kommen, wo, wenn das Rufen vergeblich blieb, Uncas ihm Beistand leisten und in dem Gestrüpp umhersuchen konnte. Fand er ihn nicht, und seine frühere Zuversicht hatte ihn zu nicht kleinem Teil verlassen, so wollt er nach dem Vorwerk zurück und am andern Morgen von dort aus das Suchen erneuern. Ohne Toby nach Nogat-Ehre zurückzukehren erschien ihm unmöglich.

Er hatte sich die Stelle gemerkt, wo er aufgestiegen war, und an eben dieser Stelle wollt er auch – schon der ziemlich vielen Sträucher und Zwergbüsche halber – wieder zurück. Die waren ihm eine Hilfe, wenn er ins Gleiten und Glitschen kam. Und wirklich, es schien fast, als ob diese seine Vorsicht sich lohnen solle. Zwei-, dreimal, beim Ausrutschen, hatte er zufassen und sich halten können, auch der Gewehrkolben kam ihm mehr als einmal zupaß, und bis zu der Stelle hin, wo Uncas die Jagdtasche bewachte, waren keine dreißig Fuß mehr. Auch die Steile war hier geringer, und so gab er denn die Vorsicht auf, die er bis dahin geübt hatte. Freilich nicht zu seinem Heil. Denn mit einemmal kam er in ein halbes Stürzen, und weil zufällig kein Strauch mehr da war, dran er sich klammern konnte, schoß er, wie von einer Rutschbahn, mit aller Gewalt auf den Plateaurand nieder und mußte froh sein, unterwegs auf eine stumpfe Steinkante zu stoßen, die den Sturz einigermaßen aufhielt. In der Tat, die Erschütterung, als er auf dem Plateaurand ankam, war nicht allzu groß, ebensowenig empfand er einen Schmerz, und so stand er denn auf dem Punkt, sich zu dem den jähen Absturz hemmenden »Stein des Anstoßes« aufrichtig zu beglückwünschen, als er bei dem Versuche, sich aufzurichten, erkennen mußte, daß der Stein des Anstoßes wohl geholfen, aber doch noch mehr geschadet habe. Mit der Hüfte gegen den Stein fahrend, war der Hüftknochen aus dem Gelenk gesprungen. Er erhob sich mit äußerster Anstrengung, aber nur, um im selben Augenblick wieder zusammenzubrechen. Jetzt kamen auch Schmerzen, begleitet von einer schweren Ohnmacht, und als er nach einiger Zeit (er wußte nicht wie lange) wieder erwachte, standen schon die Sterne am Himmel.

Über sich die Sterne und unten die Lichter von Nogat-Ehre, sonst alles dunkel um ihn her. Dazu kam ein Frösteln. Er hing sich mühsam die neben ihm liegende Jagdtasche um und schob sich seitwärts bis an eine Stelle, wo ein Erlenbusch stand, verkrüppelt, mit halb am Boden ausgestrecktem Gezweig. Unter dies Gezweige kroch er. Es gab ihm Schutz gegen den Nachtwind; Uncas legte sich neben ihn, und die Wärme tat ihm wohl. Und als Mitternacht heran war, schlief er ein.

Er schlief mehrere Stunden, und die Sonne stand schon über dem Horizont, als er aufwachte. Die Schmerzen hatten nachgelassen, aber das Bewußtsein seiner Lage packte ihn jetzt mit doppelter Gewalt. Gewiß, daß man im Laufe des Tages nach ihm ausziehen, ja, daß Freund L‘Hermite den ganzen Arapahostamm aufbieten werde, nach ihm zu suchen. Gewiß, gewiß. Und sie würden ihn auch finden. Aber wann? Bis dahin war es vielleicht um ihn geschehen. »Und wenn es so kommen soll, wenn kein Entrinnen, dann, du Vater im Himmel, mach es rasch laß es rasch vorüber sein.«

Das war das Morgengebet, mit dem er seinen Tag einleitete.

Die Sonne zog herauf, immer höher, und als es Mittag war, meldete sich Hunger und bald auch ein brennender Durst. Er durchsuchte die Jagdtasche nach etwas, das ihn erfrischen mochte, aber er fand nichts als etwas Brot, das ihm widerstand. Und so warf er‘s dem Hunde hin. Der aber winselte nur und kroch wieder zu Lehnert heran und leckte ihm die Hand.

Lehnert freute sich dieses Liebeszeichens und streichelte das schöne Tier. Und mit eins schoß es ihm durch den Kopf: »Uncas, du kannst mich retten, du bist klug.

Und nun höre gut zu. Sieh, wenn du jetzt nach Hause trabst, zu Ruth, zu Miss Ruth, hörst du, dann kannst du sie hierherführen, und dann finden sie mich und dann retten sie mich. Und nun auf!«

Uncas hatte jedes Wort verstanden, aber er schüttelte nur den Behang und streckte sich still wieder nieder und sah Lehnert an. Und dieser las aus dem treuen Auge mit Schrecken heraus: Ich bleibe.

»Geh, Uncas! Lauf! Fort!«

Und als alles nichts half, nahm er das Gewehr und stieß nach ihm. Und bald danach erhob sich Uncas auch wirklich und trabte langsam und ohne sich umzusehen den unteren und verhältnismäßig wenig steilen Teil der Felspartie hinab. Lehnert sah ihm nach, und ein Hoffnungsschimmer umleuchtete seine Stirn. Aber keine Viertelstunde, so war der Hund wieder da. Er war nur bis an den Quell gegangen und hatte getrunken, und kaum wieder frisch, war er auch frisch wieder in seiner Pflicht und seinem Vorhaben. Und kurzum, da war er wieder.

»Es soll also sein«, sagte Lehnert, über den plötzlich eine volle Ergebung in sein Schicksal kam. »Es ist Gottes Wille … Komm, Uncas … Es ist mir eine schöne Lehre, die du mir gibst: Treue halten und tun, was recht ist.«

Und er verfiel alsbald in ein fieberhaftes Träumen und wurd erst wieder wach, als ein Läuten aus dem Tale heraufdrang. Es war die Glocke, die sonst zum Gottesdienst läutete. »Sie wollen mir ein Zeichen geben. Und ich will ihnen antworten, so gut ich kann.«

Und dabei nahm er das neben ihm liegende Gewehr und schoß, und der Rauch zog am Gebirge hin, und das Echo trug den Schall immer weiter und weiter und vielleicht bis hinunter zu Tal.

Er horchte nach, bis es verklang. Und nun schwieg es, und im selben Augenblicke war es ihm, als höre er von weit her einen Ruf: »Hilfe.«

Wessen Stimme war das?

Er richtete sich auf und horchte noch einmal hinüber, und einen Moment überkam ihn der Gedanke, daß es Toby sein könne.

»Nein, es war ein anderer, der rief … Gut … Ich bin fertig … Ich komme.«

Und nun fiel er mit dem Kopf auf das Lager zurück, das er sich gemacht hatte.

Fünfunddreissigstes Kapitel

Zwischen den Feldern hin huschte was. Was es war, war nicht deutlich erkennbar, das Korn stand zu hoch, und die Dämmerung war noch zu dicht. Aber jetzt kam ein gemähter Wiesengrund, der ganz zuletzt zwischen den Maisfeldern und dem Dorfe lag, und nun ließ sich‘s erkennen, daß es Uncas war, der in Sprüngen auf Nogat-Ehre zujagte. Nur noch das Stück Parkland und die Brücke war zu passieren. Und nun war er heran und gab einen lauten Blaff, zwei-, dreimal, und sprang dann an dem Erdgeschoß in die Höh und kratzte an den Läden, die das Fenster von Obadjas Zimmer schlossen.

Obadja stand auf und warf einen Pelzrock über, den zu tragen er sich in den langen Wintertagen von Dakota gewöhnt hatte. Dann ging er hinaus auf den Flur, den Hund einzulassen. Aber Uncas sprang ihm schon entgegen, weil L‘Hermite – der sich für alle Fälle halb angekleidet aufs Bett geworfen hatte – schneller als Obadja zur Hand gewesen war. Gleich danach kamen auch Ruth und Maruschka die Treppe herab und mit ihnen Toby; Toby, der noch am selben Abend, wo Lehnert auf die Suche nach ihm ausgezogen, wohl und munter und jedenfalls völlig unverletzt heimgekommen war. Und ein wunderlicher Anblick war es, den die Halle jetzt bot. Front- und Hoftür standen auf, und von beiden Seiten her fiel ein fahles Dämmerlicht ein, während das Licht in der herabhängenden Flurlampe zu verschwelen begann. Am bemerkbarsten aber und jedenfalls am lautesten war Uncas. Er lief hin und her und sprang empor und beschäftigte sich vor allem mit Ruth, an deren Kleid er zerrte, wie um zu zeigen, daß sie folgen solle.

Jeder wußte, was geschehen, und war erschüttert. Am meisten Toby, der, wenn auch schuldlos, die Veranlassung von all dem war, was jetzt auf jedem lastete. L‘Hermite schritt auf und ab, die Hände à la Zouave in den weiten Beutelhosen, das Käppi zurück. Toby aber nahm ihn beiseit und fragte, was er zu dem allem denke.

»Pas beaucoup de bien.«

»Und was?«

»La mort sans phrase.«

Obadja faßte sich zuerst und gab, als er sah, daß Uncas, wie um die einzuschlagende Richtung anzugeben, immer wieder auf die Steinbrücke zulief, kurze Weisungen für das, was zunächst zu tun sei. Toby solle mit Shortarm und einem andern Indianer, Yellow Cat, von dem bekannt war, daß er wie eine Katze kletterte, zunächst nach dem Vorwerk aufbrechen und dort die weitere Führung an Kaulbars abtreten. Er, Obadja, sosehr er es wünsche, könne sich dem Zuge nicht anschließen, das würde nur Hindernisse schaffen.

Und keine fünf Minuten mehr, so brach denn auch Toby mit den zwei Gefährten auf, Uncas abwechselnd vorantrabend und dann wieder an Tobys Seite. Von L‘Hermites Begleitung war all die Zeit über mit keinem Worte die Rede gewesen, was in einer Art abergläubischen Vorstellung von seiten Obadjas seinen Grund hatte. L‘Hermite, wenn es sich um Leben und Sterben handelte, hatte keine glückliche Hand, was niemandem klarer war als ihm selbst, weshalb er denn auch sein Ausgeschlossensein von dieser Expedition als etwas durchaus Selbstverständliches ansah und sich begnügte, sich Miss Ruth anzuschließen, als diese mit der alten Maruschka wieder die Treppe hinaufstieg. Oben angekommen aber trat er, statt in sein eigenes Zimmer, in das von Lehnert, um von hier aus – weil es den Blick auf das Gebirge hatte – dem Zug eine Weile nachzusehen. Eine gute Strecke konnt er es auch und sah deutlich, wie Uncas seine Freude bezeigte, daß man ihn endlich verstanden.

»Ist noch Hoffnung …? Keine. Seine Geschicke haben sich erfüllt.«

Es war vier Uhr, und die Sonne stieg eben herauf, als Toby mit seinen zwei Gefährten auf dem Vorwerk eintraf. Das Ehepaar Kaulbars war schon auf und nahm eben seinen Morgenkaffee.

Kaulbars erhob sich sofort, um seines Herrn Sohn zu begrüßen und ihn zur Teilnahme am Frühstück einzuladen. Aber Toby dankte, nahm auch nicht Platz und beschränkte sich darauf, in aller Kürze mitzuteilen, um was sich‘s handle. Leider sah er nicht die Wirkung davon, auf die zu rechnen er ein Recht hatte, was ihn auf einen Augenblick ernstlich verdroß und doch eigentlich nicht verdrießen durfte. Leute hergeben und vorherbestimmte Tagesarbeit unterbrechen, das konnte bei Kaulbars in erster Reihe nur Verstimmung wecken, weil er ganz und gar und in besonders hohem Grade zu jenen ausgesprochenen Bauer- und Landwirtsnaturen gehörte, die, wenn ihnen Vater und Mutter während der Ernte sterben, zunächst nur unter dem Gefühle stehen: Vater und Mutter hätten sich auch eine bessere Zeit aussuchen können. Als indessen dies erste selbstische Gefühl in unserem Kaulbars überwunden war, war er nicht bloß gutwillig, sondern vor allem auch umsichtig in all seinen Anordnungen und wählte neben allerlei Rettungsmaterial, daß man mutmaßlich brauchen würde, zugleich drei seiner besten Leute zur Verstärkung des nun von ihm zu führenden Zuges aus. Auch eine Leiter samt einer Schütte Stroh nahm er mit, weil er, ganz im Gegensatze zu L‘Hermite, der bestimmten Ansicht war, daß der Verunglückte, verwundet oder nicht, noch am Leben sein müsse; dreißig Stunden könne man‘s aushalten, und Tobys Bemerkung, daß Uncas ihn sicher erst verlassen habe, als es mit ihm vorbei gewesen, wollt er nicht gelten lassen. Der Hund sei klug, aber doch bloß ein Hund und eine unvernünftige Kreatur. »Und reden kann er doch am Ende nich.«

Es war gegen sechs Uhr, als man oben war und eine kurze Rast nahm. Im Tale lag noch ein Nebel, aber dünn und niedrig, und man sah die Häuser von Nogat-Ehre, die mit ihren Dächern darüber hinausragten. Und da war wieder Station Darlington, und wo der Qualm schwarz über dem weißen Nebel hinzog, da kam der Zug heran, der große Expreßtrain von Galveston. Alles ließ sich deutlich erkennen. Aber es war nicht Zeit zu solchen Betrachtungen. Uncas, solange die Rast dauerte, jagte beständig hin und her, immer auf denselben Punkt zu, so daß Toby nun in aller Bestimmtheit wußte, wohin man die Schritte zu richten habe.

»Er ist auf den Look-out hinaufgestiegen, um nach mir auszusehen. Und bei dem Aufstieg ist er verunglückt.«

Auf den Look-out also schritten sie zu, Kaulbars voran. Und nur noch wenige Minuten, so waren sie bis an den Fuß der Felspartie gekommen und tranken hier aus dem Quell (denn es war, trotz früher Stunde, schon heiß) und stiegen nun höher hinauf bis auf den Einknick, von dem aus der eigentliche Kegel anhob.

Und nun hatte man die Stufe glücklich erreicht und schritt um den mäßig breiten Rand, den sie bildete, herum. Das erste, was man sah, war der Brotrest, den Lehnert auf ein paar Schritt Entfernung dem Hunde zugeworfen, den dieser aber nicht berührt hatte.

»Hier müssen wir ihn finden«, sagte Toby, und das Zweigwerk eines ziemlich blattreichen, am Fuße des Kegels festeingewurzelten Gebüsches zurückschlagend, sah er den, dem die Suche galt. Unwillkürlich ließ er das Gezweig, das er in Händen hielt, wieder zurückfahren, und seine Augen füllten sich mit Tränen. Konnt es anders sein? Der da lag, war gestorben um ihn, um seinetwillen. Und er sprach ein kurzes Gebet, während die andern noch zurückstanden. Und nun näherte sich auch Shortarm und brach die weit vorgestreckten Zweige fort, und gleich nach ihm traten alle heran und schlossen einen Halbkreis und blickten auf den Toten. Er sah ernst aus, aber nicht von Schmerzen verzerrt oder entstellt, und hatte die Jagdtasche unter dem Kopf; – neben ihm lag das Gewehr, und ein kurzes Jagdmesser, das er noch in seiner letzten Stunde gebraucht haben mußte, war mit der Klinge in den Sand gestoßen. Sein Rock war halb geöffnet, und man sah ein zusammengefaltetes Zeitungsblatt, das er in die Rocköffnung wie in eine Brusttasche gesteckt hatte. Darüber ruhte seine linke Hand, auf deren Oberfläche man geronnenes Blut sah, aber nur wenig, wie von einem kleinen Riß mit dem Messer. Und nun bückte sich Toby, um das Zeitungsblatt zu nehmen, auf das der Tote, wie‘s schien, in seiner letzten Stunde seine letzten Worte geschrieben hatte. Zwischen den Fingern der rechten Hand hielt er noch ein zugespitztes Holzstäbchen. Was er aber geschrieben, das lautete: »Vater unser, der du bist im Himmel … Und vergib uns unsere Schuld … Und du, Sohn und Heiland, der du für uns gestorben bist, tritt ein für mich und rette mich … Und vergib uns unsere Schuld … Ich hoffe: quitt.«

Sechsunddreissigstes Kapitel

Der Rückweg war sehr beschwerlich, und die zehnte Stunde war schon heran, als man am Vorwerk anlangte. Toby war dagegen, den Zug gleich unmittelbar bis nach Nogat-Ehre hin fortzusetzen, und der sonst immer widersprechende Kaulbars war diesmal derselben Meinung, hinzusetzend: es ginge nicht, ihn so bloß auf einer Leiter heranzutragen; alles müsse seine Ordnung haben; und auf einer Leiter sei keine Art und keine Ordnung nich.

So wurde denn beschlossen, Shortarm und Yellow Cat nach Nogat-Ehre hin vorauszuschicken, einfach mit der Meldung, daß man Lehnert gefunden habe.

Nach diesem Beschlusse machten sich die beiden Indianer sofort auch auf den Weg und waren um Mittag wieder zurück, mit einer Bahre, darauf Lehnert nunmehr gelegt wurde, bedeckt mit einem ebenfalls mitgebrachten Bahrtuch, in das ein großes silbernes Kreuz eingestickt war. So stand er noch bis gegen Abend auf einer Scheunentenne. Dann aber brach man auf nach Nogat-Ehre. Wie Totto sie kommen sah, begann er zu läuten, aber nur Obadja ging dem Zuge bis auf die Rampe entgegen, mit ihm L‘Hermite. Ruth und Maruschka mochten nicht Zeuge sein.

Von der Rampe trug man die Bahre bis vor den Altar. Und nun schlug Totto die Decke zurück und kniete nieder und sagte, während er des Toten Hand streichelte: »Poor man … dead … quite dead.« Und dann sang er vor sich hin, was keiner verstand.

»Wo bestatten wir ihn?« Das war die Frage, die denselben Abend noch das Haus beschäftigte. L‘Hermite drang mit sonderbarem Ernste darauf, den Toten zu den Arapahos zu schaffen und ihn neben Gunpowder-Face zu begraben, das würde einen Eindruck machen, mehr als Krähbiels Schul- und Katechismusstunden, und er, L‘Hermite, genösse dabei des Vorzugs, seine beiden besten Freunde zusammenzuhaben: eine Rothaut und einen Prussien. Es war barock, wie alles, was er tat und sagte, aber es klang so herzbeweglich, daß niemand Anstoß daran nahm. Endlich sagte Obadja: »Er soll der erste drüben in unserer Gruft sein. Ich wollte den Zug eröffnen. Aber er kommt mir nun zuvor.«

Und dabei glitt sein Auge zu Ruth und Toby hinüber, die beide zustimmend nickten.

Am zweiten Tage danach erfolgte Lehnerts Beisetzung; Krähbiel und Nickel waren mit ihren Schulen gekommen und sangen. Dann sprach Obadja, diesmal nicht der Bibel, sondern dem Leben des Valerius Herberger seinen Text entnehmend. Alle würden sich noch erinnern, was er am Christfest über den Valerius Herberger, diesen treuen Diener seines Gottes, gesagt habe, der dem Tode Tag um Tag ins Auge gesehen, durch nichts gehalten und getragen als durch den Spruch: »Wer Gott im Herzen hat, dem kann der Teufel nichts anhaben.« Und eben das seien auch die Worte gewesen, die damals auf Lehnert einen so tiefen Eindruck gemacht hätten, so tief, daß er anderen Tages zu ihm gekommen sei und ihm gesagt habe: »Ja, es sei so, und er fühle deutlich, daß nur das ein rechtes Leben sei, sich, mit Gott im Herzen, vor dem Tode nicht zu fürchten, und solches Leben zu führen sei seine Sehnsucht; und wenn ihn der Teufel der Eitelkeit und Selbstgerechtigkeit nicht ganz verblende, so möcht er wohl sagen dürfen, er glaube, daß er nicht bloß die Sehnsucht, sondern auch die Kraft zu solchem Leben habe …» —»Und diese Kraft, meine Lieben, er hat sie gehabt und hat sie bestätigt und ist gestorben, wie seine Sehnsucht war. Denn einen andern zu retten, den er liebte, das hat ihm den Tod gebracht. Dieser Tod war schwer, aber er war auch ein Ausgleich und eine Sühne. Das hat er selbst empfunden, und in diesem Glauben und in der Hoffnung, daß seine Schuld getilgt sei, wie sein letztes Wort uns bezeugt, ist er gestorben.« Und nun sangen die Kinder wieder:

 
»Valet will ich dir geben,
Du arge falsche Welt,
Dein sündlich böses Leben
Durchaus mir nicht gefällt;
Im Himmel ist gut wohnen,
Hinauf steht mein Begier,
Da wird Gott ewig lohnen
Dem, der ihm dient allhier.«
 

Alle waren bewegt und befriedigt, sogar Kaulbars. Als er aber schließlich auf seinem Vorwerk ankam und von seiner Frau gefragt wurde, wie‘s denn eigentlich gewesen sei, kam doch etwas vom alten Adam wieder aus ihm heraus, und so mußt er denn wieder nörgeln, wie‘s nun mal seine Natur war. »Ja, Rose, wie soll es gewesen sein«, hob er an, »es war ja soweit alles ganz gut. Aber als der alte Herr von Bredow begraben wurde, war nicht halb soviel los. Sie haben immer zuviel von ihm gemacht, und eigentlich war es, wie wenn ein Prinz begraben würde. Und Obadja, denk ich, wird nu woll auch noch Landestrauer ausschreiben. Was zuviel is, is zuviel … Und Miss Ruth, na, die weinte, daß es ein Jammer war, und die alte Pollacksche schrie, als ob sie der Bock stieße. Und der verrückte Franzose, den hättst du sehen sollen. Der stand da, geradeso, als ob er lebendig mit eingemauert werden sollte. Und wenn sie ihn mal kriegen, na, denn kann so was auch immer noch kommen.«

Um dieselbe Nachmittagsstunde aber, wo Kaulbars diese Betrachtungen seiner Frau gegenüber anstellte, saß Obadja an seinem Arbeitstisch und schloß einen längeren Brief mit der geschnörkelten Aufschrift: An den Kirchen- und Gemeindevorstand zu Wolfshau bei Krummhübel in Schlesien (Prussia).

Der Brief selbst aber lautete:

»Dem verehrlichen Kirchen- und Gemeindevorstande zu Wolfshau (Krummhübel) habe ich in nachstehendem die Pflicht, das Hinscheiden ihres Ortsangehörigen Lehnert Menz bekanntzugeben. Er starb hier am 1. Juni d. J. und wurde den 4. in unserer Familiengruft zu seiner letzten Ruhe bestattet. Über sein Vorleben und seine Schuld war ich durch ihn selbst unterrichtet, aber ebenso war ich, von dem Tage seines Eintritts in unser Haus an, auch ein Zeuge seiner Reue. Seine Tüchtigkeit bei der Arbeit, seine kleinen gesellschaftlichen Gaben, seine Demut und Bescheidenheit (wohl erst durch den Gang seines Lehens erworben), vor allem aber seine gute Sitte, machten ihn zum Liebling unseres Hauses, und es war beschlossen, ihn, noch im Laufe dieses Sommers, meiner Familie näher zu verbinden: die Hand meiner Tochter Ruth, die er durch seinen Mut und seine Geistesgegenwart gerettet hatte, war ihm zugesprochen. Alles ließ eine glückliche Zukunft erwarten. Als er mir aber auch den auf einem Jagdausfluge begriffenen und in eine gefährliche Lage geratenen Sohn erhalten wollte, war es ihm, nach Gottes unerforschlichem Ratschluß, vorherbestimmt, diese neue Liebestat mit seinem Leben zu bezahlen. Im eifrigen Suchen nach dem, den er in unserem Gebirge verirrt glaubte, glitt er einen steilen Bergkegel, den wir den Look-out nennen, herab und verletzte sich dabei derart (der Hüftknochen sprang aus dem Gelenk), daß er unfähig war, sich von der Unglücksstelle fortzubewegen, geschweige denn seinen Rückweg nach unserem Dorfe hin zu finden. Und in Einsamkeit ist er dort oben gestorben, nicht ohne daß sich zu seinem körperlichen Schmerz auch noch der Schmerz des Gewissens gesellt hätte, wie seine letzten Worte mit aller Bestimmtheit bezeugen. Wir fanden ihn den zweiten Tag, hoch auf dem Kamm des Gebirges, tot, mit einem in die Brusttasche gesteckten Zettel, auf den er, nachdem er sich eigens die Hand mit seinem Messer geritzt, all das mit Blut niedergeschrieben, was ihm in seiner letzten schweren Stunde das Herz bewegt hatte. Das Holzstäbchen, das ihm dabei gedient, hielt er noch in seiner Rechten. Die niedergeschriebenen Worte aber lauten: ›Vater unser, der du bist im Himmel … Und vergib uns unsere Schuld … Und du, Sohn und Heiland, der du für uns gestorben bist, tritt ein für mich und rette mich … Und vergib uns unsere Schuld … Ich hoffe: quitt.‹ Mir aber, der ich, neben der Meldung vom Tode des Lehnert Menz, auch diese seine letzten Worte zu Ihrer Kenntnis zu bringen; hatte, sei es gestattet, hinzuzufügen, daß ich der Überzeugung lebe, seine Buße habe seine Schuld gesühnt: ›Hoffnung läßt nicht zuschanden werden.‹

Eines verehrlichen Kirchen- und Gemeinde Vorstandes zu Wolfshau (Krummhübel) ganz ergebenster Obadja Hornbostel, Prediger und Vorstand der Mennonitengemeinde zu Nogat-Ehre, Indian-Territory. U. St.«

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
320 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain