Kitabı oku: «Quitt», sayfa 18
Einunddreissigstes Kapitel
»Gedulde dich! Ich werde dir Antwort sagen.« Hundertmal wiederholte sich‘s Lehnert, und als Obadja am andern Morgen die Andacht gehalten und wie herkömmlich ein Bibelkapitel gelesen hatte, hoffte Lehnert, daß nun das Wort, das über sein Leben entscheiden sollte, gesprochen werden würde. Aber das Wort blieb aus, und er verzehrte sich tagelang darüber, daß es ausblieb. Er wurde wie krank im Gemüt und mied es nach Möglichkeit, mit Ruth und mehr noch mit Obadja zusammenzutreffen. Als aber, ohne daß ein Wort laut geworden wäre, das neue Jahr angebrochen war, war er entschlossen, mit dem Elend ein Ende zu machen und sich wieder in sein altes Leben zurückzufinden.
Das war ihm nun freilich einfach unmöglich gewesen, wenn die Haltung Obadjas irgend etwas gezeigt hätte, was auf Mißstimmung oder gar auf Übelwollen und Ablehnung hätte gedeutet werden können. Aber eher das Gegenteil war der Fall. Keine Begegnung verging, ohne daß Lehnert wenigstens einen freundlichen Blick erhascht hätte, was noch wuchs, als Obadja sich überzeugte, daß in der Tat keine Heimlichkeiten zwischen den jungen Leuten existierten und Ruth ohne jede Ahnung von dem Schritte war, den Lehnert getan hatte. So kehrte denn ein gewisser Zustand der Ruhe, wenigstens äußerlich, zurück, und Lehnert, wenn er jetzt, was nur zu oft geschah, seines Weihnachtszwiegespräches mit Obadja gedachte, verzichtete darauf, diesem Zwiegespräch nur das zu entnehmen, was ihm paßte, sondern erinnerte sich daran, daß der Alte hinzugesetzt hatte: »Es ist Rahel um die du wirbst.« Das war, das sah er jetzt ein, mit gutem Bedacht gesagt worden, und jedenfalls zu dem Zweck, ihn wissen zu lassen, daß es einer langen Probezeit bedürfe.
Ja, der frühere Zustand der Ruhe kehrte zurück, und als der Winter auf die Neige ging und der Frühling anbrach, wurden die Feldarbeiten, sowohl von Nogat-Ehre wie vom Vorwerk aus, wohin Kaulbars und Frau zurückgekehrt waren, im ganzen Umfange wiederaufgenommen. Überall gab es ein Pflügen und Säen, und Lehnert, bei Beaufsichtigung der Arbeit, war oft bis halben Weges nach Darlington oder auch, nach der andern Seite hin, bis an den Abhang der Berge hin in Tätigkeit. Auch Toby war mit Uncas viel draußen, um auf Hühner zu jagen, welche Form der Jagd der Alte, trotz prinzipieller Bedenken, gelten ließ, ja geradezu begünstigte, da zu seinen kleinen Schwächen, ganz nach Patriarchen- und Kirchenfürstenart, auch die gehörte, den Freuden der Tafel nicht abgestorben und speziell in bezug auf Bekassinen ein Feinschmecker zu sein.
Eine dieser Jagden auf Hühner hatte sich an einem schönen Märztage bis an eine fast schon zu Füßen von Fort O‘Brien gelegene Sumpfstrecke gezogen, und Toby, gegen Abend mit reicher Ausbeute heimkehrend, zeigte sich entzückt von dem landschaftlichen Anblick, den er kurz vor Beendigung seines Jagdausfluges von dem Wallgange des halbverfallenen Forts aus gehabt habe; der ganze Hügelabhang habe ihm den Anblick eines großen Blumengartens gewährt, viel, viel schöner als irgend etwas der Art, was er je gesehen habe, denn in beinahe felderartigen Streifen sei die ganze Schrägung mit Frühlingsblumen überdeckt gewesen, mit Krokus und Konvallarien, mit Narzissen und Anemonen. Ruth, anfänglich ungläubig, war endlich doch von seiner Begeisterung mit hingerissen worden und hatte bei dem abschließenden Vorschlage, tags darauf eine Partie hinaus machen und auf der von Palisaden umstellten Bastion ein Picknick abhalten zu wollen, Maruschka wie selig am Arm genommen und war mit ihr durch die Stube getanzt. Zugleich aber hatte sie sich vorsorglich erboten, den Vater nicht bloß zur Zustimmung, sondern selbst zur Teilnahme bewegen zu wollen, was ihr, wie sie wohl wußte, nicht schwer werden konnte, da sie seine Pläne kannte, Pläne, die sich seit langem damit beschäftigten, das Fort von der Regierung in Kauf zu nehmen und nach erfolgtem Ausbau zum Mittelpunkt eines neuen Vorwerks zu machen. Ein solcher Ausflug aber, so rechnete sie, würd ihm erwünschte Gelegenheit bieten, die ganze Sache mit unbefangenem Auge nochmals zu prüfen.
Und siehe da, Ruth hatte sich nicht verrechnet. Obadja war auf alles mit bemerkenswerter Freudigkeit eingegangen, nur immer das eine zur Bedingung stellend, daß beide Kaulbarse mit aufgefordert werden müßten, außerdem auch Bruder Krähbiel, welcher letztere seit zwei Tagen in Nogat-Ehre war, um die nach Gunpowder-Faces Tode noch immer in der Schwebe verbliebene Häuptlingserbfolgefrage endlich zum Abschluß zu bringen. Selbstverständlich hatte niemand Lust bezeigt, am wenigstem aber Ruth und Maruschka, das Vergnügen einer Landpartie mit Picknick an dieser ihnen ziemlich gleichgültig erscheinenden Kaulbars- oder Krähbiel-Frage scheitern zu sehen, und so war denn alles bewilligt und zwei Uhr als beste Stunde für den Ausflug nach Fort O‘Brien festgesetzt worden.
In zwei Wagen fuhr man rechtzeitig hinaus und fand die noch am Abend vorher benachrichtigten Kaulbarse bereits am Eingang in die Bergschlucht vor, an einer geschützten Stelle, von der aus eine links einbiegende Steintreppe fast unmittelbar bis nach Fort O‘Brien hinaufführte. Man begrüßte sich ziemlich herzlich, denn selbst Nogat-Ehre kannte die Kunst der Verstellung, und als man, oben angelangt, an ein Auspacken der seitens der Kaulbarse mitgebrachten und aus Artigkeit gleich in erster Reihe mit hinaufgenommenen Körbe ging, überzeugte man sich, daß das Vorwerk den Hauptsitz um ein bedeutendes überflügelt habe. Topf- und Blechkuchen, Mohnstriezel und Marmeladentöpfe stiegen in solchen Mengen aus der Tiefe der beiden Körbe herauf, als ob es sich um eine Verproviantierung von Fort O‘Brien oder doch mindestens um einen unverlöschlichen Eindruck auf Maruschka gehandelt hätte. Diese wurde denn auch nicht müde, der guten Frau Kaulbars ihre Bewunderung auszudrücken und sie ein Mal über das andere als »my dear Mistress Kaulbars« anzusprechen.
»Aber nun ein Feuer«, sagte Toby. »Wir können nicht die Verwegenheit haben, uns trocken durch diesen Kuchenberg hindurchessen m wollen; daran würde selbst Maruschka scheitern. Also Kaffee, viel Kaffee, sonst sind wir verloren, und hier unter dieser Ahornplatane, die nicht bloß Schatten gibt, sondern auch warm und behaglich unterm Winde liegt, hier wollen wir das Feuer machen. Ich denke, wir holen uns alte Bretter aus dem Fort, das Jungholz hierherum ist noch zu naß, und wenn wir keine Bretter finden, nun, so brechen wir einen Pfahl heraus, sind ihrer ja die Menge vorhanden, und auf Vernichtung von Staatseigentum werden wir wohl nicht verklagt werden. Vater ist ja Obrigkeit und hat es in der Hand, gegen uns vorzugehen oder es niederzuschlagen.«
Und so sprechend, trat er an die mit spitzen Pfählen dicht umstellte Brüstung des alten Wallganges heran und versuchte mit aller Anstrengung, eine der Palisaden herauszuwuchten; aber Bretter und dürres Holz aus den hier und da noch halbwegs geschützten Räumen des Forts waren rascher zur Hand, und ehe man noch die Nogat-Ehrener Picknickkörbe von den nach wie vor unten am Eingange der Schlucht haltenden Wagen treppauf geschafft hatte, brannte auch schon das Feuer, und drumherum standen ein paar umgestülpte Körbe, die nun als Sitz und Ehrenplätze für Obadja und Maruschka dienten, während Krähbiel und Kaulbars und bald auch Lehnert und L‘Hermite sich ihrerseits begnügten, etliche Steine heranzutragen und diese mit Plaids und Tüchern zu überdecken. Das war die Hauptgruppe. Mistress Kaulbars aber, unter beständigem Hin und Her die Wirtin machend, kam wie gewöhnlich auch heute nicht zur Ruhe – noch weniger freilich die Geschwister, die voll Jubel den Palisadenzaun hinabkletterten, um sich in den den Abhang überdeckenden Blumenfeldern zu vergnügen, von denen Ruth jetzt zugestehen mußte, daß sie noch viel, viel schöner seien, als Toby sie geschildert habe. Dabei bückten sie sich, um Sträuße zu pflücken, und erst als man sie zurückrief, stiegen sie den Abhang wieder hinauf und liefen nun auf Maruschka zu, der sie den ganzen Vorrat ihrer Blumen in den Schoß warfen.
»Vierge aux fleurs«, sagte L‘Hermite, was Krähbiel, der darin eine katholische Huldigung vermutete, mit sauersüßem Lächeln begleitete.
Maruschka selbst aber war glücklich wie ein Kind, und in ihrem Übermut ihrem ihr gegenübersitzenden Freunde L‘Hermite ein ganzes Narzissenbündel zuwerfend, verlor sie stolpernd das Gleichgewicht und verschüttete den Kaffee, den Mistress Kaulbars ihr eben erst in einer dicken Fayencetasse präsentiert hatte.
»Tut nichts«, tröstete diese. »Bringe gleich eine andere. Ja, liebe Maruschka, wenn es nicht Sünde wäre, müßte man‘s immer so machen, und mit Absicht. Eigentlich schmeckt ja nur der erste Schluck, und auch nur, wenn er heiß ist, und außer dem alten Rüthnick in Schwante hab ich keinen Menschen gekannt, der für ›kalten‹ gewesen wäre. Gott, wenn ich daran denke! Die Leute sagten immer, ›er wolle noch schöner werden‹, und brauchen könnt er‘s. Denn all mein Lebtag hab ich solchen Flunsch und solche Lippe nich wiedergesehen wie Rüthnicken seine. War aber sonst eine Seele von Mann.«
Obadja lachte herzlich, und Ruth und Toby stimmten mit ein, und nur L‘Hermite, der sonst ein feines Ahnungsvermögen für derlei Dinge hatte, konnte diesmal nicht mit und fragte: »Qu‘est-ce que ça: flounch?« Aber ehe Lehnert ihm antworten konnte, nahm er wahr, daß Ruth noch keinen Platz habe, weshalb er sich in der ihm eigenen Artigkeit rasch erhob, um ihr den seinigen als den vergleichsweise besten anzubieten, »weil vis-à-vis de Maruschka«.
Ruth dankte, nahm aber das Opfer nicht an und erklärte, für sich selber sorgen zu wollen. Dabei trat sie dicht an eine Palisade heran, dieselbe, daran Tobys Kräfte sich schon vorher versucht hatten, und mühte sich zunächst, einen ziemlich großen Stein loszumachen, der dicht neben dem Palisadenpfahl eingebettet lag. Ihre kleinen Hände waren aber zu schwach, und so sprang denn Lehnert herzu, um ihr bei dem Lockern des Steins nach Möglichkeit behilflich zu sein. Und es gelang auch. Aber freilich im selben Augenblicke, wo der Stein sich löste, fuhr eine Kreuzotter darunter hervor und biß Ruth in das Handgelenk, dicht neben der großen Ader, und war dann im Nu die Palisade hinab und in dem Blumengewirr verschwunden.
Mit einem Schrei sank Ruth in die Knie und sagte, während sie die Hände faltete, mit unaussprechlich trauriger Stimme: »Nun muß ich sterben.«
Aber kaum daß sie diese Worte gesprochen hatte, so warf sich Lehnert neben sie nieder, ergriff ihre Hand und sog mit einer leidenschaftlichen Gewalt, und ehe sie‘s hindern konnte, das Gift aus der Wunde.
Das Ganze war wie ein Blitz; Tod und Rettung nur ein Augenblick.
Ruth aber verblieb in ihrer knienden Stellung und sagte: »Nun stirbst du.«
»Nein Ruth, nein! Und wenn … Was liegt daran? Was liegt an mir?«
Zweiunddreissigstes Kapitel
Lehnert wurde tags darauf von einem heftigen Fieber befallen, und alle fürchteten für sein Leben. Ruth und Maruschka waren in Tränen, und L‘Hermite, der den regelrechten Ärzten mißtraute, sacrete durch das Haus hin und hielt Reden, selbst zu Totto, über den zu frühen Tod seines Freundes Gunpowder-Face, des einzigen, der noch, nach Indianerweise, den Mut gehabt habe, jedes Fieber durch Hineinschieben in einen Backofen zu heilen, und überhaupt der beste Doktor in den ganzen United States gewesen sei. Jeder klagte, selbst Martin Kaulbars, der freilich seiner glücklichen Beanlagung nach nicht umhin konnte, seiner Klage zugleich etwas von einer Anklage beizumischen. »Das Gift auslutschen sei der reine Unsinn und sollte bloß so was sein; ausbrennen, das sei das richtige, das wisse jedes Kind, und wenn man einen alten Nagel in das Kaffeefeuer oder auch bloß in die noch glimmenden Kohlen gelegt hätte, so wäre das für Miss Ruth das beste gewesen und für den guten Schlesier auch. Nu werd er wohl dran glauben müssen. Und ob Miss Ruth durchkäme, das wäre auch noch soso. Aber das käme davon, wenn man von nichts wisse und in allem zurück sei.«
Zum Glück kam es anders, und alle Herzensnot Ruths und alle Neunmalweisheit Martin Kaulbars‘ erwiesen sich als ungerechtfertigt. Das Fieber, das Lehnert heimgesucht hatte, hatte mit dem Gift nichts zu schaffen und war einfach eine Folge großer Aufregung und hinzugetretener Erkältung gewesen, so daß am dritten Tage schon der aus der Nachbarschaft von Fort MacCulloch herbeigerufene Doktor Morrison die Versicherung einer vollständigen Genesung geben und selbstverständlich an dem Fest- und Freudenmahl, das Obadja denselben Abend noch veranstaltete, teilnehmen konnte.
Lehnert war sehr glücklich und empfing als nun alle Sorgen abgetan waren, noch einmal die Danksagung der Familie. Sein Glück wuchs aber noch, als am andern Morgen Obadja das Gebet sprach, worin es mit besonderer Betonung hieß, daß die Liebe der einzige Lohn für treues Dienen sei. Und gleich danach nahm der Alte die Bibel und las: »Und Jakob gewann die Rahel lieb und sprach: Ich will dir sieben Jahre um Rahel dienen. Und Laban antwortete: Es ist besser, ich gebe sie dir denn einem andern. Also diente Jakob um Rahel sieben Jahr, und deuchten ihn, als wären es einzelne Tage, so lieb hatte er sie.«
Ruth errötete. Denn ohne daß ein Wort zwischen ihr und Obadja gesprochen worden war, wußte sie doch nur zu wohl, daß der Vater in ihrem Herzen gelesen hatte.
Oben umarmte sie Maruschka, und die gute Alte sagte: »Nun wird alles gut, du stirbst nicht, und er stirbt nicht. Doktor Morrison hat mir alles gesagt, und ich hab es ihn auch noch schwören lassen, was doch immer sicherer und besser ist als euer bloßes Ja und Nein. Schwören ist doch noch was Besonderes und macht alles erst Fest. Und nun werdet ihr glücklich sein. Ich habe mir unten im Garten schon eine Myrte gezogen, und wenn Toby das Getreide nach Galveston bringt, muß er mir auch ein Kleid mitbringen, ein rotseidnes. Ich habe darauf gespart, solange du lebst.«
Ja, Lehnert war glücklich, und nur eines war, was ihm fehlte: sich über sein Glück aussprechen können. Er fühlte, so widerstrebend er sich dies auch eingestand, noch kein rechtes Recht dazu, denn das Wort, das ihm Obadja verheißen hatte, war noch immer ungesprochen geblieben, und so hielt er es denn einfach für seine Pflicht, in Zurückhaltung und Schweigen zu verharren.
Vielleicht, daß er trotz dieses starken Gefühls von dem, was sich vorläufig einzig und allein für ihn zieme, sein Schweigen dennoch durchbrochen hätte, wenn ihm L‘Hermite, sein treuer Gefährte, mit etwas mehr Neugier entgegengekommen wäre. Dieser vermied es aber offenbar, irgendeine Frage zu tun, ja zeigte sich, wenn nicht alles täuschte, geradezu sorglich beflissen, einem solchen Gespräch aus dem Wege zu gehen. Lehnert zerbrach sich den Kopf darüber, und zu der Pein des Schweigenmüssens gesellte sich alsbald auch noch die Frage, warum L‘Hermite seinerseits jede Frage vermeide. Von Neid oder Eifersüchtelei konnte keine Rede sein, das lag nicht in L‘Hermites Charakter oder war etwas längst Überwundenes, und wenn dieser, wie ganz augenscheinlich, der Liebe seines Freundes zu Ruth trotzdem nicht froh wurde, so mußte was anderes vorliegen, was ihn zu diesem Gefühl und einer daraus erwachsenden ablehnenden Haltung bestimmte. Das Unbehagen, das Lehnert über diese Wahrnehmung empfand, war so groß, daß er schließlich, allen entgegenstehenden Selbstgelöbnissen zum Trotz, doch den Entschluß faßte, sich bei nächster Gelegenheit Gewißheit darüber zu verschaffen.
Diese Gelegenheit bot sich denn auch bald. Es war ein Musikabend gewesen, und Ruth hatte Lehnerts und auch L‘Hermites Wunsch nachgegeben und ganz zum Schlusse noch einmal das Friedenslied vorgetragen, das sie, während der Septemberfesttage, so schön und für Lehnert so entscheidungsvoll gesungen hatte. Dieser war denn auch, ähnlich wie damals, von den Liebesworten und mehr noch von Ruths Stimme ergriffen worden und hatte Tränen im Auge, als das Lied schwieg. Auch L‘Hermite war bewegt, und beide, wie wenn sie gewillt gewesen wären, sich den eben gehabten Eindruck durch Maruschka nicht stören zu lassen, brachen früher als gewöhnlich auf und gingen in ihren Korridor hinüber. Einen Augenblick schwankten sie hier, wohin sich wenden, aber L‘Hermites Zimmer, überhaupt das bevorzugtere, ward auch heute gewählt, und nach rechts hin eintretend, nahmen beide Platz, Lehnert auf einem Schaukelstuhl, L‘Hermite, wie gewöhnlich mit untergeschlagenen Beinen, auf seinem Arbeitstisch, den Schraubstock neben sich.
»Eh bien«, sagte L‘Hermite, während er eine kleine Eisenstange aus dem Schraubstock herauszog und damit zu spielen begann, »eh bien, Lehnert. was gibt‘s? Ich glaube, Ihr wollt mir etwas sagen.«
»Ja, seit lange schon.«
»Nun denn.«
»Ich liebe Ruth.«
L‘Hermite lächelte. »Wer nicht?«
»Ah, ich versteh … Ihr findet es anmaßlich« (L‘Hermite schüttelte den Kopf) »oder vielleicht ein Unrecht.«
»Ni l‘un ni l‘autre.«
»Oder Ihr meint, sie liebe mich nicht?«
»Au contraire.«
»Nun, was dann?«
»Mon cher Lehnert«, und L‘Hermite setzte sich in eine Art Positur, »Ihr kennt meinen Katechismus und wißt, daß der Pfaffengott nicht darin vorkommt.«
Lehnert nickte.
»Gut denn, es gibt also keinen Gott, wenigstens nicht für mich. Aber, mon cher ami, es gibt ein Fatum. Und weil es ein Fatum gibt, geht alles seinen Gang, dunkel und rätselvoll, und nur mitunter blitzt ein Licht auf und läßt uns gerade so viel sehen, um dem Ewigen und Rätselhaften, oder wie sonst Ihr‘s nennen wollt, seine Launen und Gesetze abzulauschen.«
»Nun?«
»Und ein solches Gesetz ist es auch: wenn man erst mal heraus ist, kommt man nicht wieder hinein. Und da hilft kein Hoherpriester und kein Prophet, und wenn es Obadja selber wäre, gleichviel ob der alte oder der neue. Das Fatum ist eben stärker, und es ist das beste, cher Lehnert, Ihr lebt Euch mit diesem Gedanken ein. Ich hab es getan. Und wenn Euch das auch glückt, so werdet Ihr wenigstens eines davon haben, dasselbe, was ich davon gehabt habe: das Glück der Einsamkeit. Ihr steht dann von Stund an über dieser armen Komödie, die Welt und Leben heißt.«
Lehnert starrte ihn an.
L‘Hermite aber, dessen Bewegungen immer nervöser wurden, fuhr fort: »Gebt Ruth auf. Ihr kriegt sie nicht. Und wenn morgen die Hochzeit sein soll und die gute Frau Kaulbars so viel Kringel und Krausgebackenes bäckt, daß der Fettgeruch bis zu Krähbiel und den Arapahos hinüberzieht und unserem Freunde Gunpowder-Face, der dergleichen liebte, noch in seinem Grab umkitzelt – ich sag Euch, Lehnert, Ihr kriegt sie doch nicht, Ihr fallt tot vorm Altar nieder. Und wenn nicht Ihr, so Ruth. Glaubt mir, es soll nicht sein. Es ist da so was Merkwürdiges in der Weltordnung, und Leute wie wir – Pardon, ich sage mit Vorbedacht wie wir —, die nimmt das Schicksal, der große Jaggernaut, unter die Räder seines Wagens und zermalmt sie, wenn sie glücklicher sein wollen, als sie noch dürfen.«
Dreiunddreissigstes Kapitel
Lehnert, als er nach diesen Worten in sein Zimmer zurückkehrte, war wie vom Blitz getroffen, doppelt, weil er sich, wenn auch mit Widerstreben, gestand, aus dem Munde L‘Hermites nur das gehört zu haben, was ihm eine innere Stimme selber schon zugerufen hatte. Was unheimlich seinen Freund umschlich, umschlich auch ihn, immer wieder war es da. Warum war er so miterschüttert gewesen, als er mit dem Kreuz auf der Brust in jener Sommernacht bei L‘Hermite ins Fenster gesehen, und warum lag da wer am Weg, als er, am Tage danach, von Fort O‘-Brien aus zum ersten Mal ins Gebirge hinaufritt? Sinnestäuschung? Nein. Gewissen. Es half nicht Reue, nicht Beichte; was geschehen war, war geschehen, und im selben Augenblicke, wo nur noch ein Schritt, ein einziger, ihn von seinem Glücke zu trennen schien, sah er, daß dieser Schritt ein Abgrund war.
Er konnte keine Ruhe finden und zermarterte sein Gehirn mit dem, was kommen müsse. So verging ihm die Nacht, und erst gegen Morgen schlief er ein.
Nicht lang. Aber so kurz der Schlaf gewesen war, doch war es, als wären ihm Kraft und Mut zu gutem Teile zurückgekehrt, und als er das Fenster aufstieß und Frühlingsluft und Morgensonne hereindrangen, lösten sich die Vorstellungen, die sich während der Nacht, als wären es Gespenster, seiner Seele bemächtigt hatten, wie die Nebel auf, die drüben am Gebirge hinzogen. Eine Schuld lag auf ihm; aber hieß es nicht in dem Gebet, das Christus selbst uns gelehrt, »und vergib uns unsere Schuld«? Und wenn Christus so gelehrt und geboten hatte, so mußte doch auch eine Möglichkeit der Erhörung sein und bei rechter Demut und Zerknirschung auch wohl eine Gewißheit. So sann er weiter, und als er sich‘s zurechtgelegt und bei der Morgenandacht das Auge des Alten so fest und freundlich wie nur je zuvor auf sich ruhen gefühlt hatte, war alles, womit L‘Hermite ihn – und was schwerer war, er sich selber – geängstigt hatte, besiegt und verschwunden.
L‘Hermite, der wohl sah, was in der Seele seines Freundes vorging, vermied es, auf seine düstere Prophezeiung zurückzukommen, ja schlug umgekehrt einen halb heiteren Ton an, der darauf aus war, die Wirkung seiner Worte wieder abzuschwächen. Ob die Welt eine Welt der Wunder sei, das müsse schließlich dahingestellt bleiben, aber daß die Welt eine Welt der Überraschungen sei, das sei nur zu gewiß. Mit aller Berechnung sei nicht viel getan. Es gäbe Regeln, freilich, aber der Ausnahmen seien so viele, daß es sich, ganz wie beim Unterricht im Englischen (und er spreche da aus eigener trauriger Erfahrung), eigentlich nicht recht verlohne, die Regeln zu lernen. Und was nun speziell die guten Schicksalsgöttinnen anginge, so hätten sie Launen wie alle Weiber, und die alten erst recht.
Und dabei bot er Lehnert eine Zigarette.
Der wußte wohl, daß das alles nur so hingesprochen war, um ihn zu beruhigen, aber sosehr er dies durchschaute, so trug es trotzdem nicht wenig dazu bei, seine Hoffnungen neu zu beleben.
Auch Obadjas wachsend freundliche Gesinnung gab ihm viel von seiner alten Freudigkeit und Frische zurück, was aber dies Gefühl der Frische vielleicht am meisten belebte, das war, daß sich Tobys in letzter Zeit eine wahre Jagdpassion bemächtigt hatte, zu deren Befriedigung, wie sich denken läßt, niemand geeigneter erschien als Lehnert, der die Tugenden eines guten Schützen mit denen eines erfahrenen Bergsteigers in sich vereinigte. Dies letztere war die Hauptsache. Denn von einem bequemen Absuchen, wie früher, an den niedriggelegenen Sümpfen und Teichen hin, war schon lange keine Rede mehr, vielmehr ging es, bei jeder sich bietenden Gelegenheit, hoch ins Gebirge hinein, und Weihen und Bussarde wegschießen oder auch wohl einen Bartgeier beschleichen, das war jetzt das Jagdvergnügen, nach dem Toby dürstete.
Der Alte mißbilligte das alles und würde dagegen eingeschritten sein, wenn er nicht Tobys Charakter gekannt hätte, der alles mit Feuereifer angriff, aber nur, um es, nach kurzer Zeit schon, wieder fallenzulassen. Hierin fand er seine Beruhigung und ließ es gehen und war zufrieden, wenn Lehnert, was freilich bei den sich mehrenden Feldarbeiten immer seltener geschah, den wenigstens zunächst noch in seiner Jagdpassion beharrenden Toby auf seinen Ausflügen begleitete.
So war Ende Mai gekommen, und Toby verlangte danach, einen Steinadler zu schießen, der (er wußte genau die Stelle, wo) hoch im Gebirge nistete. Dann aber wollt er zu dem Neste hinaufklettern und die zwei Jungen ausnehmen und großziehen, um sie den Zoological Gardens in Galveston zum Geschenk zu machen. Bei seiner letzten Anwesenheit daselbst war er nämlich eitel und unvorsichtig genug gewesen, dem Vorstande des Gartens ein solches Versprechen zu machen, und hielt nun die Durchführung für Ehrensache, worin er sich sogar von seiten Ruths bestärkt sah.
Und nun war es zwei Tage vor Sonntag Exaudi, den letzten Tag im Monat, daß sich Toby zu diesem Fange rüstete. Lehnert, der aufs Feld mußte, konnte nicht mit, weshalb – wie schon bei früheren Gelegenheiten – ein junger Arapahoindianer für ihn eintrat, ein Schwestersohn von Gunpowder-Face, der, erst bei Krähbiel und dann in der Missionsschule zu Halstead erzogen, seit seiner Rückkehr von dort ein besonderer Liebling von seiten Ruths und Tobys war. Er hieß Shortarm, weil er, infolge eines Armbruchs, einen etwas zu kurzen Arm hatte.
Beide, Toby und Shortarm, waren sehr früh, schon bald nach Mitternacht, aufgebrochen und hofften; mit Sonnenaufgang oben und spätestens um Mittag in Nogat-Ehre zurück zu sein. Aber die vierte Stunde war schon heran, ohne daß sich Toby gemeldet hätte. L‘Hermite, von Ruth und Maruschka, die sich zu ängstigen begannen, ins Vertrauen gezogen, ging in Lehnerts Zimmer hinüber, um von dort aus nach dem Gebirge hin Ausschau zu halten, aber, so klar der Tag war, auf der ganzen zwischengelegenen Strecke war zunächst für ihn niemand sichtbar, bis er nach einer Weile Lehnerts gewahr wurde, der auf dem vom Vorwerk nach Nogat-Ehre führenden Feldwege langsam herangeritten kam und zufällig nach dem Fenster seiner Wohnung hinaufsah. Die Sonne, die stark blendete, ließ den ruhig Herantrottenden anfänglich bei seinem Aufblick nicht viel erkennen, als er aber eine Weile danach den mit seinem Käppi winkenden L‘Hermite deutlich bemerkte, wurd er stutzig und setzte sich, während er seinem Pferde die Sporen gab, in einen rascheren Trab. Und nun war er heran und erfuhr von dem in der Flurhalle seiner bereits harrenden Freunde, daß man Tobys halber in Sorge sei. Sie sprachen noch, als auch Obadja hinzutrat und seiner Unruhe, der er bis dahin nicht hatte nachgeben wollen, einen allerlebhaftesten Ausdruck gab. Die Wanduhr schlug halb. Halb fünf. Auch Ruth und Maruschka waren die Treppe herabgekommen, und die gute Alte weinte heftig. Das käme davon, wenn man einer Kreatur die Brut wegnehmen wolle oder es doch litte. Dann würden einem selber die Jungen genommen. Und sie seien alle schuld, alle, sie selber, weil sie den Toby nicht besser erzogen, und am meisten Obadja, der der Herr sei und der Vater und der Priester. Und er werde wohl Hals und Beine gebrochen haben, der arme Toby, und sie sähe schon, wie man ihn hereinbringe. Gott sei Dank, daß seine Mutter nicht mehr lebe, für die wäre das der Tod gewesen. Und dann umarmte sie Ruth und setzte sich auf die unterste Treppenstufe, wo sie viele Paternoster vor sich hin sprach und die Perlen ihres Rosenkranzes unaufhörlich durch die Finger gleiten ließ. Sonst schwieg alles, und doch war es eine Szene voll immer wachsender Aufregung. Lehnert fuhr, überlegend, mit der Hand über die Stirn, L‘Hermite pfiff, und Obadja richtete sein Auge nach oben. Zwischen ihnen hin und her aber lief Uncas und winselte, und wenn er vor Lehnert stand, setzte er sich und sah ihn an und schien zu fragen. »Wo ist Toby?« Das kluge Tier wußte: der allein kann helfen; ihr anderen seid nichts.
In diesem Augenblicke tat Ruth einen Schrei; Shortarm war die Rampe heraufgekommen, atemlos, und auf Obadja zustürzend, warf er sich vor dem Alten aufs Knie und sagte: »Master Toby …«
»Is dead?«
»No, not dead; but he lost his way. We missed us. I couldn‘t find him.«
Und nun erzählte er mit zitternder Stimme, daß Toby, dicht neben einem Vorsprung, auf einige dort auf dem Grat zusammengewürfelte Steintrümmer hinaufgestiegen, aber nach einer halben Stunde und länger noch immer nicht zurückgekommen sei. Auch kein Hilferuf. Nichts. Da sei er selber hinaufgeklettert. Aber kein Toby da. Tot könn er nicht sein. Denn es sei nicht hoch gewesen und keine Gefahr. Aber er sei weg. Er müsse sich in den Felsen oder weiter unten im Walde verirrt haben.
Obadja rang nach Fassung. Seine Tage waren gezählt. Wenn das der Ausgang war, daß ihm Gott den Jungen nahm, den Erben, für den er gelebt hatte …
Und sonst so ruhig und überlegen, war er jetzt wie ratlos und schritt auf und ab. »Ich will beten«, sprach er vor sich hin. »Aber Gebete … Gott will nicht bloß Gebete … Wir sollen auch tun, mittun. So will es Gott. Dann hilft er … Lehnert… Dear … Alles, alles.«
Und dabei nahm er Lehnerts Hand.
Und über Lehnerts Züge flog es wie ein Glanz von Glück, und er fühlte deutlich, der Tag, der über ihn entscheiden müsse, sei nun gekommen. Er ging auf Shortarm zu, riß ihm Gewehr und Jagdtasche von der Schulter und sagte: »Komm, Uncas!«
Und vor Freude heulend, sprang das scheue Tier in die Höh und folgte dem voranschreitenden Lehnert.
L‘Hermite sah dem Freunde nach. »Ça ira … Wird es? Non.«