Kitabı oku: «Quitt», sayfa 5
Neuntes Kapitel
Am andern Tage hatte sich Lehnert von dem, was er gehört, insoweit erholt, daß er die Kraft aufbrachte, sich‘s ruhiger zurechtzulegen. »Er traut mir nicht. Soll ich ihm böse darüber sein? Trau ich ihm? Was dem einen recht ist, ist dem andern billig. Es ist gut, daß ich nun weiß, wie‘s mit ihm steht und was ich von ihm zu gewärtigen habe. Wenn ich ihm so weiter geglaubt hätte, so wär ich vielleicht unvorsichtig geworden, und das tut nie gut, am wenigsten einem Opitz gegenüber … Ich will nicht wieder anfangen, nein, er soll anfangen. Dann bin ich ohne Schuld.« So sprach er noch weiter vor sich hin, ohne jede leiseste Vorahnung, daß derselbe Tag noch den alten Streit wieder anfachen sollte. Nur schärfer und bitterer als je zuvor.
Es war ein heißer Tag, und die Steine, die durch die Lomnitz hin zerstreut lagen und bei niedrigem Wasserstand einen Übergang von einem Ufer zum andern bildeten, blitzten in der Sonne; drüben das Heidekraut auf der Opitzschen Seite schimmerte rot, und von dem Lupinenfeld, das sich, freilich als schmaler Strich nur, durch das Heidekraut hinzog, zog ein süßer Duft nach dem Inselchen herüber. Der Himmel stand in einem wolkenlosen Blau. Lehnert, der sich, der großen Hitze halber, von dem Vorplatz am Schuppen unter den Schuppen selbst zurückgezogen hatte, sah einen Augenblick von seiner Arbeit auf und wurde dabei mehrere Taubenschwärme gewahr, deren einer eben über die Tannen am Waldsaum hinschwebte. Plötzlich aber, während er noch so hinaufsah, vernahm er, durch die Mittagsstille hin, einen Hundeblaff und gleich danach einen durchdringenden Hahnenschrei, der, weitab davon, sicher und siegesfroh wie sonst wohl die Seinen zuhauf zu rufen, umgekehrt etwas von einem Angst- und Todesschrei hatte. Lehnert ahnte, was es war, sprang auf die Deichsel und Vorderachse des gerade vor ihm stehenden Arbeitswagens und sah von dieser Hochstellung aus, was drüben passierte. Diana hatte den Hahn an seinem Silberkragen gepackt und schüttelte ihn. Und nun ließ der Hund wieder ab, und die plötzliche Lautlosigkeit verriet nur zu deutlich, daß das schöne Tier, das er gepackt und geschüttelt, tot war. Das gab Lehnert einen Stich ins Herz, denn neben dem prächtigen gelben Rosenstrauch an Haus und Dach war der Silberhahn so ziemlich das einzige, woran er hing; alles andere war in Rückgang und Verfall. Er ballte die Faust und drohte nach drüben hin, aber er bezwang sich wieder und richtete seinen Zorn und Unmut, einen Augenblick wenigstens, statt gegen Opitz gegen die eigene Mutter.
»Die ist schuld; es mußte so kommen. Hab ich doch den da drüben wohl ein dutzendmal sagen hören: ›Liebe Frau Menz, wenn Sie nicht nach dem Rechten sehen und das Hühnervolk immer über den Steg und die Steine bis in meinen Vorgarten lassen, ich stehe für nichts; Diana packt mal zu.‹ Nun hat Diana zugepackt, und wir sind unseren Hahn los und müssen noch still sein und vielleicht auch noch gute Worte geben wegen der Aurikeln und Levkojen oder was das arme schöne Tier sonst noch zerpflückt und zertreten hat … Aber so ist die Alte, sie will die paar Futterkörner sparen, und selbst ihre Hühner sollen drüben zu Gaste gehen. Es ist ein Elend, und bloß neugierig bin ich, was er nun machen und ob er sich entschuldigen und so was von Bedauern sagen wird.«
Und sieh, Lehnert war kaum wieder bei seiner Arbeit, so kam auch schon Christine zur Frau Menz in die Küche und bestellte von Förster Opitz: Es tat ihm leid, daß seine Diana den Hahn gewürgt hätte. Mehr könn er aber nicht sagen. Er habe der Frau Menz im voraus gesagt, daß es so kommen würde. Sein eigener Schade sei noch größer, und wenn er zusammenrechne, was die Menzschen Hühner ihm alles ruiniert hätten, so käme mehr heraus als der Hahn.
»Und will er denn den Hahn behalten?« wimmerte die Alte.
»Nein«, sagte Christine, »den Hahn sollt ich Euch bringen. Aber Frau Opitz sagte, ›der würd Euch doch nicht schmecken‹. Und hinterher hat sie mir heimlich gesagt, ich sollt Euch fragen, was Ihr dafür haben wolltet, und sie wollt es alles bezahlen und noch ein Reugeld dazu.«
Lehnert, als seine Mutter und Christine so sprachen, war von seinem Arbeitsschuppen herbeigekommen.
»Ich will den Hahn«, sagte er, »und nicht das Geld. Aber gegessen wird er nicht, Mutter. Ich begrab ihn und mach ihm einen Stein. Das schöne Tier! Meine einzige Freude! Nun ist er hin. Diese Diana, diese Bestie! Mir will sie auch immer nach den Beinen. Aber sie soll sich vorsehn, und ihr Herr auch.«
Und er ging wieder an seine Arbeit, während Christine bei der Alten blieb und ihr ohne weiteres das Geld gab, das die gute Frau Opitz für den erwürgten Hahn bewilligt hatte.
Lehnert verwand es schneller, als er selber gedacht haben mochte. Hätt er klarer in seinem Herzen lesen können, so würd er gefunden haben, daß er eigentlich froh war, seines Gegners Schuldsumme wachsen zu sehen. Je mehr und je rascher, desto rascher mußt auch die Abrechnung kommen, das war das Gefühl, das ihn mehr und mehr zu beherrschen begann. Bei Tisch sprach er nicht, und als er den Krug Bier, den ihm die Mutter aus dem Kretscham geholt, geleert hatte, ging er auf seine Kammer hinauf und schlief.
Als er wieder wach war, war er zunächst willens, doppelt fleißig zu sein und bei der Arbeit alles zu vergessen – nicht für immer, dafür war gesorgt, aber doch auf ein paar Stunden. Am Abend wollt er dann in den Querseiffner Kretscham gehn, wo heute Tanz war.
»Ich sitze jetzt zuviel an der Schnitzelbank und lebe … nun, wie leb ich? Ja, wie wenn ich nur noch Botenfrau war, Botenfrau für Opitz. Ich will es mir heute raustanzen aus dem Geblüt.«
Und damit ging er von seiner Kammer in die Küche, nahm da den Bunzlauer Topf, drin ihm die Alte den Nachmittagskaffee warm zu stellen pflegte, vom Herd und ging wieder auf seinen Schuppen zu. Die Hühner lagen hier in ihren Erdlöchern und sahen ihn wie fragend an.
»Ihr wollt mich wohl gar noch verantwortlich machen? Dummes Volk! Ich sag euch, er wäre nicht rübergegangen, er hielt auf sich und hätte sich seine paar Körner auch hier gesucht. Ihr seid schuld, ihr habt ihn verleitet, und er ist euch bloß gefolgt, um euch nicht im Stich zu lassen. Nun ist er weg, und ihr habt das Nachsehen. Solchen schönen Herrn kriegt ihr nicht wieder, verdient ihr auch gar nicht.«
Er unterhielt sich noch so weiter und freute sich, daß er seine gute Laune wiederhatte.
So vergingen etliche Stunden, und die Sonne machte schon Miene, hinter der mit Tannen besetzten Höhe zu verschwinden, Lehnert aber, der all die Zeit über mit besonderem Fleiße gearbeitet hatte, hatte seines in die Hobelspäne gestellten Kaffees ganz vergessen und wollt eben aufstehen, um das Versäumte nachzuholen, als die Mutter in großer Hast und Aufregung vom Haus her auf ihn zukam und in den Arbeitsschuppen hineinrief: »Ein Has, Lehnert, ein Has!«
»Wo, Mutter? «
»In unserm Korn.«
Und ehe zwischen beiden noch weiter ein Wort gewechselt werden konnte, sprang Lehnert auch schon von seiner Arbeit auf, lief auf das Haus zu, riß die Flinte vom Riegel und stürzte durch die Hintertür, über den Hoffort, auf den zu Feld und Wald hinüberführenden Brückensteg zu. Bevor er diesen aber erreichen konnte, wurd es dem Hasen drüben nicht recht geheuer, der denn auch in kurzen Sätzen, und zwar immer an dem Kornfeldstreifen entlang, auf den Wald zu retirierte. Freilich nur langsam und mit Pausen. »Sieh, er sputet sich nicht mal, er hat nicht mal Eile«, sagte Lehnert vor sich hin und legte den Kolben an die Schulter und zielte. Da wurde der drüben mit einemmal flinker und eilte sich, den kaum zehn Schritt breiten Abhang, der zwischen Acker und Wald die Grenze zog, hinaufzukommen, aber eh er noch bis an das Unterholz heran war, fiel der Schuß. Am Saume hin zog der Pulverrauch und wollte sich nicht gleich vertun; Lehnert indes, der wohl wußte, daß er keinen Fehlschuß getan hatte, ging langsam auf die Stelle zu, nahm den Hasen vom Boden und kehrte dann über Steg und Hof in sein Häuschen zurück.
»Da, Mutter. Der soll uns schmecken. Opitz kann sich den Hahn braten lassen.«
Erst als Lehnert diesen Namen nannte, kam der Alten die nur zu berechtigte Sorge wieder, was Opitz zu dem allem wohl sagen würde, Lehnert selbst aber war guter Dinge, sprach in einem fort von Haus- und Feldrecht und suchte der Alten ihre Befürchtungen auszureden. Ob es ihm Ernst damit war und ob er wirklich an sein »Haus- und Feldrecht« glaubte, war schwer zu sagen und blieb auch da noch im Ungewissen, als eine halbe Stunde später Opitz in Person von seiner Försterei herüberkam und den Hasen forderte.
Lehnert spielte den Unbefangenen, ja zunächst sogar den Verbindlichen und bat Opitz, Platz nehmen zu wollen, und erst als dieser, unter Ablehnung der Artigkeit, die Forderung wiederholte, stellte sich Lehnert mit dem Rücken an den Ofen und sagte: »Was man nicht hat, kann man nicht geben.«
Um Opitz‘ Züge, der nur zu gut wußte, daß er jetzt seinen alten Gegner in Händen habe, flog ein spöttelndes Lächeln, und es trieb ihn mächtig, diesem seinem Gefühle von Überlegenheit auch sofort einen Ausdruck zu geben. Er bezwang sich aber und sagte: »Lehnert, Ihr nehmt den Streit wieder auf und tätet doch klüger und besser, es nicht zu tun. Ich warn Euch. Ich mein es gut mit Euch.«
»Ich habe den Hasen nicht.«
»Ihr habt von dem Brückensteg aus gezielt und geschossen.«
»Ich habe von dem Brückensteg aus geschossen, aber nicht gezielt. Der Hase saß in unserm Feld; er ist jetzt öfters bei uns zu Gast, und nachts wird er wohl mit Familie kommen. Ich brauche keine Hasen in meinem Felde zu leiden, und ich hab ihn verjagen wollen.«
»Ein Has ist ein Has, und Ihr braucht bloß in die Hand zu klatschen …«
»Aber ein Schuß hilft mehr.«
»Namentlich, wenn er getroffen hat.«
Lehnert schwieg und sah an Opitz vorbei, der seinerseits eine kleine Weile vergehen ließ, fast als ob er Lehnert eine Frist zur Überlegung gönnen wollte. Als aber jedes Entgegenkommen ausblieb, nahm er zuletzt das Wort wieder und sagte: »Lehnert, Ihr bringt Euch in Ungelegenheiten. Ihr habt einen Haß gegen mich, und das verdirbt Euch Euren guten Verstand. Ihr streitet mir den Hasen ab, Ihr, der Ihr immer von Eurer Wahrheitsliebe sprecht, und wäre mir doch ein leichtes, den Hasen in Eurem Hause zu finden. Und wenn ich ihn nicht fände, so doch Diana … Kusch dich … Ihr habt den Hasen verjagen wollen. Nun, meinetwegen; das ist Euer gutes Recht. Und wenn Ihr‘s Euch einen Schuß Pulver kosten lassen wollt, nun, so mag auch das hingehen, obwohlen es auffällig ist und eigentlich nicht in der Ordnung. Es ist nicht Brauch hierzuland, einen Hasen durch einen Flintenschuß zu verjagen. Und der Letztberechtigte dazu seid Ihr, der Ihr schon manches auf dem Kerbholz habt. Ich sah von meiner Giebelstube her, daß Ihr im Anschlag lagt, und ich sah auch, wie der Hase zusammenbrach. Und zum Überfluß hab ich mir die Stelle drüben, eh ich in Euer Haus kam, mit allem Vorbedacht angesehen und habe den Schweiß an dem hohen Farnkraut gefunden, das drüben steht.«
Die Bedrängnis, in der sich Lehnert befand, wuchs immer mehr, und ein begreifliches Verlangen überkam ihn, aus dieser seiner Lage heraus zu sein. Er war aber schon zu tief drin, und was die Hauptsache war, er konnte sich nicht entschließen zuzugeben, eine Lüge gesprochen zu haben. So pfiff er denn leise vor sich hin, als ob er andeuten wolle, daß der Worte genug gewechselt seien.
Opitz seinerseits aber war nicht willens, seinen Triumph abzukürzen, und fuhr, während er eine gewisse Gütigkeitsrolle weiterspielte, ruhigen Tones fort: »Ich sehe, Lehnert. daß Ihr ungeduldig werdet, und will Eure kostbare Zeit nicht über Gebühr in Anspruch nehmen. Und so hört denn meinen letzten Vorschlag! Ich will den Hasen nicht, und meine Frau, die‘s, wie Ihr wißt, gut mit Euch meint, mag Euch auch noch den Speck dazu schicken. Und ich, Lehnert, ich will‘s bei dem Grafen verantworten, und wenn er sich wundern sollte, so will ich, aus Rücksicht für Euch, von einem Schreckschuß sprechen, der zufällig getroffen habe. Der Graf ist ein gnädiger und nachsichtiger Herr, und wenn er das mit dem ›Schreckschuß‹ auch nicht glauben wird, so wird er doch so tun, als glaub er‘s. Aber das verlang ich von Euch, daß Ihr Euch vor mir zu dem bekennt, was Ihr getan habt, und daß Ihr Euch entschuldigt. Hab ich Euch doch mein Bedauern über den Hahn ausgesprochen. Und war nicht dazu gebunden. Aber Ihr, Ihr seid‘s. Und nun heraus mit der Sprache. Beichten ist immer das beste, da wird die Seele wieder frei, nicht wahr? Und man kann jedem wieder ins Auge sehn.«
»Kann ich!« sagte Lehnert, und sein Auge suchte das des Försters, um sich mit ihm zu messen. Aber das Gefühl seines Unrechts war doch stärker als sein Trotz, und er senkte den Blick wieder.
Opitz lächelte.
»Guten Abend, Frau Menz. Ich werde meine Frau von Euch grüßen. Und auch Christinen. Und nun Gott befohlen!«
Und ohne weiter ein Wort oder einen Blick an Lehnert zu richten, verließ er das Haus und ging auf den Steg zu. Diana folgte.
Zehntes Kapitel
Die Alte war ihm bis in den Vorgarten gefolgt und rechnete darauf, daß er sich noch einmal umsehen würde, für welchen Fall sie devotest zu knicksen vorhatte, schließlich aber gewahr werdend, daß auf einen gnädigen Abschiedsblick nicht mehr zu rechnen sei, gab sie‘s auf und ging in die Stube zurück. Hier stand Lehnert noch am alten Fleck und sah vor sich hin.
»Ach, Lehnert, wenn du‘s doch nicht getan hättest … Und Speck will er uns auch noch schicken. Sieh, so ist er immer und meint es gut. Aber wenn ich ihn auch mit Schmand brate, schmecken tut er mir doch nicht. Wie kann er mir auch schmecken? Wenn man Angst hat, schmeckt einem nichts, gar nichts, und will nicht runter, und ich fühle schon, wie‘s mir hier sitzt und ordentlich vor der Brust steht.«
»Ach, Mutter, was soll das? Aber so bist du. Du willst alles haben, und wenn dann nachher was passiert, was nach Gerichtsvorladung aussieht, oder wenn du gar zu glauben anfängst, nun ist es mit dem Schinkenknochen und dem Liesenschmalz drüben vorbei, dann heißt es wieder: ja warum auch? warum hast du geschossen?«
»Ich habe nichts gesagt, ich habe dir nicht zugeredet.«
Lehnert stampfte heftig auf, fiel aber rasch wieder ins Lachen und sagte: »Wir wollen uns vertragen, Mutter. Du bist, wie du bist. Nein, zugeredet hast du nicht. Du kamst bloß, als ob wenigstens das Haus in Brand stünd, und riefest: ›Ein Has, ein Has!‹ Nun sage, was hieß das? was sollte das? Sollt ich kommen und mir das Wundertier ansehn? Oder ihn wegjagen? Kannst du nicht selber einen Hasen wegjagen? Ich habe just das getan, was du wolltest, und du hast dabei gedacht: ›0pitz wird heute still sein von wegen dem Hahn und vielleicht auch von wegen der neuen Freundschaft.‹ Und weil es nun anders gekommen, so bist du wieder mit Vorwurf und Klage bei der Hand und weimerst mir wieder was vor, weil ich geschossen hab, und sähest es am liebsten, ich ginge gleich rüber und würfe mich ihm zu Füßen und küßte seinen Rockzipfel. Aber davon wird nichts. Er mag nun wieder seine Schreiberei machen und alles zur Anzeige bringen. Aufschreiben und Anzeigen versteht er, das war schon seine Kunst, als er noch bei den Soldaten war. Aber ich werde mich schon zu verteidigen wissen und werde vor Gericht aussagen, daß ich meinen Kohl und meinen Hafer, oder was es sonst ist, nicht für Opitz und seine Hasen ziehe. Geschossen hätt ich blind drauflos, was dann aus dem Hasen geworden, das wüßt ich nicht und braucht ich nicht zu wissen, und wenn Opitz eines Hasen Schweiß gefunden habe, was ja sein könne, so sei‘s nicht der, um den sich‘s hier handle, der sei lustig in die Welt gegangen.«
»Aber dann werden sie dir einen Eid zuschieben. Willst du schwören?«
»Nein, das will ich nicht. Schwören tu ich nicht. Aber ich werde schon was finden, um aus der Geschichte rauszukommen.«
Er sagte das so hin, halb um der Mutter zu widersprechen, halb um sie zu beruhigen, war aber klug genug, zu wissen, daß er schwerlich eine Ausrede finden und somit sehr wahrscheinlich einer zweiten Verurteilung entgegengehen werde. Das war ihm ein schrecklicher Gedanke, so schrecklich, daß ihm alle Lust an der Arbeit auf ganze Tage verlorenging und er umherzutabagieren begann, was er ohnehin liebte. Den Tag über sprach er in dieser oder jener Baude vor oder ging auch wohl ins Böhmische hinüber, wo er, bis nach Sankt Peter und Trautenau hin, viel Anhang hatte, abends aber saß er in den nächstgelegenen Kretschams umher, im »Waldhaus«, in Brückenberg, in Wang, heute hier und morgen da, und erzählte jedem, der‘s hören wollte, daß wieder ein Krieg in der Luft sei, drüben in Böhmen wüßten sie schon davon, und daß er seinerseits warten wolle, bis es wieder losginge. Krieg in Frankreich, das sei das einzig vernünftige Leben; wenn es aber nicht wieder losginge, nun, dann ginge er, und er wiß auch schon wohin. Er wolle zu den Heiligen am Salzsee, da hätte jeder sieben Frauen, und wenn er auch immer gesagt habe, daß eine schon zuviel sei, was auch eigentlich richtig, so woll er‘s doch mal mit sieben versuchen; es sei doch mal was anderes. Er war sehr aufgeregt und sprach immer in diesem Ton, und sein einziges Vergnügen war, daß man ihn für einen Ausbund von Klugheit hielt und sich wunderte, wo er das alles herhabe.
Ja, das schmeichelte seiner Eitelkeit und gab ihm eine momentane Befriedigung, die meiste Zeit aber war er nicht bloß unzufrieden mit aller Welt, sondern auch mit sich selbst und konnte zu keinem festen Entschluß kommen. All das Sprechen von Krieg und Auswanderung und Salzsee war doch nur ein müßiges Spiel, im Grunde seines Herzens hing er mit Zärtlichkeit an seinem Schlesierland und dachte gar nicht an Fortgehen, wenn ihm der Boden unter den Füßen nicht zu heiß gemacht würde. Aber das war es eben. Machte »der da drüben« Ernst, so war der heiße Boden da und zugleich der Augenblick, wo das, was er bisher bloß an die Wand gemalt hatte, Wirklichkeit werden mußte. Denn zum zweiten Mal ins Gefängnis, das zu vermeiden, war er fest entschlossen, und so hing denn alles an der Frage: wird Opitz Ernst machen oder nicht?
Nach seinem ersten unmittelbaren Gefühle war an diesem Ernste wohl nicht zu zweifeln, aber das Weibervolk drüben hatte großen Einfluß, und wenn Bärbel und Christine die rechte Stunde wahrnahmen, so war es doch am Ende möglich, daß sie den trotz aller Schroffheit und Bärbeißigkeit auch wieder sehr bestimmbaren Hausherrn dahin brachten, die Sache fallenzulassen. Und warum auch nicht? Was war es denn groß? Ein Has. Und daß der Hase wirklich in dem Kornfeld gesessen, darüber war kein Zweifel, dem konnte sich auch Opitz nicht entziehen, und wenn er, Lehnert, in seinem Stolz und seinem Übermut auch keine Nachsicht verdienen mochte, so doch die alte Frau, die so gut wie eine Bettlerin war, wenn man ihr den Sohn noch einmal ins Gefängnis schickte.
So vergingen, ohne daß auf Seiten Lehnerts etwas geschehen wäre, gegen anderthalb Wochen, und war auch wohl noch weiter so gegangen, wenn nicht die Plaudertasche, die Christine, gewesen wäre, die beständig alles, was drüben in der Försterei vorging, zu den Menzes hinübertrug. Unter den kleinen Freiheiten, die sie sich regelmäßig nahm, war auch die, daß sie den Opitzschen Schreibtisch beim Aufräumen und Staubabwischen einer gründlichen Revision unterzog, so daß sie jederzeit wußte, wie die Dienstsachen standen. War das nun schon ihr alltägliches Tun, so doppelt, seitdem Lehnert in Gefahr schwebte, der Gegenstand oder das Opfer einer Opitzschen Schreibübung zu werden. Eine ganze Woche lang hatte sich nichts finden lassen, heut aber, es war der Tag vor dem vierten Sonntage nach Trinitatis, war ihr der lang erwartete Bericht an den Grafen, in geschnörkelter Abschrift und sauber zwischen zwei Löschblätter gelegt, zu Gesicht gekommen, und ehe noch eine Viertelstunde um war, war sie schon drüben, um ihre Neuigkeit vor die rechte Schmiede zu bringen.
»Liebe Frau Menz, ich habe es nun alles gelesen. Es sind drei Seiten, alles fein abgeschrieben und unterstrichen, denn er hat ein kleines Pappelholzlineal, das nimmt er immer, wenn er unterstreichen will, und das sind allemal die schlimmsten Stellen.«
»Jesus«, sagte Frau Menz und zitterte. »Sie können ihm doch nicht ans Leben, bloß um den Has, und war noch dazu so klein, als ob er keine drei Tage war, und ich hab ihn eigentlich nicht essen können vor lauter Angst, bloß einen Lauf und das Rückenstück, weil es doch zu schade gewesen wäre. Ach, du meine Güte, wenn er um so was sterben sollte, da wäre ja keine Gerechtigkeit mehr, und der Kaiser in Berlin wird doch wissen, daß er ein so guter Görlitzer war und daß er‘s beinah gekriegt hätte …«
»Gott, liebe Frau Menz, was Sie nur alles reden, so schlimm ist es ja nicht. Und wär überhaupt gar nicht so schlimm, wenn es nicht das zweite Mal wär, oder was sie, die so was schreiben, den ›Wiederbetretungsfall‹ nennen. Das ist das Wort, das drin steht. Und da machen sie denn gleich aus dem Floh ‚nen Elefanten und tun, als ob es wunder was sei, nicht weil es wirklich was Großes und Schlimmes wäre, nein, bloß von wegen dem zweiten Mal, von wegen dem Wiederbetretungsfall. Und da sind sie denn wie versessen drauf, und das war auch die Stelle mit dem dicken Strich … Das heißt die eine.«
»Die eine? Aber du mein Gott, war denn noch eine?«
»Gewiß war noch eine da, die war noch dicker unterstrichen, und das war die von seinem Charakter.«
»Ach, du meine Güte. Von seinem Charakter! Und die hat Opitz auch unterstrichen? Ja, was soll denn das heißen? Ein Charakter is doch bloß, wie man is. Und wie is man denn? Man is doch bloß so, wie einen der liebe Gott gemacht hat, und wenn man auch nicht alles tun darf, aber seinen Charakter, ja, du mein Gott, den hat man doch nu mal, und den wird man doch haben dürfen, und den kann er nicht unterstreichen. Und ein Mann wie Opitz, den ich immer beknickst habe, wie wenn er der Graf wäre. Gott, Christine, sage, Kind, was steht denn drin, und was hat er denn alles gesagt?«
»Er hat gesagt, ›daß man sich jeder Tat von ihm zu gewärtigen habe‹, das steht drin, Frau Menz, und das Wort ›jeder‹ ist noch extra rot unterstrichen und sieht aus wie Blut, so daß ich einen regulären Schreck kriegte und bloß nicht wußte, an wen ich dabei denken sollte, ob an Opitzen oder an Lehnert. Ja, liebe Frau Menz, ›jeder Tat‹, so steht drin, und daß er aus diesem Grunde beantrage, die Strafe streng zu bemessen, und zweitens auch deshalb, weil er viel Anhang und Zuhörerschaft habe und überall in den Kretschams herumsitze und den Leuten Widersetzlichkeit beibringe, was um so törichter und strafenswerter sei, als er eigentlich einen guten Verstand habe und sehr gut wisse, daß alles, was er so predige, bloß dummes Zeug sei. Er sei ein Verführer für die ganze Gegend, so recht eigentlich, was man einen Aufwiegler nenne, und rede beständig von Freiheit und Amerika und daß es da besser sei als hier, in diesem dummen Lande. Ja, Frau Menz, das alles hat Opitz geschrieben, und am Schlusse hat er auch noch geschrieben, daß man an Lehnert ein Exempel statuieren müsse, damit das Volk mal wieder sähe, daß noch Ordnung und Gesetz und ein Herr im Lande sei.«
»Das alles?«
»Ja, Frau Menz, das alles. Denn das weiß ich schon, weil ich öfter so was lese; wenn er erst mal im Zug ist, dann ist kein Halten mehr, und auf eine Seite mehr oder weniger kommt es ihm dann nicht an, schon weil er eine hübsche Handschrift hat und mitunter zu mir sagt: ›Nu, Christine, wie gefällt dir das große H?‹, und vor allem, weil er gerne so was schreibt von Ordnung und Gesetz und dabei wohl denken mag, so was lesen die Herren gern und halten ihn für einen pflichttreuen Mann. Ja, liebe Frau Menz, so redt er in einem fort zu Haus, und so schreibt er auch, und dann stellt er sich vor meine gute Frau hin und sagt: »Sieh, Bärbel, ich bin nur ein kleiner Mann, aber das tut nichts, jeder an seinem Fleck, und das weiß ich, ich sorge darfür, daß die Fundamente bleiben, und bin eine Stütze von Land und Thron.‹«
Christine hätte wohl noch weitergesprochen, aber Lehnert, der schon von früh an oben im Dorf gewesen war, kam eben von Krummhübel zurück, wohin er eine Wagenachse abgeliefert hatte. Christine mocht ihm nicht begegnen, um nicht aufs neue in ein Gespräch verwickelt zu werden, oder vielleicht auch, weil sie die Wirkung der schlimmen Nachricht auf ihn nicht selber sehen wollte. So nahm sie denn ihren Weg über den nach der Waldseite hin gelegenen Brückensteg und kehrte auf einem Umwege und unter Benutzung einiger im Lomnitzbette liegender Steine nach der Försterei zurück.