Читайте только на Литрес

Kitap dosya olarak indirilemez ancak uygulamamız üzerinden veya online olarak web sitemizden okunabilir.

Kitabı oku: «Schach von Wuthenow», sayfa 6

Yazı tipi:

Neuntes Kapitel.
Schach zieht sich zurück

»Bis auf morgen,« war Schachs Abschiedswort gewesen, aber er kam nicht. Auch am zweiten und dritten Tage nicht. Victoire suchte sich's zurechtzulegen, und wenn es nicht glücken wollte, nahm sie Lisettens Brief und las immer wieder die Stelle, die sie längst auswendig wußte. »Du darfst Dich, ein für allemal, nicht in ein Mißtrauen gegen Personen hineinleben, die durchaus den entgegengesetzten Anspruch erheben dürfen. Und zu diesen Personen, mein ich, gehört Schach. Ich finde, je mehr ich den Fall überlege, daß Du ganz einfach vor einer Alternative stehst, und entweder Deine gute Meinung über S., oder aber Dein Mißtrauen gegen ihn fallen lassen mußt.« Ja, Lisette hatte Recht und doch blieb ihr eine Furcht im Gemüthe. »Wenn doch alles nur …« Und es übergoß sie mit Blut.

Endlich am vierten Tage kam er. Aber es traf sich, daß sie kurz vorher in die Stadt gegangen war. Als sie zurückkehrte, hörte sie von seinem Besuch; er sei sehr liebenswürdig gewesen, habe zwei-, dreimal nach ihr gefragt, und ein Bouquet für sie zurückgelassen. Es waren Veilchen und Rosen, die das Zimmer mit ihrem Dufte füllten. Victoire, während ihr die Mama von dem Besuche vorplauderte, bemühte sich, einen leichten und übermüthigen Ton anzuschlagen, aber ihr Herz war zu voll von widerstreitenden Gefühlen, und sie zog sich zurück, um sich in zugleich glücklichen und bangen Thränen auszuweinen.

Inzwischen war der Tag herangekommen, wo die »Weihe der Kraft« gegeben werden sollte. Schach schickte seinen Diener und ließ anfragen, ob die Damen der Vorstellung beizuwohnen gedächten? Es war eine bloße Form, denn er wußte, daß es so sein werde.

Im Theater waren alle Plätze besetzt. Schach saß den Carayons gegenüber und grüßte mit großer Artigkeit. Aber bei diesem Gruße blieb es, und er kam nicht in ihre Loge hinüber, eine Zurückhaltung, über die Frau von Carayon kaum weniger betroffen war, als Victoire. Der Streit indessen, den das hinsichtlich des Stücks in zwei Lager getheilte Publikum führte, war so heftig und aufregend, daß beide Damen ebenfalls mit hingerissen wurden und momentan wenigstens alles Persönliche vergaßen. Erst auf dem Heimweg kehrte die Verwunderung über Schachs Benehmen zurück.

Am andern Vormittage ließ er sich melden. Frau von Carayon war erfreut, Victoire jedoch, die schärfer sah, empfand ein tiefes Unbehagen. Er hatte ganz ersichtlich diesen Tag abgewartet, um einen bequemen Plauderstoff zu haben und mit Hilfe desselben über die Peinlichkeit eines ersten Wiedersehens mit ihr leichter hinwegzukommen. Er küßte der Frau von Carayon die Hand und wandte sich dann gegen Victoire, um dieser sein Bedauern auszusprechen, sie bei seinem letzten Besuche verfehlt zu haben. Man entfremde sich fast, anstatt sich fester anzugehören. Er sprach dies so, daß ihr ein Zweifel blieb, ob er es mit tieferer Bedeutung oder aus bloßer Verlegenheit gesagt habe. Sie sann darüber nach, aber ehe sie zum Abschluß kommen konnte, wandte sich das Gespräch dem Stücke zu.

»Wie finden Sie's?« fragte Frau von Carayon.

»Ich liebe nicht Komödien,« antwortete Schach, »die fünf Stunden spielen. Ich wünsche Vergnügen oder Erholung im Theater, aber keine Strapaze.«

»Zugestanden. Aber dies ist etwas Aeußerliches, und beiläufig ein Mißstand, dem ehestens abgeholfen sein wird. Iffland selbst ist mit erheblichen Kürzungen einverstanden. Ich will Ihr Urtheil über das Stück.«

»Es hat mich nicht befriedigt.«

»Und warum nicht?«

»Weil es alles auf den Kopf stellt. Solchen Luther hat es Gott sei Dank nie gegeben, und wenn solcher je käme, so würd er uns einfach dahin zurückführen, von wo der echte Luther uns seinerzeit wegführte. Jede Zeile widerstreitet dem Geist und Jahrhundert der Reformation; alles ist Jesuitismus oder Mysticismus, und treibt ein unerlaubtes und beinah kindisches Spiel mit Wahrheit und Geschichte. Nichts paßt. Ich wurde beständig an das Bild Albrechts Dürers erinnert, wo Pilatus mit Pistolenhalftern reitet oder an ein ebenso bekanntes Altarblatt in Soest, wo statt des Osterlamms ein westfälischer Schinken in der Schüssel liegt. In diesem seinwollenden Lutherstück aber liegt ein allerpfäffischster Pfaff in der Schüssel. Es ist ein Anachronismus von Anfang bis Ende.«

»Gut. Das ist Luther. Aber ich wiederhole, das Stück

»Luther ist das Stück. Das andre bedeutet nichts. Oder soll ich mich für Katharina von Bora begeistern, für eine Nonne, die schließlich keine war.«

Victoire senkte den Blick und ihre Hand zitterte. Schach sah es, und über seinen faux pas erschreckend, sprach er jetzt hastig und in sich überstürzender Weise von einer Parodie, die vorbereitet werde, von einem angekündigten Proteste der lutherischen Geistlichkeit, vom Hofe, von Iffland, vom Dichter selbst, und schloß endlich mit einer übertriebenen Lobpreisung der eingelegten Lieder und Kompositionen. Er hoffe, daß Fräulein Victoire noch den Abend in Erinnerung habe, wo er diese Lieder am Klavier begleiten durfte.

All dies wurde sehr freundlich gesprochen, aber so freundlich es klang, so fremd klang es auch, und Victoire hörte mit feinen Ohren heraus, daß es nicht die Sprache war, die sie fordern durfte. Sie war bemüht, ihm unbefangen zu antworten, aber es blieb ein äußerliches Gespräch bis er ging.

Den Tag nach diesem Besuche kam Tante Marguerite. Sie hatte bei Hofe von dem schönen Stücke gehört, »das so schön sei, wie noch gar keins,« und so wollte sie's gerne sehn. Frau von Carayon war ihr zu Willen, nahm sie mit in die zweite Vorstellung, und da wirklich sehr gekürzt worden war, blieb auch noch Zeit daheim eine halbe Stunde zu plaudern.

»Nun Tante Marguerite,« fragte Victoire, »wie hat es Dir gefallen?«

»Gut, liebe Victoire. Denn es berührt doch den Hauptpunkt in unsrer gereinigten Kürche.«

»Welchen meinst Du, liebe Tante?«

»Nun den von der chrüstlichen Ehe.«

Victoire zwang sich ernsthaft zu bleiben und sagte dann: »Ich dachte, dieser Hauptpunkt in unsrer Kirche läge doch noch in etwas andrem, also z. B. in der Lehre vom Abendmahl.«

»O nein, meine liebe Victoire, das weiß ich ganz genau. Mit oder ohne Wein, das macht keinen so großen Unterschied; aber ob unsre prédicateurs in einer sittlich getrauten Ehe leben oder nicht, das, mein Engelchen, ist von einer würklichen importance

»Und ich finde, Tante Marguerite hat ganz Recht,« sagte Frau von Carayon.

»Und das ist es auch,« fuhr die gegen alles Erwarten Belobigte fort, »was das Stück will, und was man um so deutlicher sieht, als die Bethmann würklich eine sehr hübsche Frau ist. Oder doch zum wenigstens viel hübscher, als sie würklich war. Ich meine die Nonne. Was aber nichts schadet, denn er war ja auch kein hübscher Mann, und lange nicht so hübsch als er. Ja werde nur roth, meine liebe Victoire, so viel weiß ich auch.«

Frau von Carayon lachte herzlich.

»Und das muß wahr sein, unser Herr Rittmeister von Schach ist würklich ein sehr angenehmer Mann, und ich denke noch ümmer an Tempelhof und den aufrechtstehenden Ritter … Und wißt Ihr denn, in Wülmersdorf soll auch einer sein, und auch ebenso weggeschubbert. Und von wem ich es habe? Nun? Von la petite Princesse Charlotte

Zehntes Kapitel.
»Es muß etwas geschehn.«

Die »Weihe der Kraft« wurde nach wie vor gegeben, und Berlin hörte nicht auf in zwei Lager getheilt zu sein. Alles was mystisch-romantisch war, war für, alles was freisinnig war, gegen das Stück. Selbst im Hause Carayon setzte sich diese Fehde fort, und während die Mama theils um des Hofes, theils um ihrer eignen »Gefühle« willen überschwänglich mitschwärmte, fühlte sich Victoire von diesen Sentimentalitäten abgestoßen. Sie fand alles unwahr und unecht, und versicherte, daß Schach in jedem seiner Worte Recht gehabt habe.

Dieser kam jetzt von Zeit zu Zeit, aber doch immer nur, wenn er sicher sein durfte, Victoiren in Gesellschaft der Mutter zu treffen. Er bewegte sich wieder viel in den »großen Häusern,« und legte, wie Nostitz spottete, den Radziwills und Carolaths zu, was er den Carayons entzog. Auch Alvensleben scherzte darüber, und selbst Victoire versuchte, den gleichen Ton zu treffen. Aber ohne daß es ihr glücken wollte. Sie träumte so hin, und nur eigentlich traurig war sie nicht. Noch weniger unglücklich.

Unter denen, die sich mit dem Stück, also mit der Tagesfrage beschäftigten, waren auch die Offiziere vom Regiment Gensdarmes, obschon ihnen nicht einfiel, sich ernsthaft auf ein Für oder Wider einzulassen. Sie sahen alles ausschließlich auf seine komische Seite hin an, und fanden in der Auflösung eines Nonnenklosters, in Katharina von Boras, »neunjähriger Pflegetochter« und endlich in dem beständig Flöte spielenden Luther, einen unerschöpflichen Stoff für ihren Spott und Uebermuth.

Ihr Lieblingsversammlungsort in jenen Tagen war die Wachtstube des Regiments, wo die jüngeren Kameraden den dienstthuenden Offizier zu besuchen und sich bis in die Nacht hinein zu divertiren pflegten. Unter den Gesprächen, die man in Veranlassung der neuen Komödie hier führte, kamen Spöttereien wie die vorgenannten kaum noch von der Tagesordnung, und als einer der Kameraden daran erinnerte, daß das neuerdings von seiner früheren Höhe herabgestiegene Regiment eine Art patriotische Pflicht habe, sich mal wieder »als es selbst« zu zeigen, brach ein ungeheurer Jubel aus, an dessen Schluß alle einig waren, »daß etwas geschehen müsse.« Daß es sich dabei lediglich um eine Travestie der »Weihe der Kraft«, etwa durch eine Maskerade, handeln könne, stand von vornherein fest, und nur über das »wie« gingen die Meinungen noch auseinander. In Folge davon beschloß man, ein paar Tage später eine neue Zusammenkunft abzuhalten, in der nach Anhörung einiger Vorschläge, der eigentliche Plan fixirt werden sollte.

Rasch hatte sich's herumgesprochen, und als Tag und Stunde da waren, waren einige zwanzig Kameraden in dem vorerwähnten Lokal erschienen: Itzenplitz, Jürgaß und Britzke, Billerbeck und Diricke, Graf Haeseler, Graf Herzberg, von Rochow, von Putlitz, ein Kracht, ein Klitzing, und nicht zum letzten ein schon älterer Lieutenant von Zieten, ein kleines, häßliches und säbelbeiniges Kerlchen, das durch entfernte Vetterschaft mit dem berühmten General und beinahe mehr noch durch eine keck in die Welt hineinkrähende Stimme zu balanciren wußte, was ihm an sonstigen Tugenden abging. Auch Nostitz und Alvensleben waren erschienen. Schach fehlte.

»Wer präsidirt?« fragte Klitzing.

»Nur zwei Möglichkeiten,« antwortete Diricke. »Der längste oder der kürzeste. Will also sagen, Nostitz oder Zieten.«

»Nostitz, Nostitz,« riefen alle durcheinander, und der so durch Akklamation Gewählte nahm auf einem ausgebuchteten Gartenstuhle Platz. Flaschen und Gläser standen die lange Tafel entlang.

»Rede halten: Assemblée nationale …«

Nostitz ließ den Lärm eine Weile dauern, und klopfte dann erst mit dem ihm als Zeichen seiner Würde zur Seite liegenden Pallasch auf den Tisch.

»Silentium, Silentium.«

»Kameraden vom Regiment Gensdarmes, Erben eines alten Ruhmes auf dem Felde militärischer und gesellschaftlicher Ehre (denn wir haben nicht nur der Schlacht die Richtung, wir haben auch der Gesellschaft den Ton gegeben), Kameraden, sag ich, wir sind schlüssig geworden: es muß etwas geschehn!«

»Ja, ja. Es muß etwas geschehn.«

»Und neu geweiht durch die ›Weihe der Kraft‹, haben wir, dem alten Luther und uns selber zu Liebe, beschlossen, einen Aufzug zu bewerkstelligen, von dem die spätesten Geschlechter noch melden sollen. Es muß etwas Großes werden! Erinnern wir uns, wer nicht vorschreitet, der schreitet zurück. Ein Aufzug also. So viel steht fest. Aber Wesen und Charakter dieses Aufzuges bleibt noch zu fixiren, und zu diesem Behufe haben wir uns hier versammelt. Ich bin bereit, Ihre Vorschläge der Reihe nach entgegen zu nehmen. Wer Vorschläge zu machen hat, melde sich.«

Unter denen, die sich meldeten, war auch Lieutenant von Zieten.

»Ich gebe dem Lieutenant von Zieten das Wort.«

Dieser erhob sich und sagte, während er sich leicht auf der Stuhllehne wiegte: »Was ich vorzuschlagen habe, heißt Schlittenfahrt

Alle sahen einander an, Einige lachten.

»Im Juli?«

»Im Juli,« wiederholte Zieten. »Unter den Linden wird Salz gestreut, und über diesen Schnee hin, geht unsre Fahrt. Erst ein paar aufgelöste Nonnen; in dem großen Hauptschlitten aber, der die Mitte des Zuges bildet, paradiren Luther und sein Famulus, jeder mit einer Flöte, während Katharinchen auf der Pritsche reitet. Ad libitum mit Fackel oder Schlittenpeitsche. Vorreiter eröffnen den Zug. Kostüme werden dem Theater entnommen oder angefertigt. Ich habe gesprochen.«

Ein ungeheurer Lärm antwortete, bis der Ruhe gebietende Nostitz endlich durchdrang. »Ich nehme diesen Lärm einfach als Zustimmung, und beglückwünsche Kamerad Zieten, mit einem einzigen und ersten Meisterschuß gleich ins Schwarze getroffen zu haben. Also Schlittenfahrt. Angenommen?«

»Ja, ja.«

»So bleibt nur noch Rollenvertheilung. Wer giebt den Luther?«

»Schach.«

»Er wird ablehnen.«

»Nicht doch,« krähte Zieten, der gegen den schönen, ihm bei mehr als einer Gelegenheit vorgezogenen Schach eine Spezialmalice hegte: »wie kann man Schach so verkennen! Ich kenn ihn besser. Er wird es freilich eine halbe Stunde lang beklagen, sich hohe Backenknochen auflegen und sein Normal-Oval in eine bäurische tête carré verwandeln zu müssen. Aber schließlich wird er Eitelkeit gegen Eitelkeit setzen, und seinen Lohn darin finden, auf vierundzwanzig Stunden der Held des Tages zu sein.«

Ehe Zieten noch ausgesprochen hatte, war von der Wache her ein Gefreiter eingetreten, um ein an Nostitz adressiertes Schreiben abzugeben.

»Ah, lupus in fabula

»Von Schach?«

»Ja!«

»Lesen, lesen!«

Und Nostitz erbrach den Brief und las. »Ich bitte Sie, lieber Nostitz, bei der muthmaßlich in eben diesem Augenblicke stattfindenden Versammlung unsrer jungen Offiziere, meinen Vermittler und wenn nöthig, auch meinen Anwalt machen zu wollen. Ich habe das Zirkular erhalten, und war anfänglich gewillt zu kommen. Inzwischen aber ist mir mitgetheilt worden, um was es sich aller Wahrscheinlichkeit nach handeln wird, und diese Mittheilung hat meinen Entschluß geändert. Es ist Ihnen kein Geheimniß, daß all das, was man vorhat, meinem Gefühl widerstreitet, und so werden Sie sich mit Leichtigkeit herausrechnen können, wie viel oder wie wenig ich (dem schon ein Bühnen-Luther contre coeur war) für einen Mummenschanz-Luther übrig habe. Daß wir diesen Mummenschanz in eine Zeit verlegen, die nicht einmal eine Fastnachtsfreiheit in Anspruch nehmen darf, bessert sicherlich nichts. Jüngeren Kameraden soll aber durch diese meine Stellung zur Sache kein Zwang auferlegt werden, und jedenfalls darf man sich meiner Diskretion versichert halten. Ich bin nicht das Gewissen des Regiments, noch weniger sein Aufpasser. Ihr Schach.«

»Ich wußt es,« sagte Nostitz in aller Ruhe, während er das Schachsche Billet an dem ihm zunächst stehenden Lichte verbrannte. »Kamerad Zieten ist größer in Vorschlägen und Phantastik, als in Menschenkenntniß. Er will mir antworten, seh ich, aber ich kann ihm nicht nachgeben, denn in diesem Augenblicke heißt es ausschließlich: wer spielt den Luther? Ich bringe den Reformator unter den Hammer. Der Meistbietende hat ihn. Zum Ersten, Zweiten und zum … Dritten. Niemand? So bleibt mir nichts übrig als Ernennung: Alvensleben, Sie.«

Dieser schüttelte den Kopf. »Ich stehe dazu wie Schach; machen Sie das Spiel, ich bin kein Spielverderber, aber ich spiele persönlich nicht mit. Kann nicht und will nicht. Es steckt mir dazu zu viel Katechismus Lutheri im Leibe.«

Nostitz wollte nicht gleich nachgeben. »Alles zu seiner Zeit,« nahm er das Wort »und wenn der Ernst seinen Tag hat, so hat der Scherz wenigstens seine Stunde. Sie nehmen alles zu gewissenhaft, zu feierlich, zu pedantisch. Auch darin wie Schach. Keinerlei Ding ist an sich gut oder bös. Erinnern Sie sich, daß wir den alten Luther nicht verhöhnen wollen, im Gegentheil, wir wollen ihn rächen. Was verhöhnt werden soll, ist das Stück, ist die Lutherkarrikatur, ist der Reformator in falschem Licht und an falscher Stelle. Wir sind Strafgericht, Instanz aller oberster Sittlichkeit. Thun Sie's. Sie dürfen uns nicht im Stiche lassen oder es fällt alles in den Brunnen.«

Andere sprachen in gleichem Sinn. Aber Alvensleben blieb fest, und eine kleine Verstimmung schwand erst, als sich unerwartet (und eben deshalb von allgemeinstem Jubel begrüßt) der junge Graf Herzberg erhob, um sich für die Lutherrolle zu melden.

Alles was danach noch zu ordnen war, ordnete sich rasch, und ehe zehn Minuten um waren, waren bereits die Hauptrollen vertheilt: Graf Herzberg den Luther, Diricke den Famulus, Nostitz, wegen seiner kolossalen Größe, die Katharina von Bora. Der Rest wurde einfach als Nonnenmaterial eingeschrieben, und nur Zieten, dem man sich besonders verpflichtet fühlte, rückte zur Aebtissin auf. Er erklärte denn auch sofort, auf seinem Schlittensitz ein »jeu entriren« oder mit dem Klostervogt eine Partie Mariage spielen zu wollen. Ein neuer Jubel brach aus, und nachdem noch in aller Kürze der nächste Montag für die Maskerade festgesetzt, alles Ausplaudern aber aufs strengste verboten worden war, schloß Nostitz die Sitzung.

In der Thür drehte sich Diricke noch einmal um, und fragte: »Aber wenn's regnet?«

»Es darf nicht regnen.«

»Und was wird aus dem Salz?«

»C'est pour les domestiques.«

»Et pour la canaille,« schloß der jüngste Cornet.

Elftes Kapitel.
Die Schlittenfahrt

Schweigen war gelobt worden, und es blieb auch wirklich verschwiegen. Ein vielleicht einzig dastehender Fall. Wohl erzählte man sich in der Stadt, daß die Gensdarmes »etwas vorhätten« und mal wieder über einem jener tollen Streiche brüteten, um derentwillen sie vor andern Regimentern einen Ruf hatten, aber man erfuhr weder worauf die Tollheit hinauslaufen werde, noch auch für welchen Tag sie geplant sei. Selbst die Carayonschen Damen, an deren letztem Empfangsabende weder Schach noch Alvensleben erschienen waren, waren ohne Mittheilung geblieben, und so brach denn die berühmte »Sommer-Schlittenfahrt« über Näher- und Fernerstehende gleichmäßig überraschend herein.

In einem der in der Nähe der Mittel- und Dorotheenstraße gelegenen Stallgebäude hatte man sich bei Dunkelwerden versammelt, und ein Dutzend prachtvoll gekleideter und von Fackelträgern begleiteter Vorreiter vorauf, ganz also wie Zieten es proponirt hatte, schoß man mit dem Glockenschlage neun an dem Akademiegebäude vorüber auf die Linden zu, jagte weiter abwärts erst in die Wilhelms-, dann aber umkehrend in die Behren- und Charlottenstraße hinein und wiederholte diese Fahrt um das ebenbezeichnete Linden-Quarré herum in einer immer gesteigerten Eile.

Als der Zug das erste Mal an dem Carayonschen Hause vorüberkam und das Licht der vorausreitenden Fackeln grell in alle Scheiben der Bel-Etage fiel, eilte Frau von Carayon, die sich zufällig allein befand, erschreckt ans Fenster und sah auf die Straße hinaus. Aber statt des Rufes »Feuer«, den sie zu hören erwartete, hörte sie nur, wie mitten im Winter, ein Knallen großer Hetz- und Schlittenpeitschen mit Schellengeläut dazwischen, und ehe sie sich zurecht zu finden im Stande war, war alles schon wieder vorüber und ließ sie verwirrt und fragend und in einer halben Betäubung zurück. In solchem Zustande war es, daß Victoire sie fand.

»Um Gotteswillen, Mama, was ist?«

Aber ehe Frau von Carayon antworten konnte, war die Spitze der Maskerade zum zweiten Male heran, und Mutter und Tochter, die jetzt rasch und zu bessrer Orientirung von ihrem Eckzimmer aus auf den Balkon hinausgetreten waren, waren von diesem Augenblick an nicht länger mehr im Zweifel, was das Ganze bedeute. Verhöhnung, gleichviel auf wen und was. Erst unzüchtige Nonnen, mit einer Hexe von Aebtissin an der Spitze, johlend, trinkend und Karte spielend, und in der Mitte des Zuges ein auf Rollen laufender und in der Fülle seiner Vergoldung augenscheinlich als Triumphwagen gedachter Hauptschlitten, in dem Luther sammt Famulus und auf der Pritsche Katharina von Bora saß. An der riesigen Gestalt erkannten sie Nostitz. Aber wer war der auf dem Vordersitz? fragte sich Victoire. Wer verbarg sich hinter dieser Luther-Maske? War er es? Nein, es war unmöglich. Und doch, auch wenn er es nicht war, er war doch immer ein Mitschuldiger in diesem widerlichen Spiele, das er gutgeheißen oder wenigstens nicht gehindert hatte. Welche verkommne Welt, wie pietätlos, wie baar aller Schicklichkeit! Wie schaal und ekel. Ein Gefühl unendlichen Wehs ergriff sie, das Schöne verzerrt und das Reine durch den Schlamm gezogen zu sehen. Und warum? Um einen Tag lang von sich reden zu machen, um einer kleinlichen Eitelkeit willen. Und das war die Sphäre, darin sie gedacht und gelacht, und gelebt und gewebt, und darin sie nach Liebe verlangt, und ach, das Schlimmste von allem, an Liebe geglaubt hatte!

»Laß uns gehen,« sagte sie, während sie den Arm der Mutter nahm, und wandte sich, um in das Zimmer zurückzukehren. Aber ehe sie's erreichen konnte, wurde sie wie von einer Ohnmacht überrascht und sank auf der Schwelle des Balkons nieder.

Die Mama zog die Klingel, Beate kam, und beide trugen sie bis an das Sopha, wo sie gleich danach von einem heftigen Brustkrampfe befallen wurde. Sie schluchzte, richtete sich auf, sank wieder in die Kissen, und als die Mutter ihr Stirn und Schläfe mit kölnischem Wasser waschen wollte, stieß sie sie heftig zurück. Aber im nächsten Augenblick riß sie der Mama das Flacon aus der Hand und goß es sich über Hals und Nacken. »Ich bin mir zuwider, zuwider wie die Welt. In meiner Krankheit damals hab ich Gott um mein Leben gebeten … Aber wir sollen nicht um unser Leben bitten … Gott weiß am besten, was uns frommt. Und wenn er uns zu sich hinaufziehen will, so sollen wir nicht bitten: laß uns noch … O, wie schmerzlich ich das fühle! Nun leb ich … Aber wie, wie!«

Frau von Carayon kniete neben dem Sopha nieder und sprach ihr zu. Denselben Augenblick aber schoß der Schlittenzug zum dritten Mal an dem Hause vorüber, und wieder war es, als ob sich schwarze phantastische Gestalten in dem glührothen Scheine jagten und haschten. »Ist es nicht wie die Hölle?« sagte Victoire, während sie nach dem Schattenspiel an der Decke zeigte.

Frau von Carayon schickte Beaten, um den Arzt rufen zu lassen. In Wahrheit aber lag ihr weniger an dem Arzt, als an einem Alleinsein und einer Aussprache mit dem geliebten Kinde.

»Was ist Dir? Und wie Du nur fliegst und zitterst. Und siehst so starr. Ich erkenne meine heitre Victoire nicht mehr. Ueberlege, Kind, was ist denn geschehen? Ein toller Streich mehr, einer unter vielen, und ich weiß Zeiten, wo Du diesen Uebermuth mehr belacht als beklagt hättest. Es ist etwas andres, was Dich quält und drückt; ich seh es seit Tagen schon. Aber Du verschweigst mir's, Du hast ein Geheimniß. Ich beschwöre Dich, Victoire, sprich. Du darfst es. Es sei, was es sei.«

Victoire schlang ihren Arm um Frau von Carayons Hals, und ein Strom von Thränen entquoll ihrem Auge.

»Beste Mutter!«

Und sie zog sie fester an sich, und küßte sie und beichtete ihr alles.

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
28 eylül 2017
Hacim:
170 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 4, 1 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 5, 1 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre