Kitabı oku: «Unterm Birnbaum», sayfa 3
VI
So ging es bis Mitternacht. Der schräg gegenüber wohnende Kunicke wollte noch bleiben und machte spitze Reden, daß Szulski, der schon ein paarmal zum Aufbruch gemahnt, so müde sei. Der aber ließ sich weder durch Spott noch gute Worte länger zurück halten; »er müsse morgen um neun in Frankfurt sein.« Und damit nahm er den bereitstehenden Leuchter, um in seine Giebelstube hinaufzusteigen. Nur als er die Thürklinke schon in der Hand hatte, wandt’ er sich noch einmal und sagte zu Hradscheck: »Also vier Uhr, Hradscheck. Um fünf muß ich weg. Und versteht sich, ein Kaffee. Guten Abend, Ihr Herren. Allerseits wohl zu ruhn!«
***
Auch die Bauern gingen; ein starker Regen fiel und alle fluchten über das scheußliche Wetter. Aber keine Stunde mehr, so schlug es um, der Regen ließ nach und ein heftiger Südost fegte statt seiner über das Bruch hin. Seine Heftigkeit wuchs von Minute zu Minute, so daß allerlei Schaden an Häusern und Dächern angerichtet wurde, nirgends aber mehr als an dem Hause der alten Jeschke, das grad’ in dem Windstrome lag, der, von der andern Seite der Straße her, zwischen Kunicke’s Stall und Scheune mitten durchfuhr. Klappernd kamen die Ziegel vom Dachfirst herunter und schlugen mit einem dumpfen Geklatsch in den aufgeweichten Boden.
»Dat’s joa groad’, as ob de Bös kümmt,« sagte die Alte und richtete sich in die Höh’, wie wenn sie aufstehen wolle. Das Herausklettern aus dem hochstelligen Bett aber schien ihr zu viel Mühe zu machen, und so klopfte sie nur das Kopfkissen wieder auf und versuchte weiter zu schlafen. Freilich umsonst. Der Lärm draußen und die wachsende Furcht, ihren ohnehin schadhaften Schornstein in die Stube hinabstürzen zu sehn, ließen sie mit ihrem Versuche nicht weit kommen, und so stand sie schließlich doch auf und tappte sich an den Herd hin, um hier an einem bischen Aschengluth einen Schwefelfaden und dann das Licht anzuzünden. Zugleich warf sie reichlich Kienäpfel auf, an denen sie nie Mangel litt, seit sie letzten Herbst dem vierjährigen Jungen von Förster Nothnagel, drüben in der neumärkischen Haide, das freiwillige Hinken wegkurirt hatte.
Das Licht und die Wärme thaten ihr wohl, und als es ein paar Minuten später in dem immer bereit stehenden Kaffeetopfe zu dampfen und zu brodeln anfing, hockte sie neben dem Herde nieder und vergaß über ihrem Behagen den Sturm, der draußen heulte. Mit einem Mal aber gab es einen Krach, als bräche was zusammen, ein Baum oder ein Strauchwerk, und so ging sie denn mit dem Licht ans Fenster und, weil das Licht hier blendete, vom Fenster her in die Küche, wo sie den obern Thürladen rasch aufschlug, um zu sehn, was es sei. Richtig, ein Theil des Gartenzauns war umgeworfen, und als sie das niedergelegte Stück nach links hin bis an das Kegelhäuschen verfolgte, sah sie, zwischen den Pfosten der Lattenrinne hindurch, daß in dem Hradscheck’schen Hause noch Licht war. Es flimmerte hin und her, mal hier, mal da, so daß sie nicht recht sehen konnte, woher es kam, ob aus dem Kellerloch unten oder aus dem dicht darüber gelegenen Fenster der Weinstube.
»Mien Jott, supen se noch?« fragte die Jeschke vor sich hin. »Na, Kunicke is et kumpafel. Un dann seggt he hinnerher, dat Wedder wihr Schull un he künn nich anners.«
Unter dieser Betrachtung schloß sie den Thürladen wieder und ging an ihre Herdstätte zurück. Aber ihr Hang zu spioniren ließ ihr keine Ruh, und trotzdem der Wind immer stärker geworden war, suchte sie doch die Küche wieder auf und öffnete den Laden noch einmal, in der Hoffnung ’was zu sehen. Eine Weile stand sie so, ohne daß etwas geschehen wäre, bis sie, als sie sich schon zurückziehn wollte, drüben plötzlich die Hradscheck’sche Gartenthür auffliegen und Hradscheck selbst in der Thüröffnung erscheinen sah. Etwas Dunkles, das er schon vorher herangeschafft haben mußte, lag neben ihm. Er war in sichtlicher Erregung und sah gespannt nach ihrem Hause hinüber. Und dann war’s ihr doch wieder, als ob er wolle, daß man ihn sähe. Denn wozu sonst das Licht, in dessen Flackerschein er dastand? Er hielt es immer noch vor sich, es mit der Hand schützend, und schien zu schwanken, wohin damit. Endlich aber mußt’ er eine geborgene Stelle gefunden haben, denn das Licht selbst war weg und statt seiner nur noch ein Schein da, viel zu schwach, um den nach wie vor in der Thüröffnung liegenden dunklen Gegenstand erkennen zu lassen. Was war es? Eine Truhe? Nein. Dazu war es nicht lang genug. Oder ein Korb, eine Kiste? Nein, auch das nicht.
»Wat he man hett?« murmelte sie vor sich hin.
Aber ehe sie sich, aus ihren Muthmaßungen heraus, ihre Frage noch beantworten konnte, sah sie, wie der ihr auf Minuten aus dem Auge gekommene Hradscheck von der Thür her in den Garten trat und mit einem Spaten in der Hand rasch auf den Birnbaum zuschritt. Hier grub er eifrig und mit sichtlicher Hast und mußte schon ein gut Theil Erde herausgeworfen haben, als er mit einem Male das Graben aufgab und sich aufs Neue nach allen Seiten hin umsah. Aber auch jetzt wieder (so wenigstens schien es ihr) mehr in Spannung als in Angst und Sorge.
»Wat he man hett?« wiederholte sie.
Dann sah sie, daß er das Loch rasch wieder zuschüttete. Noch einen Augenblick und die Gartenthür schloß sich und alles war wieder dunkel.
»Hm,« brummte die Jeschke. »Dat’s joa binoah, as ob he een’ abmurkst hett’. Na, so dull wahrd et joa woll nich sinn … Nei, nei, denn wihr dat Licht nich. Awers ick tru em nich. Un ehr tru ick ook nich.«
Und damit ging sie wieder bis an ihr Bett und kletterte hinein.
Aber ein rechter Schlaf wollt’ ihr nicht mehr kommen, und in ihrem halbwachen Zustande sah sie beständig das Flimmern im Kellerloch und dann den Lichtschein, der in den Garten fiel, und dann wieder Hradscheck, wie er unter dem Baume stand und grub.
VII
Um vier Uhr stieg der Knecht die Stiege hinauf, um Szulski zu wecken. Er fand aber die Stube verschlossen, weshalb er sich begnügte zu klopfen und durch das Schlüsselloch hineinzurufen: »Is vier, Herr Szulski; steihn’s upp.« Er horchte noch eine Weile hinein, und als alles ruhig blieb, riß er an der klapprigen Thürklinke hin und her und wiederholte: »Steihn’s upp, Herr Szulski, is Tied; ick spann nu an.« Und danach ging er wieder treppab und durch den Laden in die Küche, wo die Hradscheck’sche Magd, eine gutmüthige Person mit krausem Haar und vielen Sommersprossen, noch halb verschlafen am Herde stand und Feuer machte.
»Na, Maleken, ook all rut? Wat seggst Du dato? Klock vieren. Is doch Menschenschinnerei. Worümm nich um söss? Um söss wihr ook noch Tied. Na, nu koch’ uns man en beten wat mit.«
Und damit wollt’ er von der Küche her in den Hof hinaus. Aber der Wind riß ihm die Thür aus der Hand und schlug sie mit Gekrach wieder zu.
»Jott, Jakob, ick hebb mi so verfiert. Dat künn joa ’nen Doden uppwecken.«
»Sall ook, Male. He hett joa ’nen Dodensloap. Nu wahrd he woll uppstoahn.«
Eine halbe Stunde später hielt der Einspänner vor der Hausthür und Jakob, dem die Hände vom Leinehalten schon ganz klamm waren, sah ungeduldig in den Flur hinein, ob der Reisende noch nicht komme.
Der aber war immer noch nicht zu sehen, und statt seiner erschien nur Hradscheck und sagte: »Geh hinauf, Jakob, und sieh nach, was es ist. Er ist am Ende wieder eingeschlafen. Und sag’ ihm auch, sein Kaffee würde kalt … Aber nein, laß nur; bleib. Er wird schon kommen.«
Und richtig, er kam auch und stieg, während Hradscheck so sprach, gerade die nicht allzuhohe Treppe hinunter. Diese lag noch in Dunkel, aber ein Lichtschimmer vom Laden her ließ die Gestalt des Fremden doch einigermaßen deutlich erkennen. Er hielt sich am Geländer fest und ging mit besonderer Langsamkeit und Vorsicht, als ob ihm der große Pelz unbequem und beschwerlich sei. Nun aber war er unten, und Jakob, der alles neugierig verfolgte, was vorging, sah, wie Hradscheck auf ihn zuschritt und ihn mit vieler Artigkeit vom Flur her in die Wohnstube hinein komplimentirte, wo der Kaffee schon seit einer Viertelstunde wartete.
»Na, nu wahrd et joa woll wihr’n,« tröstete sich der draußen immer ungeduldiger Werdende. »Kümmt Tied, kümmt Roath.« Und wirklich, ehe fünf Minuten um waren, erschien das Paar wieder auf dem Flur und trat von diesem her auf die Straße, wo der verbindliche Hradscheck nunmehr rasch auf den Wagen zuschritt und den Tritt herunter ließ, während der Reisende, trotzdem ihm die Pelzmütze tief genug im Gesicht saß, auch noch den Kragen seiner Wolfsschur in die Höhe klappte.
»Das ist recht,« sagte Hradscheck. »Besser bewahrt, als beklagt. Und nun mach flink, Jakob, und hole den Koffer.«
Dieser that auch wie befohlen, und als er mit dem Mantelsack wieder unten war, saß der Reisende schon im Wagen und hatte den von ihm als Trinkgeld bestimmten Gulden vor sich auf das Spritzleder gelegt. Ohne was zu sagen, wies er darauf hin und nickte nur, als Jakob sich bedankte. Dann nahm er die Leine ziemlich ungeschickt in die Hand, woran wohl die großen Pelzhandschuhe schuld sein mochten, und fuhr auf das Orth’sche Gehöft und die schattenhaft am Dorfausgange stehende Mühle zu. Diese ging nicht; der Wind wehte zu heftig.
Hradscheck sah dem auf dem schlechten Wege langsam sich fortbewegenden Fuhrwerk eine Weile nach, sein Kopf war unbedeckt und sein spärlich blondes Haar flog ihm um die Stirn. Es war aber, als ob die Kühlung ihn erquicke. Als er wieder in den Flur trat, fand er Jakob, der sich das Guldenstück ansah.
»Gefällt Dir wohl? Einen Gulden giebt nicht jeder. Ein feiner Herr!«
»Dat sall woll sien. Awers worümm he man so still wihr? He seggte joa keen Wuhrt nich.«
»Nein, er hatte wohl noch nicht ausgeschlafen,« lachte Hradscheck. »Is ja erst fünf.«
»Versteiht sich. Klock feiv red’ ick ook nich veel.«
VIII
Der Wind hielt an, aber der Himmel klärte sich, und bei hellem Sonnenschein fuhr um Mittag ein Jagdwagen vor dem Tschechiner Gasthause vor. Es war der Friedrichsauer Amtsrath; Trakehner Rapphengste, der Kutscher in Livrée. Hradscheck erschien in der Ladenthür und grüßte respektvoll, fast devot.
»Tag, lieber Hradscheck; bringen Sie mir einen ›Luft‹ oder lieber gleich zwei; mein Kutscher wird auch nichts dagegen haben. Nicht wahr, Johann? Eine wahre Hundekälte. Und dabei diese Sonne.«
Hradscheck verbeugte sich und rief in den Laden hinein: »Zwei Pfefferminz, Ede; rasch!« und wandte sich dann mit der Frage zurück, womit er sonst noch dienen könne?
»Mir mit nichts, lieber Hradscheck, aber andren Leuten. Oder wenigstens der Obrigkeit. Da liegt ein Fuhrwerk unten in der Oder, wahrscheinlich fehlgefahren und in der Dunkelheit vom Damm gestürzt.«
»Wo, Herr Amtsrath?«
»Hier gleich. Keine tausend Schritt hinter Orth’s Mühle.«
»Gott im Himmel, ist es möglich! Aber wollen der Herr Amtsrath nicht bei Schulze Woytasch mit vorfahren?«
»Kann nicht, Hradscheck; ist mir zu sehr aus der Richt. Der Reitweiner Graf erwartet mich und habe mich schon verspätet. Und zu helfen ist ohnehin nicht mehr, soviel hab’ ich gesehn. Aber alles muß doch seinen Schick haben, auch Tod und Unglück. Adieu … Vorwärts!«
Und damit gab er dem Kutscher einen Tipp auf die Schulter, der seine Trakehner wieder antrieb und wenigstens einen Versuch machte, trotz der grundlosen Wege das Versäumte nach Möglichkeit wieder einzubringen.
***
Hradscheck machte gleich Lärm und schickte Jakob zu Schulze Woytasch, während er selbst zu Kunicke hinüber ging, der eben seinen Mittagsschlaf hielt.
»Stör’ Dich nicht gern um diese Zeit, Kunicke; Schlaf ist mir allemal heilig, und nun gar Deiner! Aber es hilft nichts, wir müssen hinaus. Der Friedrichsauer Amtsrath war eben da und sagte mir, daß ein Fuhrwerk in der Oder liege. Mein Gott, wenn es Szulski wäre!«
»Wird wohl,« gähnte Kunicke, dem der Schlaf noch in allen Gliedern steckte, »wird wohl … Aber er wollte ja nicht hören, als ich ihm gestern Abend sagte: ›nicht so früh, Szulski, nicht so früh …‹ Denke doch blos voriges Jahr, wie die Post ’runter fiel und der arme Kerl von Postillon gleich mausetodt. Und der kannte doch unsern Damm! Und nu solch Pohlscher, solch Bruder Krakauer. Na, wir werden ja sehn.«
Inzwischen hatte sich Kunicke zurecht gemacht und war erst in hohe Bruchstiefel und dann in einen dicken graugrünen Flausrock hineingefahren. Und nun nahm er seine Mütze vom Riegel und einen Pikenstock aus der Ecke.
»Komm!«
Damit traten er und Hradscheck vom Flur her auf die Treppenrampe hinaus.
Der Wind blies immer stärker, und als Beide, so gut es ging, von oben her sich umsahen, sahen sie, daß Schulze Woytasch, der schon anderweitig von dem Unglück gehört haben mußte, die Dorfstraße herunter kam. Er hatte seine Ponies, brillante kleine Traber, einspannen lassen und fuhr, aller Polizeiregel zum Trotz, über den aufgeschütteten Gangweg hin, was er sich als Dorfobrigkeit schon erlauben konnte. Zudem durft’ er sich mit Dringlichkeit entschuldigen. Als er dicht an Kunicke’s Rampe heran war, hielt er und rief Beiden zu: »Wollt auch hinaus? Natürlich. Immer aufsteigen. Aber rasch.« Und im nächsten Augenblicke ging es auf dem aufgeschütteten Wege in vollem Trabe weiter, auf Orth’s Gehöft und die Mühle zu. Hradscheck saß vorn neben dem Kutscher, Kunicke neben dem Schulzen. Das war so Regel und Ordnung, denn ein Bauerngut geht vor Gasthaus und Kramladen.
Gleich hinter der Mühle begann die langsam und allmählich zum Damm ansteigende Schrägung. Oben war der Weg etwas besser, aber immer noch schlecht genug, so daß es sich empfahl, dicht am Dammrand entlang zu fahren, wo, wegen des weniger aufgeweichten Bodens, die Räder auch weniger tief einschnitten.
»Paß Achtung,« sagte Woytasch, »sonst liegen wir auch unten.«
Und der Kutscher, dem selber ängstlich sein mochte, lenkte sofort auf die Mitte des Damms hinüber, trotzdem er hier langsamer fahren mußte.
Sah man von der Fährlichkeit der Situation ab, so war es eine wundervolle Fahrt und das sich weithin darbietende Bild von einer gewissen Großartigkeit. Rechtshin grüne Wintersaat, so weit das Auge reichte, nur mit einzelnen Tümpeln, Häusern und Pappelweiden dazwischen, zur Linken aber die von Regengüssen hoch angeschwollene Oder, mehr ein Haff jetzt als ein Strom. Wüthend kam der Südost vom jenseitigen Ufer herüber und trieb die graugelben Wellen mit solcher Gewalt an den Damm, daß es wie eine Brandung war. Und in eben dieser Brandung standen gekröpfte Weiden, nur noch den häßlichen Kopf über dem Wasser, während, auf der neumärkischen Seite, der blauschwarze Strich einer Kiefernwaldung in grellem, unheimlichem Sonnenscheine dalag.
Bis dahin war außer des Schulzen Anruf an den Kutscher kein Wort laut geworden, jetzt aber sagte Hradscheck, indem er sich zu den beiden hinter ihm Sitzenden umdrehte: »Der Wind wird ihn runter geweht haben.«
»Unsinn!« lachte Woytasch, »Ihr müßt doch sehn, Hradscheck, der Wind kommt ja von da, von drüben. Wenn der schuld wäre, läg’ er hier rechts vom Damm und nicht nach links hin in der Oder … Aber seht nur, da wanken ja schon welche herum und halten sich die Hüte fest. Fahr’ zu, daß wir nicht die Letzten sind.«
Und eine Minute darauf hielten sie gerad an der Stelle, wo das Unglück sich zugetragen hatte. Wirklich, Orth war schon da, mit ihm ein paar seiner Mühlknechte, desgleichen Mietzel und Quaas, deren ausgebaute Gehöfte ganz in der Nähe lagen. Alles begrüßte sich und kletterte dann gemeinschaftlich den Damm hinunter, um unten genau zu sehen, wie’s stünde. Die Böschung war glatt, aber man hielt sich an dem Werft- und Weidengestrüpp, das überall stand. Unten angekommen, sah man bestätigt, was von Anfang an niemand bezweifelt hatte: Szulski’s Einspänner lag wie gekentert im Wasser, das Verdeck nach unten, die Räder nach oben; von dem Pferde sah man nur dann und wann ein von den Wellen überschäumtes Stück Hintertheil, während die Scheere, darin es eingespannt gewesen, wie ein Wahrzeichen aus dem Strom aufragte. Den Mantelsack hatten die Wellen an den Damm gespült und nur von Szulski selbst ließ sich nichts entdecken.
»Er ist nach Kienitz hin weggeschwemmt,« sagte Schulze Woytasch. »Aber weit weg kann er nicht sein; die Brandung geht ja schräg gegen den Damm.«
Und dabei marschirte man truppweise weiter, von Gestrüpp zu Gestrüpp, und durchsuchte jede Stelle.
»Der Pelz muß doch oben auf schwimmen.«
»Ja, der Pelz,« lachte Kunicke. »Wenn’s blos der Pelz wär’. Aber der Pohlsche steckt ja drin.«
Es war der Kunicke’sche Trupp, der so plauderte, ganz wie bei Dachsgraben und Hühnerjagd, während der den andern Trupp führende Hradscheck mit einem Male rief: »Ah, da ist ja seine Mütze!«
Wirklich, Szulski’s Pelzmütze hing an dem kurzen Geäst einer Kropfweide.
»Nun, haben wir die,« fuhr Hradscheck fort, »so werden wir ihn auch selber bald haben.«
»Wenn wir nur ein Boot hätten. Aber es kann hier nicht tief sein, und wir müssen immer peilen und Grund suchen.«
Und so geschah’s auch. Aber alles Messen und Peilen half nichts und es blieb bei der Mütze, die der eine der beiden Müllerknechte mittlerweile mit einem Haken herangeholt hatte. Zugleich wurde der Wind immer schneidender und kälter, so daß Kunicke, der noch von Möckern und Montmirail her einen Rheumatismus hatte, keine Lust mehr zur Fortsetzung verspürte. Schulze Woytasch auch nicht.
»Ich werde Gensdarm Geelhaar nach Kienitz und Güstebiese schicken,« sagte dieser. »Irgendwo muß er doch antreiben. Und dann wollen wir ihm ein ordentliches Begräbniß machen. Nicht wahr, Hradscheck? Die Hälfte kann die Gemeinde geben.«
»Und die andre Hälfte geben wir,« setzte Kunicke hinzu. »Denn wir sind doch eigentlich ein bischen schuld. Oder eigentlich ganz gehörig. Er war gestern Abend verdammt fißlig und man bloß noch so so. War er denn wohl kattolsch?«
»Natürlich war er,« sagte Woytasch. »Wenn einer Szulski heißt und aus Krakau kommt, ist er kattolsch. Aber das schad’t nichts. Ich bin für Aufklärung. Der alte Fritze war auch für Aufklärung. Jeder nach seiner Façon …«
»Versteht sich,« sagte Kunicke. »Versteht sich. Und dann am Ende, wir wissen auch nicht, das heißt, ich meine, so ganz bestimmt wissen wir nicht, ob er ein Kattolscher war oder nich. Un was man nich weiß, macht einen nich heiß. Nicht wahr, Quaas?«
»Nein, nein. Was man nicht weiß, macht einen nicht heiß. Und Quaasen auch nicht.«
Alle lachten und selbst Hradscheck, der bis dahin eine würdige Zurückhaltung gezeigt hatte, stimmte mit ein.
IX
Der Todte fand sich nicht, der Wagen aber, den man mühevoll aus dem Wasser heraufgeholt hatte, wurde nach dem Dorf geschafft und in Kunicke’s große Scheune gestellt. Da stand er nun schon zwei Wochen, um entweder abgeholt oder auf Antrag der Krakauer Firma versteigert zu werden.
Im Dorfe gab es inzwischen viel Gerede, das aller Orten darauf hinauslief: »es sei was passirt und es stimme nicht mit den Hradschecks. Hradscheck sei freilich ein feiner Vogel und Spaßmacher und könne Witzchen und Geschichten erzählen, aber er hab’ es hinter den Ohren, und was die Frau Hradscheck angehe, die vor Vornehmheit nicht sprechen könne, so wisse jeder, stille Wasser seien tief. Kurzum es sei Beiden nicht recht zu traun und der Pohlsche werde wohl ganz wo anders liegen, als in der Oder.« Zum Überfluß griff auch noch unser Freund, der Kantorssohn, der sich jedes Skandals mit Vorliebe bemächtigte, in die Saiten seiner Leier, und allabendlich, wenn die Knechte, mit denen er auf Du und Du stand, vom Kruge her durchs Dorf zogen, sangen sie nach bekannter Melodie:
Morgenroth!
Abel schlug den Kain todt.
Gestern noch bei vollen Flaschen
Morgens ausgeleerte Taschen
Und ein kühles, kühles Gra-ab.
All dies kam zuletzt auch dem Küstriner Gericht zu Ohren, und wiewohl es nicht viel besser als Klatsch war, dem alles Beweiskräftige fehlte, so sah sich der Vorsitzende des Gerichts, Justizrath Vowinkel, doch veranlaßt, an seinen Duz- und Logenbruder Eccelius einige Fragen zu richten und dabei Erkundigungen über das Vorleben der Hradschecks einzuziehen.
Das war am 7. December, und noch am selben Tage schrieb Eccelius zurück:
»Lieber Bruder. Es ist mir sehr willkommen, in dieser Sache das Wort nehmen und Zeugniß zu Gunsten der beiden Hradschecks ablegen zu können. Man verleumdet sie, weil man sie beneidet, besonders die Frau. Du kennst unsere Brücher; sie sind hochfahrend und steigern ihren Dünkel bis zum Haß gegen alles, was sich ihnen gleich oder wohl gar überlegen glaubt. Aber ad rem. Er, Hradscheck, ist kleiner Leute Kind aus Neu-Lewin und, wie sein Name bezeugt, von böhmischer Extraktion. Du weißt, daß Neu-Lewin in den 80er Jahren mit böhmischen Kolonisten besetzt wurde. Doch dies beiläufig. Unsres Hradscheck Vater war Zimmermann, der, nach Art solcher Leute, den Sohn für dasselbe Handwerk bestimmte. Und unser Hradscheck soll denn auch wirklich als Zimmermann gewandert und in Berlin beschäftigt gewesen sein. Aber es mißfiel ihm, und so fing er, als er vor etwa 15 Jahren nach Neu-Lewin zurückkehrte, mit einem Kramgeschäft an, das ihm auch glückte, bis er, um eines ihm unbequem werdenden ›Verhältnisses‹ willen, den Laden aufgab und den Entschluß faßte nach Amerika zu gehen. Und zwar über Holland. Er kam aber nur bis ins Hannöversche, wo er, in der Nähe von Hildesheim, also katholische Gegend, in einer großen gasthausartigen Dorfherberge Quartier nahm. Hier traf es sich, daß an demselben Tage die seit Jahr und Tag in der Welt umhergezogene Tochter des Hauses, krank und elend von ihren Fahrten und Abenteuern – sie war muthmaßlich Schauspielerin gewesen – zurückkam und eine furchtbare Scene mit ihrem Vater hatte, der ihr nicht nur die bösesten Namen gab, sondern ihr auch Zuflucht und Aufnahme verweigerte. Hradscheck, von dem Unglück und wahrscheinlich mehr noch von dem eigenartigen und gewinnenden Wesen der jungen Frau gerührt, ergriff Partei für sie, hielt um ihre Hand an, was dem Vater wie der ganzen Familie nur gelegen kam, und heirathete sie, nachdem er seinen Auswanderungsplan aufgegeben hatte. Bald danach, um Martini herum, übersiedelten Beide hierher, nach Tschechin, und schon am ersten Advents-Sonntage kam die junge Frau zu mir und sagte, daß sie sich zur Landeskirche halten und evangelisch getraut sein wolle. Was denn auch geschah und damals (es geht jetzt ins zehnte Jahr) einen großen Eindruck auf die Bauern machte. Daß der kleine Gott mit dem Bogen und Pfeil in dem Leben Beider eine Rolle gespielt hat, ist mir unzweifelhaft, ebenso daß Beide seinen Versuchungen unterlegen sind. Auch sonst noch, wie nicht bestritten werden soll, bleiben einige dunkle Punkte, trotzdem es an anscheinend offenen Bekenntnissen nie gefehlt hat. Aber wie dem auch sein möge, mir liegt es pflichtmäßig ob zu bezeugen, daß es wohlanständige Leute sind, die, so lang ich sie kenne, sich gut gehalten und allzeit in einer christlichen Ehe gelebt haben. Einzelnes, was ihm, nach der entgegengesetzten Seite hin, vor längrer oder kürzrer Zeit nachgesagt wurde, mag auf sich beruhn, um so mehr als mir Sittenstolz und Tugendrichterei von Grund aus verhaßt sind. Die Frau hat meine besondere Sympathie. Daß sie den alten Aberglauben abgeschworen, hat sie mir, wie Du begreifen wirst, von Anfang an lieb und werth gemacht.«
Die Wirkung dieses Eccelius’schen Briefes war, daß das Küstriner Gericht die Sache vorläufig fallen ließ; als demselben aber zur Kenntniß kam, »daß Nachtwächter Mewissen, nach neuerdings vor Schulze Woytasch gemachten Aussagen, an jenem Tage, wo das Unglück sich ereignete, so zwischen fünf und sechs (um die Zeit also, wo das Wetter am tollsten gewesen) die Frau Hradscheck zwischen den Pappeln an der Mühle gesehn haben wollte, ganz so wie wenn sie halb verbiestert vom Damm her käme,« – da waren die Verdachtsgründe gegen Hradscheck und seine Frau doch wieder so gewachsen, daß das Gericht einzuschreiten beschloß. Aber freilich auch jetzt noch unter Vermeidung jedes Eclats, weshalb Vowinkel an Eccelius, dem er ohnehin noch einen Dankesbrief schuldete, die folgenden Zeilen richtete:
»Habe Dank, lieber Bruder, für Deinen ausführlichen Brief vom 7. d. M., dem ich, soweit er ein Urtheil abgiebt, in meinem Herzen zustimme. Hradscheck ist ein durchaus netter Kerl, weit über seinen Stand hinaus, und Du wirst Dich entsinnen, daß er letzten Winter sogar in Vorschlag war und zwar auf meinen speciellen Antrag. Das alles steht fest. Aber zu meinem Bedauern will die Geschichte mit dem Polen nicht aus der Welt, ja, die Verdachtsgründe haben sich gemehrt, seit neuerdings auch euer Mewissen gesprochen hat. Andrerseits freilich ist immer noch zu wenig Substanz da, um ohne Weiteres eine Verhaftung eintreten zu lassen, weßhalb ich vorhabe, die Hradscheck’schen Dienstleute, die doch schließlich alles am besten wissen müssen, zu vernehmen und von ihrer Aussage mein weiteres Thun oder Nichtthun abhängig zu machen. Unter allen Umständen aber wollen wir alles, was Aufsehn machen könnte, nach Möglichkeit vermeiden. Ich treffe morgen gegen 2 in Tschechin ein, fahre gleich bei Dir vor und bitte Dich Sorge zu tragen, daß ich den Knecht Jakob sammt den beiden andern Personen, deren Namen ich vergessen, in Deinem Hause vorfinde.«
***
So des Justizraths Brief. Er selbst hielt zu festgesetzter Zeit vor dem Pfarrhaus und trat in den Flur, auf dem die drei vorgeforderten Dienstleute schon standen. Vowinkel grüßte sie, sprach, in der Absicht ihnen Muth zu machen, ein paar freundliche Worte zu jedem und ging dann, nachdem er sich aus seinem Mantel herausgewickelt, auf Eccelius’ Studirstube zu, darin nicht nur der große schwarze Kachelofen, sondern auch der wohlarrangirte Kaffeetisch jeden Eintretenden überaus anheimelnd berühren mußte. Dies war denn auch bei Vowinkel der Fall. Er wies lachend darauf hin und sagte: »Vortrefflich, Freund. Höchst einladend. Aber ich denke, wir lassen das bis nachher. Erst das Geschäftliche. Das Beste wird sein, Du stellst die Fragen und ich begnüge mich mit der Beisitzer-Rolle. Sie werden Dir unbefangner antworten als mir.« Dabei nahm er in einem neben dem Ofen stehenden hohen Lehnstuhle Platz, während Eccelius, auf den Flur hinaus, nach Ede rief und sich’s nun erst, nach Erledigung aller Präliminarien, an seinem mächtigen Schreibtische bequem machte, dessen großes, zwischen einem Sand- und einem Tintenfaß stehendes Alabasterkreuz ihn von hinten her überragte.
Der Gerufene war inzwischen eingetreten und blieb an der Thür stehn. Er hatte sichtlich sein Bestes gethan, um einen manierlichen Menschen aus sich zu machen, aber nur mit schwachem Erfolg. Sein brandrothes Haar lag großentheils blank an den Schläfen, während ihm das Wenige, was ihm sonst noch verblieben war, nach Art einer Spitzflamme zu Häupten stand. Am schlimmsten aber waren seine winterlichen Hände, die, wie eine Welt für sich, aus dem überall zu kurz gewordenen Einsegnungsrock hervorsahen.
»Ede,« sagte der Pastor freundlich, »Du sollst über Hradscheck und den Polen aussagen, was Du weißt.«
Der Junge schwieg und zitterte.
»Warum sagst Du nichts? warum zitterst Du?«
»Ick jrul’ mi so.«
»Vor wem? Vor uns?«
Ede schüttelte mit dem Kopf.
»Nun, vor wem denn?«
»Vor Hradschecken …«
Eccelius, der alles zu Gunsten der Hradschecks gewendet zu sehen wünschte, war mit dieser Aussage wenig zufrieden, nahm sich aber zusammen und sagte: »Vor Hradscheck. Warum vor Hradscheck? Was ist mit ihm? Behandelt er Dich schlecht?«
»Nei.«
»Nu wie denn?«
»Ick weet nich … He is so anners.«
»Nu gut. Anders. Aber das ist nicht genug, Ede. Du mußt uns mehr sagen. Worin ist er anders? Was thut er? Trinkt er? Oder flucht er? Oder ist er in Angst?«
»Nei.«
»Nu wie denn? Was denn?«
»Ick weet nich … He is so anners.«
Es war ersichtlich, daß aus dem eingeschüchterten Jungen nichts weiter herauszubringen sein würde, weßhalb Vowinkel dem Freunde zublinkte, die Sache fallen zu lassen. Dieser brach denn auch wirklich ab und sagte: »Nun, es ist gut, Ede. Geh. Und schicke die Male herein.«
Diese kam und war in ihrem Kopf- und Brusttuch, das sie heute wie sonntäglich angelegt hatte, kaum wieder zu erkennen. Sie sah klar aus den Augen, war unbefangen und erklärte, nachdem Eccelius seine Frage gestellt hatte, daß sie nichts wisse. Sie habe Szulski gar nicht gesehn, »un ihrst um Klocker vier oder noch en beten danoah« wäre Hradscheck an ihre Kammerthür gekommen und hätte gesagt, daß sie rasch aufstehn und Kaffee kochen solle. Das habe sie denn auch gethan, und grad als sie den Kien gespalten, sei Jakob gekommen und hab’ ihr so im Vorübergehn gesagt, »daß er den Pohlschen geweckt habe; der Pohlsche hab’ aber ’nen Dodenschlaf gehabt und habe gar nich geantwortet. Und da hab’ er an die Dhür gebullert.«
All das erzählte Male hintereinander fort, und als der Pastor zum Schlusse frug, ob sie nicht noch weiter was wisse, sagte sie: »Nein, weiter wisse sie nichts, oder man blos noch das Eine, daß die Kanne, wie sie das Kaffeegeschirr herausgeholt habe, beinah noch ganz voll gewesen sei. Und sei doch ein gräuliches Wetter gewesen und kalt und naß. Und wenn sonst einer des Morgens abreise, so tränk’ er mehrstens oder eigentlich immer die Kanne leer, un von Zucker übrig lassen wär’ gar keine Rede nich. Und manche nähmen ihn auch mit. Aber der Pohlsche hätte keine drei Schluck getrunken, und sei eigentlich alles noch so gewesen, wie sie’s reingebracht habe. Weiter wisse sie nichts.«
Danach ging sie, und der Dritte, der nun kam, war Jakob.
»Nun, Jakob, wie war es?« fragte Eccelius; »Du weißt, um was es sich handelt. Was Du Malen und mir schon vorher gesagt hast, brauchst Du nicht zu wiederholen. Du hast ihn geweckt und er hat nicht geantwortet. Dann ist er die Treppe herunter gekommen und Du hast gesehn, daß er sich an dem Geländer festhielt, als ob ihm das Gehn in dem Pelz schwer würde. Nicht wahr, so war es?«
»Joa, Herr Pastor.«
»Und weiter nichts?«
»Nei, wider nix. Un wihr man blot noch, dat he so’n beten lütt utsoah, un …«
»Und was?«
»Un dat he so still wihr un seggte keen Wuhrd nich. Un as ick to em seggen deih: ›Na Adjes, Herr Szulski,‹ doa wihr he wedder so bummsstill un nickte man blot so.«
Nach dieser Aussage trat auch Jakob ab und die Pfarrköchin brachte den Kaffee. Vowinkel nahm eine der Tassen und sagte, während er sich an das Fensterbrett lehnte: »Ja, Freund, die Sache steht doch schlimmer, als Du wahr haben möchtest, und fast auch schlimmer als ich erwartete.«