Kitabı oku: «Unterm Birnbaum», sayfa 8
XVIII
Hradscheck, sonst mäßig, hatte mit den andern um die Wette getrunken, blos um eine ruhige Nacht zu haben. Das war ihm auch geglückt, und er schlief nicht nur fest, sondern auch weit über seine gewöhnliche Stunde hinaus. Erst um acht Uhr war er auf. Male brachte den Kaffee, die Sonne schien ins Zimmer, und die Sperlinge, die das aus den Häckselsäcken gefallene Futterkorn aufpickten, flogen, als sie damit fertig waren, aufs Fensterbrett und meldeten sich. Ihre Zwitschertöne hatten etwas Heitres und Zutrauliches, das dem Hausherrn, der ihnen reichlich Semmelkrume zuwarf, unendlich wohl that, ja, fast war’s ihm, als ob er ihren Morgengruß verstände: »Schöner Tag heute, Herr Hradscheck; frische Luft; alles leicht nehmen!«
Er beendete sein Frühstück und ging in den Garten. Zwischen den Buchsbaum-Rabatten stand viel Rittersporn, halb noch in Blüthe, halb schon in Samenkapseln, und er brach eine der Kapseln ab und streute die schwarzen Körnchen in seine Handfläche. Dabei fiel ihm, wie von ungefähr, ein, was ihm Mutter Jeschke vor Jahr und Tag einmal über Farrnkrautsamen und Sich-unsichtbar-machen gesagt hatte. »Farrnkrautsamen in die Schuh gestreut …« Aber er mocht’ es nicht ausdenken und sagte, während er sich auf eine neuerdings um den Birnbaum herum angebrachte Bank setzte: »Farrnkrautsamen! Nun fehlt blos noch das Licht vom ungebornen Lamm. Alles Altweiberschwatz. Und wahrhaftig, ich werde noch selber ein altes Weib … Aber da kommt sie …«
Wirklich, als er so vor sich hinredete, kam die Jeschke zwischen den Spargelbeeten auf ihn zu.
»Dag, Hradscheck. Wie geiht et? Se kümmen joa goar nich mihr.«
»Ja, Mutter Jeschke, wo soll die Zeit herkommen? Man hat eben zu thun. Und der Ede wird immer dummer. Aber setzen Sie sich. Hierher. Hier ist Sonne.«
»Nei, loatens man, Hradscheck, loatens man. Ick sitt schon so veel. Awers Se möten sitten bliewen.« Und dabei malte sie mit ihrem Stock allerlei Figuren in den Sand.
Hradscheck sah ihr zu, ohne seinerseits das Wort zu nehmen, und so fuhr sie nach einer Pause fort: »Joa, veel to dohn is woll. Wihr joa gistern wedder Klock een. Kunicke kunn woll wedder nich los koamen? Den kenn’ ick. Na, sien Vader, de oll Kunicke, wihr ook so. Man blot noch en beten mihr.«
»Ja,« lachte Hradscheck, »spät war es. Un denken Sie sich, Mutter Jeschke, Klock zwölf oder so herum sind wir noch fünf Mann hoch in den Keller gestiegen. Und warum? Weil der Ede nicht mehr wollte.«
»Nu, süh eens. Un worümm wull he nich?«
»Weil’s unten spuke. Der Junge war wie verdreht mit seinem ewigen ›et spökt‹ und ›et grappscht‹. Und weil er dabei blieb und wir unsre Bowle doch haben wollten, so sind wir am Ende selber gegangen.«
»Nu, süh eens,« wiederholte die Alte. »Hätten em salln ’ne Muulschell gewen.«
»Wollt’ ich auch. Aber als er so dastand und zitterte, da konnt’ ich nicht. Und dann dacht’ ich auch …«
»Ach wat, Hradscheck, is joa all dumm Tüg … Un wenn et wat is, na, denn möt’ et de Franzos sinn.«
»Der Franzose?«
»Joa, de Franzos. Kuckens moal; de Ihrd geiht hier so’n beten dahl. He moak woll en beten rutscht sinn.«
»Rutscht sinn«, wiederholte Hradscheck und lachte mit der Alten um die Wette. »Ja, der Franzos ist gerutscht. Alles gut. Aber wenn ich nur den Jungen erst wieder in Ordnung hätte. Der macht mir das ganze Dorf rebellisch. Und wie die Leute sind, wenn sie von Spuk hören, da wird ihnen ungemüthlich. Und dann kommt zuletzt auch die dumme Geschichte wieder zur Sprache. Sie wissen ja …«
»Woll, woll, ick weet.«
»Und dann, Mutter Jeschke, Spuk ist Unsinn. Natürlich. Aber es giebt doch welche …«
»Joa, joa.«
»Es giebt doch welche, die sagen: Spuk ist nicht Unsinn. Wer hat nu Recht? Nu mal heraus mit der Sprache.«
Der Alten entging nicht, in welcher Pein und Beklemmung Hradscheck war, weshalb sie, wie sie stets zu thun pflegte, mit einem »ja« antwortete, das ebenso gut ein »nein«, und mit einem »nein«, das ebenso gut ein »ja« sein konnte.
»Mien leew Hradscheck,« begann sie, »Se wullen wat weten von mi. Joa, wat weet ick? Spök! Gewen moak et joa woll so wat. Un am Enn’ ook wedder nich. Un ick segg’ ümmer: wihr sich jrult, för den is et wat, und wihr sich nich jrult, för den is et nix.«
Hradscheck, der mit gespanntester Aufmerksamkeit gefolgt war, nickte zustimmend, während die sich plötzlich neben ihn setzende Alte mit wachsender Vertraulichkeit fortfuhr: »Ick will Se wat seggen, Hradscheck. Man möt man blot Kurasch hebben. Un Se hebben joa. Wat is Spök? Spök, dat’s grad so, as wenn de Müüs’ knabbern. Wihr ümmer hinhürt, na, de slöppt nich; wihr awers so bi sich seggen deiht: ›na, worümm salln se nich knabbern‹, de slöppt.«
Und bei diesen Worten erhob sie sich rasch wieder und ging, zwischen den Beeten hin, auf ihre Wohnung zu. Mit einem Mal aber blieb sie stehn und wandte sich wieder, wie wenn sie ’was vergessen habe. »Hürens, Hradscheck, wat ick Se noch seggen wull, uns’ Line kümmt ook wedder. Se hett gistern schrewen. Wat mienens? De wihr so wat för Se.«
»Geht nicht, Mutter Jeschke. Was würden die Leute sagen? Un is auch eben erst ein Jahr.«
»Woll. Awers se kümmt ook ihrst um Martini ’rümm … Und denn, Hradscheck, Se bruken se joa nich glieks to frijen.«
XIX
»De Franzos is rutscht,« hatte die Jeschke gesagt und war dabei wieder so sonderbar vertraulich gewesen, alles mit Absicht und Berechnung. Denn wenn das Gespräch auch noch nachwirkte, darin ihr, vor länger als einem Jahr, ihr sonst so gefügiger Nachbar mit einer Verläumdungsklage gedroht hatte, so konnte sie, trotz alledem, von der Angewohnheit nicht lassen, in dunklen Andeutungen zu sprechen, als wisse sie was und halte nur zurück.
»Verdammt!« murmelte Hradscheck vor sich hin. »Und dazu der Ede mit seiner ewigen Angst.«
Er sah deutlich die ganze Geschichte wieder lebendig werden, und ein Schwindel ergriff ihn, wenn er an all das dachte, was bei diesem Stande der Dinge jeder Tag bringen konnte.
»Das geht so nicht weiter. Er muß weg. Aber wohin?«
Und bei diesen Worten ging Hradscheck auf und ab und überlegte.
»Wohin? Es heißt, er liege in der Oder. Und dahin muß er … je eher je lieber … Heute noch. Aber ich wollte, dies Stück Arbeit wäre gethan. Damals ging es, das Messer saß mir an der Kehle. Aber jetzt! Wahrhaftig, das Einbetten war nicht so schlimm, als es das Umbetten ist.«
Und von Angst und Unruhe getrieben, ging er auf den Kirchhof und trat an das Grab seiner Frau. Da war der Engel mit der Fackel und er las die Inschrift. Aber seine Gedanken konnten von dem, was er vorhatte, nicht los, und als er wieder zurück war, stand es fest: »Ja, heute noch … Was du thun willst, thue bald.«
Und dabei sann er nach, wie’s geschehn müsse.
»Wenn ich nur etwas Farrnkraut hätt’. Aber wo giebt es Farrnkraut hier? Hier wächst ja blos Gras und Gerste, weiter nichts, und ich kann doch nicht zehn Meilen in der Welt herumkutschiren, blos um mit einem großen Busch Farrnkraut wieder nach Hause zu kommen. Und warum auch? Unsinn ist es doch.«
Er sprach noch so weiter. Endlich aber entsann er sich, in dem benachbarten Gusower Park einen ganzen Wald von Farrnkraut gesehn zu haben. Und so rief er denn in den Hof hinaus und ließ anspannen.
Um Mittag kam er zurück, und vor ihm, auf dem Rücksitze des Wagens, lag ein riesiger Farrnkrautbusch. Er kratzte die Samenkörnchen ab und that sie sorglich in eine Papierkapsel und die Kapsel in ein Schubfach. Dann ging er noch einmal alles durch, was er brauchte, trug das Grabscheit, das für gewöhnlich neben der Gartenthür stand, in den Keller hinunter und war wie verwandelt, als er mit diesen Vorbereitungen fertig war.
Er pfiff und trällerte vor sich hin und ging in den Laden.
»Ede, Du kannst heute Nachmittag ausgehn. In Gusow ist Jahrmarkt mit Karoussel und sind auch Kunstreiter da, das heißt Seiltänzer. Ich hab’ heute Vormittag das Seil spannen sehn. Und vor acht brauchst Du nicht wieder hier zu sein. Da nimm, das ist für Dich, und nun amüsire Dich gut. Und is auch ’ne Waffelbude da, mit Eierbier und Punsch. Aber hübsch mäßig, nich zu viel; hörst Du, keine Dummheiten machen.«
Ede strahlte vor Glück, machte sich auf den Weg und war Punkt acht wieder da. Zugleich mit ihm kamen die Stammgäste, die, wie gewöhnlich, ihren Platz in der Weinstube nahmen. Einige hatten schon erfahren, daß Hradscheck am Vormittag in Gusow gewesen und mit einem großen Busch Farrnkraut zurückgekommen sei.
»Was Du nur mit dem Farrnkraut willst?« fragte Kunicke.
»Anpflanzen.«
»Das wuchert ja. Wenn das drei Jahr in Deinem Garten steht, weißt Du vor Unkraut nicht mehr, wo du hin sollst.«
»Das soll es auch. Ich will einen hohen Zaun davon ziehn. Und je rascher es wächst, desto besser.«
»Na, sieh Dich vor damit. Das ist wie die Wasserpest; wo sich das mal eingenistet hat, ist kein Auskommen mehr. Und vertreibt Dich am Ende von Haus und Hof.«
Alles lachte, bis man zuletzt auf die Kunstreiter zu sprechen kam und an Hradscheck die Frage richtete, was er denn eigentlich von ihnen gesehen habe?
»Blos das Seil. Aber Ede, der heute Nachmittag da war, der wird wohl Augen gemacht haben.«
Und nun erzählte Hradscheck des Breiteren, daß der, dem die Truppe jetzt gehöre, des alten Kolter Schwiegersohn sei, ja, die Frau desselben nenne sich noch immer nach dem Vater und habe den Namen ihres Mannes gar nicht angenommen.
Er sagte das alles so hin, wie wenn er die Kolters ganz genau kenne, was den Ölmüller zu verschiedenen Fragen über die berühmte Seiltänzerfamilie veranlaßte. Denn Springer und Kunstreiter waren Quaasens unentwegte Passion, seit er als zwanzigjähriger Junge mal auf dem Punkte gestanden hatte, mit einer Kunstreiterin auf und davon zu gehn. Seine Mutter jedoch hatte Wind davon gekriegt und ihn nicht blos in den Milchkeller gesperrt, sondern auch den Direktor der Truppe gegen ein erhebliches Geldgeschenk veranlaßt, die »gefährliche Person« bis nach Reppen hin vorauszuschicken. All das, wie sich denken läßt, gab auch heute wieder Veranlassung zu vielfachen Neckereien und um so mehr, als Quaas ohnehin des Vorzugs genoß, Stichblatt der Tafelrunde zu sein.
»Aber was is das mit Kolter?« fragte Kunicke. »Du wolltest von ihm erzählen, Hradscheck. Is es ein Reiter oder ein Springer?«
»Blos ein Springer. Aber was für einer!«
Und nun fing Hradscheck an, eine seiner Hauptgeschichten zum Besten zu geben, die vom alten Kolter nämlich, der Anno 14 schon sehr berühmt und mit in Wien auf dem Kongreß gewesen sei.
»Was, was? Mit auf dem Kongreß?«
»Versteht sich. Und warum nicht?«
»Auf dem Kongreß also.«
Und da habe denn, so fuhr Hradscheck fort, der König von Preußen zum Kaiser von Rußland gesagt: »Höre, Bruderherz, was Du von Deinem Stiglischeck auch sagen magst, Kolter ist doch besser, Parole d’honneur, Kolter ist der erste Springer der Welt, und was ihm auch passiren mag, er wird sich immer zu helfen wissen.« Und als nun der Kaiser von Rußland das bestritten, da hätten sie gewettet, und wäre blos die Bedingung gewesen, daß nichts vorher gesagt werden solle. Das hätten sie denn auch gehalten. Und als nun Kolter halb schon das zwischen zwei Thürmen ausgespannte Seil hinter sich gehabt habe, da sei mit einem Male, von der andern Seite her, ein andrer Seiltänzer auf ihn losgekommen, das sei Stiglischeck gewesen, und keine Minute mehr, da hätten sie sich gegenüber gestanden und der Russe, was ihm auch keiner verdenken könne, habe blos gesagt: »Alles perdu, Bruder: Du verloren, ich verloren.« Aber Kolter habe nur gelacht und ihm was ins Ohr geflüstert, einige sagen einen frommen Spruch, andre aber sagen das Gegentheil, und sei dann mit großer Anstrengung und Geschicklichkeit zehn Schritte rückwärts gegangen, während der andre sich niedergehuckt habe. Und nun habe Kolter einen Anlauf genommen und sei mit eins, zwei, drei über den andern weggesprungen. Da sei denn ein furchtbares Beifallklatschen gewesen und einige hätten laut geweint und immer wieder und wieder gesagt, »das sei mehr als Napoleon«. Und der Kaiser von Rußland habe seine Wette verloren und auch wirklich bezahlt.
»Wird er wohl, wird er wohl,« sagte Kunicke. »Der Russe bezahlt immer. Hat’s ja … Bravo, Hradscheck; bravo!«
So war Hradscheck mit Beifall belohnt worden und hatte von Viertelstunde zu Viertelstunde noch vieles Andre zum Besten gegeben, bis endlich um elf die Stammgäste das Haus verließen.
***
Ede war schon zu Bett geschickt und in dem weiten Hause herrschte Todesstille. Hradscheck schritt auf und ab in seiner Stube, mußte sich aber setzen, denn der Aufregungen dieses Tages waren so viele gewesen, daß er sich, trotz fester Nerven, einer Ohnmacht nahe fühlte. So lang er drüben Geschichten erzählt hatte, munterer und heiterer, so wenigstens schien es, als je zuvor, war kein Tropfen Wein über seine Lippen gekommen, jetzt aber nahm er Kognak und Wasser und fühlte, wie Kraft und Entschlossenheit ihm rasch wiederkehrten. Er ging auf das Schubfach zu, drin er das Kapselchen versteckt hatte, zog gleich danach seine Schuh’ aus und pulverte von dem Farrnkrautsamen hinein.
»So!«
Und nun stand er wieder in seinen Schuhen und lachte.
»Will doch mal die Probe machen! Wenn ich jetzt unsichtbar bin, muß ich mich auch selber nicht sehen können.«
Und das Licht zur Hand nehmend, trat er vor den schmalen Trumeau mit dem weißlackirten Rahmen und sah hinein und nickte seinem Spiegelbilde zu. »Guten Tag, Abel Hradscheck. Wahrhaftig, wenn alles so viel hilft, wie der Farrnkrautsamen, so werd’ ich nicht weit kommen und blos noch das angenehme Gefühl haben, ein Narr gewesen zu sein und ein Dummkopf, den ein altes Weib genasführt hat. Die verdammte Hexe! Warum lebt sie? Wäre sie weg, so hätt’ ich längst Ruh’ und brauchte diesen Unsinn nicht. Und brauchte nicht …« Ein Grusel überlief ihn, denn das Furchtbare, was er vorhatte, stand mit einem Male wieder vor seiner Seele. Rasch aber bezwang er sich. »Eins kommt aus dem andern. Wer A sagt, muß B sagen.«
Und als er so gesprochen und sich wieder zurecht gerückt hatte, ging er auf einen kleinen Eckschrank zu und nahm ein Laternchen heraus, das er sich schon vorher durch Überkleben mit Papier in eine Art Blendlaterne umgewandelt hatte. Die Alte drüben sollte den Lichtschimmer nicht wieder sehn und ihn nicht zum wievielsten Male mit ihrem »ick weet nich, Hradscheck, wihr et in de Stuw or wihrt et in’n Keller« in Wuth und Verzweiflung bringen. Und nun zündete er das Licht an, knipste die Laternenthür wieder zu und trat rasch entschlossen auf den Flur hinaus. Was er brauchte, darunter auch ein Stück alter Teppich, aus langen Tuchstreifen geflochten, lag längst unten in Bereitschaft.
»Vorwärts, Hradscheck!«
Und zwischen den großen Ölfässern hin ging er bis an den Kellereingang, hob die Fallthür auf und stieg langsam und vorsichtig die Stufen hinunter. Als er aber unten war, sah er, daß die Laterne, trotz der angebrachten Verblendung, viel zu viel Licht gab und nach oben hin, wie aus einem Schlot, einen hellen Schein warf. Das durfte nicht sein, und so stieg er die Treppe wieder hinauf, blieb aber in halber Höhe stehn und griff blos nach einem ihm in aller Bequemlichkeit zur Hand liegenden Brett, das hier an das nächstliegende Ölfaß herangeschoben war, um die ganze Reihe der Fässer am Rollen zu verhindern. Es war nur schmal, aber doch gerade breit genug, um unten das Kellerfenster zu schließen.
»Nun mag sie sich drüben die Augen auskucken. Meinetwegen. Durch ein Brett wird sie ja wohl nicht sehn können. Ein Brett ist besser als Farrnkrautsamen …«
Und damit schloß er die Fallthür und stieg wieder die Stufen hinunter.
XX
Ede war früh auf und bediente seine Kunden. Dann und wann sah er nach der kleinen im Nebenzimmer hängenden Uhr, die schon auf ein Viertel nach acht zeigte.
»Wo der Alte nur bleibt?«
Ede durfte die Frage schon thun, denn für gewöhnlich erschien Hradscheck mit dem Glockenschlage sieben, wünschte guten Morgen und öffnete die nach der Küche führende kleine Thür, was für die Köchin allemal das Zeichen war, daß sie den Kaffee bringen solle. Heut aber ließ sich kein Hradscheck sehn, und als es nah an neun heran war, steckte statt seiner nur Male den Kopf in den Laden hinein und sagte:
»Wo he man bliewt, Ede?«
»Weet nich.«
»Ick will geihn un en beten an sine Dhör bullern.«
»Joa, dat dhu man.«
Und wirklich, Male ging, um ihn zu wecken. Aber sie kam in großer Aufregung wieder. »He is nich doa, nich in de Vör- un ook nich in de Hinner-Stuw. Allens open un keene Dhör to.«
»Un sien Bett?« fragte Ede.
»Allens glatt un ungeknüllt. He’s goar nich in west.«
Ede kam nun auch in Unruhe. Was war zu thun? Er, wie Male, hatten ein unbestimmtes Gefühl, daß etwas ganz Absonderliches geschehen sein müsse, worin sie sich durch den schließlich ebenfalls erscheinenden Jakob nur noch bestärkt sahen. Nach einigem Berathen kam man überein, daß Jakob zu Kunicke hinübergehn und wegen des Abends vorher anfragen solle; Kunicke müss’ es wissen, der sei immer der Letzte. Male dagegen solle rasch nach dem Krug laufen, wo Gensdarm Geelhaar um diese Stunde zu frühstücken und der alten Krüger’schen, die manchen Sturm erlebt hatte, schöne Dinge zu sagen pflegte. Das geschah denn auch alles, und keine Viertelstunde, so sah man Geelhaar die Dorfstraße herunter kommen, mit ihm Schulze Woytasch, der sich, einer abzuhaltenden Versammlung halber, zufällig ebenfalls im Kruge befunden hatte. Vor Hradscheck’s Thür trafen Beide mit Kunicke zusammen. Man begrüßte sich stumm und überschritt mit einer gewissen Feierlichkeit die Schwelle.
Drin im Hause hatte sich mittlerweile die Scene verändert.
Ede, der noch eine Zeit lang in allen Ecken und Winkeln umhergesucht hatte, stand jetzt, als die Gruppe sich näherte, mitten auf dem Flur und wies auf ein großes Ölfaß, das um ein Geringes vorgerollt war, nur zwei Fingerbreit, nur bis an den großen Eisenring, aber doch gerade weit genug, um die Fallthür zu schließen.
»Doa sitt he in,« schrie der Junge.
»Schrei’ nicht so!« fuhr ihn Schulze Woytasch an. Und Kunicke setzte mit mehr Derbheit, aber auch mit größerer Gemüthlichkeit hinzu: »Halt’s Maul, Junge.«
Dieser jedoch war nicht zur Ruh zu bringen, und sein bischen Schläfenhaar immer mehr in die Höh’ schiebend, fuhr er in demselben Weimertone fort: »Ick weet allens. Dat’s de Spök. De Spök hett noah em grappscht. Un denn wull he ’rut un kunn nich.«
Um diese Zeit war auch Eccelius aus der Pfarre herüber gekommen, leichenblaß und so von Ahnungen geängstigt, daß er, als man das Faß jetzt zurückgeschoben und die Fallthür geöffnet hatte, nicht mit hinuntersteigen mochte, sondern erst in den Laden und gleich darnach auf die Dorfgasse hinaus trat.
Geelhaar und Schulze Woytasch, schon von Amtswegen auf bessre Nerven gestellt, hatten inzwischen ihren Abstieg bewerkstelligt, während Kunicke, mit einem Licht in der Hand, von oben her in den Keller hineinleuchtete. Da nicht viele Stufen waren, so konnt’ er das Nächste bequem sehn: unten lag Hradscheck, allem Anscheine nach todt, ein Grabscheit in der Hand, die zerbrochene Laterne daneben. Unser alter Anno-Dreizehner sah sich bei diesem Anblick seiner gewöhnlichen Gleichgültigkeit entrissen, erholte sich aber und kroch, unten angekommen, in Gemeinschaft mit Geelhaar und Woytasch auf die Stelle zu, wo hinter einem Lattenverschlage der Weinkeller war. Die Thür stand auf, etwas Erde war aufgegraben, und man sah Arm und Hand eines hier Verscharrten. Alles andre war noch verdeckt. Aber freilich, was sichtbar war, war gerade genug, um alles Geschehene klar zu legen.
Keiner sprach ein Wort, und mit einem scheuen Seitenblick auf den entseelt am Boden Liegenden stiegen alle drei die Treppe wieder hinauf.
Auch oben, wo sich Eccelius ihnen wieder gesellte, blieb es bei wenig Worten, was schließlich nicht Wunder nehmen konnte. Waren doch alle, mit alleiniger Ausnahme von Geelhaar, viel zu befreundet mit Hradscheck gewesen, als daß ein Gespräch über ihn anders als peinlich hätte verlaufen können. Peinlich und mit Vorwürfen gegen sich selbst gemischt. Warum hatte man bei der gerichtlichen Untersuchung nicht besser aufgepaßt, nicht schärfer gesehn? Warum hatte man sich hinters Licht führen lassen?
Nur das Nöthigste wurde festgestellt. Dann verließ man das durch so viele Jahre hin mit Vorliebe besuchte Haus, das nun für jeden ein Haus des Schreckens geworden war. Kunicke schritt quer über den Damm auf seine Wohnung, Eccelius auf seine Pfarre zu. Woytasch war mit ihm.
»Das Küstriner Gericht,« hob Eccelius an, »wird nur wenig noch zu sagen haben. Alles ist klar und doch ist nichts bewiesen. Er steht vor einem höheren Richter.«
Woytasch nickte. »Höchstens noch, was aus der Erbschaft wird,« bemerkte dieser und sah vor sich hin. »Er hat keine Verwandte hier herum und die Frau, so mir recht is, auch nich. Vielleicht, daß es der Pohlsche wiederkriegt. Aber das werden die Tschechiner nich wollen.«
Eccelius erwiderte: »Das alles macht mir keine Sorge. Was mir Sorge macht, ist blos das: wie kriegen wir ihn unter die Erde und wo. Sollen wir ihn unter die guten Leute legen, das geht nicht, das leiden die Bauern nicht und machen uns eine Kirchhofs-Revolte. Und was das Schlimmste ist, haben auch Recht dabei. Und sein Feld wird auch keiner dazu hergeben wollen. Eine solche Stelle mag niemand auf seinem ehrlichen Acker haben.«
»Ich denke,« sagte der Schulze, »wir bringen ihn auf den Kirchhof. Bewiesen ist am Ende nichts. Im Garten liegt der Franzos, und im Keller liegt der Pohlsche. Wer will sagen, wer ihn da hingelegt hat? Keiner weiß es, nicht einmal die Jeschke. Schließlich ist alles blos Verdacht. Auf den Kirchhof muß er also. Aber seitab, wo die Nesseln stehn und der Schutt liegt.«
»Und das Grab der Frau?« fragte Eccelius. »Was wird aus dem? Und aus dem Kreuz?«
»Das werden sie wohl umreißen, da kenn’ ich meine Tschechiner. Und dann müssen wir thun, Herr Pastor, als sähen wir’s nicht. Kirchhofsordnung ist gut, aber der Mensch verlangt auch seine Ordnung.«
»Brav, Schulze Woytasch!« sagte Eccelius und gab ihm die Hand. »Immer ’s Herz auf dem rechten Fleck!«
***
Geelhaar war im Hradscheck’schen Hause zurückgeblieben. Er hatte den Polizei-Kehrmichnichtdran und machte nicht viel von der Sache. Was war es denn auch groß? Ein Fall mehr. Darüber ging die Welt noch lange nicht aus den Fugen. Und so ging er denn in den Laden, legte die Hand auf Ede’s Kopf und sagte: »Hör’, Ede, das war heut ein bischen scharf. So zwei Dodige gleich Morgens um neun! Na, schenk’ mal ’was ein. Was nehmen wir denn?«
»Na, ’nen Rum, Herr Geelhaar.«
»Nei, Rum is mir heute zu schwach. Gieb erst ’nen Kognak. Und dann ein’ Rum.«
Ede schenkte mit zitternder Hand ein. Geelhaar’s Hand aber war um so sicherer. Als er ein paar Gläser geleert hatte, ging er in den Garten und spazierte drin auf und ab, als ob nun alles sein wäre. Das ganze Grundstück erschien ihm wie herrenloser Besitz, drin man sich ungenirt ergehen könne.
Die Jeschke, wie sich denken läßt, ließ auch nicht lang auf sich warten. Sie wußte schon alles und sah mal wieder über den Zaun.
»Dag, Geelhaar.«
»Dag, Mutter Jeschke … Nu, was macht Line?«
»De kümmt to Martini. Se brukt sich joa nu nich mihr to jrulen.«
»Vor Hradscheck?« lachte Geelhaar.
»Joa. Vor Hradscheck. Awers nu sitt he joa fast.«
»Das thut er. Und gefangen in seiner eigenen Falle.«
»Joa, joa. De oll Voß! Nu kümmt he nich wedder rut. Fien wihr he. Awers to fien, loat man sien!«
***
Was noch geschehen mußte, geschah still und rasch, und schon um die neunte Stunde des folgenden Tages trug Eccelius nachstehende Notiz in das Tschechiner Kirchenbuch ein:
»Heute, den 3. Oktober, früh vor Tagesanbruch, wurde der Kaufmann und Gasthofsbesitzer Abel Hradscheck ohne Sang und Klang in den hiesigen Kirchhofsacker gelegt. Nur Schulze Woytasch, Gensdarm Geelhaar und Bauer Kunicke wohnten dem stillen Begräbnißakte bei. Der Todte, so nicht alle Zeichen trügen, wurde von der Hand Gottes getroffen, nachdem es ihm gelungen war, den schon früher gegen ihn wach gewordenen Verdacht durch eine besondere Klugheit wieder zu beschwichtigen. Er verfing sich aber schließlich in seiner List und grub sich, mit dem Grabscheit in der Hand, in demselben Augenblicke sein Grab, in dem er hoffen durfte, sein Verbrechen für immer aus der Welt geschafft zu sehn. Und bezeugte dadurch aufs Neue die Spruchweisheit: ›Es ist nichts so fein gesponnen, ’s kommt doch alles an die Sonnen.‹«