Kitabı oku: «Unterm Birnbaum», sayfa 6
XIV
Aengstigungen und Ärgernisse wie die vorgeschilderten kamen dann und wann vor, aber im Ganzen, um es zu wiederholen, war die Bauzeit eine glückliche Zeit für unsern Hradscheck gewesen. Der Laden war nie leer, die Kundschaft wuchs, und das dem Grundstück zugehörige, draußen an der Neu-Lewiner Straße gelegene Stück Ackerland gab in diesem Sommer einen besonders guten Ertrag. Dasselbe galt auch von dem Garten hinterm Haus; alles gedieh darin, der Spargel prachtvoll, dicke Stangen mit gelbweißen Köpfen, und die Pastinak- und Dill-Beete standen hoch in Dolden. Am meisten aber that der alte Birnbaum, der sich mehr als seit Jahren anstrengte. »Dat ’s de Franzos«, sagten die Knechte Sonntags im Krug, »de deiht wat för em,« und als die Pflückenszeit gekommen, rief Kunicke, der sich gerade zum Kegeln eingefunden hatte: »Hör’, Hradscheck, Du könntest uns mal ein paar von Deinen Franzosenbirnen bringen.« Franzosenbirnen! Das Wort wurde sehr bewundert, lief rasch von Mund zu Mund, und ehe drei Tage vergangen waren, sprach kein Mensch mehr von Hradscheck’s »Malvasieren«, sondern blos noch von den »Franzosenbirnen«. Hradscheck selbst aber freute sich des Wortes, weil er daran erkannte, daß man, trotz aller Stichelreden der alten Jeschke, mehr und mehr anfing, die Vorkommnisse des letzten Winters von der scherzhaften Seite zu nehmen.
Ja, die Sommer- und Baumonate brachten lichtvolle Tage für Hradscheck, und sie hätten noch mehr Licht und noch weniger Schatten gehabt, wenn nicht Ursel gewesen wäre. Die füllte, während alles andre glatt und gut ging, seine Seele mit Mitleid und Sorge, mit Mitleid, weil er sie liebte (wenigstens auf seine Weise), mit Sorge, weil sie dann und wann ganz wunderliche Dinge redete. Zum Glück hatte sie nicht das Bedürfniß Umgang zu pflegen und Menschen zu sehn, lebte vielmehr eingezogener denn je, und begnügte sich damit, Sonntags in die Kirche zu gehn. Ihre sonst tiefliegenden Augen sprangen dann aus dem Kopf, so begierig folgte sie jedem Wort, das von der Kanzel her laut wurde, das Wort aber, auf das sie wartete, das kam nicht. In ihrer Sehnsucht ging sie dann, nach der Predigt, zu dem guten, ihr immer gleichmäßig geneigt bleibenden Eccelius hinüber, um, so weit es ging, Herz und Seele vor ihm auszuschütten und etwas von Befreiung oder Erlösung zu hören; aber Seelsorge war nicht seine starke Seite, noch weniger seine Passion, und wenn sie sich der Sünde geziehn und in Selbstanklagen erschöpft hatte, nahm er lächelnd ihre Hand und sagte: »Liebe Frau Hradscheck, wir sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhmes, den wir vor Gott haben sollen. Sie haben eine Neigung sich zu peinigen, was ich mißbillige. Sich ewig anklagen ist oft Dünkel und Eitelkeit. Wir haben Christum und seinen Wandel als Vorbild, dem wir im Gefühl unsrer Schwäche demüthig nachstreben sollen. Aber wahren wir uns vor Selbstgerechtigkeit, vor allem vor der, die sich in Zerknirschung äußert. Das ist die Hauptsache.« Wenn er das trocken-geschäftsmäßig, ohne Pathos und selbst ohne jede Spur von Salbung gesagt hatte, ließ er die Sache sofort wieder fallen und fragte, zu natürlicheren und ihm wichtiger dünkenden Dingen übergehend, »wie weit der Bau sei?« Denn er wollte nächstes Frühjahr auch bauen. Und wenn dann die Hradscheck, um ihm zu Willen zu sein, von allen möglichen Kleinigkeiten, am liebsten und eingehendsten aber von den Meinungsverschiedenheiten zwischen ihrem Mann und Zimmermeister Buggenhagen geplaudert hatte, rieb er sich schmunzelnd und vor sich hinnickend die Hand und sagte rasch und in augenscheinlicher Furcht, das Seelengespräch wieder aufgenommen zu sehn: »Und nun, liebe Frau Hradscheck, muß ich Ihnen meine Nelken zeigen.«
***
Um Johanni wußte ganz Tschechin, daß die Hradscheck es nicht lange mehr machen werde. Keinem entging es. Nur sie selber sah es so schlimm nicht an und wollte von keinem Doktor hören. »Sie wissen ja doch nichts. Und dann der Wagen und das viele Geld.« Auf das Letztere, das »viele Geld«, kam sie jetzt überhaupt mit Vorliebe zu sprechen, fand alles unnöthig oder zu theuer, und während sie noch das Jahr vorher für ein Polysander-Fortepiano gewesen war, um es, wenn nicht der Amtsräthin in Friedrichsau, so doch wenigstens der Domänenpächterin auf Schloß Solikant gleich zu thun, so war sie jetzt sparsam bis zum Geiz. Hradscheck ließ sie gewähren, und nur einmal, als sie gerade beim Schotenpalen war, nahm er sich ein Herz und sagte: »Was ist das nur jetzt, Ursel? Du ringst Dir ja jeden Dreier von der Seele.« Sie schwieg, drehte die Schüssel hin und her und palte weiter. Als er aber stehen blieb und auf Antwort zu warten schien, sagte sie, während sie die Schüssel rasch und heftig bei Seite setzte: »Soll es alles umsonst gewesen sein? Oder willst Du …« Weiter kam sie nicht. Ein Herzkrampf, daran sie jetzt häufiger litt, überfiel sie wieder, und Hradscheck sprang zu, um ihr zu helfen.
Ihre Wirthschaft besorgte sie pünktlich und alles ging am Schnürchen, wie vordem. Aber Interesse hatte sie nur für eins, und das Eine war der Bau. Sie wollt’ ihn, darin Hradscheck’s Eifer noch übertreffend, in möglichster Schnelle beendet sehn, und so sparsam sie sonst geworden war, so war sie doch gegen keine Mehrausgabe, die Beschleunigung und rascheres Zustandekommen versprach. Einmal sagte sie: »Wenn ich nur erst oben bin. Oben werd’ ich auch wieder Schlaf haben. Und wenn ich erst wieder schlafe, werd’ ich auch wieder gesund werden.« Er wollte sie beruhigen und strich ihr mit der Hand über Stirn und Haar. Aber sie wich seiner Zärtlichkeit aus und kam in ein heftiges Zittern. Überhaupt war es jetzt öfter so, wie wenn sie sich vor ihm fürchte. ’mal sagte sie leise: »Wenn er nur nicht so glatt und glau wär’. Er ist so munter und spricht so viel und kann alles. Ihn ficht nichts an … Und die drüben in Neu-Lewin war auch mit einem Male weg.« Solche Stimmungen kamen ihr von Zeit zu Zeit, aber sie waren flüchtig und vergingen wieder.
***
Und nun waren die letzten Augusttage.
»Morgen, Ursel, ist alles fertig.«
Und wirklich, als der andre Tag da war, bot ihr Hradscheck mit einer gewissen freundlichen Feierlichkeit den Arm, um sie treppauf in eine der neuen Stuben zu führen. Es war die, die nach der Kegelbahn hinauslag, jetzt die hübscheste, hellblau tapezirt und an der Decke gemalt: ein Kranz von Blüthen und Früchten, um den Tauben flogen und pickten. Auch das Bett war schon heraufgeschafft und stand an der Mittelwand, genau da, wo früher die Bettwand der alten Giebel- und Logirstube gewesen war.
Hradscheck erwartete Dank und gute Worte zu hören. Aber die Kranke sagte nur: »Hier? Hier, Abel?«
»Es sind neue Steine,« stotterte Hradscheck.
Ursel indeß war schon von der Thürschwelle wieder zurückgetreten und ging den Gang entlang, nach der andern Giebelseite hinüber, wo sich ein gleich großes, auf den Hof hinaussehendes Zimmer befand. Sie trat an das Fenster und öffnete; Küchenrauch, mehr anheimelnd als störend, kam ihr von der Seite her entgegen und eine Henne mit ihren Küchelchen zog unten vorüber; Jakob aber, der holzsägend in Front einer offnen Remise stand, neckte sich mit Male, die beim Brunnen Wäsche spülte.
»Hier will ich bleiben.«
Und Hradscheck, der durch den Auftritt mehr erschüttert als verdrossen war, war einverstanden und ließ alles, was sich von Einrichtungsgegenständen in der hellblau tapezirten und für Ursel bestimmten Stube befand, nach der andern Seite hinüberbringen.
***
Und siehe da, Frau Hradscheck erholte sich wirklich und sogar rascher, als sie selbst zu hoffen gewagt hatte. Schlaf kam, der scharfe Zug um ihren Mund wich, und als die schon erwähnten Manövertage mit ihrer Dragoner-Einquartierung kamen, hatte sich ihr Aussehn und ihre Stimmung derart verbessert, daß sie gelegentlich die Wirthin machen und mit den Offizieren plaudern konnte. Das Hagere, Hektische gab ihr, bei der guten Toilette, die sie zu machen verstand, etwas Distinguirtes, und ein alter Eskadronchef, der sie mit erstaunlicher Ritterlichkeit umcourte, sagte, wenn er ihr beim Frühstück nachsah und mit beiden Händen den langen blonden Schnurrbart drehte: »Famoses Weib. Auf Ehre. Wie die nur hierher kommt?« Und dann gab er seiner Bewunderung auch Hradscheck gegenüber Ausdruck, worauf dieser nicht wenig geschmeichelt antwortete: »Ja, Herr Rittmeister, Glück muß der Mensch haben! Mancher kriegt’s im Schlaf.«
Und dann lachte der Eskadronchef und stieß mit ihm an.
***
Das alles war Mitte September.
Aber das Wohlbefinden, so rasch es gekommen, so rasch ging es auch wieder, und ehe noch das Erntefest heran war, waren die Kräfte schon so geschwunden, daß die Kranke die Treppe kaum noch hinunter konnte. Sie blieb deßhalb oben, sah auf den Hof und machte sich, um doch etwas zu thun, mit der Neu-Einrichtung sämmtlicher Oberzimmer zu schaffen. Nur die Giebelstube, nach der Kegelbahn hin, vermied sie.
Hradscheck, der immer noch an die Möglichkeit einer Wiederherstellung gedacht hatte, sah jetzt auch, wie’s stand, und als der heimlich zu Rathe gezogene Doktor Oelze von Abzehrung und Nervenschwindsucht gesprochen, machte sich Hradscheck auf ihr Hinscheiden gefaßt. Daß er darauf gewartet hätte, konnte nicht wohl gesagt werden; im Gegentheil, er blieb seiner alten Neigung treu, war überaus rücksichtsvoll und klagte nie, daß ihm die Frau fehle. Er wollt’ auch von keiner andern Hilfe wissen und ordnete selber alles an, was in der Wirthschaft zu thun nöthig war. Vieles that er selbst. »Is doch ein Mordskerl,« sagte Kunicke. »Was er will, kann er. Ich glaub’, er kann auch einen Hasen abziehn und Sülze kochen.«
An dem Abend, wo Kunicke so gesprochen, hatte die Sitzung in der Weinstube wieder ziemlich lange gedauert, und Hradscheck war noch keine halbe Stunde zu Bett, als Male, die jetzt oben bei der Kranken schlief, treppab kam und an seine Thür klopfte.
»Herr Hradscheck, steihn’s upp. De Fru schickt mi. Se sülln ruppkoamen.«
Und nun saß er oben an ihrem Bett und sagte: »Soll ich nach Küstrin schicken, Ursel? Soll Oelze kommen? Der Weg ist gut. In drei Stunden ist er hier.«
»In drei Stunden …«
»Oder soll Eccelius kommen?«
»Nein,« sagte sie, während sie sich mühvoll aufrichtete, »es geht nicht. Wenn ich es nehme, so sag’ ich es.«
Er schüttelte verdrießlich den Kopf.
»Und sag’ ich es nicht, so ess’ ich mir selber das Gericht.«
»Ach, laß doch das, Ursel. Was soll das? Daran denkt ja keiner. Und ich am wenigsten. Er soll blos kommen und mit Dir sprechen. Er meint es gut mit Dir und kann Dir einen Spruch sagen.«
Es war, als ob sie sich’s überlege. Mit einem Mal aber sagte sie: »Selig sind die Friedfertigen; selig sind die reines Herzens sind; selig sind die Sanftmüthigen. All die kommen in Abraham’s Schoß. Aber wohin kommen wir?«
»Ich bitte Dich, Ursel, sprich nicht so. Frage nicht so. Und wozu? Du bist noch nicht soweit, noch lange nicht. Es geht alles wieder vorüber. Du lebst und wirst wieder eine gesunde Frau werden.«
Es klang aber alles nur an ihr hin, und Gedanken nachhängend, die schon über den Tod hinausgingen, sagte sie: »Verschlossen … Und was aufschließt, das ist der Glaube. Den hab ich nicht … Aber is noch ein Andres, das aufschließt, das sind die guten Werke … Hörst Du. Du mußt ohne Namen nach Krakau schreiben, an den Bischof oder an seinen Vikar. Und mußt bitten, daß sie Seelenmessen lesen lassen … Nicht für mich. Aber Du weißt schon … Und laß den Brief in Frankfurt aufgeben. Hier geht es nicht und auch nicht in Küstrin. Ich habe mir’s abgespart dies letzte halbe Jahr, und Du findest es eingewickelt in meinem Wäschschrank unter dem Damast-Tischtuch. Ja, Hradscheck, das war es, wenn Du dachtest, ich sei geizig geworden. Willst Du?«
»Freilich will ich. Aber es wird Nachfrage geben.«
»Nein. Das verstehst Du nicht. Das ist Geheimniß. Und sie gönnen einer armen Seele die Ruh!«
»Ach, Ursel, Du sprichst so viel von Ruh’ und bangst Dich und ängstigst Dich, ob Du sie finden wirst. Weißt Du, was ich denke?«
»Nein.«
»Ich denke, leben ist leben, und todt ist todt. Und wir sind Erde, und Erde wird wieder Erde. Das Andre haben sich die Pfaffen ausgedacht. Spiegelfechterei sag’ ich, weiter nichts. Glaube mir, die Todten haben Ruhe.«
»Weißt Du das so gewiß, Abel?«
Er nickte.
»Nun, ich sage Dir, die Todten stehen wieder auf …«
»Am jüngsten Tag.«
»Aber es giebt ihrer auch, die warten nicht so lange.«
Hradscheck erschrak heftig und drang in sie, mehr zu sagen. Aber sie war schon in die Kissen zurückgesunken und ihre Hand, der seinigen sich entziehend, griff nur noch krampfhaft in das Deckbett. Dann wurde sie ruhiger, legte die Hand aufs Herz und murmelte Worte, die Hradscheck nicht verstand.
»Ursel,« rief er, »Ursel!«
Aber sie hörte nicht mehr.
XV
Das war in der Nacht von Sonnabend auf Sonntag gewesen, den letzten Tag im September. Als am andern Morgen zur Kirche geläutet wurde, standen die Fenster in der Stube weit offen, die weißen Gardinen bewegten sich hin und her, und alle, die vorüberkamen, sahen nach der Giebelstube hinauf und wußten nun, daß die Hradscheck gestorben sei. Schulze Woytasch fuhr vor, aussprechend, was er sich bei gleichen Veranlassungen zu sagen gewöhnt hatte, »daß ihr nun wohl sei« und »daß sie vor ihnen allen einen guten Schritt voraushabe«. Danach trank er, wie jeden Sonntag vor der Predigt, ein kleines Glas Madeira zur Stärkung und machte dann die kurze Strecke bis zur Kirche hin zu Fuß. Auch Kunicke kam und drückte Hradscheck verständnißvoll die Hand, das Auge gerade verschwommen genug, um die Vorstellung einer Thräne zu wecken. Desgleichen sprachen auch der Ölmüller und gleich nach ihm Bauer Mietzel vor, welch letztrer sich bei Todesfällen immer der »Vorzüge seiner Kränklichkeit von Jugend auf« zu berühmen pflegte. Das that er auch heute wieder. »Ja, Hradscheck, der Mensch denkt und Gott lenkt. Ich piepe nun schon so lang; aber es geht immer noch.«
Auch noch andre kamen und sagten ein Wort. Die meisten indessen gingen ohne Theilnahmsbezeigung vorüber und stellten Betrachtungen an, die sich mit der Todten in nur wenig freundlicher Weise beschäftigten.
»Ick weet nich,« sagte der eine, »wat Hradscheck an ehr hebben deih. Man blot, dat se’n beten scheel wihr.«
»Joa,« lachte der Andre. »Dat wihr se. Un am Enn’, so wat künn he hier ook hebb’n.«
»Un denn dat hannüversche Geld. Ihrst schmeet se’t weg, un mit eens fung se to knusern an.«
In dieser Weise ging das Gespräch einiger ältrer Leute; das junge Weiberzeug aber beschränkte sich auf die eine Frage: »Weck’ een he nu woll frigen deiht?«
Auf Mittwoch vier Uhr war das Begräbniß angesetzt, und viel Neugierige standen schon vorher in einem weiten Halbkreis um das Trauerhaus herum. Es waren meist Mägde, die schwatzten und kicherten, und nur einige waren ernst, darunter die Zwillings-Enkelinnen einer armen alten Wittwe, welche letztre, wenn Wäsche bei den Hradschecks war, allemal mitwusch. Diese Zwillinge waren in ihren schwarzen, von der Frau Hradscheck herrührenden Einsegnungskleidern erschienen und weinten furchtbar, was sich noch steigerte, als sie bemerkten, daß sie durch ihr Geheul und Geschluchze der Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit wurden. Dabei gingen jetzt die Glocken in einem fort, und alles drängte dichter zusammen und wollte sehn. Als es nun aber zum dritten Mal ausgeläutet hatte, kam Leben in die drin und draußen Versammelten, und der Zug setzte sich in Bewegung. Vorn die von Kantor Graumann geführte Schuljugend, die, wie herkömmlich, den Choral »Jesus meine Zuversicht« sang; nach ihr erschien der von sechs Trägern getragene Sarg; dann Eccelius und Hradscheck; dahinter die Bauernschaft in schwarzen Überröcken und hohen schwarzen Hüten, und endlich all die Neugierigen, die bis dahin das Haus umstanden hatten. Es war ein wunderschöner Tag, frische Herbstluft bei klarblauem Himmel. Aber die würdevoll vor sich hinblickende Dorfhonoratiorenschaft achtete des blauen Himmels nicht, und nur Bauer Mietzel, der noch Heu draußen hatte, das er am andern Tag einfahren wollte, schielte mit halbem Auge hinauf. Da sah er, wie von der andern Oderseite her ein Weih über den Strom kam und auf den Tschechiner Kirchthurm zuflog. Und er stieß den neben ihm gehenden Ölmüller an und sagte: »Süh, Quaas, doa is he wedder.«
»Wihr denn?«
»De Weih. Weetst noch?«
»Nei.«
»Dunn, as dat mit Szulski wihr. Ick segg’ Di, de Weih, de weet wat.«
Als sie so sprachen, bog die Spitze des Zuges auf den Kirchhof ein, an dessen höchster Stelle, dicht neben dem Thurm, das Grab gegraben war. Hier setzte man den Sarg auf darüber gelegte Balken, und als sich der Kreis gleich danach geschlossen hatte, trat Eccelius vor, um die Grabrede zu halten. Er rühmte von der Todten, daß sie, den ihr anerzogenen Aberglauben abschüttelnd, nach freier Wahl und eignem Entschluß den Weg des Lichtes gegangen sei, was nur der wissen und bezeugen könne, der ihr so nah gestanden habe wie er. Und wie sie das Licht und die reine Lehre geliebt habe, so habe sie nicht minder das Recht geliebt, was sich zu keiner Zeit schöner und glänzender gezeigt, als in jenen schweren Tagen, die der selig Entschlafenen nach dem Rathschlusse Gottes auferlegt worden seien. Damals, als er ihr nicht ohne Mühe das Zugeständniß erwirkt habe, den, an dem ihr Herz und ihre Seele hing, wiedersehn zu dürfen, wenn auch freilich nur vor Zeugen und auf eine kurze halbe Stunde, da habe sie die wohl jedem hier in der Erinnerung gebliebenen Worte gesprochen: »Nein, nicht jetzt; es ist besser, daß ich warte. Wenn er unschuldig ist, so werd’ ich ihn wiedersehn, früher oder später; wenn er aber schuldig ist, so will ich ihn nicht wiedersehn.« Er freue sich, daß er diese Worte, hier am Grabe der Heimgegangenen, ihr zu Ruhm und Ehre, wiederholen könne. Ja, sie habe sich allezeit bewährt in ihrem Glauben und ihrem Rechtsgefühl. Aber vor allem auch in ihrer Liebe. Mit Bangen habe sie die Stunden gezählt, in schlaflosen Nächten ihre Kräfte verzehrend, und als endlich die Stunde der Befreiung gekommen sei, da sei sie zusammengebrochen. Sie sei das Opfer arger, damals herrschender Mißverständnisse, das sei zweifellos, und alle die, die diese Mißverständnisse geschürt und genährt hätten, anstatt sie zu beseitigen, die hätten eine schwere Verantwortung auf ihre Seele geladen. Ja, dieser frühe Tod, er müsse das wiederholen, sei das Werk derer, die das Gebot unbeachtet gelassen hätten: »Du sollst nicht falsch Zeugniß reden wider Deinen Nächsten.«
Und als er dieses sagte, sah er scharf nach einem entblätterten Hagebuttenstrauch hinüber, unter dessen rothen Früchten die Jeschke stand und dem Vorgange, wie schon damals in der Kirche, mehr neugierig als verlegen folgte.
Gleich danach aber schloß Eccelius seine Rede, gab einen Wink, den Sarg hinab zu lassen, und sprach dann den Segen. Dann kamen die drei Hände voll Erde, mit sich abschließendem Schmerzblick und Händeschütteln, und ehe noch der am Horizont schwebende Sonnenball völlig unter war, war das Grab geschlossen und mit Asterkränzen überdeckt.
Eine halbe Stunde später, es dämmerte schon, war Eccelius wieder in seiner Studirstube, das Sammetkäppsel auf dem Kopf, das ihm Frau Hradscheck vor gerade Jahresfrist gestickt hatte. Die Bauern aber saßen in der Weinstube, Hradscheck zwischen ihnen, und faßten alles, was sie an Trost zu spenden hatten, in die Worte zusammen: »Immer Courage, Hradscheck! Der alte Gott lebt noch« – welchen Trost- und Weisheitssprüchen sich allerlei Wiederverheirathungsgeschichten beinah unmittelbar anschlossen. Eine davon, die beste, handelte von einem alten Hauptmann v. Rohr, der vier Frauen gehabt und beim Hinscheiden jeder Einzelnen mit einer gewissen trotzigen Entschlossenheit gesagt hatte: »Nimmt Gott, so nehm’ ich wieder.« Hradscheck hörte dem allem ruhig und kopfnickend zu, war aber doch froh, die Tafelrunde heute früher als sonst aufbrechen zu sehn. Er begleitete Kunicke bis an die Ladenthür und stieg dann, er wußte selbst nicht warum, in die Stube hinauf, in der Ursel gestorben war. Hier nahm er Platz an ihrem Bett und starrte vor sich hin, während allerlei Schatten an Wand und Decke vorüberzogen.
Als er eine Viertelstunde so gesessen, verließ er das Zimmer wieder und sah, im Vorübergehen, daß die nach rechts hin gelegene Giebelstube halb offenstand, dieselbe Stube, drin die Verstorbene nach vollendetem Umbau zu wohnen und zu schlafen so bestimmt verweigert hatte.
»Was machst Du hier, Male?« fragte Hradscheck.
»Wat ick moak? Ick treck em sien Bett öwer.«
»Wem?«
»Is joa wihr ankoamen. Wedder een mit’n Pelz.«
»So, so,« sagte Hradscheck und stieg die Treppe langsam hinunter.
»Wedder een … wedder een … Immer noch nicht vergessen.«