Kitabı oku: «Rüeggisberg», sayfa 2

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Eine leere Handtasche (Samstag, 8. August)

Fiona Decorvet hatte die Situation für und in Stockholm richtig eingeschätzt, die Füsse wurden während beinahe zwei Tagen arg strapaziert, das vorgesehene Programm absolviert, sogar samt dem Junibaken mit dem Kindermuseum. Und am Abend des 7. August hatte man «auswärts hervorragend gegessen», wie nicht nur Ruth Gnädinger festgestellt hatte, im Fem små hus, in der Gamla Stan, einem Restaurant mit fünf miteinander verbundenen Altstadtkellern. Nicht billig, aber top.

Das Auslaufen der Alberta Imperator wurde für den Samstag, 8. August um 14 Uhr angesetzt, mit Kurs auf Hamburg. An diesem Vormittag ebenfalls noch kurz als Touristen unterwegs waren fünf Kriminalbeamte, die einen dreitägigen internationalen Kongress in Stockholm besucht hatten, der am späten Nachmittag des 7. August zu Ende gegangen war. Joseph «J. R.» Ritter, Dezernatsleiter Leib und Leben bei der Kantonspolizei Bern, hatte bereits vor dem Kongress mit vier seiner ausländischen Kollegen abgemacht, sich das Zwischenstück der Rückreise nach Zürich ab Stockholm bis nach Hamburg mit der Alberta Imperator zu leisten, auf eigene Kosten, versteht sich. Begleitet wurde er von Commissario Luigi Bevilaqua aus Milano, von Holger «H H» Herrlich, Chef der Davidwache in Hamburg, von François Hommard, Commissaire aus Lyon, und von Adalbert König von der Landespolizeidirektion in Innsbruck. Auch diese fünf Herren trafen – wie die fünf Schweizerinnen – rechtzeitig vor dem Kreuzfahrtschiff ein, wo, wie inzwischen überall üblich, die Securityleute des Schiffes die Passagiere zuerst anhand ihrer Bordkarten, anschliessend mit Scanner die Rucksäcke und Handtaschen kontrollierten.

«Lustig, die Herren vor uns könnten Polizisten sein», schmunzelte Ruth Bär, und das nicht gerade im Flüsterton, worauf sich einer der Herren zu ihr umdrehte.

«Sehr gute Einschätzung, ich bin tatsächlich Polizist. Wollen Sie sich nicht bei uns bewerben? Übrigens, darf ich mich vorstellen? Joseph Ritter von der Kantonspolizei Bern. Vier Kollegen aus vier verschiedenen Ländern begleiten mich. Und bevor Sie sich wundern, ob unsere Kommissariate im Geld schwimmen: Wir waren an einem Kongress in Stockholm, leisten uns die Überfahrt nach Hamburg auf eigene Kosten. Wir wollen dieses Wunderschiff einmal im Leben selber besteigen.»

Ritter wurde in diesem Augenblick von einer Sicherheitsbeamtin aufgefordert, seinen Rucksack auf das Förderband zu legen, sodass er nicht mehr sehen konnte, wie Ruth Bär errötete, zur Gaudi ihrer Begleiterinnen. Die Reederei, im Wissen um das Zusteigen der fünf Herren, hatte das Gepäck der Polizisten am frühen Morgen in ihrem Stockholmer Hotel abholen und die Bordpässe mit Angabe der Kabinennummern hinterlegen lassen, damit die Beamten den Vormittag noch in der schwedischen Hauptstadt verbringen konnten. Nach den Kontrollen standen die Herren und Frauen kurz zusammen, stellten sich gegenseitig vor und lachten über das Gespür von Ruth Bär.

«Herr Ritter, wissen Sie bereits, wo Sie heute zum Abendessen sitzen werden? Erste oder zweite Sitzung?», erkundigte sich Fiona Decorvet.

«Wir haben eine Tischnummer für die erste Sitzung um 19 Uhr erhalten. Weshalb fragen Sie, Frau Decorvet?»

«Wäre das nicht eine gute Idee, wenn wir den Chef de Service fragen, ob er uns für heute Abend einen Zehnertisch zuweisen könnte?»

«Ja! Guter Einfall, ich liebe nämlich Kriminalromane! Mich würde interessieren, ob der Alltag von Ermittlern wirklich so spannend ist!», platzte Ruth Gnädinger ins Gespräch.

«Kollegen, was meint ihr dazu?», erkundigte sich Ritter in Englisch, nachdem er seinen Begleitern die «Tatumstände» erklärt hatte.

«Mais oui!» und «Assolutamente!» waren ebenso zu hören wie zweimal «Gerne, doch!», weil die Schweizerinnen sympathische Erscheinungen zu sein schienen.

«Meine Herren, ich kümmere mich darum. Geben Sie mir Ihre Kabinennummern, ich lasse Ihnen eine Message zukommen», sagte Fiona Decorvet, worauf man sich verabschiedete, die Herren in Richtung eines unteren Decks, wo es auch einige wenige Innenkabinen gab, die besser zu ihren Budgets passten. Aber für eine einzige Nacht spielte das überhaupt keine Rolle, denn man(n) gedachte ohnehin nicht, bereits um 22 Uhr ins Bett zu gehen. Ritter teilte sich die Kabine mit Holger Herrlich, die übrigen Herren arrangierten sich zu dritt in einer Kabine.

Während des Nachmittags traf man die eine oder den anderen auf dem obersten Deck, nicht zuletzt, um die grossartige Landschaft zu geniessen. Entlang dieser Gegend befand man sich in schwedischen Gewässern, am späteren Nachmittag in internationalen. Um die internationalen Seefahrtvorschriften zu erfüllen, mussten die fünf Polizisten ebenfalls die vorgeschriebene Rettungsübung bestreiten, unter allerdings eher ungewöhnlichen Bedingungen, nämlich auf der Brücke und unter Leitung von Capitano Enrico Tosso, der über die Anwesenheit der Kriminalisten informiert worden war.

«Meine Herren, es ist uns allen auf der Alberta Imperator eine Freude und Ehre, Sie an Bord zu haben, wenn auch nur für kurze Zeit. Ich hoffe, Ihre Dienste allerdings nicht in Anspruch nehmen zu müssen», lachte er.

«Wie weit ist es eigentlich bis nach Hamburg?», gab sich François Hommard interessiert.

«Von Sankt Petersburg nach Stockholm waren es 363 nautische Seemeilen, von Stockholm nach Hamburg sind es 436, das sind etwas mehr als 830 Kilometer. Wenn alles nach Plan läuft, treffen wir morgen Sonntag um 12 Uhr in der Hansestadt ein. Haben Sie dort noch Pläne?»

«Das», sagte Holger Herrlich, dessen Initialen mit dem Autokennzeichen für die Hansestadt Hamburg übereinstimmten, «kommt auf die Weiterflüge an. Ich selber werde am Nachmittag auf der Davidwache vorbeischauen, habe aber erst übermorgen, am 10. August, wieder Dienst.»

«Die Davidwache auf Sankt Pauli, die vermutlich bekannteste in ganz Europa …»

«Ja, Capitano, wir können uns über Arbeit nicht beklagen, vor allem am Wochenende nicht, da brennt der Baum.»

«Brennt der Baum?», hakte Tosso nach.

«Eine Redensart, Capitano, das heisst, dass wir dann sehr viel zu tun haben, vor allem mit Touristen, die in Bars angeblich zu viel bezahlen mussten, auf der Grossen Freiheit, oder von Bordsteinschwalben gerupft wurden.» Der Capitano unterliess daraufhin eine weitere Frage nach der Bedeutung des letzten Ausdrucks. Es folgten einige Minuten, in denen vor allem über die Seefahrt gesprochen wurde, auch darüber, dass die Reederei Alberta mit ihren neun Schiffen auf allen Weltmeeren zusammen mit der MSC praktisch die einzige bedeutende Reederei in Privatbesitz war und nicht zu Riesen wie die Carnival Corp. gehörte, unter deren Flagge nicht bloss die eigene Flotte fuhr, sondern unter anderen auch die Schiffe von Aida, Costa, Cunard, Holland-America oder Princess. Enrico Tosso ging dabei auch auf technische Fragen ein. Eine halbe Stunde später verabschiedete man sich, die Polizisten verbrachten danach eine Stunde bei der offenen Portofino-Bar auf dem Promenadendeck, die angesichts des schönen und warmen Wetters gut besucht war.

Um 19 Uhr traf man sich im Speisesaal Roma, wo der Chef de Service den gewünschten Zehnertisch reserviert hatte, unmittelbar neben einer riesigen Fensterfront. Es schien, als würden sich die Polizisten und die kulturinteressierten Damen auf das Wiedersehen freuen, entsprechend wurden die Stühle des Tisches jeweils mit dem anderen Geschlecht zur Rechten und zur Linken besetzt. Die Damen wussten vor allem über das Gesehene in Sankt Petersburg zu berichten, samt Fotos auf ihren Handys, die Herren berichteten über ihren Alltag, was die Schweizerinnen offensichtlich zu beeindrucken vermochte. Wie aus dem Nichts heraus erklärte Fiona Decorvet plötzlich, sie müsse dringend auf die Toilette, und zwar auf eine Art und Weise, die vor allem Joseph Ritter irritierte, der aber möglicherweise gar nicht vorhandene Gespenster sah.

Als Fiona Decorvet an den Tisch zurückkehrte, schien sie irgendwie zerstreut, aber nichts deutete auf Ungewöhnliches hin, «alles bestens», versicherte sie, als sich Ritter bei ihr erkundigte. «Déformation professionnelle» würde François Hommard dem vermutlich sagen, Ritter musste ob sich selber schmunzeln. Gemeinsam machte man sich gegen 20.45 Uhr in Richtung des Theatersaals auf, wo um 21 Uhr eine ABBAmania angesagt war mit der Tanztruppe der Alberta Imperator, die meisten davon absolute Spitzentänzerinnen und -tänzer aus Russland, der Ukraine und Polen.

«Entschuldigt mich bitte schnell», flüsterte Fiona Decorvet zu Ruth Gnädinger zehn Minuten nach Beginn der Vorstellung und nachdem sie eine Nachricht auf ihrem Handy gelesen hatte. Es war das letzte Mal, dass man sie an Bord sah.

«Ich schaue kurz in ihrer Kabine vorbei», erklärte Ruth Gnädinger nach der Vorstellung, «es ist ja nicht ihre Art, einfach wortlos zu verschwinden. Es wird ihr vermutlich unwohl geworden sein. Wo finde ich euch?»

«Wir gehen auf einen Schlummertrunk in die Venezia Bar», sagte Ritter, «kommt ihr auch noch?», worauf die vier Damen nickten.

Zehn Minuten später erschien auch Ruth Gnädinger. Allein.

«Sie hat die Türe nicht geöffnet, ich habe deshalb eine Angestellte gebeten, schnell einen Blick in ihre Kabine zu werfen.»

«Und?», erkundigte sich Holger Herrlich.

«Herr Herrlich, leer. Was ist da passiert?»

«Vor allem sollten Sie sich keine Sorgen machen, vielleicht hat sie ja einen Bekannten getroffen und die Zeit vergessen», versuchte Adalbert König sie zu beruhigen.

«Ich hoffe sehr, dass Ihre Einschätzung stimmt, Herr König, aber ich habe ein komisches Gefühl.»

«Warten wir eine Viertelstunde, dann werde ich die Rezeption bitten, Frau Decorvet auszurufen», empfahl Luigi Bevilaqua, worauf die vier Kollegen zustimmend in seine Richtung nickten. «Lassen wir uns überraschen, vielleicht taucht sie ja vorher mit einer ganz normalen Geschichte auf.»

Um 22.15 Uhr wies sich Luigi Bevilaqua bei einer Mitarbeitenden an der Rezeption aus, mit dem Wunsch, Fiona Decorvet von Kabine 1007 auszurufen und sie an die Kundeninformation zu bitten. Die Durchsage wurde auch in der Venezia Bar gehört.

«Und wenn wir sie nicht finden, was machen wir dann?», erging von Luzia Cadei in die Runde.

«Dann werden wir beim Capitano vorsprechen und ihn bitten, das ganze Schiff durchsuchen zu lassen. Ich bin überzeugt, dass er dem zustimmen wird.»

«Und wenn auch das zu keinem Ergebnis führt und Fiona vielleicht sogar …», Prisca Antoniazzi mochte ihre Gedanken nicht weiter auszusprechen.

«Meine Damen, eines nach dem anderen, jetzt warten wir erst einmal ab, ob sich Frau Decorvet bei der Kundeninformation meldet», wechselte Ritter zurück ins unmittelbare Jetzt.

Eine Viertelstunde später kehrte Luigi Bevilaqua die Schultern zuckend und mit Kopfschütteln zurück. Als ob er die Gedankengänge seiner Kollegen hätte erahnen können, schlug er selber vor, Enrico Tosso zu kontaktieren und ihn zu bitten, von seiner Mannschaft das Schiff durchsuchen zu lassen.

«Luigi, ich denke, das ist der einzig richtige Weg», antwortete König respektvoll, «als Landsmann des Capitanos, machst du das?»

«Certo. In internationalen Gewässern gilt übrigens die Gesetzgebung jenes Landes, in welchem das Schiff immatrikuliert ist, in unserem Fall also italienisches Recht. Aber das nur nebenbei. Bleibt ihr hier? Machen wir aus der Bar einen offiziellen Treffpunkt?», wollte er wissen, worauf alle acht übrigen Anwesenden zustimmten.

Enrico Tosso hatte zwar seinen Arbeitstag seit wenigen Minuten beendet, er hielt sich jedoch noch immer auf der Brücke auf und besprach sich mit seinem Ersten Offizier, der jetzt für das Schiff verantwortlich war, als ihn der Anruf von Luigi Bevilaqua erreichte. Er bat den Polizisten zu sich auf die Brücke.

«Commissario, was kann ich für Sie tun?»

«Capitano, zuerst einmal bedaure ich, dass ich Sie um Unterstützung bitten muss, aber eine Passagierin ist nicht auffindbar.»

«Frau Deco …»

«Decorvet, ja, Fiona Decorvet, Sie haben die Durchsage auch gehört?»

«Ja, gewiss. Seit wann vermissen Sie sie?»

«Ihre Mitreisenden haben sie kurz nach Beginn der Vorstellung im Theater aufstehen und zum Ausgang gehen sehen, also wenige Minuten nach neun Uhr.»

Enrico Tosso schaute auf seine Uhr.

«Capitano, ich will mit der Vermutung, dass sie nicht mehr auf dem Schiff sein könnte, nicht den Teufel an die Wand malen, deshalb: Können Sie von Ihren Leuten die Imperator durchsuchen lassen? Und glauben Sie mir, uns ist das unangenehm, sehr unangenehm.»

«Kein Problem, Commissario, ich werde das sofort veranlassen. Zudem werde ich die Videoaufzeichnungen der letzten beiden Stunden visionieren lassen, wobei …»

«Wobei?»

«Die Innenbereiche sind zwar zu 100 % überwacht, nicht so aber gewisse Aussenbereiche. Die Aufzeichnungen werden uns also möglicherweise keine Gewissheit geben, was eventuell passiert sein könnte.»

Bereits zehn Minuten später waren an die 200 Crewmitglieder diskret daran, auf der Suche nach dem Verbleib von Fiona Decorvet die ihnen zugeteilten Bereiche zu kontrollieren. Eine halbe Stunde später stellte sich auch diese Aktion als ergebnislos heraus. Luigi Bevilaqua hatte sich zu Beginn der Schiffsdurchsuchung wieder zu seiner Gruppe begeben, um ihnen über die Besprechung mit dem Kapitän zu berichten, auch, was die Videoaufzeichnungen betraf. Enrico Tosso seinerseits hatte dem Commissario versprochen, ihn in der Venezia Bar aufzusuchen, sobald er Neues erfahren würde. Dies war gegen 23.45 Uhr der Fall.

«Signore e Signori, purtroppo – ich habe Ihnen keine guten Neuigkeiten. Frau Decorvet haben wir nicht gefunden, aber das hier auf Deck 5, wo sich die Rettungsboote befinden.» Er zeigte der Gruppe eine kleine, längliche Damenhandtasche von Freitag, eine Ottendorfer aus der Reference Collection.

«Die gehört Fiona!», riefen die vier Damen fast gleichzeitig.

«Was hat das zu bedeuten, Capitano?», wandte sich Bevilaqua an Tosso.

«Commissario, ich kann das nicht einschätzen. Jener Teil des Decks, auf welchem wir die Tasche gefunden haben, befindet sich knapp ausserhalb des Bereichs für die Videoaufzeichnungen bei den Rettungsbooten. Es ist um 21.21 Uhr kurz ein Schatten zu sehen, der sich von einem Boot wegbewegen könnte, mehr nicht. Auffallend: In der Tasche finden sich nur Kosmetikartikel. Keine Ausweise, kein Handy, kein Geld.»

«Eine ultimative Frage, die ich eigentlich gar nicht stellen dürfte …»

«Bitte, Herr Ritter.»

«Umkehren, Frau Decorvet suchen?»

«Meine Damen und Herren, ich hätte das sofort veranlasst, würde nur der Hauch einer Chance bestehen, Frau Decorvet zu finden. Aber seit ihrem Verschwinden sind fast drei Stunden vergangen, eine Suche wäre schon allein deshalb hoffnungslos, dazu ist es Nacht.»

«Hilfe von den Küstenwachen, mit Suchhelikoptern?» Prisca Antoniazzi stellte die Frage.

«Signora, wir sind zu weit von den Küsten entfernt, zudem wüssten wir gar nicht, in welchen Abschnitten zu suchen wäre. Nein, ich kann und will Ihnen keine Hoffnung machen. Das Einzige, was wir tun können, ist zu hoffen, dass sie bei unserer Suche übersehen wurde. Wir werden uns die Passagiere beim Aussteigen in Hamburg genau anschauen und zu jener Zeit das Schiff nochmals durchsuchen.»

«Capitano, soll ich in Hamburg Spürhunde anfordern, die bei der Suche behilflich sind?», schlug Herrlich vor.

«Das wäre eine sehr gute Idee, Herr Herrlich. Grazie.»

«Würden Sie mir ein ungewaschenes Kleidungsstück aus der Kabine von Frau Decorvet zur Verfügung stellen?», bat er die vier Damen.

«Das machen wir, Herr Herrlich», sagte Luzia Cadei, «aber mit diesem Umstand haben wir uns noch gar nicht beschäftigt, mit dem Kofferpacken für Fiona», worauf sie ihre Freundinnen wortlos ansah.

«Capitano, ist es möglich, uns die Passagierliste zur Verfügung zu stellen?», ersuchte Ritter.

«Herr Ritter, in diesem speziellen Fall mit Sicherheit, allerdings nur zur Ansicht, Sie dürfen sie nicht mitnehmen oder kopieren, dazu benötige ich die Zustimmung der Reederei, was nicht umgehend der Fall sein wird. Die Leute benötigen ihrerseits Zeit für juristische Abklärungen.»

«Das ist überhaupt kein Problem, Capitano, danke.»

Joseph Ritter wandte sich an die Anwesenden, derweil Enrico Tosso sich vorübergehend verabschiedete, im Wissen, dass er die Verantwortliche für die Administration wecken musste, um an das ausgedruckte Dokument heranzukommen. In den nächsten Minuten überlegte Ritter laut, wie das weitere Vorgehen bis zum Ausschiffen in Hamburg aussehen würde, immer wieder mit der Zustimmung seiner Kollegen: Die vier Frauen hatten die Aufgabe, die Passagierliste spontan zu begutachten. Unter Umständen würden sie auf Namen stossen, die in einem möglichen Zusammenhang mit dem Verschwinden von Fiona Decorvet stehen könnten. Vor allem galt es, sich die Namen der Schweizer Passagiere zu notieren. Luigi Bevilaqua erklärte sich bereit, zusammen mit dem Capitano in Genua Druck zu machen, damit die Berner Ermittler möglichst rasch offiziell und juristisch abgesichert an die Liste herankommen konnten, um sie in den nächsten Tagen im Detail durchzupflügen. Von wem hatte Fiona Decorvet eine Nachricht erhalten, die derart wichtig schien, dass sie mitten in der Vorstellung das Theater verliess? Wohin ging sie? Traf sie jemanden? Vor allem aber: Wo befand sie sich jetzt, was hatte es mit der Handtasche auf Deck 5 auf sich? Hatte sie schon während des Nachtessens eine SMS erhalten, die sie aufstehen liess? Ratlosigkeit herrschte. Die nächsten Minuten gehörten den Kriminalisten, die Damen begnügten sich mit der Rolle der Zuhörerinnen.


In der Nähe dieses Rettungsbootes auf der Alberta Imperator auf Deck 5 wurde die Handtasche von Fiona Decorvet gefunden.

«Kollegen, wie gehen wir bei den Ermittlungen vor? Wer von uns macht was?»

«J. R., es geht hier um eine Schweizer Bürgerin, also bist du schon einmal involviert.»

«Ja, Holger, aber demnächst treffen wir in Deutschland ein, dort bist du – im wahrsten Sinne des Wortes – Hausherr, abgekürzt HH», witzelte Ritter. «Nicht vergessen, cari amici sportivi, la nostra nave ist italienisches Hoheitsgebiet», warf Bevilaqua ein.

«J. R., müssen wir Interpol zuschalten?», bedachte König.

«Nein, Adalbert, das müssen wir nicht. Denn: Es liegt kein Verbrechen vor, es wird lediglich jemand vermisst. Die Spürhunde stellen wir zur Verfügung, sofern der Capitano und Luigi damit einverstanden sind.»

«Claro. Verzwickt wird unser Fall erst, sollten wir Signora Decorvet leblos an Bord finden, was wir alle natürlich nicht hoffen.»

In diesem Moment kehrte Enrico Tosso zur Gruppe zurück, die jetzt noch allein in der Venezia Bar sass. Dies war kein Zufall, denn der Kapitän hatte auf dem Weg zur Administration den Barkeeper gebeten, die anderen wenigen Gäste zu motivieren, für einen Gratisdrink in einen anderen Salon zu wechseln. Tosso überliess vorerst Ritter die Passagierliste, mit der Bitte, diese nicht aus der Venezia Bar zu tragen und dafür später seinem Zweiten Offizier Carlo Colombi auszuhändigen, der Nachtdienst hatte. Er verabschiedete sich danach bei den Polizisten und den Kulturtouristinnen mit der Feststellung, dass er um 6 Uhr wieder auf der Brücke zur Verfügung stünde.

Mitternacht war seit 90 Minuten vorbei, als Luzia Cadei, Prisca Antoniazzi, Ruth Bär und Ruth Gnädinger die Passagierliste Joseph Ritter wieder überreichten.

«Herr Ritter», Ruth Gnädinger amtete als Gruppensprecherin, «es sind total nur 22 Schweizer an Bord, minus uns fünf Damen, also nur 17 andere. Mit Ausnahme eines Namens können wir nichts anfangen, haben sie aber notiert, mit Adressen. Sie wohnen in Münsingen?», worauf der Schweizer schmunzeln musste.

«Minus mich selber, macht noch 16. Ja, ich bin in Münsingen zu Hause. Sagen Ihnen die Namen anderer Passagiere per Zufall etwas, Frau Gnädinger?»

«Überhaupt nicht, vielleicht mit Ausnahme eines Mark Spitz.»

«X-facher Olympiasieger im Schwimmen», ergänzte Prisca Antoniazzi.

«Siebenfach, 1972 in München», stellte Ritter weiter fest, «aber ich denke kaum, dass wir ihn befragen müssen, zumal er Amerikaner ist. Dennoch eine Frage: Sie sagten mit Ausnahme eines Namens, wen haben Sie damit gemeint, etwa Roland Jeanneret?»

«Herr Ritter, können Sie Gedanken lesen oder sind Sie eventuell sogar bei der NSA?», scherzte Ruth Gnädinger.

«Nein, keine Angst, Frau Gnädinger», gab sich Ritter ernsthaft, «aber mir war, ich hätte ihn und seine Frau Suzanne vorhin von Weitem gesehen. Wir kennen uns nicht, aber das ehemalige Aushängeschild der Glückskette ist noch heute schweizweit bekannt. 16 minus 2. Es gibt demnach 14 Schweizer, auf die wir eventuell zurückkommen müssen. Jeanneret wird kaum etwas mit Frau Decorvet zu tun gehabt haben, sonst hätten sie sich zweifelsohne begrüsst. Das wäre Ihnen bestimmt aufgefallen, nicht wahr?»

«Ja, das ist so, Fiona hätte uns Herrn Jeanneret bestimmt vorgestellt.»

Entgegen der Anweisung an alle anderen in Hamburg aussteigenden Passagiere, ihre Koffer mit zur Verfügung gestellten verschiedenfarbigen Etiketten bis 1 Uhr vor ihre Kabinen für den Abtransport und reibungslosen Abschluss ihrer Reise zu stellen, konnten die neun Anwesenden damit bis 7 Uhr zuwarten. Das hatte ihnen Carlo Colombi mitgeteilt. Gegen 1.45 Uhr verabschiedete man sich, Ritter mit der Bitte an die Damen, ihn um 7 Uhr im Speisesaal Roma zu treffen, weil er doch einige Fragen zur Verschwundenen hatte.

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