Kitabı oku: «Rüeggisberg», sayfa 4

Yazı tipi:

Joseph Ritter begann, gezielte Fragen zu stellen, um sich in der noch zur Verfügung stehenden Zeit ein möglichst klares Bild von Fiona Decorvet zu machen, damit er mit seinem Team – Claudia Lüthi, Elias Brunner und Stephan Moser – aufgrund konkreter Ansätze arbeiten konnte. Je nach Ausgangslage musste auch der Kriminaltechnische Dienst KTD der Kantonspolizei miteinbezogen werden, Eugen «Iutschiin» Binggeli und Georges «Schöre» Kellerhals, ebenso die Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland in der Person von «Staatser» Max Knüsel, auch für Schwarzenburg zuständig. Wenig wahrscheinlich schien hingegen die Kontaktnahme mit Veronika Schuler, Rechtsmedizinerin beim Institut für Rechtsmedizin Bern IRM, da es aller Voraussicht nach keine Obduktion vorzunehmen galt. Ritter ertappte sich dabei, vom eigentlichen Thema abgeschweift zu sein.

«Kann mir jemand von Ihnen die Namen von Männern nennen, mit denen Frau Decorvet in den letzten Monaten oder Jahren liiert war?»

«Herr Ritter, das tönt beinahe so, als würde Fiona ihre Partner regelmässig wechseln», ereiferte sich wiederum Ruth Bär.

«Frau Bär, seien wir ehrlich, wir alle stehen doch vor einer Blackbox, für Sie als beste Freundinnen ist das Verschwinden ebenso rätselhaft wie für mich. Wenn wir ihren Weggang aus dem Theater nach dem Lesen einer SMS mit dieser Meldung in Zusammenhang bringen müssen, so ist von nun an alles wichtig, da können wir gar nichts ausklammern. Also: Können Sie mir Namen nennen, möglichst mit weiteren Informationen?»

«Haben Sie schon daran gedacht, jenen Absender ausfindig zu machen, der ihr gestern kurz nach 21 Uhr eine Message geschrieben hat? Danach ist sie ja aufgestanden und gegangen», stellte Ruth Gnädinger ihre Hilfe zur Verfügung.

«Ja, Frau Gnädinger, meine Mitarbeiterin erkundigt sich beim Provider, nur dauert das meistens mehr als bloss zwei, drei Stunden. Ich hoffe nur, es habe sich nicht um ein Prepaid-Handy gehandelt, sonst wird die Aufgabe fast unlösbar», gab Ritter zu bedenken.

«So viel ich weiss», antwortete Ruth Gnädinger, «hat Fiona nur ein Handy und das ist bei der Swisscom registriert», worauf die übrigen drei Damen nickten.

«Wie gesagt, wir sind an der Sache dran. Jetzt wäre ich um Namen froh», worauf das grosse Schweigen begann, denn keine der vier Freundinnen wollte als Petzerin gelten, als Schnuriwyb.

Prisca Antoniazzi war die Erste, die ihre Zunge lockerte, verbunden mit der Bitte, dass «dies alles unter uns bleibt», was der Leiter des Dezernats Leib und Leben der Kantonspolizei zu bestätigen vermochte. Der Name von Leevi Hämäläinen fiel als Erstes, ein erfolgreicher Architekt aus Jyväskylä in Finnland. Ritter bat Prisca Antoniazzi darum, Namen und Ortschaft zu buchstabieren, damit er korrekte Angaben auf seinem Aufnahmegerät hatte. Hämäläinen hatte erst vor drei Jahren die Innenräume der Villa von Fiona Decorvet in Schwarzenburg neu gestaltet, in modernem skandinavischem Stil mit sehr viel Holz und dazu passenden Materialien. Offenbar hatte der Finne die neuen Räumlichkeiten für eine gewisse Zeit gleich selber mit Fiona Decorvet geteilt, wie sich Prisca Antoniazzi recht vornehm ausdrückte. Haruki Kobayashi folgte als nächster Name, ein bekannter japanischer Performance-Künstler, der abwechslungsweise in Kobe und Paris lebte. Ritter liess sich auch diesen Namen buchstabieren, verbunden mit der Frage, ob es auch Schweizer mit entsprechenden Namen im Leben der Bernerin gab, à la Housi Knecht oder Franz Gertsch, was den vier Frauen für einen Augenblick ein Schmunzeln entlockte.

«Herr Ritter, Fiona ist von Berufes wegen international ausgerichtet, sehr kosmopolitisch. Sagt Ihnen der Name Kobayashi nichts?»

«Doch schon», versuchte sich Ritter entspannt zu geben, «als ehemaliger Formel-1-Fahrer für das Team Sauber, aber ich denke nicht, dass dieser Kobayashi auch euer Künstler ist. Auch nicht der Skispringer aus Japan», was für eine weitere leichte Entspannung sorgte.

Ein weiterer Name blieb trotz Nachhaken aus, entweder aus echter Unwissenheit heraus oder aber aus Furcht, dem Ermittler zu viel zu erzählen. Dieser wechselte deshalb das Thema, erkundigte sich, ob Fiona Decorvet «Feinde» oder «Ärger mit jemandem» hatte, im Bewusstsein, dass erfolgreiche Zeitgenossen immer mit Neidern konfrontiert wurden. Hier stiess er auf eine Mauer des Schweigens, was ihn nicht weiter zu erstaunen vermochte. Abgesehen davon stand er ja ganz am Anfang seiner Befragungen, weshalb er zurück auf die Herren Hämäläinen und Kobayashi zu sprechen kam. Viel erfuhr er nicht, nur, dass beide Liaisons – der Finne vor dem Japaner – jeweils ungefähr ein Jahr dauerten und nicht zuletzt deshalb scheiterten, weil weder der Skandinavier noch der Künstler aus dem Land der aufgehenden Sonne ihre Wohnorte verlassen und in die Schweiz wechseln mochten.

Um die vier Frauen nicht zu sehr zu strapazieren, bedankte sich Ritter und stellte in Aussicht, sie über den Verlauf der Ermittlungen zu informieren, erstmals am selben Abend, nach den Erkenntnissen der Durchsuchung mit den Spürhunden. Er erklärte ihnen auch, dass er sie übermorgen Dienstag gerne im Ringhof sprechen würde, einzeln, was zumindest gegen aussen zu keinerlei sichtbaren Verunsicherungen der vier Freundinnen von Fiona Decorvet führte.

Luzia Cadei hatte sich anerboten, als Transitstation zwischen Ritter und ihren Freundinnen zu amten. Ritter verabschiedete sich «vorläufig» von den Frauen. Auf seinem Handy-Display hatte er gesehen, dass Claudia Lüthi ihn zu erreichen versucht hatte. In diesem Moment kam auch Luigi Bevilaqua mit einem bereits ausgedruckten zweiseitigen Protokoll in englischer Sprache mit den Aussagen des Capitano zurück, damit «alles seine Ordnung hat». Darin stand schriftlich, was Ritter & Co. bereits selber erlebt hatten: Durchsage über die Lautsprecheranlage, die Auswertung der Videobänder, die Durchsuchung des Schiffs und weitere Einzelheiten.

Und dennoch konnte der Italiener mit einer neuen Erkenntnis aufwarten, denn auf einem bisher nicht visionierten Video war Fiona Decorvet um 21.13 Uhr während zwei Sekunden zu sehen, wie sie den Aussenbereich auf Deck 5 bei den Rettungsbooten betritt, ihre Aufmerksamkeit auf das Handy gerichtet, das sie in der Hand hält. Diese kurze Sequenz bestätigte jedoch nur, dass sie tatsächlich jene Zone betrat, in der ihre Handtasche gefunden wurde.

«J. R., wir sehen uns um 11.30 Uhr, das Schiff legt pünktlich nach Zeitplan im Cruise Center Steinwerder an. Der Capitano hat seine Security-Leute beauftragt, alle Passagiere, die von Bord gehen, also auch jene, die am Abend wieder aufs Schiff zurückkommen, genau mit den Fotos auf ihren Bordkarten zu vergleichen. Ich werde jetzt versuchen, mit einigen Offizieren zu sprechen, Man weiss ja nie …», vermeldete Bevilaqua. Ritter bedankte sich beim Mailänder für dessen Engagement.

Die fünf Kriminalisten trafen alle einige Minuten zu früh bei der Rezeption ein, der Berner informierte über den Stand der Dinge, wobei es zur eigentlichen Causa Decorvet keine Neuigkeiten gab, lediglich Informationen zu ihrem Privatleben. Zusammen mit unzähligen anderen Passagieren warteten sie anschliessend auf dem obersten Deck auf das Anlegen der Alberta Imperator. Capitano Enrico Tosso und seine Offiziere hatten keine Mühe, das Schiff zentimetergenau zu «parkieren», schliesslich hatten auch in der Schifffahrt längst Computer und Sensoren das Kommando über den Sextanten übernommen, sodass es eigentlich salopp ausgedrückt nur darum ging, die Navigationsvorgänge zu überwachen.

Holger Herrlich ging als Erster an Land, der nächste Passagier musste zwei, drei Minuten warten. Grund dafür war der Umstand, dass HH den bereitstehenden sieben Hunden der Spezialkräfte die vorhandenen Kleidungsstücke vor die Nase hielt, um eine Spur zu Fiona Decorvet aufnehmen zu können. Entsprechend schmal war denn auch der Durchgang, den die Passagiere zu beschreiten hatten. Selbstverständlich hatte Enrico Tosso zuvor über die Lautsprecheranlage bekanntgegeben, dass es «besonderen Umständen» wegen zu einer genaueren Personenkontrolle kommen werde. Die meisten Leute vermuteten beim Anblick der Deutschen Schäferhunde die Suche nach Drogen und stellten keine Fragen, liessen sich höchstens zu mehr oder weniger witzigen Bemerkungen verleiten.

Nach einer halben Stunde waren sowohl jene von Bord, die ihre Reise beendet hatten – wie Ruth Bär, mit zwei Rollkoffern, Luzia Cadei, Ruth Gnädinger und Prisca Antoniazzi –, als auch jene «Rückkehrer», welche für einige Stunden die Hansestadt besichtigen wollten, die meisten in Richtung Elbphilharmonie und dem in der Speicherstadt praktisch nebenan liegenden Miniatur Wunderland mit der grössten Miniatureisenbahnanlage der Welt.

Die Hundeführer betraten anschliessend mit ihren Tieren das Zugangsdeck, wo die «Schnüffler» nochmals die beiden Kleidungsstücke zu riechen bekamen. Ein Hund wurde ins Theater geführt, zu jenem Sessel, auf welchem Fiona Decorvet gestern Abend Platz genommen hatte. Zwei Schäferhunde führte man in den Aussenbereich von Deck 5, zu den Rettungsbooten, wo die leere Handtasche gefunden wurde. Die übrigen vier Vierbeiner teilten sich mit ihren Haltern auf: Zwei begannen auf dem untersten Deck in den Crew-Räumen wie Messe, allgemeine Anlagen und Kabinen, Letztere waren weit weniger luxuriös eingerichtet als die Passagierkabinen. Immerhin: Auf der Alberta Imperator teilten sich bloss zwei langjährige Crewmitglieder eine Kabine, zudem befanden sich diese aus Sicherheitsgründen über dem Wasserspiegel, zum Teil mit einem Bullauge ausgestattet, auch wenn es nicht geöffnet werden konnte, im Gegensatz zu ebenfalls vorhandenen Innenkabinen, die von Crewmitgliedern auf Ersteinsatz belegt waren, meistens Inder, Filipinos und Tamilen.

Es war keine Überraschung, verlief die Spurensuche auf diesem Crewdeck ergebnislos, sodass die Tiere eine Etage höher zum Einsatz gelangten, in den Personalräumen für Staff-Mitarbeitende, welche meistens in den Bereichen der Rezeption, der Fitness, der Animation und der Kinderbetreuung tätig waren, und Offiziere. Auch hier: Fehlanzeige. Als Nächstes kamen die Warenlager an die Reihe, diese Flächen waren durch die insgesamt acht Restaurants und zwölf Bars belegt.

François Hommard und Adalbert König hatten sich zuvor von ihren drei Kollegen in Richtung Flughafen Helmut Schmidt verabschiedet, nachdem ihnen das Trio Herrlich/Bevilaqua/Ritter unter Verdankung ihrer Hilfe mitgeteilt hatte, dass es für sie nichts mehr zu tun gebe.

Während die Hunde im Einsatz standen, kam Ritter endlich dazu, Claudia Lüthi anzupeilen. Diesen Anruf hatte er bewusst hinausgezögert, um genügend Zeit für seine Mitarbeiterin zu haben.

«Sorry, Claudia, ich wollte nicht unter Druck anrufen, deshalb erst jetzt. Und glaub mir, mit Desinteresse an deinen Erkundigungen hat das gar nichts zu tun …», begann er.

«J. R., das würde ich dir auch niemals unterstellen», lachte sie, «aber erzähl du mir zuerst den Stand der Dinge aus Hamburger Sicht», was Ritter stichwortartig auch ausführte.

«Jetzt aber zu dir. Stimmt es, dass Swisscom der Provider ist?»

«Ja. Aber es bedurfte schon der Hilfe der Staatsanwaltschaft, um an die Daten heranzukommen.»

«Knüsel?»

«Gut geraten, dein Max», was Ritter dran erinnerte, dass er erst seit einem Jahr mit Max Knüsel per Du war, auf dessen Vorschlag hin, anlässlich der Recherchen in Zusammenhang mit dem Doppelmord am Wohlensee, zu dem sich noch ein dritter in Genf gesellte.

Gleich zu Beginn der Erklärungen stand eine grössere Verwirrung: Der letzte Anruf von gestern Abend um 20.52 Uhr wurde von einem Prepaid-Handy aus getätigt, Fiona Decorvet hatte ihn aber weggedrückt, es gab keine Gesprächsdauer. Eingeloggt war der Anrufer in Herrliberg, an der «Goldküste», am rechten Zürichseeufer.

«Bringt uns wohl nicht gross weiter, Claudia …», bemerkte Ritter enttäuscht.

«Nur nicht so pessimistisch, J. R., Victorija Rudenko wohnt in Feldmeilen, wie ich herausgefunden habe, liegt gleich neben Herrliberg», konterte Claudia Lüthi.

«Immerhin ein Ansatz.»

«Da ist noch etwas, J. R. …»

«Nämlich? Claudia, mach es nicht so spannend!»

«Um 19.29, 21.09 und 21.13 Uhr hat man sie per SMS kontaktiert.»

«Genial, Claudia, genial! Wer denn?»

«Prepaid, leider, aber möglicherweise wurden die Kontakte, so die Swisscom, auf hoher See abgesetzt, eine genauere Ortung ist nicht möglich.»

«Das hingegen ist interessant, merkwürdig. Was sagen uns die übrigen Handydaten von Frau Decorvet?»

«Wir werten die Daten aus, mit einer Ruth Bär hat sie häufig telefoniert.»

«Ist eine Freundin von ihr, war auch auf dem Schiff, du kannst sie ruhig vernachlässigen, ebenso Prisca Antoniazzi, Luzia Cadei und Ruth Gnädinger, die zählen ebenso dazu. Ist dir sonst Verdächtiges aufgefallen?»

«Nein, nicht wirklich, aber bis du wieder in Bern bist, werden wir wohl mehr wissen. Weisst du schon, wann genau dein Flug geht?»

«Nein, noch nicht. Heute werde ich mit den italienischen und deutschen Kollegen zusammensitzen und das weitere Vorgehen absprechen. Ich melde mich, danke, Claudia.»

Inzwischen zeigten die Uhren auf der Alberta Imperator, dass die beiden ersten Stunden des Nachmittags an diesem 9. August bereits verstrichen waren. Ritter machte sich nach einem Telefongespräch mit seiner Partnerin Stephanie Imboden auf Spurensuche – zu den Spürhunden. Den ersten Vierbeiner fand er auf jenem Deck, auf welchem das Theater liegt. Der Hundeführer war im Gespräch mit Holger Herrlich, weshalb sich Ritter vorerst auf Distanz hielt, er wollte die beiden Herren in ihrer Diskussion nicht stören. Auch ohne Worte sah Ritter ihrer Gestik und Körperhaltung an, dass die Spurensuche kein Ergebnis gezeitigt hatte, eine Vermutung, die HH kurz danach bestätigte.

Der Spürhund hatte die Fährte auf der Suche nach Fiona Decorvet sofort aufgenommen, als er an den Sessel herangeführt wurde, auf dem die Vermisste Platz genommen hatte. Von dort aus begab sie sich offenbar direkt zu einem der insgesamt sechs Aufzüge, die allein im vorderen Bereich des Schiffes zur Verfügung standen. Auf Deck 5 gab es bei den Liften eine weitere Spur, die direkt zum Aussenbereich führte, dorthin, wo die Handtasche bei den Rettungsbooten lag. Ironie des Schicksals für die Ermittler: Kurz bevor man die Handtasche entdeckt hatte, wurde das Aussendeck gereinigt, die Handtasche offensichtlich übersehen, und mit diesen Arbeiten auch sämtliche mögliche Spuren beseitigt, also war man in dieser Beziehung so klug wie zuvor, weshalb sich Ritter auf tiefer gelegene Etagen begab, auf der Suche nach weiteren Vierbeinern mit ihren Haltern. Unterwegs verfolgte ihn kurz folgender Gedanke: Die Mitarbeitenden auf der Alberta Imperator wussten bestimmt, welche Zonen nicht unter Video-Überwachung standen. Was nun, wenn eine Reinigungskraft die Handtasche gefunden und Handy samt Bordkarte an sich genommen oder über Bord geworfen hätte? Aber weshalb dann nicht gleich die ganze Handtasche? Nein, diese Überlegung machte keinen Sinn, weshalb er sich wieder den Fakten widmete.

Ritter wurde im Bereich der Lagerräume fündig, wo inzwischen mehrere Hunde bellten und damit anzeigten, dass es jene Gerüche gab, die mit den Kleidungsstücken identisch waren. Weil die verschiedenen Kühlkammern und Lebensmittellager mit offener Ware für Tiere tabu waren, bemühten sich die Tierhalter darum, nach sichtbaren Spuren zu suchen, allerdings vergeblich, so sehr sie sich auch bemühten, Berge von Kisten und Kartons freizulegen. Capitano Enrico Tosso und einer der Offiziere standen ebenfalls vor Ort, nicht zuletzt, um einen Verstoss gegen die Lebensmittelvorschriften zu verhindern, denn Kisten mit offenen Früchten, in die die Hunde ihre Nasen gesteckt und an denen sie mit den Pfoten gescharrt hatten, hätten sofort entsorgt werden müssen. Das galt es zu verhindern, trotz allem Verständnis für die Sucharbeiten.

«Herr Ritter», Enrico Tosso wandte sich an den Schweizer, «die Tiere haben eine Spur gefunden, aber wir können uns keinen Reim darauf machen. Nirgends gibt es optische Hinweise darauf, dass Frau Decorvet sich tatsächlich hier aufgehalten hat. Es ergibt auch keinen Sinn. Meine Leute werden jedoch bis zur Abfahrt des Schiffs jede auch nur einigermassen zugängliche Fläche absuchen und sämtliche Kisten kontrollieren. Ich werde Ihnen in jedem Fall Bescheid geben, ungefähr um 19.00 Uhr. Wir werden auch neu einzuladende Ware für einige Stunden separat zwischenlagern, um mögliche Spuren nicht zu verwischen.»

«Danke, Capitano. Eine Frage hätte ich noch.»

«Prego.»

«Es gibt ja auch Ware, die das Schiff verlässt …»

«Ja, natürlich, Essensreste. Und Fäkalien, aber beides wird auf dem Schiff getrocknet und anschliessend verbrannt, um Energie zu gewinnen. Die Imperator ist diesbezüglich das vermutlich modernste und sauberste Schiff der Welt, mit eigener Kläranlage. Alles, was wir nicht verwerten können, wird maschinell zerkleinert und geht zum Rezyklieren von Bord. Sie denken aber hoffentlich nicht, dass …»

«Sagen wir es so: Ich hoffe es nicht.» Diese Hypothese bedeutete auch das Ende dieses Gesprächs.

Weil es an Bord keine weiteren Indizien zum Aufenthalt der Fiona Decorvet gab, einigte man sich mit Holger Herrlich, die Suche abzubrechen, was gleichzeitig auch bedeutete, dass die Herren Bevilaqua, Herrlich und Ritter sich vom Kapitän verabschiedeten, mit der Aussicht, weiter miteinander in Kontakt zu bleiben. HH schlug seinen beiden Kollegen vor, doch mit ihm zur nicht sehr weit entfernten Davidwache zu kommen, um das weitere Vorgehen zu besprechen.

Von den Beatles und ABBA (Noch immer Sonntag, 9. August)

Ruth Bär, Prisca Antoniazzi, Ruth Gnädinger und Luzia Cadei hatten darauf verzichtet, im Cruise Center Steinwerder eine Fahrt mit dem ÖV zum Flughafen Hamburg in Betracht zu ziehen, nicht zuletzt deshalb, weil ja auch der relativ grosse Koffer von Fiona Decorvet mitgenommen werden musste. Sie bestiegen deshalb ein Grossraumtaxi, das sie zum Airport Helmut Schmidt brachte. Während der Fahrt schwiegen sich die Freundinnen an, keine hatte Lust, über Fiona Decorvet zu sprechen, zumal nicht klar schien, ob der Taxifahrer das eine oder andere aufschnappen würde. Deshalb kam nur Banales zur Sprache, die genaue Abflugzeit der Swiss nach Zürich, zum Beispiel aber auch der Umstand, dass jemand unter ihnen plötzlich zwei Koffer bei sich hatte – Übergewicht also –, dafür eine Person weniger im Flugzeug sass. Sie waren sich einig, mit ihrem Problem zur Information zu gehen.

«Hier ist der Norddeutsche Rundfunk mit den Nachrichten», hörten die Frauen am Radio, «Hamburg: Wie soeben bekannt wird, ist eine Passagierin auf dem Kreuzfahrtschiff Alberta Imperator letzte Nacht zwischen Stockholm und Hamburg spurlos verschwunden. Es soll sich dabei nach noch unbestätigten Angaben um eine Schweizerin handeln, die mit vier Freundinnen an Bord weilte. Weitere Informationen dazu folgen in unserer nächsten Nachrichtensendung in einer Stunde. Berlin: Die SPD hat nach langen parteiinternen Konsultationen die …»

Nicht bloss die vier Schweizerinnen sahen sich wie versteinert an, es war unschwer zu beobachten, dass der Fahrer gezielt in den Rückspiegel schaute, möglicherweise ahnend, dass es sich um die vier vorhin erwähnten Damen handelte, wodurch sich Prisca Antoniazzi zu einer List gezwungen sah.

«Mes chères, je ne sais pas si notre camionneur», sie vermied absichtlich das Wort Chauffeur, da sie dies verraten hätte, «supçonne que nous sommes les quatre femmes qui viennent d’être mentionnées. Ne disons donc plus rien jusqu’à l’arrivée», was mit Kopfnicken bestätigt wurde.

Nach der Ankunft des Taxis half der Fahrer seinen Gästen beim Ausladen ihrer Koffer, wie er es schon eine halbe Stunde zuvor beim Einladen getan hatte. Er bedankte sich für das Trinkgeld und wünschte den vier Frauen einen guten Weiterflug, «wohin auch immer», wobei er sich sicher war, dass zuvor Schwiizerdütsch gesprochen wurde, ein Dialekt, den er schon einmal bei Sommerferien im Berner Oberland gehört hatte. Zudem hatten die vier Frauen fünf Koffer bei sich.

Im Abflugterminal herrschte Hochbetrieb. Die vielen Passagiere, die Gepäck aufzugeben hatten, standen entweder vor den Schaltern oder aber vor den automatischen Check-in-Maschinen. Diese funktionierten selten so, wie die Passagiere begehrten, weshalb meistens ein hilfreicher Flughafenangestellter anwesend war. Von Weitem schon war ein Informationsschalter zu sehen, wo erstaunlicherweise niemand nach einer Auskunft verlangte, sodass das Quartett bei einem Mitarbeiter sofort zur Sache kommen konnte.

«Wir haben ein Problem», erklärte Ruth Gnädinger, «unsere Mitreisende nach Zürich, Fiona Decorvet, hatte heute Morgen einen Unfall und musste ins Spital, sodass sie nicht mitreisen kann. Sie bat uns aber, den Koffer mitzunehmen», schwindelte sie mehr schlecht als recht.

«Und da wollte sie nichts zurückbehalten, für ihren Spitalaufenthalt?», gab sich der Mann interessiert, was Ruth Gnädinger ratlos werden liess. Ruth Bär führte deshalb den Dialog nahtlos fort.

«Selbstverständlich hat sie das Nötigste rausgenommen. Da sie sich an der Schulter verletzt hat, bestand sie darauf, dass wir ihren Koffer mitnehmen, um sie sozusagen zu entlasten.»

«Das wird kein Problem sein, aber ich selber kann Ihnen nicht direkt weiterhelfen. Der Flug geht ja in etwas weniger als zwei Stunden, der Swiss-Schalter ist offen, der erste Ansturm vorbei, sodass Sie vermutlich nicht lange werden warten müssen. Erklären Sie das am Check-in 222, so wie sie es soeben mir gegenüber beschrieben haben. Ich wünsche Ihnen einen guten Flug nach Zürich.»

Im Fall der vier Freundinnen von Fiona Decorvet erwies sich die an sich einfache Ausgangslage als unerwartet kompliziert, weil die Dame an einem der beiden offenen Check-in-Schalter nach eigenen Angaben nicht befugt war, einfach einen Koffer einer No show-Passagierin anzunehmen. Es folgte deshalb ein Rückruf an den Vorgesetzten, der drei Minuten später eintraf und die Damen zur Seite bat, damit hinter ihnen stehende Passagiere bei der Aufgabe ihres Gepäcks nicht unnötig lange anstehen mussten. Ralf Bauer – so die Anschrift auf seinem Namensschild – wunderte sich wie zuvor der Angestellte am Info-Schalter, dass die Passagierin den Koffer nicht im Spital behalten wollte, worauf Prisca Antoniazzi mit der Wahrheit rausrückte.

«Ich habe vorhin in den Nachrichten so etwas gehört, war da von Frau Dehkorvett die Rede?», fragte er, nachdem er den Namen auf der Flugbestätigung gelesen hatte.

«Ja, das ist der Koffer von Fiona Decorvet. Sie wird seit gestern Abend vermisst. Die Polizei ist informiert, unter anderem waren Suchhunde vorhin auf dem Schiff. Herr Herrlich von der Davidwache war zufälligerweise an Bord, er weiss, dass wir den Koffer mitnehmen.»

«Soso, Holger scheint auch mehr auf Reisen als auf der Wache …», versuchte Bauer die Situation zu entspannen, «ich werde mir aber den Inhalt des Koffers selber anschauen müssen, bevor er am Schalter entgegengenommen wird. Zudem müssen das Bodenpersonal und die Besatzung um die Sache wissen, sonst bleibt der Koffer in Hamburg stehen.»

«Nicht in Berlin?» versuchte sich Prisca Antoniazzi als Wortakrobatin.

«Nein, nicht in Berlin, wie Marlene Dietrich im gleichnamigen Lied», outete sich Ralf Bauer als Kinogänger und Kulturkenner, worauf er Prisca Antoniazzi bat, doch den Koffer zu öffnen, dessen Inhalt er aber nur oberflächlich durchsuchte, der allerseits beliebten guten Ordnung halber, denn er hatte nicht vor, alle Kleider und die Unterwäsche von Fiona Decorvet demonstrativ zu betrachten. Nach wenigen Minuten hatten die vier Reisenden ihre Bordingkarten in der Hand, begleitet von Ralf Bauers besten Wünschen für einen guten Flug, verbunden mit der Hoffnung, dass Frau Dehkorvett nichts Ernsthaftes zugestossen sei und sich alles möglichst schnell klären möge.

Die Sicherheitskontrollen erwiesen sich auch in Hamburg als sehr sorgfältig, nahmen jedoch nicht übermässig Zeit in Anspruch, sodass vor dem Abflug noch genügend Zeit blieb, um sich im Bistro Pier 1 noch kurz zu verpflegen, denn während des Fluges wurden bekanntlich keine wirklichen Köstlichkeiten serviert. Nach dem Bestellen – viermal Cappuccino, einige Trockengebäcke – war es Prisca Antoniazzi, die mit schwerem Geschütz aufwartete.

«Seien wir doch ehrlich miteinander», begann sie und schaute ihren drei Freundinnen dabei abwechslungsweise in die Augen, «was wissen wir wirklich über das Leben von Fiona in den letzten paar Monaten?»

«Gut, dass du das ansprichst, Prisca. Ich habe mich auch schon gewundert, weshalb man mit ihr nicht wie früher spontan abmachen kann. Immer hat sie eine Ausrede auf Lager», antwortete Luzia Cadei, «als hätte sie etwas zu verbergen.»

«Einen neuen Lover? Nach Hämäläinen und Kobayashi jetzt womöglich einen Burggrafen von und zu Nieder- und Oberösterreich?», worauf alle ab dieser Bemerkung von Prisca Antoniazzi lachen mussten.

«Im Ernst jetzt. Ist euch nichts zu Ohren gekommen?», fragte Luzia Cadei ungläubig.

«Das tönt jetzt aber recht geheimnisvoll, Luzia», wunderte sich ihre Freundin Ruth Gnädinger, «haben die Buschtrommeln etwas verkündet?»

Nun konnte sich Luzia Cadei einer ungeteilten Aufmerksamkeit sicher sein.

«Konkret nicht, nein. Aber ein Bekannter von mir hat Fiona – er glaubte zumindest, es sei sie – vor ein paar Wochen mit zwei scheinbar recht komischen Gestalten im Gespräch gesehen, sehr diskret in einer Ecke sitzend, Fiona habe sich ständig umgesehen, gerade so, als wolle sie sicher sein, nicht erkannt zu werden. Die Männer um die vierzig, gross gewachsen, sehr athletisch gebaut. Und gekleidet, als würden sie anschliessend an eine Party von Neureichen gehen, mit offenen Hemden, um die schweren goldenen Halsketten öffentlich zu zeigen. Jedenfalls geht man so nicht an ein Freilichttheater von Livia Anne Richard auf den Gurten, auch nicht an einen Match der Young Boys.»

«Wo denn das? Und abgesehen davon, dass Livia Anne Richard erst 2020 wieder auf dem Gurten inszeniert, gerade Jahre in Bern und ungerade Jahre in Zermatt», bemerkte Ruth Bär.

«Mein Bekannter hat Fiona mit den beiden Typen im Hotel Schweizerhof gesehen. Und die Lackaffen, wie mein Bekannter sie bezeichnete, hätten nicht unbedingt nach Kunstsachverständigen ausgesehen. Er tippte eher auf Erpressung, Russen-Mafia oder so …»

«Passt nun gar nicht zu Fiona», sprach Ruth Gnädinger aus, was alle dachten, «aber auf der anderen Seite hat wohl jeder Mensch Geheimnisse, die er oder, in unserem Fall, sie für sich behält, nicht mal der besten Freundin erzählt …»

«Übrigens, Kolleginnen, was ist mit Dienstag bei Ritter? Sprechen wir uns da vorher ab?», wollte Ruth Bär wissen.

«Gute Intervention, Ruth», bemerkte Prisca Antoniazzi, «wir können ja morgen miteinander telefonieren. Ruth, informierst du die beiden Galerien darüber, dass Fiona vermisst wird?», was Ruth Bär mit Kopfnicken bestätigte.

Womit diese Diskussion beendet war, da niemand mehr etwas zu Fiona Decorvet zu sagen oder zu tratschen hatte. Luzia Cadei übernahm das Bezahlen für das ganze Trüppchen, anschliessend besuchten die Freundinnen noch den einen oder anderen Laden im Transitbereich, ohne jedoch etwas zu kaufen. Der Flug nach Zürich verlief reibungslos und obwohl der Airbus restlos ausgebucht war, schien niemandem der einzige leere Platz aufzufallen. Entgegen ihren Gewohnheiten – und wohl aus Pietätsgründen – hatte Swiss den Platz nicht weiterverkauft. Aber vielleicht gab es ja auch keine Stand-by-Passagiere. In Zürich kam es nur zu einer kurzen Verabschiedung, weil alle vier ihren eigenen Wagen im Parkhaus stehen hatten. Luzia Cadei, die sich des Koffers von Fiona Decorvet annahm, weil sie die Galeristin vor einigen Tagen nach Kloten gefahren hatte, versprach ihren Freundinnen, sie sofort zu kontaktieren, sollten sich heute noch neue Erkenntnisse ergeben. Minuten zuvor hatte sie von Joseph Ritter eine SMS erhalten, allerdings nur mit der Mitteilung, dass es keine Neuigkeiten gebe. Für einmal bewahrheitete sich der Spruch No news is good news nicht.

Ungefähr zur gleichen Zeit, als das Taxi vor dem Flughafen Hamburg hielt, betraten drei Kriminalisten die Davidwache in St. Pauli: Holger Herrlich, Luigi Bevilaqua und Joseph Ritter. Es liess sich vermuten, dass die Polizistinnen und Polizisten ihren Chef und Hobby-Fussballer Holger Herrlich immer nach dem gleichen Ritual begrüssten, mehrstimmig.

«Holger vor, noch ein Tor …», in Anlehnung an HSV-Legende Uwe Seeler.

«Jaja, danke, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte kein Geld werfen, nicht klatschen, keine Ola-Welle, den roten Teppich nicht ausrollen … Hat der Baum auf St. Pauli gestern und vorgestern Abend wieder gebrannt? Die normalen Vorkommnisse?», was Dienstchef Dietmar Klein bestätigte: Touristen, die in den einschlägigen Lokalen über den Tisch gezogen wurden, Zoff mit Prostituierten, Schlägereien zwischen HSV-Anhängern und auswärtigen Hooligans, das volle Programm, wie an jedem Freitag- und Samstagabend. Mal intensiver, mal mit angezogener Handbremse. Heute Sonntag war es vergleichsweise ruhig, auch am Abend waren keine grösseren Zwischenfälle zu erwarten.

«Und, wie waren die hübschen Schwedinnen?», kam es neckisch aus einer Ecke. Die Stimme verstummte jedoch sofort, als auch jener Kollegin klar wurde, dass der Chef noch mit zwei unbekannten Herren die Davidwache betreten hatte, die er sofort vorstellte. Alle Diensttuenden auf der Wache hatten bereits mitbekommen, was auf der Alberta Imperator passiert war, samt dem Einsatz der Spürhunde.

«Holger, habt ihr neue Erkenntnisse, was das Verschwinden der Schweizerin betrifft?»

«Nein, Dietmar, keine neuen Erkenntnisse, ausser, dass sie sich irgendwann nach ihrem Verschwinden einmal in einem Warenlager für Lebensmittel aufgehalten haben muss, dort haben die Hunde angeschlagen. Aber auch das ergibt keinen Sinn. An Bord war sie zum Zeitpunkt unserer Ausschiffung jedenfalls nicht. Oder sagen wir es ultimativ so: nicht mehr.»

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.

₺529,12
Türler ve etiketler
Yaş sınırı:
0+
Hacim:
301 s. 20 illüstrasyon
ISBN:
9783038182825
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

Bu kitabı okuyanlar şunları da okudu