Kitabı oku: «Welt als Körper», sayfa 7

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2.3 Bezüge auf die Erde
2.3.1 Paratextuelle Reflexion auf Reiseliteratur

In einem dem Haupttext vorangestellten Paratext namens The Publisher1to the Reader, der bereits in der ersten Ausgabe der Travels enthalten war,2 wird dem Leser, nach einigen Abhandlungen, welche ironisch von der Glaubwürdigkeit Gullivers überzeugen sollen, seitens eines fiktiven Lektors Folgendes mitgeteilt:

THIS Volume would have been at least twice as large, if I had not made bold to strike out innumerable Passages relating to the Winds and Tides, as well as the Variations and Bearings in the several Voyages; together with the minute Descriptions of the Management of the Ship in Storms, in the Style of Sailors: Likewise the Account of the Longitudes and Latitudes; wherein I have Reason to apprehend that Mr. Gulliver may be a little dissatisfied: But I was resolved to fit the Work as much as possible to the general Capacity of Readers. However, if my own Ignorance in Sea-Affairs shall have led me to commit some Mistakes, I alone am answerable for them: And if any Traveller [sic] hath a Curiosity to see the whole Work at large, as it came from the Hand of the Author, I shall be ready to gratify him. (Swift, Travels 6)

Angeblich hat die Leserschaft eine Version des Textes vor sich, in welcher NautikNautik und kartografische Belange betreffende Passagen massiv gekürzt wurden. Entgegen dieser Behauptung findet sich jedoch Material genau dieser Art zuhauf in den Travels, denn die Travels enthalten nicht nur die oft angeführte Parodie nautischen Jargons (70/II.1), sondern auch mehrere abgebildete Karten, ein „Proposal for correcting modern Maps“ (92–96/II.4), und detaillierte Beschreibungen der Wege, die die Schiffe, auf denen Gulliver reist, zurücklegen (vgl. 16/I.1, 69/II.1). Der Text stellt kartografische Belange also wiederholt explizit in den Mittelpunkt; nicht zuletzt gilt das für die Passagen, in denen Gulliver die Landschaft vermisst. So lässt sich eine Spannung konstatieren zwischen den nicht nachvollziehbaren und insofern unsichtbaren Streichungen des Lektors einerseits, und den nichtsdestotrotz vorhandenen Bezügen auf kartografische Belange andererseits. Diese Spannung ist im Text im Allgemeinen satirisch: „Swift did not take geography more seriously than was necessary to satirize it; his carelessness with geographic details in Gulliver provides additional evidence of his contempt for natural, as opposed to moral, philosophy.“ (Bracher 74) Diese Beschreibung ist zutreffend, insofern sie einen Hang zur Nachlässigkeit in Sachen kartografischer Präzision konstatiert, der im Text eindeutig nachweisbar ist.

Doch im zitierten Passus der Travels geht es nicht in erster Linie um die Relevanz kartografischer Daten und Verfahren, sondern um die Produktion eines Textes eines spezifischen Genres (ReiseliteraturReiseliteratur). Der Bericht einer Weltreise wird hier nicht als unmittelbares Produkt eines schreibenden Reisenden präsentiert, sondern als das Ergebnis eines verlegerischen Selektionsprozesses, der sich auf das Wissen und die Aufnahmefähigkeit einer allgemeinen Leserschaft bezieht („the general Capacity of Readers“), der zwei der grundsätzlichsten Techniken der ‚Erschließung‘ der Erde – NautikNautik und KartografieKartografie – angeblich unverständlich bleiben müssen. Und daher, so lautet das Postulat, bedarf es der Kürzungen und Vereinfachung des Textes. Fingierte, zwei ‚Erd-Techniken‘ betreffende Streichungen stellen also den Modus dar, unter dem die literarische Befahrung der Erde den Lesern der Travels allererst präsentiert wird. Der Text unterstreicht damit die Tatsache, dass Reiseerzählungen aus einem Verbund an (Macht-)Techniken hervorgehen, die sich auf die Erde beziehen. Denn Nautik und Kartografie sind eng mit kolonialen und imperialen Praktiken verknüpft, insofern sie die Bedingung der Möglichkeit europäischer ExpansionExpansion darstellen. Beide Techniken werden für den Leser gleich doppelt ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt: einmal, indem eine fingierte Streichung inszeniert wird, ein anderes Mal, durch die dennoch im Text anzutreffenden Passagen, die sich mit eben diesen zwei Techniken eingehend beschäftigen.3 Die Rolle von Nautik und Kartografie, welche Fernwirkungszusammenhänge ermöglichen bzw. herstellen, tritt so in den Fokus. Noch vor seinem Beginn wird der Text im Rahmen expansiver Prozesse lokalisiert – Prozesse, deren Tendenz zur Unsichtbarkeit vom Text offenbar gemacht wird.

Der Text stellt also eine fingierte Reduktion aus, der allzu technische Details zum Opfer fallen. Diese Reduktion ist in ihrer Form autoreflexiv, insofern sie mit dem Fiktionscharakter der Literatur (von dem zur Zeit Swifts freilich noch nicht in diesen Worten die Rede ist) spielt. Der Name des Lektors, der den Paratext unterzeichnet, „Richard Sympson“, verweist gleichermaßen auf den realen Herausgeber Richard Simpson, der einige Texte Swifts publizierte, und William Symson, Autor des „largely plagiarized A Voyage to the East Indies“ (Swift, Travels 6, Fußnote 6). Die Travels reihen sich so bewusst ein in die allzu lange Kette von Reiseberichten fragwürdiger Qualität und Authentizität, welche „during this ‘Silver Age of Travel’“ (Bracher 59) den Buchmarkt überschwemmen.4 Der Bezug zu GanzheitGanzheit ist in diesem Paratext bereits in eine spezifische Form gegossen: NautikNautik und KartografieKartografie sind hier das Medium einer literarischen Selbstreflexion, über die das Verhältnis zwischen Text und Erde austariert wird; im Modus eines ausgestellten Fingiert-Seins wird auf die Mittelbarkeit von Reiseerzählungen reflektiert.

2.3.2 Lokalisierung der ‚Nationen‘

Die vier Teile der Travels verbindet, dass alle in ihrem Verlauf besuchten Orte kartografisch auf der Erde verortet werden. Bekanntlich steht am Anfang jedes der vier Teile des Textes eine Karte, die das Geschehen geografisch lokalisiert.1 Der unbekannte Zeichner der Karten in den Travels hatte bei seiner Arbeit wohl mit einigen Problemen zu kämpfen, da die Präzision der kartografischen Verortungen im Text starken Schwankungen unterliegt bzw. in manchen Fällen sogar schlicht mit dem kartografischen Wissen der Zeit nicht in Einklang zu bringen ist.2 Zu einem Zeitpunkt, an dem die konkreten Konturen aller KontinentKontinente und Inseln der Erde noch lange nicht in allen Details erfasst sind und die Weltkarte noch weiße Flecken enthält (vgl. Stockhammer, Kartierung 92), lokalisieren die Travels die Darstellung von Gesellschaften (d.h.: die Inseln, Halbinseln und Kontinente, auf denen Gulliver fremde nations entdeckt) in eben diesen (noch) nicht kartografierten Regionen. Der unabgeschlossene Prozess der Kartierung der Erde stellt also die ‚Bedingung der Möglichkeit‘ dieses spezifischen Textverfahrens dar, insofern der konkrete Stand der kartografischen und damit immer auch kolonialen Erschließung der Erde die Verortung und den Umfang der möglichen Projektionsflächen definiert: die weißen Flecken auf der Weltkarte. Durch diese Lokalisierung wird insofern auf die GanzheitGanzheit reflektiert, als sie den expansiven Prozess der Erschließung der Erde – zu einem spezifischen Zeitpunkt in seinem Verlauf – getreu abbildet. Zu einem früheren oder späteren Zeitpunkt wäre die Lokalisierung der ‚Nationen‘ nicht auf die exakt gleiche Art möglich.

Benedict Anderson spricht in Imagined Communities davon, dass die inszenierten Orte der Travels realen ‚Entdeckungen‘ nachempfunden seien:

Francis Bacon’s New Atlantis (1626) was perhaps new above all because it was situated in the Pacific Ocean. Swift’s magnificent Island of the Houyhnhnms (1726) came with a bogus map of its South Atlantic location. (The meaning of these settings may be clearer if one considers how unimaginable it would be to place Plato’s Republic on any map, sham or real.) All these tongue-in-cheek utopias, ‘modelled’ on real discoveries, are depicted, not as lost Edens, but as contemporary societies. One could argue that they had to be, since they were composed as criticisms of contemporary societies, and the discoveries had ended the necessity for seeking models in the vanished antiquity. In the wake of the utopias came the luminaries of the Enlightenment, Vico, Montesquieu, Voltaire, and Rousseau, who increasingly exploited a ‘real’ non-Europe for a barrage of subversive writings directed against current European social and political institutions. In effect, it became possible to think of Europe as only one among many civilizations, and not necessarily the Chosen or the best. (Anderson 69f.)

Anderson beschreibt, dass das Spezifische der im 17. und frühen 18. Jahrhundert18. Jahrhundert (Welt-System) geschriebenen „Utopien“ in deren real-kartografischer Lokalisierung und eindeutigem Bezug zu zeitgenössischen „real discoveries“ besteht. Damit werden die neu entdeckten Regionen der Erde gleich doppelt ausgebeutet: Nicht nur werden sie zu Kolonien Europas, sie dienen zusätzlich dem Vorstellen von alternativen (auf Europa kritisch bezogenen) Gesellschaftsentwürfen. Mit der Klassifizierung der Travels als „tongue-in-cheek“ Utopie gibt Anderson freilich eine diskutable Beschreibung der Travels, die jedoch insofern völlig einwandfrei ist, als sie den intertextuellen und parodistischen Charakter der Travels betont, der ihr wesentlichstes Merkmal ist.

Der affirmative Charakter des Verwendens von kartografischen Diskurselementen darf dabei jedoch auch nicht überschätzt werden. Der Text generiert kartografische Präzision zumeist nur gerade so weit, wie nötig ist, um sie in einem zweiten Schritt überraschend enttäuschen zu können. Der Status der KartografieKartografie im Text ist damit von ambivalentem Charakter, insofern über sie einmal ein spezifischer Stand in der Erschließung der Erde abgebildet wird und andererseits die (schwankende) Präzision dieser Abbildung satirische Züge trägt.

Zusätzlich jedoch können die in den ‚Nationen‘ angetroffenen Bewohner (die verkleinerten Lilliputians und die vergrößerten Brobdingnagians der ersten zwei Teile, die ‚entstellten‘ Bewohner Laputas, sowie die Yahoos und die Hounynhms der letzten beiden) in einem erheblich viel kleineren Raum lokalisiert werden, als in den noch nicht kartografierten Regionen der Erde. Denn Dennis Todd macht deutlich, dass sämtliche ‚Anblicke‘, denen Gulliver auf seinen Reisen begegnet, im Rahmen von „tourist sights, public entertainments, shows, spectacles and exhibitions in the streets and at the fairs of London“ (Tod 396) beobachtet werden konnten. Diese Londoner Shows zeigten, als Teil einer populären Straßenkultur, Miniaturen (von Stadtansichten, Schlachten etc.), Zwerge, Riesen, Menschen mit vermeintlich ‚tierischen‘ Merkmalen und – nicht zuletzt – überraschend ‚intelligente‘ Pferde, die Kunststücke vorführen.3 Dies lässt sich in weiten Teilen als Kommodifizierung des Anderen beschreiben. London4 liefert seinem Straßenpublikum also Anblicke, die dem Leser der Travels allzu vertraut vorkommen müssen. So werden beispielsweise auch ‚Kannibalen‘ aus weit-entfernten Teilen der Erde, die nach London verschleppt wurden, ‚ausgestellt‘.5 Die Praktiken des Ausstellens sind somit eng mit kolonialen und damit transkontinentalen Kontexten verbunden. So gesehen charakterisieren die Travels durch die Verortung der sprechenden Pferde, Riesen etc. in weitentfernten Regionen der Erde London verstärkt als Zentrum eines expandierenden Imperiums, dessen ‚Straßenkultur‘ als Ergebnis kolonialer Praktiken erkennbar wird.

Die Lesart Andersons lässt sich also mit der Todds verbinden. Denn die Travels projizieren Londoner Ereignisse auf die weißen Flecken der Weltkarte, und stellen so die Verbindung zwischen den „real discoveries“ (s.o.) und dem Londoner Stadtleben aus; es handelt sich um ein Ganzes. Die Prozesse des expandieren Welt-SystemWelt-Systems erscheinen im Spannungsverhältnis zwischen einer lokalen Kultur (des imperialen Londons) und der kartografischen und kolonialen Erschließung der Erde.6

Vor diesem Hintergrund muss auch darauf aufmerksam gemacht werden, dass Gulliver im Erzählen vom heimatlichen England dieses mitnichten als geschlossenes Territorium eines Staates darstellt, so wie hier, bei der Beschreibung die Gulliver dem König Brobdingnags gibt:

I BEGAN my Discourse by informing his Majesty that our Dominions consisted of two Islands, which composed three mighty Kingdoms under one Sovereign, besides our Plantations in America. I dwelt long upon the Fertility of our Soil, and the Temperature of our Climate. (106/II.6)

Die „Plantations in America“ werden explizit erwähnt. Aus der Perspektive einer in ihren ‚unentdeckten‘ Teilen besuchten Erde heraus wird ‚England‘ in den kolonialen Zusammenhang gestellt. Dies geschieht wiederholt und in allen vier Teilen der Travels.

2.3.3 Kartografischer Maßstab und „Erzählprojektion“

„Parody […] works by exacerbating and ridiculing incongruities of scale, as we know from probably the most famous satirical work of all time, Swift’s Gulliver’s Travels“ (Aravamudan 237). Über diese grundsätzliche Beschreibung hinaus können die Teile I und II der Travels – ausgehend von Frederick Bracher – als mit kartografischen Mitteln erzählte Reisen verstanden werden. Denn die ersten beiden Reisen der Travels sind nach einem MaßstabMaßstab (Kartografie) – 1:12 bzw. 12:1 – gestaltet: In Lilliput ist alles zwölfmal kleiner, in Brobdingnag alles zwölfmal größer als in europäischen Ländern; dies betrifft, neben den Bewohnern, auch die Architektur, Flora und Fauna.1 Es handelt sich also nicht um eine ‚phantastische‘ Reise zu schlechterdings oder unbestimmt großen/kleinen ‚Nationen‘, sondern um eine kartografisch informierte Art der Darstellung. Diese „schlägt mit der Konstruktion dieser Inseln zugleich eine neue Variante des kartographischen Verfahrens vor: eine Erzählprojektion.“ (Stockhammer, Kartierung 101f.). Über den Bezug auf den Maßstab als kartografisches Mittel zur Erfassung der Erde ist in den Teilen I und II der Travels in der Darstellung aller Wesen und Dinge immer ein spezifischer Bezug auf die GanzheitGanzheit eingeschrieben – ein Bezug, der sich mit Stockhammer als ‚Erzählprojektion‘ bezeichnen lässt. „Scale becomes a method for Swift“ (Aravamudan 237).

Über das maßstabsgebundene Darstellungsverhältnis in den Teilen I und II ist etwa die Darstellung von zwölffach vergrößerten Bettlern in Brobdingnag (mit der der Text vor allem Bezug nimmt auf die Situation in IrlandIrland (im kolonialen Kontext))2 immer schon in eine Perspektive eingebunden, die eine größere GanzheitGanzheit im Blick hat.

One Day the Governess ordered our Coachman to stop at several Shops, where the Beggars, watching their Opportunity, crowded to the sides of the Coach, and gave me the most horrible Spectacle that ever an European Eye beheld. […]. But the most hateful Sight of all was the Lice crawling on their Cloaths. I could see distinctly the Limbs of these Vermin with my naked Eye, much better than those of a European Louse through a Microscope, and their Snouts with which they rooted like Swine. (93f./II.4)

Das Mittel des Maßstabes, über das die GanzheitGanzheit der Erde kartografisch darstellbar wird, lässt den Bettler vergrößert, und damit in schmerzvoll offensichtlichen Details, erscheinen. Der Zustand körperlichen Elends und hygienischer Verwahrlosung wird so zu einem überwältigenden3 Anblick, der jedoch in Relation gesetzt wird zum europäischen Raum, insofern Gulliver auf seine Wahrnehmung als die eines „European Eye“ referiert und die Parasiten vergleicht zu einer „European Louse“.

Der Körper Gullivers und der anderen inszenierten Figuren gewinnt in den beiden ersten Teilen des Textes ein Potenzial für verschiedenste Bedeutungen (politisch-soziale,4 gegenderte5 etc.), deren Spezifik sich stets nur im Kontext des genannten kartografischen Rahmens verstehen lässt, insofern dieser die Art der Darstellung durch und durch bestimmt.

2.4 Parodien politischer Körper und Figuren der Ganzheit

Neben dem Bezug auf Reiseliteratur lässt sich im Text ein parodistischer Bezug auf die Vorstellung des body politic1 erkennen, d.h. auf Texte und Bilder, welche royale Herrschaft legitimieren/hervorbringen. Hier soll der Fokus auf Thomas Hobbes’ LeviathanLeviathan (Text und Titelkupfer)2 liegen.3 Dieser Text fasst königliche Macht als allumfassend und bezieht sie dementsprechend auf spezifische FdG. So ist etwa diese prominente Passage aus dem Leviathan zu nennen, die den body politic ins Verhältnis zur FdG ‚earth‘ setzt:

Hitherto I have set forth the nature of Man, (whose Pride and other Passions have compelled him to submit himselfe to Government;) together with the great power of his Governour, whom I compared to LeviathanLeviathan (Text und Titelkupfer), taking that comparison out of the two last verses of the one and fortieth Job; where God having set forth the great power of Leviathan, calleth him King of the Proud. There is nothing, saith he, on earth, to be compared with. He has made so as not to be afraid. Hee [sic] seeth every high thing below him; and is King of all the children of pride. But because he is mortall [sic], and subject to decay, as all other Earthly creatures are; and because there is that in heaven, (though not on earth) that he should stand in fear of, and whose Lawes he ought to obey; I shall in the next following Chapters speak of his Diseases, and the causes of his Mortality; and of what Lawes of Nature he is bound to obey. (220f./II.28)

Ein Ausschnitt des im Passus genannten Bibelzitats findet sich auch auf dem Titelkupfer des LeviathanLeviathan (Text und Titelkupfer).4 Der Bezug auf die Erde taucht im Bibelzitat („Auf Erden ist seinesgleichen niemand“) auf und wird von Hobbes selbst noch einmal, diesmal in Klammern, aufgenommen. So wird die Scheidung zwischen göttlicher und staatlicher Macht vollzogen – und damit die Säkularisierung staatlicher Macht.5 Die FdG ‚earth‘ steht dabei ein für die Strenge dieser Trennung der GanzheitGanzheit in eine göttliche und eine irdische Sphäre, die, hinsichtlich des Aspektes der Souveränität, disjunkt werden.

Hobbes’ LeviathanLeviathan (Text und Titelkupfer), dessen bekanntes Titelkupfer den „‘ungeheuren‘ Souverän“ bildlich dargestellt zeigt, kann als die wohl einflussreichste „Sinnfigur des Politischen überhaupt“ (Matala de Mazza, Körper 71) gelten; die Rolle der bildlichen Darstellung dieses body politic kann dabei kaum überschätzt werden und ist nicht zuletzt begründet in der Skepsis Hobbes’ gegenüber der Rhetorik (vgl. Bredekamp, Hobbes 123–131).6 Besagte Abbildung und die dazugehörige Staatskonzeption prägen seit ihrem Erscheinen 1651 die Vorstellungen von staatlicher Ordnung und deren Repräsentation.7 Dass dieses Titelkupfer Swift (und seinen Zeitgenossen) eine bekannte Größe war, ist gesicherte Tatsache.8

2.4.1 „Golbasto“: Ein globaler Leviathan?

Im Folgenden soll vor allem auf die verschieden großen, im Titelkupfer des LeviathanLeviathan (Text und Titelkupfer) dargestellten Körper und ihre Relationen zueinander eingegangen werden.1 Der Leviathan selbst ragt dort hoch in den Himmel, über die Bergkämme hinaus, und ist damit selbst im Rahmen der Maßstäbe der Darstellung einer Landschaft in der Lage, das Bild zu füllen und mit seinem gewaltigen Oberkörper zu dominieren. Die Landschaft wurde von Horst Bredekamp gar als „Weltlandschaft“ (Hobbes 13) bezeichnet, wodurch die Größe und Fülle des dargestellten Ausschnitts betont werden (der im Hintergrund auch den Horizont zwischen MeerMeer und Himmel abbildet, womit der Leviathan aus dem Meer ‚entsteigt‘; vgl. hierzu Bredekamp, Hobbes 23). Die untere Körperhälfte dagegen verschwindet hinter und unter der Bergkette.2 Bekanntlich wird der sichtbare Kompositkörper des Leviathan „durch eine schier unübersehbar große Menge von Personen gebildet“ (Bredekamp, Hobbes 76), sein anthropomorpher Körper besteht also aus ungeheuer vielen ‚gesichtslosen‘ (vgl. Matala de Mazza, Körper 76)3 menschlichen Leibern.4 Neben diesen werden jedoch noch sehr viel kleinere Körper im Titelkupfer abgebildet, Miniaturen gewissermaßen, die leicht zu übersehen sind, und welche die vom Leviathan himmelhoch überragte Stadt im Zentrum der Landschaft bevölkern. Diese ‚Kleinstkörper‘ sind von äußerst geringer Zahl, was Ethel Matala de Mazza als Zeichen dafür deutet, dass die im Körper des Leviathan versammelten und repräsentierten Körper der Stadt – und mit ihr: den Gefahren von Krieg und Krankheit, auf die die Kleinstkörper verweisen –5 den Rücken gekehrt haben, zugunsten des schützenden Körpers des Leviathan. Dieser entschädigt das Opfer ihrer Souveränität als Untertanen mit dem Versprechen von Sicherheit, welches nicht zuletzt in dem Eindruck eines Schuppenpanzers, welcher sich aus den (Ober-)Körpern6 der Bürger zusammensetzt, zum Bild gebracht wird.7 Es lässt sich also eine Skala abstrahieren, auf der Körper drei verschiedener Größen angeordnet sind, die verschiedene Elemente des Darzustellenden zur Anschauung bringen: die königliche Souveränität, die Bürger und die Gefahren, von denen sie sich willentlich losgesagt haben.

Weiter ist auf die Analysen Philip Manows hinzuweisen, der darauf aufmerksam macht, dass die „Naturzustandsfiktion [Hobbes’; T.E.] […] dem zeitgenössischen Kolonialdiskurs direkt entnommen [scheint].“ (72) Wie Manow demonstriert, haben die bildlichen Darstellungen und Reiseberichte aus Amerika Hobbes’ Staatskonzeption wesentlich beeinflusst, die somit von vorneherein aus dem europäischen Kontext heraustritt (vgl. 23–33 u. 55–79). Dass der englische Bürgerkrieg die zentrale Sorge Hobbes’ ist, bleibt davon unbenommen (vgl. Manow 12), Amerika ist jedoch die Kontrastfolie dieser Sorge, insofern ein allzeit mögliches ‚Zurückfallen‘ in die in Amerika – vermeintlich – angetroffenen Zustände jederzeit möglich sei (vgl. Manow 15 u. 86). Außerdem sei die im LeviathanLeviathan (Text und Titelkupfer) erreichte ‚Verstaatlichung des Krieges‘ (vgl. Matala de Mazza, Körper 89) als „Agressionsabfuhr nach außen“ (Manow 75) zu verstehen, wobei dieses „‚outside the commonwealth‘ […] im 17. Jahrhundert die europäische Staatenwelt im Kontext intensivierter kolonialer Konkurrenz“ (Manow 77) ist. Diese Kolonialkonkurrenz nimmt im 18. Jahrhundert18. Jahrhundert (Welt-System) nicht ab.8

Die Darstellung politischer Herrschaft als Relation zwischen Körpern unterschiedlicher Größe soll im Folgenden zur Analyse der verschieden großen Körper in den Travels (in den Teilen I und II) herangezogen werden (vgl. Seelye 228–230), genau wie die kolonialen Kontexte, die in den LeviathanLeviathan (Text und Titelkupfer) Eingang gefunden haben, mitzudenken sind.9 Das Titelkupfer des Leviathan kann als zentraler historischer Kontext der Travels angenommen werden, vor deren Hintergrund die hiesige Lesart ihren eigenen Beitrag besser formulieren kann. Denn die im Folgenden zu untersuchende Darstellung eines Herrschers in Teil I der Travels erweitert die Darstellung eines Herrscherkörpers durch Größenverhältnisse nicht nur um den Aspekt eines satirischen Spiels mit Größenverhältnissen, sondern befragt gleichzeitig die Anschlussfähigkeit solcher Darstellungen monarchistischer Herrschaft an größere Ganzheiten, die über unmittelbar-staatliche Dimensionen hinausgehen – und dezidiert auf koloniale Herrschaft verweisen. Diese Parodie führt die Beschreibung eines Herrscherkörpers dabei mit FdG eng, bis hin zur Ineinssetzung des Herrscherkörpers mit der FdG ‚globe‘. Diese und andere Figuren der Ganzheit sollen so als zentrales Mittel dieses vielgelesenen Passus der Travels herausgearbeitet werden, welches bislang nicht eingehend untersucht wurde. Die Bezüge auf Hobbes’ Werk ziehen sich durch die gesamten Travels, beginnend mit der Darstellung des riesigen Gullivers, „dessen Fesselung durch die Liliputaner explizit auf den ‚Leviathan‘ anspielt.“ (Bredekamp, Hobbes 139)10 Auf einige weitere Beispiele soll nun eingegangen werden, die für die hier untersuchte Thematik der Darstellung von Ganzheit relevant sind.

Allgemein gilt für die Beschreibung des Königs von Lilliput, dass „the paradoxical contrast in size between subject and emperor provides the comic and satirical elements of the episode“ (Seelye 233). Bei seinem Aufenthalt in Lilliput wird der König Gulliver wie folgt beschrieben:

GOLBASTO MOMAREN EVLAME GURDILO SHEFIN MULLY ULLY GUE, most Mighty Emperor of Lilliput, Delight and Terror of the Universe, whose Dominions extend five thousand Blustrugs, (about twelve Miles in Circumference) to the Extremitys of the Globe; Monarch of all Monarchs, taller than the Sons of Men; whose Feet press down to the Center, and whose Head strikes against the Sun: At whose Nod the Princes of the Earth shake their Knees; pleasant as the Spring, comfortable as the Summer, fruitful as Autumn, dreadful as Winter. (36/I.3)

Die zitierte Stelle parodiert die verherrlichende Darstellung eines Souveräns; im politischen Umfeld der Zeit wurde George I als intendierter Referenzpunkt der Beschreibung identifiziert (vgl. Degategno u. Stubblefield 162). Doch soll die Passage zunächst nicht auf diesen konkreten Bezug reduziert werden. An dem beißenden, despektierlichen Ton jedenfalls kann kein Zweifel bestehen. So ergeben etwa die Anfangsbuchstaben der letzten vier Namen des Königs aneinandergereiht die als Akronym nur leidlich getarnte Beleidigung seiner Majestät als SMUG („blasiert“, „selbstgefällig“/„Streber“).11

Neben solchen Kniffen besteht das Hauptverfahren dieser Parodie darin, die geringe Größe des Herrschers – zwölfmal kleiner als Gulliver ist auch der König ein maßstabsgetreuer Bewohner Lilliputs – in komischen Kontrast zu der Beschreibung eines wahrhaft gigantischen politischen Körpers zu setzen. Die Größe des Königs wurde schon zuvor vom Text thematisiert: „He is taller by almost the Breadth of my Nail, than any of his Court; which alone is enough to strike an Awe into the Beholders.“ (35/I.3)12 Der Körper eben dieses sehr kleinen Königs wächst in der zitierten Passage zu unglaublicher Größe an. Diese Größe ist jedoch eine kalkulierte, insofern sie die Grenzen des staatlichen Bezugsrahmens des politischen Körpers gezielt überschreitet. Dies geschieht, indem die Größe/Großartigkeit dieses Körpers gezielt mit einer Anreihung von FdG enggeführt wird.

Zunächst wird die Größe des Herrschaftsgebietes als beeindruckende, fünftausend „Blustrugs“ umfassende, beschrieben. Diese Maßangabe wird von Gulliver umgehend in europäische Maße übertragen: der Umfang jener „Dominions“ beträgt demnach nur zwölf Meilen. Wiederum betont die Passage also die Kleinheit Lilliputs. Gleichzeitig verweist sie jedoch auf das Mittel des kartografischen Maßstabs, aus dem sich diese geringe Größe ergibt: 1:12. Die Zahl Zwölf, nach der sich die Größe aller Wesen und Dinge in Lilliput errechnet, tritt hier also in Erscheinung, insofern es sich beim Umfang des Herrschaftsgebietes um ‚ausgerechnet‘13zwölf Meilen handelt.

Im Verlauf der zitieren Passage schwillt der Körper des Königs derart an, dass sein Kopf an die Sonne stößt („strikes against the Sun“)14 und seine Füße gegen „das Zentrum“ („the Center“) „pressen“. Damit ist zunächst eine Anspielung auf die „sonnenikonographische Verankerung des Königstums“ (Bredekamp, Hobbes 115) gegeben. Der Bezug auf das „Center“15 bedarf jedoch einer etymologischen Kontextualisierung. Für das Wort „centre“ führt das OED eine ganze Reihe von Bedeutungen aus, von denen hier zwei von besonderer Wichtigkeit sind: „a. The centre of the earth“ und „b. The earth itself, as the supposed centre of the universe“. Beide Bedeutungen können zurückverfolgt werden zu frühen Beispielen: das OED datiert sie auf einen Zeitraum zwischen 1604 und 1823. Centre ist demnach eine zu Swifts Zeit übliche, verkürzte Bezeichnung für entweder die Erde selbst (als Zentrum des „Universums“) oder das Zentrum der Erde. Zur FdG ‚centre‘ als Kurzform für ‚Zentrum der Erde‘/Erde, und zur genannten „Sun“ gesellt sich in der Passage weiter die FdG ‚globe‘, auf die unten noch detailliert einzugehen ist.

Reminiszenzen an das Titelkupfer des LeviathanLeviathan (Text und Titelkupfer) liegen nahe, insofern hier ein überragender Körper inszeniert wird. Wie Matala de Mazza ausgeführt hat, berühren die (unsichtbaren) Füße des Leviathan die Grenzen eines ‚Erdkreises‘, den sie im Zuge ihrer Bildanalyse konstruiert.16 Neben dem Leviathan ist auch ein anderer Referenzpunkt dieser Passage der Travels plausibel – der auch dem Titelkupfer des Leviathan zur Vorlage gedient hat: die Bildtradition der ‚KosmosleiberKosmosleiber‘. Diese zeigen menschliche „Sternwesen, die sich von der Erde bis zum Himmel erheben“ (Bredekamp, Hobbes 73). Diese Tradition ist vor allem im England des auslaufenden 16. Jahrhunderts einflussreich, insofern die Darstellung der „Königin Elizabeth I. nach dem Sieg über die spanische Armada [diese in einem Gemälde; T.E.] in überirdische Sphären erhob“ und als „über der Erde aufragende Riesengestalt“ zeigt, die „den Globus als Standfläche nutzt“ (Bredekamp, Hobbes 75). „Die unmittelbaren Vorbilder für den zum Himmel ragenden Leviathan sind daher nicht in der zeitgenössischen politischen Ikonographie zu finden, sondern in der elisabethanischen Bildpanegyrik, in der die Königin zur Sternengöttin und Staatsriesin aufsteigt.“ (ebd.) Es sind also die Größenverhältnisse eines Kosmosleibs, in die der Körper des Königs von Lilliput in der Passage übertritt. Doch erscheint der Kosmosleib in den Travels nicht als stolz-aufragender Körper, sondern er stößt an die Sonne und an die Erde/das Zentrum der Erde. Die ungeheure Größe kollabiert in das Bild eines gebückten Körpers. Die Parodie der Beschreibung eines Herrscherkörpers, der monarchistische Souveränität repräsentieren soll, findet ihren Ausdruck im Bild eines kleinen (da eigentlich 15 cm großen) Herrschers, der im Zuge der anpreisenden Beschreibung zu groß wird, um selbst zwischen Sonne und Erde noch Platz finden zu können.

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