Kitabı oku: «Schamanismus bei den Germanen», sayfa 2

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Heilige Ekstase

Als Begründer der modernen Schamanismus-Forschung gilt der rumänische Religionswissenschaftler Mircea Eliade. Er betrachtete den Schamanismus als eine rituelle Praxis, mittels derer der Schamane bewusst (nämlich durch bestimmte Techniken, die tranceartige Zustände hervorrufen) außerkörperliche Erfahrungen induziert. Ziel der Praxis sei es, den gewöhnlichen Bewusstseinszustand zu verändern und die subjektive Wirklichkeit zu transzendieren, um mit den Göttern oder Geistern – das heißt: gewöhnlich unsichtbaren Entitäten – in Kontakt zu treten. „Eine allererste Definition dieses komplexen Phänomens“, schreibt Eliade, „wäre: Schamanismus = Technik der Ekstase“.5

Von der jüngeren Forschung wurde diese Definition übernommen:

Die wichtigste, schlechthin unabdingliche Voraussetzung für eine erfolgreiche Séance aber war, daß der Schamane in Trance fiel, genauer: in Ekstase geriet, das heißt ganz Seele wurde und sich so vom Leib befreien und ins Jenseits begeben konnte. Dazu hatten Schamanen in aller Welt eine Fülle von ‚Techniken‘ entwickelt.6

Das altgriechische Wort ἔκστασις (ekstasis: „Ekstase“) bezeichnet das „Aus-sich-Heraustreten“, die „Begeisterung, Verzückung“. „Als Ekstase wird das in höchster Form von Erregung stattfindende ‚Heraustreten der Seele‘ aus den Körpergrenzen bezeichnet“.7

Ekstase ist ein Bewusstseinsphänomen, bei dem die Grenzen zwischen Ich und Nicht-Ich durchlässig sind und das mitunter als Verzückung, Rausch, Trance, Besessenheit, Enthusiasmus oder Begeisterung beschrieben wird. Psychische Zustände des Außersichseins können durch halluzinogene Stoffe, durch Drogen und Alkohol, aber auch durch asketische Übungen oder rituellen Tanz hervorgerufen werden. […] Berichte über ekstatische Erlebnisse handeln von Reisen in die Ferne, zu Göttern, Geistern und in den Himmel. Schamanen beziehen ihre Kraft und Erkenntnisse über medizinische Mittel häufig aus ekstatischen Reisen zu den Geistern, die für die Heilung der Menschen zuständig sind.8

Der Begriff „Ekstase“ ist insbesondere im Kontext der vorchristlichen Mysterien im antiken Griechenland gebräuchlich (Eleusis, Delphi, Dodona etc.). Ein bestes Beispiel für diese heidnischen Ekstasekulte der Hellenen sind die Dionysien, rituelle Festspiele und Verkleidungskulte zu Ehren des Rauschgottes Dionysos, die fest in der griechischen Kultur verwurzelt waren. In archaischer Zeit bestanden die Dionysien aus wilden Umzügen, bei denen die Teilnehmer unter Trommelrhythmen und Obertonmusik freudentaumelnd durch die Wälder brausten. Die weiblichen Kultanhängerinnen des Dionysos nennt man „Mänaden“; sie hüllen ihre nackte Haut in Hirschkalbfelle, werfen tanzend ihre Köpfe in den Nacken und empfinden keinen Schmerz – ihr Name deutet auf den Schamanismus (μανία [mania]: „Raserei“). Die männlichen Kultanhänger nennt man Satyrn; sie sind Mischwesen aus Mensch und Tier und transzendieren die Grenze zwischen Zivilisation und Wildnis – „Ekstase“ bedeutet immer auch „das Aus-der-Kultur-Heraustreten“. Die Dionysien dienten als eine Art „Ventil“ und Ausgleich zur gesellschaftlichen (apollinischen) Ordnung; sie waren die gezielt eingeleitete Erfahrung des ‚ganz Anderen‘. Zwar waren die griechischen Mänaden und Satyrn wohl keine Schamanen im engeren Sinne, doch lässt sich am Beispiel der archaischen Dionysien vorzüglich festmachen, wie eine schamanisch strukturierte Kultur aussehen kann.

Hinter dem Schleier der Natur

„Die gesellschaftliche Funktion des Schamanen war es, als Dolmetscher und Vermittler zwischen dem Menschen und den Mächten hinter dem Schleier der Natur zu wirken“9, schreibt Joseph Campbell. Hier gilt es zu beachten, dass der Schamanismus per defintionem in Kulturen vorkommt, die von einer Art Allbeseelung oder Alldurchgeisterung des Kosmos ausgehen (Animismus): Die ganze Natur wird als heilig und belebt empfunden, und mit allen Dingen lässt sich – im ekstatischen Bewusstsein – kommunizieren. Denn hinter (besser: in) der materiellen Welt existiert eine dem gewöhnlichen Bewusstsein verborgene Welt der Geister, in der gleichsam die metaphysischen Ursachen für die physischen Zustände und Ereignisse liegen. Als Meister der Ekstase ist es der Schamane, dessen Aufgabe es ist, mit den kosmischen Entitäten in Kontakt zu treten, um Einfluss auf die Wirklichkeit zu nehmen und für das Wohlergehen des Stammes zu sorgen. Ihrer Funktion entsprechend erscheinen ihm die Geister der Natur in personifizierter Form: als Mutter Erde, Herr der Tiere, Himmelsherrscher, Berg-, Baum- oder Flussgeist. In Trance verhandelt der Schamane mit den Geistern, einige sind persönliche Verbündete, andere gefährliche Feinde, und arrangiert sich mit ihnen, um die Heiligkeit und Harmonie des Kosmos zu erhalten.

Auch heute noch wird Schamanismus praktiziert, nämlich überall dort, wo Menschen noch in einer traditionellen, vermeintlich primitiven Kulturform leben. Das sind die letzten Winkel dieser Erde, in denen die Mechanismen der Zivilisierung noch nicht greifen konnten, im dichten Dschungel oder höchsten Hochgebirge. So haben die archaischen Ekstasetechniken im Regenwald von Südamerika bis heute eine enorme kulturelle Bedeutung, man denke an das stark psychoaktive „Nationalgetränk“ von Amazonien, Ayahuasca, mit dem dort jedes Kind vertraut ist: In nächtlichen Zeremonien singen die Ayahuasqueros (Ayahuasca-Schamanen) die Icaros genannten Heillieder, die sie von den Geistern selbst gelehrt bekamen und die die Ritualteilnehmer in eine Welt voll unfassbarer Visionen führen. Für den Schamanen ist diese Welt die wahre Wirklichkeit, in der die Alltagsrealität spirituell begründet liegt. Hier, hinter dem Schleier der Natur, behandelt er die Ursachen für Krankheiten und Not, weshalb man ihn auch Curandero („Heiler“) nennt.

Der Schamane, der hinter den Schleier der Natur blickt, ist ein praktischer Philosoph: Er unternimmt eine Seelenreise in die Welt der Ur-Ideen, der platonischen Ur-Bilder, von denen die materielle Welt bloß ein Abbild ist. Dort steht er in Kontakt mit den Dämonen wie schon der weise Sokrates. Die hellenischen Gelehrten hatten sogar einen philosophischen Fachbegriff für diese Sphäre hinter der Natur: „Metaphysik“ (metá „hinter, jenseits“ und phýsis: „Natur“).

Der Jhankri vom Himalaya

Auch auf dem „Dach der Welt“ – im Himalaya – ist der Schamanismus noch lebendig. In der Kosmologie der nepalesischen Schamanen, Jhankris, spielt der Weltenbaum eine zentrale Rolle und ist mit dem wichtigsten Ritualgerät verbunden: Der sogenannte Phurba ist ein dreiseitiger, zugespitzter Holzstab, der als „Geisterdolch“ fungiert, den der Schamane bei der Jenseitsreise in den Händen hält, um etwaige Dämonen in die Flucht zu schlagen. Der Phurba symbolisiert die Weltachse, mit seiner Hilfe manövriert sich der Jhankri durch die drei Welten. Deshalb findet sich der Phurba traditionell an der nepalesischen Schamanentrommel: Die beidseitig mit Fell bespannte Rahmentrommel wird im Sitzen gespielt, mit der einen Hand an einem Griff gehalten und mit der anderen mit einem Schlägel geschlagen – dieser „Griff“ ist der Geisterdolch, der Weltenbaum.

Vor ein paar Jahren hatte ich die Gelegenheit, der séance eines Himalaya-Schamanen vom Stamme der Tamang beizuwohnen, die m. E. mustergültig exemplifiziert, was man sich – zumindest äußerlich – unter der schamanischen Ekstase vorzustellen hat. Der Schamane trug die traditionelle weiße Tracht eines nepalesischen Jhankris, eine mit Pfauenfedern verzierte Kopfbedeckung und schwere Glockenketten um den Körper. Mantras murmelnd warf der Jhankri ein paar Reiskörner auf die Ritualwerkzeuge und Kultgegenstände, die vor ihm auf dem Boden ausgebreitet waren. Er schloss die Augen und begann rhythmisch auf die Trommel einzuschlagen – und zwar viel härter als ich es erwartet hatte. Aus den Mantras wurden lautstarke Gesänge und im Takt der Trommel bewegte sich der Jhankri (im Schneidersitz) heftig auf und ab. Der Schlagrhythmus mutierte immer mehr zu einem monotonen Trommelfeuer, das den verräucherten Raum dröhnend erfüllte wie ein tosendes Gewitter. Klirrender Lärm ging von den Ketten aus, die sich mit den heftigen Bewegungen des Schamanen syn-ästhetisch verbanden; die Gesänge klangen jetzt erhaben-hymnisch, gleichsam urtümlich-naturgewaltig. Das Szenario ließ mich unwillkürlich an die Wilde Jagd denken, jenen germanischen Geisterzug, der unter Peitschenknall und Hörnerblasen lautstark durch die nebeligen Rauhnachtstürme galoppiert. Immer fester schlug der Jhankri auf die Trommel und es sah so aus, als würde er gleich aufspringen, umfallen und sich über den Boden winden. Er hyperventilierte, riss die Augen heftig auf und schien für diese Augenblicke Dinge anzustarren, anzurufen, die nur er allein wahrnahm. Er verdrehte seinen Kopf, gab laute Zischgeräusche von sich und schnalzte mit der Zunge – die Stimmen der Geister. Mit rüttelnden Bewegungen und Zuckungen am ganzen Körper sah der Schamane aus wie einer, der vollkommen den Verstand verloren hat. Und in der Tat, der Mann war völlig außer sich, war in Ekstase. Endlich nahmen Geschwindigkeit und Lautstärke des Trommelrhythmus wieder ab, taumelnd kehrte der verschwitzte Jhankri in die Alltagswelt zurück. Mit letzter Puste sprach er Mantras und warf noch ein paar Reiskörner, bevor er sich erschöpft zurücklehnte und freundlich lächelte.


Germanischer Werwolf – Schamanentanz zu Ehren Odins. Bronzeplatte aus Torslunda, 6.-7. Jhd

Der Weltenbaum
Yggdrasil

Im Mittelpunkt der germanischen Mythologie steht der Weltenbaum, der älteste und schönste aller Bäume, an dessen Stamm die Götter alltäglich Gericht halten. In der nordgermanischen Überlieferung trägt der Weltenbaum den Namen Yggdrasil und ist eine immergrüne Esche. Im ältesten Lied der Edda beschreibt eine Seherin (Schamanin) den Weltenbaum:

Eine Esche weiß ich stehen, sie heißt Yggdrasil,

ein hoher Baum, überschüttet mit glänzendem Nass;

von dort kommt der Tau, der in den Tälern niederfällt,

sie steht immer grün über dem Urdbrunnen.

(Völuspa 19)

„Die Esche ist der größte und beste aller Bäume. Ihre Äste breiten sich über die ganze Welt aus und erstrecken sich über den Himmel“ (Gylfaginning 15). An den Wurzeln des Weltenbaumes sprudelt eine Quelle, der Urdbrunnen, der heilige Brunnen der Nornen. Die Nornen sind drei Göttinnen, die das Schicksal der Welt aus Runen lesen und die Schicksalsfäden der Menschen weben. Am Stamm des Weltenbaumes leben die Menschen; er ragt säulenartig hoch empor bis in den Götterhimmel. Die Krone ist der Wohnsitz der Götter. Ein Drache schlingt sich um die Wurzeln, vier Hirsche äsen an den Zweigen, ein Eichhörnchen flitzt entlang des Stammes und obenauf sitzt ein Adler. Der Tau, der vom Weltenbaum zur Erde fällt, wird Honigtau genannt.

Der Weltenbaum ist keine Fiktion, sondern ein philosophisches Gleichnis. Er ist ein Sinnbild für das harmonische Zusammenwirken aller Dinge und für die kosmische „All-Einheit“. Der Weltenbaum ist ein mikrokosmisches Abbild des Universums, in dem alles sinnvoll ineinandergreift und einen einheitlichen Organismus bildet. Alles steht in Beziehung zueinander, und aus dem Wechselspiel entsteht die Wirklichkeit. Er ist der Baum des Lebens und des Todes, der Baum der Erkenntnis und der Weisheit – der „Nabel der Welt“. Eliade nennt ihn den „Ausdruck der Heiligkeit, der Fruchtbarkeit und Ewigkeit der Welt“ sowie „der absoluten Realität“.10 Der Weltenbaum ist ein kosmisches Symbol und fungiert als eine „Weltachse“ (axis mundi), welche die drei Weltebenen miteinander verbindet: Erde, Mittelwelt und Himmel.

Es handelt es sich um ein Symbol für die kosmische Ordnung, das in der Mythologie zahlloser Naturvölker angetroffen werden kann: Der Weltenbaum ist ein Archetyp, ein Ur-Bild. Er kommt überall vor, kulturübergreifend und zeitlos, vor allem aber in schamanisch strukturierten Kulturen. In Sibirien zum Beispiel, wo der Begriff „Schamanismus“ ursprünglich herkommt, erzählt man sich,

[…] daß es einen Baum mit vielen Wipfeln gibt. Die Schamanen aus der ganzen Welt werden alle an diesem Baume aufgezogen. Je größer der Schamane nach Bedeutung und Kraft ist, um so höher liegt seine Seele auf dem Baum. Das heißt, die Seele liegt dort in verschiedener Höhe. Die Schamanen selbst sagen gewöhnlich, daß als Erzieher ein Rabe erscheint, der auf den Zweigen dieses Baumes sitzt und die Seele groß zieht.11

Eine andere Schamanengeschichte aus Sibirien besagt:

Im Himmel ist ein Baum mit Namen Yjyk-Mas. Sein Wipfel reicht bis in den neunten Himmel, seinen Umfang kann niemand feststellen. Von der Wurzel bis zur Spitze ist dieser Baum mit Auswüchsen bedeckt. Keine freien Zweige sind an ihm zu sehen. In diesen Auswüchsen werden die Schamanen geboren, die Schamaninnen und alle diejenigen, die mit Zauberei und Hexerei bekannt sind. Starke werden am Fuße des Stammes geboren, Schamanen mit voller Kraft entstehen an der Wurzel des Baumes in einem Auswuchs, der groß ist wie ein kleiner Grabhügel.12

Nun ist der Weltenbaum für den Schamanen aber nicht nur eine Metapher für die Harmonie des Kosmos, sondern auch – ganz praktisch – eine Verbindungsachse zwischen den Welten, an der er in das Reich der Götter, Geister und Dämonen klettert: Im veränderten Bewusstseinszustand imaginiert der Schamane diese Achse, um an ihren Sprossen in die Anderswelt zu klettern und sich bei der Reise in das Jenseits orientieren zu können. Der Weltenbaum wird auch Seelenranke genannt, weil der Schamane an ihr ins Wolkengeisterreich des Himmels fliegt. Der Weltenbaum ist gleichfalls die Liane, die der Schamane in den Händen hält, wenn er in das unterirdische Reich der Toten eintritt. Das Bild vom Weltenbaum ist eine Art kognitive Landkarte, die der Schamane stets vor Augen hat, wenn er in Ekstase tritt.

In der germanischen Mythologie heißt es übrigens, dass in der Krone des Weltenbaums eine „schwankende Himmelsstraße“ (bifröst) oder Regenbogenbrücke erscheint, die den Himmel und die Erde miteinander verbindet: Die Götter nutzen diese Brücke, um in die Menschenwelt zu reiten. Warum sollten nicht auch die Menschen auf demselben Weg das Götterreich begehen können?

Die neun Welten

Der Weltenbaum strukturiert das Universum. Er ist die „All-Säule“, an deren Ästen die Seele des Schamanen in die verschiedenen Weltebenen klettert. Meistens unterteilt der Weltenbaum den Kosmos in drei Dimensionen, es können aber auch neun (3x3) oder zwölf (3x4) sein. In der germanischen Mythologie gibt es neun Welten, so weissagt die Seherin der Edda:

neun Welten gedenk ich, neun Ästen

des herrlichen Weltenbaums unter der Erde.

(Völuspa 3)

Zwar ist an keiner Stelle genau überliefert, wie sich die neun Welten Yggdrasils konstituieren. Doch werden in der germanischen Mythologie verschiedene Weltennamen genannt und kontextualisiert, die sich durchaus sinnvoll zusammenfassen lassen. Von einem ‚genormten Weltenbaum‘ ist bei den Germanen ohnehin nicht auszugehen, sondern von stammgebundenen individuellen Ausformungen (Varianten) ein und derselben Sache (Mythologem). Bei der folgenden Darstellung handelt es sich um eine Rekonstruktion der neun Welten Yggdrasils unter Einbezug der Ausführungen von Snorri Sturluson:

OBERE WELT

1. Asgard heißt die prunkvolle Wohnstätte des Göttergeschlechtes der „Asen“, zwölf Himmelsburgen aus Gold und Silber, umgeben von gigantischen Mauern. Hier hat Odin seinen Hochsitz. Hierhin kommen die Helden – die Einherjer – nach dem Tode: Zu Odin (Walhall) oder Freyja (Folkwang). Die Regenbogenbrücke Bifröst reicht von Asgard in die Menschenwelt Midgard.

2. Wanenheim ist der Name der Wohnstätte der Wanen, des zweiten Göttergeschlechtes der Germanen. Hier haben die Geschwister Frey („Herr“) und Freyja („Herrin“) ihren Sitz, alte, vielleicht vor-indoeuropäische Fruchtbarkeitsgötter. Freyja ist auch die Göttin der Liebe und der Magie, die ‚Venus des Nordens‘.

3. Lichtalbenheim ist der Ort, an dem die Lichtalben leben, also das Feenreich. Alben bzw. Elfen sind Naturgeister, die in den Phänomenen erscheinen, in Pflanzen, Steinen oder Bächen. Sie sind lieblich-zarte Lichtwesen, die an Sonnenstrahlen erinnern und im Morgentau tanzen. Beim „Álfablót“ brachten die Germanen ihnen Opfer dar.

MITTLERE WELT

4. Midgard heißt die Menschenwelt, die Welt, wie wir sie kennen. Midgard ist zugleich die Bezeichnung für die Hecke, die das germanische Gehöft vom Wald abgrenzt, bezeichnet also den vom Menschen kultivierten Lebensraum im Gegensatz zur Wildnis. Im mythologischen Bewusstsein der Germanen wird Midgard von der Midgardschlange umschlungen.

5. Jötunheim ist das Reich der Riesen, Elementarwesen, die die Naturgewalt verkörpern. Jötunheim wiederum liegt in Utgard, das ist die „Außenwelt“, die Welt außerhalb von Midgard. In der Volksdichtung werden Riesen in Zusammenhang gebracht mit den wilden Leuten, also Menschen, die aus rituellen Gründen den vertrauten Lebensraum verlassen und „aus-Midgard-heraus-treten“.

6. Muspellsheim liegt im Süden, wo das Feuer dominiert; hier leben die Feuergeister und Feuerriesen. Die Funken des Feuerlandes sind die Gestirne am Firmament: Sonne, Mond und Sterne. Das Feuer ist aber auch ein Symbol für die Erkenntnis und die Wesensschau, den Geistesblitz, man denke nur an die Erfindung des Feuermachens mit dem Feuerstein.

UNTERE WELT

7. Schwarzalbenheim wird die Wohnstätte der Zwerge, Kobolde und Erdgeister genannt. Diese Wesen leben unterirdisch in Höhlen und Gebirgen oder unter Bäumen, sind zauberkundig und kräftig und manchmal etwas eigenwillig. Sie lieben (Edel-)Metalle und Waffen und sind vorzügliche Schmiede. Schwarzalben sind nicht ‚schwarz‘ im Sinne von ‚bösartig‘, sondern ‚erdverbunden‘.

8. Niflheim liegt im Norden, wo das Eis ist. Ein Wolkenschleier zieht sich über diesen Ort: Niflheim heißt „Nebelheim“. Volkstümlich wird der Herbst- bzw. Winternebel mit dem Erscheinen der Geister assoziiert. Doch nicht nur kalter Nebel steigt hier auf, sondern auch kochend-heißer Dunst: In Niflheim entspringt die heiße Quelle Hvergelmir („brodelnde Quelle“), die alle Flüsse speist.

9. Hel ist sowohl der Name des unterirdischen Totenreichs, als auch von dessen Herrscherin. Eine goldene Jenseitsbrücke – eine Schamanenbrücke – führt die Seelen der Verstorbenen zu diesem Ort. „Hel“ ist verwandt mit dem Wort „Hölle“. Doch mitnichten droht hier ewige Verdammnis; diese Vorstellung ist christlich. Vielmehr heißt „Hel“ (indogerm *kel) „verhüllen, verbergen, schützen“.

Kultbäume der Germanen

Über eine Rolle Yggdrasils im Kult sei nichts bekannt, heißt es in der einschlägigen Forschungsliteratur. Dies gilt es anzuzweifeln. Zwar fällt im Kontext eines Kultes nirgendwo der Name „Yggdrasil“, aber warum auch, wenn der Baum woanders in Germanien ganz anders heißt? Tatsächlich scheinen die mittelalterlichen Nordgermanen aber ihre Heiligtümer und Naturdenkmäler explizit mit Yggdrasil assoziiert zu haben. So berichtet der Theologe Adam von Bremen im 11. Jahrhundert in seiner Hamburgischen Kirchengeschichte, dass die Heiden unweit ihres Tempels in Uppsala (Schweden) einen „sehr großen Baum“ verehren, „der seine Zweige weithin ausbreitet und im Winter, wie im Sommer immer grün ist. Welcher Art derselbe ist, weiß niemand“. Am Fuße dieses Baumes, an einer „Quelle“, kamen die heidnischen Germanen zum Kult zusammen und brachten „Opfer“ dar. Wer denkt bei der Beschreibung nicht an die immergrüne Esche Yggdrasil mit ihrer Schicksalsquelle?

Sicher belegt ist, dass die Germanen gewisse Bäume ihren Göttern weihten. Dies waren meist besonders alte Bäume, die an exponierter Stelle in den Hainen standen und in deren Schatten der jeweilige Stamm über hunderte von Jahren sich zum Thing versammelte. Die südgermanischen Chatten beispielsweise, die alten Hessen, huldigten dem Gewittergott Donar unter einer mächtigen Eiche unweit des heutigen Dörfchens Geismar – der „Donareiche“. Ein jähes Ende fand dieser Kult jedoch, als Bonifatius, der sogenannte „Apostel der Deutschen“, die heidnischen Hessen zwangschristianisierte und im Jahre 723 die Donareiche niederhauen ließ.

Die alten Sachsen verehrten einen Weltenbaum in stilisierter Form als kunstvoll gefertigte Ikone unter dem Namen „Irminsûl“ im Sauerland. Traurige Berühmtheit erlangte die Irminsûl im Jahre 772, als der Christenkönig Karl der Große in das Sachsenland einfiel und das Heiligtum zerstörte. Die einzige nähere Beschreibung dieses Weltenbaumes stammt aus dem Jahre 863 vom Mönch und Missionar Rudolf von Fulda:

Sie verehrten auch unter freiem Himmel einen senkrecht aufgerichteten Baumstamm von nicht geringer Größe, den sie in ihrer Muttersprache ,Irminsul‘ nannten, was auf lateinisch columna universalis bedeutet, welche gewissermaßen das All trägt.13

Wie die Irminsûl tatsächlich aussah, ist unbekannt. Ein ernstzunehmender Hinweis findet sich indessen an den Externsteinen im Teutoburger Wald. Die Externsteine sind eine markante Sandsteinfelsformation, die nachweislich schon in der Altsteinzeit von Menschen aufgesucht wurde. Nicht unwahrscheinlich, dass hier die Germanen einen Kultplatz hatten. An einer Seite dieses Felsens findet sich jedoch ein christliches Relief, das die Kreuzabnahme Christi zeigt. Schaut man genau hin, erkennt man etwas weiter unterhalb ein weiteres Symbol, nämlich einen abgeknickten Baum, der unter der Last des Kreuzes leidet. Wahrscheinlich handelt es sich hierbei um ein Bildnis der zerstörten Irminsûl, das Karl als Mahnmal in das heidnische Heiligtum hat eingravieren lassen.14

Das Aussehen dieser externsteiner Irminsûl ist höchst bedeutungsvoll. Es handelt sich um eine sogenannte Gabelsäule, also einen Stamm, der sich am oberen Ende in zwei Richtungen ausbreitet und eine Art „T“ bildet, eben eine columna universalis, eine „Säule, die das All trägt“. Bedeutsam deshalb, weil exakt dieselbe Form im Schamanismus bei den zirkumpolaren Kulturen Eurasiens vorkommt: Bei den Lappen lassen sich solche Gabelsäulen bis ins 17. Jahrhundert nachverfolgen, bei den sibirischen Schamanen sogar bis ins 20. Jahrhundert.