Kitabı oku: «Sigurd 3: Im Auftrag des Königs», sayfa 2
Unwillkürlich fühlte Gubo sich schuldig, doch dann straffte er seinen Körper und fand zu seiner gewohnten Selbstsicherheit zurück. »Es lag nicht in meiner Absicht, Euch Ungemach zu bereiten, Gräfin Dagmar«, erwiderte er und schwor sich, sich nicht den Schneid abkaufen zu lassen und zuckte dann mit den Schultern. »Aber nun ist es nicht mehr zu ändern.«
Dagmar sah ihn nach wie vor wuterfüllt an. »Und was gedenkt Ihr, jetzt zu tun?«
Gubo sah sie mehrere Augenblicke lang forschend an, bevor er antwortete. »Beruhigt Euch, Gräfin. Bestimmt finden wir Menschen, die uns helfen können.«
Dagmar antwortete ihm nichts darauf, sondern ging auf Bettina zu, die schluchzend auf dem Fels saß. Sie nahm sie in die Arme und sprach ihr tröstende Worte zu. Gubo unterdrückte das erneut aufbrandende Schuldgefühl und sah sich um. Er hatte die Hoffnung, dass noch etwas von der Ladung an Bord des Boots an den Strand gespült worden war, doch das Meer hatte alles mit sich in die Tiefe gerissen.
Er stemmte die Hände in die Hüften und sah zu seinen Männern, die ihn erwartungsvoll anblickten. Ohne ein Wort zu sagen, riss er den Arm hoch und deutete ins Innere der Insel.
*
Die Schiffbrüchigen machten sich auf den Weg. Nachdem sie die Felsklippen erklommen hatten, wurden sie ohne Übergang von einem dicht bewachsenen Urwald umgeben. Knorrige Bäume, deren Wurzeln weit aus dem Erdreich ragten, erhoben sich Dutzende von Metern in die Höhe. Buschwerk, das so dicht wuchs, dass es ein Durchkommen fast unmöglich machte, bedeckte den Boden. Nur ein schmaler Pfad, der fast so wirkte, als sei er von Menschenhand angelegt worden, führte durch das dicht stehende Blattwerk.
Und trotz der üppigen Natur fehlte eines … kein Vogel war zu hören, kein Tier, das aufgeschreckt durchs Unterholz davonpreschte. Es war eine gespenstisch anmutende Ruhe, die die Gruppe umgab.
Mit einem Mal öffnete sich das Unterholz und gab den Blick auf eine kleine Lichtung frei. Doch der Anblick ließ die Menschen erschaudern. Statuen, die die Menschen um mehr als einen Kopf überragten, blickten von beiden Seiten der Lichtung aus dämonisch wirkenden Augen auf sie herab. Sie waren grob gearbeitet und wirkten wie Ungeheuer aus einer tiefen Hölle.
Bettina drückte sich Schutz suchend an Dagmar.
»Ich fürchte mich, Herrin«, gab sie mit leiser Stimme zu und wagte nicht, zu den Statuen aufzusehen. »Uns steht bestimmt Schreckliches bevor.«
Dagmar suchte nach tröstenden Worten. Doch auch sie fühlte, wie sich die Furcht mit Eiseskälte um ihr Herz legte. »Das Gefühl habe ich auch«, konnte sie nur erwidern. »Schau nur diese grausigen Figuren überall!«
Sie wagte kaum, nach vorne zu deuten, in das Dickicht, in dem nun noch weitere dieser unheimlichen Statuen auszumachen waren.
Gubo wollte etwas darauf antworten, als dicht vor ihm ein Pfeil in einen umgestürzten Baumstamm einschlug und federnd stecken blieb. Der Abenteurer zuckte zurück, dann sah er das Stück Papier, das auf den Pfeilschaft aufgesteckt worden war.
»Was ist das?«, stieß er aus. »Ein Pfeil mit einer Botschaft?«
Vorsichtig sah er in die Richtung, aus der der Pfeil gekommen war, ohne jedoch jemanden – oder irgendetwas – im Dickicht auszumachen. Dennoch sah er sich nach allen Seiten um, bevor er sich nach vorne beugte und das Blatt vom Pfeil zupfte.
»Lies vor!«, forderte Benno ihn auf, der sich nervös über die Lippen fuhr.
Gubo tat sich schwer damit, die Schrift zu entziffern. »Fremdlinge …«, setzte er an, »… wenn euch euer Leben lieb ist, verlasst diese Insel. Die …«, er stockte, »… die Dämonen töten jeden, der den Frieden ihres Reiches stört.«
Der Abenteurer besah sich die Zeilen, bevor er auflachte und das Papier zusammenknüllte. Mit einer schwungvollen Bewegung warf er es von sich und griff nach seinem Schwert.
»Ach was! Dummes Geschwätz!«, brauste er auf. »Davon lasse ich mich nicht einschüchtern!«
Er sah sich zu den Übrigen in seiner Gruppe um. »Kommt, wir gehen weiter!«, forderte er sie auf und wies mit dem Schwert in die Richtung, aus der er den Pfeil vermutete.
Leises Murren war unter seinen Männern zu hören. Keiner von ihnen wagte jedoch, gegen ihn aufzubegehren, und so schlossen sie sich ihm an, die beiden jungen Frauen in ihrer Mitte.
*
Zwei Augenpaare verfolgten im Dickicht, wie sich die Menschen von der Lichtung entfernten. Nahezu geräuschlos erhoben sich die Gestalten und sahen der Gruppe nach. Einer der beiden Männer schloss die Hand fester um seinen Bogen.
»Die Fremden befolgen Euren Befehl nicht, Humba«, stellte er verwundert fest.
Der Mann neben ihm stieß zur Antwort einen unwilligen Laut aus. Er strich sich den Echsenpanzer zurecht, den er wie einen Umhang trug. »Ich sehe es, Kerum«, knurrte er. »Dann werden sie sterben.«
Er sah seinen Begleiter an. »Lass uns gehen«, wies er ihn an.
*
Stunden vergingen, in denen die Gruppe unter Gubos Führung über die Insel irrte. Zu ihrem Glück fanden sie eine kleine Quelle, an der sie zumindest ihren Durst stillen konnten. Der Abenteurer war selbst kurz davor, die Hoffnung aufzugeben, noch auf die Bewohner dieser verfluchten Insel zu stoßen, als vor ihm etwas zwischen den Bäumen aufragte.
»Seht, eine menschliche Siedlung!«, rief er seinen Gefährten zu und deutete auf die Steinbauten. Die grob behauenen Steine wirkten alt und waren teils vom Urwald überwuchert.
Dagmar schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht … es ist alles wie ausgestorben …«
Gubo überhörte ihre Worte und ging auf einen frei liegenden Durchlass im Mauerwerk zu. »Lasst uns hineingehen«, meinte er und deutete in die Öffnung. Ohne auf eine Antwort zu warten, durchschritt er den Torbogen.
»Ich fürchte mich!«, konnte sich Bettina nicht zurückhalten. »Gubo wird uns bestimmt alle ins Unglück stürzen!«
Die Gräfin wollte ihr gerade antworten, als Benno sie zu sich herwinkte. »Was zögert ihr? Kommt her!«, herrschte er die beiden Frauen an, die der Aufforderung nur langsam folgten.
Die Dunkelheit des schmalen Durchgangs wich schnell einem unheimlichen Licht, das flackernd über die Wände zuckte. Säulen, die mit Ornamenten und Reliefs reich verziert waren, stützten das Dachwerk, das sich über ihnen im Dämmerlicht verlor.
»Wir sind im Heiligtum der Inselbewohner«, mutmaßte Gubo und sah sich um. »Aber kein Lebewesen ist zu entdecken …«
Sie passierten einen weiteren Durchgang und betraten eine gewaltige Halle, die von großen Ölbecken erhellt wurde, in denen Flammen hoch zur Decke züngelten. Doch es war nicht die archaische Architektur, die die Menschen in ihren Bann nahm – es war die gewaltige Statue, die am anderen Ende der Halle über allem thronte. Sie mochte gut zehn Meter an Höhe betragen, und ihre prankenhaften Arme schienen die Decke zu stützen. Eine Fratze, die an einen Drachen aus der Fabelwelt erinnerte, starrte aus glutroten Augen auf sie herab.
»Rubine«, flüsterte Gubo ungläubig. »Seht nur!«, rief er, und seine Stimme hallte in dem Saal wider. »Die Statue scheint aus reinem Gold zu sein und ist über und über mit Juwelen besetzt!«
Sein Blick fiel auf die Edelsteine, die den Hals der Statue wie eine Kette umschlossen.
»Ein unheimliches Götzenbild«, erwiderte Dagmar, die es bei deren Anblick schauderte. »Lasst uns umkehren!«, flehte sie den Abenteurer an.
›Umkehren? Dazu ist es jetzt zu spät!‹, antwortete ihr eine hohle Stimme aus der Tiefe des Raums.
Noch ehe die Gruppe reagieren konnte, war sie von zahllosen halbnackten Menschen umringt, die zwischen den Säulen hervorsprangen und ihre steinernen Speere drohend auf sie richteten. Ein Mann stieg auf ein Podest und blickte sie zornig an. Er war neben seinem Lendenschurz in eine Echsenhaut gekleidet, die ihn wie eine Rüstung umgab und auch seinen Kopf bedeckte.
»Ich bin Vathu«, schmetterte seine Stimme durch die Halle. »Und ihr, ihr habt unsere Warnung nicht beachtet, Fremdlinge!« Drohend wies er auf die Gruppe. »Jetzt müsst ihr euren Leichtsinn büßen!«
»Zum Teufel, wir sind umzingelt!«, begehrte Endres auf. Zähnefletschend stieß er einen Speer zur Seite, doch sofort richteten sich zwei weitere auf ihn.
»Überwältigt die Eindringlinge und bindet sie!«, befahl Vathu den Inselbewohnern.
Bevor sich Gubo von seiner Überraschung erholen konnte, wurde er von den Wilden gefesselt. Er sah, wie sie auch nach den Mädchen griffen, bis er bemerkte, wie es Benno gelang, zum Ausgang zu flüchten.
Ohne es unterdrücken zu können, lachte er auf, doch ein Hieb mit dem stumpfen Ende eines Speers ließ ihn schmerzerfüllt in die Knie gehen.
*
Benno hetzte durch die dunklen Gänge und konnte nur hoffen, sich den Weg richtig eingeprägt zu haben. Hinter sich hörte er das wütende Geheul der Wilden, und trotz der Erschöpfung, die in seinen Knochen steckte, beschleunigte er seine Schritte.
Endlich tauchte vor ihm die lichterfüllte Öffnung auf, die ins Freie führte. So schnell er konnte, rannte er auf das nahe Dickicht zu.
Hinter ihm holten seine Verfolger schneller auf, als er gehofft hatte. Ein Schatten jagte zischend an seinem Kopf vorbei und blieb in einem Baumstamm stecken. Mit großen Augen sah Benno den Speer an und blickte sich verzweifelt um.
*
Wütend schrien die Verfolger auf, als der Speer sein Ziel verfehlte. Die Männer wollten dem Flüchtenden nachsetzen, als Kerum sie zurückhielt.
»Wozu ihn verfolgen? Der Tod ist in meinem Pfeil.«
Obwohl der Fliehende schon fast das Unterholz erreicht hatte, spannte der Eingeborene in aller Ruhe den Bogen und legte an. Sirrend löste sich der Pfeil von der Sehne und traf sein Ziel. Mit einem Aufschrei warf Benno die Arme in die Luft und brach noch in der Bewegung zusammen.
»Er ist getroffen«, stellte Kerum zufrieden fest. »Kommt, lasst uns zurückkehren«, wies er die übrigen Männer an.
*
Im Inneren des Heiligtums ahnten die Gefangenen nichts von Bennos Schicksal. Sie wurden gefesselt und von Dutzenden von Wilden bewacht vor Vathu geführt.
»Ihr habt die Gesetze der Dämonen gebrochen!«, donnerte dessen Stimme durch die Halle, und die übrigen Inselbewohner stimmten in ein wütendes Geheul ein. Vathu brachte sie mit einer Handbewegung zum Schweigen.
»Ihr werdet morgen unserer Gottheit geopfert!«, fuhr er fort. »In den Kerker mit ihnen!«, richtete er sich an alle Anwesenden, die in Jubel ausbrachen. Mehrere von ihnen nahmen die Gruppe in ihre Mitte und führten sie aus der Halle davon.
»Nur durch Eure Schuld sind wir jetzt in dieser verzweifelten Lage«, stieß Dagmar aus, der es schwerfiel, noch ihre Beherrschung zu bewahren. Sie konnte hören, wie Bettina neben ihr unentwegt schluchzte, und musste selbst mit den Tränen kämpfen.
»Ich weiß, Gräfin Dagmar«, antwortete der Abenteurer und senkte den Blick. »Ich habe unrecht gehandelt. Aber ich ahnte nicht, dass es so kommen würde!« Er stemmte sich gegen seine Fesseln, bis sich eine Speerspitze in seine Seite bohrte. Unterdrückt schrie er auf. »Wüsste ich nur einen Ausweg …«
DREI
Im Morgengrauen des nächsten Tages erreichte auch Sigurd mit seinen Gefährten die Insel. Ihnen schauderte beim Anblick der dunklen Rauchsäule, die aus dem Vulkankegel quoll, der hoch über der Insel in den Himmel ragte.
Obgleich die Strömung, wie von Arnulf, dem Fischer, angekündigt, nachgelassen hatte, musste dieser all sein Geschick aufwenden, um das Boot durch das tückische Wasser zu steuern. Überall ragten schroffe Felsen für einen Augenblick empor, nur um im nächsten Moment von einer Welle verdeckt zu werden.
Er hielt auf einen Küstenabschnitt zu, der flach zum Wasser abfiel. Sigurd stand am Bug und blickte angespannt aufs Ufer. Mit einem Mal sah er die gesplitterten Planken und einen zerborstenen Mast, die von den Wellen gegen die Felsen getrieben wurden.
»Dort ist Gubos Boot gestrandet!«, rief er, und sofort eilten Bodo und Cassim zu ihm.
»Lasst uns schnell an Land gehen«, mahnte er sie zur Eile, und seine Gefährten packten die Ausrüstung zusammen. Er sah sich angestrengt um. Zu seiner Erleichterung entdeckte er keinen leblosen Körper am Strand. Alle Insassen schienen sich ans Ufer gerettet zu haben.
Als das Wasser flach genug war, sprangen Bodo und er mit einem Seil in der Hand aus dem Boot und zogen den Rumpf so weit aus dem Meer, dass das Boot nicht von der Strömung mitgezogen werden konnte.
»Warte hier auf uns«, bat er den Fischer. »Aber sieh dich besser vor, Alter.«
Das brauchte er Arnulf nicht zweimal zu sagen. Dessen Augen suchten den dichten Wald voller Scheu ab, und er entschied sich, das Boot nicht zu verlassen. Zum Abschied winkten sie sich zu, dann drangen Sigurd, Bodo und Cassim in das Innere der Insel vor. Auf ihr Rufen hatte sich niemand gemeldet, also gingen sie davon aus, dass sich Gubo mit den Frauen in den Wald zurückgezogen hatte.
Sigurd blieb nur zu hoffen, dass der Schurke so einsichtig war, die Ausweglosigkeit seiner Lage zu erkennen und sich stellte. Ansonsten würde er mit seinen Geiseln für alle Zeit auf der Insel gefangen sein.
Die Freunde nutzten ihre Schwerter, um einen Pfad in das Dickicht zu schlagen. Immer wieder blieben sie stehen und lauschten in die Stille, in der die unberührt scheinende Natur vor ihnen lag. Sigurd rief die Namen der Gesuchten, doch niemand antwortete ihm.
Unverdrossen setzten sie ihren Weg fort. Je tiefer sie in die Insel vordrangen, desto beklemmender wurde die Atmosphäre. Ein fahles Licht beherrschte den Himmel, kein Windhauch fuhr mehr durch das Blattwerk der Bäume, die nun spärlicher wuchsen und den Blick auf die Umgebung freigaben.
Cassims Schrei schreckte die Begleiter aus ihren Überlegungen.
»Sigurd, sieh dort!« Der Junge wies nach vorne. »Da liegt ein Mann, er scheint verwundet!«
Der Körper lag in verkrümmter Haltung am Boden und war zwischen den fleischigen Blättern der Büsche kaum auszumachen gewesen.
Sie eilten auf die Stelle zu und fanden einen Mann mit einer Augenklappe, der sich nur schwach bewegte. In seinem Rücken steckte ein Pfeil, und das Hemd war an der Stelle tiefrot getränkt.
»Ihr seid verwundet!«, rief Bodo aus. »Was ist geschehen? Schnell, berichtet!«
Der Verwundete blickte auf. Ein schmerzvoller Laut drang aus seinem Mund. Er schüttelte müde den Kopf, als er die Ankömmlinge sah und sackte ins Gras.
»Ich bin ein Gefährte Gubos …«, brachte Benno stöhnend hervor. »Wir fielen den Inselbewohnern in die Hände … alle wurden gefangen …«
Sigurd ging neben ihm in die Knie und stützte ihn. Benno hustete und schnappte nach Luft. »Nur ich konnte fliehen …«, fuhr er fort. »Aber diese Teufel schossen mir einen Pfeil in den Rücken!« Sein Blick ging von einem zum anderen. »Die ganze Nacht habe ich hier gelegen – mir kann keiner mehr helfen …«
Sein Gesicht verzog sich vor Schmerz und Resignation. Sigurd legte ihn behutsam ins Gras.
»Lasst mich hier sterben«, bat Benno mit kaum vernehmbarer Stimme. »Rettet … die beiden Frauen …«
Dann fiel sein Kopf zur Seite.
Sigurd atmete tief durch und erhob sich. »Er ist tot.«
Er presste seine Lippen aufeinander und warf dann Bodo und Cassim einen Blick zu. »Dagmar und Bettina sind in größter Gefahr! Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.«
Er sah sich um und wies auf ein Mauerwerk, das undeutlich hinter den Bäumen zu erkennen war. »Seht nur! Dort beginnt die Stadt dieser Dämonen. Seid vorsichtig, damit wir nicht entdeckt werden.«
Bodo und Cassim nickten nur stumm.
*
Unterdessen war für das große Opferfest alles vorbereitet worden.
Alle Bewohner der Insel hatten sich in der Arena versammelt, die aus einer lange vergangenen Zeit zu stammen schien. Die grob behauenen Steine waren verziert mit fremdartig anmutenden Reliefs und fratzenhaften Gesichtern.
Gespannt blickten die Anwesenden auf die fünf Gefangenen, die an lange Pfähle inmitten der Arena gefesselt waren. Sie schienen sich in ihr Schicksal ergeben zu haben, denn keiner von ihnen rüttelte an seinen Fesseln oder begehrte auf.
In einer Loge thronte Vathu zusammen mit den Hohepriestern und Ältesten der Stadt. Er erhob sich, und unwillkürlich richteten sich alle Augen auf ihn.
»Die Stunde eures Todes ist gekommen, ihr Fremden!«, hallte seine Stimme durch die Arena. »Der Dämon wird seine Opfer nicht verschmähen!«
Die Zuschauer jubelten auf. Vathu wies auf eine Gruppe von Männern, die an einem gewaltigen Tor am anderen Ende ihre Posten bezogen hatte.
»Beginnt euer Werk, Männer! – Öffnet das Tor.«
Ohne zu zögern, stellten sich die Angesprochenen an eine große Winde und setzten sie in Bewegung. Ein Knirschen und Krachen ging durch das ungeheure Tor, das sich Zoll um Zoll öffnete.
Ein heiseres Grollen drang dahinter hervor, das mit jedem Moment lauter wurde …
*
Sigurd hörte das Echo der Stimme, das durch die Arena klang, ohne die Worte zu verstehen. Doch der anschließende Jubel ließ ihn ahnen, dass hier ein öffentliches Gericht abgehalten wurde – und er befürchtete das Schlimmste.
Über seine Schulter sah er zu Bodo hinüber. Dieser erwiderte den Blick mit einem ernsten Gesichtsausdruck. Sie beschleunigten ihren Schritt und achteten dennoch darauf, so lautlos wie möglich voranzukommen.
Sigurd war froh, dass er Cassim aufgefordert hatte, sich im Wald zu verstecken. Er wusste nicht, welche Gefahren sie hier im Inneren dieser verlassen anmutenden Stadt erwarteten, und er war nicht bereit, das Leben des Jungen aufs Spiel zu setzen. Cassim hatte zwar gemurrt und aufbegehrt, sich aber dann doch in Sigurds Wunsch gefügt.
Sie drangen durch ein offenes Tor in die Stadt ein. Nach wenigen Schritten schon wich das Licht des Tages der Dämmerung, in der die Durchgänge lagen. So hätte Sigurd auch beinahe den einzelnen Mann übersehen, der im Schatten einer Säule stand.
»Vorsicht, Bodo«, raunte er seinem Freund zu. »Eine Wache.«
Er zog seinen Dolch und schlich langsam vorwärts. Erst als er den Mann, der in eine echsenhaft anmutende Rüstung gekleidet war, fast erreichte hatte, machte er eine schnelle Bewegung nach vorne. Er packte den rechten Arm, mit dem die Wache eine Lanze mit mächtiger Klinge hielt, und legte seinen linken Arm so um die Schulter des Mannes, dass sein Dolch an dessen Kehle ruhte.
»Keinen Laut, wenn dir dein Leben lieb ist!«, machte Sigurd ihm unmissverständlich klar, und der Wachposten nickte zögerlich.
Er drehte den Mann herum und packte ihn mit einer Hand an der Kehle, während er den Dolch drohend auf die Brust seines Gegners richtete. »Sage mir sofort, wo ihr die beiden Frauen gefangen haltet oder …«
Er musste seine Drohung nicht zu Ende sprechen.
»Gnade!«, stieß die Wache hastig aus und wies mit dem freien Arm in eine Richtung. »Sie sind in der Arena! – Aber ihr kommt zu spät. Der Dämon ist frei …« Bei diesen Worten lachte der Mann unterdrückt auf.
Sigurd versetzte ihm einen Schlag, der ihn zu Boden schickte. Bodo nahm zudem die Lanze der Wache an sich und reichte seinem Freund ein Seil. Nachdem sie die Wache gefesselt und geknebelt hatten, eilten sie mit gezogenen Schwertern in die angegebene Richtung. In dem Gewirr an Gängen hätten sie beinahe die Orientierung verloren, hätte ihnen nicht der lauter werdende Jubel von Menschen den Weg gewiesen. Vor ihnen wurde das Licht in den Gängen wieder heller. Übergangslos blickten sie auf eine gewaltige Arena.
Sigurd wurde der Gefangenen gewahr, die an die Pfähle gebunden waren.
»Schrecklich!«, murmelte er. »Wir müssen versuchen, sie zu befreien.« Er drehte sich zu seinem Freund um und sah dessen entschlossenen Ausdruck in den Augen. »Komm. Jetzt gibt es kein Zurück mehr!«
Sie stürmten in die Arena, an einer Gruppe von Männern vorbei, die an einer Winde standen und sie verwundert ansahen. Sigurd erkannte, dass sie unbewaffnet waren und eilte weiter.
»Schnell, Bodo! Wir müssen die Überraschung der Inselbewohner ausnutzen!« Doch dabei übersah er, dass sich das riesenhafte Tor, das die Männer an der Winde bedienten, nun ganz geöffnet hatte.
Bodo sah das Ungetüm, das sich aus dem Schatten dahinter löste, als Erster.
»Teufel, was ist das?!«, stieß er aus.
Sigurd wusste zuerst nicht, was sein Freund meinte, als ein ohrenbetäubendes Brüllen aus dem Tor drang. Er drehte sich um und hatte das Gefühl, das Blut gefriere bei dem Anblick der Bestie in seinen Adern.
»Alle guten Geister! Welch ein Scheusal!«, rief er und rannte, so schnell er konnte, vor dem Ungetüm davon, das sich im Torbogen abzeichnete.
In diesem Augenblick stürzte das grauenvolle Untier auf den Schauplatz. Es mochte gut fünf Mannslängen hoch sein und wischte mit einem langen Schwanz um sich. Die echsenhafte Kreatur richtete sich auf ihre Hinterbeine auf und stieß einen urwelthaften Schrei aus. Ihre funkelnden, bernsteinfarbenen Augen fuhren suchend umher, und dann richtete sich der drachenartige Kopf, der von einem gewaltigen Horn auf der Stirn gekrönt wurde, auf die Gefangenen an den Pfählen.
Sigurd mochte kaum glauben, dass es sich bei dieser Bestie um die Gottheit der Inselbewohner handelte. Doch die Begeisterung von den Rängen machte ihm deutlich, dass die Menschen keine Angst vor ihr hatten.
Er konnte den Odem des Ungetüms förmlich in seinem Rücken spüren, als er die Pfähle fast schon erreicht hatte. Unter den Jubel der Zuschauer mischten sich nun auch zornige Rufe, und zahlreiche Finger deuteten auf Bodo und ihn.
»Gib mir die Lanze, Bodo!«, forderte Sigurd seinen Freund auf. »Ich lenke das Untier von dir ab, während du die Gefangenen befreist.«
Dieser sah sich um und blickte mit einem entsetzten Gesichtsausdruck auf das Monster, das immer näher kam. Im Laufen reichte er die Lanze an Sigurd weiter und hastete auf den ersten Pfahl zu.
»Schaut, die Fremden dort!«, schallte auf einmal eine Stimme zu ihnen herab. Sigurd sah empor und erblickte einen Mann, der ebenso in eine echsenhafte Rüstung gewandet war wie die Wache. »Sie kommen zur rechten Zeit! Der Dämon erhält zwei Opfer mehr!«
Sigurd lächelte grimmig. Er hatte nicht vor, im Bauch dieser Bestie zu enden.
Er wedelte mit den Armen und schrie aus Leibeskräften, und wie erhofft richtete das Untier seine Aufmerksamkeit auf ihn. Mit schnellen Schritten brachte er so viel Abstand, wie er konnte, zwischen sich und die Pfähle, damit Bodo genug Zeit blieb, die Gefangenen loszuschneiden. Grollend stapfte das Ungetüm auf ihn zu und öffnete hungrig sein breites Maul. Unterarmlange Reißzähne funkelten drohend, und eine Zunge leckte über die schuppigen Lippen.
Sigurd sah seine Chance gekommen.
Mit aller Kraft holte er aus und schleuderte den Speer in den geöffneten Rachen des Ungeheuers. Die breite Klinge bohrte sich tief in den Gaumen. Vor Schmerzen bäumte sich das Untier auf und stieß grollende Schreie aus.
Es wand sich und taumelte und schnappte mit dem Maul ins Leere, um sich von der peinigenden Waffe zu befreien. Doch mit jeder Bewegung drang die Klinge tiefer in das weiche Fleisch.
Sigurd verlor keine Zeit und rannte auf eine der beiden hoch aufragenden Säulen zu, auf denen mächtige Feuerbecken ruhten. Auf dem rauen Stein fand er sicheren Halt und konnte so rasch in die Höhe klettern.
Die Bestie suchte inzwischen nach ihrem Gegner, der ihr diese Schmerzen zugefügt hatte. Halb wahnsinnig vor Schmerz lief sie durch die Arena und erkannte den Junker, der gerade das obere Ende der Säule erreicht hatte. Wütend blitzten ihn die blutunterlaufenen Augen an. Das Ungeheuer stellte sich auf die Hinterbeine und wollte nach ihm schnappen.
Auf diesen Augenblick hatte Sigurd gewartet!
Er stemmte sich mit dem Rücken gegen die Unterseite der Feuerschale. Zuerst schien es, als könne es ihm nicht gelingen, sie zu bewegen, als ein Knirschen folgte und die Schale in ihrer Verankerung wankte. Gerade als das Ungetüm ein weiteres Mal in die Höhe sprang, um nach seinem Gegner zu schnappen, überschlug sich das Feuerbecken und ergoss seinen glühend heißen Inhalt über den Kopf des Ungeheuers.
Von der Glut geblendet und durch schwere Brandmale gezeichnet, taumelte das vor Schmerz brüllende Untier hilflos umher. Sigurd rutschte die Säule auf der abgewandten Seite so schnell wie möglich herab und eilte zu Bodo herüber, der gerade Gubo als Letzten von seinen Fesseln befreite.
Er sah das ungläubige Entsetzen in Dagmars und Bettinas Augen und zog sie mit sich.
»Kommt schnell!«, machte er ihnen mit eindringlicher Stimme klar und riss sie aus ihrer Starre. »Wir müssen so rasch wie möglich aus der Nähe dieses Ungeheuers!«
Die Bestie setzte ihnen jedoch nach. Sie hatte nicht vergessen, wer ihr diese Schmerzen zugefügt hatte. Sigurd und Bodo zogen die entkräfteten Frauen mit sich, doch Gubo und seine Spießgesellen fielen zurück. Blind vor Wut und Schmerz stürzte sich das Ungeheuer auf die drei Männer.
»Seht!«, schrie Bettina gellend. »Das Scheusal hat sich Gubo gepackt!«
Sigurd verharrte in seinem Schritt und blickte sich um. Er sah, wie der Abenteurer verzweifelt die Arme in die Höhe warf, und dann erstickte sein Schrei.
»Furchtbar …«, murmelte Sigurd und senkte den Kopf. »Ihm ist nicht mehr zu helfen.«
Er sah den erschütterten Ausdruck in den Gesichtern seiner Gefährten. »Kommt!«, trieb er sie an und eilte auf den offenen Durchlass zu, durch den sie die Arena betreten hatten.
Während die kleine Gruppe in den Gängen Schutz fand, begann das geblendete Untier rasend voller Schmerz ein grauenvolles Zerstörungswerk. Aus dem Jubel der Inselbewohner waren längst angsterfüllte und panische Schreie geworden, als die mächtigen Pranken wild um sich schlugen und die Tribünen zum Einsturz brachten. Menschen stürzten zu Boden oder wurden unter den Trümmern begraben.
Es dauerte unendlich lange Augenblicke, bis das Untier seinen Verletzungen erlegen war und in der Arena leblos zusammenbrach. Nachdem die überlebenden Inselbewohner ihr Entsetzen überwunden hatten, stellte Vathu einen Trupp Bewaffneter zusammen. Voller Wut hatte er die Flucht der Gefangenen festgestellt und schwor sich, die Fremdlinge nicht entkommen zu lassen.
*
Doch der Vorsprung der Fliehenden war bereits zu groß. Sigurd holte Cassim aus seinem Versteck, der ihn nur fragend und fassungslos ansah. Er hatte aus der Ferne das Wüten und Toben mitangehört, ohne ahnen zu können, was vorgefallen war.
Arnulfs Augen weiteren sich vor Überraschung, als er die Menschen auf sein Boot zuhetzen sah. Er stellte keine Fragen, als Sigurd ihn zur Eile antrieb. Die Männer halfen Dagmar und Bettina ins Boot und stießen dann den Rumpf mit aller Kraft vom felsigen Untergrund ab.
Aus dem Wald waren nun die ersten Rufe und Schreie zu hören, die rasch näher kamen. Arnulf setzte mit schnellen Handgriffen das Segel, und sofort spannte sich der Stoff unter dem frischen Wind.
Als die Wilden am Ufer erschienen und dem Boot einen Pfeilhagel hinterherschickten, lachte der alte Fischer auf. Er sah, wie die Geschosse weit hinter ihnen ins Wasser klatschten.
»Seid unbesorgt«, meinte Sigurd, der sich neben ihn stellte, erleichtert. »Die Pfeile können uns nicht mehr schaden. Jetzt sind wir bereits in Sicherheit.«
»Ja, wir sind gerettet …«, entfuhr es Dagmar ungläubig. »Das verdanken wir nur Euch und Euren tapferen Freunden!«
»Wir taten es gerne für Euch, Gräfin. Ihr braucht uns nicht zu danken«, antwortete Sigurd mit einem Lächeln und genoss die frische Brise, die ihm durchs Haar fuhr. Er wandte sich an Arnulf. »Aber nun zu, Alter – lass den Wind in das Segel blasen. Die Damen werden erwartet!«