Kitabı oku: «Die Sternenschnüffler», sayfa 5
5. Kapitel
In den nächsten Tagen herrschte Chaos: Möbel aufbauen, Zimmer und Büro einrichten, putzen. Lora hatte sich inzwischen zwei der etwas kleineren Lagerräume gegenüber dem Büro als Wohnung angemietet. Da diese seit langer Zeit unbenutzt waren, kam der Stationsverwaltung die ganze Sache sehr gelegen, denn so ließ sich mit den ungenutzten Räumen wenigstens etwas Geld verdienen.
Nachdem sie die notwendigsten Dinge, auch in ihrem neuen Zuhause, eingerichtet hatte, saß Lora nun an ihrem neuen Schreibtisch im neuen Büro und blickte mit einem Siegeslächeln auf die leere Monitor-Projektionsfläche vor ihr. Zu tun gab es noch nichts, zumindest was die Detektei anging. Erst seit ein paar Stunden waren zwei Werbeanzeigen auf den Informationsschirmen des Commercial-Decks geschaltet. Also hatte sich auch noch kein Kunde hinunter ins Detektivbüro verirrt.
Lora aber saß einfach nur auf ihrem Stuhl, hatte die Beine auf ihren Schreibtisch gelegt und grinste in sich hinein. Sie dachte an das mehr schlecht als rechte Hotel, in dem sie während ihrer erfolglosen Wohnungssuche in ‚New Auckland’ auf Gesius gehaust hatte und an den Boss von „Webber-Cole-Digitals“ mit seinem übergewichtigen Laufburschen. Und während Lora die Entwürfe zum neuen Firmenlogo betrachtete, die Joe gezeichnet hatte, schossen ihr all die unsinnigen Regeln und Vorschriften durch den Kopf, die sie bei ihrem letzten Job auswendig lernen und befolgen musste: Keine privaten Kommunikatoren, Platz sauber halten, kein lautes Fluchen, keine verlängerten Kaffeepausen, pünktliches Kommen.
Aber schon nach kurzer Zeit wurde Lora aus ihren Gedanken gerissen: Die Türklingel läutete, gefolgt von Joes Aufschrei, der von seinem Schlafzimmer aus, die Luft wie eine scharfe Klinge durchschnitt. Er war gerade damit beschäftigt gewesen, eine neue Lampe anzuschließen, und hatte wohl an der Energieverteilung gearbeitet. Da dies aber schon der vierte Stromschlag in den letzten drei Tagen war, kümmerte sich Lora nicht weiter darum. Sie stand auf und öffnete die Tür.
Vor Lora stand eine Frau, Mensch, mittleres Alter, bekleidet mit einer lachsfarbenen Bluse und einem grau gemusterten, recht bieder wirkenden Kostüm und sie begrüßte Lora mit einem freundlichen: „Guten Tag! Ich habe Ihr Werbeschild oben gesehen. Vielleicht können Sie mir weiterhelfen.“
Lora hingegen stand mit offenem Mund da, sah die Frau mit großen Augen an und brachte kein Wort heraus.
„Ich bin hier doch richtig? Das hier ist doch die Privat-Detektei, oder?“, fragte die Frau vorsichtig nach und schaffte es tatsächlich, Lora aus ihrer geistigen Starre zu befreien:
„Ja, hier ist die Privat-Detektei. Na, kommen Sie doch erst einmal herein und setzen Sie sich! Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten, vielleicht einen frischen gesalzenen Holzasselsaft?“
Die Frau lächelte verkniffen: „Ein Glas Wasser wäre schon recht, danke.“ Ihre Augen musterten währenddessen jeden Quadratzentimeter des Büros und obwohl sie sich nichts anmerken lassen wollte, verrieten das leichte Zucken ihrer Nasenflügel und ihrer Oberlippe ihre wahren Gedanken. Dennoch kam sie Loras Aufforderung nach und nahm in einem Sessel der großen, gemütlichen Sitzgruppe Platz, die Lora und Joe für den Kundenempfang eingerichtet hatten. Lora holte schnell ein Glas Wasser aus der Küche und anschließend Papier und Stift von ihrem Schreibtisch, setzte sich neben die Frau und packte ihr freundlichstes Lächeln aus, während sie mit ihrem Stift unentwegt auf ihren Schreibblock herumtrommelte.
Auch Joe kam herbeigeeilt. Seine glasigen Augen zeugten von seiner schmerzhaften Erfahrung mit der Elektroinstallation seines neuen Zuhauses. Aber er versuchte, es zu überspielen, und setzte sich schwungvoll in einen der Sessel.
„Bitte entschuldigen Sie das Chaos hier. Wir haben heute erst eröffnet.“, begann Lora die Konversation.
„Ach, kein Problem.“, antwortete die Frau mit freundlicher Stimme. „Mein Name ist ...“
Ein lauter Knall unterbrach ihren Satz. Im Büro war es schlagartig finster und mucksmäuschenstill. Nur Joes Stimme durchbrach die Dunkelheit: „So ein Mist! Tut mir leid. Da hab‘ ich wohl einen Fehler gemacht.“
„Ja, glaube ich auch.“, sagte Lora mit sarkastischem Unterton.
„Ich bringe das gleich in Ordnung. Lora, warum gehst Du nicht mit der Dame in ein Restaurant und Ihr besprecht alles dort? Ich kümmere mich derweil um die Stromleitung.“
„OK, gute Idee.“ Lora stand auf und ging, ohne das Geringste erkennen zu können, bedächtigen Schrittes in Richtung Tür. Mit ausgestreckten Armen in der Luft tastend bewegte sie sich langsam vorwärts, bis sie den Garderobenständer neben der Tür zu fassen bekam.
Joe hatte nicht so viel Glück. Auf dem Weg ins Schlafzimmer stolperte er über seinen Werkzeugkasten und fiel mit dem Kopf gegen ein Regal an der Wand.
„So ein verdammter Scheißdreck!“, schrie Joe, während Lora mitfühlend die Augen zusammenkniff. Aber dann ertastete sie schnell die manuelle Notentriegelung der Eingangstür und betätigte sie.
Zum Glück war der Korridor draußen nicht vom Stromausfall betroffen und so wurde auch das Büro wieder spärlich beleuchtet: Joe lag immer noch auf dem Boden und versuchte zwischen verstreutem Werkzeug, Schrauben und Kabeln wieder auf die Beine zu kommen.
„Gehen wir doch in eine Bar, oder ein Restaurant!“, sagte Lora zu ihrer Kundin, die immer noch stocksteif und mit aufgerissenen Augen in ihrem Sessel saß. Als sie aufstand und hinausging, sah sie Lora mit besorgter Miene an, aber Lora grinste nur: „Keine Sorge! Er hat geflucht, er scheint nicht zu bluten, also ist er OK.“
Mit dem Lift ging es hinauf zum Commercial-Deck, auf dem sich die meisten Restaurants und Geschäfte befanden. Dort gingen die beiden Frauen in eine kleine Cafeteria und nachdem Lora zwei Espresso an der Bar bestellt hatte, setzten sie sich an einen Tisch in der hinteren Ecke, an dem sie ein wenig ungestört waren.
„Nun ja, wie ich schon sagen wollte: Mein Name ist Bertha Jones. Ich habe hier ein Geschäft auf der Station, auf der anderen Seite des Decks.“
„Jones? Arbeitet Ihr Mann bei Webber-Cole-Digitals in New Auckland?“, fragte Lora neugierig.
„Ja, warum? Kennen Sie ihn?“
„Ich hatte mal geschäftlich mit ihm zu tun.“, antwortete Lora, zog es aber vor, schnell das Thema zu wechseln: „Was verkaufen Sie denn?“
„Ich habe einen Laden für kallinganische Spezialitäten. Sie wissen schon: Blaue Kreuzameisen, Sandegel, Grünwurzeln, all die tollen Köstlichkeiten. Schauen Sie doch bei Gelegenheit mal vorbei!“
Loras Augen leuchteten: „Na da können Sie drauf wetten, ich bekomme jetzt schon Appetit! Aber bitte sagen Sie erst einmal: Wie können wir Ihnen helfen?“
Frau Jones beugte sich vor und sprach mit gesenkter Stimme: „Ich habe das Gefühl, dass ich verfolgt werde. Das heißt ich habe nicht nur das Gefühl: Ich weiß es.“
Loras Herz begann schneller schlagen. Bilder aus ihrer Kindheit leuchteten wieder vor ihr auf, als sie mit ihren Freunden ausgedachte Kriminalfälle löste, die Nachbarn observierte und tatsächlich einmal einen echten Dieb fing. Er hatte ihre Tasche gestohlen, rannte davon, fand aber in Lora seine Meisterin. Sie rannte viel schneller als er, warf sich von hinten auf ihn und riss ihn zu Boden. Nachdem sie ihm die Tasche wieder abgenommen hatte, prügelte sie voller Wut und in leuchtendem Blau auf den hilflos am Boden liegenden Mann ein. Erst eine vorbeikommende Polizeistreife beendete Loras Wutanfall und den Dieb nahmen sie bei dieser Gelegenheit auch gleich mit. Nun aber blickte Lora in das Gesicht der Frau gegenüber, die ihr hilfesuchend in die Augen sah.
„Wissen sie auch von wem?“, fragte Lora, die sich konzentrieren musste, den Gesprächsfaden wiederzufinden.
„Da ist so ein Mann, das heißt ich glaube, dass es einer ist. Es ist so eine komische Spezies: groß, olivgrüne, scheckige Haut, keine Haare und die Hände sehen irgendwie krallenförmig aus.“
„Hat er große rote Augen, so wie Insektenaugen?“
„Ja genau! Haben Sie den etwa auch schon mal gesehen? Der taucht ständig in meiner Nähe auf, mustert mich genau, zumindest vermute ich das, kommt ab und zu in meinen Laden, sieht sich alles an, kauft aber nie etwas.“
„Das ist ein Hauqurit.“, sagte Lora und wirkte dabei ungewöhnlich selbstsicher: „Einer meiner Freunde von der Uni war Hauqurit. Die sehen echt ein Wenig unheimlich aus, sind aber eigentlich sehr freundliche Wesen. Die Heimatwelt von denen ist aber sehr weit weg. Der dürfte hier fast der Einzige sein und fällt extrem auf. Außerdem ist olivgrüne Haut eher selten bei Hauquriten. Die meisten sind hellblau.“ Lora lächelte zufrieden, während sie den Kellner beobachtete, der in diesem Moment die zwei Espresso auf den Tisch stellte. Lora führte die Tasse langsam an ihre Lippen und nahm dann vorsichtig den ersten Schluck des noch viel zu heißen Kaffees.
„Sie wissen ja gut Bescheid. Sehr schön!“, sagte Frau Jones, während sie sich mit ihrer Tasse zurück in den Sessel lehnte. „Können Sie herausfinden, was der Kerl von mir will?“
„Na ja, wir könnten ihn beschatten und mal sehen, was er so den ganzen Tag treibt und dann schauen wir weiter. Wir werden erst einmal Ihren Laden beobachten und wenn Mister Hauqurit auftaucht, hängen wir uns unauffällig an seine Fersen, oder besser an seine hinteren Krallen. Außerdem fällt mir gerade ein, dass ich ihn, glaube ich, schon hier auf der Station gesehen habe, als ich am Flugschalter war.“ Lora dachte nach und versuchte, sich zu erinnern, während sie den Rest ihres Espressos mit einem Schluck herunterstürzte. „Na ja, wir werden ihn schon finden.“
Lora lehnte sich in ihrem Sessel zurück und versuchte, ein zufriedenes Lächeln aufzusetzen, was ihr mehr schlecht als recht gelang. Aber sie konnte es nicht vermeiden, dass ihr rechtes Bein, das sie über das linke geschlagen hatte, ständig auf und ab wippte.
Frau Jones hingegen schien sichtlich relaxt zu sein. Sie genoss ihren Kaffee in kleinen Schlucken und sandte Lora hin und wieder ein freundliches Schmunzeln hinüber:
„Wie viel verlangen Sie eigentlich und wie rechnen Sie ab?“
Lora sah nach unten auf die vor ihr stehende Tasse, in der sich nur noch die Reste des Kaffeeschaums befanden. Leider hatte sie vergessen, die Preise mit Joe abzusprechen, also versuchte sie es mit einer Hinhaltetaktik: „Ich komme nachher in Ihren Laden und bringe Ihnen einen Vertrag mit. Da steht dann alles drauf. Ich kann Sie aber beruhigen: Teuer sind wir nicht.“ Lora lächelte wieder ihre Kundin an, die dies auch brav erwiderte.
„Schön, schön, ich warte dann auf Sie.“ Frau Jones stand auf, stellte ihre Tasse auf den Tisch, verabschiedete sich von Lora mit einem freundlichen: „Danke für den Espresso.“, und verließ die Cafeteria.
Lora lehnte sich noch einmal zurück, rief den Kellner herbei und bestellte einen weiteren Espresso, den sie dann langsam und in Ruhe austrank.
Als Lora zurück ins Büro kam, sah sie zu ihrem Erstaunen, dass das Werkzeug- und Schraubenchaos beseitigt war und auch das Licht brannte wieder. Am Schreibtisch saß jedoch ein großer hagerer Mann mit spärlichem Haarwuchs, großen Augen, großen Ohren und einer Hakennase.
„Hallo, wer sind Sie?“, fragte Lora zurückhaltend, aber freundlich.
Der Mann blickte auf, aber bevor er etwas sagen konnte, schnitt ihm Joe, der aus seinem Schlafzimmer herbeigeeilt kam, das Wort ab: „Das ist Oulax, er schließt unsere Computerterminals ans Netz an.“
„Gut!“, sagte Lora: „Ans interstellare Netz oder nur ans Hausnetz?“
„An beides.“, sagte Oulax und wandte sich wieder seiner Arbeit zu: „Außerdem installiere ich Ihnen gleich noch einen Sicherheitsschirm gegen Eindringlinge von außen. Sonst könnte jeder halbwegs Intelligente, der mit einem Schiff draußen vorbeifliegt, Ihr Terminal anzapfen. Übrigens: Ich muss noch an Ihren Netzknotenpunkt für das Spreizkabel. Wo liegt der hier?“
Loras Blick wurde starr und ihr Gesicht verfärbte sich in Rekordgeschwindigkeit blau: „Wie bitte? Ich glaube, ich habe mich wohl verhört?“ Loras schrie so sehr, dass sich ihre Stimme fast überschlug: „Ich weiß ja nicht von welchem seltsamen Sternensystem Sie kommen, aber bei mir kriegen Sie jedenfalls keinen Netzknotenpunkt zu sehen.“ Lora verschwand ins Badezimmer und schlug mit Schwung die Tür hinter sich zu. Das Scheppern ließ Joe und Oulax unweigerlich zusammenzucken.
„Wissen Sie, was da gerade passiert ist?“, fragte Oulax: „Was habe ich denn gesagt?“
Joe zuckte nur mit den Achseln: „Keine Ahnung. Iriduaner sind schon seltsame Kreaturen. Ich sehe besser mal nach ihr.“
Joe ging in Richtung Badezimmer, aber er kam nicht weit: Lora trat wieder ins Büro. Das tiefe Blau war fast aus ihrem Gesicht verschwunden: „Tut mir leid, dass ich Sie so angeschrien habe. Sie meinten sicherlich nur den Zugangspunkt zum Datennetz der Station, richtig?“
„Richtig!“, sagte Oulax noch immer mit unsicherer Stimme und stand auf: „Wissen Sie wo er ist?“
„Keine Ahnung.“, sagte Lora und auch Joe zuckte nur mit den Schultern.
Oulax sah im Zimmer umher. „Na ja, bei Stationen aus diesem Baujahr wurde der in Lagerräumen meist unter eine Deckenverkleidung in irgendeinem kleineren Nebenraum gesetzt. Na, ich werde ihn schon finden.“
Oulax begann seine Suche im Badezimmer. Er stellte sich auf den Toilettensitz und schraubte die darüberliegende Deckenverkleidung ab. Mit seinen langen Armen brauchte er nicht einmal eine Leiter dazu. Dann zog er sich mit einem Klimmzug an einem Deckenträger nach oben und sah in den niedrigen Raum über der Verkleidung, wobei er sich durch eine Taschenlampe, die er zwischen den Zähnen hielt, Licht verschaffte.
Lora und Joe zogen es vor, das Ganze vom Büro aus durch die offene Tür hindurch zu beobachten, wobei sie Oulax‘ körperliche Fähigkeiten in wahres Staunen versetzte. Nach einem kurzen Moment ließ dieser sich jedoch wieder herab, schraubte die Verkleidung fest und stieg von der Toilette herunter: „Hier ist nichts.“, sagte er und lief geradewegs an Joe und Lora vorbei zurück ins Büro und dann weiter in Joes Schlafzimmer. Lora und Joe folgten ihm langsam und mit einem gewissen Sicherheitsabstand.
Plötzlich hielt Oulax inne und verharrte regungslos im Raum. Joe sah zu Lora herüber, aber die zuckte nur mit den Schultern und verzog das Gesicht. Also hielt es Joe für besser, sich einfach nur still zu verhalten und zu beobachten, was als nächstens passieren würde. Auch Lora wandte ihren Blick nicht von Oulax ab, während sie ihren Atem anhielt. Aber erst nach etwa einer halben Minute drehte sich Oulax um und gab Joe und Lora durch einen Wink zu verstehen, dass sie das Zimmer verlassen sollten. Er folgte ihnen ins Büro und schloss langsam die Tür hinter sich: „Da ist jemand!“, sagte er im Flüsterton und Lora lief im gleichen Moment ein kalter Schauer über den Rücken, was mit einer intensiven Gelbfärbung einherging.
„Wow, den Effekt kannte ich noch gar nicht!“, sagte Joe und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen.
„Das ist doch jetzt vollkommen egal, ich hab‘ nur wahnsinnige Angst.“, zischte Lora zurück.
„Aber warum? Das ist doch mein Zimmer!“
Lora sah Joe mit großen Augen an. Aber dieser stand einfach nur entspannt, mit den Händen in den Hosentaschen da und grinste. Jedoch erkannte Lora an seinem blassen Gesicht schnell seine wahre Gemütslage. Also ließ sie Joes gespielte Lockerheit unkommentiert und wandte sich stattdessen Oulax zu: „Sind Sie sicher? Ich meine: Wo soll sich denn da jemand verstecken?“
„Ganz sicher! Er sitzt über der Deckenverkleidung. Ich habe deutlich seine Atemgeräusche gehört. Ich glaube, es ist ein Mensch.“
„Das können Sie unterscheiden?“, fragte Lora erstaunt.
„Ja, meine Spezies hört sehr gut.“
„Wow!“ Lora beruhigte sich langsam wieder und auch ihre natürliche Farbe kam zurück: „Und was tun wir jetzt?“
„Haben Sie eine Waffe?“, fragte Oulax und angesichts des fast synchronen Kopfschüttelns von Lora und Joe, verdrehte er die Augen: „Ihr seid Detektive und habt keine Waffe?“
Wieder nur Kopfschütteln.
„Oh Mann!“ Nun schüttelte Oulax den Kopf und zog im gleichen Moment eine große, konventionelle Pistole aus einem Halfter, der sich offenbar hinten unter seinem Hemd befand und der von Lora und Joe bisher unbemerkt geblieben war.
„Oh Gott!“ Lora zuckte zusammen und schlagartig trat ihr wieder die gelbe Farbe ins Gesicht.
Joe hingegen war begeistert: „Cool! Das ist ja noch eine mit richtigen Projektilen.“
„Über antike Pistolen können wir später reden. Aber sagt mir mal eines: Wie könnt Ihr hier auf dieser Station, die voll von abartigen Figuren und Kriminellen ist, ohne Waffe rumlaufen? Seid Ihr übergeschnappt?“, fragte Oulax und sah abwechselnd in die Gesichter von Lora und Joe, die aber nur eine Mischung aus Ungewissheit und Angst widerspiegelten.
Also ging Oulax, ohne weitere Fragen zu stellen, mit der Waffe voran ins Schlafzimmer zurück. Joe und Lora folgten ihm und als sie vorsichtig einen Blick durch die Tür ins Zimmer warfen, sahen sie, wie Oulax mit zwei schnell aufeinander folgenden Schüssen zwei Verankerungen der Deckenplatte durchtrennte. Mit einem gewaltigen Knall fiel das Metallblech herunter und mit ihm ein Mann, der tatsächlich, wie von Oulax vermutet, genau darauf gelegen hatte. Sein Aufschrei während des Sturzes wurde beim Aufprall auf den Boden schlagartig unterbrochen.
„Hallo, was kann ich für Dich tun?“, fragte Oulax den Mann in höflichem Ton und hielt ihm dabei die Pistole vor das Gesicht.
„Stopp! Nicht schießen! Ich kann Alles erklären!“, stammelte der Mann, der sich mit schmerzverzerrtem Gesicht langsam aufrichtete.
„Liegen bleiben!“
Der Mann gehorchte.
„Na dann mal los. Erklär mal!“, sagte Oulax und trat zwei Meter zurück, um ihm nicht die Chance zu geben, gegen die Waffe zu treten oder sie ihm aus der Hand zu schlagen.
„Mein Name ist Oliver Lundquist. Ich bin obdachlos und lebe seit ein paar Tagen hier in diesem Hohlraum über der Verkleidung. Ich tue nichts, ich bin nur obdachlos, keine Panik!“
„Wer hat denn hier Panik? Also ich nicht!“, sagte Oulax gelassen: „Aber wenn Du ein Obdachloser bist, bin ich ´ne Balletttänzerin. Du trägst ´ne Uniform, oder besser was davon übrig ist. Also raus mit der Sprache!“
Oliver zögerte.
„Glaubst Du ich mache hier Spaß?“ Oulax spannte den Hahn seiner Waffe.
„OK, OK, Stopp! Ich sag es Dir. Ich bin Deserteur vom Krieg auf Rawadian.“
„Rawadian? Der Krieg da dauert doch schon Jahre, ohne dass irgendein Schuss gefallen wäre.“
„Ja genau. Ich war fünf Jahre da. Dann hatte ich die Schnauze voll und bin zusammen mit einem Kumpel abgehauen. Wir haben uns zur Sicherheit getrennt. Ich habe mich in einer Rettungskapsel zu einem Transportschiff rüber geschossen und das ist hierher geflogen. Seitdem verstecke ich mich in den Lüftungsschächten und Hohlräumen.“
„Und das soll ich Dir glauben?“ Oulax hielt die Pistole immer noch auf Oliver gerichtet.
„Hier ist meine Soldatenmarke.“ Oliver griff langsam in seine Jackentasche, holte die Marke heraus und hielt sie mit ausgestrecktem Arm vor sich.
Oulax betrachtete sie genau, jedoch ohne einen Schritt näher zu treten: „Joe, fahren Sie ein Deck nach oben. Dort gibt es ein öffentliches Computerterminal. Suchen sie nach ‚Oliver Goldsteen‘, ‚Lundquist‘ ist ein falscher Name.“
„Und wo soll ich suchen?“
Oulax verdrehte die Augen: „Im Fahndungsregister der Stationspolizei. Das Militär nutzt alle Polizeidienste zur Suche nach Deserteuren. Offiziell werden die natürlich wegen irgendwelcher anderen Verbrechen gesucht, da nicht an die Öffentlichkeit kommen soll, dass Soldaten einfach so verschwinden.“
Joe befolgte Oulax‘ Anweisungen und lief eilig an der inzwischen wieder zitronengelben Lora vorbei aus dem Büro.
Oulax studierte derweilen sein Gegenüber, den er nach wie vor mit seiner Waffe in Schach hielt: Oliver trug immer noch seinen Kampfanzug, auch wenn dieser schon vollkommen verschmutzt und an einigen Stellen aufgerissen war. Dennoch war zu erkennen, dass Oliver von kräftiger Statur war und so vermittelte den Eindruck, dass es ratsam wäre, eine körperliche Auseinandersetzung mit ihm zu vermeiden. Sein Gesicht wirkte jugendlich, obwohl es von den Strapazen der letzten Tage und Wochen gezeichnet war. Dunkle Augenringe umsäumten Olivers kraftlosen Blick, der an irgendeinem Punkt im Raum festzuhängen schien. Sein inzwischen wilder Bartwuchs und sein schmutziges Haar vermittelten den Eindruck eines Mannes, der am Ende seiner Kräfte war und dringend Hilfe benötigte.
Oulax ließ sich jedoch nicht erweichen: Ohne jegliche körperliche Regung stand er da und richtete den Lauf seiner Waffe auf Oliver.
Lora hatte sich derweilen zum Sofa zurückgezogen und versuchte, sich unauffällig zwischen den weichen Kissen zu verkriechen. Ihr Puls raste und ihr Blick versuchte die Eingangstür zu öffnen, in der Hoffnung, dass Joe just in diesem Moment wieder ins Büro zurückkommen würde.
Nach bangen, fast endlos erscheinenden zehn Minuten war es endlich so weit: Joe kam leicht außer Atem zurück: „Es stimmt, er wird wegen Steuerbetrugs gesucht.“
Oulax hob seine Waffe nach oben, sicherte sie und steckte sie wieder zurück in den Halfter auf seinem Rücken: „Stehen Sie auf! Kommen Sie!“, sagte er und wies Oliver mit einer Geste den Weg aus Joes Zimmer hinüber ins Büro. Oliver gehorchte, ohne zu fragen.
„Setzen Sie sich erst einmal!“, sagte Lora mit freundlicher Stimme: „Möchten Sie ein Glas Wasser?“
„Ja, das wäre sehr freundlich.“, sagte Oliver und setzte sich auf das große Sofa in der Besprechungsecke: „Bitte verraten Sie mich nicht. Ich wollte nur nicht mehr im Dreck herumliegen und die besten Jahre meines Lebens verschwenden.“
„Ist schon OK.“, beruhigte ihn Joe: „Kann ich verstehen.“
Lora reichte Oliver das Wasser, welches dieser in einem Zug leer trank.
„Danke!“, sagte er, lehnte sich zurück und atmete tief durch. Die anderen drei standen um ihn herum und beobachteten ihn schweigend.
„Wer seid ihr, wenn ich fragen darf?“ Oliver sah neugierig in die Runde.
„Ich bin Joe, das hier ist Lora und der Mann mit der Kanone hier ist Oulax. Lora und ich betreiben hier eine Privatdetektei. Oulax ist Stationstechniker.“
„Ihr seid Detektive? Echt? Ohne Witz?“
„Ja klar. Was ist so seltsam daran?“, fragte Joe zurück.
„Na ja, der Mann mit der Kanone ist der Techniker. Sollte das nicht eher umgekehrt sein? Seit wann macht Ihr denn den Job?“
„Seit ein paar Stunden.“, sagte Joe: „Wie wunderbar, dass jeder sofort erkennt, dass wir blutige Anfänger sind.“
„Hey, kein Problem. Jeder fängt mal an. Aber hört mal: Braucht Ihr noch Einen? Ich will Euch ja nicht zu nah treten, aber jemand, der ein wenig Kampferfahrung hat, wäre vielleicht nicht schlecht für Euch.“
„Auf Rawadian wurde doch gar nicht gekämpft, oder?“
„Das nicht, aber ein ausgebildeter Soldat bin ich trotzdem, oder besser: war ich. Ich kann mit fast allen Waffen umgehen, bin trainiert für Nahkampf und habe einen Flugschein für alle möglichen Raumschiffe. Außerdem brauche ich einen Job und eine Tarnung.“
Joe sah in die Runde. Lora schwieg vor sich hin und auch Oulax stand regungslos im Raum herum. Also blieb die Entscheidung bei ihm selbst hängen. Er atmete tief durch und sah Oliver noch einmal fest in die Augen, aber irgendwie, und selbst für ihn vollkommen unerwartet, öffneten sich seine Lippen und heraus kam ein deutliches: „Na wir können es ja mal probieren.“
Lora sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an: „Joe, kann ich Dich mal unter vier Augen sprechen?“
„Na klar!“
Lora und Joe gingen in die Küche.
„Was soll das denn?“, flüsterte Lora in recht barschem Ton: „Wir kennen den Typen doch gar nicht. Der kann den größten Schwachsinn erzählen oder einfach nur ein blöder Fiesling sein. Das wissen wir nicht.“
„Was sollen wir denn tun?“, flüsterte Joe zurück: „Verpfeifen will ich ihn nicht und in der Lüftungsanlage können wir ihn ja schließlich auch nicht wohnen lassen, oder?“
Lora sah Joe für ein paar Sekunden tief in die Augen und erkannte, dass er es vollkommen ernst meinte. Also ging sie ohne ein weiteres Wort wieder zurück zur Lounge: „OK Oliver, willkommen an Bord!“
„Danke! Super! Wir werden ein Spitzenteam!“, rief Oliver, sprang auf und umarmte Lora im spontanen Überschwang und auch Joe konnte der Zeremonie nicht entkommen.
Oulax lachte laut auf: „Ein Prominenter, ein steckbrieflich Gesuchter und eine Schlangenfrau, die auffällt, wie der blaue Hans vom Mars: Eine Superdetektei! Da muss ich mitmachen!“
„Willst Du wirklich?, fragte Joe nach: „Einen Computerspezialisten, der auch noch mit altertümlichen Waffen umgehen kann, könnten wir sicher gut gebrauchen!“
„Na ja.“, erklärte Oulax: „Ich wohne auf Gesius, habe aber viele Aufträge hier auf der Falkenstation. Ich kann Euch in jedes Netz hacken, jede Kamera anzapfen, jede Sicherheitseinrichtung lahmlegen und außerdem besitze ich ein Schiff, sogar ein sehr schnelles Schiff. Und zuerst werde ich Eurem Deserteur mal eine neue Identität und eine reine Weste verpassen.“
„OK, abgemacht!“, sagte Lora etwas zögerlich, aber dennoch bestimmt: „Dann kann es ja richtig losgehen!“
„Na ja, zunächst muss ich mal die Computer verdrahten.“, sagte Oulax, ging wieder in Joes Zimmer und machte sich an die Arbeit.