Kitabı oku: «Die seelische Dimension von Krankheiten», sayfa 2
Was ist hier mit Seele gemeint?
Der Begriff der Seele hat in seiner Bedeutung Wandlungen erfahren. Überwiegend wurde in der Seele der nichtkörperliche Teil menschlicher Existenz verstanden, wie Gefühle, Denken, Impulse, Charakter und Persönlichkeit.
Der Begriff der Seele war auch stets religiös besetzt und drückt sich in Formulierungen wie „die Unsterblichkeit der Seele“ oder „Seelenwanderung“ aus. Hiernach gilt die Seele als nichtmaterielle Existenz, die jeweils von Geburt bis Tod mit einem Menschen verknüpft ist und über dessen Tod hinaus weiter existiert.
In dem vorliegenden Buch ist die religiöse Dimension der Seele ausdrücklich nicht gemeint.
Für Seele im hier gemeinten Sinne könnte überwiegend auch der Begriff Psyche oder Geist verwendet werden. Es geht um die menschlichen Eigenschaften des Denkens, Fühlens, Wollens, Handelns, Bewertens, die nicht unmittelbar körperlichen Ursachen zuzuordnen sind. Sie sind zwar auf die Existenz des Gehirns als körperliches Organ angewiesen. Aber wir gehen hier davon aus, dass sie nicht allein auf Vorgänge des Gehirns zurückzuführen sind, sondern das Gehirn und die übrigen Körpervorgänge eine Art Unterstützungsfunktion für die Seele haben. Die Seele ist hier also im Sinne eines primären menschlichen Phänomens mit umfassenden Prägungen durch und Verknüpfungen in die Umwelt und Gesellschaft zu verstehen, die, um wirksam sein zu können und Handlungen initiieren zu können, auf den Körper mit dem Steuerorgan Gehirn angewiesen ist. Vom Gehirn ausgehend werden Sprechwerkzeuge zur Kommunikation, aber auch Muskeln und Gelenke zur Handlung und Fortbewegung angeregt.
Allerdings fasse ich hier den Körper nicht als seelenlosen Apparat oder Automat auf, der nur von einer immateriellen, nicht lokalisierbaren Seele gesteuert wird. Sondern Körper, Umwelt und Seele bilden eine Einheit. Die Seele ist sozusagen in jeder Zelle des Körpers verankert. Die Seele existiert so nicht ohne Körper und der Körper nicht ohne Seele. Danach haben auch als schwer geistesgestört geltende Menschen oder sogenannte Wachkomapatienten eine Seele, die Einfluss auf Handlungen, Denken und Fühlen nimmt, nur anders und vielleicht elementarer. Die Seele ist also im hier gemeinten Sinne eine eigene Kategorie, eine eigene Instanz und der Körper ein Erfolgs-, Ausführungs- und Handlungsorgan mit Rückkopplungen auf die Seele. Zudem wirkt die Seele ebenso auf die unmittelbare Umwelt und diese auf sie zurück. Denn das, was wir in der Umwelt wahrnehmen, bleibt nicht ohne Folgen auf die Seele. Die Seele beeinflusst wiederum die Umwelt, zum Beispiel durch Geschriebenes oder Gesprochenes, durch Bauwerke und Interaktionen von Menschen.
Deshalb verwende ich hier nicht die Begriffe Psyche oder Geist. Denn die seelische Dimension geht darüber hinaus und hat auch Bedeutung für Fragen nach dem Sinn, den Werten, unserer Art der Wahrnehmung und nach dem, was wir glauben. Die Frage nach der Unsterblichkeit der Seele oder der Seelenwanderung soll hierbei völlig außer Acht bleiben. Aber bei Fragen wie Sinn des Lebens, Werte, Liebe, Glauben, also Phänomene, die nicht mit wissenschaftlichen Kategorien zu erfassen sind und zudem in der allgemeinen Wahrnehmung nicht als automatische Verschaltungsvorgänge des Gehirns aufgefasst werden, handelt es sich um seelische Vorgänge, die auch eine gewisse Nähe zu religiösen Fragen haben können, und zwar in dem Sinne, dass Religionen sich mit dem Sinn des Lebens, Glauben und Liebe sowie Gut und Böse auseinandersetzen.
Gerade bei Krankheit spielen diese seelischen Phänomene eine ganz wichtige Rolle und können die Krankheit wesentlich beeinflussen.
Der Begriff „seelische Erkrankungen“, der noch immer für psychiatrische Erkrankungen gilt, meint hier allerdings vorrangig psychische Erkrankungen, die nach biomedizinischen Krankheitsverständnis eine körperliche Ursache, und zwar im Gehirn, haben, die sich aber ganz vorrangig in psychischen Auffälligkeiten äußern und auch einer bestimmten Lokalisation im Gehirn nicht hinreichend zuordenbar sind. Demnach gelten hier seelische Erkrankungen als Erkrankungen körperlicher Ursache, deren weitere Erforschung zu dem Ergebnis kommen wird, dass eines Tages ihre Ursachenzusammenhänge bestimmten und nachweisbaren gestörten Vorgängen im Gehirn zugeordnet werden können.
Diese Auffassung wird hier ausdrücklich nicht geteilt. In diesem Buch gelten seelische Erkrankungen als Beeinträchtigung seelischer Vorgänge im individuellen seelischen Bereich des ganzen Menschen und in der Interaktion mit seiner Umwelt.
Nicht nur die seelischen Erkrankungen möchte ich hier in diesem Sinne interpretieren. Auch alle denkbaren Krankheiten haben immer auch eine seelische Dimension. Es handelt sich in der Konsequenz dabei auch um seelische Erkrankungen im hier genannten Sinne. Psychische und körperliche Erkrankungen unterscheiden sich insofern nicht grundsätzlich voneinander, da bei beiden die seelischen Dimensionen von maßgeblicher Bedeutung sind. Sie gründen damit aber auch beide nicht vorrangig auf körperliche Ursachen.
Was ist Krankheit?
Es mag verwundern, aber Krankheit ist kein einheitliches und klar definiertes Phänomen. Wir alle kennen Krankheiten, von denen wir oder auch Angehörige oder Bekannte betroffen waren oder sind. Krankheiten, von denen wir gehört haben oder von denen wir in medizinischer Ausbildung oder in den Alltagsmedien etwas erfahren haben. Eine Krebserkrankung, ein Schlaganfall oder ein Bandscheibenvorfall scheint eine klar definierte Erkrankung zu sein. Aber der Krankheitsbegriff scheitert schon bei dem Versuch einer allgemeinen Definition von Krankheit. Es kann der Versuch unternommen werden, eine Krankheit als das Gegenteil von Gesundheit zu definieren. Dabei stellt sich aber das Problem zu definieren, was gesund ist. Es gibt keine scharfe Grenze zwischen krank und gesund. Nach heutigem Verständnis kann man eine Krankheit in sich haben, aber davon nichts spüren, wie zum Beispiel bei einer Frühform der Krebserkrankung. Man kann von einer für das Umfeld offensichtlich schweren Erkrankung betroffen sein, aber unter dieser Krankheit als Betroffener nicht leiden, wie zum Beispiel bei der fortgeschrittenen Alzheimer-Krankheit. Bestimmte Befindlichkeitsstörungen gelten heute als Krankheit, die früher nicht als krankhaft bezeichnet wurden, insbesondere hinsichtlich der äußeren Erscheinung, wie zum Beispiel Glatzenbildung, Fettsucht oder bestimmte Hautveränderungen.
Krankheit wird heute üblicherweise mit dem Begriff Leiden verbunden. Wenn aber ein Kranker nicht leidet, ist er dann krank? Eine bestimmte Krankheit führt bei dem einen Betroffenen zu starkem Leiden, beim anderen zu nur geringem oder gar keinem. Der Tod eines nahestehenden Menschen führt bei den Angehörigen stets zu Leiden und Trauer. Sie sind deshalb aber nicht krank, weil eine normale Trauer nicht als Krankheit gilt. Gleiches gilt für das schmerzhafte Leid unter Wehen während der Geburt eines Kindes bei der Mutter. Hier wird heute meistens der Wehenschmerz medikamentös behandelt und die Geburt im Krankenhaus vollzogen. Dies zeigt, dass auch medizinische Behandlung, selbst im Krankenhaus, nicht Kriterium für Krankheit sein kann.
Es ist üblich, Menschen mit angeborenen Behinderungen als krank zu bezeichnen bzw. ihre Behinderung einer bestimmten Krankheitskategorie zuzuordnen, obwohl sie sich selbst nicht als krank empfinden.
Was krank ist, wird noch am besten mit dem Begriff der Normabweichung definiert. Danach gilt heute üblicherweise Krankheit als Abweichung von der Norm in geistiger, körperlicher oder emotionaler Hinsicht. Aber auch die Frage der Normabweichung ist für die Definition von Krankheit sehr unzulänglich, denn danach müsste man im europäischen Raum sogenannte Normalgewichtige als krank bezeichnen, weil die Mehrheit der Bevölkerung ein Körpergewicht hat, was über dem sogenannten Normalgewicht liegt. Insofern geht es bei der Festlegung der Normabweichung als Kriterium für Krankheit nicht vorrangig um Durchschnittswerte, sondern um das, was gesellschaftlich als normal und erstrebenswert angesehen wird.
Wir sehen also, dass Krankheit ganz wesentlich von dem aktuell gültigen gesellschaftlichen Konsens definiert wird. Dieser Konsens ist wiederum abhängig von herrschenden Wunschvorstellungen und Normen, die nicht nur von dem aktuellen medizinischen Wissen, sondern auch von den Werten, Schönheitsvorstellungen und auch dem aktuell herrschenden Bild, das wir von verschiedenen Krankheiten haben, bestimmt wird. Nicht nur der allgemeine Krankheitsbegriff, sondern auch die einzelnen verschiedenen Krankheiten sind wesentlich ein gesellschaftliches Konstrukt, das einem fortwährenden Wandel unterliegt. Dieser ist, abhängig von den jeweils herrschenden gesellschaftlichen Bedingungen, dem Stand des Wissens über medizinische Zusammenhänge und vom aktuell herrschenden Weltbild geprägt.
Dass dies auch für die einzelnen Krankheitsbilder gilt, soll im Folgenden erläutert werden. Wie entsteht die Vorstellung, die Definition, das Bild von einer bestimmten Erkrankung?
So wie wir eine Vorstellung haben von einem Baum, einem Haus, von Phänomenen wie Angst oder Schmerz, so haben wir eine mehr oder weniger konkrete Vorstellung von bestimmten Krankheiten. Wir haben ein bestimmtes Bild vor Augen, wenn wir an einen Beinbruch denken. Hier wissen wir, dass das Bein von Knochen gestützt wird und ein Knochen im Bein, ähnlich wie ein Stück Holz, durch Krafteinwirkung gebrochen ist. Bei einer Krebserkrankung haben wir das Bild eines nach allen Seiten wuchernden, aggressiven Gewebeknäuels vor Augen, das ein Eigenleben führt und das umgebende Körpergewebe zerstört. Bei einem Herzinfarkt stellen wir uns die Form des Herzens mit seinem Muskelgewebe vor, das plötzlich an einer bestimmten Stelle nicht mehr schlägt, weil hier ein Blutgefäß, was den Herzmuskel versorgt, verstopft ist.
Bei vielen Krankheiten haben wir nur vage Vorstellungen. Mit etlichen Krankheitsbegriffen seltener Krankheiten können wir nichts anfangen. Die lateinischen Begriffe sagen uns nichts. Aber sobald wir selbst oder nahe Angehörige von dieser Krankheit betroffen sind, machen wir uns auch von diesen Krankheiten ein Bild. Dieses Bild wird geprägt durch die Aufklärung des Arztes, auch durch Bemerkungen von Menschen der Umgebung, die von dieser Krankheit schon gehört haben, teilweise auch von Werbung in den Medien, die Behandlungen bei diesen Krankheiten anpreisen, und zunehmend auch von eigenen Recherchen im Internet. Auch hier entwickeln wir ganz rasch eine bestimmte Vorstellung von dieser Krankheit, die wir dann mit uns herumtragen und die ein bestimmtes Bild von der Krankheit beinhaltet. Dabei sind unsere Bilder, die wir von Krankheiten haben oder entwickeln, geprägt von unserem Wissen über medizinische Zusammenhänge, über die Funktionsweise des Körpers und deren Aufbau, aber auch von eigenen Erfahrungen mit Krankheit und wesentlich auch von denen, die uns Wissen über die Krankheit vermitteln.
Es gilt als anerkannt, dass das größte Wissen über eine Krankheit die Ärzte haben, die es gewohnt sind, eine solche Krankheit zu behandeln. Immerhin haben sie eine lange Ausbildung absolviert, gehen tagtäglich mit Krankheiten um und knüpfen mit ihrem Wissen an den Erfahrungen und Erkenntnissen zu den Krankheiten in der Vergangenheit an. Aber wie entsteht in der Medizin die Vorstellung, die Definition von einer bestimmten Erkrankung?
Dies soll am Beispiel des Schlaganfalls verdeutlicht werden. Der heute noch übliche Begriff eines Schlaganfalls bezeichnet ein Ereignis, das wie ein Schlag oder wie ein Anfall über den Betroffenen kommt. Plötzlich ist nichts mehr wie vorher. Der Betroffene kann sich nicht mehr auf den Beinen halten und stürzt hin, manchmal geht das mit Verlust des Sprechens einher. Nun hat man vor 150 Jahren noch nichts Sicheres über die Ursachen des Schlaganfalls gewusst. Man hat den Schlaganfall nur als plötzliches, anfallsartiges Ereignis wahrgenommen, das, wenn es schwer genug war, innerhalb von Tagen oder Wochen zum Tode führte. Erst als man begann, systematisch Gehirne von Schlaganfallpatienten nach ihrem Tod anatomisch zu untersuchen, fand man jeweils an verschiedenen Stellen des Gehirns eine mehr oder weniger große Erweichung des Hirngewebes und lernte zwischen Schlaganfällen, die durch eine Blutung im Gehirn und solchen, die durch eine Durchblutungsstörung des Gehirns verursacht wurden, zu unterscheiden. Es entwickelte sich also langsam ein Wissen über die unmittelbar auslösenden Mechanismen des Schlaganfalls. Man konnte schließlich das Schlaganfallereignis einer bestimmten Hirnregion zuordnen, weil man eine Vorstellung davon hatte, welche Gehirnregion bei bestimmten Funktionsausfällen des Körpers betroffen ist. Mit Verfahren wie Ultraschall und Computertomografie, die sich in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts etablierten und schließlich dem Kernspintomogramm, das wenig später eingeführt wurde, konnte man sich ein Bild vom Gehirn und dessen Durchblutung am lebenden Schlaganfallpatienten unmittelbar nach dem Ereignis machen und hierüber sehr viele Detailkenntnisse gewinnen, die schließlich auch in Behandlungsversuche und dann in systematische, auch wissenschaftlich überprüfte Behandlungsmaßnahmen mündeten. Damit wurde der Schlaganfall, der noch bis in die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts als nicht behandelbar galt, zu einem Krankheitsbild, das bei ganz rascher Behandlung nach dem unmittelbaren Ereignis in einem gewissen Prozentsatz als behandelbar gilt. Auch die begleitenden Behandlungsmaßnahmen wurden verfeinert und in ihrer Wirksamkeit verbessert.
Das Bild der Medizin von einem Schlaganfall als ein plötzliches schicksalhaftes Ereignis, deren Ursache und Auslöser unbekannt ist und das in den meisten Fällen zum Tode führt, hat sich gewandelt hin zum Bild eines Schlaganfalls, bei dem der Fokus der Mediziner auf der Frage der Lokalisation und unmittelbar ursächlichen Auslösung des Schlaganfallereignisses im Gehirn liegt. Man hat als Arzt die typischen kernspintomografischen und computertomografischen Bilder vor Augen, wenn man an einen Schlaganfall denkt und stellt sich die Frage, wodurch die Durchblutungsstörung ausgelöst wurde. Ein solcher Wandel ist abhängig von medizinischen Erkenntnissen, auch von der Entwicklung und Etablierung von Behandlungsverfahren, aber auch von den herrschenden Bedingungen im Gesundheitssystem und politischen Entscheidungen. Denn es gilt heute als anerkannt, dass die wirksamste Schlaganfallbehandlung auf einer spezialisierten Schlaganfallstation mit speziellem Aufwand und hohem Fachwissen erfolgen sollte. Die Etablierung solcher Schlaganfallstationen (Stroke Units) ist wesentlich von gesundheitspolitischen Entscheidungen abhängig. Denn sie sind kostenintensiv und müssen von der Allgemeinheit finanziert werden. Schlaganfallstationen gehören inzwischen zum Vorstellungsbild einer Schlaganfallkrankheit und deren Versorgung, und zwar nicht nur bei Medizinern, sondern auch bei der Bevölkerung. Da Schlaganfallstationen in Deutschland zwar weitgehend, aber nicht komplett flächendeckend und selbst in anderen industrialisierten Ländern teilweise nur einzeln etabliert sind, unterscheidet sich das Bild des Schlaganfalls und das der Behandlung von Region zu Region und von Land zu Land.
Aktuell kündigt sich gerade wieder eine neue Entwicklung in der Schlaganfallversorgung an, die darin besteht, dass ein Teil der Schlaganfälle mit Katheter, über die Arterie eingeführt, behandelt wird. Hier sind wieder andere Fähigkeiten und Kosten als die auf einer herkömmlichen Stroke Unit erforderlich. Es wird wieder auf eine andere Wahrnehmung des Krankheitsbildes Schlaganfall hinauslaufen.
Das Beispiel des Schlaganfalls kann auch aufzeigen, wie Krankheitskategorisierung stattfindet. Während sich früher das Krankheitsbild Schlaganfall definitionsgemäß an dem akuten, schlagartigen Ereignis mit fehlender Erholung und Funktionsbeeinträchtigung von Körperfunktionen festmachte, wird heute eine Fülle von Untergruppen des ursprünglichen Krankheitsbegriffs Schlaganfall definiert, die auch vom Bild her stark abweichen können von dem, was man ursprünglich unter Schlaganfall verstand. So gilt heute ein Ereignis mit geringen flüchtigen Störungen zum Beispiel der Oberflächenempfindung am Arm oder Bein, ohne nennenswerte Funktionseinschränkung und nur für einige Stunden anhaltend, dann als Schlaganfallereignis, wenn hierfür eine entsprechende Veränderung im Kernspintomogramm des Gehirns festgestellt wird, die als Folge einer Durchblutungsstörung identifiziert wird.
Auf das Problem der Krankheitskategorisierung wird noch näher eingegangen.
Die Entwicklung und Bedeutung eines Krankheitsbegriffes ist jeweils abhängig vom Wissen über die Krankheit und der Wirkzusammenhänge des Körpers. Sie wird auch beeinflusst von den Behandlungsmethoden und deren Wirksamkeit.
DAS BIOMEDIZINISCHE KRANKHEITSVERSTÄNDNIS
Das materialistisch-mechanistische Krankheitsbild in der Biomedizin
Wir sind es gewohnt, uns im Alltag an dem Sichtbaren und Messbaren zu orientieren. Nur das, was wir sehen und fühlen können, hat für uns eine Wirklichkeit. Nur das, was wir messen können, hilft uns in unserer Orientierung. Die Messung von Stunden, Tagen und Monaten ist für uns Orientierungsgrundlage sowohl für berufliche Aktivitäten als auch für Freizeitaktivitäten. Das Haus, den Baum, den Menschen können wir sehen, berühren und diese Dinge haben damit eine für uns unzweifelhafte Wirklichkeit und Wahrheit. Nach diesen Prinzipien haben wir die Welt verändert, Häuser, Autos, Flugzeuge und Computer gebaut - mit einer ebenso unzweifelhaften materiellen Existenz und Wirklichkeit. Wir denken, bewerten und nehmen in materialistischen Kategorien wahr. Dagegen sind für uns Kategorien wie Liebe, Glaube, Gefühle, Schmerz etwas nicht materiell Fassbares, etwas Vages und Unbestimmtes, nicht sichtbar und nicht messbar. Deshalb versuchen wir mit großen Anstrengungen, auch diese Kategorien zu materialisieren und in mess- und sichtbare Phänomene zu verwandeln, wie zum Beispiel mit testpsychologischer Messung oder mit Darstellungen von Gehirnregionen im Scanner, die jeweils in einer bestimmten Hirnregion Aktivität anzeigen, wenn Gefühle von Glauben, Liebe oder Glücksempfinden erzeugt werden.
Insofern sind uns auch Krankheiten nur über ein materialistischmechanistisches Verständnis zugängig. Hiernach ist eine Krankheit immer eine Krankheit des Körpers, die sichtbar und messbar gemacht werden muss in bestimmten Körperregionen. Dort, wo es nicht gelingt, Krankheit sichtbar und messbar zu machen, haben wir zwei Erklärungsmöglichkeiten. Die eine Erklärung ist, dass es der medizinischen Forschung noch nicht gelungen ist, die Krankheit sichtbar und messbar zu machen und dies noch aussteht (zum Beispiel bestimmte psychiatrische Erkrankungen wie Depression oder Schizophrenie). Die andere Erklärung ist, dass es sich nur um eine vorgetäuschte, simulierte Krankheit handelt. Die allermeisten Krankheiten äußern sich in einer gewissen Weise sicht- und messbar. Ein Beinbruch ist dann bestätigt, wenn sich im Röntgenbefund eine Bruchstelle am Knochen zeigt. Eine Krebserkrankung der Brust ist bestätigt, wenn sich ein tastbarer Knoten an der Brust und in der Röntgenuntersuchung der Brust typische Gewebeveränderungen zeigen. Ein Schlaganfall gilt dann als bestätigt, wenn sich typische Veränderungen im Computertomogramm oder Kernspintomogramm des Schädels abbilden. Eine Blutzuckererkrankung oder auch Bluthochdruckerkrankung ist entweder mit einem permanent erhöhten Blutzuckerwert bei Untersuchungen des Blutes oder mit permanent erhöhten Blutdruckwerten bei Messung des Blutdrucks bestätigt.
Das Ziel biomedizinischer Bemühungen ist es stets, einen Krankheitsherd oder ein Krankheitsgeschehen sicht- oder messbar zu machen. Erst damit erreicht die Krankheit eine Wirklichkeit und Existenz. Die Behandlung richtet sich dann ausschließlich oder zumindest vorrangig auf die Beeinflussung dieser sichtbaren oder messbaren krankhaften Veränderungen. Hierzu kommen ebenfalls materialistisch-mechanistische Behandlungsmethoden zum Einsatz, die entweder den Stoffwechsel oder die Reaktionsweise von Körpervorgängen durch Medikamente beeinflussen sollen oder durch Herausschneiden, Bestrahlen oder Bekämpfen mit Zellgiften den Krankheitsherd beseitigen sollen. Als Heilungserfolg gilt dann eine zumindest vorübergehende, aber möglichst dauerhafte positive Beeinflussung von den sicht- oder messbaren krankhaften Veränderungen im Sinne von Verkleinerung, Beseitigung oder Normalisierung.
Ein vergleichbares Vorgehen wird auch praktiziert bei den Krankheiten, die nicht sichtbar oder messbar gemacht werden können, wie zum Beispiel den psychiatrischen Krankheiten. Hier wird auch davon ausgegangen, dass eine gestörte Wechselwirkung von Überträgern oder Botenstoffen im Gehirn die Krankheit verursacht. Mit dem Einsatz von Medikamenten, von denen man annimmt, dass sie regulierend auf die gestörten Wechselwirkungen von Überträgern und Botenstoffen einwirken, wird ebenfalls eine positive Beeinflussung der Krankheit erreicht.
Auffällig ist, dass bei diesem Krankheitsverständnis die Symptome der Krankheit, also das, was den Kranken in seinem Wohlbefinden beeinträchtigt und ihn veranlasst um Hilfe nachzusuchen, für den biomedizinisch ausgerichteten Arzt nur als Zeichen gilt, als Wegweiser dafür, wo und wie nach dem Krankheitsherd gesucht werden soll. Hierbei geht man davon aus, dass der Krankheitsherd selbst, also das, was sicht- und messbar ist, die Symptome verursacht hat, wie zum Beispiel Schmerzen und Druckgefühl bei Brustkrebs, Lähmungserscheinungen und Gefühlsstörungen bei Schlaganfall, heftige Schmerzen im Bein bei Beinbruch oder Denk- und Wahrnehmungsstörungen bei Schizophrenie. Ist die Behandlung der Grundkrankheit erfolgreich, bessern sich meistens damit auch die Symptome oder verschwinden.
Es kommt aber nicht selten vor, dass die Symptome durch die erfolgte Behandlung nicht wesentlich beeinflusst werden können oder nur vorübergehend. Die angenommene Krankheitsursache ist erfolgreich beseitigt, aber Beschwerden bleiben. Dies ist häufig der Fall bei schmerzhaften Rücken- oder Gelenkbeschwerden, wo als deren Ursache mit Röntgenuntersuchungen zum Beispiel ein Bandscheibenvorfall oder ein Meniskusschaden festgestellt wird, deren erfolgreiche operative Beseitigung aber keinerlei Besserung bringt. Hier wäre zu vermuten, dass eine Fehldiagnose erfolgt ist und die Rückenschmerzen oder Knieschmerzen eine ganz andere Ursache haben müssen. Es gibt auch das Phänomen, dass sich nach erfolgreicher Behandlung der sicht- und messbaren krankhaften Veränderungen zwar die ursprünglichen Symptome verbessern oder verschwinden, aber dafür andere Symptome auftreten. Hier wäre zu vermuten, dass die Behandlung zu Komplikationen oder Nebenwirkungen geführt hat, die jetzt die Symptome erklären. Auch wird die Art und Intensität der Symptome von Patient zu Patient oft sehr unterschiedlich erlebt, obwohl es sich um ein und dieselbe Krankheit handelt. Ursache hierfür kann die Größe des Krankheitsherdes oder die Dauer der bestehenden Krankheit sein.
Stets sind diese genannten Ursachen und Möglichkeiten zu erwägen und sorgfältig zu überprüfen. Sie bestätigen sich auch hin und wieder. Aber ohne Berücksichtigung der Lebensbedingungen, der Wahrnehmungswelt und damit der individuellen Reaktionsweise der Patienten sind weder Nebenwirkungsprofil noch Symptomunterschiede zu verstehen.
Hier stößt das biomedizinische bzw. materialistisch-mechanistische Krankheitsverständnis an seine Grenzen und kollidiert mit der seelischen Dimension von Krankheiten, wie im Einzelnen noch weiter auszuführen ist.