Kitabı oku: «Gesammelte Werke: Romane, Erzählungen & Aufsätze», sayfa 13
»Somit guten Morgen, Gentlemen«, sagte Horse Hines und wollte gehn.
»Halt! Vergessen Sie nicht, was ich Ihnen sagte, Horse! Seien Sie nett gegen Ihren besten Geschäftsfreund!« McGuire deutete mit dem Daumen auf Coker.
Der Leichenbestatter war gekränkt.
»Ich vergesse es nie«, sagte er ernst. »Wir beide stehen in ehrenvollen Berufen. In der Stunde des Todes, wenn das sturmgerüttelte Schiff in den Hafen der Ruhe einläuft, dann sind wir die Vertrauensmänner des Allmächtigen.«
»Ei, Horse! Das nenn ich Beredsamkeit!« rief Coker.
»Alle die heiligen Riten, das Zudrücken der Augen, das Falten der Hände und das Ausrecken der Glieder, die Herrichtung des leblosen Gehäuses, das die abgeschiedne Seele zurückläßt, bedeuten einen erhabnen Auftrag. Wir, die Lebenden, sind es, die Balsam in das gebrochne, kummervolle Herz der Hinterbliebnen gießen, die die Witwe in ihrem Schmerz trösten, die die Tränen der Waisen trocknen, wir sind es, die Lebenden, die dafür sorgen, daß …«
»… diese Staaten vom Volk für das Volk durch das Volk regiert werden«, schloß McGuire ab.
»Sie haben recht, Horse«, sagte Coker. »Ich bin tief gerührt. Und was mehr ist, wir tun das alles nämlich umsonst. Ich berechne keinen Cent für die Tröstung der Witwe.«
»He, aber wie war das doch mit der Einbalsamierung der kummergebrochnen Herzen?« fragte McGuire.
»Ich sagte Balsam gießen, nicht einbalsamieren«, bemerkte Horse Hines kalt.
»Sagen Sie mal, Horse«, fragte Harry Tugman, der mit großem Interesse zugehört hatte, »haben Sie nicht diese Rede letzten Sommer auf der Tagung der Leichenbestatter gehalten?«
»Was damals wahr war, ist es auch heute«, sagte Horse Hines bitter und ging weg.
Gerade nun stoppte Dr. Ravenel seinen Hudson vor dem Postamt auf der anderen Straßenseite und kam schnell herüber, seine Handschuhe unterwegs ausziehend. Er war barhaupt; sein dünnes, aristokratisches Silberhaar war ein wenig wirr vom Wind. Seine grauen Chirurgenaugen blickten scharf durch dicke Brillengläser. Er hatte ein famoses, ruhiges, tiefgesammeltes Gesicht, glattrasiert, aschgrau, hager, in dem ab und zu die Lichter eines ernsthaften Humors spielten.
»O Jesus!« sagte Coker, »da kommt der Herr Lehrer!«
»Morgen, Hugo«, sagte Ravenel, als er eintrat, »Du bereitest Dich, scheint mir, auf die Lungenheilstätte vor, was?«
»Ei, schau her, wer da kommt!« brüllte McGuire gastfröhlich. »Dick mit dem todsichern Chirurgenblick, der literarisch gebildete Knochensäger, der Besitzer der feinsten Gallensteinsammlung der Welt! Wann bist Du zurückgekommen, mein Sohn?«
»Gerade rechtzeitig, wie mir scheint«, sagte Ravenel, die Zigarette blitzsauber zwischen den langen Chirurgenfingern. Er sah auf die Uhr. »Ich glaube, Du hast in einer halben Stunde 'ne kleine Verabredung in Ravenels Klinik, Hugo. Stimmt's?«
»Bei Gott! Dick«, grölte McGuire, »Du bist doch immer im Recht! Sag mal, was hast Du den Leuten auf dem Chirurgentag erzählt?«
Ravenels Zuneigung war eine Blume, die hinter der Mauer wächst.
»Ich hab erzählt, der beste Chirurg in Amerika, wenn er nüchtern ist, sei ein lausiger Säufer namens McGuire, der nie aus dem Rausch raus kommt.«
»Halt! Halt! Halt!« rief McGuire und hob protestierend die feiste Rechte. »Ich erhebe Einspruch, Dick. Das war gutgemeint, mein Sohn, aber Du hast geirrt. Du wolltest sagen, ›der beste Chirurg, wenn er nicht nüchtern ist‹. Stimmt's?«
»Haben Sie ein Referat dort gehalten?« wandte sich Coker an Ravenel.
»Ja«, sagte Ravenel, »ich las meine Abhandlung über Carcinome an der Leber.«
»Wie wär's mit einem Bericht über Pyorrhoea an den Zehennägeln?« schrie McGuire. »Da könntest Du Dich mal drüber äußern.«
Harry Tugman, ohne zu wissen worüber, lachte hell auf. McGuire rülpste laut in die Stille, döste einen Augenblick vor sich hin. Er kam wieder zu sich und legte gewichtig los.
»Literatur! Alles Literatur, Dick! Das hat schon manchen guten Chirurgen ruiniert. Du liest zuviel, Dick. Und Cassius dort hat einen hagern Hungerblick. Du weißt zuviel, Dick. Der Buchstabe tötet den Geist, kannst Du mir glauben. Hast Du jemals bemerkt, daß ich was rausnehme und es nicht wieder einsetze? Jedenfalls, ich laß den Leuten was zum Funktionieren übrig. Ich bin kein Gelehrter, die Vorzüge Deiner Bildung habe ich nicht genossen, Dick. Ich bin ein Menschenmetzger, ein Zimmermann, ein Mechaniker, ein Installateur. Ich bin ein ungeschliffener Diamant, Dick. Ein einfacher Praktiker. Ich schneid dem Patienten das Getriebe raus, spuck 'mal drauf, kratz' die Dreckränder ab und setz' das Zeug dann wieder ein. Ich bin sparsam, Dick. Ich schneid' alles, was ich nicht brauchen kann, raus und brauche alles, was ich rausgeschnitten habe. Wer hat dem Papst 'nen Schwanzwirbel aus 'nem Fingerknöchel gemacht? Wer hat die Dogge zum Heulen gebracht? Ha, hast Du's ja, deswegen sieht der Gouverneur so jung aus. Natürlich, wir sind mit zweckloser Maschinerie angefüllt! Tüchtigkeit! Ökonomie! Leistung! Hast Du die Heinzelmännchen im Haus? Nein? Dann geh und kauf Dir Putzpulver, Marke Goldstaubzwilling! Frag nur den Ben da, der kennt sich aus.«
»Ach Du mein Gott«, lachte Ben dünn, »nun hör Dir das an, bitte.«
Zwei Häuser weiter aufwärts, dem Postamt gerade gegenüber, zog der Sizilianer Pietro Mascari den Rolladen vor seinem Geschäft rasselnd in die Höhe. Eine Tram, spielzeuggrün, zum Frühjahr frisch angestrichen, fuhr zum Stadtplatz hinauf.
»Dick!« sagte McGuire, etwas ernüchtert, »tu mir 'nen Gefallen und übernimm die Operation.«
Ravenel schüttelte den Kopf.
»Ich werde dabeistehn«, sagte er, »aber – nüchtern oder nicht – Du mußt schneiden.«
»Du sollst 'ner Frau 'nen Tumor wegschneiden, was?« fragte Coker.
»Nein«, sagte Ravenel, »er soll vom Tumor die Frau wegschneiden.«
»Ich wette, das Ding ist fuffzig Pfund schwer«, bemerkte McGuire mit plötzlich erwecktem Sachinteresse.
Ravenel zuckte fast unmerklich zusammen. Ein frischer, kühler Luftzug fuhr in den Raum. McGuire zog die breiten Schultern hoch, als wäre ihm ein Eimer kaltes Wasser übergeschüttet worden. Er schien aufzuwachen.
»Ich möcht ein Bad nehmen«, sagte er zu Ravenel. »Und rasieren muß ich mich.« Er rieb sich das bartstopplige Kinn.
»Mein Zimmer drüben im Hotel steht zu Deiner Verfügung, Hugo«, sagte Spaugh. Er musterte Ravenel mit bewundernden Blicken.
»Ich benutze das Bad in der Klinik«, entschied McGuire.
»Allerhöchste Zeit«, sagte Ravenel scharf. »Machen wir, daß wir fortkommen.«
»Hast Du gesehn, wie Pelly in Baltimore am John-Hopkins-Institute diese Operation ausführte?« fragte McGuire.
»Ja«, sagte Ravenel. »Er betete erst sehr lange, um seinen Ellenbogen Kraft zu geben. Der Patient starb.«
»Verflixte Beterei«, sagte McGuire. »Bei dieser Frau da hilft so was ohnehin nicht. Gestern abend hat sie mich ein gemeines, stinkversoffnes Schnapsluder geheißen. Wenn sie noch in dieser Laune ist, dann kommt sie durch.«
»Die Weiber hier aus den Bergen vertragen allerhand, bis sie verrecken«, bemerkte Spaugh weise.
McGuire wandte sich an Coker: »Kommst Du mit?«
»Danke, nein! Ich geh pennen. Das alte Mädchen brauchte höllisch lang zum Abkratzen. Ich glaubte schon, sie käme nicht zu End damit.«
Sie brachen auf. McGuire schien nun wieder ziemlich betrunken.
»Ben«, sagte er, »erzähl Deinem Alten, daß ich ihm die Knochen im Leib kaputt schlag', wenn er nicht dafür sorgt, daß Helene mehr Ruhe hat. Er hält sich nüchtern, was?«
»Wie soll ich das wissen, McGuire«, antwortete Ben gereizt. »Glauben Sie, ich hätte sonst nichts zu tun, als mich um Ihre Säuferpatienten zu scheren.«
»Helene is' 'n großartig's Mädchen, mein Junge«, sagte McGuire gefühlvoll. »Eine unter einer Million!«
»Hugo!! Zum Teufel! Komm jetzt!« rief Ravenel.
Die vier Ärzte traten hinaus ins perlmutterne Licht. Wiedergeboren, frischgewaschen, rein aus dem fliederfarbnen Dunkel enttaucht, lag die Stadt da. Jung im Frühling die Welt.
McGuire schob über die Straße zu Ravenels Auto und plumpste schwer ins Lederpolster. Jeff Spaugh fuhr mit spuckendem Motor und einer kavaliermäßigen Handbewegung ab.
Harry Tugmans Blicke folgten bewundernd McGuires vierschrötiger Gestalt.
»Ich wette«, sagte er großsprecherisch, »daß es mit dieser verdammten Operation schief geht.«
»Bewahre!« sagte der ergebne Barkellner. »Ganz und gar nicht! Wenn er nicht mindestens ein Viertel Whisky im Leib hat, kann er nicht arbeiten. Aber gießen Sie ihm ein paar tüchtige Drinks hinter die Binde, und er schneidet Ihnen den Kopf ab und setzt ihn wieder kunstgerecht an, ehe Sie's gewahr werden.«
Als Jeff Spaugh davonratterte, bemerkte Harry Tugman neidisch: »Schau Dir den Bastard an, Ben! Mister Vanderbilt, was? Bildet sich wer weiß was ein, der klobige Stier! Glaubst Du wirklich, daß er bei den Hilliards auf dem Ball war?«
»Woher soll ich das wissen?« sagte Ben gereizt. »Geht es mich was an?«
»Na, es wird ja morgen unter Gesellschaftsnachrichten in unserm Blättchen stehn«, sagte Harry Tugman. Er improvisierte eine zotige Reportage über einen Ball in guter Gesellschaft. Der Barkellner platzte laut heraus. Ben lachte lautlos, gähnte. Müde, gelangweilt, angewidert. »Ach Du mein Gott!«
Die ersten, reinen jungfräulichen Sonnenstrahlen fielen auf die Straße. In diesem Augenblick erwachte Gant.
Angenehm, der durch die gelben Fensterblenden gedämpfte Golddämmer. Das helle, flötende, zirpende, zwitschernde Vogelleben im Garten. Er blieb ein Weilchen auf dem Rücken liegen, gähnte abgrundtief, kraulte sich mit der Rechten die dichtbehaarte Brust.
Das erregende Gluckergackeln der Hennen. Komm und hol's Ei! Die ganze Nacht hindurch für Dich, Herr und Meister. Wie Stimmen üppiger, sich unter Sträuben wollüstig hingebender Jüdinnen. Tu's, tu's nicht! Brich ein Ei in sie!
Ausgeschlafen, ausgereckt, wach, den warmen Schwall des Federbetts auf den hagern Beinen, horchte er auf das einladende Gahlern der Hennen.
Aus warmem Sand, das Gefieder schüttelnd, taumelten sie in die Höhe. Für mich. Für mich auch die Erde mit der Rebe. Die feuchte neue Erde, wie angeschnittener Schweinebraten vom Pflug zerlegt, wie Wasser in der Kielspur eines Schiffs zerteilt. Und die sauber mit dem Spaten umgegrabne, gerollte, schwammige Erde des Deckrasens. Und die vorsichtig mit der Hacke gelockerte Erde um die Wurzeln des Kirschbaums. Die Erde empfängt meinen Samen. Für mich die großen Salathäupter, aufgeschwemmt, vollsaftig, wie schwere Weiber. Und der Weinstock, zäh und verknorpelt im Holz. Im August wird er schwere Trauben tragen. Wie der Saft da hineinkommt? Wie Milch in die Brüste, wie Blut durch Adern. So werden sie prall und üppig.
Die ganze Nacht Blütenfall. Bald gibt's helle Herzkirschen. Ende Mai Frühapfel. Isaacs' Juniäpfel hängen halb in meinen Garten herüber. Grüne Apfelschnitzen in Speck gebraten, herrlich!
Mit scharfem, gewetztem Durst dachte er ans Frühstück. Er warf das Oberbett glatt zurück, schwang den Leib in Sitzstellung auf den Bettrand, setzte seine etwas schwindsüchtigen Füße auf den Boden. Vorsichtig stand er auf, ging zu dem lederüberzogenen Armstuhl und zog ein paar reine, weiße Socken an. Dann streifte er das Nachthemd über den Kopf und betrachtete einen Augenblick im Spiegel über der Kommode die große, knochige Gestalt, die langen, sehnigen Arme, die hagere, haarige Brust. Der Bauch hing schlaff. Dann fuhr er flink mit den fahlen schlotternden Waden in die Trikothemdhose, weitete das elastische Gewebe durch eine Dehnung des Brustkastens, knöpfte die lange Knopfreihe zu. Dann stieg er in die plastisch-weiträumige, schwere Tuchhose, zog die weichledernen Zugstiefel an. Während er sich die Strippe der Hosenträger über die Schultern legte, ging er in die Küche. In drei Minuten hatte er mit Petroleum und Kienspänen ein lustiges Feuer im Herde brennen. Regsam, lebendig, frisch, so nahm er an der Wachheit des Frühlingsmorgens teil.
Hinter einer schmalen Bresche im Bergwall liegt in einem fruchtbaren, taureichen Tälchen das Gut Lunns Cove. Dort war in dem von Walnußmöbeln gedämpften Dämmer seines Schlafgemachs Judge Webster Tayloe erwacht, der prominente, äußerst wohlhabende, vornehme Mann. Er war Syndikus großer Handelsfirmen, lebte aber von Geschäften zurückgezogen, gab nur noch gelegentlich Konsultation. Er trat ans Fenster und blickte durch die schwarzen Gläser der Brille, die sein langes, subtiles, hochmütiges Gesicht noch aristokratischer machte, auf sein Besitztum hinaus. Einer der schwarzen Knechte kam mit einem Eimer Milch von der Weide; ein anderer wetzte seine Sense, so daß das Blatt in der Sonne blitzte; ein dritter zog langsam, seinen verständigeren Arbeitsgefährten, das Pferd, ermahnend, ein leichtes Gefährt aus dem Wagenschuppen.
Wohlgefällig betrachtete der Gutsherr seinen jungen Sohn, den Mulatten, der mit katzenhaften, träg-geschwinden Bewegungen über den Rasen kam. Der graziöse, elegante Gang des Knaben! Der schlanke, wohlproportionierte, kräftige Leib! Die feinknochigen Glieder! Der wohlgeformte, intelligente Kopf! Die zehrend schwarzen Augen in dem sensitiven, ovalen Gesicht! Der schöne Kupfer-Oliven-Ton der Haut! Der Junge war wie ein Spanier von Hochadel. Quod potui perfeci. Dank solcher Fusion vielleicht sind Menschen imstand, Menschen zu lieben.
Im Flußschilf die Schalmeien! Der Tempel der Musen! Der heilige Hain! Das soll wieder kommen. Warum nicht? Ganz wie in diesem Tal. Auch ich hab in Arkadien gelebt.
Er nahm einen Augenblick die Gläser ab und untersuchte sein linkes Auge. Er litt an einer Lidlähmung. Es sah ans, als hätte er den bösen Blick, besonders da auf der Wange direkt unterm Auge eine häßliche, harlekineske Warze saß. Er setzte die schwarzen Gläser wieder auf. Es war, als ob er eine Halblarve trüge, und es gab seinem subtilen, sinnlichen, unruhig-intelligenten Gesicht einen Zug mysteriöser Unerforschlichkeit.
Sein schwarzer Kammerdiener erschien und meldete, das Bad sei fertig. Er streifte das lange, feingewebte Nachthemd von seinem gepflegten Leib und stieg entschlossen in das lauwarme Wasser. Zehn Minuten lang ließ er sich mit dem Schwamm abwaschen, mit der Bürste schruppen, auf dem Massiertisch von den kräftigen Händen des Negers durchkneten. Dann zog er frische Wäsche und frischgebügelte schwarze Beinkleider an. Nachlässig band er eine schmale schwarze Schleife unter den breiten Umlegkragen und knöpfte um seine hohe gerade Gestalt den Gehrock, dessen Schöße bis zu den Knien reichten. Er nahm eine Zigarette aus dem Kasten auf dem Tisch und zündete sie an.
In der Fahrbahn schlenkernd, durch die Büsche blitzend, kam mit blechernem Geklapper ein Ford die gewundne Straße vom Bergsattel herunter. Zwei Männer saßen darin. Das Gesicht des Gutsherrn wurde hart. Es entspannte sich erst, als das Auto in einer Staubwolke an dem Außengatter seines Besitztums vorbeigefahren war. Ungenau sah er die roten Schweinsgesichter der Gebirgler; seine Phantasie ergänzte das Bild mit schweißstinkenden Arbeitskleidern aus Rippelsamt. Und in der Stadt wohnten die Vettern dieser Burschen. Häuser aus Backstein und Stuck, die weißen Ekzeme der Vorstadt. Confederierte Half-Breeds aller Länder.
In mein Tal nun mit Rasenmähern! Englischen Rasen vor den Häusern! Er drückte seine Zigarette in der Aschenschale aus. Am Fenster stehend überflog er im Geist die Zahl der Pferde, Esel, Rinder, Schweine, Hühner, die aufgespeicherte Fülle der großen Scheunen, den feisten Ertrag der Felder und Baumstücke. Ein schwarzer Knecht kam aufs Haus zu, in der einen Hand einen Korb mit Eiern, in der anderen einen mit Butter. Auf jedem Butterwecken war das Gutszeichen, eine Weizengarbe, gepreßt, jeder Wecken war lose in reines, weißes Leinen gewickelt. Der Gutsherr lächelte grimmig; im Belagerungsfall würde er sich lange halten können.
In Dixieland lag Eliza tief im Schlaf in einer kleinen dunklen Kammer, deren Fenster nur über die Küchenveranda Licht empfing. Das Gelaß war wie eine Wildnis mit dem Schlingkraut von Kordeln und Schnüren verhängt; Stöße von alten Zeitungen und Zeitschriften waren in die Ecken geschichtet; die Bretter der Gestelle waren mit klebrigen, etikettierten, halbleeren Arzneiflaschen und Salbentöpfen vollgestellt. Es roch nach Menthol, Lorbeeröl, süßem Glyzerin, Schnupfensalbe.
Die schwarze Zugeherin kam an, ging ums Haus, stieg träg die steile Hintertreppe neben der hochgepfropften Küchenveranda hinauf. Sie klopfte.
»Wer ist da?« rief Eliza scharf. Sie war sofort wach, stand auf, kam zur Tür. Sie trug ein Nachthemd aus grauem Flanell über einer dicken wollnen, von Ben abgelegten Unterjacke. Wie ein seltenes Meermoos unter Wasser baumelte die Halsstrippe am Nachthemd. Sie öffnete die Tür.
Im ersten Stock, in dem kleinen Vorderzimmer mit der Schlafaltane, schlief Miss Billie Edwards, die kühne, herrische Löwenbändigerin des Wanderzirkus »Johnny L. Jones Combined Shows«, der zur Zeit auf dem Platz am Hügel hinter der Plum-Street-Schule Vorstellungen gab. Nebenan in dem großen luftigen Eckzimmer lag in tiefem, alkoholischem Schlummer Mistress Marie Pert, 41 Jahre alt, Gattin eines meist abwesenden Handlungsreisenden der Drogeriebranche. Auf dem Kaminsims standen in Silberrahmen zwei Photos, eine von ihrer abwesenden 18jährigen Tochter Louise, die andre von Benjamin Gant. Ben lag vor dem Haus im Gras, die Ellenbogen aufgestützt, und trug einen breitkrempigen Strohhut, der sein Gesicht bis zum Mund beschattete. Außerdem waren in ihren Zimmern: – Mister Conway Richards, der die Candy-Wheel-Konzession beim Wanderzirkus hatte, – Miss Lilv Mangum, 26 Jahre alt, approbierte Krankenschwester, – Mister William H. Paskett, 53 Jahre alt, aus Hattiesburg im Staate Mississippi, Baumwollpflanzer, Bankier und Großhändler, malariakrank – samt seiner Gemahlin –. Und in dem großen Zimmer im Obergeschoß Miss Annie Mitchel, 19 Jahre alt, aus Valdosta im Staat Georgia, – Miss Thelma Cheshire, 21 Jahre alt, aus Florence in Süd-Carolina, – und Mistress Rosa Lewin, 28 Jahre alt, aus Chicago, Illinois, –: alle drei Mitglieder der Girltruppe »Molasses Evans and his Broadway Beauties«, die eine Agentur in Piedmont aus Atlanta (Georgia) nach Altamont gebracht hatte.
»Ei Kinder! Der Herzog von Gorgonzola und der Graf Limburger kommen zur Vorstellung! Die müssen amüsiert werden!«
»Kannst Du Dich drauf verlassen!«
»Gebt auf den Kleinen mit dem großen Geldbeutel acht!«
»Kannst Du Gift drauf nehmen, Hurra!«
»Wir sind die Girls, wir haben Spaß,
Mit Reizen nicht geizend, denn wir haben so was,
Wir sind fesch, wir sind nett,
Vergnügt und adrett,
Und wir singen und ta-ta-tanzen …«
Hinter einem mit Plakaten verpappten Bretterzaun an der Upper Valley Street, gegenüber dem Gebäude des Christlichen Vereins Junger Männer für Farbige, im überfüllten Geschäfts- und Vergnügungszentrum von Altamonts Negerviertel, da lag Moses Andrews, 26 Jahre alt, Neger, und schlief den letzten, großen Schlaf der Weißen und Schwarzen. Seine Taschen waren nun leer. Am Abend waren sie noch voll gewesen, voll von dem Geld, das der Pfandverleiher Saul Stein dem Moses für einige Gegenstände gegeben hatte, die dieser im Haus des Rechtsanwalts Mister George Rollins gestohlen hatte, nämlich: eine Golduhr, 18 Karat, Marke Waltham, mit schwerer Goldkette; den Diamant-Verlobungsring der Mistress Rollins; drei Paar feine Seidenflorstrümpfe und zwei Herrenunterhosen. Eine halbleere Flasche Whisky, Marke »Cloverleaf Bonde Kentucky Rye«, mit der sich Moses hinter den Bretterzaun zurückgezogen hatte, lag unberührt in der entspannten Hand. Die breite schwarze Gurgel klaffte, von Ohr zu Ohr geschlitzt. Jefferson Flack, Moses' verhaßter und hassender Nebenbuhler, 28 Jahre alt, Neger, hatte mit dem Rasiermesser saubere Arbeit gemacht. Er lag nun friedlich, unverdächtigt, unverfolgt bei Molly Fiske, ihrer gemeinsamen Geliebten, in deren Appartement an der East Pine Street. Moses war im Mondschein ermordet worden.
Eine halbverhungerte Katze strich lautlos den Bretterzaun entlang. Als die Glocke vom Amtsgericht sechs harte Schläge dröhnte, trappten acht Negerarbeiter vorbei, die Hosenböden ihrer Arbeitsanzüge steif von verhärtetem Zement. Jeder trug sein Mittagessen in einem zinnernen Träger. Die acht Mann marschierten in geschloßner Keilformation, wie ein sechzehnbeiniges Tier.
Mittlerweile vollzogen sich gleichzeitig folgende Ereignisse in der Nachbarschaft: –
Dr. H. M. McRae, 58 Jahre alt, aus Schottland gebürtig, Pfarrer der First Presbyterian Church, wusch seinen flechsigen Leib, kleidete sich an mit Stärkhemd und schwarzem Tuchanzug, rasierte sein hageres, sauberes, nicht alterndes Gesicht und verließ das Schlafzimmer seiner Wohnung in der Cumberland Avenue, um sein Frühstück, bestehend aus Haferbrei, trocknem Toast und gekochter Milch, einzunehmen. Sein Herz war rein, sein Sinn aufrecht, sein Glaube und sein Leben waren wie ein mit Bimsstein blankgescheuerter Tisch. Er betete ohne Anmaßung, er betete dreißig Minuten lang, er betete für das Heil aller Menschen und für den Erfolg aller guten Unternehmungen. Er war eine weiße, unauslöschliche Flamme, die von Liebe über den Tod hinaus leuchtet. Was er sprach, klang von steter Inbrunst, wie Stahl auf Stahl.
Im Dampfbad von Dr. Frank Engels Sanatorium an der Liberty Street sank Mr. J. H. Brown, der reiche Sportsmann und Verleger des »Altamont Citizen«, in traumlosen Schlaf. Er war fünf Minuten im Dampf und zehn Minuten in der Badewanne gewesen und hatte sich eine halbe Stunde lang im Trockenraum der fachmännischen Osteopathie des beliebten »Colonel Andrews« (so hieß Dr. Engels trefflicher Negermasseur) von den Sohlen seiner gichtischen Füße bis zu dem ädrigen Seidenglanz seines leicht blauroten Gesichts unterzogen.
Schräg gegenüber, im »Altamont City Club«, Ecke der Liberty Street und der Federal Avenue, sammelte ein verschlafner Neger in weißer Dienerjacke die verstreuten Spielmarken auf dem Tisch ein und verstaute sie säulenweis sortiert in Schachteln. Zu der Pokerpartie, die vor nicht ganz einer Stunde beendet wurde, hatten unter anderen Mister Henry Pentland junior und der vorerwähnte Mister J. H. Brown gehört.
Beim Verlassen der Frühstücksstube sprach Harry Tugman zu Ben: »Herrje, ich dachte, mir platzt 'ne Ader, als ich las, daß sie den Alten dort im Klosett aufgestöbert haben! Nachdem er andauernd in seiner blöden Zeitung druckte, die Stadt müsse von Lasterhöhlen gesäubert werden.«
Ben meinte: »Mich sollte es nicht wundern, wenn Judge Sevier eine Haussuchung bei ihm abhielte.«
Harry Tugman wurde ungeduldig: »Aber gewiß, das muß er doch! Übrigens, ich wette, daß ›Queen Elizabeth‹, die Puffmutter, hinter der Sache steckt. Sie weiß und erfährt alles und läßt sich so 'ne Konkurrenz nicht bieten. Der Alte hat schon seit 'ner Woche den Mund nicht aufgemacht, kaum daß er sich traut, den Kopf aus dem Büro zu strecken.«
In der Klosterschule der Heiligen Katharina an der Sankt Clements Road ging Schwester Theresa, die Mutter-Vorsteherin, behutsam durch den Schlafsaal und ließ neben jedem Bett die Fensterblende in die Höhe. Der Duft der Apfel- und Kirschblüte wehte sanft und kühl herein über die Reihe der schlafenden Rosenfräulein. Der Atem flog leis von den tauigen, halboffnen Mündern; rosiges Licht fiel auf die kissengestützten Armbeugen, die schmalen jungen Hüften, die krausen Nelkenknospen der Brüste. Am äußersten Ende des Saals lag ein dickes Mädchen, alle viere von sich gestreckt und schnarchte laut durch die bibbernden Lippen.
Erst in einer Stunde wird geweckt.
Von einem der kleinen weißen Tischchen zwischen den Bettstellen nahm Schwester Theresa ein Buch, das unvorsichtigerweise am Abend dort liegen geblieben war. Sie schlug es auf und las den Titel: The Common Law by Robert W Chambers. Unter dem grauen Bartanflug, über das ganze, große und grobknochige Gesicht huschte ein stilles, inniges Lächeln. Schnell nahm sie einen Bleistift in die knochige, erdfleckige Hand und kritzelte mit ihrer zackigen, männlichen Handschrift aufs Vorsatzblatt: »Schund, mein Kind! Lies es, damit Du es selbst merkst.«
Dann ging sie still, vollfüßigen Schritts ins Erdgeschoß hinunter, wo sie in ihrem Arbeitszimmer von Schwester Louise (Französisch), Schwester Berenice (Geschichte) und Schwester Mary (Alte Sprachen) zur Morgenbesprechung erwartet wurde. Als die Lehrerinnen gegangen waren, setzte sie sich an den Schreibtisch und arbeitete eine Stunde am Manuskript jenes Buches, das, bescheidnerweise als »Leitfaden für Höhere Schulen« bezeichnet, später ihren Namen überall, wo die edle Architektur der Prosa gewürdigt wird, berühmt gemacht hat: der großen »Biology«.
Es gongte im Schlafsaal, sie hörte das hohe, helle Lachen der jungen Mädchen. Sie erhob sich und sah durchs Fenster. Eine junge Nonne, Schwester Agnes, den Arm voll Pflaumenblüten, kam durch den Garten.
Drunten im Baumversteck, auf der Sohle des Biltburn-Tals, donnerte ein Zug auf den Schienen mit einem langgezognen, schrillen Pfiff.
Die Marktstände im Untergeschoß des Stadthauses wurden aufgemacht. Metzger in gestreiften Schürzen schwangen Hackbeile auf kaltes Frischfleisch, schmissen dicke Koteletts auf marmoriertes Fettpapier, schoben rascheingeschlagne Bündel den wartenden schwarzen Lieferjungen zu.
Der rassenbewußte Neger J. H. Jackson stand in seiner viereckigen Gemüseauslage. Seine zwei ernsten Söhne und seine bebrillte geschäftsmäßige Tochter halfen bedienen. Auf den Brettergestellen lagen, noch nach Morgenerde riechend, große krause Endivien, dicke Rettiche, noch Humusklümpchen an den zarten Wurzeln, quirlstielige junge Zwiebeln, frisch aus dem Beet gezupft, Spätsellerie und Frühkartoffeln, dünnrindige Citrusfrüchte aus Florida.
Am Stand nebenan verkaufte Sorrell Fische und Austern. Mit dem Schöpflöffel holte er aus der Tiefe einer in Eis gepackten Emailkanne Ladungen von Austern heraus und leerte sie in dicke Pappschachteln. Auf Eisbrocken gebettet, die ausgeweideten Bäuche weit geschlitzt, lagen Karpfen, Alsen, Forellen, Barsche.
Mister Michael Walter Creech, Metzgermeister, hatte sein Frühstück – Kalbsleber, Speck-und-Eier, heiße Biskuits und Kaffee – beendet. Er gab einem aus der Reihe der schwarzen Lieferjungen ein Zeichen. Die ganze Reihe sprang vorwärts wie eine Meute. Mit gehobnem Hackbeil und einem Fluch jagte er sie zurück. Der Glückliche, den er begünstigt hatte, kam nun und nahm das Auftragbrett mit den üppigen Überresten der Mahlzeit und einer halbvollen Kanne Kaffee. Da er gerade auf Lieferfahrt wegmußte, stellte er das Brett auf das Sägmehl am Ende der Schlächterbank, spuckte Speise und Trank ausgiebigst an, um sie vor dem Heißhunger seiner Kameraden zu bewahren, und fuhr laut und triumphierend lachend auf dem Fahrrad davon. Mister Creech blickte seine Nigger finster an.
Die Stadt hatte Mister Creechs afrikanisches Blut – ein Achtel seitens seiner väterlichen Großmutter »Yellow Jenny«, der Mulattin – so weit vergessen, daß sie bereit war, ihm einen politischen Posten einzuräumen. Aber Mister Creech selber vergaß es eben nie. Er schoß seinem Bruder Jay einen bittern Seitenblick zu. Jay, glückselig unwissend, daß des Hasses Ätzgift selbst eines Bruders Herz verzehren könne, stand vor seinem muldigen Holzblock, hackte begeistert Speerrippchen aus und sang dazu in seinem vollen Tenor das Lied vom »kleinen grauen Vaterhaus im Westen«:
»… wo blaue Augen blinken,
wenn sie den meinen winken …«
Giftig blickte Mister Creech auf Jays gelbe Backen, auf das fettige Muskelgeschlabber der gelblichen Kehle, das versengte, krallige Haar. Bei Gott, dachte er in seiner Herzensnot, man könnte ihn für einen Mexikaner halten.
Jays goldene Stimme erreichte ihren Glanzpunkt. Mit delikater Zurückhaltung ging sie bei der letzten Note in ein hohes süßes Falsett über. Er hielt den Ton länger als zwanzig Sekunden. Alle Metzger ringsum hielten mit der Arbeit inne. Manche von ihnen, große stattliche Männer mit erwachsnen Kindern, wischten sich geschwind eine Träne aus dem Augenwinkel.
Die gesamte Zuhörerschaft ist restlos begeistert. Keine Seele rührt sich. Nicht einmal ein Hund oder ein Pferd wagt sich zu rühren. Als der letzte holde Ton in ein sommerfadenfeines Tremolo zerschmolz, trat jene tiefe Grabesstille, nein!, jene tiefe, tiefe Todesstille tritt ein, die den höchsten Triumph, den ein Künstler hienieden erreichen kann, darstellt. Irgendwo in der Menge seufzt eine Frau auf und sinkt ohnmächtig um. Unverzüglich tragen zwei gerade anwesende Boys Scouts sie davon und leisten ihr auf der Damentoilette erste Hilfe: der eine zündet ein muntres Feuerchen aus Fichtenreisig an, indem er zwei Feuersteine aneinanderschlägt; der andre aber macht aus einem zusammengeknüpften Taschentuch eine Aderpresse. Nun jedoch bricht ein Höllenlärm los. Damen reißen sich die Ringe von den Fingern, die Perlenketten vom Hals, reißen sich Chrysanthemen, Hyazinthen, Tulpen und Gänseblümchen von den kostbaren Büsten, während hochmodisch gekleidete Herren aus den Logen und Rängen ein Dauerbombardement von Tomaten, Salathäuptern, Eiern, Kartoffeln, Ochsentalg, Schweinsknöcheln, Fischköpfen, Seemuscheln, Koteletts und Würstchen unterhalten.
Zwischen den Marktständen wandelten, spähäugig und spürnasig, die Boardinghouse-Keepers von Altamont hin und her. Ob dick oder dünn, ob jung oder alt, die Lippen dieser Damen waren kampfbereit. Der Wille, billig einzukaufen und um alles zu feilschen, stand in ihren Mienen. Sie beäugten die Fische, sie betasteten die Gemüse, die petzten die Kohlköpfe, wogen die Zwiebelbündel in der Hand, öffneten Salathäupter. Man muß die Augen offen halten, oder die Leute ziehen einem die Haut ab. Und auf die faulen, nichtsnutzigen Niggerköchinnen ist gar kein Verlaß; die schmeißen mehr weg, als sie kochen. Mit harten Blicken sahen diese Damen einander ins Gesicht: Mistress Barett vom »Großvenor« der Mistress Neville vom »Glenview«, Mistress Ambler vom »Colonial« der Miss Mamie Featherstone vom »Ravencrest«, Mistress Ledbetter vom »Belvedere« – –
»Ach, Mistress Coleman, ich höre, daß Sie volles Haus haben?« sagte sie fragend.
»Ja, die ganze Zeit schon«, bestätigte Mistress Coleman. »Alles Dauergäste. Mit Touristen gebe ich mich gar nicht ab«, fügte sie hochmütig hinzu.
»Ach, mit Lungenkranken, die sich für gesund ausgeben«, entgegnete Mistress Ledbetter bissig, »könnte ich jederzeit volles Haus haben. Ich nehme sie einfach nicht. Erst neulich sagte ich …« – –