Kitabı oku: «Wer bleibt Millionär?», sayfa 4
»Wie kommen die auf so was? Gewissermaßen quasi …« Smith unterbrach sofort: »Okay, please. Zwischen den USA und Deutschland gibt es einen big globalen Unterschied. Begreifen Sie das und Sie werden uns verstehen. Okay, please. Die Deutschen debattieren unablässig über den Weg zum Ziel. Aber nicht der Weg ist entscheidend, Mister Secretary, sondern ausschließlich das Ergebnis. Wenn die CIA ein Vorschulkind rekrutiert, dann erfährt es zuallererst von T.A.R.O.A. – target and result oriented actions. Die CIA stopft unzählige Informationen, die Leute wie ich beschafft haben, in ein unglaublich kompliziertes System aus Individuen und computing power. Billions – in Deutsch Milliarden – Vorgänge werden in no time abgefragt und verglichen. Okay, please. Und at the very end sagt eine nice computergenerierte Stimme: ›A very wealthy offender from the media industry‹. Kein Amerikaner würde jemals hinterfragen, warum sie das sagt, oder das Resultat in Frage stellen. Stattdessen wird man jeden freien Mann mobilisieren, um einen wohlhabenden Typ aus der Medienbranche zu finden, der Ihre fucking Millionäre entführt haben könnte. Ein ›Why?‹ hält uns lediglich davon ab, das Ziel zu erreichen. Merken Sie sich: T.A.R.O.A. Wenn erst die NATO Russland von der Ukraine her eingekesselt hat, werden Sie dann tatsächlich fragen: How could that happen? Uh, wie es dazu kam? Oder freuen Sie sich einfach darüber? – Okay, please. Betrachten Sie meine Ausführungen als training free of charge.«
»Blöd nur, wenn das Ziel verfehlt wird. Blöd nur, wenn aus dem kleinen Problem Irak das große Problem IS wird, blöd nur, wenn man die Taliban bewaffnet und sie dann zum Feind …«
»Okay, please. Nicht immer in der open Wunde herumstechen. Reden wir today etwa noch über Vietnam, Hiroshima oder Kuba? Das Diskutieren über small disasters und old Bagatellen bringt Ihre Millionäre nicht zurück. But maybe …« Seine Finger wirbelten über das Multi-Touch-Keyboard. »… okay, please. Look closely! Die Rückverfolgung der Signale, ein Abgleich mit sichergestellten Verbindungen, all das führt zu einem NAP – Sie wissen, Network Access Point …«
»Internetknotenpunkt?«
»…with the name KINX. Korean Internet Neutral eXchange. Dieser Network Access Point befindet sich in Seoul.«
Gellert schüttelte den Kopf. »Was denn, in Südkorea?«
»Okay, you got it! Doch leider verlieren sich dort die Spuren. Unsere Experten in Seoul können nicht helfen. Das heißt für Sie, Mister Secretary, ich erspare Ihrem Land mit dieser Auskunft Zeit und Geld, denn Sie müssen an dieser Stelle nichts aufklären.« Erneut zeigte er die Zähne, ein Gebiss, das selbst für ein Pferd zu groß gewesen wäre. »Okay, please. Ich will Sie nicht halten auf. Sie haben wahrscheinlich genügend work.« Matt Smith sprang von seinem Stuhl auf und überragte Gellert plötzlich enorm. Eine gewaltige Pranke tauchte im Luftraum unmittelbar vor der Nase des Innenministers auf.
Gellert erhob sich ebenfalls, den Blick auf Smiths ausgestreckte Hand gerichtet.
»Wir sollten uns ergänzen, Mister Secretary, a practical alliance. Okay?« Smith wartete darauf, dass Gellert endlich einschlagen würde.
Einen Moment lang zögerte der Innenminister. Dann drückte er die amerikanische Hand, welche die seinige dabei fast zerquetschte.
Nur Sekunden später, als sich Gellert, die rechte Hand reibend, auf dem Weg zu dem ihm zustehenden Arbeitsplatz befand und durchatmen wollte, stand Olaf Fahlzner, der BND-Chef, grinsend hinter ihm und flüsterte: »Na, auch einen Pakt mit dem Teufel geschlossen wie unsere First Lady?«
Gellert drehte sich behäbig um. »Keine Angst. Ich verkaufe meine Seele nicht. Im Gegensatz zu manch anderem.«
Er winkte den rastlos durch das Lagezentrum rennenden Schönling Hasso Kohl zu sich. Als dieser keuchend vor ihm stand, raunte Gellert, damit Fahlzner es möglichst nicht hören konnte: »Ich habe eine primäre Aufgabe für Sie, Kohl. Lassen Sie mal prüfen, ob es in den letzten Jahren einen bedeutenden Medienstar aus dem Show-Business gab, der eventuell einen Grund haben könnte, sich an Deutschland zu rächen.«
Kohl kratzte sich am Kopf. »Woher …?«
»Wo leben Sie denn, Kohl? T.A.R.O.A. Nie davon gehört? – Target and result oriented actions. Nun ja, sie werden noch viel in ihrem Leben lernen müssen.« Zwanghaft wanderte Gellerts Blick zum Schreibtisch von Matt Smith. »Es kotzt mich an, dass uns die Amis immer einen kleinen Schritt voraus sind. Gewissermaßen kotzt es mich maßlos an. – Sonst noch was?«
Der hübsche Kohl wackelte ein wenig mit dem Kopf. »Die Domain wurde von einem Inder gekauft.«
»Und?«
»Nichts und. Schon vor elf Jahren passierte das. Und vor einigen Jahren ist eben dieser Inder angeblich bei einer Massenpanik in einem Tempel im nordindischen Bundesstaat Uttar Pradesh mit weiteren sechzig Menschen zu Tode getrampelt worden.«
»So etwas kann passieren, wenn man nicht aufpasst.« Gellerts Blicke richteten sich auf den Hauptmonitor. »Merkwürdig finde ich allerdings, dass ein Inder eine deutschsprachige Homepage-Adresse kauft. Kohl, lassen Sie die eben besprochene Mediensache auch im Zeitraum vor elf, zwölf Jahren prüfen. Vielleicht wissen wir in einer Stunde und vierundzwanzig Minuten mehr.«
*
Nach einigen Werbespots begannen die Nachrichten. Ein durchaus bekannter Berliner Radiosender hatte zum entscheidenden Problem der Deutschen an diesem Morgen nicht wirklich etwas Neues zu vermelden.
»Innenminister Volker Gellert sagte kurzfristig die für zehn Uhr anberaumte Pressekonferenz ab«, informierte der Moderator. »Ein Polizeisprecher teilte lediglich mit, der momentane Stand der Ermittlungen lasse keine andere Entscheidung zu. Die Bundeskanzlerin erklärte die Aufklärung der Entführung von sechs vermögenden Deutschen zur Chefsache und sagte eine für heute geplante Reise nach Belgien ab. Sicher ist im Moment nur: Die einzige Spur zu den Verschwundenen führt über die Website wer-bleibt-millionaer.com. Doch in welchem Land diese gehostet wird, ist offenbar unklar. – Kirkuk: Beim Bombardement von IS-Stellungen in der Nähe der irakischen Stadt Kirkuk sollen alliierte Streitkräfte versehentlich einen Flüchtlingskonvoi getroffen haben. Nach bislang unbestätigten Meldungen durch den arabischen Service von Reuters haben mindesten vier Geschosse mehrere Hundert Menschen getötet oder verletzt, die Stunden zuvor vor IS-Truppen aus der umkämpften Stadt geflüchtet waren. Unter den Opfern befänden sich viele Frauen und Kinder, aber auch einige von Deutschland ausgebildete Kurden. – Potsdam: Auf der westlichen A10 in der Nähe von Töplitz kam es in den Morgenstunden zu einem schweren Verkehrsunfall, in den zwei Lkws und vier Pkws verwickelt waren. Beim Unfall kamen vier Menschen ums Leben, darunter zwei Kleinkinder. Die Unfallursache ist noch nicht geklärt, die Polizei vermutet, dass der Sekundenschlaf eines slowenischen Lkw-Fahrers den Unfall ausgelöst haben könnte. Der Fahrer des fraglichen Lkws blieb unverletzt. – Leipzig: Im Stadtteil Stötteritz kam es in der Nacht zu einem Brand in einer vorwiegend von syrischen Familien bewohnten Notunterkunft. Siebzehn Menschen wurden dabei verletzt, darunter mehrere Kinder. Ein fremdenfeindlicher Hintergrund der Tat ist nicht auszuschließen. Der Staatsschutz nahm die Ermittlungen auf. – Zum Wetter: im Süden und Südwesten Deutschlands heftige Niederschläge, sonst meist trocken, Tageshöchsttemperaturen um siebzehn Grad, auffrischende Böen aus Nordost …«
Wer sich ängstigt, reicht dem Teufel die Hand.
»Einen wunderschönen guten Morgen.«
Er stand auf einem kleinen Holzpodest und bot einen äußerst grotesken Anblick. Seine Statur wirkte kräftig und sportlich, seine Stimme verriet ein Alter von maximal dreißig Jahren. Die Arme hielt er verschränkt vor dem Körper, dessen Form bestens zu erkennen war, denn er steckte in einem schwarz-rot-goldenen, eng anliegenden Kostüm, das vermutlich einen bislang unbekannten Superhelden darstellen sollte. Sein Kopf war von einer Maske bedeckt, die ein bizarres Gesicht mit einer Hakennase zeigte, wobei die rechte Gesichtshälfte sich weinend und die linke sich lachend darbot. Oben wucherten extrem gestylte, goldene Haare auf der Maske. Er hatte riesige Ohren und übertrieben große Augen, die Sailor Moon zur Ehre gereichen würden, denn die überdimensionalen himmelblauen Pupillen waren hinter einem Glas auf weißem Hintergrund gelagert, sodass sie ihre Lage mit seinen Bewegungen veränderten. Nicht ein Quadratmillimeter seiner natürlichen Haut war zu sehen.
Vor ihm, in einem Halbkreis angeordnet, befanden sich harte, billige Stapelstühle. Darauf saßen mit Blickrichtung zum Podest – von dieser Gestalt aus gesehen rechts beginnend – Klaus van Boomerland, Sigrun Tamelroth, Franz Schneidmann, Theodor Fack, Hannes Gartenleitner und Frau Dr. Carola Blauschner. Sie starrten den merkwürdigen Superhelden sprachlos an. Sprachlos wahrscheinlich deshalb, weil im Abstand von zwei Metern hinter jedem Stuhl ein fantasievoll Uniformierter stand und ein halbautomatisches Maschinengewehr auf den Kopf des betreffenden Kandidaten gerichtet hielt. Ansonsten verhielten sich diese Wachen so, als wären sie gar nicht anwesend.
Den Raum hatte man von einer ehemaligen Produktionshalle mithilfe von Zwischenwänden abgetrennt und die blanken Betonwände willkürlich mit intensiven Farben gestrichen. Der Boden schien mit einer grünlichen Kunststoffschicht veredelt worden zu sein. Hinter dem Podest hing, zwei Meter über dem Boden, ein Fünfzig-Zoll-Monitor an der Wand, auf dem nur eine mattspiegelnde, schwarze Fläche zu sehen war.
Der Verkleidete auf dem Podest betrachtete die Kandidaten nacheinander, dann verbeugte er sich ein wenig und kicherte wie ein schlechter Clown. »Herzlich willkommen, meine lieben Kandidaten! Sicherlich fragen Sie sich längst, was dieses wunderbare Kostüm hier darstellen soll. Ich will es Ihnen verraten!« Er sprach übertrieben artikuliert und gestikulierte heftig, fast wie ein Laiendarsteller, der krampfhaft versuchte, fünfzig müde Kindergartenkinder zu begeistern. Plötzlich brüllte er: »Ich bin Ihr Showmaster! Und man nennt mich den Quotenmann!« Bei dem Wort Quotenmann deutete er eine La-Ola-Welle an. Dann schwieg er, schaute offenbar erstaunt hin und her, stieg hastig von seinem Podest und stolzierte dicht an den Mündungen der Waffen vorbei um die Kandidaten herum.
Vor der attraktiven Sigrun Tamelroth blieb er stehen, beugte sich ein wenig vor, hielt vorsichtig eine Strähne ihrer schwarzen Haare fest und schien deren Geruch durch die künstliche Hakennase einzuatmen. Die Tamelroth zuckte mit keiner Wimper, doch sie nahm eine orientalische Duftnote wahr, die das Kostüm zu verströmen schien. Trotz der scheinbar unbequemen Stühle hielt sie ihre langen, grazilen Beine übereinandergeschlagen.
»Warum hassen diese Kandidaten meine Show so sehr, Sissi? – Ich darf doch Sissi sagen?«, flüsterte er unmittelbar neben ihrem Ohr. »Oder durfte nur Ihr werter Herr Vater die kleine Sigrun so nennen, als sie noch nicht die Pubertät erreicht hatte?« Drei Sekunden Stille folgten. »Wobei Sigrun ein Name ist, wie geschaffen für meine Show.«
Der Quotenmann ließ die Haare der jungen Frau los, richtete sich ruckartig auf, ging vier Schritte weiter, blieb vor dem sechsundvierzigjährigen Software-Entwickler Hannes Gartenleitner stehen und hob dessen Kinn mit seiner rechten, goldfarbig kostümierten Hand einfach an, sodass der Kassler ihm in die Maskenaugen schauen musste.
»Warum?«, fragte der Quotenmann.
Gartenleitner lief Schweiß über den Rücken. »Was warum?«, hauchte er.
Der Quotenmann lief stampfend im Kreis um sein Podest. Das ergab merkwürdige Geräusche, die so klangen, als bestünden die Sohlen seines Kostüms aus Fiberglas wie bei irischen Steppschuhen. »Man – beant – wortet – keine – Frage – mit – einer – Gegen – frage!« Schon stand er wieder vor Gartenleitner. Er fragte erneut und bewegte nun bei jedem Wort den Kopf hin und her: »Warum – ist – der – Name – Sigrun – gut – für – eine – Show?«
Jetzt zuckte Gartenleitner mit den Schultern.
»Das überzeugt mich nicht. Ich glaube nicht, dass Sie der Kandidat sind, der in meiner Show gewinnt. Der Hannes, der kann es – nicht!« Er lief die vier Schritte zur Tamelroth, dann mit denselben Bewegungsabläufen wieder zu Gartenleitner zurück, als hätte er etwas außerordentlich Wichtiges zu sagen vergessen. »Dabei hatten Sie meinen Mitleidsbonus fast sicher. Sie plagen sich schließlich mit wildfremden Kindernierchen rum.«
Wieder vier Schritte. Das regungslose Maskengesicht beugte sich zu Sigrun Tamelroth, sodass die künstliche Hakennase fast die Stirn der jungen Münchnerin berührte.
»Spüre ich in diesem Raum einen Intellekt jenseits dessen der Privatsender?« Er schob die lachende Gesichtshälfte unmittelbar vor die Augen der Tamelroth und wartete einige Sekunden ab. »Also: Warum?«, fragte er schließlich.
Die Tamelroth antwortete mit einem monoton klingenden, scheinbar auswendig gelernten Satz: »Mein Vorname Sigrun ist ein altdeutscher Name. Er leitet sich aus den Worten ›sigu‹ wie Sieg und ›runa‹ wie Geheimnis ab. Das könnte man deuten als ›das Geheimnis des Sieges‹ oder ›ein geheimnisvoller Sieg‹. Wahrscheinlich ist mein Name Ihrer Meinung nach deshalb so gut für eine Show geeignet.«
Während der Quotenmann übertrieben laut rief: »Absolut korrekt! Selbst ich hätte es nicht besser erklären können«, sprang er auf seine kleine Plattform und vollführte einige perfekt eingeübte irische Stepptanz-Shuffles mit einer Ganzkörperdrehung sowie dem abschließenden Hüpfer, wobei diese Maskerade dem Ganzen einen absurden Beigeschmack verlieh. »Perfekt korrekt! Das treue deutsche Publikum wird Sie garantiert ins großdeutsche Herz schließen und Ihnen den Gesamtsieg wünschen, rührigste Sissi!« Den letzten Satz sprach er mit rollendem R und versuchte dabei, Hitler zu imitieren.
Dann redete er sehr langsam, als hätte er abermals die schläfrigen Kindergartenkinder vor sich. »Was ich damit sagen will: Wenn ich bei der nächsten Eventualität wieder eine La-Ola beginne, dann will ich unbedingt, dass diese Welle auf Sie alle übergeht. Ob die Kameras laufen oder nicht. Von rechts beginnend! Herr van Boomerland; dann unsere bezaubernde Sissi; dann unser geschätzter Franz Schneidmann – denken Sie daran, Ihr süßer Sohn Villads wird Ihnen bei der Show zusehen, und er will doch ganz stolz auf seinen Papi sein; dann unser Lebemann Theodor Fack – an ihm können Sie sich mal ein Beispiel nehmen, der hat bereits drei Milliarden und sechshunderttausend Euro geschachert; dann unser ›Drachenfeuer‹-Hannes, dessen Chancen bereits ein klitzekleines bisschen gesunken sind; und schließlich unsere Frau Doktor«, er versuchte den sächsischen Dialekt nachzuahmen, »Dogdor Garola Blauschner, Afindorin do gommerziellsten Aufbewahrungszentren für senile, fast dode Bänsionäre. – Übrigens, wussten Sie, dass ›ola‹ auf Deutsch ›Welle‹ heißt? Eine La-Ola-Welle ist also eine Welle-Welle. Ist das nicht irrsinnig infantil?«
Er schwieg nun, drehte sich kurzerhand um und wartete dreißig Sekunden, während er abwechselnd mit dem rechten sowie dem linken Fuß einen Takt vorgab und dazu trotz Maske deutlich hörbar schnalzte.
Ruckartig drehte er sich zu den Kandidaten zurück und rief erneut: »Ich bin Ihr Showmaster! Und man nennt mich den Quotenmann!« Er ließ die Arme sinken und riss sie dann hoch, wobei er seine Beine zu einem großen »O« formte und sie erst wieder streckte, als sich die goldene, rechte und die rote, linke Hand über seinem Kopf trafen.
Erwartungsvoll schaute er zu seinem Publikum.
Schauspieler Klaus van Boomerland kannte schwachsinnige Shows zur Genüge. Er ließ die Hände fallen und hob sie dann schwunghaft über den Kopf. In die Welle-Welle kam Bewegung. Als die älteste der Anwesenden – Carola Blauschner – die Hände oben hatte, setzte der Quotenmann die Welle mit einem lauten »Hoooo! – Ich will euch hören!« fort. Fast schien es, als wäre auf dem Gesicht van Boomerlands ein Grinsen zu sehen, als auch er ein »Hoooo!« von sich gab, während er die kräftigen Arme erneut hochriss. Durch seinen kahlen Kopf und die kleinen Schweinchenohren wirkte er ohnehin etwas lustig.
Fünfmal bewegte sich die Welle im Kreis. Erst durch ein unmissverständliches Zeichen des Showmasters verebbte sie schlagartig.
»Meine lieben Kandidatinnen und Kandidaten!«, begann er, als Ruhe eingekehrt war. »Versuchen Sie, sich mit der Situation abzufinden und das Beste daraus zu machen. Die erste Hürde betrifft allerdings alle, deshalb sollten Sie bei der heutigen Vorstellung einen klaren Kopf behalten. Das Publikum wird entscheiden, ob unsere Show überhaupt in Fahrt kommt. Und denken Sie bitte stets daran: In meiner Show wird es keine moralischen Grenzen geben, denn die gibt es im Fernsehen ohnehin nicht mehr. Wir haben uns längst davon verabschiedet. Das einzige Ziel ist die Quote unserer Show!«
»Unsere Show?« Franz Schneidmann verzog das Gesicht, wie er es gewöhnlich tat, wenn ihm seine Poliere Baumängel präsentieren mussten. »Sie meinen Ihre Show. Sie sind doch völlig irre und wahnsinnig!«
Die restlichen Kandidaten hielten die Luft an, zwei der Wachmänner entsicherten die Waffen.
Bedächtig stieg der Quotenmann von seiner kleinen Bühne und näherte sich dem Bauunternehmer wie ein Lehrer einem Grundschüler, der ungefragt dazwischengeredet hatte. Dann kicherte er plötzlich und hörte sogleich wieder damit auf.
»Wahnsinnig?«, fragte er. »Sie meinen sicherlich wahnsinnig komisch. Oder?« Er schaute Schneidmann aus nächster Nähe in die Augen. Unter seiner Maske war der Atem zu hören. »Nein. Meinen Sie wahrscheinlich nicht. – Schade.« Die goldene Hand fuhr ein wenig umständlich in eine Tasche am linken Oberschenkel des Anzuges. Mit spitzen Fingern zog der Showmaster eine pinkfarbene Fernbedienung heraus, der Daumen der roten Hand drückte auf einen Knopf und der Monitor hinter dem Podest schaltete sich ein. Der Quotenmann ging zwei übertrieben ausladende Schritte in den Raum hinein und blickte dann hinauf zum Monitor.
Ein Schlafzimmer war zu sehen. Hannes Gartenleitner erblasste, denn er sah das geräumige Zimmer seiner achtzehnjährigen Tochter Emilia im heimischen Domizil in Kassel. Das hübsche, schlanke Mädchen lag in körperbetonter Kleidung auf dem Bett und las. Da es sich dabei am Hintern kratzte, wurde ersichtlich, dass es sich hierbei keineswegs um ein Standbild handelte.
»Upps. Falsches Zimmer!«, sang der Quotenmann und wechselte den Kanal.
Das Bild veränderte sich. Wieder ein Zimmer, das aber eher wie eine Puppenstube wirkte – es war komplett in pink gehalten. Zwei nackte Liebende rangen auf einer riesigen Liegefläche miteinander. Mit übertrieben heulender Stimme rief Francesco immer wieder: »Ja, tröste mich!«, währenddessen der andere, ein deutlich älterer und haariger Mann, ihn anal befriedigte.
»Höchst interessant«, sang der Quotenmann, »aber wieder das falsche Zimmer.« Er drückte erneut auf die Fernbedienung, wobei seine Sailor-Moon-Augen den versteinerten Klaus van Boomerland zu beobachten schienen. Weitere Videos, mit denen stets in die Privatsphäre von nahen Angehörigen der Kandidaten eingedrungen wurde, waren auf dem Monitor zu sehen, bis die schrille Stimme rief: »Ah! Da ist ja endlich das geheimnisvolle Zimmerchen! Die Nummer sieben. Ich muss es mir merken. Sieben. Merken. Merken. Sieben! Erinnert mich an einen wunderschönen Film … SIEBEN.« Der Showmaster schien unter der Maske die Ohren zu spitzen, während Zornesröte im Gesicht von Franz Schneidmann aufstieg.
Alle Anwesenden sahen ein durchschnittlich eingerichtetes Kinderzimmer. Alle sahen, dass der kleine Villads an einem Computer saß und lustlos spielte. Dann drehte der Junge sich um. Er schien direkt in die Kamera zu schauen und die unfreiwilligen Beobachter hörten ihn rufen: »Mama! Was ist nun los mit Papa?« Schneidmann entdeckte die tränenfeuchten Wangen seines jüngsten Kindes.
»Ist er nicht zuckerzuckersüß, der Kleine?«, fragte der Showmaster flüsternd in die schweigende Runde. »Wäre doch traurig, wenn ihm etwas ganz Böses zustoßen würde? Ein nächtlicher Wohnungsbrand, ein Verkehrsunfall, eine grässliche Virusinfektion …« Und dann brüllte er dem Berliner Bauunternehmer aus unmittelbarer Nähe ins Ohr: »Oder wäre das etwa nicht sehr traurig?« Leise sprach er weiter: »Seine arme Mama entließ sich heute selbst aus dem Krankenhaus.« Er ließ die Plastikaugen rollen. »Böser blinder Darm!«
Schneidmann saß regungslos da. Und doch ergriff der Hass Besitz von seinem Blick. Dieser Verrückte wusste mehr über seine Familie als er selbst!
Ein Tastendruck des maskierten Showmasters schaltete den Monitor aus, die Fernbedienung verschwand in der fast unsichtbaren Beintasche und die Wachen sicherten gleichzeitig ihre Waffen. Mit absichtlich trampelnden Schritten stieg der Quotenmann auf seine winzige Bühne und redete wieder ganz normal, als hätte es den unschönen Zwischenfall nie gegeben: »Ich muss nun einige weniger bedeutungsvolle Dinge klären: Wenn wir im Studio sind, erblicken Sie zwei rote Lampen – die eine über der Tür und die andere über den Publikumsrängen. Wenn diese Lampen leuchtend strahlen, sind wir live online, das heißt, die ganze Welt wird sehen, was Sie gerade tun. Also popeln oder masturbieren Sie nicht, wenn die Lampen an sind.« Er kicherte kurz, setzte seine Rede jedoch sogleich fort. »Das Publikum im Studio blenden wir übrigens digital ein. Es ist also gar nicht wirklich da und aus genau diesem Grund können Sie es weder sehen noch hören. Die Wachen allerdings werden real sein und können durchaus von den Zuschauern an den Bildschirmen gesehen werden. Haben das alle verstanden?«
Der Quotenmann hüpfte von der Bühne und fragte jeden seiner Gäste: »Verstanden?« Erst nachdem der jeweilige Kandidat eindeutig bejaht hatte, ging er zum nächsten. »Verstanden?« Franz Schneidmann fragte er besonders laut: »Verstanden?«
Der Bauunternehmer nickte, woraufhin ihm der Showmaster mit der goldenen, rechten Hand über das Haupt fuhr und Schneidmann leicht zurückzuckte.
»Wahrscheinlich kann ich auf den Rohrstock verzichten«, hauchte der verrückte Superheld und berührte mit seiner künstlichen Hakennase die Schläfe des Unternehmers. Daraufhin stampfte er zurück zu seinem Podest und setzte die Ansprache fort: »In der ersten Sendung werde ich Sie einzeln vorstellen. Geplant ist dafür eine Stunde. Geben Sie sich so natürlich, wie es nur geht, denn das kommt immer gut an. In einer Runde des Spiels wird das Publikum über das Ausscheiden eines Kandidaten entscheiden, also sollte es in Ihrem ganz egoistischen Interesse sein, möglichst vielen Millionen Zuschauern extrem sympathisch zu sein. In der ersten Runde werde ich übrigens eine Zuschaueraufgabe stellen, wobei ich inständig auf die Loyalität Ihrer Familienangehörigen hoffe.« Nach dem Verklingen seiner Worte steppte er auf der Bühne und sprang mit einem letzten Doppelklick herunter. »Noch ein klitzekleiner Hinweis in eigener Sache.« Der Quotenmann holte tief Luft. »Die Schusswaffen meiner Showwächter sind mit scharfer Munition geladen. Sollte also ein Kandidat oder eine Kandidatin das Verlangen spüren, meine Show absichtlich zu boykottieren oder gar zu sabotieren, dann reicht ein unscheinbarer Wink mit dem roten Finger«, er wackelte mit dem ausgestreckten Mittelfinger der rot kostümierten Hand, »und die Hinrichtung erfolgt postwendend und selbstverständlich vor laufender Kamera.« Die aufkommende Empörung würgte er sofort ab. »Sorry, aber das ist nicht mein Verschulden. Es muss ganz einfach sein, denn der Wunsch der Zuschauer hat höchste Priorität. Die Zuschauer mögen nichts lieber als sinnfreie, spannende und vor allem blutige Sendungen.« Er bewegte sich mit Moonwalk-Schwebeschritten in Richtung der Tür, versuchte noch einige zackige Tanzschritte, die er ebenfalls bei Jackson abgeschaut hatte, und rief, bevor er den Raum verließ: »Jetzt aber schnell! Werfen Sie sich in Ihre von unseren Sponsoren bereitgelegte Garderobe und bereiten Sie sich auf Ihren Showauftritt vor!« Er verschwand aus dem Besprechungsraum.
Darin herrschte betretenes Schweigen.
Die Tür öffnete sich ruckartig wieder und nur der maskierte Kopf erschien. »Das hätte ich fast vergessen.« Er kicherte wie ein Irrer. »Wer aus der Show ausscheidet, wird hingerichtet. Gewinnen wird nur einer.« Er schaute zu Sigrun Tamelroth und hechelte deutlich hörbar. »Oder eine.« Abschließend rief er: »Ladys and Gentlemen! Bewegt eure verdammten Geldärsche! The show must go on!« Sein Kopf verschwand, die Tür schlug zu.
»Los, hoch!« befahl Sekunden später einer der Wachmänner.
*
Leipzig, früh am Morgen, Dauerregen.
»Morgen, so ein Mistwetter. Das haben die gar nicht angesagt.« Hinrich schüttelte sich, um seine Aussage zu untermalen. »Und, gibt’s was Neues?«
Hauptkommissar Hans Rattner verneinte. »Die tappen in Berlin doch völlig im Dunkeln. Sorokins Einheit ist jedenfalls in Bereitschaft und jeder SEK-Mann langweilt sich zu Tode.«
Eine junge, brünette Frau in engen Jeans und leichter Bluse betrat den Raum, ohne anzuklopfen. Sie war die Einzige, die das durfte, denn sie brachte Hinrich eine Tasse Kaffee. Der Oberkommissar setzte sich an seinen Schreibtisch und nickte lächelnd. »Danke. Du bist die Beste, Ines.«
Nachdem die Sekretärin den Raum verlassen hatte, begann Hinrich die Unterlagen aus Dresden zu durchforsten. Er fand aber nichts, was von Interesse gewesen wäre.
Rattner hingegen saß vor einem Computermonitor. Während Hinrich geschäftig den Kaffee umrührte, platzte Rattner heraus: »Sag mal, du schmachtest die doch an, oder?«
Staunend blickte der Kriminaloberkommissar den Hauptkommissar an. »Was denn, die Ines? Nee, du. Die könnte schließlich glatt meine Enkelin sein.«
»Alter spielt heutzutage keine Rolle mehr.«
»Mit dem Alter hat das nix zu tun.« Hinrich schlürfte Kaffee und lächelte dann. »Aber mit Respekt.«
»Respekt vor dieser Ines?«
»Nee. Vor Maria, meiner herzallerliebsten Gattin.«
»Ist wohl eifersüchtig?«
»Quatsch. Eifersucht!« Hinrich lachte gequält. »Die bewacht ihr Eigentum. Basta. Und wenn du wüsstest, wie meine Maria mit der Bratpfanne umgehen kann, dann …«
»Jetzt geht es bald los«, unterbrach Rattner, während er seinen Rechner bediente.
»Was geht los?«
»Sie wissen das nicht? Herr Hinrich! Die Show mit den entführten Kandidaten.« Er zeigte auf den Bildschirm. »Im Internet.«
Hinrichs faltige Wangen zuckten. »Wie, im Internet?«
Jetzt stand Rattner auf. »Du weißt wirklich nichts davon? Ähm – ich bin zwar der deutlich Jüngere von uns beiden, bleiben wir beim Du?«
»Von mir aus. Was ist nun mit dem Internet?«
»Im Internet ist eine Seite aufgetaucht. Wer bleibt Millionär?, heißt die. Es sind aktuelle Bilder der Entführten zu sehen und angeblich wird online eine Show übertragen, in der es ebenso angeblich um Leben und Tod der Kandidaten gehen soll.«
»Eine Show wird übertragen?« Einige Sekunden zögerte Hinrich. »Und warum schicken wir unseren Russen nicht in diese Show, damit er die Leute rausholt?«
»Bist du wirklich so naiv oder tust du nur so?«
»Naiv?« Ein wenig verlegen antwortete Hinrich: »Tut mir leid, ich bin so. Ein Geburtsfehler wahrscheinlich.«
»Wie kann ein ausgewachsener Kommissar nur so naiv sein? Fakt ist Folgendes: Niemand weiß, wo die Seite entsteht und wo die Show aufgezeichnet wird.«
Hinrich nippte an seinem Kaffee. »Niemand?«
»Absolut niemand«, bestätigte Hans Rattner.
»Du willst mir also weismachen, dass wir zwar in der Lage sind, Menschen ins Weltall zu schicken und Telefongespräche anderer Regierungen mitzuhören, aber es nicht schaffen, einen solchen Ort aufzuspüren?«
»So ist es.«
Ein Weilchen bewegte Hinrich seinen Kopf hin und her. »Auf eine brennende Frage kann ich allerdings keine Antwort finden: Warum hat man ausgerechnet uns dazu bestimmt, in einem Fall zu ermitteln, in dem bereits unzählige andere ermitteln und bei dem wir gar keine Chance haben, irgendetwas in Erfahrung zu bringen?«
»Warum? Die Antwort ist doch ganz einfach und logisch: Die Bundesregierung reicht die Verantwortung weiter an einen Ausschuss. Der reicht sie weiter an den Innenminister und den BND, die reichen sie weiter an die Soko Millionär, die wiederum an das Sächsische Innenministerium und das reicht sie an uns weiter. Geht die Sache schief, liegt die Verantwortung bei uns und wir sind am Arsch.«
Erneut dachte Hinrich nach. »Aber dann …«
»Es gibt kein ›Aber dann‹. Es gibt lediglich eine moderne Politik. Das Weiterreichen von Verantwortungskompetenzen gehört zum Tagesgeschäft. Ja, es ist der wichtigste Bestandteil des politischen Alltags. In diesem Prozess sind unzählige Institutionen und Menschen involviert: Politiker, Medien, Institute, Vereine und Stiftungen. Verantwortung will schließlich niemand übernehmen.«
Ganz leise sang Hinrich: »Dreht euch nicht um, denn die Verantwortung geht um! Wer sich umdreht oder lacht, kriegt den Buckel blau gemacht. Darum: Dreht euch nicht um …«
Das Klingeln des Telefons befreite Rattners Ohren von der Qual. Die Sekretärin stellte die Frage, ob mehr Kaffee benötigt wird.
»Aber immer«, antwortete Kriminaloberkommissar Holger Hinrich. Und nachdem er den Hörer aufgelegt hatte, äußerte er: »Wenn ich das zu Hause meiner Maria erzähle, die schaut sich doch sonst auch jede Show im Fernsehen an, und wenn die noch so blödsinnig sind …«
Erneut klingelte das Telefon. »Drei Stück Zu…«, sagte Hinrich und unterbrach sich selbst. »Wer? Kohl? Hasso – nicht Helmut? Ja, verbinden Sie mal, Ines.« Er betätigte die kleine Lautsprechertaste des Telefons, sodass Rattner mithören konnte, und legte den Hörer auf den Tisch.
Nach einem geräuschvollen Knacksen meldete sich Hasso Kohl, der offizielle Leiter der Soko Millionär in Berlin, dessen Stimme am Telefon sehr jugendlich klang.
*
Die Kandidaten schlichen im Gänsemarsch durch den dunklen Gang. Das Trampeln der Wachen übertönte das Schlurfen ihrer Sohlen auf dem Betonboden. Einzig Franz Schneidmann betrachte die Mauern genau und erkannte, dass es sich hierbei um das Kellersystem einer stillgelegten Fabrikhalle handeln könnte.
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