Kitabı oku: «Rebeccas Schüler», sayfa 7
»Kann einer von euch, vielleicht Cedric oder Emely, die bisher gar nichts gesagt haben, die Überschrift erklären. Was ist denn ein ›durchlauchtiger Tyrann‹?«, forderte Rebecca auf.
Cedric fühlte sich genötigt zu antworten: »Ein Tyrann ist jemand, der anderen seinen Willen aufzwingt.«
Geschichtliche Kenntnisse schien er keine zu besitzen. Helena griff ein: »Ich glaube, es geht hier um Alleinherrschaft. In der Antike gab es solche Menschen.«
Rebecca bejahte. »Und durchlauchtig? Was bedeutet das, Cedric?«
Er zuckte mit den Schultern. Auch hier musste Helena die Auflösung geben: »Ich denke, das ist ein anderes Wort für Adliger.«
»Genau. Das Wort kommt von ›durchleuchten‹. Emely, warum wählt denn Bürger diesen Widerspruch?«
Auch sie zuckte, genau wie Cedric, unwissend mit ihren Schultern. Was solche Schüler im Leistungskurs Deutsch zu suchen hatten, erschloss sich Rebecca nicht. Wieder war es Helena, die sagte: »Der Dichter zeigt schon in der Überschrift die Kritik am Adel auf. Daher das Paradoxon.«
»Ich habe das Gedicht nicht umsonst ausgesucht. Wenn wir uns die ›Räuber‹ ansehen, werden wir in der Person des Franz von Moor auch auf einen Adligen treffen, der alle Macht an sich reißt.«
Es klingelte zur Pause.
»Gut, ich sehe ja Lara und Julia heute nochmal.« Die Schüler packten zusammen. Cedric knallte das Blatt mit dem Gedicht auf seinen Tisch und räumte dann alles ein. Wieder waren es bloß Linus sowie ein paar Mädchen, die sich von ihr verabschiedeten.
In der vierten Stunde erschien Lara zum Gespräch bei Rebecca. Obwohl sie drei Minuten zu spät dran war, entschuldigte sich nicht dafür. Beinah arrogant plumpste sie in den Stuhl.
»Hallo Lara, schön dass du da bist«, begrüßte Rebecca sie freundlich, was ihr nur ein kurzes Zucken ihres Mundwinkels abnötigte. Viel zu wenig, um als Freude durchzugehen.
Die Schülerin kam schnell zur Sache, erklärte aus freien Stücken, was Rebecca von ihr hören wollte, sodass sich das Gespräch viel zu flink dem Ende näherte. Weil Rebecca von Emely wusste, dass Lara eng mit Cedric befreundet war, wollte sie wissen: »Hast du einen Freund?« Lara bejahte. Jetzt zu fragen, ob es Cedric war, wäre zu auffällig gewesen. »Erzähl doch mal von ihm«, bat sie sie daher.
»Ja, mein Freund heißt Kenneth«, sagte Lara fast gelangweilt. Eine irgendwie geartete Leidenschaft war bei Weitem nicht in ihrer Stimme zu hören.
»Klingt exotisch der Name«, versuchte Rebecca sie aus der Deckung zu locken.
»Er ist Amerikaner. Wir führen eine Fernbeziehung.«
»Klingt spannend. Wie funktioniert das in der Praxis?«
Lara eine Emotion zu entlocken, stellte sich als schwierig heraus. Sie verzog kaum einen Mundwinkel. Ihre wasserstoffblonden Haare, die ihr knapp über die Schultern hingen, glänzten fast grau und ließen sie abgeklärt und reif wirken.
»Na ja, wir haben uns im Internet kennengelernt und chatten miteinander.« Rebecca musste jeden Satzbrocken mühsam aus ihr herauskitzeln. Von Kitzeln konnte allerdings keine Rede sein. Lara ließ sich zu keinem ungezwungenen Plausch herab.
»Habt ihr euch schon mal live gesehen? Besucht er dich manchmal?«
Lara schüttelte den Kopf. Trotzdem glaubte das Mädchen offenbar, dass eine solche Bekanntschaft von Dauer sein könnte.
»Wir skypen.« Und das war auch das Letzte, was Lara sagte, bevor sie vorgab, sich auf eine Leistungskontrolle vorbereiten zu müssen. Ohne dass sie Rebecca vorher die Gelegenheit gab, zu entscheiden, ob sie gehen durfte, stand Lara auf. Freundlichkeit und Respekt schien sie aus ihrem Elternhaus nicht mitbekommen zu haben.
Beim Aufstehen bemerkte Rebecca, wie dürr ihre Schülerin war. Sie trug lediglich ein schulterfreies Top mit Spaghetti-Trägern, sodass sich die Knochen an ihrem Schlüsselbein ungesund nach vorn wölbten. Ihre Arme glichen Zahnstochern. Vor allem der Knöchel, der den Übergang zwischen Handrücken und Arm bildete, stach hervor. Erst jetzt fiel Rebecca auf, dass auch ihr Gesicht furchtbar dünn wirkte. Ob Lara unter Magersucht litt, zu viel Sport betrieb oder einfach nur von Natur aus sehr schlank war, erschloss sich ihr nicht.
Überhaupt waren viele Mädchen an dieser Schule unglaublich fixiert darauf, ihren Körper fit zu halten. Da hier mehr Sport als üblich gelehrt wurde, war es kein Wunder, dass lauter athletische Jungen- und Mädchenkörper durch die Schule liefen.
»Ciao«, sagte Lara gelangweilt, als sie den Raum verließ und sich nicht noch einmal zu Rebecca umdrehte.
Das Beste kommt immer zum Schluss. Nach einer Woche, in der Rebecca vollauf mit der Vorbereitung der Kursfahrt und den Gesprächen mit ihren Kursschülern beschäftigt war, stand am Freitagnachmittag die Unterhaltung mit Cedric an. Rebecca hatte sich extra für diesen Tag, oder vielmehr für diesen Moment, einen knappen Rock und eine enge weiße Bluse angezogen. Sie saß mit zusammengeschlagenen Beinen am Lehrertisch und wartete gespannt auf ihren heißen Schüler. Sie stellte sich im Geiste vor, wie er in den Raum kommt, einen Mundwinkel diabolisch hebt und mit seinen unverhohlenen Blicken ihren Körper scannt. Allein beim Gedanken an Cedric geriet ihr Blut in Wallung. Sie drehte sich so auf ihrem Stuhl herum, dass er einen direkten Blick auf die hohen Schuhe hatte, wenn er den Raum betrat.
Cedric erschien den Erwartungen zum Trotz überpünktlich. Er erweckte beim Eintreten in den Kursraum den Eindruck, schon gänzlich im Italienfieber zu sein. La bella italia. Nächste Woche um die Zeit würden sie hoffentlich wieder in Deutschland sein.
Lässig schlenderte Cedric in den Raum hinein, ohne seine Augen durchdringend auf Rebecca zu heften. Er spürte nicht die Funken, die sie aussandte, sondern setzte sich machogleich auf den Stuhl, der gegenüber vom Lehrertisch stand. Dort hockte er breitbeinig und hinterließ nicht den Eindruck, sich auf das Gespräch mit ihr vorbereitet zu haben.
»Schön, dass du da bist. Du weißt, worüber wir reden wollen?«, hauchte Rebecca mit einer besonders dunklen, erotischen Stimmlage in seine Richtung.
»Äh ja, ich denke schon«, sagte er, sprach aber nicht weiter.
Rebecca richtete sich verführerisch in ihrem Stuhl auf und stemmte die Faust unter ihr Kinn. So pushte sie ihre Brüste.
»Dann erzähl mir mal etwas von dir.« Wieder unterstrich sie die Worte durch eine dunkle Tonlage.
»Na ja, ich bin Cedric Weise, bin achtzehn Jahre alt …«
Rebecca streckte die Hand aus, um ihn zu unterbrechen. »Das weiß ich doch alles. Vielleicht kannst du mal auf die Fragen zurückkommen, die ich euch als Zettel ausgeteilt habe.«
»Welchen Zettel?«, wollte Cedric ignorant wissen. Er spürte rein gar nicht die aufgeheizte Atmosphäre, die Rebecca fühlte. Und nun musste sie ihm das Blatt mit den Fragen zuschieben. Insgeheim hatte sie gehofft, er würde sich auf die Unterhaltung mit ihr vorbereiten. Aber so, wie er seine stahlgrauen Augen über das Papier wandern ließ, betrachtete er das Schreiben zum ersten Mal.
»Na ja, ich bin schon seit der fünften Klasse hier. Meine Lieblingsfächer sind Sport und … Ja Sport. Ich will mein ganzes Leben schon Profifußballer werden.« Wie naiv er über seine Leidenschaft sprach! Als wäre es ein Leichtes, einer solchen Anstellung nachzugehen. Seine Ausführungen glichen denen eines Zwölfjährigen, nicht denen eines Zwölftklässlers. Rebecca fragte sich, ob sich Cedric jemals über »richtige« Arbeit Gedanken gemacht oder ob er lediglich seinem Traum gefrönt hatte.
Rebecca musste einsehen, dass er sie nicht als seine Beute betrachtete, sondern als das, was sie war: seine Lehrerin und Tutorin. Ihr sexy Outfit, ihr aufgesetztes Benehmen, die erotische Stimme – nichts davon fruchtete bei diesem arroganten Kerl.
Zehn Minuten lang zog sie Cedric eine Info nach der anderen aus seiner wunderschönen Nase, einen Wortfetzen nach dem anderen aus seinem anbetungswürdigen Mund. Sie hatte gehofft, dass die Aussagen aus ihm heraussprudeln würden, aber da irrte sie sich. Nach ihrem feuchten Traum vor etwa einer Woche hatte sie auf ein Funkeln gehofft. Auf ein Prickeln, das die Luft durchmischte. Aber da war nichts zwischen ihnen. Die Unterhaltung war genauso spröde und langatmig wie die mit Lara.
Rebecca störte dieser Umstand massiv. Sie wollte ihn aus der Reserve locken, ihn reizen und fertigmachen. Wie gern hätte sie jetzt den Lehrertisch umrundet und sich auf seinem Schoß niedergelassen. Sie fantasierte, wie sie ihm den Reißverschluss öffnete und ihm eine Erektion verschaffte.
»Hast du eine Freundin?« Ein letztes Mal versuchte sie mit ihrer butterweichen Stimme ihn zum Schmelzen zu bringen.
»Nein«, war die Antwort und ein kleines Grinsen stahl sich auf sein Gesicht.
»Nein?«, hakte sie provokant nach und verhakte ihre Augen mit seinen. Mal sehen, wer zuerst wegblicken würde. Am liebsten hätte sie ihn gefragt, ob bei einem solchen Aussehen überhaupt ein Singleleben möglich war. Aber sie unterließ den Kommentar, da sie nicht unprofessionell erscheinen wollte.
»Nein«, erwiderte Cedric und verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. Nun war er es, der es auf Provokation ankommen und seinen Mundwinkel nach oben zucken ließ. Dann fuhr seine Zunge über die Oberlippe, in die Rebecca sofort hineingebissen hätte. Sie wollte ihn verschlingen, aufessen und sich in ihn verbeißen. Dieser selbstherrliche Kerl hatte etwas derart Anziehendes an sich, dass Rebecca die Schamesröte ins Gesicht stieg.
»Nein, wirklich nicht«, bekräftigte Cedric erneut.
Die Antwort genügte Rebecca, um mit anregenden Fantasien an ihn ins Wochenende starten zu können.
Kapitel 7
Aufregung durchrauschte Rebeccas Blut, als sie am späten Sonntagnachmittag, mit ihrem größten Reisekoffer bewaffnet, auf dem Busbahnhof stand und dabei zusah, wie alle Schüler der Kursstufe 12 nach und nach eintrudelten. Die wenigsten wurden von ihren Eltern begleitet. Der Großteil ihrer Schüler lebte im Internat und kam daher die wenigen Meter gelaufen.
Robert war bereits da, wartete auf die Ankömmlinge und zählte die Schüler seines Kurses durch. Insgesamt musste er auf neunzehn kommen. Sabrinas Kurs bestand aus siebzehn Jugendlichen. Der Reisebus war noch nicht da. Rebecca stellte sich neben Robert, der aufgeregt von einem Bein auf das andere tänzelte und wirre Dinge vor sich her plapperte. Er klärte Rebecca darüber auf, wie viele Schüler noch fehlten. Dann erzählte er von seiner letzten Kursfahrt nach England und dass er fast seinen Reisepass auf dem Schiff vergessen hätte. Danach kam er auf seine letzte private Reise nach Schweden zu sprechen. »Elche haben wir auch gesehen. Solltest mal hinfahren«, sagte er unwirsch und überprüfte erneut die Anzahl der bereits anwesenden Jugendlichen seines Kurses, indem er wie auf imaginäre Knöpfe tippte.
Sabrina ließ sich von ihrem Mann herbringen. Er stieg aus dem viel zu kleinen roten Auto aus, umrundete den Wagen und hievte das Gepäck seiner Frau aus dem Kofferraum. Ihr Mann besaß ebenso viel Schwungmasse wie Sabrina. Beim Küssen prallten ihre dicken Bäuche aneinander. Dann setzte er sich ins Auto und verschwand um die nächste Abbiegung aus Rebeccas Sichtfeld.
»Ihr freut euch doch genauso sehr wie ich auf die zwanzig Stunden Fahrt, hab ich recht?«, flötete Sabrina, als sie sich Robert und Rebecca näherte. Ein dickes Grinsen nahm fast die komplette Gesichtspartie ein und untermalte ihre spöttische Frage.
»Und, sind alle aus meinem Kurs da, Robert?«, wollte sie wissen. »Du zählst doch wie immer fleißig für mich mit.«
Rebecca glaubte, es handelte sich um einen Galgenwitz. Tatsächlich aber fasste Robert akkurat zusammen, wer noch nicht erschienen war. Sogar Schüler aus Rebeccas Kurs nannte er, sodass sie einen genauen Überblick darüber bekam, nach wem sie Ausschau zu halten hatte. Es fehlten nur noch Lara und Cedric.
Rebecca kannte die Namen ihrer Kursschüler noch nicht sicher, obwohl sie die Jugendlichen jetzt etwas mehr als zwei Wochen im Unterricht vor sich sitzen hatte. Nach der Fahrt würde sie bestimmt alle identisch aussehenden Mädchen auseinanderhalten können. Wenn sie ihnen im Schulhaus begegnete, umringt von mindestens fünfhundert anderen Gesichtern, hatte sie Mühe, ihre Schülerinnen zu erkennen. Vor allem die Mädchen, die ähnlich gestylt waren, konnte sie nur schwer voneinander trennen. Sie trugen alle die gleiche Frisur. Alle besaßen sie ähnlich lange glatte Haare mit einem perfekt sitzenden Mittelscheitel oder einem stylisch aussehenden Pony. Bei jedem zweiten Mädchen schwang ein gewaltiger Pferdeschwanz um den Nacken.
Während sie nach den fehlenden Schülern schielte, rollte ein dicker, doppelstöckiger Reisebus um die Ecke und verdeckte den Blickwinkel auf die Straße. Er rangierte eine Weile, bis er sich umständlich in die richtige Position manövriert hatte und alle ihre Koffer ablegen und einsteigen konnten. In fünfzehn Minuten sollte die Fahrt beginnen.
Rebecca sah zu, wie die Teenager ihre schweren Rucksäcke und Koffer in das Innere des Busses verstauten. Manche Mädchen hatten sogar zwei Hartschaltenkoffer dabei. Rebecca fragte sich, ob sie drei Wochen Urlaub in Italien machen oder gleich ins Warme auswandern wollten. Ein wirklich verlockender Gedanke, einfach alles hinter sich zu lassen und ein neues Leben in einem fernen Land zu beginnen. So schön die Vorstellung war, aber das Hier und Jetzt erforderte Rebeccas ganze Konzentration. Sie war die Letzte, die einem der Busfahrer ihr Reisegepäck übergab. Der Mann mit dem kantigen Gesicht qualmte, während er die Koffer einräumte, eine Zigarette.
Nur noch die Lehrer standen neben dem Bus. Die Schüler hatten ihre Plätze bereits eingenommen und krakelten durch das Innere des Gefährts, das die nächsten Stunden ihr Zuhause war.
Rebecca behielt eine kleine Tasche für die Fahrt bei sich. Ihre Finger krallten sich in das schwarze Leder, als es hieß, dass der Bus abfahrbereit war. »Wir nehmen den Viererplatz ganz vorn«, sagte Sabrina und wuchtete ihren schwerfälligen Körper als Erste durch die enge Vordertür. Der Bus machte einen Satz Richtung Boden, als Sabrina auf die Stufen stieg und sich ins Innere zwängte. Rebecca mochte sie, konnte aber nicht nachvollziehen, wie man so abfällig mit seinem Körper umgehen und dem eigenen Aussehen so gleichgültig gegenüberstehen konnte. Sie selbst betrieb exzessiv Sport, seitdem sie umgezogen war. Mit Paul war sie nur hin und wieder joggen gegangen.
»N’ Abend«, ertönte Cedrics Stimme hinter Rebecca. Neben ihm stand Lara, die dabei war, ihren Koffer in die Ablage zu stemmen. Ein Busfahrer hatte sich bereits hinter das Lenkrad gesetzt, der andere half den Schülern mit ihren Koffern.
»Ihr kommt reichlich spät«, mahnte Rebecca.
Cedric und Lara schienen absolut ungerührt. Er erwiderte breitspurig: »Wir sind rechtzeitig da.«
Das abfällige Grinsen, das seine Antwort untermalte, hätte ihm Rebecca am liebsten aus seinem hübschen Gesicht geschleudert. Noch lieber hätte sie es aus ihm herausgevögelt.
Aber sie verdrehte lediglich die Augen
Cedric sagte zu Lara: »Hoffe, Yannick hat uns den Platz freigehalten. Ich sitz’ auf keinen Fall auf den uncoolen Plätzen unten.« Dann drehten sie sich weg und liefen die Treppen nach oben. Rebecca stieg vorn ein und hörte, wie Lara und Cedric von den Mitschülern lautstark johlend empfangen wurden.
»Bei uns sind alle Schüler da. Hast du durchgezählt? Fehlt jemand bei dir? Können wir starten?«, fragte Robert aufgekratzt. Die Aufregung verwandelte ihn in ein Gespenst seiner eigenen Person.
»Ich glaube schon«, sagte Rebecca.
»Zähl durch! Nicht dass wir einen vergessen », riet ihr Sabrina.
»Kommst du mit, Robert? Bestimmt übersehe ich aus Versehen meine Schüler«, bat Rebecca. Robert erhob sich und trabte hinter ihr her ins obere Verdeck des Busses. Dort war die Party bereits in vollem Gange. Die Bässe schnöder Rap-Musik fluteten den Lärmpegel, der bereits auf einem unerträglichen Höchststand angekommen war. Das wilde Durcheinanderreden belastete Rebeccas Ohren. Vor allem Cedrics Stimme übertönte die ohnehin schon beängstigende Lautstärke.
Rebecca und Robert zählten sich mühsam durch die Reihen, kamen aber auch nach zweimaligem Durchmarschieren nur auf elf Personen. »Hast du Linus gesehen?«, fragte Rebecca an Robert gewandt.
Sie zwängten sich durch die engen Sitzreihen hindurch, fanden den Neunzehnjährigen aber auch beim zweiten Durchlaufen nicht.
»Unten?«, mutmaßte Robert. Das konnte unmöglich wahr sein und doch – als sie die engen Treppenstufen hinabglitten, fanden sie einen in der hintersten Reihe vor den Toiletten sitzenden Linus vor. Er hörte Musik und starrte gedankenverloren aus dem Fenster.
Rebecca stupste ihn an der Schulter an, sodass er aufgeschreckt herumfuhr. »Warum sitzt du nicht oben bei den anderen Schülern?«, wollte sie von ihm wissen. »Da sind noch Plätze frei.«
»Weiß ich, aber oben ist es mir zu laut und zu eng. Hier habe ich meine Ruhe.« Er lächelte scheu. Wollte er in ihrer Nähe oder tatsächlich allein sein? So ganz konnte Rebecca das nicht ergründen.
Sie schälte sich in ihren Sitz. Zwei Minuten später setzte sich der Bus träge in Bewegung und hinterließ einen verwaisten Parkplatz. Hier würde sie in fünf Tagen wieder stehen. Gesetzt den Fall alles lief glatt.
Eine Unebenheit auf der Fahrbahn riss Rebecca aus dem Dämmerschlaf. Die Welt um sie herum war in nahezu schwarze Finsternis getaucht. Ihre Beine fühlten sich matt und schwer an, zu wenig durchblutet. In ihrem Kopf hämmerte ein dumpfer Schmerz, der ihr auf die Augen drückte. Ihr linkes Handgelenk war eingeschlafen. Tausend winzige Nadelstiche kribbelten über die Haut. Sie registrierte, dass sie fuhr. Seit einigen Stunden waren sie unterwegs nach Norditalien. Selbst die Lichter des Armaturenbretts marterten ihre Augen. Das Fahrgeräusch tönte monoton durch den Bus. Außer dem gleichmäßigen Rauschen war nichts zu hören. Obwohl die Luft stickig roch und es ausreichend warm im Bus war, fror Rebecca. Sie zog daher ihre Jacke fest um ihren Körper.
Gegenüber saß Sabrina, die zwei Plätze für sich einnahm. Ihr breites Gesicht lehnte an der Kopfstütze an. Sie hatte die Augen geschlossen, aber ihr Mund stand reglos offen, als würde er ein anormales »Oh« formen wollen. Robert kauerte auf dem Viererplatz zu ihrer Linken. Er hatte die Beine auf den Sitzen ihm gegenüber ausgestreckt und gab leichte grunzende Laute von sich.
Als sich Rebecca aufrechter hinsetzen wollte, weil sie spürte, dass jeden Moment auch ihr Hintern kapitulieren würde, durchzuckte ein grauenvoller Schmerz ihre rechte Wade und schnellte sie von ihrem Sitz. Das abrupte Aufstehen weckte ihre Kollegin, die schlaftrunken die Lider hob.
Der Krampf drang mit einer solchen Wucht in ihr Bein, dass Rebecca die Worte im Mund stecken blieben und nur ein qualvolles Keuchen ihre Lippen verließ. Sie versuchte mit aller Gewalt, die Füße zu bewegen, doch sie kamen ihr wie erstarrt vor. Blind vor Schreck, reglos vor Schmerz. Sie fühlte sich zutiefst hilflos und wollte nur noch, dass diese stumme Pein ein Ende nahm.
Sie streckte die Beine nach dem Gang aus und wedelte mit ihnen in der Luft herum, um sich Linderung zu verschaffen. Offenbar verstanden ihre Beine das als Einladung, mit einer weiteren Verspannung zu reagieren, denn blitzartig schoss eine zweite Schmerzwelle durch ihre Wade.
»Hast du einen Krampf?«, murmelte Sabrina vor sich her. Wenn sie gekonnt hätte, wäre sie ihrer Kollegin für diese idiotische Frage an die Kehle gegangen. Die Qualen, die Rebecca ausstand, summierten sich zu einer unerträglichen Tortur.
Robert bekam davon nichts mit, denn er schlief tief und fest. Er bemerkte noch nicht einmal, dass Rebecca stampfend auf dem Gang herumpolterte und im schaukelnden Bus versuchte, ihrer Hölle Herr zu werden. Humpelnd bewegte sie sich von Sitz zu Sitz. Sie krallte sich an den Griffen fest, um Halt zu finden. Das Inferno, das durch ihr Bein wütete, legte sich erst nach etlichen Minuten, in denen sie den Bus einige Male durchschritten hatte.
Sie lief immer wieder an Linus vorbei, der wie ein Knäuel eingekauert in seinem Sitz schlief. Sein Rücken hob und senkte sich beim Ein- und Ausatmen. Als Rebecca zum vierten Mal an seinem Platz ankam, erwachte er und sah schläfrig auf. »Frau Peters«, nuschelte er leise. Schwer erhoben sich seine Lider vor den Augäpfeln und sanken immer wieder träge nach unten. »Was tun Sie da?«
»Ich habe einen Krampf im Bein«, gestand Rebecca, Stirn und Mundwinkel schmerzverzerrt. Wieder hinkte sie in das vordere Ende des Busses, lahmte zurück und kam wieder an seinem Platz vorbei. Nur langsam ebbte die Woge ab.
Linus hatte sich ein Stück aufgerichtet. Mit dem Ellenbogen stützte er sich auf seinem Sitz ab. Eine Jacke verdeckte seine Beine und seinen Unterleib. »Geht es Ihnen besser?«, murmelte er fürsorglich, als er bemerkte, dass sich die Anspannung in Rebeccas Gesicht legte. Sie nickte nur leicht, weil sie befürchtete, jeden Moment wieder von einer neuen Schmerzwelle durchflutet zu werden.
Reglos verharrte sie an seinem Platz. In der spärlichen Beleuchtung des Busses verwoben sich ihre Augen miteinander, ohne dass einer von ihnen einen Ton sprach. Da waren nur das gleichmäßige Rauschen des fahrenden Busses, ihr Herz und Linus’ schwerfällige Atmung. Rebecca schaute nach vorn zu Sabrina und Robert, die bloß schwach zu erkennen waren. Beide schlummerten offensichtlich.
Sie senkte ihren Körper auf den Sitz neben Linus nieder. Sie fühlte sich wohl bei ihm. In seiner Nähe empfand sie so etwas wie Geborgenheit. Woher dieses Gefühl kam, konnte sie nicht einordnen.
»Freuen Sie sich auf die Tage mit uns?«, fragte Linus leise und streckte unerwartet eine Hand nach Rebecca aus. Er streifte sie am Bein. Es war offensichtlich, dass er ihre Nähe suchte.
Sie schmunzelte leicht und legte ihre Hand auf die von Linus. Es war nur ein kurzer Händedruck, der ihm zeigen sollte, dass sie da war. Ihr Schüler lächelte zaghaft zurück. Ein Gespräch entwickelte sich nicht. Stattdessen schaute Linus sie bloß an.
»Schlaf weiter«, wisperte Rebecca, als sie bemerkte, dass seine Gedanken wegdrifteten und seine Augenlider matter wurden. Ohne etwas darauf zu erwidern, rollte sich Linus auf die Seite. Sie erhob sich, blieb einen kurzen Moment an seinem Platz stehen und lauschte seinen Atemzügen, die von den Fahrgeräuschen erstickt wurden.
Am frühen Morgen erreichten sie ihr erstes Ausflugsziel. Die Sonnenstrahlen knallten in den Bus und reizten Rebeccas Augen. Die lange Nacht wirkte mächtig in ihrem Kopf nach. Ein dumpfer Druck pochte gegen ihre Schädeldecke und riss ihre schlaffen Augenlider immer wieder nach unten. Gerade als sie glaubte, einschlafen zu können, wurde durch Robert für alle laut hörbar verkündet, dass in wenigen Minuten Padua erreicht werden würde. Ihr Kollege saß auf dem Notsitz und hantierte mit dem klobigen Mikrofon herum, das immer wieder seinen Dienst quittierte, wenn Robert nicht sachgemäß den Knopf gedrückt hielt.
Aus der oberen Etage schallten Stimmen durch den Bus. Ein untrügliches Zeichen, dass es den angehenden Abiturienten gut ging. An die ständigen Halte während der Nacht konnte sich Rebecca nur sporadisch erinnern. Da nur wenige Schüler den Bus verließen, gab es für sie keinen Grund, immerfort zu zählen, welche Schüler da waren und welche fehlten. Sicherlich wäre bereits jemand bei ihr gewesen, wenn ein Platz unbesetzt geblieben wäre.
Schwupp. Wieder waren Rebeccas schwere Augen zugefallen.
»… die Stätte des Heiligen Antonius von Padua. Die Basilika, die wir gleich besuchen werden, stammt aus dem dreizehnten Jahrhundert …« Robert langweilte mit geschichtlichen Details über die Stadt und die Kirche. Rebecca richtete den müden Blick nach draußen. Sie fuhren auf einer Art Autobahn, da immer wieder dichter Verkehr kolonnenweise am Bus vorbeizog. Die Häuser standen sehr eng, weshalb sich kein wirkliches mediterranes Ambiente einstellte.
Wieder nickte Rebecca kurz weg. »… Magnolie werdet ihr sehen, wenn ihr im Kreuzgang …« Robert faselte und faselte. Nur Satzbrocken erreichten ihr Gehirn.
»Ich bin ja mal aufs Hotel gespannt«, begann nun auch Sabrina munter vor sich her zu philosophieren. »Wenn wir wieder so eine Absteige kriegen wie in England, dann können wir uns frisch machen«, sagte sie und setzte ein munteres Gute-Laune-Morgen-Gesicht auf. Sie musste doch sehen, dass Rebecca keine Kommunikation anstrebte.
»Schaut doch mal nach links aus dem Fenster«, krähte Robert ins Mikrofon, »da seht ihr …«.
Rebecca dachte nicht ansatzweise daran, ihren schwergewichtigen Kopf auch nur einen Millimeter in die andere Richtung zu drehen. Überhaupt überfiel sie Beklemmung, als sie daran dachte, jetzt gleich aufstehen und durch Padua latschen zu müssen. Wieder driftete sie mit ihren Gedanken minutenweise davon. Wieder erwachte sie durch die wütenden Sonnenstrahlen. Wieder blökte Robert ins Mikrofon. Wieder säuselte Sabrina etwas Unwichtiges vor sich her. Sie wollte, dass dieser Alptraum ein Ende nahm und gleichzeitig fürchtete sie sich davor, der Bus könne anhalten und sie ausspucken. Er hielt auch, allerdings an mehreren Ampeln. Über ihr brüllte ein Schüler etwas Belangloses.
»Schaut doch mal da, da seht ihr …« Robert als Stadtführer. Rebecca wollte weder hinhören noch hinsehen. Warum verstand niemand in diesem Laden, dass sie keine Unterhaltung brauchte?
»Du bist ziemlich müde, was?«, stellte Sabrina unnötigerweise fest. Lag das nicht auf der Hand? »Lange kannst du nicht mehr pennen. Wir müssen gleich raus«, deutete ihre Kollegin an und reckte den Kopf von links nach rechts.
Sei doch endlich still!
Da sie verkehrt herum auf dem Viererplatz saß, drehte sich ihr fülliges Gesicht immer wieder in Fahrtrichtung. Die wulstige Masse ihres Halses ging nahtlos in das Kinn über. Einzig die rötlich schimmernden Haare zeigten an, dass sich etwas in ihrem Nackenbereich bewegte.
Der klotzige Bus schwenkte in einen Parkplatz ein. Behäbig fand er seine Position und kotzte einen Schüler nach dem anderen aus. Nur mühsam fand Rebecca ihre Beherrschtheit. Schwäche war jetzt nicht angemessen, sonst würden es ihr die Schüler nachmachen und ebenfalls schlechte Laune vortäuschen, um nicht die Kirche besichtigen zu müssen. Wenn bei den Schülern etwas zog, dann war es die nach dem Kirchenbesuch angesetzte Freizeit, die zum Shoppen in Padua einlud.
Es war gerade einmal kurz nach zehn, doch beim Aussteigen traf eine Wand angestauter Hitze auf Rebeccas ausgezehrten Körper. Sie würden sich auf ein paar hitzige Tage einstellen müssen, wenn die Sonne weiterhin so gnadenlos ihre Kraft zeigte.
Die Busfahrer warteten im gut klimatisierten Gefährt, während eine träge Masse an Schülern Richtung Zentrum lief. Weder roch Padua auffällig nach Stadt noch belästigte dichter Verkehrslärm Rebeccas Ohr. Eintönig wurde der Korso aus Jugendlichen, der auf dem Gehweg lief, von den Autos überholt. Der Weg bis zur Basilika war nicht besonders weit und trotzdem fühlten sich Rebeccas Beine aufgrund der ungemütlichen Nachtruhe bleischwer an. Der nächtliche Krampf in der Wade war zwar passé, sendete aber trotzdem noch Signale durch ihre Nervenbahnen und gemahnte daran, jederzeit wieder einsetzen zu können.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.