Kitabı oku: «Drachengabe - Diesig», sayfa 2

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„Ich denke schon“, erwiderte Akinna nachdenklich und sah dabei skeptisch auf einen Dornenbusch, der eine Seite des Baumes bis auf Augenhöhe für sich in Anspruch nahm.

„Kaum zu glauben.“ Dantra wollte eigentlich schweigen, doch sosehr er sich auch bemühte, es ging einfach nicht. „Aber wie 200 Schritt Grasfläche sieht das hier nicht aus“. Er zeigte kurz vom Baum zum schwarzen Baumwald. „Wenn es hochkommt, sind es vielleicht 30 Schritt. Aber das hast du ja selbst schon von dahinten festgestellt, nicht wahr?“ Er sah sie provozierend an.

„Nomos irrt sich dennoch nicht“, sagte sie zischend. „Es wird eine andere Erklärung dafür geben müssen.“

„Was für eine andere Erklärung?“ Dantra war empört, dass sie das Offensichtliche immer noch vehement abstritt. „Willst du mir jetzt wieder erzählen, dass irgendwelche Menschen schuld sind? Dass sie sich überlegt haben, einfach mal das kleine Wäldchen mitsamt diesem Baumkoloss umzupflanzen? Es ist, wie es ist! Und da gibt es auch nichts schönzureden! Nomos hat ...“ Dantra stockte. Während seiner Ausführungen hatte er Akinna nicht richtig angesehen. Erst jetzt bemerkte er ihre Augen. Darin tobte bereits ein Flächenbrand des Zorns. Ein Seelenspiegel, in den er schon einmal geschaut hatte. Oben in den Bergen. In der Höhle. In der Nacht, bevor Mac ermordet worden war. Sein eher kläglicher Wille zur Selbstbeherrschung bekam bei diesem Anblick einen unerwarteten Schub. Seinen Mund zu halten und seine Meinung nicht einfach herauszuargumentieren, war plötzlich gar kein Problem mehr für ihn. Er schluckte die letzten Wörter einfach herunter und stammelte stattdessen: „Na ja, ist eine seltsame Welt, in der wir leben. Es wird wohl eine andere Erklärung geben. Wollen wir den Eingang suchen?“ Er deutete auf die Dornenhecke und sah sie dabei so unschuldig an, wie er nur konnte.

Der Flächenbrand erlosch, sodass nur noch ein kleiner, flackernder Aufruhr blieb. Akinna wandte sich wieder der Suche zu, die kurz darauf erfolgreich war. Sie nahm ihren Bogen und ihren Köcher ab und kroch an einer unscheinbaren Stelle unter den Busch, wo das Schmerz bringende Dornengeflecht den Weg freigab.

Dantra nahm das Schwert von Comal vom Rücken und schob es zusammen mit seinem Deckenbündel und dem Vorratssack vor sich her, während er ihr folgte. Hier, vom Immergrün vor unwissenden Blicken geschützt, befand sich ein Loch im Baum, durch das sie beide in das Innere gelangten. Die Dunkelheit darin ließ ihren Augen keine Chance. Selbst Akinna konnte nur noch schemenhaft sehen. Sie zog einen kleinen, glatten Stein aus ihrem Umhang und rieb ihn zwischen ihren Händen, als wollte sie ihn wärmen, und legte ihn dann in die vermutete Mitte des Hohlraums. Kurz darauf fing er an zu leuchten.

Das Innere des Raumes wurde nun durch ein mattes weißes Licht erhellt. Es schien, als würde der Baum nur aus Rinde bestehen. Die innere Größe unterschied sich wenig von der äußeren. Selbst die dicken Äste waren hohl. In ihnen verlor sich das Licht allerdings schnell, sodass sie nur wenig einsehbar waren.

Dantra staunte nicht schlecht. Allerdings mehr über den leuchtenden Stein als über das Naturbauwerk, in dem sie sich befanden. „Was ist das?“, fragte er, während sein Zeigefinger sich langsam auf den Stein zubewegte.

„Finger weg!“ Dantra zuckte zurück. „Das ist ein Lumenkristall. Wenn du ihn berührst, verliert er seine Leuchtkraft.“ Ihr Ton entsprach ihrer noch immer schlechten Laune. Aber Dantra merkte, wie sie ihm beim Versuch, die Selbstbeherrschung nicht zu verlieren, folgte. „Es ist ein Kristall, der lediglich in einem kleinen Berg im Fallgebirge vorkommt. Und nur, wenn diese Kristalle von Elben abgebaut werden, erlangen sie ihre Magie. Ich habe ihn von meinen Eltern bekommen und sie hatten ihn wie auch meine Pfeile, meinen Bogen sowie meinen Umhang von ...“ Akinna stockte. Und horchte.

„Was ist los?“, flüsterte Dantra.

Sie jedoch legte als Antwort einen Finger auf den Mund, sodass er schwieg und stattdessen vergebens versuchte zu hören, was sie hörte. Akinna beugte sich vornüber und flüsterte Dantra ins Ohr: „Halt mal bitte die Luft an.“

Er sah sie verwirrt an. Mit ihrer Mimik verdeutlichte sie noch einmal ihre Aufforderung. Also holte er tief Luft und verharrte absolut geräuschlos. Noch bevor er sich weitere Gedanken über ihr Verhalten machen konnte, war sie schon aufgesprungen und hatte einen Pfeil abschussbereit auf die Sehne gelegt. Dantra wusste zwar nicht, was los war, sprang aber dennoch auf und zog sein Schwert.

„Komm raus oder dein Tod ist dir sicher!“, rief Akinna in einen der dunklen, breiten Äste hinein.

Nichts tat sich.

Verstört sah Dantra seine Begleiterin an. „Was ist denn ...“

Akinna fiel ihm laut rufend ins Wort, als sie ihre Drohung wiederholte. „Es ist deine letzte Chance. So tief kannst du gar nicht in diesen verfluchten Ast reinkriechen, dass ich dich mit meinem Pfeil nicht erwische.“

Es dauerte noch einen kleinen Moment, dann hörte auch Dantra etwas. Ein Schaben, ein Kratzen und das Rasseln von Metall.

Ein Mann, den Dantra auf 40 Jahre schätzte, erschien im Lichtschein und sprang aus dem Ast heraus zu Boden. Unter dem abschussbereiten Pfeil von Akinna erhob er sich. Er war vielleicht einen halben Kopf größer als Dantra, hatte kurzes, helles Haar und blaue Augen, aus denen er abwechselnd unsichere Blicke auf die beiden warf. Sein Gesichtsausdruck, seine Körperhaltung, nichts deutete darauf hin, dass er auf einen Kampf aus war. Seine Kleidung jedoch entkräftete diese Annahme bis zur Bedeutungslosigkeit. Er trug die Uniform der Zerrocks!

„Mein Name ist Inius.“ Seine Stimme klang brüchig. „Ich nehme jetzt mein Schwert von meinem Gürtel und gebe es euch als Zeichen, dass ich euch nichts tun will.“

„Du meinst, als Zeichen, dass du nicht sterben willst“, verbesserte ihn Akinna. Ihre Stimme war wie gewohnt fest und zu allem entschlossen.

„Ja, natürlich. Das habe ich gemeint.“ Der Mann löste ganz langsam seine Waffe von ihrer Halterung und legte sie vor sich auf den Boden.

„Die Messer“, forderte Akinna ihn auf. „Du bist ein Pes-Zerrock einer Civitas-Einheit. Das erkenne ich an deiner Uniform. Zu eurer Ausrüstung gehört ein Messer am Hosenbund hinterm Rücken und eines im Stiefel.“

Der Mann sah sie etwas verwundert an. Dass jemand solche Kenntnisse über die Bewaffnung der Zerrocks hatte, fand er sicherlich seltsam, jedoch machte er keine Anstalten, sie eines Besseren zu belehren und den Besitz der Messer abzustreiten. Stattdessen holte er diese ebenfalls ganz langsam hervor und legte sie neben sein Schwert.

„Nimm die Waffen“, forderte Akinna Dantra auf.

Dieser steckte sein Schwert weg, nahm die Waffen und legte sie hinter Akinna.

„Ich bin kein Zerrock. Nicht mehr.“ Der Blick des Mannes schweifte von ihnen weg. „Also, zumindest ... glaube ich das.“ Seine Gedanken folgten seinem Blick. Es schien, als hätte er kurz vergessen, wo und in welcher Situation er sich gerade befand.

Nach einem Moment der Stille holte Akinnas barscher Ton ihn zurück in seine bedrohliche Lage. „Du trägst die Uniform eines Zerrocks, also bist du ein Zerrock. Die einzigen zwei Fragen, die es zu klären gilt, sind: Woher kennst du dieses Versteck und sind noch mehr von deiner Einheit in der Gegend?“

„Nein, ich bin allein.“ Erst jetzt schien er Akinnas Pfeil, der unverändert auf sein Herz gerichtet war, richtig wahrzunehmen. „Ich weiß nicht, ob noch mehr Zerrocks hier in der Nähe sind. Aber wenn, dann weil sie nach mir suchen. Daher habe ich mich hier versteckt. Ich bin seit gestern auf der Flucht vor ihnen. Als ich am schwarzen Baumwald entlanglief, fiel mir das dichte Dornengebüsch auf. Eigentlich wollte ich mich nur unter ihm, vor suchenden Blicken geschützt, ausruhen. Dann aber habe ich das Loch im Baum gesehen und bin hier hereingekrochen. Ich bin wohl kurz eingeschlafen. Eure Stimmen haben mich geweckt. Da ich nicht wusste, wer ihr seid und ob ihr hier hereinkommt, bin ich vorsichtshalber in den Ast gekrochen. Wie hast du mich eigentlich gehört? Ich habe doch gar kein Geräusch von mir gegeben.“

„Ich habe dich atmen hören, so wie ich dich gleich sterben höre.“

Das Gesicht des Mannes, das ohnehin schon blass aussah im fahlen Licht des Kristalls, verlor nun auch noch seine letzten Farbschattierungen. Auf der Suche nach den richtigen Worten, die Akinna vielleicht gnädig stimmen könnten, öffnete er seinen Mund, als Dantra nun seinerseits das Wort ergriff.

„Meinst du, dass das wirklich nötig ist?“, fragte er Akinna, ohne dabei sein Gegenüber aus den Augen zu verlieren.

Ihre Antwort war unmissverständlich. „Entweder er oder wir!“

„Aber glaub mir doch“, Inius sprach jetzt nur noch zu Akinna, „ich werde euch nichts tun. Das schwöre ich.“

„Du vielleicht nicht, aber der Rest deiner Einheit oder irgendwelche anderen Zerrocks, an die du uns verrätst.“

„Sollte ich je wieder einem Zerrock begegnen, so werde ich tot sein, bevor ich auch nur ein Wort sagen kann.“

„Warum? Was hast du denn getan?“ Dantras Neugierde war geweckt.

„Ich werde es euch erzählen, aber kannst du bitte vorher ...“ Er deutete auf Akinnas Pfeil. Sie wusste natürlich, was er von ihr wollte, zögerte aber, seiner Bitte nachzukommen.

Dantra beugte sich etwas zu ihr hinüber und flüsterte: „Wir wissen doch beide, dass du ihm schneller einen Pfeil zwischen die Augen schießt, selbst wenn dein Bogen neben dir liegt, als er für den Gedanken bräuchte, uns anzugreifen.“ Dantras Argument entsprach nicht nur der Wahrheit, es schmeichelte ihr auch.

„Setzen!“, befahl sie Inius, und erst als er ihre Anweisung befolgt hatte, ließ sie Pfeil und Bogen sinken, jedoch ohne sie aus der Hand zu legen, und setzte sich ebenfalls.

Dantra, der es ihnen natürlich sofort gleichtat, nutzte die aufgekommene Stille für eine weitere Frage, noch bevor der Zerrock die erste beantworten konnte. „Was ist das eigentlich für ein seltsamer Name, Inius?“

„Anhand meines Namens könnte man herausfinden, wo und wann ich geboren wurde“, erklärte er. „Wenn man als Säugling auserwählt wird, ein Zerrock zu werden, so erlischt für einen das Leben seiner Vorfahren. Aber um die Spur nicht ganz zu verlieren, haben sich die Drachen ein Verfahren ausgedacht, das dieses verhindern soll. Das erste I steht für den Zuständigkeitsbereich, in dem man auf die Welt kam. N für den genauen Geburtsort, das nächste I für das Geburtsjahr, U für den Tag und S ist der Anfangsbuchstabe des Namens meines Vaters.“

„Du weißt ziemlich viel über dieses System“, merkte Akinna argwöhnisch an. „Meines Wissens sollen Zerrocks diese Kenntnisse gar nicht haben. Denn nichts soll sie auf den Gedanken bringen, ihre leiblichen Eltern zu suchen. Wieso weißt du also so viel?“

„Du hast recht.“ Seine Augen verengten sich. „Ich weiß weitaus mehr, als man als gewöhnlicher Zerrock wissen sollte. Du aber“, seine Stimme wurde nun bedrohlicher, herrischer, „verfügst ebenfalls über eine Menge Kenntnisse, die man als Schutzverweigerer“, er sprach das letzte Wort bewusst langsam und betont aus, „gar nicht haben sollte.“

Dantra war fast gewillt, die Flucht zu ergreifen. Inius’ Art, zu reden und sie beide anzusehen, erweckte in ihm das Gefühl der Unterwürfigkeit. Als wäre er ein Hund, dem Prügel drohten. Unsicher sah er zu Akinna. Sie war ruhig. Sehr ruhig. Gefährlich ruhig.

Was Dantra erst nur als Zucken wahrnahm, war in Wirklichkeit ein Hochschnellen, Vorpreschen und Kampfbereitmachen. „Wenn du noch einmal versuchst, deine hinterhältigen Verhörmethoden bei mir anzuwenden, noch einmal in solch einem herablassenden Ton mit mir sprichst oder auch nur diesen arroganten Blick aufsetzt, bist du ebenso Geschichte, wie es deine Vorfahren für dich sind!“

Dantra wusste nun, was Comal vor einigen Tagen in der Höhle oben im Eggegebirge gesehen hatte. Eine magische elbische Geschwindigkeit auf der einen Seite und die pure Panik vor dem, was gerade geschah, auf der anderen. Denn Akinna war vorgeprescht, hatte ihren Bogen erneut gespannt und dabei die Pfeilspitze so dicht an das rechte Auge des Mannes herangeführt, dass er sie beim Zwinkern berührt hätte. Jedoch ließ der Schock nicht einmal das zu. Er hatte vielleicht schon mal von der elbischen Schnelligkeit gehört, aber hatte er es auch geglaubt? Und er konnte nicht ahnen, dass der Mensch vor ihm zur Hälfte eines dieser magischen Geschöpfe war, da Akinna sich bewusst, noch bevor sie ihn aufforderte, aus dem Ast zu kommen, die Kapuze wieder übergestreift und so ihre Elbenohren unsichtbar gemacht hatte.

Nach einer kurzen Stille, die Akinna in ihrer todbringenden Position verharrte, setzte sie sich wieder. „Du bist nicht nur ein Pes-Zerrock einer Civitas-Einheit, nein, du gehörst zu den Niederträchtigsten der Drachenzunft. Du bist ein Infans Raptor.“

Der noch immer panische Blick von Inius senkte sich gen Boden. „Ich wusste nicht, dass das, was ich tue, als so abartig angesehen wird.“ Seine Stimme wurde nun wieder dünner und brüchiger. „Erst heute ist mir bewusst geworden, welche Abscheulichkeiten ich nun schon mein ganzes Leben tue.“

„Hä?“ Dantra hatte das Gefühl, den Anschluss verloren zu haben. „Was macht denn ein Infans Raptor?“

„Erklär du es ihm“, forderte Akinna Inius auf. „Aber halt dich an die Wahrheit.“

Inius überlegte kurz. Er schien den richtigen Anfang zu suchen. „Nun gut“, begann er schließlich, „du weißt ja sicher um die Plichten und Rechte derer, die unter dem Schutz der Drachen leben.“

„Unter dem Schutz der Drachen, pah, dass ich nicht lache“, spottete Akinna.

Ein kurzes Zucken in Inius’ Gesicht hätte man als Missbilligung von Akinnas Bemerkung deuten können. Er ließ sich aber nichts weiter anmerken und fuhr mit seiner Erklärung fort. „Eine der größten Pflichten, die zugleich auch eine der größten Ehrungen ist, bezieht sich darauf, sein Neugeborenes in die Dienste der Drachen zu stellen und es zu einem Zerrock ausbilden zu lassen. Wir, das heißt, meine Einheit und ich, sind dafür zuständig, wenn ein Liberi-Epulo eine Woche vor der Geburt die Hand auf den Mutterleib gelegt hat und das Ungeborene als geeignet für diesen ehrenvollen Dienst befunden hat, es eine Woche nach der Geburt zu holen.“

„Du meinst“, hinterfragte Dantra nachdenklich, „deine Einheit ist dafür zuständig, dass den Menschen ihre Kinder weggenommen werden?“

„Wir nehmen sie ihnen nicht weg“, versuchte Inius sich zu rechtfertigen. „Für die meisten Menschen ist es eine große Ehre, wenn ihr Kind für tauglich befunden wird, als Zerrock zu dienen. Wir haben schon Kinder geholt, da wurden wir empfangen wie Könige. Es wurden Feste für die Eltern und für das Kind gefeiert, weil sie das große Glück hatten, auserwählt worden zu sein. Viele von ihnen haben das rote Kreuz, womit der Liberi-Epulo eine Woche vor der Geburt die Tür markiert, damit jeder weiß, dass hier ein zukünftiger Drachendiener auf die Welt kommt, noch lange Zeit dort gelassen, weil sie stolz auf diese Ehre waren.“

„Man kann alles irgendwie schönreden“, kommentierte Akinna das bisher Gehörte bissig. „Nun erzähle ihm endlich von der Kehrseite der Medaille. Denn die ist es, auf die es ankommt. Die paar Verwirrten, die glauben, sie würden etwas Großes tun, wenn sie ihre Neugeborenen in eure von Blut beschmutzten Hände legen, gibt es natürlich auch, aber das sind wohl die wenigsten.“

„Du hast recht“, pflichtete Inius ihr bei. „Es gibt sicherlich auch einige, die ihr Kind nicht hergeben wollen. Obwohl es ihre Pflicht ist, da sie jahrelang unter dem Schutz der Drachen gelebt haben, können sie in dem Moment, in dem sie ihr Neugeborenes in den Armen halten, es nicht mehr hergeben. Doch eine Wahl hat man nicht. Es gibt keine Möglichkeit, diese Pflicht in eine andere umzuwandeln. Auch ist es nicht möglich, sie mit Geld einzulösen. Wenn der Liberi-Epulo die Beurteilung mit dem roten Kreuz abschließt, ist das Schicksal des Kindes besiegelt.“

Akinna ergriff wieder das Wort und in diesem waren Abneigung und Hass deutlich zu vernehmen. „Während eure Pferde vor ihren Türen ihren stinkenden Kot fallen ließen, seid ihr hineingegangen und habt ihnen ihre Kinder geraubt. Sie ihnen entrissen und sie mit Schlägen und Tritten bestraft, selbst wenn sie sich nur mit Worten gewehrt haben. Und nicht selten habt ihr sie sogar getötet. Den Vater, die Mutter, vielleicht auch beide. Getötet und liegen gelassen wie verendetes Vieh am Wegesrand. Nur um euren dämonischen Drachen hörig zu dienen.“

Stille. Dantra konnte nichts sagen. Er wusste natürlich um die beschriebene Pflicht, doch da in einem Kloster keine Kinder geboren und nur solche geraubt wurden, deren Fähigkeit, als Zerrock zu dienen, schon im Mutterleib erkannt wurde, blieb dieser traurige Aspekt der Drachenherrschaft immer draußen vor den Toren des Eberbachklosters.

Akinna schwieg, um sich zu beherrschen. Um den Mann nicht doch noch bei dem Gedanken, was er mit seinen mörderischen Händen in seinem Leben schon alles angerichtet hatte, zu töten.

Und Inius? Vermutlich schwieg er nicht nur aus Scham, sondern auch, um nicht das Falsche zu sagen. Um Akinna nicht doch noch einen Grund zu geben, ihren Pfeil in seinem Auge zu versenken.

Als Dantra seine Gedanken wieder auf das vorher Gehörte lenkte, fragte er: „Und was hast du nun getan, dass die Zerrocks deinen Tod wollen?“

Inius schaute auf. Schaute ihm direkt in die Augen und sagte mit fester Stimme: „Ich bin gelaufen. Ich bin einfach nur gelaufen. Ich bin geflohen vor mir selbst.“

***

Ich fühle mich erschöpft. Erschöpft und vollkommen kraftlos.

Ich brauche Essen. Mehr Essen. Viel Essen.

Sie reichen nicht. Nicht mehr. Zu wenig dran.

Groß und mit viel Fleisch. Das brauche ich. Das will ich.

*

Kapitel 2

„Wenn du glaubst, dass du uns verwirren kannst, nur weil du in Rätseln sprichst, dann täuschst du dich aber gewaltig“, fauchte Akinna ihn an.

„Also, bei mir funktioniert es“, stellte Dantra nüchtern fest. „Wie meinst du das, du bist vor dir selbst weggelaufen?“

„Es ist nicht meine Absicht, euch zu verwirren“, ging Inius zuerst auf Akinnas Behauptung ein. „Aber was gestern geschah, lässt mich nur schwer einen klaren Gedanken fassen.“ Wieder verstrich eine geistesabwesende Pause, bevor er Dantras Frage beantwortete. „Ich habe dir ja gerade erklärt, aus welchen Bestandteilen sich mein Name zusammensetzt. Ich denke, dass das Wissen darum nicht völlig verschwinden soll, dient dem Zweck, dass ein Zerrock nicht zufällig auf sein Elternhaus stößt. Das bedeutet, man wird dort eingesetzt, wo aufgrund der hohen Entfernung das Risiko verschwindend gering ist, beabsichtigt oder unbeabsichtigt irgendeinen Hinweis auf seine Herkunft zu erlangen. Jedoch befürchte ich, dass dieses ansonsten tadellos funktionierende System bei mir gestern vollkommen versagt hat.“

Sein fester Blick, seine aufrechte Körperhaltung, alles verschwand. Ihnen gegenüber saß nun nur noch die menschliche Abbildung eines morschen, blätterlosen Gehölzes, welchem auf nicht einmal halbem Wege, sich die Bezeichnung als Baum zu verdienen, die brütende Sonne und das fehlende Wasser jegliche Kraft genommen hatten. Seine Stimme wurde noch eine Stufe tonloser und nicht selten musste er über eine erdrückende Selbsterkenntnis schlucken.

„Meine Einheit war oben in Lingstir, als ich mit meinem Trupp zur Verstärkung in ein Haus gerufen wurde. Das Kind, das es zu holen galt, war das Erstgeborene aus einer langen Ehe, die bis dahin kinderlos geblieben war. Für die Eltern war daher die Schwangerschaft ein regelrechtes Wunder, ein Zeichen Gottes. Doch der Liberi-Epulo hatte das Kind als würdig zu dienen erklärt. Die Gegenwehr des Vaters war außergewöhnlich stark. Als ich das Haus betrat, hielten zwei meiner Kameraden die Mutter fest, während ein dritter versuchte, ihr das Kind aus den Armen zu reißen. Der Vater wurde von drei weiteren Mitgliedern meiner Einheit festgehalten. Anfangs konnte ich sein Gesicht nicht sehen. Ich bemerkte aber etwas Funkelndes inmitten der vier miteinander ringenden Männer und hielt es für eine Klinge. Eine, die der Vater in den Händen hielt. Ich zog also mein Messer, drückte einen meiner Kameraden beiseite und stach zu.“

Dantra bemerkte, wie sich das schwache Licht des Kristalls in den Augen des Zerrocks funkelnd widerspiegelte.

„Erst da bemerkte ich sein Gesicht“, fuhr Inius fort. „Mein Gesicht. Ich schaute in das Gesicht meines Zwillingsbruders, von dessen Existenz ich vorher nichts gewusst hatte. Ich sah ihn zum ersten Mal. Meine Augen betrachteten einen Sterbenden und mein Messer hatte ihm den Tod gebracht.“

Es war, als wäre ein Sturm über das ohnehin schon karge Gehölz hinweggefegt. Ein Sturm der Verzweiflung und des schlechten Gewissens, der ihn gebrochen und in einer nicht lebenswerten Einöde zurückgelassen hätte. Inius vergrub sein Gesicht in seinen Händen. Dantra wusste, dass es ihm schwerfallen musste, dem Aufbegehren seiner Gefühle, dem Schluchzen nicht nachzugeben.

Nach einer kurzen, drückenden Pause fuhr er fort, ihnen seine zerreißenden Seelenqualen darzulegen. „Aber das Schlimmste, das, was mir das Herz aus der Brust riss, stand mir noch bevor. Als der gellende Panikschrei der Mutter, mit dem sie seinen Namen genannt hatte, verhallte, sah ich von ihr zu einem älteren Ehepaar, das ängstlich und eingeschüchtert in eine Ecke kauerte. Ihre Augen, ihre Gesichtszüge, ihre ganze Statur, sie waren es zweifellos. Sie waren meine Eltern. Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich meine Eltern. Und sie? Sie sahen mich. Ihren Sohn. Und gleichzeitig den Mörder ihres anderen Sohnes. Während unsere Blicke sich trafen, tropfte das rote Blut von der Klinge, deren Griff ich noch immer fest in der Hand hielt, zu Boden. Ich hatte das Gefühl zu ersticken. Ich hatte das Gefühl, lebendig begraben zu sein. Begraben unter den Menschen, denen ich im Laufe der Jahre so viel Leid zugefügt hatte.“ Ein tiefes, zittriges Seufzen unterbrach die Selbsterkenntnis seiner Grausamkeit nur kurz. „Ich ließ das Messer los und rannte. Rannte aus dem Haus, aus der Gasse und aus dem Ort. Ich sah mich weder um, noch hörte ich auf das, was mir meine Kameraden nachriefen. Ich rannte und rannte. Immer weiter. Erst hier stoppte ich. Und mir ist bewusst geworden, egal, wie weit oder wohin ich noch renne, was geschehen ist, ist geschehen. Das kann ich nicht mehr ändern. Diese Schuld werde ich lebenslang in mir tragen. Und dafür werde ich mich lebenslang hassen.“

Unter den misstrauischen Blicken Akinnas kroch er zurück an die Rindenwand des Baumes und kauerte sich dort, von ihnen abgewandt, zusammen.

„Dantra, leg dich zum Schlafen hin“, forderte Akinna. „Wir haben für heute genug gehört. Ich bleibe wach und passe auf, dass er seine Meinung nicht doch noch ändert und über uns herfällt.“

„Also, ich glaube nicht, dass er seine Meinung ändern wird“, entgegnete ihr Dantra. „Ganz im Gegenteil. Du solltest lieber aufpassen, dass er sich nicht selbst was antut.“

„Wenn er das für das Richtige hält, werde ich ihn nicht abhalten. Er hat so vielen Menschen Leid zugefügt, dass das vielleicht der einzige Weg ist, um Reue zu zeigen.“

Dantra ließ ein überlegendes „Mhh“ hören, bevor er seinen Schlafplatz herrichtete und diesen kurz darauf als solchen benutzte.

Ein Specht, der sich irgendwo hoch oben in ihrer naturbelassenen Nachtunterkunft mithilfe seines Schnabels Zutritt verschaffen wollte, weckte Dantra auf. Nur wenig Tageslicht schaffte es, durch den Blättervorhang der Dornenhecke und durch den schmalen Eingang in das Innere des Baumes zu dringen. Es war wie schon am Vorabend dem Kristall zu verdanken, dass man etwas sehen konnte.

Als Dantra sich aufsetzte, blickte er Akinna fragend an. „Hast du dich seit gestern Abend eigentlich bewegt?“ Sie saß exakt an dem Platz, an dem sie sich am Vorabend niedergelassen hatte.

„Guten Morgen“, antwortete sie nur und sah dann wieder zu dem noch schlafenden Inius.

„Was machen wir jetzt mit ihm?“, fragte Dantra.

„Ich weiß es nicht genau“, antwortete Akinna unentschlossen. „Wenn wir sichergehen wollen, dass von ihm keine Gefahr mehr ausgeht, muss ich ihn töten.“

„So wie ich die Sache sehe, kommt es nicht oft vor, dass ein Zerrock sich selbst von seinen Pflichten entbindet, oder?“

„Meines Wissens kam so etwas noch nie vor“, bestätigte Akinna seine Annahme.

„Nun, dann sollten wir erst mit Nomos reden, bevor du ihn tötest. Kann doch sein, dass er mit seinen Kenntnissen für unsere Sache noch von großem Nutzen sein kann.“

Akinna dachte kurz über Dantras Vorschlag nach, dann stand sie auf und weckte Inius mit einem leichten Tritt gegen seinen Rücken auf. „He, werd wach“, forderte sie ihn auf. „Es ist Zeit, eine Entscheidung zu treffen.“

Inius drehte sich langsam um und sah die beiden aus verquollenen Augen an. Kein Zweifel, es war noch nicht lange her, dass sein schlechtes Gewissen ihn endlich hatte einschlafen lassen. Er versuchte, sie durch Reiben zur Aktivierung ihrer Fähigkeit zu bewegen.

Akinnas folgende Frage half dabei ausgesprochen gut. „Willst du jetzt sterben? Dann bringe ich die Sache zu Ende.“

Sein Blick huschte von ihr Hilfe suchend zu Dantra. Da dieser aber auch einen Antwort heischenden Gesichtsausdruck zeigte, meinte er unsicher: „Wenn ich diese Entscheidung treffen darf, so würde ich unbedingt weiterleben wollen.“

„Unbedingt?“ Akinna neigte ihren Kopf ungläubig zur Seite. „Gestern Abend hatte ich eher den Eindruck, dass deine Taten dich selbst ins Grab treiben würden. Und nun willst du unbedingt weiterleben?“

„Nicht für mich“, begründete er sein Bestreben. „Ich weiß genau, dass meine Kameraden das Kind ... meinen Neffen“, korrigierte er sich nachdenklich, „mitgenommen haben. Und ich weiß auch, wo sie ihn hinbringen. Ich will ihn holen und zu seiner Mutter zurückbringen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich dabei sterbe, ist zwar sehr groß, jedoch geschieht dies lieber bei dem Versuch, etwas von meiner Schuld zu begleichen, als hier und jetzt sinnlos in diesem kargen Loch.“

Nicht nur Dantra stand die Verwunderung über das Gehörte ins Gesicht geschrieben. Selbst Akinna war überrascht. Nicht, dass sie seinen selbstlosen Zukunftsplänen wirklich Glauben schenkte, aber auch wenn es eine Lüge war, um seine Haut zu retten, kam diese Aussage dennoch unerwartet. Ein Zerrock, der damit drohte, gegen andere Zerrocks, seine Kameraden ‒ nach ihren Herren, den Drachen, das Wichtigste in ihrem Leben ‒ zu kämpfen, war eigentlich unvorstellbar.

Solch eine Aussage, selbst ohne einen Funken Wahrheit darin, würde sicher seine Vierteilung bedeuten. Allerdings nicht von vier Pferden vollstreckt, denn das wäre einem derartigen Verrat nicht angemessen, sondern von vier Männern an je einem Strick, denen selbst daran gelegen war, dass der Verräter sich so lange wie möglich quälte, bis der Tod ihm die Schmerzen nähme.

Akinna suchte kurz den Augenkontakt mit Dantra, der ihr seine unveränderte Meinung zum weiteren Vorgehen in Bezug auf Inius bestätigte. Dann befahl sie dem Zerrock, sich mit dem Gesicht zur Wand auf den Boden zu knien. Sie platzierte Dantra direkt hinter ihm und legte die Spitze seines Schwertes, das er in der Hand hielt, direkt in den Nacken seines Vordermannes.

„Wenn er auch nur verdächtig hustet, stichst du zu, verstanden?“ Dantra nickte. „Ich gehe raus und suche etwas, womit wir ihn fesseln können“, erklärte sie. „Und damit du dir keine falschen Hoffnungen machst“, drohte sie Inius, „du wärst nicht der Erste, den Dantra tötet. Glaub also nicht, du könntest dir irgendwelche Hemmungen seinerseits zunutze machen. Denn die hat er nicht.“

Für Dantra klang die Beschreibung seines Gewissens etwas zu hart. Sie ließ ihn in einem für ihn unangenehmen Licht dastehen, da es einen Schatten der Unbarmherzigkeit warf. Aber er wusste natürlich, dass er hier und jetzt im Falle des Falles in der Tat keine Skrupel haben durfte. Also waren Akinnas harte Worte die beste Möglichkeit, um das zu Vermeidende tatsächlich zu vermeiden, um ihn nicht töten zu müssen.

Akinna war nur kurz fort. Als sie zurückkehrte, hielt sie einige dünne, weiche Äste in der Hand. Geschickt flocht und knotete sie diese zu einem fünf Fuß langen Strick zusammen. Anschließend musste Inius sich auf den Bauch legen. Akinna fesselte seine Hände auf dem Rücken und schnürte dann, nachdem er seine Beine angewinkelt hatte, auch noch seine Füße zusammen.

„Ich weiß“, kommentierte Akinna ihr Handwerk, „bequem ist das nicht. Aber wenn deine Gelenke zu schmerzen anfangen oder die Stellen an deinem Körper, die du nicht erreichen kannst, jucken, freu dich darüber. Das sind alles Anzeichen dafür, dass ich dich nicht getötet habe. Noch nicht. Denn ich werde deine Geschichte prüfen. Sollte auch nur ein kleiner Teil davon nicht der Wahrheit entsprechen, kannst du dir sicher sein, dass dich schon heute Abend nichts mehr zwickt.“

Kurz darauf waren Dantra und sie auf dem Weg zum blauen See. Das Wetter hielt etwas Nebel für sie parat, durch den die Sonne nur suppend hindurchwaberte.

„Und?“, fragte Dantra. „Hast du schon eine Idee, wie wir uns bei den hohen Elfen der Tiefe Gehör verschaffen wollen?“

„Ich werde sie rufen, sie bitten, sie heraufbeschwören, und wenn es nicht anders geht, führe ich sogar einen Tibohtanz auf. Irgendwie wird es schon funktionieren. Irgendwie muss es funktionieren. Sonst stecken wir mit unserer Mission in einer Sackgasse.“

Nach einigen schweigenden Schritten durchs nasse Gras fügte sie noch eine weitere Möglichkeit an. „Wenn die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hat, werde ich mit Nomos Kontakt aufnehmen. Wenn wir es bis dahin noch nicht geschafft haben, wird er sicher die eine oder andere Idee haben, wie wir die hohen Elfen erreichen können.“

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