Kitabı oku: «Bravourös in die Suppe gespuckt», sayfa 6
Ausmarsch – nun soll aus mir was werden
Papa mahnte, ja nichts mit einer Rothaarigen anzufangen
Es war so weit: Mit einer riesengroßen, zum Bersten gefüllten Reisetasche, war ich Ende der Siebziger bereit, als Student in die Welt zu ziehen. In letzter Minute hatte mich Papa noch auf dem Acker aufgeklärt, indem er mich streng ermahnte, ich solle unbedingt meine Hände auf den Rücken nehmen, wenn Mädchen auf der Bildfläche erschienen. Und wenn in frühestens etwa fünfzehn Jahren daran zu denken sei, wenn überhaupt, sollte ich mir ja nicht einfallen lassen, etwas mit einer Rothaarigen anzufangen, denn mit Grausen dachte er an mögliche Enkelkinder mit solchen Haaren. Ich nickte wie immer und dachte mir meinen Teil. Mein Neffe, der der liebste Junge auf der Welt ist, kam als Rotschopf auf dieselbe. Und das, obwohl sich mein Bruder bei der Auswahl der Mutter seiner Kinder an die Weisung unseres Vaters gehalten hatte. Dass die Mendelschen Gesetze sich so heimtückisch gegen Papachen verschworen hatten, war eine Ironie und höchst amüsant.
Zum Studieren hatte ich mir E. ausgesucht. Nach umständlicher Anreise endlich am Ziel, war mir flau in der Magengegend. Vor Hunger und weil unklar war, was nun kommen würde. Die Zeit an jener Alma Mater sollte die unbeschwerteste meines Lebens werden, an die ich mich noch heute gern zurückerinnere. Als meine bange Frage, ob es hier Pflicht wäre, Mathematik zu lernen, mit Nein beantwortet wurde, beschloss ich zu bleiben. Schon damals legte ich Wert darauf, mich im Bedarfsfall in ruhige Gefilde zurückziehen zu können. Das zuständige Direktorat legte mich aber nicht nur als dritten Mann in ein winziges Zweibettzimmer, sondern auch noch zu Buffen-Bert und Thilo. Die gehörten nicht zu meiner Seminargruppe. Das fing gut an. Buffen-Bert sah nicht nur aus wie ein mittelalterlicher Zigeunerhauptmann, sondern lebte auch so. Er war im 3. Studienjahr angekommen, lernte nie, schlief täglich bis Mittag und bettete sein ungepflegtes Haupt auf einen Haufen aus getragener Unterwäsche, Schriften von Rosa Luxemburg sowie mehreren Packungen Harzer Käse, den er bevorratete. Auf gepflegte Äußerlichkeiten legte er nicht den geringsten Wert, trug meist nur einen Strumpf, den aber mit Riesenloch. Trotzdem schleppte er ab und an Studentinnen auf sein Steinzeitlager. Die hatten interessanterweise den Spätmädchen-Charme englischer Gouvernanten. Pünktlich 2.30 Uhr kramte er seine Gitarre hervor, um einen tadellosen Blues hinzulegen. Mit dem Absatz seines Schuhes stampfte er den Takt. Thilo und ich hatten den Eifer der Erstsemester im müden Blick und am zeitigen Morgen die erste Vorlesung. Es war nicht zum Aushalten. Buffen-Bert öffnete mir dennoch die Augen. Er roch zwar komisch, hatte dafür voll den studentischen Groove. Peripher mischte er ein bisschen in der Dissidentenszene um Biermann mit. Er war trotz oder gerade wegen seiner Faulheit unglaublich belesen und stand über den Dingen. Das war beeindruckend. An mir fehlte alles Studentische. Mein Äußeres war eine einzige Entgleisung. Mit langem, taubenblauem Steppmantel aus Dederon, Plateauschuhen, grauer Flanellhose und einer karierten Jockey-Mütze war ich unterwegs. Eine einzige Unmöglichkeit. Zwingend musste mein Look verändert werden. Zufällig hatte ich zu Hause auf dem Nachbaracker eine Vogelscheuche entdeckt, die mit einer braunen Lederjacke bekleidet ihren einsamen Dienst tat. Dieses ehrwürdige Kleidungsstück sollte den Grundstein für mein neues Image bilden. Geschwind war der alte Vogelschreck seiner knochenharten Tracht beraubt und ich reich beschenkt. Das Jackenleder war verblichen und steif wie ein Ofenblech. Nach meiner Spezialbehandlung jedoch hatte ich ein wahres Prunkstück wiederbelebt, mit anständig Taschen und echten Hornknöpfen. Die Jacke habe ich sogar noch als fertiger Schulmeister getragen. Das Pendant für kalte Tage wurde der alte khakifarbene Armeemantel meines Vaters, den ich radikal abschnitt und so ebenfalls zur Jacke machte. Die wurde ein absoluter Publikumserfolg und hat sogar Begehrlichkeiten meiner Kommilitonen geweckt. Tante Lisbeth strickte für mich nun keine knatterbunten Kratzpullover mehr, sondern musste aus alten Jeans eine Weste und die dazu passende Schirmmütze schneidern. Die waren meisterhaft gelungen. Und mein Onkel Werner in Soltau wies noch ein paar tadellosen Hemden den Weg zu mir über die innerdeutsche Zonengrenze. Nun war ich gut aufgestellt. Bloß aus dem komischen Pagenschnitt musste noch eine flippige Mittelscheitelstubbelkurzhaarfrisur werden und das Gesicht bekam einen Bart. Ich nahm 15 Kilo ab und an Aussehen zu. Endlich hatte ich an Statur gewonnen. Das bemerkten auch die Mädels, die nun nicht mehr weg, sondern hinschauten. Als ich längst in meiner eigenen Studentenbude hauste und mir Buffen-Bert, nachdem wir uns lange nicht gesehen hatten, über den Weg lief, erkannte der mich beinahe nicht. Grinste dann anerkennend und klopfte mir auf die Schulter, als wolle er mir sagen, jetzt bist du angekommen, mein Alter.
Im erlauchten Kreis der männlichen Studenten unserer Gruppe hauten wir mächtig auf die Kacke, wenn man bedenkt, dass wir von nichts einen blassen Schimmer hatten. Denn als „Kunststudenten“ fühlten wir uns unsagbar privilegiert, schlau und allen überlegen. Trugen riesige Malermappen und noch riesigere Barettmützen durch die Gegend, dazu rauchten wir Tabak in der Pfeife. Seltsamerweise ließen uns die Anderen, einschließlich der Lehrer, gewähren und nährten sogar bisweilen unseren zur Schau getragenen Dünkel. Nur unser Kunstlehrer sorgte für Bodenhaftung, indem er mit vernichtenden Bewertungen unserer Meisterwerke aus Höhenflügen niederschmetternde Bruchlandungen machte. Und es hat eine Weile gedauert, ehe ich begriff, dass ich nichts konnte! So peinvoll ich mich an der Penne gequält hatte, so laissez faire erledigte ich nun die Dinge mit links – und mit passablem Erfolg. Das Wichtigste war, es machte Spaß! Doch gab es eine Hürde, die war so turmhoch, an ihr drohte mein Weiterkommen zu scheitern. Und das kam so:
Frau Hardert war meine Russischlehrerin, zuerst vom Leben und dann von mir enttäuscht. Sie sah verhärmt aus und mir war nicht klar, ob das mehr am Leben im Allgemeinen oder an mir im Besonderen lag. Ebenso war nicht klar, welche Antipathie bei mir größer war, die gegenüber Frau Hardert oder gegen die russische Sprache. Es war mir ein Rätsel, mit welcher Eloquenz meine Kommilitoninnen in jedem Seminar brillierten. Sie hatten sich doch bis vor kurzem auch bloß erfolglos mit läppischem Schulrussisch herumgeärgert und mutierten nun zu Experten mit Streberallüren. Schicksalhaft wurde unsere Gruppe geteilt. Die andere Hälfte bekam ihre Unterweisung bei Frau Schmitt im Nachbarraum, aus dem immerfort fröhliches Gelächter klang. Nicht zuletzt, weil Frau Schmidt selbst fröhlich war. Ich war so neidisch, denn bei uns herrschte finstere Grabesstille. Und ich isoliert unter diesen deutschen Russenweibern. Wenn die Hardert mich taxierte, starrte sie über ihre Lesebrille und senkte dabei ihr Haupt wie ein andalusischer Kampfstier, der zum Angriff übergeht. Und da schleudert sie mir auch schon die nächste Frage an den Kopf. Als ich gegenfragte, ob es genüge, wenn ich mich auflöse, jaulte ihre Stimme auf, wie eine leidende Oboe und sie tat genervt-pikiert, als beleidigte ich allein durch meine Anwesenheit das ruhmreiche Sowjetvolk von Jaroslawl bis Wladiwostok. Ausgelassenes Gelächter von nebenan! Eines Tages verkündete Frau Hardert mit bedeutungsvollem Mienenspiel, dass die Königsdisziplin dieses Unterrichtsfaches die Übersetzung einer Urschrift russischer Belletristik sei. Geradewegs fiel Frau Hardert über ein unschuldiges Buch her und zerteilte mit höchster Kraftanstrengung die zentnerschwere Schwarte mit einer Schneiderschere. Jeder von uns bekam von ihr ein stattliches Fragment vom zerfledderten Roman, das nun in Heimarbeit im stillen Kämmerlein wortgetreu von uns zu übersetzen sei. Das wäre im Übrigen die Abschlussprüfung für das Fach, ohne deren erfolgreiches Bestehen wir kein Diplom jemals zu erwarten hätten. Ich wurde bleich wie sibirischer Schnee bei Mondschein.
Und wiederum sollte mir Alexander, my old friend, aus der Patsche helfen. Er hatte ein Studium in Moskau, also sozusagen im Epizentrum der russischen Sprache, begonnen. Nur er konnte mich wieder erretten. Während seiner Semesterferien trafen wir uns zu Hause in S. Beim nächsten Samstagabenddorfbums schilderte ich ihm bei dröhnendem „Rumba Rumba“ der Rondo-Combo mit Leidensblick mein Problem. Er gestand, selbst die Sprache nur fragmentarisch zu beherrschen, was mir dann doch unerklärlich schien. Der Abend und ich waren gerettet, als Alex seinem besten Freund dennoch Hilfe in der Not versprach. Als ich übersetzte, wie der Dolmetscher von Breschnew persönlich, war die Hardert von den Socken und glaubte an eine illegale Gehirnwäsche meinerseits, womöglich durch den russischen Geheimdienst für Sprachgestörte. Der entscheidende Trick dabei war, dass der Übersetzer, den Alex im fernen Russland gechartert hatte, jeden kleinsten Absatz in der Übersetzung identisch und fast unsichtbar durchnummeriert hatte. Nur so gelang es mir, im russischen Wortsalat die jeweiligen Stellen zu orten, auf die meine Frau Hardert mit ihrem Bleistift loshackte wie eine wildgewordene Harpyie, um mir missmutig zu befehlen, wortgetreu diesen Teil zu übersetzen. Während ich ein bisschen rumräusperte, suchte ich die magische Zahl der Markierung und los ging der Spaß. Von dem, was ich da vorlas, hatte ich keinen Schimmer. Aber es funktionierte. Als sie mich am Ende mit Argwohn sowie missvergnügtem Seufzer unwirsch nach draußen entließ, brüllte ich bei offener Tür über den langen Flur: „Freiheit!“. Ich fühlte mich wie Lord Byran. Einige Türen öffneten sich und ratlose Gesichter blickten mich fragend an. Frau Hardert war, nachdem sie von mir diesen Abschiedsgruß erhalten hatte, nun bestimmt endgültig vom Leben gezeichnet.
Mein Retter, bester Freund und Weggefährte Alexander kam nach seinem Baustudium mit Irina und Sascha, ihrem zweijährigen Sohn, nach DDR-Deutschland zurück. Sie gehörte zu jenen Russinnen, die alles daran setzten, ihrer Heimat zu entfliehen. Dazu ließen sie sich von deutschstämmigen Männern nur allzu willig flachlegen, schwängern und vor allem heiraten. Alexander kam mit Irina und seinem Leben nicht zurecht. Warf sich mit 28 Jahren mitten in der Stadt vor einen fahrenden LKW und war sofort tot. Von Zeit zu Zeit stehe ich traurig an seinem ungepflegten Urnengrab und denke nach über 30 Jahren mit wahrhafter Herzenswärme an ihn.
Das ewig zusammengepferchte Leben im Internat ging mir auf die Nerven. Nach unsäglichen Mühen schaffte ich es, eine Dachkammer bei Mutter Kittel mitten in der Altstadt ausfindig zu machen. Für fünfzehn Mark Monatsmiete fror man sich im Winter den Arsch ab. Vor allem auf der Halbetreppetoilette. So eisig kalt wie es im Winter war, so glühend heiß wurde meine Kemenate dann im Sommer. Wie ein Pizzaofen in Salerno. Und stockdunkel wie in Draculas Gruft war es in jener Kammer. In den Semesterferien schleppte ich von zu Hause tonnenweise Zeug in mein Apartement, nachdem ich Umbauten vorgenommen und sogar Wände entfernt hatte. Dabei kam ein Stück Decke herunter und Frau Kittel daraufhin nach oben. Sie bekam fast eine Herzattacke, als sie ihre zugige Rumpelkammer derart zerstört vorfand. Allein ich hatte altes Fachwerk freigelegt und damit uriges Wohlfühlflair im Heim. Das Loch in der Decke bekam ich nicht mehr dicht. Dessen ungeachtet war ich frohgestimmt, hatte ich doch nun mein eigenes Reich. Als ich im Advent spät nachts nach Hause kam und das turmhohe Holztor öffnete, um nach oben in meine Eiskammer unterm Dach zu wanken, stolperte ich über etwas und fiel bei offenem Mund mit dem Gesicht auf ein amorphes haariges Haufenkonglomerat. Übelriechend Schmieriges wischte ich mir von der Stirn und von den Lippen. Mühsam richtete ich mich auf, da starrten mich in dem schauerlichen Torweg übergroße Augenpaare aus nächster Nähe an. Ich spürte, wie sich meine Nackenhaare ruckartig nach oben stellten, weil ich in einem Meer von Tierleichen lag. Frau Kittel nämlich hatte früher mit ihrem Mann selig eine Fleischerei betrieben. In der Vorweihnachtszeit verpachtete sie das sonst leer stehende und runtergekommene Ladenlokal an den staatlichen Wild- und Geflügelhandel Marke VEB. Der hatte pünktlich zum Fest aller Feste eine weitreichende Versorgungslücke geschlossen, indem er frisch abgeschossene Hirsche, Rehe und Wildschweine auf den letzten Metern meines nächtlichen Heimwegs kreuz und quer durcheinander aufgestapelt hatte. Ungelogen, der gebrochene Blick und die verdrehten Extremitäten der schockweise Ermordeten, besaßen im Dämmerschein der schummrigen Hoffunzel Thrillerqualitäten. Die ganzen Hitchcock-Streifen waren dagegen doch bloßer Scheißdreck. Ich hielt das Massengrab für ziemlich fahrlässig. Unter Umständen hätte ich nach diesem Zusammentreffen auch leicht in der Irrenanstalt enden können. Am nächsten Tag beschwerte ich mich ein bisschen bei der Geschäftsführung über den nächtlichen Schocker und wurde daraufhin gefragt, ob ich Lust hätte, bei ihnen als Aushilfe zu jobben. Als Honorar brachte ich zwei prachtvolle polnische Mastgänse passend zum aktuellen Zeitgeschehen mit nach Hause.
Als Kerstin mir über den Hochschulweg lief, rührte mich der Donner. Eine ätherische Jungfrau wandelte vorüber, ein leibhaftiges Schönheitsideal. Braune Mandelaugen und samtige Pfirsichhaut. Ihre langen kastanienfarbenen Haare umspielten die Figur einer griechischen Schicksalsgöttin. Der Himmel hatte seinen schönsten Engel auf die Erde gesandt. Der ganze Sprachkitsch in meinem Kopf quoll über und alles andere auch. In der Vergangenheit hatte ich den Fehler begangen, mich für Mädchen mit zu hohem Marktwert zu interessieren. Jene Lichtgestalten waren für mich so unerreichbar wie die Voyager kurz vorm interstellaren Raum. Aber gottlob, die Zeiten hatten sich geändert, bei Kerstin hatte ich Fortune. Ich musste von ihr und unserer schicksalhaften Begegnung so geblendet gewesen sein, wie hätte ich sonst auf die Idiotenidee kommen können, sie zum Polterabend meines Cousins Diethelm einzuladen. Gibt es ein Antonym zu Stimmungskanone, dann heißt das Diethelm. Kerstin jedenfalls sagte freudig zu und offenbarte, zu einer ausgelassen-amüsanten Tanzparty hätte sie in jedem Falle große Lust. Zunächst zogen wir zu Fuß quer durch die halbe Stadt und spätestens, als wir das Jubelhaus betraten, hätte ich es besser wissen müssen: Totenstille, wie damals bei meinen dienstverpflichteten Beerdigungsveranstaltungen. Allein, dort war es lebendiger zur Sache gegangen. Da gab es wenigstens, wenn auch nur ab und an, Musikeinlagen. Die fehlten hier ganz und gar. Als wir den Festsaal betraten, entpuppte der sich als das umgeräumte Schlafzimmer künftiger Schwiegereltern. Der kleine Bruder der angehenden Braut wurde gerade auf dem Nachttisch nackt gewaschen. Schlafenszeit! Musik gab’s nicht, Büfett gab’s nicht, Menschen ohne Seniorenpass gab’s nicht. Dafür reichlich alte Tanten, die Eierlikör aus Schokobechern tankten und sich dazu mit einer Salzstange verwöhnten. Dorthin mussten wir uns setzen. Die Party war im vollen Gange. Ich bekam keine Luft mehr, einen trockenen Hals und traute mich nicht, Kerstin anzublicken. Dafür starrte sie Cousin Nummer zwei ohne Unterbrechung an, als litt er unter Wahnvorstellungen und wollte vor Verzückung sterben. Der Bräutigam, diese Milchtüte, schlief seit Stunden irgendwo in einer Ecke. Irgendwann stand Kerstin auf und entschwand für immer.
Die E-Burg war der Treffpunkt für alle angehenden Lehrer und Mediziner. Man war unter sich in uriger Atmosphäre: Bier sowie die hämmernden Bässe der Live-Bands wurden in die niedrigen Kellergewölbe geschleudert. Hier lernte ich Lina kennen. Sie lehnte abseits und allein an der grauen Gemäuerwand, trug lange blonde Haare, Ringelpullover, Jeans und wirkte schüchtern. Als ich Lina nach Hause brachte und wir uns vor ihrer Haustür näher kennenlernten, wurde ausgemacht, dass wir uns wiedersehen. Am Tag darauf stand ich mit meinem Hebammenkoffer und einer Flasche Gothano vor ihrer Wohnungstür. Nachdem sie mir zuerst diese und dann ihre Bluse öffnete, war alles gut. Höchste Zeit, in meiner Rumpelkammer schleunigst alle Plünnen zusammenzupacken und zu Lina umzuräumen.
Johann sah aus wie George Cloony für ganz Arme
Trotz meines Büdchens in der Stadt blieb ich gelisteter Wohnheimkandidat. Mit meinem Kommilitonen Johann, wurde ich in die nahe Hochhauskaserne einquartiert. Er erstattete mir die zehn Mark Miete und hatte sich so ein Einzelzimmer in dieser Beton-Eierkiste eingekauft. Manchmal, an glockenkalten Wintertagen, übernachtete ich lieber dort bei Komfortheizung, Gemeinschaftsdusche und Johann. So lernten wir uns kennen. Johann sah aus wie George Clooney für sehr Arme und war mir zunächst fremd. Unbeirrt artig seitenscheitelgekämmt, glattrasiert, ein bisschen steif, schaukelte an seiner Hand die braune Aktentasche, wenn er zum Studieren ging. Er war der typische Intellektuelle, der als Pfarrerssohn sein bürgerliches Bildungspotential sehr früh aus familiärem Background schöpfen konnte. Auf unlösbare Masterfragen in jedem Wissensgebiet lieferte Johann die Lösung auf der Stelle punktgenau. Ich staunte, wenn er zu jedem noch so unverständlichen Problem eine Lehrvorführung gab, die er locker aus dem Ärmel schüttelte. Waren die Fragen sehr diffizil, verdrehte sich sein linkes Auge bis auf nur noch Weiß gestellt. Mit diesem alarmierenden Silberblick gab Johann unfreiwillig seiner Rede dramaturgisches Gewicht. Ob es sich um die philosophische Feininterpretation eines noch nicht wissenschaftlich aufgearbeiteten Nitzsche-Zitates oder um die chemische Zusammensetzung von sonnengetrocknetem Kamelmist handelte, Johann konnte Antwort geben. Seine fein ziselierten Vorträge waren nie fad, stets schwadronierte er schnurrig pointiert. Ständig las er meterdicke Bücher und kannte alle Werke von Zola. Daraus zitierte er auf Kommando seitenweise ohne anzuhalten, natürlich auswendig und fehlerfrei. Ich war überwältigt von so profunder Gelehrsamkeit und ihm hoffnungslos unterlegen. Johann wurde mein bester Freund für Jahre. Ich nannte ihn fortan Hanno, wie das Hannochen aus den Buddenbrooks. Ich fand, das passt.
Nur einmal jedoch hatte er sich gewaltig überschätzt. Als er nämlich seine Abschlussarbeit ohne gliedernden Entwurf, ohne Kladde und ohne Mentor in die alte Continental-Reiseschreibmaschine seines Vaters klimperte und ohne Korrekturlesen seinem Professor siegessicher übergab. Da jener Druckmaschine die Typen für die Buchstaben „P“ und „F“ fehlten, war Johann gezwungen, sie mit Bleistift nachzutragen. Aber meistens vergaß er, das zu tun. Wenn ich mich recht erinnere, haute der Hochschullehrer jenes Machwerk Johann mehrmals um die sonst so schlauen Ohren. Die Doktorwürde hat er auf jeden Fall erhalten, wenn auch nur von mir.
Wir liebten unsere beiderseitige Gegenwart, weil wir das Pendant des anderen waren. Wenn ich mit losen Sprüchen um mich warf oder Marotten gerade anwesender Zeitgenossen imitierte, ohne dass die davon etwas mitbekamen, lachte er sich krank. So manches Mal nutzte ich mein mimisches Geschick und provozierte mit Absicht Situationen, die Johann peinlich waren und ihn dennoch willkommen unterhielten. Wie damals, als Johann und mir eine „Strafexpedition“ bei unserem kauzigen Pädagogik-Professor Schippon bevorstand. Wir hatten seine sterbenslangweiligen Vorlesungen satt und en gros geschwänzt. Und deshalb wurden wir vom Gelehrten in seine Amtsgemächer beordert. Nach zaghaftem Anklopfen traten die Schuldigen mit gespielter Zerknirschtheit ein und nahmen auf vorderster Stuhlkante Platz wie schüchterne Fräuleins bei der Erstkommunion. Schippon konnte ich großartig parodieren. Schon beim Einmarsch ahmte ich seinen unsicheren Schleicher-Gang nach, der hilfespendende Instinkte weckte. Ich eröffnete und begann mit dem Plädoyer unserer Verteidigung. Dabei äffte ich Schippon in allem nach, stellte jede seiner Gesten und seine Sprachmacken auf Rapport, indem ich wisperte wie er und das offene A wie O mit Unterkiefer nach vorn geschoben aussprach. Unmotiviert betastete ich meine Ohrmuscheln und schnorchelte im Rachen. Genau wie der alte Schippon. Der Herr Professor, vom Geist der Wissenschaft durchdrungen, bemerkte von all den Ungehörigkeiten nichts. Das war die Neuauflage des Filmklassikers mit den drei „F“. Der Gipfel aller Unverfrorenheit war meine wahnwitzige Begründung für unser unentschuldigtes Fehlpensum. Schippon tischte ich nämlich auf, wir müssten unglücklicherweise zu seinen Vorlesungszeiten die örtlichen Hundeausstellungen besuchen, weil wir doch schließlich selbst passionierte Hobbyzüchter wären. Das täte uns auch alles sehr leid, aber die Termine wären als Weiterbildung zu verstehen und für unser Fortkommen im Zuchtverband der Rassehunde unermesslich wichtig. Was man doch wiederum als eine achtungsgebietende, lobenswerte Zielsetzung bewerten müsse. Oder etwa nicht? Als der Herr Professor größtes Verständnis zeigte, haute es Johann und mich fast von der Stuhlkante, auf der wir noch immer linkisch hockten. Nachdem wir draußen auf dem Flur vor Lachen beinahe gestorben wären, hatte ich ihn für alle Zeit als Freund gewonnen.
Hätte ich mir im Leben drei mittellange Sätze am Stück einen halben Tag lang merken können, wäre ich Profi-Mime geworden. Zumindest hätte ich das probiert. Der Zufall hätte mir beinahe den Weg geebnet, als ich während meiner Semesterferien den Schauspieler Kurt Böwe traf. Und das kam so:
Gerade als ich zum Schwimmen gehen wollte, tat es einen Schlag auf dem staubigen Schotterweg vor unserem Wochenendgrundstückchen. Ich machte einen langen Hals und guckte über den brüchigen Lattenzaun. Direkt dahinter erblickte ich einen dicken Mann, der lag im Dreck neben seinem Fahrrad und jammerte. Eigentlich fluchte er, leise und mit wohlklingender, sonorer Stimme. Langsam öffnete ich die Tür und half dem offensichtlich Verunglückten. Als ich lange genug an ihm herumgezerrt hatte und er wieder auf den Beinen stand, erkannte ich den Fremden. Potztausend, das war Kurt Böwe, die Schauspieler-Legende des Ostens. Welch ein Zufall, abends zuvor sah ich ihn in der Hauptrolle in einem DEFA-Schinken und so begrüßte ich ihn mit der Bemerkung, wir hätten uns doch gestern erst gesehen. Er grinste kurz, dann schnappte er wieder angestrengt nach Luft. Der Zonen-Promi trug die räudigsten Klamotten, die man sich nur vorstellen kann. Und die waren nun auch noch voller Staub. Die abgewetzte Cordhose hing traurig auf abgeschnittenen Gummistiefeln und seine löchrige Lederjacke war hinten lang und vorne kurz, wurde so zum lächerlichen Frack. Unter seiner quer gestellten Schiebermütze baumelten drei fettige Lockensträhnen, die hingen ihm ins Gesicht wie tote Ringelnattern. Es fehlte nur noch die Buckelapotheke. Herr Böwe nahm sich aus wie Kaspar Hauser auf ungewisser Urlaubsreise. Der Weg sei wirklich skandalös, meinte Böwe grimmig und hatte Recht, denn ein knietiefes Schlagloch hatte den Künstler arg zu Fall gebracht. Wegen der Tropenhitze und seiner Prominenz lud ich ihn zu einer Verschnaufpause mit Erfrischung ein. Dankend nahm er die Offerte an, sackte rücklings in den Campingstuhl und zischte die eisgekühlte Waldmeisterbrause in einem Zuge weg. Eigentlich wäre er in der Gegend, weil er seinen Freund, Hilmar Thate, in Halle getroffen habe. Nun verbringe er noch ein paar Tage am See, hier wäre er gern. Nachdem sein verbeultes Fahrrad wieder flottgemacht und bereit für neue Abenteuer war, hockte Kurt Böwe in unserem Winzlingswochenendhäuschen am See noch eine ganze Weile. Und erzählte. Über seinen letzten Film, das Theater und sein ramponiertes Rad. Ich fühlte mich geschmeichelt, zumal sich der patente Bühnenkünstler wegen der Schauspielerei für mich verwenden wollte. Das haben wir beide dann aber doch lieber gelassen.
Bei dem studentischen Versuch, ein Märchenstück auf die Bühne unserer Aula zu bringen, fühlte ich mich gleich berufen. Trotz professioneller Anleitung verliefen jegliche Bemühungen im Sande und der Theater-Vorhang der Studentenbühne hob sich nie. Als es noch Proben gab, hatte ich dann und wann mit Doktor Fehest zu tun. Er war eine optische Mischung zwischen Stadler aus der Mupped-Show und Woody Allen aus Hollywood, damit eine absolute Augenweide und der Bringer, wenn es mal nichts zu lachen gab. Fehest war kleinwüchsig, leicht untersetzt und verfügte über eine schneidige Rhetorik. Seine abnorm kantige Glatze, die sich spitz nach oben wölbte, zierte schulterlanges Kranzhaar, das seinen markanten Schädel spielerisch umflorte. Und die Nase, mehr Haken als Riechorgan, wurde an der Spitze durch eine fingerhutgroße Warze eindrucksvoll verziert. Mit unaussprechlich gütigen Augen, die so gar nicht ins Gesamtkonzept passen wollten, blickte Herr Doktor Fehest in die schnöde Welt, weshalb ihn die Aura eines Mahatma Gandhi sanft umgab. Zu alldem trug er tagein, tagaus denselben grauen Anzug ohne irgendwelche Schnickschnack-Accessoires. Fehest, dieses Unikum des kosmischen Universums, hatte etwas zu sagen, denn er war der Kulturattaché des hiesigen Colleges. In dieser Eigenschaft und zu meiner größten Verwunderung fragte er mich zu Mittag in der Mensa, ob ich Neigung hätte, in dem Audi-Max-Walhall eine Fest-Gala zu moderieren. Zaghaft sagte ich zu und bekam ab sofort in seinem beklemmend engen Arbeitszimmer Unterricht im Fach „Showauftritt und Bühnenpräsenz mit Effekt“. Zuerst wurde meiner grobschlächtigen Mundart zielstrebig zu Leibe gerückt. Der aus Böhmen vertriebene Impresario rollte mit seinem ostischen „R“ ein sprachliches Lehrbeispiel nach dem anderen in den Äther. Ich musste repetieren und gegen mein thüringisch-sächsisch-anhaltinisches Dialekt-Gebräu so lange ankämpfen, bis es einigermaßen hoffähig und manierlich klang. „…Der gestrenge Staatsanwalt räusperte sich in seiner rabenschwarzen Robe und stirnrunzelnd verlas er im Verlies resolut sein Referat…“, so in etwa gingen der Übungstext und die Diktion. Häufig ermahnte mich der Maître während der Exkurse, die Lektion mit mehr Ernsthaftigkeit zu betreiben, vor allem, wenn ich das Vorgeführte haargenau so wiedergeben sollte. Wenn der promovierte Bajazzo Vollgas gab, fiel es schwer, die Contenance zu wahren. Am tollsten wurde es, wenn der Zeremonienmeister glaubte, er könne Bühnenmotorik professionell vorexerzieren: Plötzlich, von einer Sekunde auf die andere, wurde Doktor Fehest von einem exzessiven Darstellungsdrang bemächtigt. Dann warf sich der kleine Mann in die Brust, reckte sich nach allen Seiten, drehte das markante Haupt um neunzig Grad und mit einem schmiedeeisernen Lachen schlug er das imaginäre Publikum in seinen Bann. Der magische Kontakt war hergestellt. Und nun begann das Männlein raumgreifend auszuschreiten, startete sein militärisch angelegtes Defilee, als gelte es, Herz und Verstand sämtlicher Staatsoberhäupter dieser Welt mit einem Schlage zu erobern. Mit Pathos bellte er salbungsvolle Begrüßungsworte ins nicht vorhandene Auditorium. Nur für mich als Musterbild. Und schon wieder schmetterte er sein „R“ in den kalten Zigarettenmief, als wäre ihm extra dafür ein zusätzliches Preisgeld von mir versprochen worden. „Meine sehrrrrr verrrehrrrten Damen und Herrrrrren, Magnifizenz, liebe Gäste und Studenten, ich frrrrreue mich, sie hierrrrr an jenem würrrdigen Orrrrrt herrrrrzlich begrrrrrüßen zu dürrrrrfen…“ Seine Sekretärin öffnete langsam die Verbindungstür zu ihrem Schreibsalon und blickte verängstigt zu ihrem Herrn und Meister. Ich war begeistert von seinen Büro-Gastspielen. Aber noch viel mehr belustigt.
Der große Abend kam und ich musste zeigen, was ich beim Maestro gelernt hatte. Die Extrovertiertheit von Doktor Fehest in Wort und Bild hatte ich allerdings nur sehr spärlich dosiert übernommen. Und nach dem festlichen Akt offenbarte mein Kunstmeister, er hätte gestaunt und mir das gar nicht zugetraut. Seit diesem Tage rede ich angstfrei vor Publikum, auch, wenn das viele Erdenbürger sind. Danke, Doktor Fehest.
Meine Vorliebe galt sehr früh der Materie, die man formen kann. Als Kind liebte ich bunte Knete, aus der ich ganze Zootier-Kompanien modellierte. Vor kurzem fand ich die bunte Menagerie wieder. Meine Mutter hatte die Figürchen alle sorgsam in einem Schuhkarton verpackt und auf dem Dachboden verwahrt. Brütend heiße Sommer und eiskalte Winter haben die drollige Versammlung über die Jahrzehnte in einen grauen Klumpen verwandelt… Als die langen Semesterferien begannen und ich in E. blieb, beschlich mich Langeweile und die Idee, ein großartiges Monumentalkunstwerk aus Ton zu schaffen. Unser Musentempel war geschlossen und so verschaffte ich mir durch das Fenster unerlaubten Zutritt. Ich hebelte, drückte, bog und würgte am Rahmen der Einstiegsluke, bis die Scheibe riss. Mit jenem hässlichen Geräusch wurde der illegale Weg zur keramischen Kreativabteilung in der Kellerkatakombe frei gegeben. In mehreren Nachtschichten verbaute ich ganze Gebirge von Klumpen aus Ton. Einen nach dem anderen. Bis schließlich das Meisterwerk, ein kolossales Deko-Nashorn, fertig vor mir stand. Ich hatte Unmengen an irdener Masse und Substanz verbraucht. Nun musste der Urian nur noch trocknen und alle würden mich und mein bildhauerisches Werk lobpreisen. Gestaunt hat allerdings hauptsächlich mein Lehrer, der mich in einem ersten Impuls von der Studienanstalt schmeißen wollte. Schließlich hatte ich den gesamten Vorrat an Modelliermasse aufgebraucht, die mühsam von Hand aufbereitet worden war. Das war eine Knochenarbeit. Die kostbaren Brennhilfen, die ihr Gewicht in Gold wert waren, hatte ich für mein Monstrum als stabilisierendes Knochengerüst missbraucht und so in einer gigantischen Materialschlacht restlos vernichtet. Hätte ich mich nicht reumütig vor den Füßen meines erzürnten Meisters im Tonstaub unserer Keramikwerkstatt gewälzt und wohlwollende Fürsprecher gehabt – eine Exmatrikulation oder wenigstens öffentliches Auspeitschen hätte als Vergeltung für meine Dreistigkeit durchaus herausspringen können. Dass niemand auf den Gedanken kam, mich zu fragen, wie ich denn überhaupt Einlass gefunden hatte, war meine eigentliche Rettung. Das zentnerschwere Nashorn begleitete mich ein halbes Leben als Wohnaccessoire, bis es irgendwann zerfiel.
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