Kitabı oku: «Gesellschaftsrecht II. Recht der Kapitalgesellschaften», sayfa 15

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IV. Welches sind die Zwecke der Handelsbilanz
1. Ausgangspunkt

a) Überblick über die Lage und weitere Zwecke

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Im Ausgangspunkt soll ein Überblick über die finanzielle Lage des Kaufmanns im Interesse der Konkursvermeidung geschaffen werden.[4] Der Zweck ist also in erster Linie Gläubigerschutz.

Weiterhin gilt für Gesellschaften: Die Rechnungslegung soll Rechenschaftsablegung gegenüber den Gesellschaftern sein sowie die Ermittlung des verteilungsfähigen Ergebnisses (des Gewinns) ermöglichen. Dabei ist aber problematisch, inwieweit das eine Veränderung der Perspektive erforderlich macht:

Beispiel:

Die Gesellschaft dürfte handelsbilanziell 100 T€ als Gewinn verteilen, dessen tatsächlicher Entzug würde aber ihre Liquidität ernsthaft gefährden – muss das Bilanzrecht nun deshalb einen anderen Betrag als Gewinn ausweisen? Ist also nur der Gläubigerschutz Zweck des Handelsbilanzrechtes?

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Die h.M. gibt leider eine „weiche“ Antwort: Nein, die Rechnungslegung verfolge auch weitere Zwecke, z.B. Gesellschafterschutz, Ermittlung des ausschüttungsfähigen Gewinns, d.h. eines Gewinns, der entnommen werden kann, ohne in die Substanz des Unternehmens einzugreifen.[5]

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Zwei Zwecke werden vorwiegend vertreten: Das sind die Dokumentation der Vermögenslage des Unternehmens und der Zwang zur Selbstkontrolle respektive Selbstinformation des Kaufmann über die Schuldendeckungsfähigkeit seines Unternehmens. Beide Zwecke (oder Funktionen) bilden den Kernbereich des handelsrechtlichen Jahresabschlusses.

b) Dokumentationsfunktion

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Die Dokumentationsfunktion der Rechnungslegung ist auf den Schutz der Gläubiger in der Insolvenz des Kaufmannes bezogen. Sie soll verhindern, dass Gläubiger durch Verheimlichen oder Beiseiteschaffen von Vermögensgegenständen oder Erdichten nicht existenter Schulden geschädigt werden, und sie soll den Verbleib des Vermögens für die Verfahrensbeteiligten nachvollziehbar machen. Historisch geht diese Funktion der Rechnungslegung auf den französischen Gesetzgeber zurück. Dieser hatte mit der Ordonnance sur le Commerce und später mit dem Code de Commerce die Gläubiger vor vermögenslosen und betrügerischen Konkursen schützen wollen. Die Insolvenzbezogenheit der Rechnungslegung ist auch heute noch daran zu erkennen, dass die Strafbarkeit einer Verletzung der Rechnungslegungspflichten nach den §§ 283 ff. StGB allein im Insolvenzfall möglich ist. Daneben sichert die Rechnungslegung die Gläubiger des Kaufmanns im Prozess durch die Vorlegungspflichten der §§ 258 ff. HGB.

c) Pflicht zur Selbstinformation?

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Welche Bedeutung die Verpflichtung des Kaufmannes zur Selbstinformation als zweite Funktion im Einzelnen besitzt, ist dagegen nicht so leicht am Gesetz festzumachen. Durch die Dokumentation der Geschäftstätigkeit im Jahresabschluss und in den Handelsbüchern wird der Kaufmann zwar tatsächlich dazu gezwungen, sich selbst einen Einblick in seine Vermögens- und Ertragslage zu verschaffen. Da der Jahresabschluss über lange Jahre nicht generell zu veröffentlichen war, kann man schnell dem Missverständnis unterliegen, dass die handelsrechtliche Rechnungslegungspflicht dem Kaufmann eine Grundlage für seine unternehmerischen Entscheidungen geben soll und sich daher zumindest auch an den betriebswirtschaftlichen Informationsbedürfnissen des Unternehmers auszurichten hat.

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Ein solches Verständnis der Pflicht zur Selbstinformation, obwohl heute ganz h.M., entspricht jedoch nicht der gesetzlichen Absicht. Die Pflicht zur Selbstinformation kann vielmehr nur eine Pflicht zur Selbstkontrolle im Interesse der Gläubiger und (nur) Ausdruck eines präventiven Gläubigerschutzes sein. Denn es ist nicht erkennbar, weshalb der Kaufmann eines gesetzlichen (!) Schutzes vor sich selbst bedarf. Dagegen bedürfen die Gläubiger dieses Schutzes aus den auch heute noch zutreffenden Erwägungen, die zur Einführung der Buchführungspflicht im 18. und 19. Jahrhundert führten.

2. Aussagekraft der Handelsbilanz?

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Nach dem Gesagten scheint man der Bilanz heute eher so etwas wie „Zahlungsfähigkeit in Zukunft“ oder Ertragskraft entnehmen zu können. Die Bilanz dient dem Gläubigerschutz durch Selbstkontrolle dadurch, dass sie den Betrag bezeichnet, der höchstens aus dem Geschäfts- in das Privatvermögen überführt werden kann, ohne die Substanz des Unternehmens anzutasten.[6] Diese auf die Funktionsfähigkeit des Unternehmens bezogene Betrachtung stellt einen ganz erheblichen, ja den entscheidenden Unterschied zu einer rein vermögensorientierten Betrachtungsweise dar. Es wird versucht, durch die Bilanz herauszufinden, wie gut das Unternehmen funktioniert. Man meint, das Unternehmen von den Unternehmern trennen zu können und es durch Bewertungsgrundsätze verobjektiviert messen zu können.

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Dabei wird vergessen, dass die Betriebsmittel erst durch die unternehmerische Idee und die Fähigkeiten des Unternehmers ihren wahren Wert erhalten und eine abstrakte Bewertung von Vermögensgegenständen unter der Fortführungshypothese zugleich eine Bewertung dieser Personen bedeuten müsste. Das ist aber erstens schlicht nicht möglich und zweitens nicht das Konzept des Gesetzgebers in den §§ 30, 64 GmbHG (!), das von einer rein finanziellen Betrachtungsweise ausgeht. Der Versuch zu einer objektiven Bewertung des Unternehmens ist zum Scheitern verurteilt, denn der „wahre“ Wert des Unternehmens und sein Funktionieren kann nicht von denjenigen getrennt werden, die die unternehmerischen Entscheidungen treffen und durch ihre Leistungen den Unternehmenswert erst schaffen.

3. Maßgeblichkeit der Gläubigerperspektive!

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Ob der oder die Gesellschafter durch die Entnahme von Kapital in die „Substanz“ oder die Funktionsfähigkeit des Unternehmens eingreifen oder nicht, geht die Gläubiger nach § 30 Abs. 1 GmbHG nichts an, weil § 30 GmbHG nicht auf die Ertragskraft des Unternehmens, sondern allein auf die finanzielle Lage abstellt. Die Gesellschafter dürfen nach dem Gesetz die Substanz des Unternehmens angreifen, solange sie damit nicht eine Unterbilanz oder gar die Überschuldung der Gesellschaft herbeiführen. Das ist ihre unternehmerische Freiheit. Wie die Gesellschafter ausrechnen, was sie aus dem Gesellschaftsvermögen in ihr Privatvermögen einverleiben dürfen, ohne die Funktionsfähigkeit des Unternehmens zu beeinträchtigen, interessiert die Gläubiger nicht. Denn ihre Befriedigungsaussichten könnten bei einer solchen „Kapitalerhaltung“ stets dadurch beeinträchtigt werden, dass die Gesellschafter das Unternehmen durch Liquidation schließen und dadurch die Funktionsfähigkeit des Unternehmens vollständig beseitigen.

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Die Gläubiger interessiert demgegenüber, ob durch die Entnahme die Gesellschafter die Kasse der Gesellschaft soweit vermindern, dass die Befriedigungsaussichten der Gläubiger finanziell gefährdet sind. Dementsprechend ist weiter festzuhalten: Wenn das Kapital durch Verluste aufgezehrt ist, dann muss die Geschäftsleitung den Insolvenzantrag stellen, es sei denn die Gesellschafter schießen Kapital nach. Vor allem für die korrekte Ermittlung der vollständigen Aufzehr des Kapitals besteht ein öffentliches Interesse an der Rechnungslegung der Gesellschaften mit Haftungsbeschränkung, so dass Kapitalerhaltung, Insolvenzantragspflicht und Buchführung miteinander korrespondieren.

Teil 3 Gläubigerschutz › § 6 Bilanz- und Insolvenzrecht › V. Materielle Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung

V. Materielle Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung
1. Allgemeine Grundsätze

a) Fortführungsprinzip (going concern)

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Dieses Prinzip ist für die Bewertung formuliert in § 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB, es gilt aber auch für die Frage des Ansatzes von Vermögensgegenständen und Schulden. Solange nicht die Aufgabe des Unternehmens beabsichtigt oder zwingend geboten ist, sind Vermögensgegenstände mit ihren Anschaffungs- oder Herstellungskosten anzusetzen, ggf. vermindert um Abschreibungen, nicht jedoch mit ihren tatsächlich erzielbaren Zeitwerten. Ferner sind nicht die Kosten einer Aufgabe der Unternehmenstätigkeit einzurechnen, es ist z.B. etwa keine Passivierung von möglicherweise bei Auflösung des Unternehmens entstehenden Sozialplanverbindlichkeiten vorzunehmen. Eines der Hauptprobleme, die das Fortführungsprinzip verursacht: Wenn es der Gesellschaft schlecht geht, dann ermöglicht das Going-concern-Prinzip eine Überbewertung des Vermögens, so wie in den letzten beiden Jahren der Kurve dargestellt.

b) Vorsichtsprinzip

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Das Vorsichtsprinzip ist in § 252 Abs. 1 Nr. 4 Hs. 1 HGB festgehalten, auch dieses gilt ebenso für den Ansatz von Vermögensgegenständen und Schulden. Wie sein Name andeutet, verlangt es zurückhaltende Bewertung des Vermögens unter Berücksichtigung von Risiken und Verlusten. Es kommt im Realisationsprinzip und im Imparitätsprinzip zum Ausdruck, ferner in Aktivierungsverboten für unsicher zu bewertende Positionen (§ 248 Abs. 1, 2 HGB), außerdem im Niederstwertprinzip (§ 253 Abs. 4 HGB), weiterhin in dem bei der Aktivierung eigener Anteile vorgeschriebenen Ansatz einer Rücklage nach § 272 Abs. 4 HGB. Das Vorsichtsprinzip rechtfertigt aber nicht die beliebige Unterbewertung von Aktivposten und die beliebige Überbewertung von Passivposten.[7]

Das Vorsichtsprinzip ermöglicht die dargestellte Kurvenabweichung von Handelsbilanz und Liquidationsbilanz in den ersten beiden Jahren der Kurve.

c) Realisationsprinzip

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Das Realisationsprinzip formuliert § 252 Abs. 1 Nr. 4 Hs. 2 HGB, auch dieses gilt ferner für den Ansatz von Vermögensgegenständen. Erträge sind auszuweisen, sobald die Entstehung der ihnen zugrunde liegenden Forderung mit Sicherheit zu erwarten und ihre Höhe feststellbar ist. Bei Verkäufen ist das der Fall, wenn der Lieferant seine Leistung in der Weise erbracht hat, dass die Gefahr i.S.d. §§ 446 f. BGB auf den Empfänger übergegangen ist. Aufwendungen werden nach dem Realisationsprinzip teilweise in dem Geschäftsjahr ausgewiesen, in dem die Erträge entstehen, die mit den Aufwendungen „alimentiert“ worden sind. Teilweise bestimmt aber auch das Imparitätsprinzip den Ausweis von Aufwendungen.

d) Imparitätsprinzip

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Das Imparitätsprinzip ist deutliches Zeichen der (scheinbaren, ehemaligen, siehe Rn. 243 ff.) Gläubigerorientierung des dt. Bilanzrechts. Für die Bewertung ist es formuliert in § 252 Abs. 1 Nr. 4 Hs. 1 HGB, es gilt ferner für den Ansatz von Schulden. Verluste sind – im Gegensatz zu Gewinnen (daher Imparitätsprinzip) – schon vor ihrer Realisierung auszuweisen. Hauptanwendungsfall ist die Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften nach § 249 Abs. 1 S. 1 HGB.

2. Spezielle Bewertungsgrundsätze

a) Stichtagsprinzip, § 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB

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Maßgebend für die Bewertung sind Verhältnisse am Abschlussstichtag.

b) Einzelbewertung, § 252 Abs. 1 Nr. 3 HGB

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Der Grundsatz der Einzelbewertung verlangt, jeden Vermögensgegenstand gesondert zu bewerten. Er verbietet etwa die Verrechnung von Wertminderungen eines Vermögensgegenstandes durch Wertsteigerung eines anderen (Einige Ausnahmen in §§ 256 S. 2, 240 Abs. 3 HGB (Festbewertung) und in §§ 256 S. 2, 240 Abs. 4 HGB (Gruppenbewertung)).

c) Anschaffungswertprinzip, § 253 Abs. 1 S. 1 HGB

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Anschaffungs- oder Herstellungskosten sind ausnahmslos Höchstwert eines Vermögensgegenstandes. Das ist extrem problematisch bei Immobilienvermögen, weil es zur Verschleierung der wahren Vermögenslage der Gesellschaft beiträgt und zwar entgegen § 264 Abs. 2 S. 1 HGB.

d) Planmäßigkeit der Abschreibung, § 253 Abs. 3 S. 1, 2 HGB

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Gilt für Bemessung der Abschreibung für Vermögensgegenstände des Anlagevermögens, deren Nutzung zeitlich begrenzt ist.

3. Aktivierungs-/Passivierungswahlrechte/Bewertungswahlrechte

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Durch das BilMoG wurden die handelsrechtlichen Aktivierungs- und Passivierungswahlrechte stark eingeschränkt.[8] So ist ein derivativ erworbener Geschäfts- oder Firmenwert nun nach Maßgabe des § 246 Abs. 1 S. 4 HGB zu aktivieren (früher § 255 Abs. 4 HGB a.F.), das Passivierungswahlrecht für Aufwandsrückstellungen in § 249 Abs. 2 HGB a.F. wurde abgeschafft. Gem. § 248 Abs. 2 HGB besteht zwar noch ein Wahlrecht für immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens, jedoch gibt es nur wenige klare Beispiele dafür.

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Auch wurden zahlreiche Bewertungswahlrechte durch das BilMoG wieder abgeschafft. Nach wie vor bestehen aber erhebliche Möglichkeiten der Bilanzierenden, über die Bildung von Bewertungseinheiten gem. § 254 HGB[9] oder die fortbestehenden Wahlrechte (z.B. § 253 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 S. 4 HGB) Bilanzpolitik zu betreiben.

4. Folgen

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Aus allen diesen Regeln entstehen zwei Hauptprobleme: Erstens lassen sie insgesamt auf der einen Seite die Bildung sogenannter stiller Reserven zu, d.h. die Gesellschaft kann tatsächlich ein größeres Vermögen haben als in der Bilanz angegeben wird. Das Vorsichtsprinzip, besonders das Anschaffungswertprinzip, sowie bestimmte Bilanzierungs-Wahlrechte können zur Bildung solcher stiller Reserven führen. Da sich die Gesellschaft auf diese Weise „arm rechnet“, könnte man zunächst meinen, diese Prinzipien seien gut für den Schutz der Gläubiger, da die wahre Vermögenslage stets besser ist als die Buchwerte. Das trifft jedoch entgegen dem Verständnis der herrschenden Auffassung[10] nicht zu. Auch das Vorsichtsprinzip ist letztlich Gift für den Gläubigerschutz(!), vgl. Rn. 282.

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Zweitens ermöglicht das Fortführungsprinzip auf der anderen Seite eine Überbewertung, d.h. die Gesellschaft hat ein geringeres Vermögen als sie in der Bilanz darstellen darf. Dass diese zweite Folge mit dem Ziel des Gläubigerschutzes unvereinbar ist, dürfte unmittelbar einleuchten, vgl. noch Rn. 281.

5. Ein einheitliches Prinzip?

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Welche Funktion hat ein Bilanzrecht, das die Bilanzierenden zu sehr wenig zwingt und ihnen, die durch das Bilanzrecht doch zu einer wahren Darstellung ihrer Vermögensverhältnisse verpflichtet werden sollen, Wahlrechte bei der Darstellung gibt (wenn auch stets betont wird, dass diese Wahlrechte nur sehr eingeschränkt bestünden)? Im Ausland ist das anders. Offenbar überfordert die Prinzipienvielfalt den deutschen Bilanzierenden. Besser wäre es vielleicht, statt vieler Prinzipien, die gegeneinander ausgespielt werden können, nur ein einziges Prinzip der Bewertung zugrundezulegen. Im Rahmen der europäischen Harmonisierung des Bilanzrechts ist der Versuch zu einer Unterstellung unter ein einheitliches Prinzip unternommen worden, nämlich die Pflicht der Bilanzierenden, ein der tatsächlichen Vermögens-, Finanz- und Ertragslage entsprechendes Bild zu vermitteln, § 264 Abs. 2 S. 1 HGB, sog. true and fair view.

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Der EuGH hat bereits in der Tomberger-Entscheidung[11] allgemein ausgeführt, dass das Prinzip des true and fair view das primäre Ziel der dem deutschen Recht zugrundeliegenden Bilanz-Richtlinie ist. In der Entscheidung v. 14.9.1999[12] hat er das bestätigt und klargemacht, dass die nationalen Rechtssysteme den Unternehmen nicht beliebig hohe Pauschalrückstellungen für noch nicht realisierte Verluste erlauben dürfen. Das richtet sich eindeutig gegen das deutsche Verständnis der Bewertungswahlrechte der Bilanzierenden, an der sich auch durch die Einführung des „true and fair view“-Prinzips in das HGB bisher rechtspraktisch nur wenig geändert zu haben scheint.

Teil 3 Gläubigerschutz › § 6 Bilanz- und Insolvenzrecht › VI. Wie wird die Überschuldung tatsächlich festgestellt?

VI. Wie wird die Überschuldung tatsächlich festgestellt?

1. Der modifiziert zweistufige Überschuldungsbegriff nach altem Recht

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Vor Inkrafttreten der InsO musste nach h.M. in Schrifttum und Rechtsprechung der Geschäftsleiter bei einer bloßen handelsbilanziellen Überschuldung keineswegs unbedingt Insolvenzantrag stellen. Nach dem sog. modifiziert zweistufigen Überschuldungsbegriff bestand die Überschuldungsprüfung vielmehr aus zwei Teilen.

Zum einen war die Aufstellung eines Überschuldungsstatus erforderlich, mit der die sog. rechnerische Überschuldung der Gesellschaft festgestellt wurde. Im Rahmen einer solchen Überschuldungsbilanz waren, soweit bestand weitgehend Einigkeit, die tatsächlichen Zeitwerte zu ermitteln, die handelsrechtlichen Bewertungsvorschriften spielten keine Rolle mehr. Die Aktiva waren nach ihren „wahren“, d.h. realisierbaren Verkehrswerten unter Auflösung der stillen Reserven anzusetzen und bei den Passiva waren sämtliche echte Verbindlichkeiten einzusetzen. Unbewegliches Vermögen war mit dem Verkehrswert zu berücksichtigen. Im Umlaufvermögen mussten die Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe sowie die Halb- und Fertigprodukte unter Liquidationsgesichtspunkten mit ihrem Marktwert angesetzt werden. Forderungen aus Lieferungen und Leistungen waren nach dem handelsbilanzrechtlichen Vorsichtsprinzip zu bewerten. Bei den Passiva mussten sämtliche Verbindlichkeiten, auch solche, die noch nicht fällig oder gestundet waren, eingesetzt werden. Rückstellungen waren dann zu passivieren, wenn mit einer Inanspruchnahme ernstlich zu rechnen ist.[13]

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Zum zweiten kam es für die Überschuldung aber entscheidend auf die sog. Fortbestehensprognose an.[14] Zur Begründung wird insbesondere das Folgende angeführt: Die rechnerische Überschuldung entspreche nicht den „wirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Erfordernissen“. Überschuldung sei nicht nur ein rechnerischer Begriff, sondern ihre Feststellung erfordere darüber hinaus die Aufstellung einer Fortführungsprognose, die nicht als spekulative Hypothese verstanden werden dürfe, sondern auf „konkrete Zukunftsberechnungen“ (!) gegründet sein müsse. Es stelle sich die prognostische (!) Frage, ob die juristische Person in der Lage sei, die Überschuldungssituation (!) zu überwinden und zumindest auf mittlere Sicht wieder eine Finanzkraft zu entwickeln, die zur Fortführung des Unternehmens ausreicht. Selbstverständlich sei nicht erforderlich, dass diese Überlebensprognose mit absoluter Sicherheit gestellt werden kann. Für eine positive Fortbestehensprognose sei aber erforderlich, dass die Überwindung der Überschuldungssituation überwiegend wahrscheinlich ist. Praktisch kann die Fortführungsprognose durch einen von den Geschäftsleitern aufgestellten „Finanzplan“ durchgeführt werden, in dem dargelegt wird, wie sich die Geschäfte der Gesellschaft im Einzelnen voraussichtlich entwickeln werden.

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Nur wenn diese Fortführungsprognose negativ ausfalle, könne man von Überschuldung im Rechtssinne sprechen. Dass die Fortführungsprognose etwa im Fall 15 dagegen positiv ausfällt, kann sich beispielsweise daraus ergeben, dass die Gesellschaft im vergangenen Jahr kostendeckende Umsätze mit weiten Zahlungszielen erwirtschaftet hat und/oder neue Aufträge in Sicht sind. Ebenso könnte etwa berücksichtigt werden, dass die Verbindlichkeiten langfristig sind und eine werterhöhende Änderung des Bebauungsplanes für den Ort zu erwarten ist, in dem das Grundstück liegt.

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Das Hauptproblem der Fortführungsprognose ist, dass sie eben nur eine Prognose ist. Der Geschäftsleiter kann natürlich nicht dafür verantwortlich gemacht werden, wenn bloße „Vorhersagen“ später nicht eintreten. Da der Geschäftsleiter um seine Position besorgt ist, wird seine Prognose regelmäßig (zu) gut ausfallen (wenn eine konkrete Prognose mit Finanzplan überhaupt aufgestellt wird, meist ist das nicht der Fall). Daher führt die Fortführungsprognose in der Praxis nur dazu, dass der Insolvenzantrag so lange hinausgeschoben wird, bis die Gesellschaft nicht nur überschuldet ist, sondern auch tatsächlich zahlungsunfähig. Dann aber ist es in aller Regel zu spät für eine Sanierung, das Unternehmen wird zerschlagen, die Gläubiger bleiben auf ihrem Verlust weitgehend sitzen.