Kitabı oku: «Kalteiche», sayfa 2

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Donnerstag

Er war wieder an der Küste und er spürte es deutlich, das Wetter schlug um. Es war kurz nach Mittag und vor die Sonne schoben sich dichte graue Wolken. Der Wind hatte gedreht und blies die Wolkenschirme von Nordost auf das Festland zu. Der sonnige Vormittag sollte wohl nur ein kurzer Ausblick auf den bevorstehenden Frühling gewesen sein. Trevisan zog seinen Jackenkragen höher, als er über den Parkplatz lief und zu Monika Sander in den Wagen stieg. Sie fuhren über die Bismarckstraße aus der Stadt hinaus und schlugen den Weg nach Schortens ein.

»Na, wie ist es dir so ergangen in der großen weiten Welt?«, fragte Monika, als sie die Stadt hinter sich gelassen hatten.

»Große weite Welt ist ganz schön übertrieben«, entgegnete Trevisan. »Wie geht es Peter und den Kindern?«

»Geht so.«

Er zögerte einen Augenblick. »Ich weiß, dass du dich auch auf die Stelle beworben hast, ich hoffe, du hast kein Problem damit, dass ich …«

»Nein, ich bin sogar froh darüber, dass du wieder zurückgekommen bist. Bloom war nicht so ganz mein Fall, er wusste alles besser. Ich hoffe, es wird so wie früher, ich finde, es war eine schöne Zeit.«

»Das hoffe ich auch, wenngleich diese Schreibtischjobs einen anderen Menschen aus dir machen … Da wird man irgendwann zum reinen Bürokraten, der schön brav in der Stube sitzt und den Blick über den Tellerrand meidet, damit er sich nicht immer dafür entschuldigen muss, wie gut es ihm geht.«

»Weshalb bist du zurückgekommen?«, fragte Monika.

»Ehrlich gesagt wegen der Entfernung. Ich wohne inzwischen in Horumersiel …«

»Ich weiß, du hast zusammen mit deiner Lebensgefährtin den Peerenhof gekauft.«

»Ich wollte eigentlich immer wieder zurück, weder in Hannover noch in Oldenburg habe ich mich richtig zu Hause gefühlt. Eigentlich hätte ich schon viel früher zurückkommen sollen, aber es gab keine Stelle.«

»Ist es auch wegen Paula?«

Trevisan hob den Finger vor den Mund. »Wenn du mich nicht verrätst …: Paula ist zwar erwachsen, aber das Loslassen, nach allem, was war, ist nicht so einfach. Ich brauche die Nähe zu ihr. Sicher hat Dänemark etwas damit zu tun … Ich weiß es nicht … Aber ich fühle mich einfach sicherer, wenn ich in ihrer Nähe bin.«

»Das verstehe ich. Mein Junge studiert in Marburg. Ich sehe ihn nur noch selten und Peter ist inzwischen bei einer Firma eingestiegen, die Industrieprojekte plant. Nichts mehr mit dem kleinen Büro im Haus, er ist gerade in Kanada und kommt, wenn es gut geht, Ende des Monats zurück. Tja, so ändern sich die Zeiten.«

»Wo sind eigentlich Tina und Alex abgeblieben?«, fragte Trevisan.

»Tina ist in Emden und Alex ist dir zum LKA gefolgt. Organisierte Kriminalität, da ist er inzwischen eine ganz große Nummer. Dietmar hat es an die Polizeischule gezogen, er unterrichtet Eingriffsrecht in Nienburg.«

»Ich weiß, ich bin ihm dort begegnet, als ich den Präventionslehrgang gemacht habe.«

»Prävention, das klingt … spannend«, entgegnete Monika mit einem Lächeln.

»Tja, unsere Königsdisziplin. Tu was, bevor es passiert, damit es nicht passiert.«

»Ja, ich weiß, ich kenne das Geschwafel, ich habe nebenbei ein Jahr lang die Außenstelle hier betreut.«

Trevisan nickte. »Dann bist du ja bestens im Bilde.«

»Fensterläden, Türschlösser, junge Krakeeler und Altennachmittage, du brauchst mir nichts zu erzählen.«

Bei Hohenkirchen fuhren sie am Wangermeer vorbei, einem künstlichen See, der durch Kleiabbau entstanden und inzwischen zu einer kleinen touristischen Attraktion ausgebaut worden war. Kurz vor Friederikensiel bog Monika links ab und folgte der Straße in Richtung Minsen, bis sie an einen Feldweg kamen, der durch einen Streifenwagen abgesperrt war. Ein Gehöft lag am Ende des Weges, die nächste Siedlung war hunderte von Metern entfernt.

»Der Hof liegt sehr abgeschieden«, murmelte Trevisan.

Monika wandte sich ihm zu. »Ja, recht einsam hier.«

Der Deich war gerade mal einen halben Kilometer entfernt. Monika stoppte den Wagen, als die uniformierte Polizistin mit erhobener Haltekelle hinter dem blau-weißen Passat hervortrat.

»Hallo, Sander, KK Wilhelmshaven«, begrüßte sie die Kollegin, die daraufhin den Weg freigab.

»Na, dann schauen wir mal«, seufzte Trevisan. Zwei Streifen­wagen und zwei Zivilfahrzeuge standen bereits auf dem Areal. Ein gelber Wagen der Post parkte an der Zufahrt zur Scheune. »Wo ist die Spurensicherung?«

»Tja, es hat sich so manches geändert«, entgegnete Monika Sander. »Früher musste sie auf uns warten, jetzt ist es umgekehrt. Die kommen aus Oldenburg und das dauert, das brauche ich dir ja nicht zu erzählen.«

Trevisan stieg aus. Ein großer und kräftiger Kollege in Uniform kam auf ihn zu. Monika umrundete den Wagen, und er begrüßte sie. »Schöner Mist, nicht wahr?«

»Das ist Martin Trevisan, mein alter und neuer Chef«, stellte sie ihren Begleiter vor. »Vielleicht kennst du ihn noch.«

»Klar kenne ich ihn noch, Trevisan vom K1. Wir hatten ein paarmal miteinander zu tun.«

Trevisan musterte den uniformierten Beamten mit der Figur eines Ringers, der Mitte vierzig war. So sehr er sich auch anstrengte, kam ihm keine Idee, woher er den Mann kennen sollte.

»Dieter Kronbaum, Polizeistation Fedderwardengroden. Es ist lange her, damals jagten wir einen Brandstifter, der hier an der Küste sein Unwesen trieb.«

»Ja, ich erinnere mich«, entgegnete Trevisan wahrheits­widrig. »Was gibt es hier?«

»Vier Tote«, entgegnete Kronbaum kalt. »Sieht aus wie in einem Schlachthaus.«

*

Inzwischen waren auch die Spezialisten der Spurensicherung aus Oldenburg eingetroffen. Trevisan ließ bei der Verteilung der Arbeit Monika den Vortritt und hielt sich erst einmal zurück, obwohl ihn längst das alte Fieber wieder ergriffen hatte. Kronbaum war noch immer in seiner Nähe, er kannte die Familie, die hier gelebt hatte und auf bestialische Weise ermordet worden war.

»Habichs bewirtschaften den Hof seit etwa fünf Jahren«, erklärte Kronbaum. »Frauke, das ist die Tote im Schlafzimmer, stammt von hier. Sie ist Ende letzten Jahres fünfzig geworden. Nachdem ihr Mann vor acht Jahren auf See geblieben ist, hat sie Rolf kennengelernt. Das war übers Internet, wie man behauptet. Der stammt ursprünglich aus dem Osten und ist mit seinem Vater hier eingezogen, nachdem sie geheiratet hatten. Die Tochter im Badezimmer heißt Dörte, ist Anfang zwanzig und stammt aus erster Ehe. Sie lebt normalerweise auf Norderney. Sie arbeitet dort in einem Hotel und kommt manchmal zu Besuch auf den Hof.«

»Und der alte Mann in der Scheune?«, fragte Trevisan.

»Das ist Rolfs Vater, er ist um die achtzig und machte sich auf dem Hof nützlich. War ja auch noch recht rüstig, der alte Mann. Die hatten früher auch Landwirtschaft im Osten. Viele hier im Umkreis behaupten, dass es nicht die Liebe war, die Frauke dazu veranlasste, Rolf zu heiraten. Alleine hätte sie den Hof niemals halten können.«

»Gab es Probleme?«

»Probleme?«

»Mit Nachbarn oder im Ort?«

Kronbaum schüttelte den Kopf. »Nein, ganz und gar nicht, absolut ruhige und freundliche Menschen, nur das Sächseln konnten sie nicht lassen.«

Ein kalter Windstoß fegte über den Hof und Trevisan fröstelte. Vier Leichen lagen in diesem Gehöft, ein alter Mann, der Sohn, dessen Ehefrau und ein junges Mädchen. So wie es schien, mit einer Axt erschlagen. Weitere Hinweise gab es bislang nicht. Trevisan würde einiges dafür geben, wenn Kleinschmidt mit von der Partie wäre, auf den hatte er sich damals hundertprozentig verlassen können. Der junge Schnösel, der die Spurensicherungsgruppe aus Oldenburg leitete, war zuerst grußlos an ihm vorübergegangen, was Trevisans Vertrauen in die Fähigkeiten des Mannes nicht sonderlich stärkte. Gerade in so einem Fall, in dem es keine offensichtlichen Spuren und Motive gab, kam es auf eine gründliche Spurensicherung an.

Monika Sander kam auf Trevisan zu, in ihrer Begleitung ein älterer Mann mit Brille und Glatze, der einen dunklen Pilotenkoffer trug. »Das ist Doktor Rüttensberg von der Rechtsmedizin. Martin Trevisan, der neue Leiter unseres KK.«

»Ah, Herr Trevisan.« Rüttensberg reichte ihm die Hand. »Da werden wir wohl in Zukunft öfter miteinander zu tun haben.«

»Können Sie schon etwas sagen?«

»Erst mal die Kurzform … Der alte Mann in der Scheune wurde erschlagen. Im Haus liegen ein Mann mittleren Alters, seine Ehefrau und deren Tochter, ebenfalls erschlagen, teilweise weisen die Leichen zusätzliche Stichverletzungen auf. Als Tatmittel kommen eine Axt sowie ein handelsübliches Küchenmesser mit langer Klinge in Frage. Offenbar wurden die Opfer vom Blutrausch des Täters überrascht. Nur die Tochter versuchte aus dem Badezimmerfenster zu entkommen.«

»Todeszeitpunkt?«

»Tja, Witterung, Temperaturen … Ich würde sagen, heute Morgen zwischen fünf und sieben Uhr. Näheres erfahren Sie nach der Obduktion.«

»Fünf und sieben Uhr«, wiederholte Trevisan. »Das heißt, zwischen Dämmerung und Sonnenaufgang.«

Der Arzt blickte sich um. »Ja, da waren wohl nur wenige Leute unterwegs. Die Frau und die Tochter waren noch im Nachthemd, während die Männer bereits ihre Arbeitskluft trugen. Aber das ist wohl normal, hier gibt es einen Stall voller Milchkühe.«

»Danke, Doktor.« Trevisan schaute ihm nach, bis er in seinen Wagen gestiegen war und über den Feldweg davonfuhr. Er wandte sich Monika zu. »Dann kümmern wir uns jetzt um den Postboten.«

*

Der junge Mann saß auf der Rückbank des VW-Busses der Streifenpolizei, der kurzfristig zum mobilen Vernehmungsraum umfunktioniert worden war, und zitterte am ganzen Körper. Ein Klapptisch in der Mitte ermöglichte, die Schreibkladde für Notizen aufzulegen. Das obligatorische Diktiergerät stand auch dort und zeichnete die Vernehmung auf.

Enno Behrend arbeitete seit fünf Jahren bei der Post in Jever. Sein Bezirk reichte hinüber bis nach Schillig. »Dann erzählen Sie mal!«, forderte Trevisan den Zeugen auf.

»Ich hatte zwei Briefe und ein Paket für die Habichs«, berichtete der Postbote. »Briefe stecke ich üblicherweise in den Briefkasten, aber das Paket musste quittiert werden. Ich bin gar nicht bis zur Haustür gefahren, ich hab vor dem Stall gehalten. Da ist meist offen und der alte Habich ist um diese Zeit im Stall.«

»Wann war das?«, fragte Trevisan.

»So halb zwölf etwa. Ich wusste, dass die Habichs auf das Paket warten. Da ist irgendein Bauteil für den Sicherungskasten drin, deshalb bin ich in den Stall gegangen und da lag er, überall war Blut.«

»Wen haben Sie liegen sehen?«

»Den alten Habich. Da war Blut überall um seinen Kopf. Ich dachte zuerst, er ist auf den Kopf gefallen oder so. Ich hab die Tür zum Haus geöffnet, da lag der Bauer. Auch da war überall Blut.«

»Sie waren auch im Haus?«

Der Postbote schüttelte den Kopf. »Nein, nicht direkt. In der Scheune gibt es eine Tür, die ins Haus führt. Ich hab die Tür aufgestoßen und da lag der Bauer vor mir.«

»Was haben Sie dann getan?«

Er zögerte. »Ich … ich hatte Angst … Die waren alle tot … Ich bin aus dem Stall gelaufen und nichts wie weg. Ich bin zu Dickens gefahren, das ist der nächste Hof.«

»Haben Sie von dort aus angerufen?«

Behrend schüttelte den Kopf. »Nein, mit meinem Handy. Ich bin auf den Dickenshof gefahren und habe gehupt, aber da war niemand. Dann habe ich den Notruf angerufen und man hat mir gesagt, dass ich dort warten soll. Mir war ganz schön mulmig zumute, das können Sie mir glauben.«

»Wegen der Toten?«

»Klar, weswegen denn sonst«, entgegnete der Postbote atemlos. »Als der Bauer da im Treppenhaus lag, wusste ich, dass da was Schlimmes passiert ist, deswegen bin ich auch sofort abgehauen.«

»Die beiden Frauen im Haus haben Sie nicht gesehen?«

Der Zeuge schüttelte den Kopf. »Ich habe gewartet, bis die Polizei gekommen ist, und dann bin ich wieder mit hierher gefahren.«

»Wie lange haben Sie gewartet?«

»Zehn Minuten vielleicht«, erklärte der Postbote.

»Beobachtet haben Sie niemanden, keine Fremden oder Fahrzeuge, die hier nicht her gehören?«

Behrend schüttelte den Kopf.

Trevisan wandte sich Monika zu. »Wer war die erste Streife hier vor Ort?«

»Die war vom PK in Jever. Sie sind von Carolinensiel herübergefahren.«

»Gut, Herr Behrend, das war es vorerst. Wenn es noch Fragen gibt, dann melden wir uns noch einmal bei Ihnen.«

»Dann kann ich jetzt gehen?«

»Ja, und vielen Dank, dass Sie geblieben sind und auf uns gewartet haben.« Trevisan wartete, bis der Postbote den Bus verlassen hatte. »Sind die Kollegen aus Jever noch hier?«

Monika deutete aus dem Fenster auf einen Streifenwagen. »Ocke Braren und seine junge Kollegin Stine Lübbers waren zuerst im Haus. Sie haben die beiden Frauen gefunden.«

»Einbruchspuren?«

»Nein, der Stall ist unverschlossen. Die Tür lässt sich aufschieben. Da gibt es einen Zugang zum Haus, der meist auch unverschlossen ist. Der Täter hatte kein Problem, ins Haus zu kommen. Er hat Fußspuren hinterlassen, deswegen können wir davon ausgehen, dass er den alten Habich im Stall zuerst ermordet hat, bevor er dann das Haus betrat. Die Tochter wollte offenbar noch durch das Badezimmerfenster entkommen, aber der Mörder war schneller.«

Trevisan seufzte. »Vier Menschen, einfach so erschlagen. Der Mörder muss sich in einen Blutrausch gesteigert haben.«

»Und er muss blutbesudelt gewesen sein«, sagte Monika. »Eike und die anderen klappern die Umgebung ab, vielleicht hat ja doch jemand was gesehen.«

»Es dämmerte bereits, das wäre möglich.«

»Ein toller Einstieg auf der neuen Dienststelle, oder?«

Trevisan zuckte mit der Schulter. »Dafür hatte ich es in den letzten Jahren sehr ruhig. Zu ruhig manchmal. Kennst du diesen Krog von der Spurensicherung?«

»Flüchtig«, entgegnete Monika. »War noch nicht oft hier.«

Trevisan räusperte sich. »Dann will ich mal sehen, ob er schon ein paar Neuigkeiten für uns hat.«

3

Paul Krog trug einen weißen Papieranzug über seiner Kleidung. Er stand unweit des weißen Sprinters der Spurensicherung und macht sich Notizen auf einem Schreibbrett. Trevisan trat an seine Seite und schaute ihm über die Schulter. Krog nahm das Schreibbrett zur Seite und blickte ihn fragend an.

»Martin Trevisan, Kripo Wilhelmshaven. Können Sie schon was sagen?«

Der Kollege aus Oldenburg, Trevisan schätzte ihn auf Mitte dreißig, schüttelte den Kopf.

»War es ein Einzeltäter?«

»Es ist noch zu früh, um etwas zu sagen.«

»Unsere Leute von der Fahndung sollten ungefähr wissen, nach was sie suchen«, sagte Trevisan. »Ich denke, wir müssen miteinander sprechen. Oder sollen wir uns einen Logenplatz im Zuschauerraum suchen?«

»Ich habe meine Methoden, Sie haben Ihre.«

Trevisan lächelte. »Na ja, vielleicht können Sie mich ja an Ihren Methoden teilhaben lassen, ich lerne gerne noch dazu.«

Krog wandte sich ihm zu. »Wir sind die Spurensicherung und jeder von uns hat seine Aufgabe. Meine Methode ist es, erst alles zusammenzutragen, bevor wir die Pferde scheu machen, und diese Methode hat sich in den letzten Jahren immer bewährt. Und jetzt entschuldigen Sie mich, wir haben noch eine Menge Arbeit vor uns.«

Trevisan trat dem jungen Kollegen in den Weg. »Wer ist Ihr Vorgesetzter, Maierling oder Uthof?«

»Wieso interessiert Sie das?«

»Weil ich verdammt noch einmal diese Ermittlungen leite und weil ich es gewohnt bin, über den Sachstand informiert zu werden und vielleicht auch, weil wir keine Sitzplätze für dieses Theater hier bekommen haben«, entgegnete Trevisan trocken. »Auch wenn Sie aus Oldenburg kommen und zu einer anderen Abteilung gehören, dieser Fall wird vom Kriminalkommissariat Wilhelmshaven bearbeitet, also von mir und meiner Dienststelle. Deshalb arbeiten wir nach meinen Methoden. Ich hoffe, Sie haben mich verstanden, oder soll ich zuerst in Oldenburg anrufen?«

Krog blickte Trevisan abschätzend an. Er schluckte ein paarmal, schließlich räusperte er sich. »Vier Leichen, mit einer Axt erschlagen und mit einem Messer attackiert, dazu noch ein erschlagener Hofhund an der Rückseite der Scheune. Tatwaffe könnten eine Axt und ein Messer gewesen sein.«

Trevisan grinste. »Das weiß ich bereits, haben Sie auch etwas Neues für mich?«

»Wir arbeiten daran, aber bislang gibt es nur ein paar grobstollige Stiefelabdrücke, die vermutlich vom Täter stammen. Gummistiefel, würde ich sagen. So wie es aussieht, ein Einzeltäter.«

»Besonderheiten zu den Tatwaffen?«

Krog zuckte mit der Schulter.

»Gibt es sonst noch etwas, das ich wissen sollte? Wie ging der Täter vor, wie kam er ins Haus, haben sich die Opfer gewehrt oder wurden sie überrascht?«

»Das steht später alles im Bericht«, entgegnete Krog.

»Hören Sie, Herr Kollege, ich habe schon Mörder festgenommen, da lümmelten Sie noch auf der Schulbank in Nienburg herum, also kommen Sie mir nicht mit einem Bericht. Erzählen Sie mir einfach, was Sie bislang herausgefunden haben, diese Methode hat sich über Jahre hin bewährt und es gibt sie schon, seit Menschen gelernt haben, aufrecht zu gehen.«

Krog runzelte die Stirn. »Wie meinen Sie das?«

»Menschen kommunizieren, tauschen sich aus, diskutieren und geben Informationen weiter, das meine ich damit. Was der eine nicht weiß, hat der andere entdeckt. Genau deshalb ist Kommunikation wichtig. Also, reden wir offen miteinander!«

Krog wurde unsicher. »Ich … Wir … Es ist ein großer Tatort, das ganze Haus sieht aus wie ein Schlachtfeld. Wir werden noch eine ganze Weile brauchen, bis wir alles durch haben.«

»Und diese Zeit haben Sie auch, aber es wäre sinnvoll, bevor wir alle hier stundenlang dumm rumstehen, dass Sie Ihr bislang erworbenes Wissen mit mir teilen. Vielleicht ließe sich dann zumindest gezielt nach dem Täter fahnden.«

»Ich habe die Hundestaffel angefordert, wir müssen auch das Umfeld absuchen.«

»Klar«, bestätigte Trevisan. »Und jetzt zu den Details. Auch Vermutungen interessieren mich.«

Krog zeigte ihm das Schreibbrett, auf dem er eine grobe Tatortskizze auf Millimeterpapier erstellt hatte. »Das Wohnhaus und die Scheune sind hälftig zusammengebaut und haben einen gemeinsamen Zugang. Wir gehen davon aus, dass der Täter durch die Scheune in das Haus gelangte. Dort traf er auf den Großvater und erschlug ihn. Einbruchspuren haben wir nicht gefunden, deshalb nehmen wir an, dass die Tür zur Scheune und die Zwischentür zum Wohnhaus unverschlossen waren.«

»Abwehrverletzungen?«

Krog schüttelte den Kopf. »Den Großvater hat es wohl aus heiterem Himmel erwischt. Anschließend öffnete der Täter die Tür zum Haus, dort traf er auf den Bauern, der sich dort seine Stiefel auszog. Auch hier hat er unvermittelt zugeschlagen, außerdem hat er ein Messer benutzt und mindestens drei- bis viermal zugestochen. Da lag das Opfer bereits auf dem Boden. Von dort aus führen blutige Stiefelspuren ins Schlafzimmer, wo er die Ehefrau des Landwirtes mit dem Messer und dem Beil ermordete. So wie es sich darstellt, hat die Tochter des Hauses etwas mitbekommen und kam die Treppe herunter. Als sie merkte, was los war, ist sie in das Badezimmer geflüchtet. Sie wollte dort aus dem Fenster steigen, aber der Täter war schneller. Er hat sie erwischt und erschlagen.«

»Ziemlich sicher ein Einzeltäter?«

»Davon gehen wir nach derzeitiger Spurenlage aus.«

»Seine Kleider müssen voller Blut gewesen sein.«

»Nicht zwangsläufig«, erwiderte Krog. »Im Badezimmer kam es wohl zu einem Kampf. Die junge Frau hatte Abwehrverletzungen, außerdem hielt sie ein Stück Plastikfolie zwischen den Fingern, eine Klarsichtfolie, wie man sie bei einfachen Regencapes findet. Der Täter könnte so etwas getragen haben, um seine Kleider vor dem Blut zu schützen.«

»Hat man eine der Tatwaffen gefunden?«

Krog schüttelte den Kopf. »Deswegen habe ich die Hunde­staffel angefordert. An der Rückseite der Scheune gibt es eine Tür, dort haben wir Fußspuren und Blutanhaftungen festgestellt. Der Täter hat das Areal wohl über diesen Ausgang verlassen und dabei den Hund erschlagen, der dort an einer Hundehütte angeleint war.«

»Dort hinten liegt Friederikensiel«, murmelte Trevisan.

»Zunächst sind dort Felder und Wiesen, dann folgt ein Weg, der zum Wangermeer führt. Wir lassen alles absuchen, vielleicht finden die Hunde eine Spur.«

Trevisan kratzte sich am Kopf. »Vier Menschen und ein Hund, und niemand bekommt etwas davon mit.«

»Mit der Intensität und dem Vernichtungswillen, den der Täter bei der Tatausführung an den Tag legte, dauerte dieses Massaker kaum mehr als ein paar Minuten. Nur bei der Tochter, die ins Badezimmer flüchtete, brauchte er ein klein wenig länger. Die Badezimmertür war kein großes Hindernis, er hat sie einfach mit dem Beil eingeschlagen. Ich würde sagen, der Täter ging mit äußerster Brutalität vor.«

»Das heißt, Hass könnte als Motiv in Frage kommen?«

Krog nickte und wies in den dunklen Himmel. »Ich habe aufgrund der Größe des Tatortes eine zweite Spurensicherungseinheit angefordert, die sind bereits auf dem Weg. Ich hoffe, es bleibt trocken.«

Eine Windböe fegte um das Haus. Trevisan nickte. »Wenn der Wind pfeift, dann treibt er den Regen ins Festland. Wir haben gute Chancen, dass es trocken bleibt.«

Er kehrte zu Monika Sander zurück, die neben dem Dienstwagen stand und sich locker dagegen lehnte. »Abgrundtiefer Hass«, sagte er, als er an ihre Seite trat und ihr ein Lutschbonbon reichte.

»Hass auf die ganze Familie?«

»Möglich. Unbändiger Vernichtungswille, meint der junge Kollege von der Spusi.«

*

Johannes Leußner schaute auf seine Uhr. Es war kurz nach vier. In wenigen Minuten hatte er Feierabend. Er rangierte den LKW in die Parklücke und schaltete den Motor ab. Morgen in aller Frühe würde er mit Maschinenteilen an Bord in den Süden nach Turin fahren. Eine Tour, die inzwischen zweimal im Monat anstand. Seit drei Jahren arbeitete er bereits für die Spedition Vader in der Stellmacherstraße, dem Industriegebiet von Norden, das vor der Stadt direkt an der B 72 lag. Eigentlich war LKW-Fahrer immer sein Traumjob gewesen. Schon als Kind hatte er davon geträumt, wenn die großen Laster wie der G5 oder Jahre später der W50 voll beladen mit Getreide über den Hof donnerten und er das Zittern der Erde spürte. Dann wollte er hinter dem Steuer eines dieser Riesen sitzen und damit in die weite Welt und über alle Grenzen hinweg fahren. Und nun fuhr er so ein Gefährt, viel größer noch als damals, einen Actros Mega­liner mit vierzig Tonnen. Manchmal hinauf bis in den hohen Norden, nach Stockholm oder Kristiansand oder hinunter in den Süden, nach Turin, Rom oder Rijeka. Sogar in Warschau und in Kauna war er schon gewesen.

Doch inzwischen war nicht mehr viel von der Fernfahrerromantik geblieben. Die Elektronik beherrschte das Fahrzeug und der Disponent beherrschte den Fahrer. Zeit war der Faktor, der am meisten störte und inzwischen zum Feind aller Fernfahrer geworden war. Die Räder mussten rollen. Stillstand bedeutete Schmälerung des Gewinns. Außerdem hatte der Verkehr auf den Straßen in einer Intensität zugenommen, dass kilometerlange Staus zur täglichen Realität geworden waren. Der Stress, dem die Fahrer Tag für Tag ausgesetzt waren, brachte viele dazu, vorzeitig den Job zu schmeißen und für weitaus weniger Einkommen als Lagerist, Mechaniker oder in einer Fabrik am Band die Brötchen zu verdienen.

Johannes Leußner war sechsundfünfzig Jahre alt, fühlte sich aber immer noch fit und der Aufgabe gewachsen. In der Firma hielt man große Stücke auf ihn, denn die Fahrer von heute waren oft unzuverlässig und warfen bei den geringsten Schwierigkeiten die Flinte ins Korn. So kam es auch, dass er trotz seiner relativ kurzen Zeit in der Firma bereits einen Schlüssel zum Lager besaß, so dass er selbstständig und nach seinem eigenen Zeitplan den Lastwagen für die Abfahrt vorbereiten konnte.

»Wann fährst du los?«, fragte der Disponent, als Johannes das kleine Büro betrat, um seinen Fahrzeugschlüssel in dem dafür vorgesehenen Fach zu deponieren.

»Ich starte um vier, alles beladen und vollgetankt.«

»Vergiss meine Zigaretten nicht.«

»Ich weiß, MS Rosso, wie immer.«

»Ja, und denk daran, nach der Tour muss der Service gemacht werden, du musst dann auf den MAN umsteigen.«

»Der MAN ist eine alte Klapperkiste.«

»Für Rotterdam wird er reichen.«

»Okay, dann bis nächste Woche.«

Der Disponent nickte. »Gute Fahrt und hetze ihn nicht wieder.«

Johannes Leußner verkniff sich eine Antwort. Der junge Mann hinter dem Schreibtisch, ein Neffe des Juniorchefs, hatte sowieso keine Ahnung. Schließlich gab es inzwischen Regler und Begrenzer in den Fahrzeugen, außerdem lauerte beinahe an jedem Autobahnkreuz der Straßenzoll oder die Polizei. Er verließ das Büro und stieg in seinen Opel. Er musste dringend Farbe kaufen, Jenny wartete auf ihn.

Jenny war keine Frau, keine Freundin oder Lebensgefährtin, sondern ein schlankes, gut motorisiertes Boot, das in einem Bootshaus an der Leybucht auf ihn wartete und das er vorgestern mühsam von der alten Farbe befreit hatte, um ihm für den Frühling einen neuen Anstrich zu gönnen. Johannes Leußner lebte alleine, eine Frau gab es in seinem Leben nicht. Zweimal hatte er kurz davor gestanden, doch beide Male hatte er einen Rückzieher gemacht und nun fühlte er sich zu alt für eine feste Beziehung. Er hatte sein Leben eingerichtet und so sollte es auch bleiben. Auch wenn ihm Helga aus dem Lager immer wieder schöne Augen machte.

Als er in die Wurzeldeicher Straße einbog, hätte er vor lauter Gedanken beinahe einen Radfahrer überfahren, doch er sah ihn noch rechtzeitig und bremste. »Blöder Hund!« Der Radfahrer überquerte unmittelbar vor ihm die Fahrbahn und warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu. Aus dem Radio dudelte leise Shanty-Musik. Johannes Leußner schüttelte den Kopf und legte den ersten Gang ein. Er hatte heute noch viel zu tun.

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Litres'teki yayın tarihi:
26 mayıs 2021
Hacim:
380 s. 18 illüstrasyon
ISBN:
9783839264423
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Telif hakkı:
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