Kitabı oku: «Glaube Liebe Stigmata», sayfa 5

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KAPITEL 8

Der Duft von gebratenen Zwiebeln, Knoblauch und frischen Tomaten umfing Francesco und Chiara auf der Treppe. Teller klapperten, vermutlich deckte Flora gerade den Mittagstisch. Pasqualina plapperte etwas, das Francesco aber nicht verstand. Bestimmt redete sie wieder mit der Stoffpuppe, die Chiara ihr vor einiger Zeit geschenkt hatte. Als Francesco hinter Chiara in die Küche trat, waren aber nicht nur Mamma und die Schwestern da wie sonst, sondern Papà und Matteo saßen ebenfalls am Tisch.

Francesco blickte von einem zum anderen. »Was macht ihr denn hier?«, fragte er, während sich in seinem Bauch etwas zusammenzog.

»Wir haben einen Entschluss gefasst«, sagte Mamma, die vor dem Kessel mit dem kochenden Wasser stand. »Papà erklärt es euch gleich. Aber erst essen wir.«

Sie füllte die Teller mit Spaghetti und reichte jedem eine Scheibe Brot. Schweigend kauten sie, drehten Spaghetti auf die Gabeln, tunkten Brot in die Soße, tranken Wasser, und für Papà und Mamma gab es ein Glas mit Rotwein. Francesco stieg die Hitze in die Ohren, er fühlte, wie sie rot wurden. Das ist nur wegen dir. Bestimmt ist es wegen dir, flüsterte die Stimme in ihm.

Matteo hielt den Kopf dicht über den Teller und schaufelte Spaghetti in sich hinein. Chiara, Flora und Pasqualina sahen zu Papà, anschließend zu Mamma, und drehten weiter die Nudeln auf die Gabeln. Flora zappelte unter dem Tisch mit den Beinen. Mamma tat Papà und Matteo eine zweite Portion auf, rieb ihnen Käse über die Spaghetti und fegte ein paar Brotkrümel vom Tisch in ihre gewölbte Hand. Als Papàs Teller leer war, legte er die Gabel ab und wischte sich mit seinem Schnupftuch über den Mund. Er trank den letzten Schluck Wein.

Mamma griff nach seinem Teller, stellt ihn in ihren und sagte: »Kommt, reicht mir mal eure Teller herüber.«

Francesco hatte noch nicht aufgegessen, aber wenn Mamma so dastand und sie den Tisch abräumen mussten, war das Essen beendet. Das machte sie immer, wenn etwas Wichtiges beredet werden musste. Chiara stapelte das Geschirr. Obenauf stellte sie Francescos Teller. Die kalten Nudeln kamen ihm wie in Blut ertrunkene Würmer vor. Er schüttelte sich.

Papà räusperte sich und schob die Käse- und Brotkrümel zusammen, die den Umriss seines Tellers vor ihm gebildet hatten. »Nun«, sagte er, »es ist so. Der Hof wirft nicht mehr genug ab. Noch haben wir zu essen, aber das Dach müssten wir erneuern. Bei Matteo hat es reingeregnet, das darf nicht sein. Flug und Egge müssen geschliffen werden. Und die Mädchen brauchen neue Kleider.«

Mamma nickte und wischte mit einem Tuch über den Tisch, während Flora an den zu kurzen Ärmeln ihres Kleides zog, die davon aber auch nicht länger wurden. »Das alles kostet viel Geld. Dazu kommt noch das Schulgeld für Francesco. Signor Caccavo hat es mir lange gestundet, aber jetzt verlangt er die erste Rate, und zwar gleich zehn Lire auf einmal. Und Chiara muss auch endlich lesen lernen, weil sie in zwei Jahren in das Kloster der Klarissen in Cerreto Sannita eintreten wird.« Er blickte zu Chiara, die das Band ihres Zopfes neu knotete.

Ihre blassen Wangen färbten sich rot. »Nein, ich will nicht«, presste sie heraus und schleuderte den Zopf über die Schulter.

»Werd bloß nicht frech«, fuhr Mamma sie an und streute die Brotkrümel durchs Küchenfenster den Hühnern hin. »Wir können uns keine Aussteuern für drei Mädchen leisten. Da ist es das Beste, wenn wenigstens die Älteste gut untergebracht ist. So Gott will.«

Noch nie hatten Mamma und Papà von Aussteuern geredet oder dass sie Chiara zur Nonne machen wollten. Francescos sah auf das Bild des heiligen Franz. In San Donato hatte hinter dem Mönch eine Nonne gestanden. Also musste es wohl so sein, dass, wenn es einen Mönch in der Familie gab, es auch eine Nonne geben musste.

»Das Kloster«, sagte Papà, »ist ein Konvent der Urbanistinnen, der Franziskanerinnen des Zweiten Ordens. Dort bist du gut aufgehoben. Aber die Schwestern haben klargemacht, dass du wenigstens ein bisschen lesen und schreiben können musst. Mit Signor Caccavo habe ich bereits gesprochen, morgen fängst du bei ihm an. Francesco nimmt dich mit.« Er blickte Francesco an. »Du trägst die Verantwortung für Chiara.«

Ein Druck legte sich auf Francescos Ohren, das Gackern der Hühner im Hof, die Rufe in der Gasse, die durch die offene Küchentür hereindrangen, wurden ganz dumpf. Francesco nickte.

»Das bedeutet allerdings«, fuhr Papà fort, »wir müssen für die nächsten zwei Jahre doppeltes Schulgeld zahlen. Also muss ich noch mehr verdienen, aber das ist hier nicht möglich. Deshalb gehe ich dahin, wo ich mehr Geld für meine Arbeit bekomme. Ich gehe nach Amerika. Den Hof übergebe ich Matteo.«

Matteo schreckte hoch. »Wie?« Er setzte sich aufrecht hin, legte die Hände gefaltet auf den Tisch.

»Matteo kennt alle Arbeiten auf dem Feld und mit den Tieren. Er weiß, wie man sät, erntet und verkauft. Er wird für euch sorgen.«

Matteo grinste. Chiara und Flora sagten etwas, das Francesco nicht hörte. Er sah nur die Bewegung ihrer Lippen, noch immer drückte es auf seinen Ohren. Mamma schüttelte einen Lappen aus.

Papà ging weg. Nach Amerika. Seine Schultern schienen auf einmal ganz gerade zu sein und hingen nicht mehr herunter wie sonst, wenn er nach Hause kam. Immer war er auf den Feldern unterwegs, pflügte, säte, erntete. Ständig musste er etwas reparieren oder besorgen. Sein Rücken war krumm davon. Doch jetzt war alles an Papà gerade. Er hatte den Kopf erhoben, sein Körper war voller Kraft. Seit Francesco zur Schule ging, sah er Papà nur noch abends. Dann brachte er Auberginen oder frischen Ziegenkäse mit und erzählte die eine oder andere Geschichte. Der Druck auf Francescos Ohren nahm zu. Du bist schuld, zischte es in ihm. Wegen dir muss Papà fort. Weit weg über das Meer, nach Amerika. Von da kommt er nie mehr wieder. Und Mamma wird böse sein, auf dich.

»Papà, wo ist Amerika?«, fragte Flora laut.

»Wann kommst du wieder?« Pasqualina kletterte auf Papàs Schoß. Er umarmte sie und wiegte sie hin und her. Seine Lippen zitterten.

Chiara wischte sich mit der Hand über die Augen. Matteo hatte rote Ohren und drückte die Brust heraus. Immer wieder zuckten seine Mundwinkel nach oben.

Mamma putzte sich mit einem schmutzigen Taschentuch die Nase. Francesco hatte sie noch nie weinen sehen. Sie presste eine Hand vor den Mund und schloss die Augen. Doch sofort riss sie sie wieder auf und stellte einen Teller mit zwei Birnen auf den Tisch. »Kinder, seid still«, sagte sie mit ihrer harten Stimme. »Ärgert Papà nicht.« Sie setzte sich und fing an, die Früchte zu schälen.

»Ist schon gut, Giuseppa«, brummte Papà. »Amerika ist weit weg. Leider. Aber es gibt Arbeit. Dort gibt es viel Land, und es werden Vorarbeiter gesucht. Amerika ist reich und fortschrittlich. Da ist es nicht so wie hier. Da kann man was werden.« Er strich Pasqualina durch die Locken, die ihr bis auf die Schultern fielen.

»Wann fährst du los?«, fragte Matteo, während er ein Stück Birne von Mamma nahm und es sich in den Mund schob.

»In einer Woche. Bis dahin zeige ich dir noch, was du zu tun hast. Danach bist du verantwortlich für das Land, die Tiere, das Haus. Du musst auf Mutter und die Mädchen aufpassen, verstanden?«

Matteo nickte.

»Und ich?«, platzte Francesco heraus. »Ich will auch etwas tun.« Er schob den Stuhl zurück und stellte sich vor den Tisch.

»Du lernst. Das hast du dir so ausgesucht. Mach uns keine Schande.«

Es stimmte. Das hatte er sich ausgesucht. Das gehörte zum Mönchsleben. Trotzdem wollte auch Francesco etwas für die Familie tun. Sonst war er doch nutzlos und überflüssig. Du tust später etwas, raunte die Stimme in ihm. Bald tust du viel mehr für die Familie als Matteo. Du hast das Buch von Gemma. Darin steht alles, was du tun musst, wenn du der Familie helfen willst. Sie werden schon sehen. Francesco tastete nach dem Buch in der Jackentasche. Das Taschentuch war nicht verrutscht, das Buch gut geschützt. Nachher würde er weiter darin lesen. Nachher würde er etwas für die Familie tun. Der Druck von seinen Ohren verschwand.

»Auf, Kinder, wir haben noch viel zu erledigen.« Papà erhob sich, setzte Pasqualina neben sich ab. »Matteo, du kommst mit mir. Wir müssen noch die eine Mauer reparieren und das Dach des Stalls flicken. Francì, du kümmerst dich um die Tiere, so wie immer.«

»Kann ich nicht mit euch kommen?« Jede Sekunde war auf einmal so wertvoll, die Papà noch da war. Sie nicht mit ihm zu verbringen, fühlte sich falsch an.

»Und wer passt auf die Schafe auf? Sollen das etwa die Mädchen machen? Francì, also wirklich. Das haben wir doch abgemacht, sonst kannst du nicht zum Unterricht. Hast du das vergessen?« Papà runzelte die Stirn. Matteo kam um den Tisch herum.

»Nein, aber du gehst doch weg. Und da habe ich gedacht …«

»Hier wird nicht gedacht. Also, jammer nicht, sondern lauf. Die Schafe müssen raus.« Papà griff nach seiner Kappe, die an einem Nagel neben der Küchentür hing, und schob sie sich über die wenigen Haare. »Wir sehen uns beim Abendessen.« Dann trat er aus der Tür, Matteo folgte ihm, die Brust immer noch herausgestreckt.

Francesco starrte auf den abgeräumten, sauberen Tisch. Ein einziges Birnenstück lag noch auf dem Teller. Seines. Er steckte es sich in den Mund. Es war matschig und überreif, als gärte der Saft bereits. Francesco musste würgen.

»Francì, dein Brotbeutel«, rief Mamma ihm nach, als er langsam zur Tür ging. »Ich hab dir noch ein bisschen was eingepackt.«

Er kehrte um und ergriff den Beutel, den Mamma ihm mit vorwurfsvollem Blick reichte.

Vor dem Haus hängten Papà und Matteo dem Esel die Tragekörbe über und beluden sie mit so viel Werkzeug, Steinen und Dachziegeln, als wollten sie ein neues Haus bauen.

Erst als Francesco durch den Tränenschleier den Olivenbaum am Ende des Weges erkannte, ließ er den Stock sinken, mit dem er die Schafe durch harte Schläge zur Eile angetrieben hatte. Sein Gesicht war nass, immer noch liefen ihm die Tränen über die Wangen. Die Schafe hatten den ganzen Weg über geblökt und waren, so schnell sie konnten, vor ihm her getrappelt. Jetzt verfielen sie in ihren gemächlichen Trott und rupften die ersten Gräser aus dem Boden. Hinter den Trockenmauern zirpten die Grillen. Mit dem Jackenärmel wischte Francesco sich den Rotz unter der Nase weg, es dufete stark nach Lavendel und Thymian. Ein paarmal zog er noch die Nase hoch, bevor er sich unter dem Olivenbaum niederließ. Der warme, raue Stamm stützte ihn, es war, als nähme er ihm die Last ab. Francesco holte das Buch von Gemma aus der Jackentasche. Vorsichtig wickelte er es aus dem Tuch, legte es sich auf die Knie und blätterte behutsam eine Seite nach der nächsten um. Oft las er die Worte Lieber Vater, und jedes Mal hielt er inne. Wer war sein lieber Vater? Papà ging nächste Woche weg. Vielleicht für immer. Wer war dann sein Vater? Gott ist dein Vater, sagte die Stimme, die seit einiger Zeit fast täglich zu ihm sprach. Gott ist dein Vater. Wenn du ihm dienst und alles für ihn tust, hat er dich lieber als Papà. Er wird dir antworten, und dann machst du Wunder.

Ein kleiner Ast knackte. »Francì«, sagte jemand.

Er blickte auf. Chiara stand vor ihm. Sie hatte ihn nie beim Schafehüten besucht. Tränen quollen aus ihren dunklen Augen, die genauso waren wie seine eigenen, was ihn immer wieder überraschte. Ihre Haare hatten zwar die gleiche Farbe wie seine, nur waren sie viel länger und zu diesem Zopf geflochten, den sie immer so sorgsam pflegte.

»Was ist?« Seine Stimme war kratzig.

»Ich will keine Nonne werden. Ich will das nicht.« Chiara schniefte, während sie ihr Leinenkleid etwas anhob und sich vor ihm auf die Knie setzte. »Kannst du Mamma und Papà bitten, mich nicht ins Kloster zu schicken? Ich kann keine Nonne sein.«

Francesco starrte sie an und sagte kein Wort. Die Sonne stand hinter Chiara und legte einen goldenen Schimmer um ihren Kopf und ihren Körper. Sie hatte die Hände zusammengelegt, nicht zum Gebet, sondern sie krallte sie umeinander, die Knöchel traten heraus. Mücken tanzten um Chiara herum. Sie roch nach der kleinen Rosenseife, die sie von Mamma zum Geburtstag bekommen hatte.

»Bitte! Du musst das für mich tun. Matteo macht immer nur, was die Eltern sagen. Der wird mir nicht helfen. Du bist der Einzige, der das kann.« Schatten lag auf Chiaras Gesicht, ihre Stimme klang flehentlich, die Worte quietschten.

Sie nahm die Hände auseinander und legte sie auf Gemmas Buch. Francesco zog es unter ihr weg, sodass sie sich auf seine Knie stützen musste. Er strich über die aufgeschlagenen Seiten und klappte es zu. »Ich kann nicht«, sagte er langsam. »Das ist immerhin der Wunsch der Eltern, und was die sagen, muss man machen. Man kann nicht einfach selbst bestimmen.«

»Aber du hast Mamma und Papà doch auch gesagt, du willst Mönch werden.«

»Das ist doch was ganz anderes. Das ist etwas Gutes«, sagte er, während er das Taschentuch hervorzog und über das Buch legte.

»Ach ja?« Chiara musterte ihn mit gerunzelter Stirn. »Ich will aber nicht in einem Kloster eingesperrt sein. Das halte ich nicht aus.« Sie rüttelte an seinen Knien. »Ich will in die Stadt, nach Benevento oder besser noch nach Neapel. Da ist das Meer. Ich will das Meer sehen. Ich will auf der Promenade spazieren gehen und Cappuccino trinken. In einem richtigen Café.« Sie lächelte. Ihre Stimme war wieder normal. »Ich will Leute treffen und Geschichten hören. Ich möchte ein schönes Kleid tragen, mit Spitzen dran. Und tanzen will ich, weißt du? Aber richtig. Walzer, nicht nur Tarantella. Ich kann nicht ins Kloster.« Sie setzte sich auf ihre Fersen und faltete die Hände im Schoß.

»Das ist Sünde«, sagte Francesco.

»Warum? Wer sagt das?« Chiara streckte die Brust heraus. Unter ihrem Kleid zeichneten sich kleine Rundungen ab.

Francesco blickte rasch in die Krone des Olivenbaums. Ein Meisenpaar jagte sich durch das Geäst. Cappuccino, Geschichten, Tanz und schöne Kleider, das war doch zu nichts gut. Das war doch nur Tand. So wie das Goldene Kalb, da hatten sie auch drum herum getanzt, und das hatte schlimm geendet. »Wissen Mamma und Papà das? Dass du nach Neapel willst?«

Chiara schüttelte den Kopf. »Sie fragen mich ja nie, was ich will. Ich zähle doch nicht.« Ihre Hände zitterten. Tränen fielen auf ihr verblichenes Leinenkleid. Der Saum war ausgefranst und staubig.

»Wahrscheinlich wissen sie, dass du solche sündigen Gedanken hast.« Francesco stand auf und entfernte sich ein paar Schritte von ihr. Mit wenigen Handgriffen wickelte er Gemmas Buch wieder in das Tuch und steckte es zurück in seine Jackentasche. »Vielleicht hat Gott den Eltern deshalb gesagt, du sollst Nonne werden. Das ist dann ein Zeichen, dass du ein frommes Leben führen sollst. Und das ist viel wichtiger als Cappuccino und Walzer.«

»Glaubst du das wirklich?« Chiara verscheuchte ein paar Fliegen und wischte sich die Tränen von den Wangen.

»Was?«

»Dass Gott das den Eltern gesagt hat.«

Francesco nickte. »Es kann nicht anders sein. Mir hat Gott Padre Carmelo geschickt, und dir sagt er es durch die Eltern. Und gerade jetzt, wo Papà weggeht, ist das ein Zeichen. Du sollst den Weg zu Gott einschlagen. Etwas Schöneres gibt es doch gar nicht.«

»Für mich schon.« Sie griff nach ihrem Zopf, legte ihn sich vor die Brust. »Bitte hilf mir nur dieses eine Mal, Francì. Danach lasse ich dich auch in Ruhe. Aber das hier schaffe ich nicht alleine. Du weißt, wie man sein muss, wenn man in ein Kloster geht. Aber so bin ich nicht.« Sie hob einen kleinen Ast mit ein paar Olivenblättern auf und steckte ihn sich ins Haar.

»Chiara, ich kann das nicht machen.« Francesco verschränkte die Arme. »Den Eltern muss man gehorchen. Und ich will nicht, dass du ein sündiges Leben führst. Dafür habe ich dich viel zu lieb.« Er spürte, wie seine Wangen heiß wurden. So viel hatte Francesco noch nie mit Chiara geredet. Hoffentlich hielt sie ihn nicht für einen Schwätzer oder war ihm böse. Bisher hatte sie ihn noch nie um Hilfe gebeten, sie war immer so stark und hatte sich sogar den Jungs aus dem Dorf in den Weg gestellt.

Chiara stand auf. Die Olivenblätter glänzten wie ein silbriges Schmuckstück in ihrem Haar. Die hängenden Äste des Baumes schienen sie zu umarmen, sie wie ein wertvoller Mantel zu umhüllen. Die Oliven, die bald reif waren, schimmerten prall durch das Laub. Sie klopfte sich den Staub vom Kleid und zupfte ein paar Grashalme aus dem Leinenstoff. »Dann eben nicht, aber glaub ja nicht, dass ich dir noch mal helfe. Das kümmert dich doch sowieso nicht, nicht mal Danke sagst du. Und wehren tust du dich auch nicht. Du bist doch nicht gescheit!« Sie marschierte vor ihm auf und ab.

Francesco ließ die Arme hängen. »Bitte, Chiara, sei mir nicht böse! Ich würde dir ja helfen, wenn ich könnte. Aber ich kann eben nicht. Nicht dabei.« Er schluckte.

»Warum denn nicht?« Sie blieb vor ihm stehen und stützte die Hände in die Hüften.

»Du sollst Vater und Mutter ehren, heißt es. Damit Gott einem nicht zürnt. Und das, was du mir erzählt hast, verstößt gegen dieses Gebot.« Er tastet nach dem Buch in seiner Jackentasche. »Wenn ich Mönch werden will, darf ich mir keinen Fehltritt erlauben und muss die Menschen auf den rechten Weg bringen. Aber du willst den rechten Weg ja gar nicht. Und dann werde ich auch ein Sünder.« Tränen stiegen in ihm auf.

»Aber das ist doch meine Sache und nicht deine. Wie kannst du da ein Sünder werden?« Etwas Herausforderndes lag in Chiaras Blick.

»Du verleitest mich dazu, Böses zu tun. Und das will ich nicht.« Francesco stieß mit dem nackten Fuß einen Stein davon.

»Also ist dir Gott lieber als ich?«, fragte Chiara, während sie einen Olivenzweig aufhob.

Francesco starrte auf seine Füße. Etwas Blut quoll aus dem großen Zeh, mit dem er den Stein weggeschossen hatte. Er kniete sich hinunter und tupfte mit dem Ärmel seines Hemdes die Wunde ab. Es tat gar nicht weh.

»Nun sag schon, wer ist dir lieber?« Sie hatte den Zweig zu einem Kranz gebogen. Ein Schaf kam zu ihr und knabberte daran. Chiara nahm den Kranz in die andere Hand und verscheuchte das Tier mit einem Klaps.

»Das kann ich nicht sagen«, antwortete Francesco, während er immer noch den Zeh betupfte. Sein Hemdsärmel war blutbefleckt. »Ich habe euch beide lieb«, fügte er hinzu und stand auf.

»Das glaub ich dir nicht.« Chiara drehte den Kranz in den Händen. »Dann würdest du mir helfen. Stattdessen liest du nur in diesem dummen Buch und betest. Also hast du Gott lieber als mich.«

»Nein.«

»Doch. Warum betest du dann so viel?« Sie sah ihn an.

»Weiß nicht. Ich muss einfach beten. Dann hab ich Ruhe.« Ja, Ruhe. Dann schwieg die Stimme. Zumindest für eine Weile. Es war Ruhe, wenn er betete. Dass er so auch noch ein Wunder machen wollte, würde er Chiara nicht erzählen. Das ging nicht. Noch nicht. Wenn sie Nonne würde und den Weg zu Gott fände, könnte er sich ihr anvertrauen. Dann ja.

»Francì, du bist wirklich seltsam. Aber ich hab dich trotzdem lieb.« Sie drückte ihm einen Kuss auf die Wange und setzte ihm die Blätterkrone ins Haar.

»Ich würde dir gern helfen, Chiara.« Francesco zog sich den Kranz vom Kopf. »Aber das ist so schwer für mich. Wir sagen Mamma und Papà erst mal nichts, einverstanden? Du kommst morgen mit zum Unterricht bei Maestro Caccavo. Ich bin ja jetzt für dich verantwortlich, hat Papà gesagt. Lesen und Schreiben musst du auch so können. Das ist wichtig. Dann könntest du … na, du könntest die Geschichten lesen … Wenn du das willst.«

Chiara lächelte, schwach, aber sie lächelte. »Ja, und Romane und Gedichte. Und mit Mamma rede ich später, wenn Papà fort ist.«

Francesco schluckte. Sie wollte wirklich nach Neapel. Das war zwar nicht so weit weg wie Amerika, aber es war eine Stadt, voller Versuchungen und Sünden. Das war genauso schlimm wie Amerika, wenn nicht noch schlimmer. Und er blieb allein zurück. Hoffentlich verließ ihn Chiara nicht auch so wie Papà.


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