Kitabı oku: «Wintertauber Tod», sayfa 2

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So, so, die Katzen sind also verschwunden? Vielleicht mögen sie einfach keinen Schnee und haben beschlossen auszuwandern. Sind wahrscheinlich alle unterwegs in den Süden. Im Gänsemarsch. Oder per Anhalter. Das sollten wir übrigens auch tun. Tanner lachte. Solène tat so, als hätte sie nicht verstanden.

Was? Was sollten wir tun?

In den Süden fahren. Wir drei. Wir müssten nicht einmal Autostopp machen, sondern könnten mit meinem Auto fahren.

Machen Sie sich nur lustig, Monsieur. Wenn Sie eine Katze hätten und die einfach so verschwinden würde, wären Sie sicher auch traurig.

Entschuldigen Sie, Solène. Haben Sie denn ebenfalls Ihre Katze verloren?

Diesmal protestierte sie nicht gegen die Namenszuteilung.

Nein, nein. Ich will kein Haustier. Ich finde es immer traurig, diese Tiere in den Wohnungen und so. Zudem habe ich ja meine Schwester. Das ist Abwechslung genug.

Da haben Sie sicher Recht. Ich hoffe, die Katzen kommen wieder zum Vorschein.

Ja, das hoffen wir auch. Ich wünsche Ihnen einen schönen Spaziergang, Herr Tanner.

Danke und auf Wiedersehen, Solène.

Tanner verließ den Laden fröhlicher, als er ihn betreten hatte. So erging es ihm jeden Tag.

Das nenne ich erfolgreiche Kundenanbindung. So einen Laden muss man mir in der Stadt erst einmal zeigen. Es ist wie ein kleines Wunder. Aber wie sagt man so schön: Raum ist in der kleinsten Hütte.

Er lachte vergnügt und wiegte den Kopf.

Was machten zwei so attraktive Zwillingsschwestern in diesem Dorf? In diesem Laden? Ein Rätsel, über das Tanner mitunter gerne nachdachte, doch zu einer schlüssigen Antwort war er noch nicht gekommen. Er hatte zu seinem Vergnügen schon etliche Thesen durchdekliniert. Alle Arten von unglücklichen Liebesaffären, bis hin zur Vermutung, dass die beiden irgendwo ein Verbrechen begangen hatten und sich hier in dem kleinen, unscheinbaren Dorfladen eine Weile versteckt hielten. Auf alle bisherigen, geschickt eingefädelten Fragen hatte er nur ausweichende Antworten erhalten. Wie auch immer, die beiden gefielen ihm außerordentlich gut. Wieso wäre er sonst freiwillig jeden Tag einkaufen gegangen, manchmal sogar zweimal am Tag? Er konnte die beiden zwar mittlerweile gut unterscheiden, aber sich noch immer nicht entscheiden, welche der beiden ihm besser gefiel. Auf den ersten Blick war es sicher Solène. Ihre Attraktivität sprang einem gleichsam ins Gesicht. Man konnte sich ihr kaum entziehen. Solanges Geheimnis musste zuerst entdeckt werden. Dann aber …

Es war wie in der Musik. Manche Melodien gingen gleich ins Ohr, andere entfalteten sich erst nach mehrmaligem Hören.

Zufrieden mit diesem Vergleich überquerte er die Straße zum Schulhaus, wo im Parterre die Gemeindeverwaltung untergebracht war. Die Fenster des ganzen Gebäudes waren trotz des hellen Tageslichts erleuchtet. Erstaunlicherweise hörte man keinen Ton. Vielleicht hatten alle Schüler gemeinsam eine schriftliche Arbeit zu bestehen. Oder sie lauschten atemlos einer Geschichte des Lehrers.

Da hörte er jemanden vom Schulhaus her seinen Namen rufen. Im Parterre lehnte sich die Gemeindeschreiberin aus einem offenen Fenster.

Entschuldigung, Herr Tanner?

Guten Morgen, Frau Gruber. Was gibt’s?

Haben Sie auch eine Katze? Und ist die vielleicht auch verschwunden?

Nein, nein. Ich habe keine Katze. Danke der Nachfrage. Sind denn wirklich so viele Katzen verschwunden?

Es gelten an die fünfundzwanzig Katzen als vermisst.

Haben Sie dafür eine Erklärung?

Nein. Das ist es ja. Man hat noch nie von einer Massenflucht von Katzen gehört. Aber es wird sich schon noch klären.

Das denke ich auch. Auf Wiedersehen.

Frau Gruber war ihm von Anfang an wohlgesonnen gewesen. Er wusste zwar nicht warum, aber ihre Freundlichkeit machte den Umgang mit der Gemeindebehörde durchaus angenehm.

Die Hauptstraße machte eine ganz leichte Kurve, und schon bald würde er das Ende des Dorfes erreicht haben. Interessant waren vor allem die Gebäude am Ende der Straße, und zwar die auf der linken Seite. An dieser Stelle blieb Tanner jedes Mal gerne stehen und schaute sich ausgiebig das große Gut an.

Umgeben von einem herrlichen alten Baumbestand, von gepflegten Hecken und Wiesen, die auf raffinierte Weise unmerklich in einen fast parkähnlichen Garten übergingen, stand, leicht erhöht, eine Backsteinvilla aus den Gründerjahren. Das Haus hätte eigentlich besser in die Nähe einer Stadt gepasst, doch die Vollkommenheit der Gartenanlage integrierte es erstaunlich gut in die bäuerliche Landschaft. Hinter dem Haus befanden sich Remisengebäude und Stallungen. Weiter zurückversetzt und noch etwas höher gelegen dominierte eine geradezu als riesig zu bezeichnende Scheune das Bild, die vor nicht allzu langer Zeit in eine moderne Reithalle umfunktioniert worden war. Im gigantisch großen Dachstock waren mehrere kleine, aber äußerst luxuriöse Wochenendappartements für Pferdebesitzer eingebaut worden. Die ganze Anlage wirkte klug konzipiert und schien innerhalb kurzer Zeit zu einem begehrten Anziehungspunkt für gut betuchte Pferdeliebhaber geworden zu sein. Durch den Schnee machte die Gestaltung der gesamten Anlage an jenem Tage einen noch einheitlicheren und einzigartigeren Eindruck als sonst.

Die Familie von Saalen, der das Gut gehörte, hatte seit Generationen einen bedeutenden Namen in der Pferdezucht. Der Alte von Saalen war zwar seit Jahren tot, aber seine Frau schien alles im Griff zu haben. Einer der beiden Söhne, so hieß es, sei als junger Mann von einem Pferdehuf schwer am Kopf verletzt worden und habe sich nach Jahren der Qual und der langsamen Verblödung mit einem Karabiner erschossen. Er habe offenbar in einem hellen Moment seine hoffnungslose Situation realisiert und sofort die Konsequenzen gezogen. Den anderen Sohn hatte Solène wörtlich einen ziemlichen Luftikus und Tunichtgut genannt. Über die Tochter hatte sie etwas mildere Worte gefunden.

Tanner wandte seinen Blick ab und setzte seinen Weg fort. Da er die Leute noch nie zu Gesicht bekommen hatte, hatte er sich auch noch keine eigene Meinung bilden können.

Er verließ die Hauptstraße nach rechts. Der Weg führte in Richtung See, zur alten Werft und zum Yachthafen. Links vom Hafen gruppierte sich eine Anzahl kleinerer und größerer Wochenendhäuschen zu einem kleinen Außenquartier des Dorfes. Die Häuser waren zum Teil in Selbstbaumanier mehr schlecht als recht zusammengezimmert. Die meisten waren offensichtlich über die Jahre immer wieder mit kleinen Anbauten erweitert worden. Material- oder Formabstimmung schien hier ein Fremdwort zu sein. Wellblech, Mauersteine, Beton, Holz roh, Holz bemalt, jegliche Art von Folie und Plastik, sogar Styropor bildeten die Baumaterialien. Alles in allem kein schöner Anblick. Eine ästhetische Absicht hinter dem Prinzip des Nichtzusammenpassens war dabei weit und breit nicht zu erkennen. Die Einheimischen nannten das wild entstandene Quartier politisch ziemlich unkorrekt das Negerdorf. Kürzlich hatten ein paar Neureiche, die ebenso wenig von Stilgefühl belastet waren, als Ergänzung zum Jahrmarkt der Hässlichkeiten noch ein paar protzige Pseudovillen dazugebaut. Tanner versuchte sich mit dem Gedanken zu trösten, dass man das alles auch als Ausdruck eines freien Willens interpretieren könnte. Die Hässlichkeit würde so betrachtet zu einer zwar ärgerlichen, aber unausweichlichen Dreingabe unserer Zeit.

Viel lieber aber betrachtete Tanner den langgestreckten Hügel jenseits des Sees, ein Anblick, den er aus seinem Fenster frühmorgens als erstes genoss, ohne dass er sich je an dieser sanft geschwungenen Linie satt gesehen hätte oder seines Anblicks gar überdrüssig geworden wäre. Und jetzt war er, dieser grandioseste Hügel aller Hügel, auch noch mit Schnee bedeckt, was die Erotik seiner Linienführung schärfer denn je hervorhob.

Die Tore der alten Bootswerft waren heute Morgen noch allesamt verschlossen. Normalerweise trat Tanner in die Hallen und begutachtete interessiert die Boote und Schiffe, die gerade in Arbeit waren. Meist endeten diese Besuche im Büro des Werftbesitzers, mit dem man äußerst angeregt plaudern konnte. Heute ließ er die Werft links liegen und ging direkt zum ehemaligen Gebiet der alten Zementfabrik hinüber, die vor einiger Zeit ziemlich aufwendig zum Hafen für kleine und große Yachten umgebaut worden war.

Tanner war auf die Farbe des Wassers gespannt, denn er hatte den See noch nie im Schneekontrast erlebt. Er kannte und liebte all die Schattierungen vom hellsten türkisblau bis zu den abgrundtiefsten Blau- und Grüntönen. Oder all die Weiß- und Grautöne der aufgebrachten Gischt, wenn der Joran über den Hügel brauste und den stillen Seespiegel von einem Moment auf den anderen zu einer dramatischen Meeresoberfläche aufwühlte.

Durch den ungewohnten Schneehintergrund und den von Wolkenfetzen bedeckten Himmel changierte die Farbe des Wassers zwischen grau und violett. Tanner wischte einen großen Stein an der Mole schneefrei, setzte sich trotz der Kälte hin und beobachtete das schillernde Farbenspiel.

Nach einer Weile holte es ihn wieder ein. Es geschah zwar immer seltener, aber heute Morgen passierte es. War es die Farbe des Wassers? Der See sah heute Morgen wirklich traurig aus. Zudem hatte Elsie die Farbe Violett ganz und gar gehasst. Sie hatte ihm mal gesagt, violett sei für sie die Farbe des Todes. Auch assoziierte sie die Farbe mit der katholischen Kirche, und die mochte sie überhaupt nicht. Eine Religion, die neugeborenen Kindern die Erbsünde auferlegte, war für sie inakzeptabel. Dass daher Kinder ohne Taufe auf dem direkten Weg in die Hölle kämen, sei ihrer Meinung nach krank. Zumindest lebensfeindlich. Und jetzt war Elsie selber tot.

Tanner stützte den Kopf auf seine Hände.

Warum konnte er nicht wie ein Kind einfach denken, dass Elsie im Himmel war und es gut hatte? Dass sie den ganzen Tag auf einer Wolke saß und über sein Leben wachte und das ihrer Kinder? Und zwischendurch mit den Engeln fröhliche Lieder zu Ehren Gottes sang?

Er schaute hinauf zu den grauen Wolken.

In den dreizehn Monaten, die er Tag für Tag an ihrem Bett verbracht hatte, war auch er versucht gewesen – wie viele in ähnlicher Situation – eine Art Kuhhandel abzuschließen. Wenn Du sie aufwachen lässt, glaube ich an Dich. Es hatte aber nicht funktioniert, sie war gestorben. Ihren schönen Körper gab es nicht mehr. Der war verbrannt. Das Häufchen Asche lag eingeschlossen in einer tönernen Urne und wartete darauf, in der Mitte des Sees verstreut zu werden. Diesen Wunsch hatte sie unvermittelt in einer ihrer Liebesnächte geäußert, und keiner hatte geahnt, wie schnell er Wirklichkeit werden sollte. Die Urne stand immer noch im leeren Schrank in einem der Zimmer, das er seit dem Tag, an dem er die Urne eingeschlossen, nicht mehr betreten hatte. Und er würde es so schnell auch nicht wieder betreten.

Tanner sprang von seiner kühlen Raststätte auf und setzte den Spaziergang fort.

Er war mittlerweile auf der Höhe des Bahnhofrestaurants angekommen, das gerade Betriebsferien hatte. Er liebte diesen Ort mit seiner einfachen Küche, den liebenswürdigen Besitzern und der heimeligen Gaststube. Und die Sommerabende an den Tischen unter dem Birnenspalier konnte man getrost als eine Form der reinen Poesie bezeichnen.

Der Bahnhofsplatz sah auch bei Schnee öde und verlassen aus. Hingegen übten die jenseits des Bahnhofs liegenden Gebäude auf Tanner stets den gleichen Zauber aus. Es war ein altes Herrschaftshaus, zu dem einer der größten Bauernhöfe des Dorfes gehörte. Der Gemeindepräsident – ein großer, knochiger Mann – und sein Bruder bewirtschafteten diesen Hof als Pächter. Die Herrschaft selbst war nur einmal pro Jahr vor Ort, an Weihnachten, um den Pachtzins einzukassieren, wie die Einheimischen in beinahe ehrfürchtigem Ton erzählten. Sämtliche tiefgrünen Fensterläden des großen Hauses waren also die meiste Zeit verschlossen. Mitunter bekam eine vertraute Person den Auftrag, das Haus zu lüften und zu reinigen. Dann standen für wenige Stunden einzelne Fenster plötzlich weit offen.

Das verschlossene Haus erinnerte ihn an die traurige Novelle über das vermeintlich gemütskranke Mädchen Susanna, das durch seinen Vormund in genau so einem Herrschaftshaus eingesperrt gehalten wurde. Sogar die Läden sollte es immer geschlossen halten, damit niemand ihre Schönheit entdecken konnte – und sie nichts von der Welt. Ein junger Mann hatte trotzdem das Glück, sie zu Gesicht zu bekommen, und die beiden verliebten sich unsterblich ineinander. Sie unterhielten sich jeden Abend im Schutz der Dunkelheit durch einen Schlitz im Fensterladen. Als der junge Mann für längere Zeit in die Hauptstadt fahren musste, gelang dem Mädchen die Flucht, und sie machte sich im tiefen Winter auf, immer der Eisenbahnlinie entlang, die in unmittelbarer Nähe ihres Hauses verlief. Genau wie hier. Der Bahnhofsbeamte hatte nämlich dem unerfahrenen Mädchen im Scherz geraten, wenn sie kein Geld habe und in die Hauptstadt wolle, müsse sie nur den Schienen folgen. Was sie dann auch tat. Nach einem langen Stück Wegs wurde sie müde, legte sich in den Schnee und erfror.

Die Trauer um das Schicksal des Mädchens war allerdings leichter zu ertragen als die andere, die immer noch wie ein Messer schnitt.

Die nächste Station zum Verweilen wäre die kleine Badeanstalt mit ihren altmodischen Holzkabinen und dem malerischen Steg, der weit in die kleine Bucht mit dem dichten Seerosenteppich hinausragte, gewesen. Der Steg stammte aus der Zeit vor der Versandung dieser Seeseite, in der hier noch regelmäßig Kursschiffe angelegt hatten. Eine hohe Stange mit einem altmodischen Namensschild der Station und dem erstaunlich poetischen Wappen des Dorfes zeugten von vergangenen Zeiten.

Im Winter ein weiterer verlassener, melancholischer Ort. Tanner mied ihn an diesem Tag und schritt zügig voran.

Kurze Zeit später erblickte er rechts, oberhalb des Hanges, an dessen Fuß die schmale Straße verlief, zuerst die Kirche mit dem Pfarrhaus und der kleinen Kapelle, in der neuerdings ein Philosoph hauste, und gleich darauf die Rückseite der Autowerkstatt, deren Besitzer er vorhin beim Schneewischen gesehen hatte, sowie einen Teil eines Bauernhauses. Schließlich das Haus von Marnier, dicht daneben das imposante Dach seines eigenen Wohnhauses und die steinernen Balustraden des parkähnlichen Gartens.

Die Straße schlängelte sich immer schmaler werdend zwischen diesem Hang und der Eisenbahnlinie entlang, bis zu einer ganz engen Nadelkurve, schon eher eine Art Spitzkehre, die so mancher Autofahrer kaum im ersten Anlauf meisterte. Danach führte die Straße praktisch in die Gegenrichtung zurück, den Hang entlang ziemlich steil aufwärts, bis sie endlich in die Hauptstraße mündete, an der entlang die Häuser des Dorfes hauptsächlich aufgereiht waren. Die Gebäude der Hangstraße besaßen eine merkwürdige Ausstrahlung. Es war nicht das Wissen allein, dass hier die Ärmsten des Dorfes wohnten, es war auch nicht die offensichtliche Verwahrlosung, die diesem Ort eine unangenehme Aura verlieh. Es ging etwas Unheilvolles, Unerlöstes von diesen morschen Häusern aus. Wann immer Tanner auf seinen Spaziergängen jemand angetroffen hatte, waren die Blicke weder freundlich noch offen. Aber was genau sein Unbehagen auslöste, hatte er noch nicht herausfinden können. Menschen hatte er hier sowieso selten angetroffen. Dafür verwahrloste und bellende Hunde in viel zu kleinen Zwingern. Einzig bei dem kleinsten Haus hatte er dann und wann einen alten Mann mit einem ganz und gar verschrumpelten Gesicht beim Holzspalten getroffen, der ziemlich leutselig zu einem kurzen Schwatz über die Qualität und Güte diverser Brennhölzer und Spaltbeile bereit gewesen war. Dass die Häuser bewohnt waren, verrieten eigentlich nur die vergilbten Vorhänge, die sich leise bewegten, wenn einer wie Tanner vorbeiging. Genau so geschah es auch an diesem Tag.

Er war offensichtlich der erste, der auf der schmalen Straße ging, denn der Schnee war noch jungfräulich unberührt.

Oben an der Hauptstraße angekommen, erinnerte er sich an die Aufforderung Marniers, ihm einen Besuch abzustatten. Tanner überquerte die Straße.

Trat man in das Restaurant, fühlte man sich augenblicklich zutiefst in das Frankreich einer vergangenen Epoche versetzt. Viel Gobelin an den Wänden und auf den Stühlen, schwere weiße Tischdecken. Unzählige Stiche wichtiger historischer Momente der Grande Nation zierten die Wände. Marnier erwartete ihn bereits in einem der kleineren Gasträume.

Danke, dass Sie meiner Einladung folgen, Tanner. Nehmen Sie ein Glas Wein?

Nein, danke. Ein Espresso und ein großes Glas Wasser wären mir lieber, bitte.

Ich schließe mich Ihnen an. Bitte nehmen Sie Platz. Wenn es recht ist, will ich gleich ohne Umleitung sagen, warum ich Sie reden will.

Nur zu, lieber Marnier.

Wir äh … wie sagt man? Wir vermissen? Ja, genau. Wir vermissen jemanden.

Sagen Sie jetzt nicht, Sie vermissen auch eine Katze.

Katze? Warum Katze? Wir hatten mal eine. Aber das ist lange her.

Ja, entschuldigen Sie, Marnier. Wissen Sie denn nicht, dass das halbe Dorf seine Katzen vermisst?

Nein, das wusste ich nicht. Stimmt das denn? Woher wissen Sie …?

Die Zwillinge aus dem Laden und Frau Gruber von der Gemeinde haben es mir gesagt.

Dann stimmt es sicher, Tanner. Vor allem Frau Gruber ist kein Spaß.

Beide lachten.

Nein, nein. Sie ist sehr nett, aber sie ist definitiv kein Spaß!

Also, hören Sie, ich war als junger Koch auf den französischen Antillen, da sind einmal auch alle Katzen verschwunden. Ganz plötzlich. Am anderen Tag gab es eine starke Beben der Erde. Ein paar Tage später waren alle wieder da.

Dann hoffen wir doch mal, dass die Erde hier ruhig bleibt. Also, Marnier, wenn es keine Katze ist, was vermissen Sie dann?

André. Wir vermissen unseren jüngsten Lehrling.

Seit wann?

Marnier rutschte unruhig auf dem Stuhl herum.

Ja, es ist sehr dumm. Seit einer Woche.

Seit einer ganzen Woche?

Ja. Das heißt, nein. André ist sehr komplex. Er ist sehr begabt, hat aber beständig großen Unsinn im Herzen. Er ist der Sohn meiner Schwester aus Marseille. Sie hat ihn mir angehängt, äh nein, ich meine … anvertraut. Er ist schon zweimal einfach verschwunden. Einmal aus Heimweh. Sie hat ihn dann wieder, äh, wie sagt man … mit gleicher Post zurückgeschickt.

Sie meinen postwendend.

Ja, genau. Und einmal hat er den Autostopp in den Süden gemacht, bis er im Meer stand. In Genua. Er hat mir telefoniert und ich habe ihn geholt. Er hat gesagt, dass er das Meer sehen muss, sonst müsse er sterben. Oder so ungefähr.

Marnier schüttelte den Kopf.

Sie sehen, er ist sehr komplex.

Ja, es scheint sich um einen komplizierten jungen Mann zu handeln.

Genau. Kompliziert. Wollen Sie noch ein Espresso?

Tanner nickte.

Und jetzt ist er wieder einmal verschwunden?

Also, er hatte drei Tage frei und hat gesagt, dass er zu einem Freund nach die Stadt fahren will. Später haben wir bemerkt, dass er gar nicht bei Freund aufgetaucht ist, und sein Motorrad stand die ganze Zeit hinter dem Haus. Das haben wir aber erst vor zwei Tagen gesehen. Wir haben gedacht, dass er damit unterwegs ist.

Wie alt ist André?

Er ist gerade siebzehn geworden. Er ist jung.

Nimmt er Drogen?

Ehrlich gesagt, weiß ich das nicht. Er raucht vielleicht Haschisch.

Wie alle jungen Leute, aber mehr weiß ich wirklich nicht.

Lieber Marnier, warum erzählen Sie das alles mir und nicht der Polizei?

Wollen Sie mich schrecken, Tanner?

Nein, aber sehen Sie, Marnier, eine Woche ist zu lang, um einfach die Augen zuzumachen. Und die Polizei verfügt über gewisse Kanäle. Zu den Spitälern, zum Beispiel, falls ihm irgendetwas zugestoßen ist. Wie gesagt, ich will Ihnen keine Angst machen, aber wenn Sie absolut keinen Hinweis haben, wo er sein könnte und wenn er sich diesmal überhaupt nicht meldet, dann könnte es doch sein, dass er in Schwierigkeiten steckt.

Ja, wahrscheinlich haben Sie Recht, Tanner.

Haben Sie denn schon alle seine Freunde gefragt, ob die vielleicht wissen, wo André steckt?

Ja, haben wir. Aber keine Resultat. Ich dachte, dass Sie, Tanner, vielleicht nachschauen könnten. Sie waren doch Polizist, stimmt es, oder?

Tanner hatte keine Lust, die Frage zu beantworten.

Hat André denn kein Mobiltelefon?

Doch. Aber er antwortet nicht.

Haben Sie schon sein Zimmer untersucht? Haben Sie Zugriff zu seinem Bankkonto? Weiß Ihre Schwester Bescheid? Gibt es auch einen Vater? Könnte er bei ihm sein? Trägt André Ausweispapiere bei sich? Haben Sie ein Foto von ihm, das wirklich etwas taugt?

Tanner ließ Marnier eine kleine Verschnaufpause.

Schauen Sie, Marnier, es mag jetzt etwas sehr nüchtern klingen, aber das sind in etwa die Fragen, die Sie den Behörden werden beantworten müssen. Noch etwas: Wer ist die Person, der er am meisten vertraut?

Marnier sah jetzt richtig unglücklich aus.

Wahrscheinlich das ist, äh, mich. Also ich. Glaube ich jedenfalls. Aber ich weiß ja auch nichts, merde!

Gut. Marnier. Ich kann eines für Sie machen. Ich werde mich sofort bei einem Freund bei der Polizei erkundigen, ob die was haben. Wenn nichts dabei rauskommt, machen Sie sofort eine Anzeige. Ist das klar?

Ja, das ist klar. Das machen wir.

Marnier trank in einem Zug das Glas Wasser aus. Seine Hände zitterten.

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