Kitabı oku: «Die schiere Wahrheit», sayfa 5
Warum die Frau eigenmächtig, ohne ihn zu fragen, das Zimmer gewechselt habe?
– Im andern Zimmer gab es nur ein Bett! Ein ziemlich breites zwar, aber nur eines! Wir zwei Alten in einem Bett, Herrjeh, Köbu … wir wären uns ständig in die Quere gekommen. Wegen dir hab ich ein anderes Zimmer verlangt, eines mit zwei Betten, du brauchst doch deinen Schlaf bei diesem schwierigen Fall!
Frau Studer hatte es ihretwegen gemacht. Das eine Bett im andern Zimmer, sie hatte sich probeweise daraufgelegt, die Sprungfedern im Unterbett waren lahm und weich, und der Köbu ist groß und schwer. Der liegt dann in der Mitte, bequem in seinem tiefen Nest, links und rechts steht die Matratze schräg in die Höhe, sodass sie ständig auf ihn rutschen würde … Nein!
– S’gibt keinen schwierigen Fall mehr, knurrte Studer und berichtete seiner Frau vom Gespräch mit der Dame Müller.
– Dann hat sie noch angefügt, machen Sie doch mit ihrer Frau Gemahlin – das bist du Hedy! – eine Woche Ferien hier in Saint-Georges, sie übernehme die Kosten, als kleine Entschädigung für meine Umtriebe – häsch scho mal so öppis ghört!
Studer war immer noch außer sich.
– Und meine Nase sagt mir, dass da etwas faul ist! Die Dame wollte ihn loswerden, wollte niemanden, der in ihren Angelegenheiten, oder vermutlich eher in denjenigen ihres toten Mannes, herumschnüffelt.
– Was machsch jetzt?, fragte die praktisch veranlagte Frau Studer mit möglichst gleichgültiger Stimme und wandte sich schnell ab, damit er ihr Lächeln nicht sah.
Sie konnte ihr Frohlocken nicht unterdrücken, eine Woche Ferien hier in diesem aufregenden Seebad, und ihr Mann, der Zeit hatte, weil er nichts mehr zu tun hatte, nichts zu fahnden … Das klang fast paradiesisch!
Der zweite Brief, der für ihn am Mittag in der Pension abgegeben worden war, kam, wie Studer vermutete, vom französischen Inspektor, der für die Ermittlung im Fall Montgomery Miller zuständig war. Inspektor Laurent Picot schrieb:
«Hoffe, dass Sie und Ihre Frau Gemahlin gut gereist sind und dass die Unterkunft Ihren Wünschen entspricht. Ich erwarte Sie gerne zum Aperitif um sieben Uhr auf der Terrasse des Hôtel de la Plage. Es ist mir eine Ehre, den Herrn Kommissar über den Stand der Dinge im Fall Montgomery Miller zu unterrichten. Hochachtungsvoll, Ihr Inspecteur Laurent Picot.»
Ein höflicher Mann, dieser Inspektor Picot. Der Wachtmeister starrte auf das Blatt, gewöhnliches Büropapier, der Inspektor scheint ein junger zu sein ... umso besser. Soll man dem Picot sagen, dass man vom Fall abgezogen wird? Nein! Man wird nichts von der beschämenden Unterredung mit Frau Müller berichten.
Seine finstere Miene hellte sich auf. Was lässt sich der alte, gewiefte Fahnder Studer so von der Müllerin ins Bockshorn jagen? Man wird sehen! Vater Stettler hatte Studer «angefordert», weil er den Franzosen nicht traute. Jetzt war es Ehrensache zu beweisen, dass man etwas mehr war als ein bequemes Schild … oder besser: dass man mehr war als ein gewöhnlicher Parapluie für Frau Müller, den sie aufspannt, wenn es regnet … und wieder schließt, wenn es ihr beliebt. Nein, vom Fall abziehen kann einen nur der «Alte». Und dem Polizeidirektor wird man gleich nach dem Treffen mit Picot ein Telegramm schicken und ihm sagen, was Sache ist, hier vor Ort. Jawoll.
Die Stunde des abendlichen Aperitifs hatte auch die Sonne milde gestimmt, sehr sanft legte sie nun ihre Strahlen auf die Köpfe der Menschen, die sich um die Theke des Strandcafés drängten, die Haare leuchteten golden und kupfrig und bronzen, manch eine Dame wurde von der Sonne listig mit einem Strahlenkranz ums Haupt gekrönt.
Der Strand vor dem Café war erschöpft vom sonnigen Tag und gezeichnet von Tausenden von Füßen, die ihre Abdrücke hinterlassen hatten, doch die Kinder und letzte Spaziergänger, die lange Schatten hinter sich herzogen, gaben dem Sand noch keine Ruhe. Das Meer plätscherte weit unten. Ein Pferd, das herumscharrt und sich überlegt, wann es losrennen soll ...
Studer stand am Ende der Avenue de la Plage, zwischen dem Strandcafé rechts und dem Hôtel de la Plage linker Hand und schaute auf Strand und Meer. Das Bild einer Landschaft, die man zum ersten Mal sieht, nimmt man erst später so richtig in sich auf. Im ersten Moment erscheint alles fremd und sonderbar. Die heitere Abendstimmung im französischen Seebad umsäuselte vergebens die beschäftigten Gedanken des Schweizer Wachtmeisters, der sich fragte, ob das Meer jetzt wohl stieg oder zurückging … Man hat so ein Gefühl, nach der Geschichte der Frau Müller mit den galoppierenden Rossen, dass man sich um diese Flut-Ebbe-Sache ernsthaft kümmern muss.
Auf der Terrasse des Grandhotels und unter dem Schatten der rotgelb gestreiften Markisen schwebte bereits jetzt im Juni eine Sommerabendstimmung von kühlem Bier in beschlagenen Gläsern, von klirrenden Eiswürfeln, die in bunten Aperitifgetränken schwammen, von Zeitungen aus Paris, die soeben eingetroffen waren.
Ein junger Mann und eine ältere Frau saßen bei einem Pernod (er) und einem Suze (sie) und erwarteten, leicht nervös der Polizist, freudig neugierig die Dame, einen Kommissar aus der Schweiz.
Der mit einem offiziellen Auftrag hergeschickt worden war, weil der Tote nicht Amerikaner, sondern Schweizer war, ein Geschäftsmann, mit Beziehungen in höchste Kreise, vermutlich eine sehr wichtige Persönlichkeit, wenn die Schweiz einen Spezialisten herschickt.
– Bloß keine internationalen Verwicklungen!, hatte der hohe Polizeichef in La Roche-sur-Yon dem kleinen Inspektor Laurent Picot befohlen, als er ihn gestern Mittag persönlich angerufen hatte. Den Fall Miller Montgomery schnell abschließen … eindeutig ein Unfall … keine andern Möglichkeiten verfolgen! … Ich verlass mich auf Sie, Picot!
Von dieser Order – dass es eine war, daran ließ der Patron in La Roche-sur-Yon keine Zweifel – hatte der Inspektor seiner Tante selbstverständlich nichts gesagt. Natürlich auch nicht, dass er nach diesem Telefonat seines Chefs sofort in der Pathologie angerufen hatte … Nein, man habe mit der Meerleiche noch nicht angefangen … Sofort stoppen, es wird keine Autopsie gemacht, den Leichnam lagern bis neue Order, hatte er angeordnet. Um jegliche Möglichkeit nicht erwünschter Ergebnisse gleich auszuschließen.
Der rechtschaffene Laurent Picot schwitzte und rutschte auf seinem Stuhl hin und her, misstrauisch beobachtet von Amélie Morel. Wie ist er bloß in diese vermaledeite Zwickmühle geraten! Sein Gewissen hämmerte … natürlich müsste man die Leiche obduzieren … zu vieles ist seltsam. Laurent rieb seine feuchten Hände an den Hosenbeinen. Eine Manie. Aber jetzt gilt es erstmal, diesen Schweizer Kommissar zu überzeugen, dass es nichts Auffälliges am Tod von Miller gibt. Ob der schon weiss, dass man ihn vom Fall abziehen wird, wie Madame Miller ihm versichert hat?
Amélie Morel hatte sich selbst zu diesem Treffen eingeladen, Laurent hatte ihr gegenüber unklugerweise erwähnt, dass er den Kommissar aus der Schweiz zum Aperitif erwarte, wonach es für sie ein Leichtes war, ganz zufällig kurz vor sieben über die Terrasse zu spazieren und ein freies Tischchen zu suchen.
– Mon p’tit Laurent, welch eine Überraschung! Da setz ich mich doch gleich zu dir und leiste dir Gesellschaft!
Laurent Picot, wohlerzogen, wagte nicht, seine liebenswürdige Tante wegzuschicken.
– Ich muss aber sehr bitten, Tante, du mischst dich nicht ein und sagst kein Wort!
– Aber, wäre das nicht sehr unhöfl… schon gut!
Amélie war etwas gekränkt, als ob sie sich nicht zu benehmen wüsste!
Der Hoteldirektor Monsieur Leroy pflegte die Gewohnheit, zur Zeit des Aperitifs auf der Terrasse von Tischchen zu Tischchen gehend mit seinen Gästen zu konversieren, hier ein Händeschütteln, dort eine angedeutete Verbeugung vor einer beperlten Dame, und unablässig tanzte ein geschäftstüchtiges Lächeln unter seinem dünnen schwarzen Schnurrbärtchen.
Der Inspektor beobachtete den Hoteldirektor, der ihm unsympathisch war, und er vermutete, zu Recht, dass dies auf Gegenseitigkeit beruhte. Als Leroy sich langsam ihrem Tischchen näherte, spürte er das dringende Bedürfnis, sich mit dem Anzünden einer Zigarette zu beschäftigen.
Monsieur Leroy hatte sie längst entdeckt, den Inspektor und das Fräulein Doktor, die man womöglich noch schärfer im Auge behalten musste, und fragte sich beunruhigt, weshalb die beiden hier saßen. Beobachtet der Inspektor etwa einen Verdächtigen? Mit größter Besorgnis verfolgte Monsieur Leroy auch, wie sich nur ein paar Tische weiter hinten Suzy Furet angeregt mit einem Gast unterhielt, ihn vermutlich ausfragte! Die freche Schnüfflerin vom «Journal de Challans» steckt ihre Nase wieder überall rein ... mon dieu, hatte sie vielleicht gar Wind bekommen …
Dann sah Leroy einen Mann langsam die Treppe heraufsteigen, und dem armen Hoteldirektor blieb das Herz stehen: Da kam noch einer! Unverwechselbar ein Kommissar! Es schien ihm jetzt ratsamer, den Polizistentisch mit einer solchen Verstärkung lieber aus gebührender Entfernung zu beobachten. Leroy änderte seine Route und bog am Nachbartisch scharf rechts ab.
Inspektor Picot hatte sich an einem Tischchen neben der Treppe zum Strand niedergelassen, um keinen der Ankömmlinge zu übersehen, er würde ja wohl einen schweizerischen Kommissar erkennen. Seit der Lehrzeit bei der Police Judiciaire in Paris hatte man einen Riecher für Kollegen, ob sie Franzosen, Belgier, Italiener, Deutsche oder Holländer waren, warum sollte ein Schweizer anders sein. Man ähnelte sich über die nationalen Grenzen hinweg. Recht hatte er. Aber was da die Treppe hochkam, das war keine Ähnlichkeit, das war eine Kopie seines Chefs!
Etwa gleiches Alter wie der Patron, ebenso groß und breit, hellgrauer Konfektionsanzug, der etwas aus der Form geraten war, weil der Körper, der darin steckte, massig war, das Jackett besonders an den Oberärmeln schon ein wenig ausgebeult, dagegen ist nichts zu machen, entweder hat man Muskeln oder man hat keine!, pflegt der Chef zu sagen. Und der da hatte auch welche! Nur war das magere Gesicht des Schweizer Kommissars mit seiner dünnen Nase bleich, das seines Patrons hingegen meist weinrot. Es gab noch einen weiteren Unterschied, wie Picot mit Erleichterung feststellte. Der andere trug einen kräftigen Schnurrbart, der den Mund bedeckte, sodass man nicht recht wusste, lächelte der Mann oder war er ernst.
Auch Studer erkannte seinen «Kollegen» augenblicklich, als er langsam und suchend die Treppe zur Hotelterrasse hinaufstieg. Ein dicklicher Mann mit bravem Scheitel dank Brillantine, ein paar letzten Pickeln auf dem Kinn und einem schmalen Schnäuzchen über der Oberlippe, der in seinem modisch hellen Sommeranzug so nervös schwitzte, dass Studer ihn sogleich mochte.
– Inspecteur Picot? Stüdère, Police cantonale de Berne. Bonsoir!
Wachtmeister Jakob Studer von der Berner Kantonspolizei sprach das Französische fließend und ohne deutsche Färbung.
Picot sprang auf, schüttelte ihm die Hand.
– Sehr erfreut, Monsieur le Commissaire Stüdère! Seien Sie willkommen! Darf ich Ihnen Amélie Morel vorstellen – sie war es, die den Toten gefunden hat!
Studer wunderte sich, was hat dieses Frauenzimmer bei einem Gespräch unter Männern verloren? Als Picot seinen überraschten Blick bemerkte, meinte er verlegen, meine Tante! Studer verstand, so läuft das hier, und er reichte ihr mit einem Kopfnicken die Hand.
– Guten Abend, Madame!
– Mademoiselle! Commissaire, Mademoiselle!
– Oh pardon, Mademoiselle!
Natürlich, sie war unverkennbar eine ältere Jungfer, mit diesen züchtigen Kleidern – ein braves dunkelblaues Jäckchen über dem Blümchenrock –, wie alt mochte sie sein? In ihren dunklen Löckchen glitzerten zahlreiche Silberfäden, aber ihre Augen sahen ihn über die Brille so herausfordernd an, dass der Wachtmeister sofort wusste, mit dieser Jungfer Morel muss er während der Ermittlung rechnen ... Ach, und die leidige Kommissär-Wachtmeister-Sache wird man bei passender Gelegenheit klären, nahm sich Studer vor.
Die Herren setzten sich, der zierliche Korbsessel knackte entsetzt und entsetzlich, als der schwere Studer sich darauf niederließ … Das Mobiliar der Hotelterrasse war so modern wie unbequem. Picot bestellte für den Wachtmeister ebenfalls einen Pernod, obwohl den wieder nach einem Bier dürstete, aber er sagte nichts, man wartet lieber mal ab.
Das Geplauder und Lachen an den Nebentischen wogte so ausgelassen hin und her und herüber, dass die Stummheit am Tisch der drei nicht besonders auffiel. Man konnte nicht behaupten, dass Studer dem Geplapper zuhörte, aber er nahm alles auf, gegen seinen Willen. An ihrem Tisch hockte bockig das Schweigen, es ließ sich nicht verscheuchen, obwohl Inspektor Picot sich abmühte, eine höfliche Konversation in Gang zu bringen. Aber die beiden Alten hielten es nicht für nötig, ihm zu Hilfe zu kommen. Amélie Morel musterte den behäbigen Schweizer Kommissar unverhohlen, Studer begann zu schwitzen und setzte sich unwillkürlich etwas aufrechter hin.
Inspektor Picot, der ein gewissenhafter Beamter war, seine Pflicht ohne besonderen Ehrgeiz tat und deshalb keine Rivalitäten unter Kollegen kannte, begann mit dem Bericht so harmlos wie möglich. Er sprach mit unterdrückter Stimme – die Terrasse spitze zur Stunde des Aperitifs die Ohren, hatte ihn der Hoteldirektor gewarnt, die Reporterin vom «Journal de Challans» flaniere gerne zwischen den Tischen hindurch, und es dürfe unter keinen Umständen etwas an die Zeitung gelangen! Als Picot also anfing, halb flüsternd die Fakten darzulegen, hockte Studer sich in seine Lieblingsstellung, die Schenkel gespreizt, die Unterarme auf den Schenkeln, die Hände gefaltet und hörte zu …
Der Inspektor erzählte, wie und wo man den Miller Montgomery gefunden hatte – der Schweizer Kollege wünschte morgen den genauen Ort zu sehen –, dass Madame Miller inzwischen den Toten zweifelsfrei als ihren Mann identifiziert habe und dass der Leichnam jetzt im Gerichtsmedizinischen Institut in La Roche-sur-Yon aufgebahrt sei, hier im Hotel sei es ja nicht möglich – ob sie nicht vielleicht ein Foto des Toten hätten?, fragte Studer. Nein, aber man werde Madame Miller darum bitten – nachdem jetzt also die Identität des Toten einwandfrei geklärt sei, wiederholte Picot mit besonderer Betonung, gehe man klar von einem Unfall, einem bedauerlichen Unfall, aus … Vermutlich sei der Commissaire Stüdère vergebens aus der Schweiz angereist ... das bedaure er sehr. Aber es sei ja sehr schön hier – verlegenes Lachen – perfekt für ein paar Tage Urlaub, nicht wahr?
Irgendwie klingt das nach Frau Müller, kam es Studer vor.
Als der Inspektor schon wieder eine Zigarette anzündete, ziemlich nervös der Junge, erinnerte sich Studer an etwas. Er setzte sich auf, zog aus der Brusttasche ein schmales Lederetui und daraus eine Zigarre, eine merkwürdig dünne und leicht gekrümmte Zigarre, wie Picot sie noch nie gesehen hatte. Noch viel merkwürdiger war aber, wie der andere sie anzündete: Er zog einen Strohhalm aus der Zigarre, entflammte das Stroh mit einem Streichholz – Picot hatte ihm seine Streichholzschachtel kollegial über den Tisch geschoben – und über der kleinen Flamme des Halms drehte der Schweizer Kommissar dann genüsslich seine Zigarre, bis sie brannte.
Amélie Morel beobachtete das Prozedere so gebannt, dass sie dem kleinen Laurent nicht mehr zuhörte – sie kannte die Geschichte ja – und erst beim Wort «Unfall» aufmerkte. Sie runzelte die Stirn, bloß ein Unfall? So schnell sollte «ihr Fall» also abgeschlossen werden? Schon wieder vorbei, die Spannung, die Aufregung, die ungeklärten Fragen, die Hoffnung auf ein Verbrechen, einen Mord? Nein! Da ist doch eindeutig etwas faul am Tod des Monsieur Miller. Diese Kleidergeschichte! Den Gedanken, dass ihr Neffe vielleicht ein schlechter Polizist sein könnte, schob sie jedoch sofort und energisch beiseite. Und beschloss, selbst einige Nachforschungen anzustellen.
Studer, der von Zeit zu Zeit einen verstohlenen Blick zur Jungfer Morel schickte, sah, wie sich ihre Augen verengten. Ah, die denkt auch, dass an der Sache was faul ist … Vermutlich langweilt sie sich hier – dafür hatte Studer allerdings Verständnis! Ferien hier, was für eine Vorstellung! Soll ein Wachtmeister etwa den ganzen Tag am Strand spazieren? Oder noch viel schlimmer, in einem Liegestuhl liegen? Dem Hedy allerdings würde das sicher gefallen …
Während der junge Inspektor gewissenhaft alles betonte, was die Unfallthese bestätigte, observierten sich die beiden Alten, die eine hinter dem Zigarettenrauch ihres Neffen, der andere hinter seinem Brissago-Rauch.
Die abendliche Brise vom Meer frischte auf, ihr gefielen die hübsch gestreiften Markisen der Terrasse, sie spielte mit ihnen, blähte sie und blies dann energisch den Rauch am Polizistentisch ins Innere der gedeckten Terrasse.
Rauch? Was den Kopf von diesem Studer einhüllte, konnte man beim besten Willen nicht als Rauch bezeichnen, ein Qualm war das! Die Gäste rundum begannen einer nach dem andern diskret die Köpfe zu heben, um die ungewohnte Geruchsquelle ausfindig zu machen. Zwei Damen an den Nachbartischen drehten sich indigniert um, eine andere protestierte empört gegen diese Belästigung ihrer Nase und wedelte heftig mit ihrem Fächer durch die dicke Luft.
Man muss es sagen, die bizarre Zigarre des Schweizer Kommissars stank zum Himmel! Der zigarettenrauchende Inspektor Picot wagte schüchtern zu fragen:
– Darf ich Ihnen eine Zigarette anbieten?
Er reichte Studer ein geöffnetes Etui über den Tisch. Studer schüttelte ablehnend den Kopf. Ihm, dem Wachtmeister Studer, Zigaretten mit Mundstück! … Amélie Morel hingegen beugte sich über das Tischchen und lächelte süß, sie würde nicht Nein sagen …
– Oh, pardon, Tante, natürlich …
Der Wachtmeister hüllte sich in seinen Qualm und lächelte.
– Montgomery R. Miller … was denn eigentlich dieses «R» bedeute, fragte Studer nach zwei tiefen Zügen aus seiner Brissago.
– «R» für Robert, die Amerikaner haben die Gepflogenheit, ihren zweiten Vornamen als Initiale anzugeben, hüstelte Picot.
– Der Tote heißt mit richtigem Namen Müller, als Schweizer Staatsbürger heißt er Müller, man fragt sich, warum er sich und seine Frau im Hotel als Montgomery Miller und Madeleine Stettler, épouse Miller, eingetragen hat … Studer schien ein Selbstgespräch zu führen, während er seinem gelblichen Rauch nachsah, wie der in der Höhe dem blauen Zigarettenrauch den Platz streitig machte …
Als Madame Miller oder, wenn Sie wollen, Madame Müller behauptet hatte, der Tote sei nicht ihr Ehemann, habe er, Picot, den Miller-Müller – Studer kam es vor, als nehme der junge Inspektor das nicht ganz ernst, man hat so ein Gefühl, dass an der ganzen Namensgeschichte mit dem komischen «R» was merkwürdig ist –, habe er den Mann suchen lassen, Telegramme nach Nantes, wo er nach Aussagen der Ehefrau Geschäftsfreunde hatte, Telegramme nach Paris, wo er gemäß ihren Aussagen hinwollte. Unauffindbar, in Paris war jedoch derzeit Hochbetrieb wegen der Weltausstellung, er hatte keine schnelle Antwort erwartet. Als Madame Miller gestern Abend dann plötzlich erklärte, dass es doch ihr Gemahl sei, und sie den Toten offiziell als Montgomery Miller identifizierte, wurde die Suche nach ihrem Ehemann natürlich eingestellt.
Amélie Morel zog dreimal heftig an ihrer Zigarette, deren Mundstück sie spitz zwischen Zeigefinger und Daumen hielt, und schickte blaue Verstärkung in die Höhe.
– Die Dame sagte Montgomery Miller? Sie wusste also, dass sie unter diesem Namen im Hotel logierten … das hat sie mir verschwiegen …
Studer blies seinen gelblichen Rauch gedankenvoll und kraftvoll weit in die Luft hinauf.
Dieser Studer ist ein eigensinniger Ermittler, Picots Blick war verunsichert, den werden wir nicht so schnell wieder los. Amélie Morel nickte eifrig, auch sie findet dieses Hin und Her der Madame Miller seltsam, erst überzeugt, dass er nicht ihr Mann war, als sie den entblößten Oberkörper des Toten sah … irgendetwas am Toten schien für sie nicht zu stimmen … und jetzt ist es doch ihr Mann. Warum sagte Laurent dem Schweizer Kommissar nichts von der Autopsie, die er angeordnet hatte?
– Der Müller soll an diesem Abend betrunken gewesen sein? Gibt es dafür Zeugen? Studer schaute seinem Rauch nach.
Der arme Picot, der auf einen Unfall zu schließen hatte, wobei die Tatsache, dass der Tote betrunken gewesen war, ein ganz wesentliches Element in der Kette seiner Beweisführung darstellte, beeilte sich zu antworten, jedoch etwas verlegen.
– Wir haben aus Rücksicht auf den Hoteldirektor Monsieur Leroy das Personal mit größter Diskretion befragt, leider hat ihn keiner je betrunken gesehen, was jedoch nichts beweist, fügte er schnell an, ein Mann seiner Klasse hatte sich im Griff, auch wenn er ein Trinker war.
Studer nahm sich vor, noch heute Abend ein Telegramm nach Bern zu schicken und Erkundigungen über diesen Montgomery R. Müller einzuholen.
– Aber, fuhr der Inspektor hastig fort, als fürchte er unterbrochen zu werden, das Zimmermädchen, er blätterte in seinem Notizbüchlein, Anna heißt sie, Anna Blanchet, hat ausgesagt, dass sie Montgomery Miller im Hotel gesehen habe, die genaue Zeit wusste sie nicht, jedenfalls nach dem Abendessen, sie war dabei, die Betten der Gäste für die Nacht aufzudecken, also die Anna hatte den Miller an jenem Abend im zweiten Stock gesehen. Es kam ihr seltsam vor, dass er sein Zimmer im zweiten Stock suchte, denn das Zimmer der Millers befindet sich auf der ersten Etage … Und diese Orientierungslosigkeit, schloss Picot mit einem kleinen Triumph in der Stimme, kann durchaus als Anzeichen von Trunkenheit gelten!
– Interessant, brummte der Wachtmeister, mit dem Mädchen muss man nochmals reden …
Diese Meinung teilte Amélie Morel voll und ganz, fragte sich nur, wer zuerst mit dieser Anna reden würde, Mademoiselle Morel oder der Schweizer Kommissar … Ihre Augen verengten sich zu zwei schmalen Schlitzen, und sie paffte so heftig an ihrer Zigarette, dass der blaue Rauch jetzt den gelblichen über ihren Köpfen ernsthaft in Bedrängnis brachte.
Studer nahm vier stramme Züge und jagte den Qualm unschuldig dem blauen Rauch nach.
Picot merkte nichts vom schwelenden Kampf über seinem Kopf, da er seine Zigarette inzwischen im Aschenbecher ausgedrückt hatte, er schaute vielmehr suchend umher und zeigte dann mit einer Kopfbewegung auf eine Kellnerin im Hintergrund. Das sei die Anna Blanchet – wenn Hochbetrieb auf der Terrasse herrsche, müsse sie jeweils beim Bedienen aushelfen.
Studer warf einen Blick über die Schulter, eine magere Jungfer, fünfundzwanzig, vielleicht dreißig Jahre alt, schwarzes Kleid, die weiße Schürze über die flache Brust gespannt, unter dem weißen Häubchen, das alle Serviererinnen trugen, schüttere braune Haare am Hinterkopf zusammengebunden. Ihr blasses Gesicht wirkte vergrämt, sie war linkisch, soeben kippte ein leeres Glas auf ihrem Tablett, als sie einen Tisch abräumte. Man merkte sofort, dass Servieren weit unter ihrer Würde als Zimmermädchen war.
Seltsam. Genau diese Serviertochter war dem Studer bereits aufgefallen, weil sie mit ihren Tabletts immer in der Nähe des Polizistentisches vorbeiging, obwohl das klar ein Umweg zum Tisch war, an den sie Getränke brachte, oder auf dem Weg zurück ins Haus.
Der Wachtmeister wies mit einer Kopfbewegung zu Anna, als sie erneut mit den gebrauchten Gläsern hinter ihnen vorbeistrich, und murmelte, die scheint zu horchen …
– Laurent, es war doch dieses Mädchen, das im Hof herumlungerte, als ihr mit der Leiche des Montgomery Miller im Hotel ankamt? … Und sie war es doch auch, die das Laken brachte und dabei ständig versuchte, einen Blick auf den Toten zu erhaschen? Das hat er ihr vorgestern erzählt, Amélie Morel erinnerte sich genau!
Der Neffe zuckte die Schultern, er erinnere sich leider nicht mehr, war alles etwas hektisch vorgestern ...
– Monsieur le Commissaire Stüdère, fragte Picot eifrig, was ist Ihre Ansicht?
Ansicht über den Fall? Der Junge will das Thema wechseln. Der Wachtmeister nahm einen Schluck aus dem Glas, wischte sich umständlich den Schnurrbart und meinte dann: Ansichten habe er nie. Er warte, bis er sich eingelebt habe. Dann ergebe sich die Lösung des Falles von selbst ...
– … wie ein guter Freund von mir, Kommissär Madelin von der Police Judiciaire in Paris, zu sagen pflegte –
– Wie bitte? Commissaire Stüdère, Sie kennen den Commissaire Madelin aus Paris?, fiel ihm Picot ins Wort und wäre vor Begeisterung beinahe aufgesprungen. Er, Laurent Picot, war bei der PJ in Paris in der Ausbildung gewesen, ein halbes Jahr bei Madelin!
Studer sah dem jungen Inspektor geradezu an, wie sein Respekt vor dem Schweizer Kommissär mächtig wuchs. Studer verstand jedoch nicht, weshalb sich Picots Miene bald verdüsterte. Wenn dieser Stüdère den Commissaire Madelin seinen Freund nannte, musste er eine ebensolche Kapazität wie der Madelin sein …
– Oh, Guten Abend, die Herren! Bonsoir Mademoiselle!
Ein munteres Mädchen in einem luftig gelben Sommerkleid kam die Treppe herauf und blieb neben ihrem Tisch stehen. Ihr lockiges Haar strahlte wie ein Goldkranz im Gegenlicht der Abendsonne. Ihr Begleiter hielt sich im Hintergrund, ein Bursche mit einem wilden gelben Haarschopf wie ein schlecht gemähtes Getreidefeld und stechend blauen Augen, auffällig war auch seine abgeschabte Samtjoppe und das rote, um den Hals geknüpfte Tuch.
Inspektor Picot sprang auf.
– Guten Abend, Mademoiselle Stettlär, wie geht es Ihnen?
Ihre jugendliche Stirn legte sich in Sorgenfalten, sie senkte den Blick.
– Danke, es geht, hauchte sie.
Theatralisch wie ihre Schwester, dachte Studer, während er sich ächzend erhob.
Niemand hatte ihn informiert, dass es eine zweite Stettlertochter gab und die sogar hier war, aber es gab keine Zweifel. Sie war vermutlich etwa zehn Jahre jünger, schätzte der Wachtmeister, aber sonst war das Mädchen ein Ebenbild ihrer älteren Schwester … bloß das Fräulein hier leuchtete wie eine Farbfotografie, während Frau Müller der blasse Schwarzweißabzug war. Also noch ein Telegramm nach Bern heute Abend, Auskünfte über die Familie Stettler. Für den Fall, dass noch ein Stettlersohn auftauchen sollte, der ihn von den Ermittlungen abbringen will!
– Adrienne Stettler!, wandte sie sich jetzt mit süßer Stimme auf Französisch an Studer, Sie müssen der Spezialermittler aus Bern sein, den mein Vater hat schicken lassen.
Und sie hielt ihm ihre zierliche Hand so graziös hin, dass der verwirrte Wachtmeister nicht wusste, ob man einen Handkuss …
Chabis! Studer packte das Händchen mit einem kräftigen Händedruck.
– Studer, richtig, Berner Kantonspolizei, ich habe den Auftrag, die Hintergründe zu ermitteln, die zum Tode Ihres Schwagers geführt haben.
Auch der Wachtmeister antwortete in der französischen Sprache, ohne nachzudenken. Weshalb eigentlich?
– Ach, Sie sagten doch aber, es war ein Unfall?
Mademoiselle Stettler wandte sich mit einem treuherzigen Augenaufschlag an Picot.
Warum kam dem Studer alles wie ein raffiniertes Theater vor?
Er hockte wieder ab, das Korbstühlchen knirschte kläglich. Ihm entging nicht, wie Amélie Morel das verführerische Fräulein und ihr Opfer, den naiven Laurent, scharf beobachtete. Nein, das kokette Fräulein Adrienne würde keineswegs die Ermittlungen behindern, nein, sie würde versuchen, ihn, den alten Spürhund, um den Finger zu wickeln und zu verwirren, bis er seine Fährte zu verlieren drohte. Aufpassen, Studer!
Adrienne drehte sich zu ihrem Begleiter, legte ihr feines Händchen auf seinen Arm – kurz blitzte in der Sonne ein Rubin an ihrem Finger blutrot auf – er solle doch schon vorausgehen, sie komme gleich nach. Der nickte, warf einen misstrauischen Blick auf die Polizisten, hob halb die Hand zum Gruß und ging.
Studer sah dem Kerl nach, weiter hinten saßen an einem runden Tisch vier andere Burschen wie er, Samtjoppen, verwegene Halstücher, Schlapphüte hingen an den Stuhllehnen, und alle hatten Farbspuren an den Fingern. Lautes Lachen und große Biere gab es an ihrem Tisch, stellte der Wachtmeister seufzend fest. Die jungen Männer waren Künstler, das sah man von weitem, sie stellten das Bild, das man von Kunstmalern hatte, gleich selbst dar.
Ob der Herr Inspektor neue Erkenntnisse hätte? … Wann der Leichnam denn in die Schweiz überführt werden könne? … Ihre Schwester kümmere sich bereits um die Formalitäten …
So, so, das Fräulein weiß sich auch ganz gewählt auszudrücken. Studer beobachtete sie scharf hinter seinem Rauch, der jetzt nur noch ein sterbendes Wölklein war, die Brissago tat ihre letzten Züge.
Auch Amélie Morel drückte gerade ihre Zigarette aus. Sie schien dem Wachtmeister etwas bleich geworden.
– Nein, nichts Neues, machen Sie sich keine Sorgen!, beschwichtigte der Inspektor eifrig, der Leichnam werde morgen freigegeben.
Er vermied Studers Blick, der wusste natürlich, dass man die Leiche obduzieren müsste … aber der höchste Patron hatte unmissverständlich befohlen, dass … Schweißtropfen perlten über die Stirn des kleinen Inspektors, erst wagte er nicht, sie wegzuwischen, dann gab er sich einen Ruck und setzte sich mutig auf. Er, Inspektor Picot, ist hier schließlich der zuständige Ermittler! Nicht der Ausländer! Er zog sein Taschentuch heraus und fuhr sich über die Stirn, ja, Picot leitet hier die Untersuchung, die es nicht geben wird!
– Hett Ihre Schwager gärn eis über dä Durscht trunke?, fragte Studer unschuldig auf Schweizerdeutsch, nach vorn gelehnt, die Unterarme auf den Schenkeln. Man wollte das selbstsichere Fräulein Stettler etwas überrumpeln.
Es gelang. Die Frage und das Schweizerdeutsche schienen die junge Dame aus dem Tritt zu bringen.
– Nei! Er isch nie betrunke gsi!, antwortete sie, ohne nachzudenken und irritiert auf Berndeutsch.
Erneut wischte sich Inspektor Picot über die Stirn und beugte sich zu seiner Tante: Was reden die beiden? Amélie schüttelte gereizt den Kopf. Wie soll sie das wissen!
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