Kitabı oku: «Habt ihr Kummer oder Sorgen …», sayfa 3
Sie war schwarz, mit weißem Medaillon. Ich taufte sie Teddy. Als sie Junge bekam, war mein Glück vollkommen. Wir schauten bei der Geburt zu, unvergessen! Dann zu sehen, wie die Katzenmutter ihre Kinder erzog, war ein unbeschreiblich schönes Erlebnis. Ein Sonnenstrahl fällt auf den Teppich – sofort werden alle Kätzchen von der Mama dorthin getragen. Unermüdlich griff sich Teddy die flüchtenden Kleinen. Sie packte sie am Genick und brachte sie auf den Sonnenstrahlfleck zurück. Manchmal langte es ihr, dann ging es: batsch, batsch, schon hatten die Kleinen ein paar Ohrfeigen sitzen. Ein Kätzchen wehrte sich. Es fauchte die Mama an. Das strengte das Kleine derart an, dass es schließlich umfiel.
Die Jungen wurden verschenkt, bis auf eines. Es fand sich niemand. Also blieb der kleine Kater bei uns. Ich nannte ihn Conny. Ein Typ, den ich toll fand, hieß so. Mein Conny war der ideale Kinderkater. Er ließ alles mit sich machen, war unser Spielgefährte, eine lebendige Puppe. Wir zogen ihm Puppenkleider an, fuhren ihn im Puppenwagen spazieren und lehrten ihn, auf zwei Beinen zu tanzen. Teddy war für uns abgemeldet. Um sie kümmerte sich zum Glück die Mutti.
Unser Haus, das ich mit seinen zweieinhalb Stockwerken fast für ein Hochhaus hielt, hatte ein begehbares Dach. Dort wurde die Wäsche aufgehängt, dort sonnten wir uns und beobachteten die Sterne für den Astronomie-Unterricht.
Teddy trieb sich ebenfalls oft auf dem Dach herum, manchmal kam sie uns dann auf der Straße entgegen. Irgendwann muss auch Conny versucht haben, vom Dach zu springen. Bei ihm ging es schief, er brach sich das Genick.
Mein süßer kleiner Spielgefährte, er hatte keine sieben Leben, nur ein einziges kurzes, kleines. Er hatte noch nicht gelernt, zu fallen. Lange Zeit war ich untröstlich.
Auf dem Dach: Elke und ich, 1959
Wie fast alle Mädchen meiner Klasse war auch ich in unseren Sport-, Chemie- und Physiklehrer Herrn Heckler verliebt. Der Grund war simpel: Hatten wir unser Pensum absolviert, setzte er sich auf den Tisch, schnappte seine Gitarre und sang Lieder wie: »Rote Lippen soll man küssen« oder »Es hängt ein Pferdehalfter an der Wand«. Wir schmolzen dahin. Nicht nur ich kaufte mir eine Gitarre. Fünf Griffe – und mitgemacht! Unterrichtete unser Lieblingslehrer eine andere Klasse, hingen wir am Schlüsselloch, um ihn zu sehen.
Das erste Verliebtsein erlebte ich also gemeinsam mit zehn anderen Mädels. Dass wir so viele waren, störte nicht, im Gegenteil: Das schweißte zusammen!
Natürlich ging auch ich in den Leichtathletik-Kurs, den er leitete. Ich war anfangs total unsportlich, rannte im Sportunterricht gegen den Bock und dergleichen mehr. Aber doch nicht, wenn Lehrer Heckler dort stand! Diese Blamage! Das Wunder geschah, ich hatte Freude am Sport und feierte Erfolge.
Manchmal, wenn ich abends vom Leichtathletik-Training nach Hause kam und alle schon schliefen, dachte ich nicht daran, mir die dreckigen Füße zu waschen. Immerhin zog ich Socken über meine schwarzen Füße, um das Laken nicht schmutzig zu machen. Ich bin eben ein Fuchs …
Physik und Chemie waren, genau wie Mathe, nicht so mein Ding, aber ich konnte mich doch nicht vor ihm blamieren! Außerdem wollte ich nicht schuld daran sein, wenn am Ende der Stunde keine Zeit mehr blieb, dass er Gitarre spielte.
Ich war keine Leuchte, aber ich setzte mich auf den Hosenboden. Irgendwann war es dennoch mit dem Musizieren vorbei, der Direktor hatte es verboten.
Zu unser aller Entsetzen teilte uns unser Schwarm eines Tages mit, dass er heiraten wird. Wie konnte er nur! Wir sammelten und kauften einen Blumenstrauß. Gemeinsam gingen wir zu seiner Wohnung, legten den Strauß vor die Tür, klingelten und liefen davon. Ganz langsam. So holte er uns ein, nahm uns mit zurück und versorgte uns mit Kuchen.
Heute weiß ich, dass dieser Lehrer frisch vom Studium gekommen war. Ein totaler Gegensatz zu den Kriegsheimkehrern, außerdem war er nur acht Jahre älter als wir. Ein großartiger Lehrer! Wir lernten nicht fürs Leben, sondern für ihn. Seine Mittel heiligten den Zweck.
Als ich vierzig Jahre später endlich einmal zum Klassentreffen kam, fragte ich ihn, ob er wusste, dass wir alle in ihn verliebt gewesen waren. Seine Antwort: »Natürlich.«
Eine Klassenfahrt führte uns nach Berlin, zu den Hochhäusern in der Stalinallee. Wir waren tief beeindruckt von dieser großen, modernen Stadt. Das Hochhaus an der Weberwiese war das Ereignis für uns. In Vorbereitung auf die Fahrt nach Berlin hatten wir im Schulchor »Die Spatzen vom Alex« gesungen. Es handelt von ebendiesem Hochhaus und lief in unserem Liederbuch unter »Pionierlieder«:
»Es wächst in Berlin, in Berlin an der Spree
ein Riese aus Stein in der Stalinallee.
Es ist ja kein Luftschloss, das kann es nicht sein
und wächst doch bis hoch in den Himmel hinein.«
Der Text stammt von Erika Engel, die Musik von Emil Poletzky. Ich kann alle vier Strophen dieses Liedes noch heute singen. Und nun waren wir hier, im großen Berlin und bestaunten die hohen Häuser, vor allem natürlich das von uns besungene, welches bis in den Himmel ragte. Na ja, ich fand ja schon mein zweistöckiges Wohnhaus sehr hoch. Morgens um 7.00 Uhr klingelten wir beglückt an den Gegensprechanlagen der Häuser. So eine tolle, moderne Erfindung! Doofe Berliner, keiner antwortete uns …
Elke und ich waren selbstverständlich im Schulchor. Wir sangen sogar Solo, also im Duett, zweistimmig: »Unsre Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer …«
Außerdem mischte ich im Spielkreis der Jungen Gemeinde mit. An die Stücke, die wir spielten, kann ich mich nicht mehr entsinnen. Es waren auf jeden Fall nicht nur Krippenspiele. Wir gingen sogar auf »Tournee« in benachbarte Gemeinden. Ich spielte in einem Stück eine junge Braut, mein Mann hieß außerhalb der Bühne Peter.
Ich bewunderte ihn. Peter ging schon auf die Oberschule und war so ein lässiger Typ. Ich hätte mich in ihn verlieben können, aber ich wusste, er hatte eine Freundin, die ihn manchmal abholte. Eine, die schon einen Busen hatte. Keine Chance.
Viele Jahre später traf ich ihn im Casino des Fernsehfunks in Adlershof. Peter war unterdessen ein bekannter Grafiker und Karikaturist. Für eine meiner »Tele-Lotto«-Sendungen hatte er die Karikaturen gezeichnet. Wir tranken Kaffee, erzählten von damals. Als ich ihm anvertraute, dass ich mächtig in ihn verliebt gewesen war, er aber gar nichts davon bemerkt hatte, meinte er nur: »Können wir das nicht nachholen?« Witzig war er früher schon.
Ich war in der FDJ und im Gruppenrat unserer Klasse für die Kultur zuständig. Für Radio Schwerin arbeitete ich als Schülerkorrespondentin, später auch als Sprecherkind.
Mein »Chef« dort, Horst-Dieter Hofmann, war Leiter des Arbeitertheaters »Kolonne Links«. Was lag also näher, als dass ich auch dort mitspielte!
Ich glaube, es war 1957, als ich in der 7. Klasse eine zweite Schwester bekam. Erika, eine meiner Freundinnen, fehlte eines Tages in der Schule. Auf meine Frage hin erfuhr ich, dass ihre Mutti verstorben ist. Mit drei anderen Mädels ging ich nach Schulschluss zu ihr. Ihr Opa öffnete uns und wir versuchten, Erika irgendwie zu trösten.
Zu Hause belagerte ich meine Mutti. Ich erzählte, was passiert war, und forderte: »Mutti, Erika kommt in ein Heim, das geht doch nicht. Dann ist sie weg, sie ist doch meine beste Freundin. Bitte, lass sie bei uns wohnen, bitte, bitte!«
Erika zog bei uns ein, und für mich begann eine unvorstellbare Zeit. Mutti schlief jetzt unten, im Wohnzimmer, Elke zog in die kleine Kammer, das Schlafzimmer gehörte fortan Erika und mir. Wir machten alles, wirklich alles, gemeinsam. Natürlich saßen wir in der Klasse nebeneinander. Das allerdings fand irgendwann sein Ende. Man setzte uns auseinander, weil wir auch in der Schulstunde nicht aufhörten zu quatschen.
Verrückt war, dass Erika und ich eigentlich völlig unterschiedliche Interessen hatten. Erika war sportlich, spielte Hockey, war ein Mathe-Ass. Besonders Letzteres war ja bei mir so gar nicht der Fall, aber was soll’s. Schwestern teilen nun mal alles. Erika und ich lebten das Leben von Zwillingen, keine war mehr ohne die andere anzutreffen. Wir benutzten nur eine Schultasche, die wir abwechselnd trugen. Sooft es ging, erledigte Erika meine Mathe-Aufgaben. Ich schrieb dafür ihre Aufsätze.
Das ging nicht immer gut, vor allem, wenn wir zu Arbeiten und später ganz auseinandergesetzt wurden. Wir lebten diese gemeinsame Schulzeit mit so viel Freude in vollen Zügen.
Meine »Schwester« Erika und ich
Gemeinsam begeistert waren wir von der Tanzschule. Ich sehe uns noch: Alle Mädchen saßen in einer Reihe. Uns gegenüber die Jungens. Dann hieß es: »Bitte auffordern!«
Die Jungens standen auf, verbeugten sich vor jeweils einem Mädchen und der Tanz begann. Ich zitterte jedes Mal, dass auch ich aufgefordert werde. Es waren zu viele Mädels, zu wenig Jungens. Ich hatte immer Glück, blieb nicht sitzen. Musste nicht mit einem Mädchen vorliebnehmen.
Zum Tanzstundenball wurden Erika und ich von unseren »Herren« von zu Hause abgeholt, ich bekam ein Veilchensträußchen. Erika und ich trugen wie so häufig das Gleiche. Ein herrliches, weißes Tüllkleid, mit Schärpe. Ich habe die schönsten Erinnerungen daran. Auch an diesen ersten Ball, bei dem natürlich auch die Mutti und Erikas Opa dabei waren.
Gemeinsam gingen wir auch zum »Rollschuh-Tanz«, das war eine Arbeitsgemeinschaft, die die Rollschuhe, die wir zum Üben brauchten, zur Verfügung stellte. Ich glaube, dort waren wir nicht sehr lange, denn ich erinnere mich mehr daran, dass wir im Tanzkursus für Fortgeschrittene landeten und bei gelegentlichen Auftritten auch den »Lipsi« vorführten.
Unser Tanzstunden-Abschlussball, Erika (2. v. r.) und ich (3. v. r.) mit unseren »Herren«
Elke war bereits seit zwei Jahren in Berlin und studierte Opernregie. Nach Beendigung der 10. Klasse ging Erika nach Meißen zum Ingenieurstudium. Der Zufall wollte es, dass auch Erika nach dem Studium in Berlin Arbeit fand. Sie heiratete, bekam zwei Söhne und natürlich hielten wir weiter den Kontakt. Sie konnte sich allerdings nie mit meiner Art zu leben anfreunden. Selbständig und in Unsicherheit, das war nichts für sie. Aber unsere Vertrautheit blieb immer bestehen. Erika hatte schon als Kind Schilddrüsenkrebs. Der kam leider zurück. Kurz vor ihrem Tod besuchte sie mich und brachte mir ein Kleid wieder, das sie für mich geändert hatte. Es war mir zu groß gewesen, sie hatte es passend gemacht. Darin hatte sie echt was drauf.
Ich hatte ihr im Gegenzug einige Bücher mitgegeben. Lieblingsbücher, die ich immer anderen aufdrängle. Jenes Kleid ist mir schon lange zu eng geworden. Aber ich hebe es auf. Ich bringe es einfach nicht übers Herz, es wegzugeben.
Anders als Erika und Elke blieb ich weiter in Schwerin und spielte nach wie vor im Arbeitertheater »Kolonne Links«. Unser Repertoire war weitgefächert. Wir brachten Stücke von Bertolt Brecht bis Hans Sachs zur Aufführung. Hans Sachs’ Schwänke und Jahrmarktstücke spielten wir auf einem alten Planwagen. Aber wir inszenierten auch Anne Frank.
Unser Planwagen von »Kolonne Links«, ich als Kammerzofe (l. u.)
Pause am Fenster
Wir waren eine verschworene Truppe und ich erinnere mich, dass wir im Sommer 1961 zu sechst gemeinsam Urlaub an der Ostsee machten. Wir fuhren nach Bad Doberan, wo wir, wie ich es einst im Kinderheim erlebt hatte, auf einem herrlichen Heuboden nächtigten. Ich zählte jeden Morgen die Spinnen an der Decke. Stimmte ihre Anzahl, war alles okay. Wenn nicht, hätte ich wirklich das gesamte Heu nach ihnen abgesucht? Ich hatte Glück, meine Spinnen waren brav.
Mitten in unserem Urlaub erreichte uns am 13. August die Nachricht, dass in Berlin eine Mauer gebaut worden war. Wir sollten umgehend nach Schwerin zurückkehren. Das machten wir, und am nächsten Tag gingen wir mit einem Agitprop-Programm auf die Straße. Wir sangen: »Willy Brandt, wohlbekannt, wurde weiß, wie ’ne Wand. Sagte Schockschwerenot, Klappe zu, Affe tot. Da sprach der alte Häuptling der Indianer, wild ist der Westen, schwer ist der Beruf.«
Berlin war so weit weg – was da so richtig passiert war, wir hatten keine Ahnung davon.
Über das Arbeitertheater hatte ich mich an der Leipziger Theaterhochschule beworben. Dort war allerdings gerade Aufnahmestopp, ich wurde auf das nächste Studienjahr vertröstet.
Also blieb ich in Schwerin und absolvierte mein »praktisches Jahr« im VEB »Vorwärts«, einer großen Autoreparaturwerkstatt. Ich hatte keine Ahnung von Autos, aber neugierig und wissbegierig, wie ich nun mal bin, schnappte ich schnell einiges auf und konnte den Kunden bei der Annahme behilflich sein. Na ja, wie man’s so nimmt …
Nachdem ich einmal gehört hatte, wie ein Kollege zu einem Kunden sagte: »Das wird das Chassis sein«, übernahm ich diese Redewendung prompt. Chassis – dieses Wort gefiel mir außerordentlich. Wenn nun ein Kunde kam und meinte: »Da klappert was«, nickte ich nur wissend und sagte: »Das wird das Chassis sein, kommen Sie mit, ich bringe Sie zum Meister.« Ich fand mich toll.
Mutti hatte eine Anstellung in Kleinmachnow bei Berlin angenommen. Da ich noch in Schwerin blieb, hatte Mutti mit der Glaserfamilie Bolze alles abgesprochen. Sie wurden quasi meine Pflegeeltern. Ich war siebzehn, also sollte es schon noch jemanden geben, der »erziehungsberechtigt« war.
Ich bewohnte eine Kammer oben in unserem Haus. Das Bad befand sich wie zuvor in der Wohnung der Familie Bolze. Kost und Logis hatte ich ebenfalls bei ihnen. Ich fühlte mich wohl. An Mutti wurde ich bei einem Mittagessen erinnert. Es gab Königsberger Klopse. Da stand eine große Terrine auf dem Tisch und ich bekam eine Kelle mit Klopsen auf den Teller geschüttet: Fünf Klopse, fast kein Platz mehr für eine Kartoffel. Ach Mutti, danke für die zwei Klopse, während du verzichtet hast …
In meiner Dachkammer hatte ich Mitbewohner. Es waren Mäuse, und ich sprach zu ihnen: »Ihr könnt hier machen, was ihr wollt, aber nicht in mein Bett kommen!«
Sie wohnten hinter der Tapete, waren auf dem Schrank oder im Papierkorb, den ich morgens in den Flur stellte. So war mindestens eine Familie Maus weniger in der Kammer. Sie knabberten alle Papiere an. Wenn ich meine Kemenate betrat, klatschte ich zuerst in die Hände. Keine Maus war zu sehen. Den Rat, eine Falle zu kaufen und aufzustellen, befolgte ich nicht. Ich hätte die ganze Nacht auf das Klacken und Quietschen gewartet. Nein, ich freundete mich lieber mit ihnen an. Wenn die langen, nackigen Schwänze nicht wären, könnte ich diese possierlichen Tierchen echt liebhaben.
Ich weiß noch, dass ich in »meiner« Werkstatt viel Zeit auf der Toilette verbrachte – um zu schlafen. Am Abend hatten wir im Arbeitertheater Probe, nachts bauten wir Kulissen, so kam es eben manchmal zu zehnminütigen Toilettenbesuchen.
Nachdem mein Praktikum im VEB »Vorwärts« beendet war, brach ich meine Zelte in Schwerin ab und zog zu meiner Mutti nach Kleinmachnow bei Berlin.
Wieder ein Abschied, jetzt von meinen Freunden aus dem Arbeitertheater, der mir sehr schwerfiel. In Berlin wollte ich mich an der Hochschule für Schauspielkunst bewerben.
Muttersorgen und jede Menge Theater
Wenn ich, mit dem Zug aus Berlin kommend, in Kleinmachnow ausstieg, ging es links nach Kleinmachnow, rechts nach Düppel. Das gehörte zu Westberlin, dazwischen befand sich lediglich ein Drahtzaun. Und es stand ein Kiosk dort, der für uns erreichbar war. Der muss im Niemandsland gelegen haben, wurde aber westlich bestückt. Ab und zu kaufte ich mir hier für ’nen Groschen eine Lakritzschnecke. Aus Schwerin, der Ostprovinz kommend, ein echtes Westerlebnis!
In der Zeit, die ich bis zum Vorsprechen an der Hochschule für Schauspiel warten musste, arbeitete ich im Kleinstkinderheim Kleinmachnow als Hilfssäuglingsschwester. In diesem Heim waren Waisenkinder untergebracht. Wie ich zu meinem großen Erschrecken erfuhr, befanden sich unter ihnen auch Babys, die kurz nach dem Mauerbau in Wohnungen zurückgelassen worden waren. Völlig mutterseelenallein gelassen von ihren Eltern, die die letzte Gelegenheit genutzt hatten, über die nahe Grenze in den Westen abzuhauen.
Ein Baby, das wir besonders liebevoll und mit großer Zärtlichkeit umsorgten, hatte einen Wasserkopf. Auch dieses Kind war von Mama und Papa im Haus zurückgelassen worden. Ich würde solche »Eltern« noch heute ins Gefängnis stecken. Im »goldenen Westen« wäre dieses Kind natürlich eine Belastung gewesen. In jenen Tagen lernte ich, was Fremdschämen ist.
Ich arbeitete gern in diesem Heim. Wenn ich morgens kam, krähten die Kleinen mir aus den Bettchen entgegen. Ich wickelte eins nach dem anderen und übte mit allen zusammen: »Mama, Mama, Mama, Papa, Papa.« Ich freute mich sehr, wenn von den Kleinen etwas zurückkam.
Oder am Abend: Ein letztes Mal Windeln wechseln, dann hieß es: »Gute Nacht.« Manchmal sang ich den Kindern vor dem Lichtausschalten etwas vor: »Der Mond ist aufgegangen«, oder ganz einfach: »Schlaf, Kindlein schlaf …«
Dann ging es ans Wäschewaschen, ans Zusammenlegen der trockenen Wäsche und der Windeln und dergleichen mehr. Langweilig wurde es jedenfalls nicht. Zwischendurch guckte ich nach den schlafenden Kleinen, gab ihnen, wenn erforderlich, Medizin und flüsterte mit den Größeren, die wach geworden waren.
Eines dieser Kleinen, ein dreijähriges Mädchen, nahm ich am Wochenende oft mit nach Hause. Sie fand später neue Eltern, darüber war ich sehr glücklich.
Endlich mein Vorsprechen an der Staatlichen Schauspielschule, später hieß sie »Ernst Busch«, in der Schnellerstraße, Berlin-Schöneweide: »Nicht geeignet«, lautete das Urteil.
Ich weiß nicht mehr genau, was ich vorspielte. Sicher irgendwas Modernes, aber auf jeden Fall war die Luise Millerin aus Schillers Kabale und Liebe dabei. Das war einfach Pflichtprogramm. Ich hatte es ja mit einem Regisseur geprobt und hoffte natürlich, gut zu sein. Mir wurde später öfter gesagt, ich wäre das ideale Käthchen von Heilbronn. Wenn ich an der Schule also das Käthchen vorgesprochen hätte, wer weiß …
Zum Verzweifeln hatte ich zum Glück weder Zeit noch Gelegenheit, weil mich ein Dozent an das Nachwuchsstudio des Deutschen Fernsehfunks verwies. Dort klappte es, und mein Studium auf dem »Bitterfelder Weg« begann.
»Bitterfelder Weg« hieß: neben dem Studium arbeiten, Geld verdienen. Das Ganze war eine Art Abendschule. Von Kleinmachnow aus, mit meinen Nachtdiensten im Säuglingsheim, funktionierte das nur für kurze Zeit. Das war so nicht zu bewältigen.
Ich zog nach Berlin, zur Untermiete. Bei meiner Bleibe handelte es sich um ein möbliertes Zimmer in der Warschauer Straße, bei einer achtzigjährigen alten Dame. Den Geruch dort habe ich heute noch in der Nase. Die gute Dame ließ ständig in der Küche das Fleisch anbrennen. Nie zuvor hatte ich erlebt, wie das stinken kann. Ich rannte immer erst in die Küche, wenn ich es roch … zu spät.
Ich belegte einen Lehrgang in Schreibmaschine und Steno, bekam Arbeit in der Plankommission des Berliner Magistrats als Stenotypistin. Das Schlimme daran: Plankommission bedeutete immer und immer wieder Zahlen schreiben. Zahlen und ich … wenn es mal wieder an endlose Listen ging, litt ich mächtig. Ich konnte zwar blind schreiben, allerdings nur die Buchstaben. Ansonsten fand ich mich schnell dort rein. Ich nahm Diktate auf, tippte wie ein Weltmeister und hatte nette Kollegen. Was ich gar nicht mochte, war das allmorgendliche frühe Aufstehen. Für mich Nachteule die reine Qual! Ich überstand das alles nur dank der Gewissheit, dass es in absehbarer Zeit ein Ende haben würde. So war es ja dann auch.
Nachwuchsstudio, Szenenfoto mit Gudrun Brückner und mir
Erst danach bemerkte ich, dass es nun auch die allmorgendliche S-Bahn-Fahrt nicht mehr gab – mit den immer gleichen Leuten, die man anlächelte und dem fast immer gleichen Sitzplatz. Wir alle waren früh um 7.00 Uhr eine Gemeinschaft geworden. Die meisten lasen in der S-Bahn, genau wie ich. Ich las auch beim Umsteigen, selbst die Treppe hinunter zur U-Bahn nahm ich lesend. So schaffte ich es, den kleinen Stapel neu gekaufter Bücher, den ich mir immer wieder zulegte, nacheinander auszulesen. Das Geld war knapp, aber Bücher mussten sein! Musste ich mich am Monatsende entscheiden: Kaufe ich von den letzten Märkern Brot oder Blumen, waren es immer die Blumen. Irgendein alter Kanten zum Essen fand sich immer noch. Aber die Freude an dem Blumenstrauß, die war etwas Besonderes, die ging ganz tief.
Tschechow, Der Heiratsantrag, ich mit zwei Kollegen
Im Nachwuchsstudio hatten wir namhafte Fernsehregisseure als Mentoren. Bewegungsunterricht erhielten wir an der Schauspielschule, bei der zauberhaften Frau Buchwald, die uns auch das Fechten lehrte. Generationen von Schülern liebten sie. Wann immer man jemanden von der Schauspielschule trifft, Frau Buchwald kannte jeder. Sie war so temperamentvoll, dabei aber auch mit viel Verständnis und Ausdauer gesegnet.
Geliebt habe ich auch die Abende bei meiner Schwester Elke. Sie wohnte am Ostbahnhof, in einer ausgebauten, großen Ladenwohnung. Von der Warschauer Straße, in der ich wohnte, lag das für Berliner Verhältnisse um die Ecke. Also war ich sehr oft bei Elke. Sie studierte, wie gesagt, Opernregie, und an so manchem Abend fanden sich bei ihr gestandene, bekannte Schauspieler, Regisseure, Sänger und Studienkollegen ein. Es wurde musiziert, geplaudert, getrunken, gelacht.
Bei Elke am Ostbahnhof lernte ich auch meinen Mann kennen. Günther Kuhfeld war Redakteur beim Berliner Rundfunk. Bei Elke saß er am Klavier und spielte: »Domino, Domino, warum hast du so traurige Augen«. Ich schmolz dahin.
Von seinen Besuchen bei mir in der Warschauer Straße wusste meine Vermieterin meiner Mutti stets genauestens zu berichten. Eines allerdings wusste sie nicht, nämlich dass der sechzehn Jahre ältere, gestandene Mann, in den ich so mächtig verknallt war, zum gekauften Kuchen heißes Wasser von mir serviert bekam. Vor lauter Aufregung hatte ich vergessen, zuvor Kaffeepulver in die Kanne zu schütten.
Als ich im dritten Monat schwanger war, heirateten wir. Meine Mutti hatte mir das Brautkleid genäht. Sie musste es ständig weiter machen, meines ungeheuer wachsenden Bauches wegen.
Zu meiner großen Freude und Überraschung war auch mein Vati aus München zu Besuch gekommen. Und das sollte nicht das einzige Mal bleiben.
Ein Hochzeitsfoto von uns
Der Chef der Plankommission war mein Trauzeuge, aber mit meiner Arbeit dort war es nun bald vorbei. Ich litt unter unstillbarem Erbrechen. Von einigen kurzen Unterbrechungen abgesehen, lag ich bis zur Entbindung fast nur in der Charité. Mit wechselnden Mitpatientinnen bewohnte ich ein Vierbettzimmer und wurde von allen als wandelnder Bauch bewundert. Ich war dünn, quasi ein Bauch auf Beinen. Nur eine Patientin stellte mich in den Schatten, als sie erzählte, dass sie zugenäht worden sei, um eine Fehlgeburt zu vermeiden. Davon hatte ich noch nie etwas gehört.
Hin und wieder spielte ein Leierkastenmann vor unserem Haus »Mariechen saß weinend im Garten«. Wir hingen aus den Fenstern und warfen dem Leierkastenmann Geldstücke zu. Nicht auszudenken, wenn in dem Moment jemand durch die Zimmertür eingetreten wäre. Dieser Anblick: Wir hatten alle dicke Bäuche und nichts weiter an als die kurzen, hinten offenen Charité-Hemden …
Allerdings hätte gar kein Fremder ins Zimmer kommen können. Die Besuchszeiten waren ja strengstens vorgeschrieben und alle hielten sich daran.
Vierzehn Tage vor der Entbindung wurde ich nach Hause entlassen. Richtig gut ging es mir, als die Wehen einsetzten. Endlich war mir nicht mehr schlecht. Dafür meinem Mann. Er rannte los, eine Telefonzelle suchen, um den Krankenwagen zu bestellen. In Prenzlauer Berg des Jahres 1965, wo Günther indessen eine Wohnung für uns gefunden hatte, eine heile Telefonzelle aufzustöbern, das war ein Fünfer im Lotto. Mein Mann blieb sehr lange weg …
Im Krankenwagen mit Signalhorn lag ich festgeschnallt auf der Liege. Mein Mann saß neben mir, bis der Wagen eine scharfe Kurve nahm und er vom Sitz flog. Ich wurde lachend in den Kreißsaal eingeliefert.
Dort lag ich dann noch ganze vierzehn Stunden, todmüde und aufs äußerste gespannt. Schließlich wussten wir ja nicht, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird. Wir beteten nur, dass das Kind gesund ist. Und dann war er da, mein Sohn, acht Pfund schwer und kerngesund. Ich hatte ja eigentlich mehr mit einem Mädchen geliebäugelt, das kann man so schön anziehen. Aber meine Mutti und mein Mann waren happy: ein Thronfolger!
Unsere Wohnung im Berliner Ortsteil Prenzlauer Berg bestand aus einem Zimmer mit Küche, Ofenheizung und Außentoilette, das Ganze für zwanzig Mark Miete. Hinzu kam für mich: Ich hätte nach Beendigung meines Studiums eine Aufenthaltserlaubnis für Berlin gebraucht, wenn ich in der Hauptstadt hätte bleiben wollen. Durch die Heirat mit einem Berliner erübrigte sich das, großartig!
Wir wohnten Hinterhaus, Parterre, unser Fenster ging auf den Hof einer Fabrik. Im Sommer kletterte ich aus dem Fenster, stellte die Kinderbadewanne in die Sonne und Mathias konnte draußen herrlich planschen.
Mathias auf dem Hof, unterm Fenster in der Badewanne
Im Winter klaute ich, waren wir mal wieder nicht pünktlich beliefert worden, auf dem Hinterhof ein paar Kohlen. Die lagen dort nämlich haufenweise herum.
In der Küche befand sich ein Ausguss mit Wasserhahn, der auch als Waschbecken diente, natürlich mit ausschließlich kaltem Wasser. Ich hatte einen Teekessel mit Pfeife. Tee und anderes kochte ich auf einem zweiflammigen Gaskocher. Der alte Herd, der mit Kohle zu beheizen war, hatte längst ausgedient und wurde als Schrank benutzt.
Den großen Topf mit den Windeln, die auszukochen waren, stellte ich auf beide Flammen. Die Windeln, die Wäsche, alles hing dann in der Küche auf der Leine zum Trocknen. Ich habe ein dickes Zille-Buch mit den Alt-Berliner Bildern des Milieumalers. Vieles davon war noch immer zutreffend bei uns im Jahre 1966.
In der Küche stand auch ein Sofa, auf dem Freunde, die zu Besuch kamen, übernachten konnten. So auch ein Freund meines Mannes, ein Kollege aus dem Rundfunk namens Sergio Günther. Der war Jahre später mein Chef im Fernsehen, als ich bei der Kabarettsendung »Tele-BZ« arbeitete.
Sowohl mein Mann als auch Sergio und die ganze Truppe waren von ihrer Arbeit im Rundfunk suspendiert, wegen ausschweifender Partys in den Redaktionsräumen, Vernachlässigung der Sendungen und dergleichen Vergehen mehr, die man ihnen vorwarf. Alle mussten sich ein Jahr lang in der sozialistischen Produktion bewähren.
Ich traf später im Fernsehfunk sämtliche Kollegen meines Mannes wieder. Nur er blieb in der Produktion, lebte lieber nebenbei als freischaffender Journalist, das Ganze mehr schlecht als recht.
Nach Beendigung meines Studiums bekam ich ab September 1966 ein Engagement am Kleist-Theater in Frankfurt/Oder. Ich pendelte täglich von Berlin aus, in den jeweils letzten Probenphasen wohnte ich in Frankfurt im Hotel. Unser Sohn Mathi war ein gutes Jahr alt, da brauchte es einiges an Organisation, den Tagesablauf zu Hause mit Mann und Oma abzustimmen. Nun, die Oma war ja nicht ganz schuldlos daran, dass ich diesen Beruf ergriffen hatte.
»Du musst Nachtwächter werden«, hatte sie in Schwerin einmal zu mir gesagt. Das bezog sich auf mein Nachteulen-Verhalten. Ich war nun mal keine Lerche wie Elke, Erika und Mutti. Ich fiel aus dem familiären Rahmen. Triumphierend teilte ich Mutti schließlich mit: »Dann gehe ich eben ans Theater!«
Ja, ich ging ans Theater und stellte fest, dass das mit dem Leben eines Nachtwächters so gar nichts zu tun hatte. Zwar liefen die Vorstellungen am Abend, aber morgens begannen die Proben, und Kindervorstellungen waren vormittags. Also hieß es für mich: In aller Frühe das Kind zur Krippe bringen, dann zum Bahnhof, den Zug nach Frankfurt erwischen, in Frankfurt in die Straßenbahn zum Theater. Kurzum: Ich musste fortan sehr früh aufstehen.
Einen Tag werde ich nie vergessen. Um 10.00 Uhr begann die Vorstellung von Aschenputtel. Ich spielte diese Rolle und hatte mir einen Zug rausgesucht, der von vornherein viel zu spät fuhr. Das war mir jedoch nicht bewusst. So fuhr ich, in aller Ruhe lesend, bis Frankfurt. Erst in der Straßenbahn, die sich mehr und mehr mit Kindern füllte, guckte ich auf die Uhr – und erstarrte. Diese Kinder waren mein Publikum! Mir brach der Schweiß aus, meine Knie wurden weich. Am Theater angelangt, stürzte ich aus der Bahn. Zitternd stolperte ich die Treppe zur Garderobe hinauf. Der erste Gong vor Beginn der Vorstellung ertönte. Auf der Treppe kam mir eine Kollegin entgegen. Als Aschenputtel. Direkt auf den Stufen zogen wir uns aus, wechselten Kostüm und Perücke, während der zweite Gong ertönte. Beim dritten Gong trat ich auf.
Als Aschenputtel im Kleist-Theater Frankfurt/Oder, zusammen mit meinem Prinzen
Der Oberspielleiter zitierte mich anschließend zu sich. »Eigentlich müsstest du einen Verweis bekommen, aber ich glaube, du hast genug gelitten … Es ist ja alles noch mal gut gegangen.«
Zusammen mit mir hatte ein junger Kollege die Spielzeit begonnen. Gerd Blahuschek war Absolvent der Staatlichen Schauspielschule in Berlin. Wir beide freundeten uns an und nutzten gern Pausenzeiten zu Ausflügen an die Oder. Ich sah dort zum ersten Mal Glühwürmchen, herrlich! Es gab sie also wirklich, diese flimmernden Lichter in der Dunkelheit. Gerd malte in seiner Freizeit. Noch heute hängt ein Bild von ihm in meiner Wohnung. Malen kann ich zwar nicht, aber eine Gemeinsamkeit haben wir trotzdem: Wir sind beides Lachwurze. Bei jeder unvorhergesehenen, ulkigen Gelegenheit packte uns ein Lachanfall. Leider auch auf der Bühne, während der Vorstellung. Das Unterdrücken eines solchen Anfalls ist außerordentlich schmerzhaft. Es tut einem alles weh, nimmt einem die Luft, Hauptsache ist: Das Publikum merkt nichts davon.
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