Kitabı oku: «Elfenzeit 2: Schattendrache», sayfa 2

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»Es scheint, da steckt doch etwas mehr dahinter als nur ein Faden, hm?«, sagte die Elfe und ließ ihre eigene Hand dicht über dem oberen Band verharren. »Elektrizität«, stellte sie fest. »Du hast einen elektrischen Schlag bekommen. Nicht gefährlich, aber unangenehm genug, um Pferde oder Pixies fernzuhalten.«

»Und wie bekommen wir die Pferde da raus?«, fragte David.

Ohne ein Wort packte Grog einen Pfosten, zog ihn aus dem Boden und legte ihn dann ab, sodass er an den Bändern hing. Dann ging er zum nächsten und wiederholte das Vorgehen. Zwei weitere Pfähle, und der Zaun lag über eine Länge von mehreren Metern komplett am Boden.

»So«, brummte der Grogoch.

Rian stieß einen leisen Pfiff aus, und sofort ruckten die Köpfe der Tiere hoch und zu ihr herum. Die Elfe winkte und rief ein paar beruhigende und lockende Worte in ihrer Sprache.

Ohne zu zögern trotteten zwei Pferde auf sie zu, die anderen senkten wieder die Köpfe und stöberten zwischen den welken Blättern. Die zwei Tiere blieben vor den Elfen stehen und stupsten Rian mit der Samtschnauze an. Die Elfe lachte auf, strich ihnen über die Nüstern und redete weiter im melodischen Singsang auf sie ein. »Sie sind bereit.«

Rian schwang sich auf einen Rücken und zog Grog hinter sich, während David und Pirx auf das zweite Pferd sprangen. Die Elfen griffen in die Mähnen, die beiden Kobolde klammerten sich an ihnen fest. Ein kurzer Ruf, ein Schnauben, und unter freudigem Johlen von Pirx galoppierten die Pferde los, die Feldwege hinunter, immer an den Schienen entlang und durch den nachlassenden Nieselregen in Richtung Worms.

*

Knapp über dem von unzähligen Füßen blankgeschliffenen Boden wurde das welke Blatt noch einmal herumgewirbelt und kratzte dann mit seinen trockenen Spitzen über das alte Holz. Nicht weit vor Alebin kam es schließlich zur Ruhe. Die Hände in die weiten Ärmel seines silberbestickten nachtblauen Gewandes geschoben, betrachtete der Elf es einen Moment nachdenklich, ehe er einen Schritt vortrat und sich bückte, um es aufzuheben. Die braunen Spitzen knisterten und brachen, als er seine Hand darum schloss. Hastig erhob er sich und trat wieder in die lockere Reihe der Audienzsuchenden zurück, bemüht, nicht vorzeitig aufzufallen.

Doch er hätte sich keine Sorgen machen müssen. Niemand schenkte ihm Aufmerksamkeit. Das war nicht verwunderlich, denn im Tageslicht wirkte er so verblasst und unscheinbar wie das Blatt in seiner Hand. Wenn nicht das Funkeln in seinen großen Augen gewesen wäre, hätte man sogar glauben können, Alebin sei ein Sterblicher, den es nur durch Zufall in diese Halle verschlagen hatte. Doch er war ein Elf, einer, dessen schillernde Natur nur im Dunkel der Nacht zum Vorschein kam, und der das Licht der nächtlichen Sterne daher mehr liebte als das Blauschimmern des Taghimmels.

Es war der Grund, weshalb er eine Audienz nach Einbruch der Nacht erhofft hatte, doch sein Wunsch war nicht in Erfüllung gegangen. Auch Fanmór ermüdete dieser Tage schneller als früher, und Alebin konnte froh sein, überhaupt so früh einen Platz in der Reihe der Audienzsuchenden erhalten zu haben, welche die Wände des Saales säumten.

Allerdings hätte selbst jemand, der ihn bemerkt hätte, vermutlich wenig darauf gegeben, was er tat. So wie die meisten Crain würden auch die hier Anwesenden sich nur dann mit ihm beschäftigen, wenn es unumgänglich war. Nicht umsonst nannte man das, was er war, einen Meidling. Man mied ihn, wo man konnte. Er hatte an Gwynbaens Seite gegen Fanmór gekämpft, doch als der Moment der Entscheidung gekommen war, war er nicht freiwillig mit ihr ins Exil gegangen, sondern hatte den Meidlings-Schwur geleistet. Es war ihm nicht schwergefallen, denn es war niemals das Volk der Crain gewesen, gegen das er hatte kämpfen wollen, sondern stets nur Fanmór, der kein Crain war und nun dennoch die Herrschaft über sie an sich gerissen hatte.

Doch diese Tat hatte ihn als doppelten Verräter abgestempelt, und niemand wollte mehr etwas mit ihm zu tun haben. Nur seinen besonderen Fertigkeiten in der Brennkunst war es zu verdanken, dass er dennoch bei Hof hatte bleiben und seinen Dienst weiter verrichten können. Wenn es um ihr Vergnügen ging, konnten die Elfen durchaus einmal großzügig sein. Aber er war ab diesem Tag einsam geblieben, ohne echte Freunde, und selbst die wenigen Elfen, die mit ihm Umgang pflegten, taten dies meist nur widerwillig. Seine besten Freunde waren und blieben seither die Erzeugnisse seiner eigenen Kunst.

Aber ich werde mich sicher nicht beklagen, dachte Alebin. Nicht nur, dass mir das Schattenland erspart geblieben ist, ich kann aus meiner Position heraus am Besten helfen, unser Volk zu retten. Was dieser Usurpator nicht zu tun gewillt scheint, oder zumindest nicht mit den angemessenen Mitteln betreibt.

Der Blick des Elfen wanderte über die vor ihm Wartenden hinweg zum Kopfende des Saals. Dort saß Fanmòr in leicht vorgebeugter Haltung auf seinem mit Fellen und Stoffen gepolsterten Thronsessel und hielt Hof. Neben ihm standen seine Berater, und gerade jetzt trat Regiatus vor und reckte sich, um seinem Herrscher etwas ins Ohr zu flüstern. Alebin fragte sich, woher der Cervide die grünen Ranken genommen hatte, die er um sein Geweih gelegt hatte. Kein einziges verfärbtes Blatt war daran. Vermutlich hatte er magische Hilfmittel angewandt, um die Blätter zu färben, oder alle befallenen einfach herausgepickt.

Neben dem Hirschköpfigen flatterte eine Blumenelfe auf und ab, und Alebin wunderte sich, wie die Umstehenden das permanente Klingeln der über ihr hängenden Glockenblumen ertrugen. Doch weder den Baummann, dessen oberste Kopfzweige schon nahezu die Decken berührten, noch die nur in hauchdünne Gischt gekleidete Flussnixe schien es zu stören. Vielleicht hatte aber auch schon jemand einen Stillezauber über die Blumenelfe verhängt. Es hätte das hektische und zornige Flattern erklärt, und würde zu der vorgetäuschten Sorglosigkeit passen, die hier alle so gekonnt an den Tag legten.

Niemand schien an das zu denken, was in diesem Moment draußen geschah, an das Altern, das Sterben. Niemand wollte sich mehr des alten Morvidian erinnern, der vor kurzem noch an den Toren des Schlosses als Fels gestanden hatte. Alebin hatte zugesehen, wie er verblasst und schließlich ohne Wiederkehr verweht war. In diesem Moment hatte er begriffen, dass die Dinge zu langsam vorangingen, und dass es seine Pflicht war, sie zu beschleunigen. Er musste seinen Herrscher darauf hinweisen, dass es eine große Macht gab, die er nutzen konnte, um zu verhindern, dass es für allzu viele zu spät wurde.

Alebin sah wieder zurück zu Fanmór und runzelte die Stirn. Vor kurzem erst hatte der König seine beiden Kinder in die Welt der Sterblichen geschickt, und nun hielt er Hof, als sei nichts Besonderes geschehen. Die anderen Elfen klammerten sich an die Zuversicht ihres Herrschers und zogen es vor, ebenfalls so zu tun, als gäbe es den überall einsetzenden Verfall nicht. Alebin ballte unwillkürlich seine Hand zur Faust, als er daran dachte. Erneut spürte er die brüchigen Blattkanten mit unangenehmer Deutlichkeit in seine Haut schneiden.

Wie dumm musste man sein, zu glauben, dass zwei Elfen, die zu jung waren, um den Krieg gegen Bandorchu miterlebt zu haben, in der fremden Welt der Sterblichen irgendetwas erreichen konnten? Und wenn sie tausendmal vom herrschaftlichen Blut der Sidhe Crain waren und durch die Umstände ihrer Zwillingsgeburt hervorgehoben – sie hatten weder die notwendige Erfahrung noch genug Macht, um etwas gegen eine Kraft ausrichten zu können, welche die Tore zwischen den Elfenländern verschloss und die Bewohner Crains und der anderen Reiche den Folgen der Zeit und damit dem endgültigen Tod überantwortete.

Die für den Kampf gegen eine solche Kraft notwendige Macht musste anderswo gesucht werden, dort, wohin Fanmór sie verbannt hatte, damit sie ihm nicht mehr gefährlich werden konnte. Alebin würde dem Herrscher eine letzte Gelegenheit geben, dies einzusehen und das einzig Richtige zu tun.

Sollte Fanmór dennoch nicht einsehen, was allein das Beste für die Elfen war, dann würde Alebin andere Wege gehen, um dafür zu sorgen, dass die Dinge sich entsprechend entwickelten.

2.
Im Reich der Nibelungen

Hart klang das Klappern von Pferdehufen auf Asphalt von den Wänden der Häuser wider und erzeugte Wellen in den Pfützen am Straßenrand, die das mattweiße Licht der Straßenlaternen zurückwarfen. Hier und da wurde ein Vorhang zurückgezogen, und Kinder in Schlafanzügen drückten ihre neugierigen Gesichter an den Fensterscheiben platt.

Doch ansonsten zeigte niemand Interesse für das seltsame Reiterpaar, das Einzug in der Stadt der Nibelungen hielt. Die geplagten Hundebesitzer, die trotz der späten Stunde und der nassen Wege ihre Tiere ausführen mussten, hoben kaum den Kopf, und die wenigen Autos, die unterwegs waren, fuhren zügig an ihnen vorbei, um so schnell wie möglich ihre trockenen Garagen zu erreichen.

Rian sah sich aufmerksam um, musterte die Sandsteinfassaden und Fachwerkhäuser und zog unwillkürlich Vergleiche zu der einzigen Menschenstadt, die sie bisher kennengelernt hatte.

»Das hier ist so … so völlig anders als Paris«, meinte sie über das Hufklappern hinweg zu David. »So ruhig, verschlafen, keine hohen Gebäude, kaum Beton und Stahl, und fast überall sind hübsche Gärten vor den Häusern.«

David zuckte die Achseln. »Wir sind gerade mal am Stadtrand angekommen. In den Außenbezirken von Paris gibt es bestimmt auch ein paar Orte wie den hier.« Er machte eine ausholende Bewegung, die den hinter ihm sitzenden Pirx beinahe aus dem Gleichgewicht brachte. Der Pixie wedelte leicht mit den Armen und krallte sich dann mit einem Protestknurren am Gürtel des Elfen fest.

Rian rümpfte die Nase. »Die meisten Außenbezirke, die ich dort gesehen habe, waren nicht gerade einladend. Kein Vergleich zu dem hier.«

Grog hinter ihr brummte. »Das hier ist mehr das, was ich kenne, auch wenn sie sogar hier diese stinkenden Vehikel haben. So war es damals, als ich die Menschen besuchte und sie noch mit ehrlichem Holz und Stein bauten anstatt mit Metall und Beton.«

»Mhm«, machte Rian, ohne den Blick von einem etwas nach hinten gerückten Fachwerkhaus mit Türmchen zu nehmen, an dessen Wänden dunkler Efeu emporrankte.

David blieb deutlich unbeeindruckter von der Umgebung. Anstatt der Häuser und Gärten musterte er die Schilder und Wegweiser, während die Pferde weiter in gemächlichem Schritt der Straße folgten.

»Hier steht nirgends etwas von einem Brunnen«, stellte er fest. Dann deutete er auf ein braunes Schild, das eine Querstraße hinunterwies. »Hotel Siegfriedsruh. Da hätten wir zumindest mal Siegfried.«

Rian hob die Augenbrauen. Dies war der erste Beweis, dass David doch das Lesen erlernt hatte und mitnichten nur die Bilder anschaute. Aber sie zog es vor, nicht weiter darauf einzugehen.

»Hotel klingt ohnehin nicht schlecht«, sagte sie stattdessen. »Wir sollten die Pferde freilassen. Es ist schon spät, wir können uns genauso gut morgen auf die Suche machen, ausgeruht und frisch.«

David nickte, und sie lenkten die Pferde mit leichtem Schenkeldruck die Querstraße hinunter. Hier wurde die Bebauung bereits dichter, das Fachwerk seltener, stattdessen überwogen verputzte und teilweise mit Stuck verzierte Häuser in den Fassadenreihen. An einem modernen Haus mit einem verglasten Vorbau prangte ein Schild mit dem Bild eines blondgelockten Kriegers, der auf einem Hügel schlief. Darunter stand in geschwungenen Buchstaben Zur Siegfriedsruh. Rian parierte ihr Pferd und legte den Kopf etwas schräg, während sie das Schild betrachtete.

»Sieht dir ein wenig ähnlich, bis auf die Locken«, sagte sie. David warf ihr einen verächtlichen Blick zu und stieg ab. Er half Pirx herunter und gab seinem Pferd dann einen leichten Klaps, der es davontraben ließ.

Rian glitt ebenfalls vom Rücken ihres Fuchses und setzte Grog ab, ehe sie dem Pferd an den Hals klopfte. »Danke, meine Schöne«, flüsterte sie. »Und jetzt geh zurück.«

Die Fuchsstute schloss mit einem kurzen Galopp zu ihrer Gefährtin auf, und wenig später verschwanden beide Tiere im Trab um eine Häuserecke.

»Ich hoffe, sie finden den Weg nach Hause«, sagte Rian.

»Eher als wir«, meinte David mit deutlich hörbarem Sarkasmus.

Rian warf ihm einen kurzen Blick zu, verzichtete jedoch auf eine Erwiderung und ging stattdessen auf die automatisch aufgleitende Schiebetür in dem Glasvorbau zu. Pirx kletterte auf ihre Schulter, und Grog schloss zu ihr auf. David bildete das Schlusslicht, um das lange Offenstehen der Tür nicht seltsam erscheinen zu lassen.

Sie gingen an einigen Grünpflanzen und Rattanmöbeln vorbei durch einen weiteren Durchgang, der sie in einen marmorgefliesten Eingangsraum mit holzgetäfelten Wänden führte. Zur Rechten beherrschte ein langer und hoher Empfangstisch aus dunklem Holz den Raum, während hinten eine rustikale Treppe und ein Aufzug zu sehen waren. Links gab eine offenstehende, ebenfalls rustikal gearbeitete Tür den Blick auf ein Restaurant mit Bar frei. Der Bereich mit den Tischen war unbeleuchtet, anscheinend wurden keine Essensgäste mehr erwartet. An der Bar saß ein turtelndes junges Pärchen mit einer Flasche Mezcal vor sich.

Rian ging zielstrebig zur Rezeption und läutete die Glocke, während David unschlüssig im Raum stehenblieb, den Blick auf die Bar gerichtet. Grog schlenderte weiter zum Aufzug und setzte sich auf einen dort bereitstehenden Gepäckwagen.

Durch eine Tür hinter dem Empfangstisch kam ein bebrillter Mann in mittlerem Alter mit offensichtlich gefärbtem dunklem Haar. Er trug einen dunkelgrünen Anzug, dessen aufgestickte Aufschrift Siegfriedsruh eine Hoteluniform vermuten ließ. Das goldene Schildchen an seinem Revers verriet, dass sein Name Harald Gottmann war.

»Guten Abend, die Herrschaften«, begrüßte er sie in geschäftsmäßig-freundlichem Tonfall. »Was kann ich für Sie tun?«

»Haben Sie noch zwei Doppelzimmer frei?«

Der Rezeptionist musterte Rian kurz, und man konnte förmlich sehen, wie hinter seiner Stirn die Gleichung »Kleidung = Geld« ablief. Schließlich sah er auf einen Bildschirm, der unter der hohen Theke des Tisches verborgen stand, tippte ein wenig auf einer Tastatur herum, und lächelte dann.

»Ja, wir hätten da noch etwas. Mit Blick auf den Dom sogar, wenn Sie möchten.«

»Möchten wir.« Rian zog aus ihrer Umhängetasche den Geldbeutel, den sie sich besorgt hatte, nachdem Nadja die Zwillinge dazu überredet hatte, zumindest gelegentlich mit echtem Geld zu bezahlen. Sie öffnete das Fach für die Scheine und fragte: »Wie viel für eine Nacht?«

Die Augen des Mannes wurden weit, als er Farbe und Menge der Scheine sah.

»Ah … ich könnte Ihnen auch unsere Suite anbieten, die ist ganz ruhig im obersten Stockwerk gelegen …«

»Hat sie zwei breite Betten?«

»Zwei getrennte Schlafzimmer mit Doppelbetten, jedes mit separatem Bad, sowie einen geräumigen Wohnbereich. Es gibt außerdem einen großen Fernseher, Video- und DVD-Spieler, eine Minibar und eine kleine Kochzeile.«

»Gut, dann nehmen wir die. Wie viel?«

Der Mann nannte einen Preis, doch als Rian begann, die Scheine auf den Tisch zu zählen, hob er abwehrend die Hände.

»Meine Dame, normalerweise wird hier erst bei der Abreise bezahlt. Wer weiß, vielleicht verführt Sie unsere schöne Stadt ja doch zu einem längeren Aufenthalt …« Er lächelte ein Werbelächeln, wie man es sonst nur von Plakaten kannte.

Rian hob kurz die Augenbrauen und schob die Scheine dann wieder ein. »Schön ist die Stadt wohl, so weit ich das bisher sehen konnte. Aber wir hoffen, dass wir schnell finden, was wir suchen, und dann rufen uns andere Pflichten.«

»Was suchen Sie denn, wenn ich fragen darf?«

Die Elfe lächelte den Mann gewinnend an. »Wir suchen den Siegfriedsbrunnen. Können Sie uns sagen, wo wir den finden?«

»Siegfriedsbrunnen? Sie meinen den beim Dom?«

Rian wandte den Kopf und wechselte einen schnellen Blick mit ihrem Bruder, doch dieser hob nur die Schultern. Die Elfe sah wieder zurück zu dem Rezeptionisten. »Ja, vielleicht«, antwortete sie vorsichtig. »Warum fragen Sie?«

»Na ja, es gibt in dieser Gegend Siegfriedsbrunnen wie Sand am Meer. Jedes dritte Dorf hat so einen.«

Rian atmete einmal tief durch. Das eben Gehörte war für sie nicht leicht zu verdauen. »Jedes dritte Dorf? Wirklich? Und welcher davon ist der echte?«

Der Mann sah sie fragend und etwas mitleidig an. »Der echte? Was meinen Sie damit? Der, an dem Siegfried angeblich getötet wurde?«

Rian nickte nur stumm.

»Ach so. Na, davon gibt es nur, na, so fünf bis zehn. Überall im Odenwald und sogar bis hinunter ins Kraichgau, glaube ich. Aber nageln Sie mich nicht fest, ich kenne nur den Brunnen hier, und der ist jedenfalls nicht der echte, denn der ist nicht mal hundert Jahre alt.«

Rian seufzte. »Und wo können wir mehr darüber erfahren, wo der echte sein könnte? Oder der, der am ältesten ist?«

»Am ehesten in der Touristeninformation am Markt, würde ich sagen. Da können Sie dann auch gleich unseren Wormser Siegfriedbrunnen bewundern, der steht nämlich auch dort. Und sie sollten unbedingt den Dom anschauen, das Schmuckstück unserer Stadt. Der ist ebenfalls nur wenige Meter weit weg davon.«

Der Mann nahm etwas aus einem Fach und legte es auf den Tresen. »Das hier ist ein Stadtplan. Da finden Sie die Touristeninformation eingetragen, und auch die wichtigsten Sehenswürdigkeiten unserer schönen Stadt. Legen Sie sich nicht zu sehr auf diesen Brunnen fest – Worms hat viel Schönes zu bieten. Dies ist eine der ältesten Städte Deutschlands und ist Ort vieler historisch bedeutender Ereignisse gewesen, von den sagenhaften mal ganz abgesehen. Und nicht umsonst wird es zudem als eines der romantischsten Städtchen Deutschlands bezeichnet. Hier lebt die Geschichte eben noch.«

»Romantisch?« Rian lächelte wieder, und der Mann erwiderte das Lächeln unwillkürlich. »Ja, vielleicht sehe ich mich wirklich noch etwas mehr um. Also sagen wir zwei Nächte. Oder …« Sie sah erneut kurz zu ihrem Bruder, doch dieser studierte die Flaschenreihen im Regal der Bar, und Rian wandte sich wieder dem Rezeptionisten zu. »Nehmen wir drei.«

»Gut. Wenn Sie mir Ihren Ausweis dalassen, fülle ich den Meldeschein für Sie aus. Es sind nur Sie und …« Sein Blick wanderte zu David.

»Mein Bruder David. Ja, nur wir beide.« Rian zupfte ein Blatt von einer Pflanze neben dem Empfangstresen, schüttelte es kurz und reichte es dann dem Mann. »Hier mein Ausweis.«

»Danke schön. Sie erhalten ihn morgen früh zurück.« Der Mann legte das Blatt neben seine Tastatur, kam dann hinter dem Empfangstisch hervor und suchte mit seinem Blick den Boden ab.

»Kein Gepäck?« Er sah Rian fragend an.

»Oh, ja …« Erst jetzt fiel der Elfe auf, dass sie die beiden in Paris gepackten Reisetaschen im Zug vergessen hatten. »Ähm … das Gepäck kommt nach. Hoffentlich.«

»Ah. Auf dem Flug verloren gegangen?«

»Ja. Genau so ist es.«

»So etwas kommt leider häufig vor. Sollten Sie etwas brauchen – Kosmetikartikel oder ähnliches –, sagen Sie mir Bescheid, ich kümmere mich darum.«

»Nein danke, alles was wir heute Abend brauchen, haben wir, und morgen werden wir uns einfach neue Sachen kaufen, falls das Gepäck nicht rechtzeitig ankommt.«

»Gut.« Der Mann nickte und reichte Rian eine Schlüsselkarte und erklärte die Nutzung. »Ich wünsche eine gute Nacht.«

»Danke. Ich denke, die werden wir haben.«

Rian ließ den Stadtplan und die Schlüsselkarte in ihre Umhängetasche fallen und drehte sich zu David um. In diesem Moment kreischte die junge Frau an der Bar auf und ließ ihr Glas fallen. Blass deutete sie auf die Flasche auf der Theke.

»Der … der Wurm … er hat sich bewegt! Er ist rumgeschwommen! Da, schau!«

»Aber Mausi, das kann doch nicht sein, der ist tot!« Der junge Mann lachte auf.

Der Mann vom Empfang murmelte eine Entschuldigung und hastete zur Bar, um die Scherben aufzusammeln.

»Pirx, lass das!« zischte Rian dem Pixie zu.

»Tut mir leid«, piepste er. »Manchmal geht es einfach mit mir durch …«

»Tunichtgut«, brummte Grog leise und packte den Pixie mit geübtem Griff durch die Mütze hindurch an den Kopfstacheln, um ihn hinter David und Rian her zum Aufzug zu ziehen. »Man weiß manchmal wirklich nicht, was man mit dir anfangen soll.«

Am nächsten Morgen standen die Elfen bei Sonnenaufgang auf und bedienten sich am Frühstücksbuffet an Früchtesalat und süßen Brotaufstrichen. Grog und Pirx bekamen ebenfalls unauffällig ein paar Früchte zugesteckt mit der geflüsterten Anweisung, sich aufs Zimmer zurückzuziehen. Durch die Fenster des Frühstücksraums konnte man sehen, dass die Regenwolken des Vortags zum Großteil vom Wind davongetrieben worden waren, und als die Elfen später auf die Straße traten, spiegelten sich die Strahlen der Morgensonne in den verbliebenen Pfützen und tauchten das Städtchen in ein angenehmes goldgelbes Licht.

»Es ist schön hier, wenn es nicht gerade regnet«, sagte Rian, während ihr Blick an einer stuckverzierten Hausfront ein Stück weit die Straße hinunter hängenblieb. Die Verzierungen zeigten ineinander verschlungene Blumenranken und Blüten, die in Rian erneut die Erinnerung an ihr Heimweh vom Vortag weckten.

»Wie du meinst«, meinte David. »Aber das hilft uns nicht weiter. Wo ist dieser Stadtplan?«

Rian zog den Plan aus ihrer Tasche und entfaltete ihn. Gemeinsam mit ihrem Bruder enträtselte sie die Einträge darauf, bis sie schließlich einigermaßen einig waren, welchen Weg sie wählen mussten. Rian steckte den Plan wieder weg und eine zweistündige Odyssee durch die Straßen von Worms begann.

Als sie schließlich zum fünften Mal auf den alles überragenden gotischen Dom zuhielten, um sich von dort aus neu zu orientieren, fanden sie sich unvermittelt an einer Kreuzung wieder, auf deren anderer Seite neben einer zurzeit geschlossenen Eisdiele einige Marktstände und -wagen aufgebaut waren. Erfreut stopfte sich Rian einen von den Nougattrüffeln in den Mund, die sie umgehend erworben hatte, und zeigte auf die Kirche, die sich darüber erhob.

»Das muss diese Heilig-Geist-Kirche sein«, rief sie. »Dahinter ist es!«

»Wenn du nicht an jedem Laden mit Süßigkeiten oder Glitzerzeug angehalten hättest, könnten wir schon längst da sein«, bemerkte David lakonisch. »Also gehen wir.«

Sie warteten nicht bis zur nächsten Grünphase, sondern eilten schnell über die ohnehin leere Straße. Die Aufregung ließ Rian wie ein junges Reh weiterrennen, zwischen den wenigen Marktbesuchern hindurch und zur Ecke der Kirche. Dort erhob sich ein zweistöckiger Brunnen, auf dessen Spitze ein steinerner Krieger sein Schwert in einen schlangenartigen Drachen trieb. Erstaunt blieb sie stehen und starrte hinauf, bis sie Davids Schritte neben sich hörte.

»Schau mal!«, rief sie aus und wandte sich ihm zu. »Glaubst du, dieser Siegfried hat tatsächlich einen der Drachen getötet?«

»Ist mir einerlei«, antwortete David gereizt. »Aber da drüben ist das große I für Information, und da gehe ich jetzt hin!«

»Oh.« Rian warf einen letzten Blick auf die Statue, ehe sie David folgte. Als Grog keuchend zu ihr aufschloss, Pirx hinter sich im Schlepptau herziehend, sah sie zu ihm hinunter und lächelte. »Sag mal, Grog, hast du welche von den alten Drachen gekannt?«

»Uff«, antwortete der Kobold und versuchte, wieder zu Atem zu kommen, während er neben ihr in einen gleichmäßigen Trott fiel, um ihren langen Schritten zu folgen. »Schon. Ich habe den einen oder anderen von ihnen getroffen. Ist aber eine ganze Weile her. Ich schätze, die sind noch seltener geworden als die Riesen.« Grog blinzelte leicht, und Rian musste schlucken, als sie an ihren Vater dachte.

In diesem Moment erklang vor ihr die leise Glocke der Eingangstür zur Touristeninformation, und Rian beeilte sich, die Tür für Grog und Pirx aufzuhalten, ehe sie selbst eintrat. Eine Viertelstunde später kamen sie wieder heraus, um einige Karten und Broschüren zu Worms, dem Nibelungenlied und der Siegfriedstraße reicher.

Rian seufzte. »Das ist zwar nett, und sie waren hilfsbereit, aber zu den Siegfriedsbrunnen wissen wir auch nicht viel mehr als vorher.«

»Scheint kein so beliebtes Touristenthema zu sein – was für uns nur gut sein kann«, meinte David. »Sie sagten etwas von einem Nibelungenmuseum. Lass uns auf deiner Karte schauen, wo das ist, vielleicht weiß dort jemand mehr.«

Rian nickte, schob mit bedauerndem Blick die letzte Praline in den Mund und warf die Schachtel in den Abfalleimer. Sie kramte in ihrer Tasche zwischen den Tütchen mit Modeschmuck und Süßigkeiten, die sich unterwegs darin angesammelt hatten, bis sie den Plan gefunden hatte. David war derweil ein Stück weiter zu einer großen Tafel gegangen und winkte sie zu sich. Es stellte sich heraus, dass die Tafel eine Karte von Worms war. Seufzend ließ Rian ihren Stadtplan wieder in der Tasche verschwinden.

Gründlich studierten sie gemeinsam den Plan.

»Sieht doch einfach aus«, meinte Rian. »Hier die Straße runter, und dann links, und dann wieder rechts. Also … da lang.« Sie zeigte in Richtung der Fußgängerzone, aus der sie zuvor gekommen waren.

»Da lang«, brummte Grog und zeigte die Straße hinunter, an der sie standen.

David kniff die Augen zusammen, musterte ein nahes Straßenschild, schaute hinauf zum Dom, dessen massige Türme auch von diesem Platz aus sichtbar waren, sah wieder auf die Karte und zuckte die Achseln. »Grog hat Recht«, stellte er fest. Er wandte sich um, um der Straße in der vom Dom wegführenden Richtung zu folgen, einen »Hab ich doch gesagt!« brummelnden Grogoch und einen auf dem Kantstein balancierenden Pirx im Schlepptau. Rian warf einen kurzen sehnsüchtigen Blick in Richtung der Fußgängerzone mit all den netten Läden, ehe sie sich ebenfalls der Gruppe anschloss.

Ein gutes Stück weiter fanden sie ein Schild, das nach links zeigte. Die nächste Abzweigung verpassten sie, da dort kein Schild mehr stand, bogen dafür eine Straße später ab und standen tatsächlich wenig später vor dem Nibelungenmuseum.

Es wirkte auf Rian, als habe jemand sieben riesige ovale Weinfässer der Länge nach halbiert, die Wände außen mit Blech verkleidet, die Deckel durch Glas ersetzt, und die Rückseiten gegen die an dieser Stelle gut erhaltenen Reste der Wormser Stadtmauer geschoben. Zwischen der vierten und der fünften Fasshälfte stand außerdem ein quadratischer Blechturm mit spitzem Dach. Das mittlere Fass war der Eingang. Was Rian im Vorbeigehen durch die verglasten Außenwände der drei Fässer links daneben gesehen hatte, deutete darauf hin, dass dort eine Ausstellung oder ein Laden war.

Rian stieg die Stufen zum Eingangsfass hoch und trat ein, gefolgt von den Kobolden und David. Vom Eingangsbereich aus kamen sie an einigen Garderobenständern vorbei in einen breiten Quergang, der innerhalb der Stadtmauer lag. Nun verstand Rian die Form der modernen Anbauten: Die Mauer musste an dieser Stelle einen Bogengang beherbergt haben, und in die Bögen dieses Gangs hatten die Erbauer die Räume eingepasst. Vielleicht war sogar in früheren Zeiten jeder dieser Bögen ein eigener Raum gewesen, und der Quergang war erst nachträglich erschaffen worden.

Rian blieb unschlüssig stehen und sah in beide Richtungen des Quergangs. Links sah man einen Bereich, der als Verkaufsraum diente. In einer Vitrine lagen nachgearbeitete historische Fundstücke, Bücher und Broschüren aus, und allerlei andere Souvenirs waren dazwischen verteilt. Rechts sowie über eine geradeaus befindliche Wendeltreppe schien es in verschiedene Teile des eigentlichen Museums zu gehen.

Während Rian noch zögerte, steuerte David direkt auf einen links im nächsten »Fass« aufgestellten Tresen zu, hinter dem eine junge Frau mit schulterlangem schwarzem Haar saß und etwas sortierte. Rian gab den Kobolden Zeichen, im Eingangsbereich zurückzubleiben.

Als David sich mit verschränkten Armen auf den Tresen lehnte, sah die Frau dahinter auf und schob eine störende Haarsträhne hinter ihr Ohr, ehe sie zu lächeln begann. Ihre leicht mandelförmigen Augen leuchteten dabei in einer Weise auf, die Rian verriet, dass ihr Bruder sie bereits für sich eingenommen hatte, ehe er auch nur ein Wort gesagt hatte.

Die Elfe empfand etwas zwischen Amüsiertheit und Mitleid für die Menschenfrau. Sie war hübsch und könnte seine nächste Eroberung werden. Unter Elfen war so etwas üblich, doch Menschenfrauen schienen damit oft Probleme zu haben, was ihr Leben in Rians Augen unnötig kompliziert machte.

Die Elfe seufzte leise und nahm von einem Tischchen einen kleinen bunten Stoffdrachen auf, der mit Sand gefüllt war, um damit herumzuspielen, während sie ihren Bruder und die Frau am Tresen beobachtete.

»Wir sind auf der Suche nach dem echten Siegfriedsbrunnen«, sagte David. »Können Sie uns sagen, wo wir ihn finden?«

Die Frau lachte auf, und der helle Klang machte sie Rian spontan sympathisch.

»Wenn ich das wüsste, müsste ich mir um das Thema meiner Doktorarbeit keine Sorgen mehr machen«, antwortete sie. »Seit Jahrhunderten wird darüber gestritten, welcher der vielen Kandidaten der richtige ist, und für jeden gibt es gute Argumente. Welcher es wirklich ist, und ob es überhaupt einen echten Brunnen gibt – wer kann das schon wissen?« Sie hob die Hände in einer hilflosen Geste, und ihre Augen funkelten fröhlich, während sie lächelnd von David zu Rian sah. Die Elfe erwiderte das Lächeln und setzte den Stoffdrachen wieder ab.

David fuhr sich durch das Haar und fing den Blick der jungen Frau damit wieder für sich ein. »Wir würden es vielleicht herausfinden, wenn wir diese Orte einmal besuchen könnten.«

Die Augenbrauen der Frau wanderten hoch. »So? Inwiefern?«

»Wir haben ein Gespür für so etwas.« Rian hörte das Lächeln in seinen Worten, ohne es sehen zu müssen.

»So ein Gespür käme mir zupass«, erwiderte die junge Frau trocken. »Allerdings würde es mir keinen Gewinn bringen, solange ich es nicht mit Fakten untermauern könnte.«

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