Kitabı oku: «Operation Werwolf - Fememord», sayfa 2

Yazı tipi:

Im Begriff, einen Blick in das dekorative Bücherregal zu werfen, blickte Sydow verdutzt über die Schulter. »Sagten Sie nicht, der Mieter sei Jurist?«

»Das schon, aber den meine ich auch nicht!«, gab Erna Mentzel im Stil eines Feldwebels zurück, wenig erbaut, dass Sydow die Ruhe weg zu haben schien. »Justizoberrat Henschel weiß mit Geld umzugehen, da können Sie sagen, was Sie wollen. Und was das Mobiliar betrifft, es stammt von seinem Vorgänger, für den war das Beste gerade gut genug. Alles eine Frage des Geldes, aber daran hat es ja wohl dann doch gehapert. Ich weiß zwar nicht, wie Jakubeit das geschafft hat, aber am Ende war sein Nachfolger bereit, die Einrichtung zu übernehmen. Für einen Apfel und ein Ei, wie ich aus berufenem Munde weiß. Sie müssen wissen, Jakubeit hat aus dem letzten Loch gepfiffen, sowohl finanziell als auch anderweitig.«

»Alkohol?«

»Das mit Sicherheit.« Die Concierge deutete ein Nicken an. »So kann’s kommen, Herr Kommissar. Wenn man sein Leben nicht im Griff hat, dann holt es einen unwiderruflich ein. Vor allem, wenn man über seine Verhältnisse lebt. Dann kann man einpacken, so ist das nun leider mal.«

Der Kommissar zuckte bedauernd die Achseln. Da hatte er gehofft, dem Werwolf auf die Pelle zu rücken, und dann dies. »Und Sie haben wirklich keine Ahnung, wo er jetzt steckt?«, richtete er aufs Neue das Wort an seine Begleiterin, die nichts lieber getan hätte, als die Wohnung schleunigst zu verlassen. »Jakubeit kann sich doch nicht in Luft aufgelöst haben!«

»Und selbst wenn, ich weine ihm keine Träne nach«, machte die Concierge aus ihrer Antipathie erneut keinen Hehl, wandte sich demonstrativ zum Gehen und sagte: »Ich weiß zwar nicht, was der komische Kauz auf dem Kerbholz hat, aber was mich betrifft, ich bin froh, dass er sich nicht mehr blicken lässt.«

»Ich weniger«, gab Sydow missgelaunt zurück, folgte der Verwalterin auf dem Fuß und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen. »Aber danke für Ihre Mühe, Sie haben mir sehr ge…«

»Darf man fragen, was Sie hier zu suchen haben?«, fuhr ihm ein Mann in mittleren Jahren über den Mund, auf dem Treppenabsatz postiert, um seinen Schlüsselbund hervorzukramen. »Raus mit der Sprache, oder ich rufe die Polizei!«

»Nicht nötig, Herr Justizoberrat«, redete Sydow dem Monokelträger mit dem blank polierten Schädel zu, geradezu eine Karikatur des pflichtbewussten Staatsbürgers, wie es ihn in Preußen seit jeher gegeben hatte. Dann zückte er seine Dienstmarke und ergänzte: »Von Sydow, Kriminalinspektion Berlin. Wenn Sie erlauben, hätte ich ein paar Fragen. Der Name Jakubeit ist Ihnen ja wohl bekannt, oder?«

»Hören Sie, ich bin in Eile, und wenn es …«

»Sie werden lachen, ich auch!«, bereitete Sydow den Ausflüchten ein abruptes Ende, deutete auf die Wohnungstür und fügte in unmissverständlichem Tonfall hinzu: »Und jetzt wäre ich Ihnen dankbar, wenn wir beide uns unter vier Augen unterhalten könnten. Ich bin mir sicher, Sie haben nichts zu verbergen – oder etwa doch?«

3

Berlin-Lichtenberg, Betriebsbahnhof Rummelsburg

14:30 Uhr

Entweder er griff zur Waffe, oder die Sache würde komplett aus dem Ruder laufen.

Jakubeit hatte die Wahl.

Das Wichtigste war, die Ruhe zu behalten. Auch wenn es ihm noch so sehr gegen den Strich ging. Und sich die Wut, die seine Galle zum Brodeln brachte, nicht anmerken zu lassen. Wer aus der Haut fuhr, schadete sich selbst am meisten.

Und spielte seinen Gegnern in die Hände.

Genau darin bestand das Problem. Wenn die Emotionen in ihm hochkochten, war seine Selbstbeherrschung dahin. Irgendwie verständlich, wenn man sich die Situation auch nur einen Moment vor Augen hielt. Denn was sich sein Komplize da geleistet hatte, das ging über seinen Horizont.

Und gegen den Strich ging es ihm auch.

Einfach so hier aufzutauchen, aus einer Laune heraus, ohne Kontaktaufnahme.

Und dann noch am helllichten Tag.

Das sieht diesem Tollpatsch ähnlich.

Jakubeit bebte vor Zorn. Er hatte geredet und geredet und geredet. Er hatte davor gewarnt, die Zügel schleifen zu lassen. Hatte mit Engelszungen plädiert, die Kripo nicht zu unterschätzen.

Umsonst.

Die Katastrophe war perfekt, so gut wie jedenfalls. Entgegen sämtlichen Warnungen, nur ja kein Risiko einzugehen, hatte Wischulke sie samt und sonders ignoriert, wider jegliche Vernunft, aus einer Sektlaune heraus.

Einfach so, ohne ersichtlichen Grund.

Von daher gab es für ihn zwei Möglichkeiten. Entweder er ging an seinen Spind, schnappte sich seine Walther PPK und erledigte das Problem, bevor er Gefahr lief, der Polizei vor die schussbereite Flinte zu laufen. Bisher war es ihm zwar gelungen, sie nach Belieben an der Nase herumzuführen, doch war er klug genug, sein Blatt tunlichst nicht zu überreizen. Auf einen Toten mehr oder weniger kam es im Endeffekt nicht an, ob er nun Müller, Mayer oder Wischulke hieß. Dennoch war etwas in ihm, das zur Vorsicht riet, allen sonstigen Gewohnheiten zum Trotz.

Man konnte es als innere Stimme, Instinkt oder was auch immer bezeichnen, die Botschaft lautete, Ruhe zu bewahren. Ausgerechnet jetzt hoch zu pokern und dabei das Risiko einzugehen, dass er seine Pläne gänzlich über den Haufen werfen musste, im Moment kam das nicht infrage. Zuerst kamen er und die geplanten Maßnahmen, und danach kam überhaupt nichts mehr. Waren sie geglückt, würde er 100.000 RM kassieren, Berlin auf Nimmerwiedersehen Lebewohl sagen und sich einen Spaß daraus machen, die SS bis auf die Knochen zu blamieren. Die Dokumente, in deren Besitz er sich befand, sie reichten aus, um die Welt in helle Aufregung zu versetzen. Zwei, drei Artikel, falls möglich, auf der Vorderseite der »New York Times« oder der »Washington Post«, und ein Aufschrei der Empörung würde um den Globus gehen. Die Amerikaner würden Gift und Galle spucken, allen voran ihr profilsüchtiger Präsident. Und das zu Recht, so schwer er sich damit tat, dies zuzugeben. Einfach mal so über 60.000 Polen im Akkordtempo umzubringen, da gehörte schon was dazu. Etwas Vergleichbares hatte es noch nicht gegeben, innerhalb weniger Tage schon gar nicht.

Aber macht nichts, anscheinend waren die Nazis ganz wild darauf, sich in Rekordzeit ihr eigenes Grab zu schaufeln. Denn was Himmler sich von der Aktion erhofft hatte, nämlich dass die Weltöffentlichkeit so gut wie nichts davon mitbekäme, das würde sich nicht bewerkstelligen lassen. Selbst wenn es ihm nicht gelänge, sich mithilfe der Geheimdossiers aus dem Staub zu machen, das »Unternehmen Tannenberg« – so der damalige Deckname – würde publik werden. Den Russen war es mit Katyn genauso gegangen, und wenn alles so lief, wie er sich das vorstellte, hatten Himmler und Konsorten ein Problem. Die Amerikaner, das wusste beinahe jedes Kind, warteten nur darauf, in den Krieg einzutreten, und wie die Dinge lagen, bekamen sie ihn frei Haus.

Und zwar mit seiner Hilfe – und mit dem allergrößten Vergnügen.

Doch zuvor würde ihm nichts anderes übrigbleiben, als sich seinen unbotmäßigen Adlatus vorzuknöpfen. Als ihm eine Lektion zu erteilen, die er so schnell nicht vergessen würde. Noch so ein idiotischer Einfall, und seine Pläne würden sich endgültig in Luft auflösen.

Das galt es zu verhindern, mit aller Macht und um jeden Preis.

»Na warte, mein Freund, dir werde ich was erzählen«, murmelte Jakubeit erbost, trat ans Fenster des langgestreckten Schaltraums, der sich im Obergeschoss des Stellwerks Vnk befand, und nahm sein Fernglas zur Hand, um bessere Sicht zu haben. »Das ist gegen die Abmachungen, tu bitte nicht so, als ob du es nicht wüsstest. Wie kann man nur so dämlich sein wie du, ich fasse es nicht!«

Der Mann hatte wirklich Nerven. Überquerte die Gleise der Fernbahn, als sei dies die normalste Sache der Welt.

Sah weder nach rechts noch nach links.

Blickte sich um, als sei der Teufel hinter ihm her. Ein Alarmzeichen erster Güte, die Ruhe vor dem Sturm.

Wie konnte man nur so verdammt unprofessionell sein.

Da half nur eins, Ruhe bewahren. Die Handkante an der Stirn, auf der sich quecksilberfarbene Schweißperlen bildeten, nickte er mechanisch mit dem Kopf. Das also kam dabei heraus, wenn man sein Vertrauen auf ehemalige SS-Kameraden setzte. Entweder die Kanaillen ließen einen im Stich, so geschehen vor knapp zwei Jahren, oder sie bauten Mist, dass man die Hände über dem Kopf zusammenschlug.

Oder, schlimmer noch, sie lieferten einen ans Messer.

Such es dir aus, Max.

Und tu endlich was, sonst geht es dir an den Kragen.

Irgendwas war hier nicht in Ordnung, das konnte er mit bloßem Auge sehen. Am Ende des Laufgangs angekommen, von wo aus es nur noch wenige Schritte bis zum Stellwerk waren, rang der tumbe Koloss nach Luft, noch aufgeschwemmter als vor zwei Jahren, als Jakubeit die Ehre besaß, als sein Stubenkamerad zu fungieren. Auf Komfort hatte er zwar noch nie übermäßigen Wert gelegt, aber was ihn nervte, war, dass Wischulke die Gewohnheit entwickelte, ihm auf Schritt und Tritt zu folgen, im Guten wie im Schlechten. War es doch dieser Versager gewesen, dem er es verdankte, dass er Hals über Kopf ins Verderben gelaufen war. Hätte er ihn nicht abgelenkt, die Begegnung mit dem Flittchen wäre anders verlaufen.

Und seine Karriere, die in ein Desaster ohnegleichen mündete, vermutlich auch.

Von Beruf Hilfsweichensteller, mit einem Verdienst von 161 RM im Monat. Welch ein Unterschied zu früher, als die Quelle, aus der er schöpfte, noch am Sprudeln gewesen war. Als dem Verräter, der sich Kamerad schimpfte, nichts anderes übrigblieb, als nach der Pfeife von Maximilian Jakubeit zu tanzen. Einen Skandal zu vertuschen war nämlich eine Sache – und eine höchst knifflige obendrein. Etwas gänzlich anderes, wiewohl Komplizierteres, stellte der Wert der jeweiligen Geheiminformationen dar. Anders ausgedrückt, wer aus den Dossiers, die er in einem unbeobachteten Moment an sich gebracht hatte, kein Kapital schlug, der war zu gut für diese Welt.

Oder so dumm wie altes Brot, je nach Standpunkt des Betrachters.

Doch eins nach dem andern, zuerst kam dieser dämliche Fettsack dran. Er hatte seine Gründe gehabt, ihn ins Vertrauen zu ziehen, so banal sie auch immer gewesen sein mochten. Für Jakubeit, der so gut wie keine Ahnung von Chirurgie besaß, war Wischulke ein Geschenk des Himmels gewesen. Oder des Leibhaftigen, auch das eine Frage der Perspektive. Bei Ausbruch des Krieges vor zwei Jahren war Wischulke zwar lediglich Sanitätsgefreiter gewesen, hatte jedoch rasch dazugelernt – respektive dazulernen müssen. Die ideale Voraussetzung, Medizin zu studieren, wäre er sich selbst nicht im Weg gestanden.

Viel zu jung, viel zu fett, viel zu träge. So hatte es der Regimentsarzt, ehedem Stationsleiter in der Charité, umschrieben.

Eine Einschätzung, die der Wahrheit ziemlich nahe kam.

Auch und gerade dann, wenn man über ihn Bescheid wusste. Menschliche Schwächen, über die man hierzulande kein Wort verlor, mit inbegriffen. Hätten die Nazis nichts dagegen gehabt, dass die Volksgenossen so lebten, wie sie wollten, es wäre schwierig gewesen, Wischulke für seine Zwecke einzuspannen. Und so gut wie unmöglich, ihn zu einem willfährigen – weil erpressbaren – Werkzeug zu machen.

Der Fettklops hatte nach seiner Pfeife zu tanzen, ob es ihm in den Kram passte oder nicht.

Und damit Feierabend.

»Ich muss dich sprechen – hast du mal eben kurz Zeit für mich?«, fiepte Wischulke in der Manier eines Kastraten, das Gesicht gerötet von der Mühe, die es ihn kostete, über die Wendeltreppe ins Obergeschoss des Stellwerks zu gelangen. »Es ist dringend, sonst würde ich dich nicht stören.«

»›Stören‹ ist vielleicht das falsche Wort«, stieß Jakubeit mit zusammengebissenen Zähnen hervor, das Fernglas, mit dem er die Umgegend des Stellwerks mit zusammengekniffenen Augen musterte, in der durchscheinenden linken Hand. »›Ins Handwerk pfuschen‹ wäre richtiger!«

Wischulke hechelte nach Luft, das Gesicht ein einziges Fragezeichen, in dem sich Unmut und aufkeimende Panik spiegelten. »Falls es dich beruhigt, Max – mir ist niemand gefolgt. Ich weiß ja schließlich, was auf dem Spiel steht.«

»Genau das, mein lieber Heinz, habe ich mich gerade eben gefragt!«, hielt Jakubeit mit drohendem Unterton dagegen, vermischt mit einem Hauch von Spott, um den aufkeimenden Jähzorn zu kaschieren. »Sag mal, bist du eigentlich noch ganz bei Trost? Wenn uns jemand zusammen sieht – was dann?«

»Wie gesagt: Es ist dringend.«

»Jetzt hör mir mal gut zu, mein Freund. Entweder du hältst dich an meine Direktiven, oder du lernst mich kennen. Damit eins klar ist, du Experte: Zu bestimmen hat in diesem Raum nur einer, und das bin ich. War das klar genug, oder hat der Herr Sanitätsgefreite noch Fragen?«

Wischulke, vier Jahre jünger, teiggesichtig, schafs­äugig und fast doppelt so schwer wie sein Herr und Meister, dachte offenbar nicht daran, sich einschüchtern zu lassen. Knetete die platte Nase und überlegte hin und her, wie er seine Hiobsbotschaft schonend an den Mann bringen sollte. »Momentan nicht, danke der Nachfrage.«

Jakubeits Gesicht, zuvor noch düster, angespannt und drohend, hellte sich wie nach einem reinigenden Gewitter auf. »Na, dann wären wir uns ja einig, oder?«

»Du hörst mir einfach nicht zu, Max. Das war schon immer dein Problem.«

»Auch noch frech werden, wie?« Die Lippen geschürzt, schnappte der Werwolf nach Luft. »Also raus mit der Sprache, was spukt in deinem Schwammkopf herum?«

»Nichts weiter«, hielt der unförmige Koloss dagegen, die Lider gesenkt, um dem Blick des Werwolfs zu entgehen. »Es ist nur so, dass …«

»Dass was?«, stieß Jakubeit mit lauerndem Blick hervor und ließ den Blick wie zufällig durch den Schaltraum schweifen, auf der Suche nach der Weichenstellstange, die ihm bereits mehrfach wertvolle Dienste geleistet hatte. »Mach endlich den Mund auf, ich bin kein Hellseher!«

Wischulke, dem die Furcht ins aufgedunsene Profil geschrieben stand, ließ den Blick wie im Takt nach rechts und von dort aus wieder nach links wandern. Dann fasste er sich ein Herz und wimmerte: »Die Bullen haben meine Datsche durchsucht.«

»Sagt wer?«

»Ein Nachbar.«

»Name?«

»Adolf Peschke.«

»Verlässlich?«

Wischulke zuckte mit den Achseln. »Und wenn nicht, was würde das ändern? Ich bin am Arsch, Max, machen wir uns nichts vor!«

Armer Heinz. Kein bisschen Mumm in den Knochen. Und zu allem Unglück kein bisschen Grips im Hirn.

Und naiv wie ein sechsjähriges Kind.

»So beunruhigend sich das für dich anhört, Heinz: Damit mussten wir rechnen.«

»Na, du machst mir vielleicht Spaß! Wenn die Bullen rauskriegen, wem die Hütte gehört, werden sie mir auf die Bude rücken, und was dann passiert, möchte ich nicht wissen. Du bist doch vom Fach, oder etwa nicht? Nehmen wir doch mal an, die Gestapo mischt bei der Fahndung mit, was, denkst du, werden die mit mir machen?« Außer Atem vor Furcht, welche die Fettringe an seinem Hals zum Vibrieren brachte, riss Wischulke hilfesuchend die Arme empor. »Die werden mir das Fell gerben, darauf gehe ich jede Wette ein!«

Ist ja auch dick genug, dachte der Werwolf amüsiert, ein Lächeln auf den Lippen, das in Sekundenschnelle erstarb. »Komm endlich zum Punkt, Heinz. Worauf willst du hinaus?«

»Die Sache wird mir zu heiß, Max. Ich möchte aussteigen – und zwar sofort!«

»Du möchtest was?«, stieß der Werwolf mit drohendem Unterton hervor, der Blick so entgeistert, als habe er sich verhört. Nur um unmittelbar danach sein wahres Gesicht zu zeigen: »Sag mal, Wischulke – bist du eigentlich noch ganz bei Trost? Weißt du überhaupt, was du da sagst, oder hast du einen über den Durst getrunken?«

»Ich meine es ernst, Max. Auf mich kannst du nicht mehr zählen.«

»Was du nicht sagst, Wischulke.«

Armer Heinz.

Der typische Befehlsempfänger, geboren, um vor anderen den Kotau zu machen. Ohne Mumm, ohne Esprit und ohne eigene Meinung. Und naiv bis zum Gehtnichtmehr.

»Keine krummen Dinger mehr. Das habe ich mir geschworen.«

»Was du nicht sagst!«

»Gib dir keine Mühe, Max. Mein Entschluss steht fest.«

Die Stellstange im Visier, die sich auf dem Sims an der Schmalseite des Schaltraums befand, pfiff der Werwolf maliziös durch die Zähne. Die Roststellen am Griff waren zwar nicht zu übersehen, aber was den erhofften Effekt betraf, würde die Stange ihren Zweck erfüllen. »Dein letztes Wort, Wischulke?«

Der Sanitätsgefreite nickte.

Wimpern wie die einer Frau, die Brauen gezupft und mit dunkelblauem Schminkstift nachgezogen.

Wie sehr ihn dieser Fleischklumpen doch anwiderte.

Die Stellstange in der linken Hand, deren Spitze auf der Unterseite seiner Prothese ruhte, schlenderte Jakubeit durch den mit Abfällen übersäten Raum, trat auf den einstigen Kameraden zu und flüsterte: »Ich finde, du solltest dir das Ganze noch mal überlegen. Du erwartest doch nicht, dass ich tatenlos zusehe, wie du mich in die Scheiße reitest, oder? Denn über eins, du aufgeblasene Schwuchtel, musst du dir im Klaren sein: Solltest du es wagen, aus der Reihe zu tanzen, bekommst du es mit mir zu tun. Damit wir uns richtig verstehen: Entweder du nimmst Vernunft an, oder ich sehe mich gezwungen, die Gestapo zu informieren. Du weißt ja, auf Leute wie dich sind sie in der Prinz-Albrecht-Straße nicht gut zu sprechen, schon gar nicht, wenn du mich zwingst, aus dem Nähkästchen zu plaudern.« Jakubeit blinzelte amüsiert, in Gedanken beim geplanten Finale, von dem ihn nur noch wenige Stunden trennten. »Also, was ist, du Memme – bist du dabei oder nicht?«

4

Berlin-Köpenick, Uferweg am Großen Müggelsee

14:40 Uhr

»Hier draußen ist die Welt noch in Ordnung, meinen Sie nicht auch?«, ergriff Hagen Mertz, Kriminalobersekretär der Gestapo, das Wort, in Begleitung eines Kollegen, mit dem er einen Spaziergang am Seeufer unternahm. Der Pfad, für derlei Zusammenkünfte wie geschaffen, lag in tiefem Schatten, und das Geäst der Bäume, darunter Kiefern, Erlen und heillos verästelte Weiden, spendete angenehme Kühle.

Und lieferte die Gewähr, von neugierigen Blicken verschont zu bleiben.

Mithin das Wichtigste an der Sache.

Wie berauscht von der unberührten Natur, breitete Mertz theatralisch die Arme aus. Weit draußen auf dem See, dessen silbrig glänzende Oberfläche zwischen den Baumriesen hindurchschimmerte, war der Schrei eines angriffsbereiten Habichts zu hören, spitz und kehlig, so als lechze er nach leichter Beute. »Und vor allem ist es nicht so heiß wie im Büro, dort kommt man sich ja wie im Treibhaus vor.«

»Es gibt Schlimmeres, wie wir beide wissen.«

»Weitaus Schlimmeres sogar, um zum Thema unseres Dringlichkeitsgesprächs zu kommen«, gab Mertz in gänzlich verändertem Tonfall zurück, trotz der Hitze mit dunklem Anzug, schwarzem Hut mit breiter Krempe und dazu passender Krawatte bekleidet, was seinen Begleiter zu einem verständnislosen Stirnrunzeln animierte. »Dieser Sydow ist eine verdammt harte Nuss, und ich fürchte, uns bleibt nichts anderes übrig, als ihn aus dem Verkehr zu ziehen.«

»Wie Ihren Worten zu entnehmen ist, stellen Sie sich das sehr einfach vor«, hielt ein Mittdreißiger in Zivil dagegen, im Gegensatz zu Mertz in salopper Kleidung und von den Ausflüglern, die das gegenüberliegende Seeufer bevölkerten, nicht zu unterscheiden. Einzig sein Haarschnitt, akkurat und der Ansatz auf das Sorgsamste zurechtgestutzt, hob ihn über die Masse der Sommerfrischler hinaus, ein Merkmal, das durch die abgehackte Sprechweise noch verstärkt wurde. »An Sydow haben sich schon ganz andere die Zähne ausgebissen, lassen Sie sich das gesagt sein. Und darum aufgepasst, der Schnösel ist mit allen Wassern gewaschen. Hören Sie auf meinen Rat, ich weiß, wovon ich spreche. So leicht, wie Sie denken, lässt er sich bestimmt nicht in die Irre führen.«

»Damit kein Missverständnis entsteht, das Ziel besteht nicht etwa darin, Sydow auf eine falsche Fährte zu locken«, wandte Mertz korrigierend ein und wich einem Pärchen auf einem Tandemfahrrad aus, das in entgegengesetzter Richtung vorüberfuhr, stierte ihm argwöhnisch hinterher und fuhr fort: »Sondern darin, ihn dauerhaft aus dem Verkehr zu ziehen.«

»Aus dem Verkehr ziehen – so kann man es natürlich auch formulieren!«

»Das heißt, ihn zu eliminieren, falls Ihnen die Wortwahl besser behagt«, fuhr Mertz den deutlich kräftigeren und einen Kopf größeren Begleiter an, den der Tonfall völlig kalt zu lassen schien. »Was das betrifft, besitzen Sie ja Erfahrung, oder sehe ich das falsch?«

Der Angesprochene zuckte kaum merklich zusammen, und wäre das in Ufernähe vorüberbrausende Motorboot nicht gewesen, welches jedwede Unterhaltung unmöglich machte, wäre er die Antwort auf die Provokation nicht schuldig geblieben. Kurz darauf, nachdem das Boot hinter einer Gischtwolke verschwunden war, hatte er sich jedoch wieder im Griff, die Hände lässig in den Hosentaschen, wie bei einer Unterredung unter Freunden.

Dass dem nicht so war, daran bestand für Hagen Mertz kein Zweifel: »Genug der Vorrede, lassen Sie uns Nägel mit Köpfen machen.«

»Mit welchem Ziel?«

»Wie ich bereits sagte, Sydow ist umgehend zu liquidieren, wie und mit welchen Mitteln, steht Ihnen frei.«

»Wie nett von Ihnen, ich werde mich des Vertrauens würdig erweisen«, lautete die frostige Replik, gefolgt von minutenlangem Schweigen, in das sich das Gekrächze eines Kolkraben mischte. Kurz darauf, vertrieben durch das heisere Kreischen, schlängelte sich ein Fischotter durch das dichte Schilf, reckte den Kopf und verschwand so schnell, wie er in Erscheinung getreten war. »Ihr von der Gestapo seid doch so clever, warum erledigt ihr die Drecksarbeit nicht selbst? Und wenn wir gerade dabei sind, was wirft man ihm denn eigentlich vor? Soweit ich weiß, hat er nichts verbrochen.«

»Na, Sie stellen vielleicht Fragen!«, rief Mertz in indigniertem Tonfall aus. »Der Mann könnte zu einer wirklichen Gefahr werden, nicht nur für Sie, sondern für uns alle. Das muss ich Ihnen ja wohl nicht sagen. Ignoriert seine Direktiven, macht, was er will, provoziert mich, wo er nur kann. Und pfuscht der Gestapo ins Handwerk, so geschehen heute Morgen, als ich ihn dabei ertappte, wie er auf eigene Faust Ermittlungen unternahm. Trotz gegenteiliger Anweisungen, wie nicht eigens betont werden muss.« Mertz schüttelte ungehalten den Kopf. »Und jetzt kommen Sie daher und behaupten, es handele sich um eine Lappalie. Ich muss schon sagen, das ist wirklich ein starkes Stück. Auch wenn Sie es vielleicht nicht wahrhaben oder die Realität nach eigenem Gutdünken zurechtbiegen wollen, der Mann ist eine tickende Zeitbombe. Bei Typen wie ihm kenne ich mich aus, darauf können Sie getrost vertrauen. Die geben nicht eher Ruhe, bis sie hinter Schloss und Riegel sitzen. Oder bis man ihnen eine Lektion erteilt, die sie nicht vergessen. In welcher Form, spielt keine Rolle. Hauptsache, sie kommen nicht mehr zum Zug, denn nur so ist gewährleistet, dass die Gestapo am Ende die Oberhand behält. Glauben Sie ernsthaft, Sie wären imstande, Sydow in den Griff zu bekommen? Wenn ja, machen Sie sich etwas vor. Und wenn wir gerade dabei sind: Hatten Sie nicht getönt, der Fall sei eine Nummer zu groß für ihn?«

»Sicher.«

»Und worin besteht dann das Problem, Herr Kollege?«

Der Mittdreißiger, wider sonstige Gewohnheiten die Ruhe selbst, prustete vergnügt in sich hinein. »Darin, dass Sie und Ihre Kollegen denken, Sie könnten uns permanent ins Handwerk pfuschen. Sydow hin oder her, zu viele Köche verderben nun mal den Brei. Falls Sie verstehen, worauf ich hinauswill, Herr Kollege.« Der Begleiter von Mertz atmete gekünstelt durch. »Seien wir doch mal ehrlich, Kollege Mertz. Kripo und Gestapo, das sind zwei grundverschiedene Paar Stiefel. Was ich damit zum Ausdruck bringen will, ist: Es hilft uns nicht weiter, wenn einer versucht, den anderen auszumanövrieren.«

»Was, bitte schön, soll das heißen?«

»Ich schlage vor, Sydow fürs Erste gewähren zu lassen. Hinterher, das heißt nach Ergreifung des Täters, ist noch genug Zeit, ihn zur Räson zu bringen. Und ihn zu liquidieren, falls unsere Bemühungen auf taube Ohren stoßen.«

»Wie bitte, sind Sie verrückt?«, begehrte Mertz mit entrüsteter Miene auf, ballte die Faust und stellte sich seinem Begleiter in den Weg. »Und was, wenn er rauskriegt, dass wir beide unter einer Decke stecken? Dass der Zwangsarbeiter, den wir zum Täter auserkoren haben, nicht das Geringste mit der Mordserie zu tun hat? Dass sich der Werwolf noch auf freiem Fuß befindet, weil Ihre Behörde nicht imstande ist, die Ballastexistenz hinter Schloss und Riegel zu bringen? Können Sie sich vorstellen, was dann passiert?«

»In etwa schon.«

»Sollte der Fall eintreten, Herr Kollege, wollte ich nicht in Ihrer Haut stecken.«

»Und ich nicht in der Ihrigen, Herr Kriminalobersekretär.«

Der Agent kicherte vergnügt in sich hinein, wandte sich ab und setzte den Weg an der Seite seines Gesprächspartners fort. »Wem, wenn Sie die unziemliche Frage gestatten, würde Gruppenführer Heydrich vermutlich glauben, Ihnen oder mir?«

»Falls Sie es noch nicht realisiert haben, ich nehme meine Aufagbe ernst.«

»Und ich auch, oder etwa nicht? Fragt sich nur, wer von uns beiden am längeren Hebel sitzt.«

Friedbert Schultze-Maybach, Kriminalrat im Rang eines Obersturmbannführers der SS, verzichtete auf eine Antwort. Wusste er doch nur zu gut, wie sie lauten würde. »Wie bereits erwähnt, Sydow aus dem Weg zu räumen wird nicht einfach sein.«

»Jetzt tun Sie doch nicht so, als könnten Sie nicht bis drei zählen«, fuhr Mertz den sichtlich mitgenommenen und im Rang deutlich höher angesiedelten Begleiter an und dachte offenbar nicht daran, sich zu mäßigen. »Ich weiß genau, mit wem ich es zu tun habe.«

»Tatsächlich?«

»Schluss mit dem Geplänkel, Herr Kriminalrat. Oder sollte ich lieber Oberscharführer sagen?«

»Ach, daher weht der Wind!«

»Damit wir uns richtig verstehen, Schultze-Maybach: Wenn jemand Karriere machen will, ist das seine Sache. Mir persönlich ist das schnurzegal. Es sei denn, der Betreffende tritt mir auf den Schlips. Oder widersetzt sich meinen Wünschen. Dann ist bei mir Polen offen – mit Betonung auf Polen, um Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen.« Seinem Begleiter eine Körperlänge voraus, lachte Mertz mit unverhohlener Verachtung auf. »Vom Oberscharführer zum Obersturmbannführer, und das in weniger als zwei Jahren. Einfach mir nichts, dir nichts sieben Ränge höher zu klettern – also ich weiß nicht, aber mir persönlich kommt das reichlich merkwürdig vor.«

»Mir nicht.«

»Sie haben Recht – lassen wir die Vergangenheit ruhen«, tat Mertz in gönnerhaftem Tonfall kund, rückte seine randlose Brille zurecht und ergänzte: »Wie Sie bereits zu bemerken geruhten, Kripo und Gestapo sind zwei grundverschiedene Paar Stiefel.«

»Was Sie jedoch nicht daran hindert, mir das Messer an die Kehle zu setzen.«

»Falsch, Herr Kriminalrat. Ich habe Ihnen einen kollegialen Rat erteilt – mehr nicht.«

»Auf Befehl von Gruppenführer Heydrich, nehme ich an?«

»Sie sagen es«, gab Mertz mit hämischem Timbre zurück, beschleunigte seinen Schritt und strebte auf das Ende des beschatteten Uferweges zu, wo sich eine Anlegestelle samt dazugehörigem Parkplatz befand. »Um es abermals zu betonen, Herr Kollege: Im Interesse unserer Behörde halte ich es für dringend erforderlich, Kommissar Sydow dauerhaft aus dem Verkehr zu ziehen. Aus welchem Grund, dürfte Ihnen geläufig sein. Je eher Sie oder ein Ihnen dafür geeignet erscheinender Kollege sich dazu durchringen kann, desto besser. Wenn ich Sie wäre, würde ich nicht zögern, den Befehl des Gruppenführers in die Tat umzusetzen, sonst laufen Sie Gefahr, sich unbeliebt zu machen. Und was dann passiert, werter Kollege Schultz-Maybach, darüber muss ich ja wohl kein Wort verlieren.« Auf dem Weg zu seiner dunklen Limousine, reckte Mertz den knochigen Zeigefinger empor, lachte kurz auf und raunte seinem Begleiter über die Schulter hinweg ins Ohr: »Sie wissen ja: Gott verzeiht, der Gruppenführer dagegen nie!«

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Litres'teki yayın tarihi:
22 aralık 2023
Hacim:
235 s. 10 illüstrasyon
ISBN:
9783839269688
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