Kitabı oku: «Operation Werwolf - Fememord», sayfa 3
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Berlin-Oberschöneweide, Königin-Elisabeth-Hospital
14:55 Uhr
»Was glauben Sie denn eigentlich, wo Sie hier sind? Bei der Bahnhofsmission, oder was? Dies hier ist ein Krankenhaus – und keine Informationsbörse!«
»Dit weeß ick selbst, stell dir vor«, dachte die Grande Dame der Berliner Halbwelt nicht daran, vor dem diensthabenden Arzt zu kuschen. Von einem Mann würde sie sich den Wind nicht aus den Segeln nehmen lassen, schon gar nicht, wenn der Betreffende ihr Sohn hätte sein können. »Wie ick bereits jesagt habe, ick hätte jern ein paar Auskünfte von Ihnen, und zwar über …«
»Ginge das auch in Hochdeutsch? Ich bin nämlich nicht von hier.«
Erna Pommerenke, unter Ganoven auch salopp »Tante Lola« genannt, hörte über die Provokation hinweg, schnalzte mit den grell geschminkten Lippen und erwiderte: »Aber klar doch, Jungchen, daran soll’s nicht scheitern.«
»Sind Sie eigentlich immer so impertinent?«
»Nur wenn’s nicht anders geht, Herr Medizinalrat. Oder wenn ich das Gefühl habe, verscheißert zu werden.«
»Damit Sie Bescheid wissen, ich möchte nicht mit Jungchen angeredet werden, sondern mit meinem Titel. Und auch nicht mit Du, aber das nur nebenbei.« Jens Marquardt, gerade mal zwei Jahre Facharzt für Innere Medizin im Königin-Elisabeth-Hospital in Oberschöneweide, was seiner Arroganz jedoch keinen Abbruch tat, verzog das nach Hautcreme duftende Gesicht. »Falls Sie es nicht wissen, in unseren Kreisen ist das so üblich.«
»Da wo ich herkomme nicht«, war Tante Lola schlagfertig genug, die Spitze umgehend zu parieren. »Aber egal, das tut nichts zur Sache. Ich hätte da nämlich eine Frage an Sie.«
»Und welche?«, gab sich der 28-jährige Mediziner betont distanziert, das Haar aschblond und fettig, überdies hager und dank guter Beziehungen im Begriff, an die Spitze des NSDÄB aufzurücken. »Falls es sich um ein rein medizinisches Anliegen handelt, in Ihrem Alter macht es keinen Sinn mehr, sich verschönern zu lassen.«
»Ganz Ihrer Meinung, der Herr«, dachte Tante Lola nicht daran, sich von der nassforschen Art aus der Reserve locken zu lassen, daran gewöhnt, von den oberen Zehntausend mit Verachtung gestraft zu werden. Im Lauf der Jahre hatte sie gelernt, damit umzugehen – und sich bei passender Gelegenheit zu revanchieren. Leute wie Marquardt taten nun mal so, als seien sie etwas Besseres, im Falle des Stationsarztes, der es auf eine Körpergröße von bescheidenen 1,70 Metern brachte, nur zu verständlich. »Wenn da nur nicht die vielen Fettpölsterchen wären. Bitte sagen Sie es nicht weiter, aber die machen mir ziemliche Sorgen – mehr als meine Lunge, wenn ich ehrlich bin.«
»Rauchen schadet der Gesundheit, aber das wissen Sie ja wohl selbst. Und alkoholische Getränke auch.«
»Wie ich sehe, kennen Sie sich mit der Materie aus«, gab Lola halb bissig, halb sarkastisch gemünzt zurück, ein Schwarz-Weiß-Foto in der Hand, das sie dem hochnäsigen Brillenträger präsentierte. »Und nun zu meinem Anliegen. Ich nehme an, die beiden Herrn auf dem Foto sind Ihnen bekannt?«
»Sollten sie?«
»Aber gewiss doch«, gab Tante Lola mit perfekt einstudierter Nonchalance zurück, steckte das Schwarz-Weiß-Foto wieder ein und fand offenbar nichts dabei, sich eine Juno ohne Filter in den Mund zu stecken. »Ist gerade mal zwei Tage her, müssen Sie wissen.«
»Was denn?«
»Dass die beiden spurlos verschwunden sind, als hätten sie sich in Luft aufgelöst.«
»Und um wen handelt es sich, wenn man fragen darf?«
»Um zwei Musiker, mit denen ich befreundet bin. Der Rudi spielt Klavier, jemanden wie den gibt’s nicht noch mal in Berlin. Und Schnulzen-Eddie, sein Spezi, der begleitet ihn auf dem Saxofon. Wenn Sie Zeit haben, schauen Sie doch mal bei mir vorbei – würde Ihnen guttun, wenn ich Sie so sehe«, machte Erna aus ihrer Abneigung ebenfalls keinen Hehl, zündete die Juno an und saugte den Rauch genüsslich in sich hinein. »Die Herrlichkeit ist bald vorbei, genießen wir also das Le…«
»Hier wird nicht gequalmt, ist das klar?«, platzte Marquardt ohne Vorankündigung der Kragen, was die Patienten erschrocken aufhorchen ließ, darunter auch mehrere Uniformierte, die sich im Wartebereich der Ambulanz zusammendrängten. Etliche davon reckten indigniert die Hälse in die Luft, doch davon ließ sie sich nicht beeindrucken. »Was glauben Sie denn, wer Sie sind?«
»Die Frage sollten Sie sich lieber selbst stellen«, gab Lola mit amüsiertem Stirnrunzeln zurück, bekleidet mit einem eng anliegenden Kostüm, das aus plissiertem schwarzem Seidenstoff bestand. »Noch haben Sie die Chance dazu, ich will mal nicht so sein.«
»Raus hier, sonst rufe ich die Polizei!«
»Wetten, dass Sie das nicht tun werden, Herr Doktor?«, gab Tante Lola in doppelbödiger Manier zurück, trat bis auf Armlänge an den Internisten heran und blies ihm den Rauch ins wutlodernde Gesicht. »Sie lügen zwar, dass sich die Balken biegen, aber so dumm, sich selbst ans Messer zu liefern, sind ja wohl nicht mal Sie.«
»Raus hier, sonst …«, spie Marquardt zornbebend hervor und machte Anstalten, die Mutter Courage des Milieus zu attackieren.
»Sonst was?«, gab Erna Pommerenke süffisant lächelnd zurück und gab ihrem Leibwächter einen Wink, der sich beeilte, den Beobachtungsposten am Eingang zu verlassen. Der vierschrötige Kleiderschrank, ein ehemaliger Geldeintreiber aus dem Wedding, dem Marquardt höchstens bis zur Schulter reichte, nahm ihn mit verschränkten Armen ins Visier. »Darf ich vorstellen: Muskel-Max, anno 19 Berliner Meister im Weltergewicht. So – und jetzt wäre ich Ihnen dankbar, wenn wir beiden Turteltauben uns unter vier Augen unterhalten könnten. Oder wollen Sie, dass die Leute mitkriegen, was Sie ausgefressen haben?«
»Zuerst sagen Sie mir, wer Sie sind. Und dann würde ich gern wissen, wie Ihr Vorgesetzter heißt. Ich habe Beziehungen, über die würden Sie nur staunen – sogar zur Kripo, bis in die oberen Gefilde!«
Tante Lola, auf der ein Dutzend neugierige Augenpaare ruhte, nahm ihre Zigarette aus dem Mund, stieß den Rauch in die abgestandene Luft und ließ es sich nicht nehmen, ihrem Leibwächter einen Stoß in die Rippen zu versetzen. »Haste dit jehört, Maxe, dit Jungchen will uns drohen! Dit hat die Welt noch nich jesehn, ick lache mir gleich tot!«
*
»Sie behaupten also, die Gestapo habe Sie unter Druck gesetzt?«, zog Lola am Ende des halbstündigen Gesprächs Bilanz, wechselte einen Blick mit ihrem Begleiter und fragte sich, wie ihr Freund Sydow das Gehörte kommentieren würde. Vor knapp zwei Tagen, während der Razzia im »Kakadu«, hatte sie den Kommissar zum letzten Mal gesehen. Seitdem war eine Menge passiert, in der Mehrzahl Dinge, die dazu beitrugen, ihren Groll gegen die Nazis ins Extrem zu treiben. In weniger als 24 Stunden waren vier ihrer treuesten Gefolgsleute verschwunden, Gerüchten zufolge kaltblütig liquidiert. Von wem und warum, konnte sie sich denken. Alle vier, also auch Rudi Szabo und sein langjähriges Pendant, die im »Kakadu« zum Tanz aufspielten, waren im Zuge einer Razzia verhaftet worden und ohne eine Spur zu hinterlassen verschwunden. Das Gleiche traf auf Hantel-Emil zu, Faktotum und Mädchen für alles. Bijou, im »Kakadu« als Animierdame tätig, bildete den Schluss.
Insofern das überhaupt schon alles gewesen war.
Vier Tote innerhalb kürzester Zeit. Seit Erna denken konnte, hatte es das noch nie gegeben, auch nicht in den wilden Zwanzigern, wo nicht lange gefackelt wurde, wenn es darum ging, alte Rechnungen zu begleichen.
Vier Tote, alles enge Weggefährten, um nicht zu sagen Freunde.
Das würde sie nicht auf sich sitzen lassen.
Selbst auf die Gefahr, von der Gestapo an die Wand gestellt zu werden. »Dieser Greifer von der Gestapo, der versucht hat, Sie zu erpressen …«
»Was ist mit ihm?«
»Sind Sie imstande, die Kanaille zu beschreiben?«
»Selbstverständlich«, antwortete Marquardt gedehnt, am Fenster postiert, von wo aus sein Blick auf den Park des Klinikums fiel, bevölkert mit zahlreichen Patienten, die Besuch von Verwandten oder Freunden erhielten. Das Hospital genoss einen exzellenten Ruf, hatte jedoch kaum noch Ärzte, um den Betrieb zumindest halbwegs am Laufen zu halten. Hier wie auch andernorts forderte der Krieg seinen Tribut, und Marquardt konnte von Glück sagen, dass seine Abkommandierung an die Front auf sich warten ließ. Allein die Vorstellung, auch ihn könne es eines Tages treffen, ließ den Internisten bis ins Tiefinnerste erschaudern. Zum einen, weil er nicht einsah, an der Ostfront den Heldentod zu sterben, die Rolle sollten gefälligst andere übernehmen. Und zum andern, da er alles daransetzte, Karriere zu machen, zur Not auch mit Ellbogen, wie unter Akademikern mittlerweile üblich. »Aber natürlich kann ich ihn beschreiben, so einen wie den vergisst man nicht.«
»Dunkler Anzug mit Hut, mittelgroß, Himmler-Brille, Schmiss, Reptilienblick. Die Hasenscharte nicht zu vergessen. Kommt Ihnen bekannt vor, kann das sein?«
»Woher …«
Tante Lola lächelte schief, die mittlerweile dritte Juno in Gebrauch, deren Stummel aus dem rechten Mundwinkel ragte. »Woher ich das weiß, wollten Sie gerade fragen? Was soll ich sagen, man macht eben so seine Erfahrungen. Ich bin zwar nicht übermäßig scharf darauf, mit der Gestapo auf intensive Tuchfühlung zu gehen, aber manchmal lässt es sich eben nicht vermeiden. Wie aufdringlich die Jungs aus der Prinz-Albrecht-Straße sind, wissen Sie ja am besten, oder?«
»Reden Sie endlich. Was wollen Sie von mir?«
Die Königin des Milieus atmete tief durch, nahm ihre Fluppe aus dem Mund und gesellte sich zu ihrem Gesprächspartner, der es nach wie vor nicht für nötig hielt, sie auch nur eines Blickes zu würdigen. »Eins möchte ich wirklich wissen, Herr Doktor Marquardt.«
»Und das wäre?«
Tante Lola zögerte die Antwort hinaus. »Zugegeben, jeder von uns hat so seine Schwächen, je nach Charakter und Temperament. Der eine im Dutzend, der andere so gut wie keine.«
»Was Sie nicht sagen.«
»Also auch Sie.«
Tief in Gedanken, schreckte Marquard unvermittelt auf. »Sie etwa nicht?«
»Mit anderen Worten, ich frage mich, wie die Gestapo es geschafft hat, einen Mann wie Sie zu rekrutieren.«
»Purer Zufall.«
»Eben nicht. Eins können Sie mir glauben, ich weiß genau, wie die ehrenwerte Gesellschaft tickt. Die Herren überlassen nichts dem Zufall, mehr möchte ich dazu nicht sagen. Auch bei Ihnen nicht, darauf können Sie Gift nehmen.« Auf der Suche nach einem Aschenbecher, drehte sich die Kiez-Königin um, schlenderte zu Marquards Schreibtisch und ließ die Fluppe in das dafür vorgesehene Kristallschälchen fallen. »Also reden Sie schon, womit wurden Sie erpresst?«
»Ach, fahren Sie doch zur Hölle!«
»Falls Sie es noch nicht gemerkt haben, Herr Doktor – wir Deutschen sind längst dort.«
»Ich warne Sie: Noch so eine Bemerkung, und …«
»Und was?« Wieder zurück an ihrem Platz vor dem Fenster, würdigte Tante Lola den Mann zu ihrer Linken keines Blickes. »Bringen wir es auf den Punkt, junger Mann. Soweit ich weiß, gibt es drei Sorten von Lastern, derentwegen ein Mann wie Sie in Schwierigkeiten geraten kann: Weibergeschichten, Glücksspiel oder Zocken an der Börse. Da Letzteres derzeit nicht möglich ist, bleiben zwei Varianten übrig. Hätte ich einen Tipp abzugeben – ganz spontan, denn wer kann denn schon in einen Menschen hineinblicken –, dann würde ich mich für die weitaus häufigste Verfehlung entscheiden.«
»Ich bin glücklich verheiratet, was fällt Ihnen eigentlich ein!«
»Na, so glücklich nun auch wieder nicht, sonst hätten Sie nicht Ihr Geld verzockt.« Ein vielsagendes Lächeln im Gesicht, winkte Lola lässig ab. »Stammkunde auf der Trabrennbahn, kann das sein?«
»Wenn Sie alles so genau wissen, warum fragen Sie dann überhaupt?«, giftete der Internist zurück und dachte offenbar nicht daran, mit offenen Karten zu spielen. »Scheren Sie sich gefälligst um Ihren eigenen Kram – mehr kann ich dazu nicht sagen. Und wenn wir gerade dabei sind, wie ist eigentlich Ihr Name? Spucken Sie’s aus, warum sind Sie hier?«
»Um Gewissheit zu erlangen.«
»Gewissheit, aha. Etwa darüber, dass die Banane krumm ist?«
»An Ihrer Stelle würde ich den Mund nicht so voll nehmen, Marquardt«, fuhr Tante Lola dem Stationsarzt über den Mund und bedeutete ihrem Leibwächter, die Tür abzuschließen. Dann wandte sie sich ruckartig nach links. »Machen wir also reinen Tisch, sonst verplempern wir unnötig Zeit. Ich möchte Gewissheit darüber, wie meine Bekannten ums Leben gekommen sind. Und zwar bis ins kleinste Detail. Und ich versuche nachzuvollziehen, wie ein Mann wie Sie so tief sinken kann, um für die Gestapo die Drecksarbeit zu erledigen.«
»Ich verbitte mir diesen Ton, merken Sie sich das!«
»Sie können so laut rumschreien, wie Sie wollen, mich und Alfred lässt das völlig kalt. Aber wenn Sie sich weigern, mit der Wahrheit rauszurücken – bitte schön. Dann übernehme eben ich das Reden, anscheinend wollen Sie es nicht anders. Kommen wir daher zur Sache. Soweit ich informiert bin, geht es auf Ihrer Station nicht mit rechten Dingen zu.« Tante Lola lachte heiser auf. »Eine bewusste Untertreibung, ich weiß. Kann man Ihre Machenschaften doch getrost als kriminell bezeichnen. Sie sind ein Mensch, der über Leichen geht, ohne Skrupel, ohne Prinzipien und ohne einen Funken Anstand im Leib. Der vor nichts zurückschreckt, nicht mal davor, mit der Gestapo gemeinsame Sache zu machen!«
Marquardt klatschte höhnisch Beifall. »Beeindruckende Predigt, fast wie in der Kirche. Aber wo, wenn Sie erlauben, ist der Beweis?«
»Merkwürdig, dass gerade Sie mich das fragen – und aufschlussreich zugleich. Wo ich doch überhaupt noch nicht erwähnt habe, um was es geht.«
»Falls Sie die Sache mit den gefälschten Obduktionsbefunden meinen – ich habe nichts damit zu tun!«
»Sehen Sie, Doktorchen – jetzt kommen wir der Sache schon näher«, flötete Tante Lola kess, tätschelte dem Stationsarzt die Wange und sah ihm lange und eindringlich in die Augen. »Denn wie aus sicherer Quelle verlautet, haben Sie sehr wohl etwas damit zu tun, auch wenn Sie versuchen, mir ein X für ein U vorzumachen.« Die Grand Dame des Milieus runzelte die Stirn. »Tatsache ist, benötigt die Gestapo ein Gutachten, um ihre Mordaktionen zu vertuschen, dann wendet man sich zwecks Erledigung an Sie, der es, schenkt man den kursierenden Gerüchten Glauben, unter dem Pseudonym ›Doktor Tod‹ zu zweifelhaftem Ruhm gebracht haben soll. Steht also wieder mal eine Obduktion an, dann ist es ein gewisser Doktor Marquardt, der die Aufgabe hat, die dazugehörigen Dokumente zu fälschen. Leugnen ist zwecklos, über Ihre Aktivitäten sind wir bestens informiert.«
»Und der Beweis – was ist mit dem?«
»Für den Fall, dass Sie denken, ich werde den Namen meines Informanten preisgeben – schlagen Sie sich den Hirnfurz aus dem Kopf. Meine Verbindungen reichen sehr weit, müssen Sie wissen. Weiter, als Sie es sich in Ihrer Borniertheit vorstellen können. Eine schnelle Nummer zur falschen Zeit, und schon schnappt die Falle zu. Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, Herr Doktor Marquardt, es gibt Kollegen in Ihrem Haus, die zu meinen treuesten Kunden zählen – und die Sie lieber heute als morgen loswerden würden. Aber das nur am Rande. Ich gebe zu, es war ein Glücksfall, dass ausgerechnet ich Ihnen auf die Schliche gekommen bin. Macht aber nichts, denn gefreut hat es mich trotzdem. Wäre mir der Zufall in Gestalt eines Mitarbeiters des hiesigen Hospitals nicht zu Hilfe gekommen, ich wüsste nicht annähernd so gut Bescheid.«
»Sie bluffen nur, geben Sie es doch zu!«
Tante Lola lächelte schief. »So, meinen Sie. Dumm nur, dass ich nicht schauspielern kann. Und dass ich es gewohnt bin, die Karten auf den Tisch zu legen.«
»Tun Sie, was Sie offenbar nicht lassen können.«
»Sie erlauben, dass ich Ihnen eine kleine Geschichte erzähle?«
»Was soll das werden – eine Rezitation von Grimm’s Märchen?«
»Schön wär’s. Wie gesagt, wäre mir der Zufall nicht zu Hilfe gekommen, dann hätte ich schlechte Karten.«
»Die haben Sie auch so, keine Bange.«
»Doch nun zu meiner Geschichte. Sie beginnt am gestrigen Abend, kurz nach Öffnung meines Lokals. Ich stehe wie gewohnt hinterm Tresen, da schneit die Schwester von Hantel-Emil bei mir rein – mit den Nerven am Ende, ist ja auch kein Wunder. Die Ärmste hat eine Menge durchgemacht, aber wem sage ich das, Sie waren ja an der Aktion beteiligt.«
»Und was für eine Aktion soll das sein?«
»Lange Rede, kurzer Sinn: Laut Gutachten vom gestrigen Donnerstag, das ihr mitsamt der Urne von einem Mitarbeiter des Geheimen Staatspolizeiamts ausgehändigt wird, hatte mein Freund Emil das Pech, während einer Vernehmung in der Prinz-Albrecht-Straße vom Stuhl zu kippen. Todesursache: Lungenversagen. So weit die Version der Gebrüder Grimm, mit freundlicher Unterstützung von Herrn Doktor Marquardt, Internist im Königin-Elisabeth-Hospital in Berlin-Oberschöneweide.« Die Königin der Halbwelt griente spöttisch vor sich hin. Von ihren Untertanen war sie ja allerhand gewohnt, aber was den 28-jährigen Mediziner betraf, wurden ihre Erfahrungen samt und sonders übertroffen. »Lungenembolie, und das bei einem passionierten Nichtraucher, der sich weigerte, eine Fluppe auch nur anzurühren. Kommt einem verdammt suspekt vor, finden Sie nicht auch? Zugegeben, Emil war nicht der Gesündeste, aber soweit ich mich entsinne, hat die Lunge bestens funktioniert. Mit seiner Pumpe hatte er dagegen zu kämpfen, von wegen Herzkranzgefäße und so. Aber das nur am Rande, damit Sie auf dem Laufenden sind.«
»Ich wüsste nicht, was es daran zu beanstanden …«
»Aber ich, du aufjeblasener Liliputaner!«, verlor Erna Pommerenke die Geduld, packte den um einen Kopf kleineren Stationsarzt am Kragen und knurrte: »Ick schlage vor, wir lassen dit mit dem Hochdeutsch bleiben, sonst sitzen wa heute Abend immer noch hier rum.«
»Finger weg, verdammt noch mal!«, quiekte Marquardt, verzweifelt bemüht, sich dem Griff der Zwei-Zentner-Frau zu entwinden. »Finger weg, habe ich gesagt, was fällt Ihnen eigentlich …«
»Und jetzt kommt’s, Schätzchen – hör jut zu. Laut Gestapo soll der behandelnde Quacksalber – also du – während der Obduktion auf Symptome von eener ansteckenden Krankheit jestoßen sein. Einer Krankheit, die, dit weeß sogar jedes Kind, in eenem von drei Fällen zum Abnippeln führt. Fazit des Janzen, wie aus den Unterlagen ersichtlich: Spanische Grippe, kurz vor dem akuten Stadium. Bedeutet, ab mit ihm ins Krematorium, um Schlimmeres zu verhüten. Doller Witz, findste nich ooch?«
»Und was soll daran so witzig sein?«, keuchte Marquardt, die Augen vor Anstrengung weit aufgerissen. »Wenn Millionen von Menschen daran gestorben sind, kann … Dann kann zumindest ich nicht mehr drüber lachen.«
»Ick ooch nich. Es sei denn, über dich!«, schleuderte Tante Lola dem wie ein Aal zappelnden Mediziner ins Gesicht, lockerte ihren Griff und fügte mit süffisantem Unterton hinzu: »Dumm jelaufen, Jungchen. Aber seine Schwester muss es ja schließlich wissen.«
»Was denn?«
»Dass der Emil die Grippe anno 18 schon jehabt hat – und dit Glück hatte, dem Teufel von der Schippe zu springen. So ein Pech aber ooch, kann ick da nur sagen! Da zerbrichste dir die Birne, um den Leuten die Hucke vollzulügen – und dann so wat! Pfui Deibel noch mal – ick kann jar nich so ville fressen, wie ick kotzen möchte!«
»Sie kommen sich wohl sehr schlau vor, wie?«
»Im Gegensatz zu dir schon, du halbe Portion«, höhnte Tante Lola, wechselte einen Blick mit ihrem Leibwächter und sagte: »Und nun zu meenen Bedingungen, junger Mann. Als Erstes biste so jut und lässt mich mal eben kurz in die Unterlagen in deinem Schreibtisch kieken. Wird bestimmt interessant, oder wat meinste dazu?«
Marquardt schwieg sich trotzig aus.
»Und dann machen der Alfred und du einen kleenen Ausflug in die Pathologie. Bin jespannt, was es dort zu sehen gibt.«
»War das alles?«
»Nee, wo denkste hin. Alle juten Dinge sind schließlich drei, isses nich so?« Auge in Auge mit einem Mann, den sie zutiefst verachtete, spie Tante Lola die Worte nur so aus: »Zum Dritten wirste mir den Namen von deinem Zuhälter bei der Gestapo nennen – und zwar gleich, aber dalli!«
»Niemals, nur über meine Leiche!«
»Wäre mir ein Vergnügen, die Bedingung zu erfüllen«, höhnte Tante Lola, ließ sich von ihrem Begleiter eine Parabellum 08 aushändigen und presste sie dem Stationsarzt auf die Stirn. »Du Winzling sagst mir jetzt sofort, wer meene Freunde auf dem Jewissen hat, oder ick blase dir den Schädel weg, dass die Fetzen fliegen. Mach’s Maul auf, aber ein bisschen plötzlich!«
»Mertz!«, wimmerte Marquard, zitternd wie Espenlaub und die Augen vor Schreck weit aufgerissen. »Kriminalobersekretär Hagen Mertz!«
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