Kitabı oku: «Mörderisches Spiel in Leipzig», sayfa 4

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Vier

Sonnabend, 23. Mai 1903, nachmittags

Edgar Wank zog den Zettel aus der Manteltasche. Mit grobem Federstrich hatte ihm Schliemeyer den Weg zu der Wiese skizziert, auf der einige Männer vom Verein für Bewegungsspiele ihren Fußballsport an diesem Nachmittag ausübten. Der Sportreporter war nach dem Mittag extra noch einmal in Wanks Schreibbüro gekommen, mit einem dicken Papierstapel und einer Fülle von Hinweisen für weitere Recherchen.

Der Weg zur Wiese führte aus der Stadt hinaus. Wank kam nur selten in diese Gegend um Lindenau. Nun lagen die Häuser dieses Stadtteils tief im Leipziger Westen hinter ihm und das Leutzscher Holz nur noch ein paar Steinwürfe vor ihm. Hier draußen herrschte eine geradezu ländliche Stille, lediglich ein paar Grillen zirpten, und von der fernen Viehweide konnte man das Blöken von Rindern hören. Die Gegend machte den Eindruck, als seien Bauern in Stiefeln viel eher anzutreffen als Fußballer in Sportschuhen. Dabei war Wank erst vor ein paar Minuten aus der Bimmel gestiegen.

Von einer Baumgruppe hörte er Männerstimmen herüberschallen. Wank bog auf den Trampelpfad ein, der zum Gehölz führte. Zwischen dem aufblühenden Grün konnte er die leuchtend weißen Trikots der jungen Sportler erkennen. Der Weg führte zwischen ein paar Sträuchern, Farnen und Laubbäumen hindurch zu einer Wiese.

Über den Rasen rannten zehn Spieler, von denen fünf ihre Trikotärmel hochgekrempelt hatten. Die Letzteren spielten sich den braunen Lederball zu, die anderen liefen zwischen ihnen hin und her und versperrten offenkundig den Weg zu ihrem Tor, das durch am Boden liegende Kleiderhaufen markiert war.

Am Rand des Gehölzes standen drei weitere Männer mit weißen Trikots und verfolgten das Treiben auf dem Platz. Ein großer Kerl rief den Spielern Anweisungen zu. »Näher an den Mann, Hotte!« – »Nach rechts raus spielen, Heini!« – »Guck zum Ball, Ralle!«

Wank beobachtete das Treiben eine Weile. Nach und nach erkannte er eine gewisse Struktur in dem Spiel. Von der Mannschaft, die nicht den Ball führte, ordneten sich drei Männer den Gegenspielern zu und versuchten, diese auf Schritt und Tritt zu verfolgen. Die Verfolgten liefen Haken und Finten, um genug Abstand zu gewinnen. Bekamen sie den Ball zugespielt, stoppten sie ihn und suchten wiederum einen freien Mitspieler ihrer Mannschaft. Stück für Stück näherte sich die ballführende Mannschaft dem Tor der Gegner.

Dahinter steckt eine Idee, dachte Wank fasziniert.

Der Große rief »Kurze Pause!« und eilte in die Mitte des provisorischen Spielfelds.

Die Jungen stellten ihr Spiel augenblicklich ein und trotteten zu dem Großen. Einige sahen dabei aus, als bekämen sie ihre Füße kaum noch vom Boden. Sie erinnerten ihn an kleine Kinder, die auch nur rennen oder trödeln konnten.

Der Große redete mit ausladenden Gesten auf die Fußballer ein, allerdings nicht laut genug, als dass Wank auch nur ein Wort verstanden hätte. Den Handbewegungen zufolge erklärte er, wo die Spieler zu stehen und zu laufen hatten. Schließlich klopfte er einem dünnen Kerl auf die Schulter und zeigte mit ausgestreckter Hand auf Wank.

Ertappt! Wank hob die Hand zum Gruße. Vorzuwerfen hatte er sich nichts, das war eine öffentliche Wiese, und er hatte sich nicht angeschlichen oder dergleichen. Die Fußballer grüßten zurück und stellten sich wieder zum Spiel auf. Der Große krempelte seine Ärmel hoch, und auch die beiden Sportler, die soeben noch an der Baumgruppe gestanden hatten, eilten hinzu. Lediglich der Dünne schritt auf Wank zu, während seine Kameraden ein Spiel sechs gegen sechs begannen.

»Sie interessieren sich für den englischen Sport, mein Herr?« Der Dünne hatte ein Lausbubengrinsen im Gesicht. Bestimmt zählte der Junge noch keine zwanzig Jahre.

»Das ist tatsächlich der Fall. Mein Name ist Wank, und ich habe gehört, dass hier der Verein für Bewegungsspiele seine Spielstunde abhält.«

»Da haben Sie richtige Informationen, Herr Wank. Ich bin Horst Ludewig, und meine Kameraden sehen Sie über die Wiese eilen.« Der Dünne wies mit dem Daumen über seine Schulter auf das Spielfeld. »Tragen Sie sich auch mit dem Gedanken, die Fußballschuhe zu schnüren?«

»Trainieren Sie immer hier auf der Wiese?«

»Nein, um Gottes willen! Mehrmals in der Woche sind wir auf dem Sportplatz.« Ludewig wies mit der Hand hinüber nach Lindenau. »Hier draußen machen wir nur die Zusatzübungen. So kurz vor dem Endspiel in der Meisterschaft spielen wir, sooft es unsere Zeit zulässt.«

»In dieser Situation fragen Sie mich, ob ich ebenfalls Fußball spielen möchte? Sie haben doch sicher eine vollzählige Mannschaft?«

»Selbstverständlich. Wir brauchen aber mehr Männer für die Übungen, als am Ende beim Spiel auf dem Platz stehen. Sehen Sie, Spieler können erkranken. Manchmal ist einer beruflich verhindert, oder familiäre Gründe stehen dem Spiel im Wege …«

Wank zögerte. Sollte er Schöpf ansprechen? Den Tod der Aufzählung der Abwesenheitsgründe hinzufügen? Nein, das erschien ihm pietätlos. Stattdessen fragte er: »Werden Sie das Endspiel gewinnen?«

Ludewig lachte. »Nein, ich ganz sicher nicht. Tatsächlich braucht der Verein Spieler wie mich vor allem, damit sich die Besten beim Training immer wieder auf neue Gegner einstellen können. Außerdem brauchen wir für Übungsspiele zwei komplette Mannschaften.« Er blickte zu den kickenden Männern auf der Wiese. »Ob unsere elf Besten die Meisterschaft holen werden, fragen Sie? Ich denke schon. Sie können es schaffen.«

»Auch ohne Herrn Schöpf?«

Ludewigs Lausbubengrinsen verschwand. »Sie sind nicht zum Spielen hier, Herr Wank«, stellte er fest. »Was wollen Sie?«

»Ich bin Redakteur bei der Leipziger Zeitung und recherchiere zum Leben und Tod des Herrn Schöpf.«

Ludewig stand stramm wie ein Militär. »Dann warten Sie bitte kurz, bis die Kameraden ihre Übung unterbrechen. Dann stelle ich Sie vor.«

Willibald Gelsenrath stellte sein Fahrrad neben einem Schild ab, das außer dem Radfahren auch das Rennen, Ballspielen sowie verschiedene andere Betätigungen verbot und auf die Pflicht zur Ruhe in der Kleingartensparte hinwies. Er betrat die Anlage, eine Idylle, die an der einen Seite an einen Bahndamm und an der anderen an eine Baufabrik grenzte. An den Gartenhecken spross zartes Grün, die Obstbäume trugen noch Knospen. Viel mehr als nach Blüten und Blättern roch es allerdings nach frischer Erde. Gelsenrath passierte mehrere Gärten, in denen Männer in Hemdsärmeln Beete umgruben.

Der Garten der Familie Fritzschmann lag fast am Ende eines Kieswegs, der sich quer durch die Anlage zog. Gelsenrath blieben noch zwanzig, dreißig Meter, um sich passende Worte zurechtzulegen. Auch wenn Fräulein Rosalinde ihn zu einem Besuch in der Gartensparte ermutigt hatte, sollte er behutsam vorgehen. Die Einladung in den Kronenbaum’schen Salon musste wirken wie die Aufmerksamkeit eines guten Freundes und nicht, als wolle er sie zu einem Rendezvous ausführen. Wenn sich der Abend später in diese Richtung entwickelte, wäre es etwas anderes. Geduld war das Gebot der Stunde.

Wenige Schritte vor dem Fritzschmann’schen Garten trat Gelsenrath noch einmal an den Wegesrand. Er überprüfte den Sitz seiner Krawatte, strich sich übers Revers und richtete die Melone auf dem Kopf. Er wusste, dass der Hut am besten wirkte, wenn eine Haarsträhne auf der Stirn unter der Krempe hervorlugte. Er tastete nach den Haaren – alles perfekt, soweit er das ohne Spiegel einschätzen konnte. Er nahm all seinen Mut zusammen und schritt zur Parzelle.

An der Grundstücksgrenze verdeckten zwei dürre Bäumchen die Sicht in den Garten. Als Gelsenrath sich den Gewächsen näherte, stach ein Geruch nach Mäusen in seine Nase. Durch die Äste sah er eine kleine Versammlung bei den Fritzschmanns. Neben Fräulein Rosalinde und ihren Eltern weilte noch ein weiteres Ehepaar im Garten. Der Mann erinnerte mit seinem Victor-Emanuel-Bart, mit den Zwirbeln über der Lippe und dem Ziegenbart am Kinn, an einen französischen Musketier. Er hielt die Hand einer Frau, an der alles zerknittert aussah – die Ärmel des Kleides, die Haube auf dem Kopf und vor allem die Haut im Gesicht. Die Fritzschmanns saßen mit ihren Gästen an einem Tisch, auf dem Kaffee und Kuchen standen.

Fräulein Rosalinde blickte zu ihm herüber und sprang auf. Sie eilte über die Wiese zum Gartentor, es sah so aus, als würde sie in ihrem schlichten Kleid dahinschweben. »Herzlich willkommen, Herr Gelsenrath. Das ist mir eine Freude!« Sie öffnete das hüfthohe Gartentor. »Kommen Sie doch herein!«

Gelsenrath bedankte sich und folgte ihr über den Pfad zur Kaffeerunde.

»Meine Eltern kennen Sie ja bereits. Die anderen Herrschaften sind Herr und Frau Rasselwitz, unsere Gartennachbarn.« Die Worte sprudelten aus Fräulein Rosalindes Mund, als hätten sie sich seit Stunden angestaut.

Mit einer Verbeugung trat Gelsenrath an den Tisch und gab den beiden Frauen einen angedeuteten Handkuss, bevor er die Männer mit Handschlag begrüßte.

»Sie sind der Freund des so tragisch verblichenen Herrn Schöpf«, stellte der Hausherr fest. Der gezwirbelte graue Schnurrbart wippte bei seinen Worten.

»Tatsächlich war ich mit Herrn Schöpf gut bekannt«, bestätigte Gelsenrath. »Ich betreibe bis heute in dem Verein Sport, in dem auch er aktiv war. Sein Tod ist ein großer Verlust für uns alle.«

Schweigen breitete sich in der Runde aus. Fräulein Rosalinde stützte sich auf den Tisch, sie sah aus, als sei sie in wenigen Augenblicken um Jahre gealtert.

»Rosalinde, unser junger Gast bräuchte einen Schemel sowie eine Tasse, damit ich ihm einen Kaffee anbieten kann«, sagte die Mutter. Ihre Worte waren so leise, dass sie im Rauschen der Bäume und Sträucher beinahe untergingen.

Fräulein Rosalinde eilte in die Laube. Die Kaffeegesellschaft blickte der jungen Dame nach, bis diese hinter der Türe verschwand.

»Nimm doch bitte auf Rosalinde etwas mehr Rücksicht!«, zischte die Mutter ihrem Mann zu.

»Aber ich …«

Frau Fritzschmann ließ ihren Gatten nicht ausreden. Sie sprach in scharfem Ton. »Kein Wort mehr über den verstorbenen Herrn, bitte!«

Der Vater hob zum Reden an, doch er schien die Worte wieder hinunterzuschlucken, als seine Tochter mit der Tasse und einem Hocker aus der Laube trat. Sie hatte sich augenscheinlich wieder gefasst. In ihrem Gesicht war ein Lächeln nur zu erahnen, doch Gelsenrath sah es genau. Fräulein Rosalinde stellte die Tasse auf den Tisch, nahm auf dem Hocker Platz und wies Gelsenrath ihren Stuhl zu.

»Nun, was führt Sie zu uns, junger Mann?«, fragte der Vater, noch während Gelsenrath sich setzte.

Gelsenrath beobachtete, wie Fräulein Rosalinde ihm Kaffee eingoss, hob den Blick und sagte: »Ich möchte Ihre Tochter ganz herzlich zum Besuch des Salons bei den Kronenbaums am heutigen Abend anhalten. Ich bin überraschend zu einer Einladung gekommen, und ich weiß aus der Vergangenheit um die künstlerischen Talente von Fräulein Rosalinde.«

Die Eltern sahen einander an, als würden sie die Angelegenheit gern unter vier Augen besprechen.

In den Moment der Stille hinein sagte die faltige Frau aus dem Nachbargarten: »Ach ja, das Fräulein vertreibt sich die Zeit mit gar neckischen Zeichnereien. Jung müsste man noch einmal sein …«

Gelsenrath wollte etwas entgegnen, doch er verkniff es sich. Sollte die alte Schachtel die Kunst und den Salon doch als Kinderkram abtun! Je harmloser seine Einladung wirkte, desto besser.

»Wer wird denn an dem Abend noch anwesend sein?«, fragte der Vater.

Die Blicke der vier Herrschaften schüchterten Gelsenrath ein. Jetzt nur kein falsches Wort! »Es handelt sich, soweit ich es einschätzen kann, um eine honorige Gesellschaft. Ich habe meine Einladung vom Herrn Architekten Paul Möbius, bei dem ich in Anstellung bin, erhalten.«

Er merkte, wie gestelzt seine Worte klangen. Das kannte er von Bauarbeitern, die mit Geschwätz ihren Pfusch verbergen wollten. Er fügte schnell hinzu: »Der Ruf der Gastgeber scheint mir über jeden Zweifel erhaben.«

»In der Tat, für einen Liberalen ist der alte Kronenbaum recht zivilisiert«, entgegnete der Vater.

»Aber er hat eine viel jüngere Frau. Eine Tänzerin, wie ich hörte«, sagte die alte Schachtel aus dem Nachbargarten in einem Ton, als rede sie von Sodomie oder einer anderen Sünde.

Fräulein Rosalindes Mutter schaute entsetzt zu Gelsenrath. Doch was sollte er sagen? Dass er auf die junge Dame schon achten würde, wenn er sie in den Leipziger Sündenpfuhl ausführte?

»Ich war mit meinem Verlobten schon zweimal bei den Kronenbaums«, sagte Fräulein Rosalinde. »Frau Kronenbaum habe ich als ganz reizende Gastgeberin kennengelernt. Sie und ihre Gäste haben sich stets in vollendeter Höflichkeit mir gegenüber gezeigt.« Sie schaute ihren Vater an, mit einem Blick, der Gelsenrath vor Neid erschauern ließ. Ihre Stimme klang beinahe wie eine Flöte, als sie hinzufügte: »Allein würde ich natürlich nie zu solch einem Salon gehen. Aber ein Freund und Sportkamerad meines verstorbenen Verlobten könnte eine angemessene Begleitung sein. Meinen Sie nicht, Herr Papa?«

Heute also Wein. Edgar Wank ahnte schon beim zweiten Schluck die Schwere im Kopf am nächsten Morgen. »Aeckerleins Keller« führte gute Tropfen aus der Unstrut-Gegend – das behauptete Thomas Kutscher jedenfalls. Die gutbesuchte Gaststube zeugte davon, dass auch andere Kenner die hier gereichten Schoppen zu schätzen wussten. Wank trank den staubtrockenen Rebensaft dem Freund zuliebe. Einen ordentlichen Humpen Bier hätte er allerdings vorgezogen. Immerhin war es in der Weinstube angenehm ruhig.

»Du meinst, Schöpfs Tod könnte mit der Fußballmeisterschaft zu tun haben?« Kutschers Frage führte Wank zurück zum Thema.

»Nein. Na ja, vielleicht. Um ehrlich zu sein, weiß ich es nicht.« Wank dachte an sein Gespräch mit den VfB-Sportlern. »Immerhin war Schöpf schon eine Weile tot, als das Halbfinale ausgespielt wurde.«

»Warum sind die Mannschaften eigentlich in Leipzig und nicht, wie geplant, in Berlin angetreten?«

»Das konnte mir von den Fußballern keiner sagen. Ich werde deshalb alsbald beim Verband vorstellig werden.«

Kutscher trank einen Schluck Wein und schaute dabei so versonnen, als träume er gerade von einer schönen Frau.

Hoffentlich macht sauer wenigstens lustig, dachte Wank, als er ebenfalls an seinem Getränk nippte.

»Wann hat der VfB das Halbfinale gewonnen?«, fragte Kutscher.

»Erst vor ein paar Tagen. Am 17. Mai.«

»Dann können wir das im Auge behalten. Doch es scheint mir lohnender, den Blick in der Causa Schöpf auf näherliegende Umstände zu lenken.«

Wir? Causa Schöpf? Wank blickte seinen Freund scharf an.

Der verzog keine Miene. »Wir sollten uns diesen Schöpf genauer ansehen. Hatte er Feinde? Schulden? Heimliche Liebschaften?«

»Liebe, Geld, Feindschaft – Thomas, ich bin Reporter und kein Dramatiker!«

»Genau. Dafür hast du mich!« Kutscher hob die Arme zu einer theatralischen Geste.

»Thomas, mein Freund, was soll das werden? Wir beide lösen einen mysteriösen Todesfall?« Wank hob den Zeigefinger und kam sich vor wie ein Pauker. »Du und ich, wir sind keine Pathologen und keine Polizisten. Wir schreiben Worte auf Papier.« Und ich bekomme sogar Geld dafür, fügte er in Gedanken an.

»Du meinst, Worte seien zu wenig? Dabei geht es doch gerade darum, mit den Worten etwas zu bewirken. Ansonsten ergäben sie doch nur Geschwätz.«

Wank winkte ab. »Thomas, im besten Fall erzeuge ich bei meinen Lesern ein wohliges Schauern mit meinen Polizeimeldungen. Und wenn du Glück hast, klatschen die Bürgersleut’, wenn einmal ein Stück von dir auf die Bühne kommt. Das ist unser Los.«

»Dann lass uns durch Worte den Lauf der Dinge ändern!«, sagte Kutscher und hob seinen Schoppen in die Höhe wie eine Trophäe. »Darauf ein Prost!«

Noch einen Schluck von dem Wein, und er brauchte etwas Richtiges zu trinken. Dennoch prostete Wank dem Freund zu.

»Nun mach nicht so ein Gesicht, Edgar! Erst einmal geht es nur darum, ein paar Erkundigungen einzuholen. Ein Todesfall ist doch wie geschaffen für deine Arbeit!«

Wank sah den erwartungsvollen Blick seines Freundes und erwiderte: »Es ist rührend, wie du dich um mich und meine Zeitungsrubrik sorgst. Ich stelle mir nur eine Frage …«

»Aha, da bin ich aber gespannt!«

»Was versprichst du dir von den Recherchen?«

»Ach, Edgar, das ist eine komplizierte Geschichte.« In wenigen Worten fasste Kutscher das Gespräch mit dem Dramaturgen zusammen und den Auftrag, eine Komödie zu verfassen, die unter Sportlern spielte.

So schwer war das auch nicht zu verstehen. Wank entgegnete: »Du sollst für Zeitlitz also wieder einmal ein Stück schreiben. Und dabei kennt er schon vorab ganz genau dessen Inhalt.«

»Mach dich nur lustig über mich, Edgar! Wahrscheinlich habe ich es nicht besser verdient.«

Wank sah den Freund in sich zusammensinken wie ein Sack Mehl.

Kutscher kippte den Rest von seinem Wein hinunter und fuhr fort: »Manchmal wäre ich auch lieber so zielstrebig wie du, mein Freund, und wüsste genau, was zu tun ist. Was bleibt mir denn anderes übrig, als dem alten Zausel nach dem Maul zu schreiben?«

Manchmal wünschte sich Wank, der Freund hätte recht und er würde nicht an seiner Arbeit bei der Leipziger Zeitung zweifeln. »Also gut, Thomas. Ich habe unseren Sportreporter und Hauptwachtmeister Machuntze schon auf Schöpfs Tod aufmerksam gemacht. Am Montag kümmere ich mich um den Deutschen Fußball-Bund. Welche Pläne hast du …«, Wank machte eine Kunstpause und betonte jedes einzelne Wort, »… in dieser Causa?«

»So kenne ich dich, mein Freund!« Kutschers Laune schien im Nu vom Keller auf den Dachboden geklettert zu sein. »Ich horch mich auch mal um.«

»Und wo?«

»Das wird sich schon zeigen. Morgen gehe ich zum Pferderennen. Da sind jede Menge Menschen, die sich für Sport interessieren.« Kutscher betrachtete seinen leeren Schoppen und zog die Uhr aus der Tasche. »Aber heute Abend habe ich noch eine Verabredung. Wie sehen deine Pläne aus?«

»Heute?«

»Na ja … im Grunde jetzt.«

»Jetzt sitze ich in der Weinstube, weil du, mein Freund, mit mir dieses saure Zeug trinken wolltest.«

Kutscher lachte. »Das ist ein Grauburgunder Jahrgang 1900 aus bester Hanglage in Freyburg an der Unstrut.«

»Ein Hopfengebräu aus dem Keller des Hades wäre mir lieber.«

»Nun, dann werde ich für den edlen Wein die Zeche übernehmen.« Kutscher zog seine Geldbörse aus dem Jackett und winkte dem Ober zu, dann schaute er wieder zu Wank. »Ich weiß nicht, ob im Salon Bier gereicht wird, Edgar.«

»In welchem Salon.«

»Bei den Kronenbaums. Ich habe eine Einladung, und wenn du willst, kannst du mitkommen.«

»Nein, Thomas. Ich hatte eine lange Woche.«

»Eleonore Rada weilt ganz sicher unter den Gästen …«

»Ach!« Wank winkte ab. »Ich gehe lieber nach Hause und trinke noch ein Bier.«

»Der Volksmund sagt: Bier auf Wein, das lass sein!«

»Soll er reden! Mir ist nach Ruhe und Bier, mein Freund.«

Im gesamten Hochparterre der Villa Kronenbaum tummelte sich die Gesellschaft. Thomas Kutscher zwängte sich durch die Menschenmenge auf der Suche nach einem bekannten Gesicht. Die Schritte fielen ihm trotz des Muskelkaters leichter als am Morgen. Es schien niemand zu bemerken, dass er etwas langsamer zu Fuß war als sonst. Gelegentlich grüßte jemand, zumeist hatte er die Person schon einmal irgendwo gesehen. Nur wo? Und wann?

Er kämpfte sich durch das Klavierzimmer, in dem eine junge Frau neben dem Pianisten stand und ein Stück von Schumann trällerte, zum Wintergarten. Hier saßen Herrschaften auf Sesseln, rauchten Pfeife und debattierten über die bevorstehenden Wahlen zum Reichstag. Der Raum mit den mannshohen Fenstern hatte in etwa die Größe eines Ballsaals. An der hinteren Stirnseite führte eine Tür zum Garten. Am Fenstersims neben der Türe lehnte Eleonore Rada. In der linken Hand hielt sie eine Zigarette an einem Mundstück von der Länge einer Schreibfeder. Neben ihr stand ein älterer Herr mit wirrem grauem Künstlerschopf und paffte ebenfalls.

Mit einem Klaps an die Innentasche seines Jacketts überprüfte Kutscher, ob er seine Zigaretten bei sich führte. Das Etui steckte am rechten Fleck. Kutscher umkurvte eine Sitzgruppe mit weiteren Zigarrenrauchern. Hier wurden die aktuellen Börsenkurse ausgewertet.

Kutscher trat zur Schauspielerin und deutete einen Handkuss an.

»Das ist mir eine Freude«, zwitscherte die Rada. »Haben Sie ihren charmanten Freund bei sich, mein lieber Thomas?«

Der Grauhaarige grüßte. Er blickte säuerlich, als hätte er in eine Zitrone gebissen. Die Rada stellte ihn als Herrn Genzel oder Frenzel vor und nannte auch Kutschers Namen.

Nach einer Verbeugung sagte Kutscher zur Rada: »Leider ist mein Freund nicht hier. Dem Herrn war nicht nach einer derart großen Gesellschaft.«

»Ach, das ist ein Jammer!«

Kutscher zog das Etui aus der Tasche und nahm eine Zigarette heraus. »Ich richte ihm gern aus, dass Sie sich nach ihm erkundigt haben.«

»Bitte, tun Sie das!«

»Herzlich gern.« Er zündete die Zigarette mit einem Streichholz an und sah dem Rauchkringel hinterher.

»Ich hörte, Sie arbeiten an einem neuen Stück«, sagte die Rada. »Sie werden doch eine Rolle für mich vorsehen?«

»Ich werde eine Herzensbrecherin in das Spiel einarbeiten.«

»Sie sind mir einer!« Die Rada legte ihre Hand auf Kutschers Arm und lächelte kokett.

Kein Wunder, dass der arme Edgar der Frau verfallen ist, dachte Kutscher und rauchte.

Die Terrassentür ging auf. Zwei Damen im Abendkleid traten ins Innere. Ihnen folgte Anton »Tony« Rübele. Der junge Mann wirkte mit seinem leichten Sommersakko etwas deplatziert in der feinen Salongesellschaft. Der Hospitant am Alten Theater trat herbei und verbeugte sich.

»Fräulein Rada, desch isch ja eine Überraschung! Die schönschte Schauspielerin von dem Alten Theater isch hier und net auf der Bühne.«

»Morgen wieder, Herr Rübele, morgen.« Die Rada strahlte wie die Sonne. Mit einer eleganten Bewegung löschte sie ihre Zigarette.

Rübele wandte sich Kutscher zu. »Und der Tommy. Desch halbe Theater isch hier.«

Kutscher deutete eine Verbeugung an und blies einen Rauchkringel in die Luft.

Der Grauhaarige trat vom Fenster und mischte sich in den Austausch von Komplimenten ein. »Liebes Fräulein Rada, ich begebe mich noch einmal in den Lesesalon. Würden Sie mich begleiten?«

»Aber mit dem größten Vergnügen!« Die Rada warf Kutscher und Rübele eine Kusshand zu. »Sie entschuldigen mich, meine Herren. Wir sehen uns am Theater.«

Der Grauschopf bot der Rada den Arm, und die beiden bahnten sich ihren Weg durch den Wintergarten.

»Was für ’ne Frau!«, seufzte Rübele.

Nicht deine Kragenweite, kommentierte Kutscher in Gedanken, sagte aber nichts.

Rübele guckte der Rada noch ein paar Augenblicke hinterher. Kutscher schaute ihr ebenfalls nach. Der Gang der Dame betonte ihre Kurven in dem ohnehin schon engen Kleid noch zusätzlich. Kutscher überlegte, ob er dem jungen Mann deutlich machen sollte, dass ein derartiger Anblick für seinen Freund Wank reserviert war.

Doch Rübele kam ihm zuvor. »Komm doch mit in den Garten, Tommy. Isch muss dir wen vorstellen.« Er strich sein Sommersakko glatt, öffnete die Tür und wies nach draußen.

Kutscher zuckte mit den Schultern und trottete ins Freie. Im Garten wehte ein frischer Wind durch die Bäume. Das Laub raschelte so sanft, als wolle es flüstern.

»Komm, wir müschten die Herrschaften hinter dem Teisch finden.« Rübele schritt über einen Kiesweg zwischen mehreren Obstbäumen hindurch.

Sie erreichten den Teich. Ein Bächlein mündete in das Gewässer. Hier sah es aus, als hätte ein Bühnenbildner ein Modell von einem Dorf gebaut. Zwischen ein paar Sträuchern stand ein Tisch mit einer Kerzenkomposition, die flackerndes Licht auf eine Gruppe von Menschen warf. Zwei Herren im besten Alter verabschiedeten sich augenscheinlich gerade von einer jungen Frau in Begleitung eines dürren Burschen. Der ältere der beiden Herren trug einen angegrauten Voll-, der andere einen buschigen Schnurrbart.

»Das sind Max Klinger und Paul Möbius«, zischte Kutscher.

»Die kenn isch net«, entgegnete Rübele ebenso leise.

Die beiden Alten kamen ihnen entgegen. Kutscher grüßte mit einer tiefen Verbeugung. Die Männer zogen ihre Hüte, setzten ihren Weg zur Villa fort und widmeten sich wieder ihrer Konversation. Soweit Kutscher es verstand, erzählte Klinger von seiner Villa im Naumburger Land.

»Darf isch Ihnen meinen Sportkameraden Tommy Kutscher vorstellen?«, rief Rübele auf den letzten Metern zu der jungen Dame und dem Burschen. Das Fräulein trug ein Kleid in tiefem Schwarz. Der Bursche zog seine Melone, ein paar Haarsträhnen fielen in seine Stirn.

»Sehr erfreut! Meine reizende Begleitung ist Fräulein Fritzschmann«, sagte der junge Mann und reichte Kutscher die Hand. »Und ich heiße Willibald Gelsenrath. Sie betreiben auch den Fußballsport?«

»Erst seit jüngstem«, antwortete Kutscher.

»Willi geht unserem Sport beim Verein für Bewegungsspiele nach«, erklärte Rübele.

»Beim amtierenden Mitteldeutschen Meister?«, rief Kutscher. »Das ist ja interessant.«

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Litres'teki yayın tarihi:
23 aralık 2023
Hacim:
232 s. 4 illüstrasyon
ISBN:
9783955522209
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