Kitabı oku: «Mit den Normannen nach England», sayfa 2
Kluge Entscheidung eines „einfältigen“ Königs
Und eben dieser Rollo willigt ein, sein Wort zu verpfänden für eine Abmachung die ihm zweifellos eine drastische Veränderung seiner Lebensweise auferlegt: Er nimmt es auf sich, sesshaft zu werden und einen Herren über sich anzuerkennen – zumindest nominell, auch wenn er möglicherweise ein paar geheime Vorbehalte hat. Er verpflichtet sich, Frieden zu halten. Und – dies nicht zuletzt: Rollo erklärt sich bereit, die christliche Taufe anzunehmen! Er schwört also seinen Göttern und Gewohnheiten ab. Diese Fakten scheinen festzustehen, wenn auch die ganze Geschichte dieses Vertrages in einer eher legendenhaften Form auf uns gekommen ist. Ein Wolf wird fromm? Was sind seine Gründe?
Nun ganz klar sehen wir das nicht. Rollo hat offenbar im Frühling des Jahres 911 einen größer angelegten Raubzug durch westfränkisches Gebiet unternommen und er kommandierte keineswegs eine zufällig zusammengestoppelte Räuberbande, sondern eine Truppe, die man wohl als ein Heer bezeichnen darf. Auch früher schon hatten sich ja Wikingertrupps zu stattlichen Armeen vereinigt, beispielsweise, wenn es darum ging, selbst größere Städte zu belagern. Hier und da ist es sogar zu Ansiedlungen auf dem Kontinent gekommen.
Nun ist Rollos Streitmacht bis in die Gegend von Chartres vorgedrungen, und plötzlich wendet sich das Blatt. Der Vorstoß ist, wie eine Überlieferung sagt, wider Erwarten ungünstig verlaufen. Eine Niederlage für die Sieggewohnten? Muss Rollo gegen seinen Willen zurückstecken? Oder ist ihm selbst bewusst geworden, dass er umdenken müsse? Jedenfalls: Es kommt zu Verhandlungen. Und die Position, die Rollos Gegner einnehmen, muss wohl wiederum als überraschend bezeichnet werden.
Um die Situation zu verstehen, muss man kurz einen Blick auf die politischen Verhältnisse im damaligen westfränkischen Reich werfen. Die Zeiten des fest gefügten und klar strukturierten Imperiums Kaiser Karls, den wir als den Großen ehren, sind längst vergangen. Nach dem Tod dieses Herrschers im Jahr 814 ist das Reich geteilt worden und im zunehmend wirren Kräftespiel der späten Karolingerzeit entbrennen immer wieder Machtkämpfe um die Nachfolge. So geschieht es im späten 9. Jh., dass Karl III. (geb. 879, gest. 929) auf den westfränkischen Thron gelangt. Bereits 893 wird er zum König erhoben, aber erst 898 allgemein anerkannt. Er verkörpert das Ende der berühmten Herrscherlinie, die sich vom großen Karl herleitet. Sein Beiname („Simplex“) wird meist als „der Einfältige“ übersetzt, das Wort kann aber auch „schlicht“ oder „gradlinig“ bedeuten. Man möchte vermuten: Ein Beispiel dafür, wie wenig in der Politik – und ebenso in der Geschichtsschreibung – unauffällige Qualitäten von der eigenen Zeit und von der Nachwelt honoriert werden. Nur allzu oft gehört die Neigung der Völker und auch der Historiker den „großen Taten“, den „großen Tätern“ und den „großen Reichen“.
Eine Position herrscherlicher Stärke hat König Karl wirklich nicht behaupten können, wenn auch unter seiner Regierung die Zusammenführung seines Gebietes mit dem alten lotharingischen Teilreich gelungen ist. Und darüber hinaus kommt zumindest jene eine politische Entscheidung zustande, die allem Anschein nach eine wichtige stabilisierende Wirkung mit sich gebracht und die in jedem Fall weitreichende Folgen gehabt hat: Damit sind wir bei der oben erwähnten Einigung des Jahres 911 mit dem Wikingerführer Rollo. Und was diesem angeboten wird, ist nicht wenig, sodass er, offenbar rasch entschlossen, zugegriffen hat. Es mag ja tatsächlich sein, dass sich zu jener Zeit für jeden, der sehen kann, abzuzeichnen beginnt, dass die Epoche zu Ende geht, in der die Wikinger mit ungebundener Stärke tun und lassen konnten, was ihnen beliebte. Ob sich denn also der „War Lord“ Rollo dessen bewusst geworden ist?
In dem Abkommen, das unter König Karl mit ihm getroffen wird, erhält der Wikinger nichts Geringeres als die Herrschaft über das Gebiet um Rouen am Unterlauf der Seine; es wird auch als „Grafschaft Rouen“ bezeichnet. Mit dem Lehens-Vertrag ist ein Verhältnis gegenseitiger Verpflichtung begründet: Der Empfangende bekommt ein Territorium zu Beherrschung und Nutzung übertragen, dafür schuldet er dem Geber Gefolgschaftstreue und meist noch eine Reihe weiterer, näher festzulegender Leistungen. In diesem Fall dürfte die Absicht des Königs vor allem gewesen sein, endgültig jene Unruhe zu beenden, die mit den räuberischen Zügen der Wikinger verbunden war, denn Rollo hat nun die Aufgabe – und auch seinerseits ein fundiertes Interesse – weitere beutelustige Eindringlinge fernzuhalten. Diese Rechnung ist offenbar aufgegangen. So begeben sich die Nachkommen der wilden Raubgesellen förmlich in den Staatsverband des westfränkischen Königreichs, sind fortan eingebunden, werden sesshaft und zeigen, wie es scheint, auch sonst eine grundlegend veränderte Haltung. Die wilde Zeit des wikingischen Übermutes ist offiziell vorüber. Allerdings: Ein paar Züge des früheren Wesens gehen keineswegs verloren, wie wir noch zur Genüge sehen werden.
Rollo begründet eine Dynastie (die „Rolloniden“), aus der auch Wilhelm „der Eroberer“ hervorgehen wird. Die Männer, die sich mit ihrem früheren „Räuberhauptmann“ an der Küste des Ärmelkanals niederlassen, sind, wie man durch Namensforschung ergründet hat, zum großen Teil aus Dänemark gekommen, einige aber wohl auch aus Norwegen, unter diesen ist anscheinend Rollo selbst. Die vorherige Oberschicht des zugeteilten Gebietes wird offenbar durch die neuen Herren ersetzt. Die Frauen, mit denen die „Siedler“ Familien gründen, dürften sie zumeist aus der „bodenständigen“ Bevölkerung genommen haben, die man als gallisch-römisch-fränkisch bezeichnen kann. So kommen recht unterschiedliche Erbanlagen zusammen und diese haben einen neuen, wie wir sehen werden, äußerst „lebenstüchtigen“ Volkscharakter hervorgebracht.
Der Schritt zum Vasallenstatus dürfte Rollo umso leichter gefallen sein, als ihm seine neue Position – typisch für die Machtstrukturen, in die er sich hinein begeben hat – viele Freiheiten, ja in mancher Hinsicht einen fast unabhängigen Zustand belässt. So kann sich später auf dieser Basis das Herzogtum der Normandie entwickeln, während aus dem Königreich Karls III. jenes Staatsgebilde hervorgeht, das wir nun – ungefähr von jener Zeit an – mit dem Namen „Frankreich“ bezeichnen: Bald eine der großen Monarchien des mittelalterlichen Abendlandes! Karl III. allerdings wird ein Opfer neuer Machtkämpfe. Verdrängt und abgesetzt beendet dieser Spross des karolingischen Herrscherhauses seine Tage hinter Kerkermauern.
Herzöge aus dem Haus der „Rolloniden“
Bei dieser Liste handelt es sich um eine Erbfolge vom Vater auf den Sohn, ausgenommen bei Robert I. und Heinrich I. (Brüder) und Stephan (Neffe des Vorgängers).
Rollo (Hrólf), reg. 911 – 931/32
erhält das Land um Rouen vom westfränkischen König Karl III.
Wilhelm I. „Langaspjót“ (Langschwert), reg. 931/32 – 942
Richard I. „Sans-Peur“ (der Furchtlose), reg. 942 – 996
nimmt Partei für das Königshaus der Kapetinger.
Richard II. „le Bon“ (der Gute), reg. 996 – 1026
Richard III., reg. 1026 – 1027
Robert I. „le Magnifique“ (der Prächtige), reg. 1027 – 1035
hinterlässt bei seinem Tod das Herzogtum seinem unehelichen und unmündigen Sohn Wilhelm.
Wilhelm II. „le Bâtard“ (der Bastard) / „le Conquérant“ (der Eroberer), reg. 1035 – 1087 kann nach schweren Kämpfen seine Herrschaft im Herzogtum konsolidieren, 1066 auch König von England. Von nun an wird grundsätzlich (d. h. mit Ausnahmen) die Normandie in Personalunion mit dem Inselreich regiert. (Wilhelms „Porträt“ auf S. 43 ff.)
Robert II. „Courteheuse“ (Kurzhose), reg. 1087 – 1106
ist gleich die erste Ausnahme: Der älteste Sohn Wilhelms „des Eroberers“, Rebell gegen seinen Vater, bleibt (zugunsten von Wilhelm II. „Rufus“) von der englischen Thronfolge ausgeschlossen, wird aber Herzog der Normandie; unterliegt 1106 im Kampf um die Krone von England seinem Bruder Heinrich I.
Heinrich I. „Beauclerc“ (etwa: „Schöngeist“ – wegen seiner Gelehrsamkeit), reg. 1106 – 1135 stellt die von Wilhelm „dem Eroberer“ begründete Personalunion wieder her. Von hier an betrachten wir die Herrschaft der Normandie im Rahmen der englischen Erbfolge (S. 116f.).
Wenn Abenteurer sesshaft werden
Es gibt „Hohe Herren“, mit denen schwer umzugehen ist, aber dasselbe kann auch für Gefolgsleute gelten. Die Entwicklung der Normandie unter Rollo und seinen Nachfolgern vollzieht sich, so könnte man sagen, in lockerer Anbindung an die Krone von Frankreich. Nominell sind die Fürsten der Rollo-Dynastie als Lehensträger von ihrem König abhängig, aber in der Praxis lassen sie sich nicht gern Vorschriften machen. Ab wann sie eigentlich offiziell den Titel Herzöge führen, ist übrigens nicht klar. Für ihren Begründer selbst und seinen Sohn ist das offenbar noch nicht der Fall, obwohl spätere Chronisten im Rückblick die Bezeichnung anwenden. Richard I. erscheint in Urkunden als Graf, Markgraf und Fürst der Wikinger, aber auch bereits als „Dux“ (Herzog). Für Richard II. scheint dieser Titel dann bereits üblich zu sein (1006). Die Kanzlei der französischen Könige zieht es freilich noch lange vor, in offiziellen Urkunden bei der Bezeichnung „Graf “ zu bleiben.
Was Regierungsform und Lebensführung angeht, sollten wir uns nicht vorstellen, dass die neu angesiedelten Wikinger augenblicklich ihren Charakter gewechselt hätten. Aus der Zeit von Richard „Langschwert“ hört man sogar noch von Raubzügen. Andererseits beginnt wohl recht bald ein Prozess der „Frankisierung“. Das drückt sich vor allem darin aus, dass die Normannen sich innerhalb weniger Generationen alles das aneignen, was ihnen an französischer Kultur in den Kram passt; vor allem wechseln sie zur französischen Sprache, sodass sie wohl im Jahr 1066 von vielen Angelsachsen als Franzosen bezeichnet und in jedem Fall als solche angesehen werden. Dabei scheint es immer wieder neue Wellen der Einwanderung gegeben zu haben, indem weitere Siedlergruppen aus dem Bereich Skandinaviens oder auch „Nordleute“, die in England oder anderswo sesshaft geworden sind, in das aufstrebende neue Herzogtum nachkommen und „assimiliert“ werden.
Expansionsgelüste
Eine Eigenschaft hat die Normannen – bei diesem Namen, der sie von der wikingischen Herkunft abgrenzt, wollen wir von nun an bleiben – ganz zweifellos für lange Zeit zu „schwierigen“ Nachbarn gemacht; man könnte sie als eine Form von „Ellenbogenmentalität“ bezeichnen. Sie streben danach, sich eine Position der Stärke aufzubauen, und diese nutzen sie gerne aus, wenn sich ihnen die Gelegenheit bietet, Druck auf andere auszuüben und ihren eigenen Machtbereich zu erweitern. Kurz gesagt: Die Normannen erweisen sich als unbarmherzige „Expansionisten“ mit starkem Angriffsgeist (Abb. 5). Das ihnen ursprünglich zugewiesene Territorium in der Gegend von Rouen ist verhältnismäßig klein, ja bescheiden. Aber es ist nicht normannische Art, sich mit solchen Gegebenheiten zufrieden zu geben. So kommen Schritt für Schritt weitere Territorien hinzu. Die „Haute Normandie“ (Obere Normandie) wird um das Gebiet der „Basse Normandie“ (Untere Normandie) erweitert. Zwei Bereiche, zwischen denen es zeitweise zu beträchtlichen Spannungen kommt. Im Einzelnen handelt es sich u. a. um das Bessin (die Gegend um Bayeux) im Jahr 924 und das Hiémois (die Gegend um Falaise) 933. Das ist bereits unter Wilhelm I. Fakt. Außerdem kommen zu diesem Gebiet das Cotentin (die Gegend um Coutances) und das Avranchin (die Gegend um Avranches). Einerseits geht es bei dieser Politik um eine Machtprobe gegenüber Frankreich und andererseits müssen die neuen „Nachzügler“ aus Skandinavien integriert werden. Wilhelm I. gelingt dieses letztere Kunststück durch Heirat mit Gunnor, der Tochter eines norwegischen Fürsten. Der Schachzug erweist sich als so wirksam, dass R. A. Brown von einer „zweiten Gründung des zukünftigen Herzogtums“ sprechen kann.3 Die aggressive Außenpolitik der Rolloniden erinnert an das Vorgehen, das im 20. Jh. als „Salami-Taktik“ charakterisiert worden ist: ein Stück nach dem anderen. Diese Linie lässt sich bis zu Wilhelm „dem Eroberer“ verfolgen, der in den Jahren 1051/1052 Alençon, Domfront und das Passais hinzugewinnt. Aber so weit sind wir an dieser Stelle noch nicht.
Auch im Inneren ist das Herzogtum – auch hier wollen wir von nun an bei dieser Bezeichnung bleiben – durchaus nicht ohne Spannungen. Es gibt Gruppenbildung und Rangfolgekämpfe, die stets im Auge behalten werden müssen, wenn die Regierungsautorität sich behaupten soll. Auch hierfür wird die Zeit Wilhelms „des Eroberers“ typisch sein, besonders in den ersten Jahren, der Phase seiner Unmündigkeit.
Abb. 5
Kampfeslustige Expansionisten? Normannischer Ritter im Angriff.
Ein straffes Regiment
Der Machtapparat der Herzöge setzt sich durch und es bildet sich in der Normandie trotz mancher Gegenkräfte und Irritationen eine feste und straf organisierte Herrschafts- und Gesellschaftsstruktur. Die entscheidenden Faktoren dieser Entwicklung finden sich am treffendsten bei Brown zusammengefasst, dessen Studien ich in dieser Hinsicht nach wie vor für wegweisend halte. Dominierend sind zwei Gruppen, auf die sich das Herzogtum stützt: die Kirche und der Adel, beide drastisch abgesetzt gegen „das Volk“, welches in erster Linie aus Bauern und erst ansatzweise aus städtischem Bürgertum besteht. Diese Voraussetzungen sind in der Lebenswelt des Mittelalters so gut wie selbstverständlich. Dennoch gibt es in der Normandie ein paar Züge des Systems, die besondere Erwähnung verdienen. Da ist beispielsweise die ausgesprochen enge und deutlich zweckgerichtete Verbindung von Politik und Religion, die sich gleich in mehreren Formen zeigt: Förderung von Klöstern und anderen kirchlichen Institutionen durch das Herzogshaus gehört dazu, ebenso wie stabile familiäre Verknüpfungen und die hervorgehobene Rolle einzelner Personen aus dem Klerus bei Hofe, schließlich auch die Bedeutung, die man den Kontakten zum Papsttum zumisst. Bei solchen Voraussetzungen ist es nicht verwunderlich, dass die zentrale Dominanz kirchlicher Belange umgekehrt auch zur Instrumentalisierung der Geistlichkeit und ihrer Wirkungsmacht führt, indem religiöse Prinzipien und Strukturen ohne Bedenken benutzt werden, um politische Ziele zu erreichen. Denken wir nur an die Bedeutung, welche Wilhelm „der Eroberer“ einer päpstlichen Parteinahme im Konflikt um die englische Krone beimessen wird (S. 57)! Und dann: Wie klar gerade dieser Herzog den Zusammenhang zwischen geistlichen Stiftungen und der Erreichung persönlicher Ziele vor Augen hat, zeigt das Vorgehen bei der Kontroverse um seine (nicht zuletzt politisch motivierte) Eheschließung (S. 46). Übrigens: Einer der wichtigsten Historiographen, die uns Berichte über die Ereignisse von 1066 liefern, ist zugleich Geistlicher am Herzogshof. Die Formulierung von Ansprüchen ebenso wie die Selbstdarstellung des Herrschers sowohl für die eigene Zeit als auch für die Nachwelt sind auf diese Weise klar in das Netz klerikaler Verbindungen eingebettet.
Und schließlich darf in diesem Zusammenhang ein weiterer Gesichtspunkt keinesfalls unterschätzt werden, mit dem wir uns noch befassen müssen: Die neuen Entwicklungen in der sakralen Baukunst (S. 111), die aus der Normandie wichtige Impulse erhalten, unterstreichen deutlich sichtbar, mit welchem Nachdruck im Herzogtum Wilhelms „des Eroberers“ und später auch in seinem Königreich die religiöse Sphäre mit dem herrscherlichen Handeln bzw. mit dem Verwaltungsapparat und dadurch mit allen gesellschaftlichen und kulturellen Lebensbedingungen verbunden ist.
Den zweiten Pfeiler herzoglicher Macht bildet – auch dies keineswegs überraschend – die Aristokratie. Diese Führungsschicht ritterlicher Prägung beansprucht in der Normandie traditionell gewisse Freiheiten. In den entscheidenden Punkten und vor allem bei der Gefolgschaftstreue im Krieg zeigt sich aber eine grundsätzliche Loyalität des Adels zum Herzogshaus. Das verhindert freilich nicht, dass es immer wieder zu Rivalitäten und Positionskämpfen, zu Aufbegehren und sogar zu tatsächlichen Rebellionen käme. Auch in dieser Hinsicht werden wir gerade an der Lebensgeschichte Wilhelms des Eroberers und ganz besonders bei Betrachtung seiner frühen Jahre ein drastisches Bild zu sehen bekommen (S. 44). Die Herren geben nicht gerne den eigenen Willen und die eigenen Ambitionen auf. Dennoch: Als es darauf ankommt, stehen sie ihrem Herzog zu Gebot und dieser versteht es, ihnen klar zu machen, dass er ihnen den Weg zu Beute, Ruhm und Aufstieg bietet.
Was ist „Normannitas“?
Gewiss, es ist ein heikles Unterfangen, wenn man so etwas wie einen Volks- oder Nationalcharakter postulieren will. Allzu viel Wunschdenken, Klischeehaftigkeit und Parteinahme treten bei solchen Versuchen zutage. Dennoch gibt es bisweilen Wesenszüge, die so wesentlich zu sein scheinen, dass sie aufs Ganze gesehen als typisch gelten können. Im Falle der Normannen werden einige solcher Eigenschaften immer wieder genannt und nicht selten sogar für die Grundlage ihrer unbestreitbaren Erfolge gehalten. So kommt der Begriff „Normannitas“ zu Stande, welcher gleichwohl problematisch bleibt und sicher manchen Beobachter zu dem Stoßseufzer veranlasst, das Phänomen sei wohl vorhanden, aber leider schwer zu fassen. Lassen wir einmal ein paar jener Wesenszüge Revue passieren, die in diesem Zusammenhang erwähnt werden: Zielstrebigkeit und Willenskraft gehören dazu. In positiver Auslegung heißt das dann: Energie oder Durchsetzungskraft; negativ ausgedrückt nennt es sich eher: Rücksichtslosigkeit und Gewaltbereitschaft. Was ein Normanne sich in den Kopf gesetzt hat, so empfindet es die Umwelt, das lässt er sich nicht ausreden, und wenn man mit ihm in einen Interessenkonflikt gerät, tut man gut daran, wirksam gerüstet zu sein. Gleich noch ein paar Gemeinplätze? Normannen, so scheint es, lassen sich eher als andere auf gewagte Unternehmungen ein, nicht zuletzt aus großem Selbstvertrauen bzw. wegen der hohen Meinung, die sie von ihrer eigenen Stärke haben. Man kann das Kühnheit nennen oder auch für blinden Wagemut halten. Jedenfalls ist es eine Eigenschaft, die oft zu erstaunlichen Leistungen führt, andererseits aber auch in einer Katastrophe enden kann. Sodann wird diesem Menschenschlag eine gewisse nüchtern abwägende und durchaus pragmatische Unvoreingenommenheit nachgesagt, ein kühl kalkulierender und illusionsloser Verstand; eine solche Haltung macht die Entscheidung für unkonventionelle Lösungen leichter und ermöglicht zielbewusst zupackendes Handeln. Dazu kommt auch die Fähigkeit, günstige Gelegenheiten rasch zu erkennen und abzusehen, welche Möglichkeiten sie bieten, ebenso wie die Geistesgegenwart und Entschlusskraft, eine solche Gelegenheit unverzüglich wahrzunehmen. Das Ergebnis solcher Verhaltensweisen verursacht bei anderen manchmal Staunen oder Verblüffung. In der Terminologie der klassischen Emblematik heißt das: „Fortuna (das Glück) ergreift Occasio (die Gelegenheit)“. Oder als populäre Redensart: „Das Glück hilt dem Tüchtigen“. Keine Frage, dass man sich durch solche Eigenschaften bei Konkurrenten nicht gerade beliebt macht!
Ist all das zusammengenommen „Normannitas“? Vielleicht. Etwas Neid mag bei solcher Einschätzung auch mit im Spiel sein. Und wohl auch ein gewisses Quantum durchaus angebrachter Vorsicht …
Aufbruch zu neuen Ufern
Nach einigen Generationen Sesshaftigkeit auf fränkischem Boden hat sich die normannische Herrschaft im Norden Frankreichs weit genug gefestigt, dass dem Land echte Heimatgefühle entgegengebracht werden. Die Normannen haben sich akklimatisiert, obwohl es auch weiterhin sowohl zu inneren als auch zu äußeren Spannungen kommt, und sie sind so entschieden mit der Sprache und den Lebensbedingungen des Königreichs verwachsen, dass es gelegentlich heißt, sie seien „französischer als die Franzosen“.
Dennoch lebt in manchen von ihnen immer noch etwas von der Unruhe und vom Wandertrieb früherer Zeiten. So kommt es wohl, dass einige von ihnen aufs Neue von Unternehmungslust gepackt werden und sich in der Welt umschauen, ob es nicht neue Gelegenheiten gebe – für ungeahnte Perspektiven und große Taten.
So reit fast in derselben Zeit wie der Plan zur Eroberung Englands auch eine andere Idee, deren Kühnheit, ja Waghalsigkeit man als „typisch normannisch“ bezeichnen mag. Die Chance zu einem neuen „großen Wurf “ bietet sich im Mittelmeer: Der Süden Italiens steht unter dem Einfluss des Byzantinischen Kaiserreichs, das aus dem östlichen Teil des römischen Imperiums hervorgegangen ist; sein Zentrum in der alten Kapitale Konstantinopel („Ostrom“) hat und einen großen Teil des Mittelmeers beherrscht. Dieses Reich ist griechisch-orthodoxen Glaubens. Die große Insel Sizilien ist weitgehend in Hand der muslimischen Mauren, die sich auch auf dem Festland Italiens festgesetzt haben. Beide Mächte, Mauren und Byzantiner, bedrängen die Stellung von Rom und der Papst sowie auch die deutschen Kaiser sehen sich durch diese Gegner herausgefordert. Außerdem sind die ursprünglich germanischen und später vor allem im Norden Italiens verwurzelten Langobarden (Lombarden) auch im Süden sesshaft geworden. So ergibt sich im „Mezzogiorno“ ein unübersichtliches Mächtespiel mit wechselnden Positionen, das auch für weitere Teilnehmer günstige Aussichten bietet. Für unternehmungslustige und durchsetzungsfähige Streiter ein höchst verlockendes Betätigungsfeld!
So kommt es, dass erst eine kleine Gruppe und bald schon eine größere Anzahl normannischer Ritter den Entschluss fasst, sich dem „Schauplatz Mittelmeer“ zuzuwenden. Besonders ist es die Adelsfamilie des Tankred von Hauteville von der Halbinsel Cotentin, die sich bei diesem Unternehmen hervortut, aber sie steht mit ihren Ambitionen keineswegs allein. Es wird sich in diesem Bereich eine für das ganze Abendland bedeutsame Entwicklung ergeben. Bestimmt wird sie von hoch aktiven normannischen Kämpfernaturen wie Robert „Guiskard“ (um 1015 – 1085) und Roger (1031 – 1101), zweien der Söhne des Tankred von Hauteville; der eine steigt zum Herzog von Apulien und Kalabrien auf, der andere erringt sogar die Herrschaft über Sizilien. So wird es zur Gründung eines normannisch-sizilianischen Königreiches kommen, das vor allem unter Roger II. (1095 – 1154) eine Zeit kultureller Blüte erlebt und wo sich eine ungewöhnliche religiös-gesellschaftliche Koexistenz von Christen, Juden und Muslimen entwickelt. Noch weiter ausgreifen wird Bohemund von Tarent (1051/52 – 1111), auch er aus dem Geschlecht derer von Hauteville, der 1096 als einer der Anführer des Ersten Kreuzzugs hervortritt und 1098 zum Fürsten von Antiochia im Vorderen Orient aufsteigt. Schließlich entsteht auf der Grundlage des normannischen Königreichs Sizilien und seiner Verbindung zum deutschen Reich die weit gespannte Herrschaft Kaiser Friedrichs II., der nicht nur durch seinen Vater Heinrich VI. von staufischer, sondern durch seine Mutter Konstanze von Sizilien auch von normannischer Abstammung ist. Aber – wie heißt es doch? – Das ist eine andere Geschichte …
„Gute Gründe, über den Kanal zu blicken, kamen zu den natürlichen Bestrebungen kriegerischer Männer hinzu.“
Winston S. Churchill4