Kitabı oku: «Incels», sayfa 2
Let’s embrace the Memetic Warfare:
Die Rolle von Memes innerhalb der Incel-Community
Die Alt-Right, zu deren Auswüchsen die Incels gezählt werden müssen, ist eine onlinebasierte (Sub-)Kultur, die es sich selbst zur Aufgabe gemacht hat, mittels einer »Memetic Warfare« online eine Diskurshoheit zu erreichen und diese im besten Falle in eine Welt abseits obskurer Imageboards zu tragen – was ihr durchaus gelungen ist. 4chan-Trolle und rechte Reddit-User bildeten das Fußvolk von Donald Trumps Online-Armada, und mit Richard Spencer und Milo Yiannopoulos waren führende Figuren der Alt-Right Teil des engen Beraterstabs des US-amerikanischen Präsidenten. Es existieren zahlreiche Memes, die Donald Trump als oder mit »Pepe the Frog«, einem Maskottchen der Alt-Right, abbilden. Auch Donald Trump hatte auf Twitter ein (inzwischen gelöschtes) Meme von sich als Pepe geteilt9, sein Sohn Donald Trump Jr. tat es ihm einige Zeit später auf dem Fotoportal Instagram gleich.10 Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass Pepe the Frog nie als rechtes Symbol intendiert, sondern die Figur eines Webcomics war. Seinen Schöpfer, Matt Furie, frustrierte die Verwendung seiner Figur in rechten Kontexten so sehr, dass er die Figur Pepe im Webcomic sterben ließ und letztendlich die rechtsradikale Plattform InfoWars wegen der unrechtmäßigen Verwendung von »Pepe« erfolgreich auf 15.000 Dollar verklagte.
Der Begriff »Meme« hat seinen Ursprung in dem von Richard Dawkins 1976 veröffentlichten Buch Das egoistische Gen und beschreibt einen kulturellen Code, der sich, einem Gen ähnlich, entwickelt, verbreitet und auch verändert. Inzwischen wird der Begriff »Meme« weitestgehend mit Internetphänomenen assoziiert. Die Kulturwissenschaftlerin Limor Shifman beschreibt ein Meme als »(a) eine Gruppe digitaler Begriffe, die gemeinsame Charakteristika in Inhalt, Form, und/oder Standpunkt teilen, die (b) im Gewahrsein auf andere Memes geschaffen wurden, und die (c) im Internet von vielen User*innen verbreitet, imitiert oder transformiert wurden.«11 Wir alle kennen und teilen Memes; sie sind zu einem integralen Bestandteil der modernen Kommunikation geworden, zu einem Code, der mittels eines Bildes über das Bild hinausgehende Inhalte und Botschaften vermitteln kann.
Neben ihrer alltäglichen Verwendung sind sie auch ein Mittel politischer Auseinandersetzung und spielen für die Alt-Right eine besondere Rolle. Bereits 2015 forderte der Trump nahestehende Strategieberater Jeff Giesea in der NATO-Publikation It’s time to embrace memetic warfare, Memes als politisches Mittel zu erkennen.12 Der Politikwissenschaftler Morris Kolman analysiert in seiner großartig mit I have no mouth but I must meme betitelten Studie, dass Memes, um eine gewisse Popularität zu erreichen und Klicks für ihre Seiten zu generieren, schnell verständlich, schnell teilbar und populär sein müssen. Politische Memes sind in sich geschlossene Botschaften und wesentlich einfacher zu rezipieren als etwas lästig Komplexes und von Widersprüchen Durchzogenes wie kritische Gesellschaftstheorie, die im schlimmsten Falle auch noch die Auseinandersetzung mit der eigenen Position innerhalb herrschender Verhältnisse verlangt. Memes werden in der Regel in einer politischen Echokammer konsumiert. Man kann sich mit den Inhalten und dem Netzwerk, auf dem das Meme gepostet wurde, identifizieren, und bekommt durch das Teilen des Memes vermittelt, man würde sich mit politischen Inhalten befassen oder gar politische oder theoretische Arbeit leisten.13
Gleichzeitig funktionieren Memes, gerade in einem Umfeld, das die eigene Klandestinität zelebriert, als eine Art »Erkennungszeichen«. Wer die obskuren Memes kennt, ist Teil einer »In-Group«. Nicht selten wird auf Boards wie 4chan, dem Ursprungsort zahlreicher Memes, darüber lamentiert, wenn die neueste Kreation von »Normies« entdeckt und adaptiert wurde. Die Alt-Right und White Supremacists schaffen immer wieder neue Memes, mit denen die Öffentlichkeit irritiert und vorgeführt werden soll. Ein Beispiel ist das »White Power«-Zeichen, das 2019 von der Anti Defamation League in die Liste der Hasssymbole aufgenommen wurde. Es ist das »Okay«-Handzeichen: Daumen und Zeigefinger bilden einen Kreis, die anderen drei Finger sind abgespreizt. Rechte haben es als Symbol adaptiert und posieren auf Fotos und Videos damit, um sich anderen »Eingeweihten« zu erkennen zu geben und so den Eindruck eines konspirativen Kollektivs zu erwecken. Memes (nicht nur) in Alt-Right-Kontexten haben also dreierlei Funktionen:
1.Das Vermitteln von auf den ersten Blick widerspruchsfreien, oberflächlichen Inhalten, denen jedoch eine tiefere ideologische Bedeutungsebene innewohnen kann, die nur Eingeweihten vorbehalten ist.
2.Die Identifikation der rezipierenden Person mit diesen Inhalten.
3.Das Schaffen eines Kollektivs, das sich mit dem Inhalt des Memes identifiziert und sich so von anderen abgrenzen kann.
Es verhält sich mit Memes also ähnlich wie mit den doch recht eigenen sprachlichen Codes der Alt-Right und der Manosphere: sie sind sowohl Mittel als auch Ausdruck einer Ideologie, die weit über das Wort oder Bild hinausgeht. Ich habe im Folgenden die gängigsten Memes von Incels aufgelistet sowie solche, die aus der Szene der White-Supremacists stammen, jedoch von Incels aufgegriffen wurden. Inzwischen sind viele dieser Memes aus ihrem 4chan-Kontext transzendiert und haben es in den Mainstream geschafft, wo sie, oftmals ungeachtet ihrer problematischen Herkunft, breitflächig rezipiert werden.
Rejected Doomer
Ein noch recht junges Meme ist der Rejected Doomer. Er ist ein Derivat des Anfang der 2010er Jahre etablierten »Wojack«- oder »Feels Guy«-Template: bei dem »Wojack« handelt es sich um die mit MS Paint gezeichnete Figur eines Mannes, der in der Regel Trauer, Frustration oder Einsamkeit ausdrückt. Der »Doomer« bezeichnet einen depressiven jungen Mann (es sind immer Männer, Frauen können für Incels lediglich als Projektionsflächen fungieren), der sich mit der allgemeinen Schlechtigkeit der Welt abgefunden hat. Er hat ein nihilistisches Weltbild, ist misanthropisch, und bleibt am liebsten für sich. Trotz allem bedauert er seine Einsamkeit, zieht sie aber der permanenten Enttäuschung vor, die ihn, seiner projektiven Betrachtungsweise nach, im zwischenmenschlichen Umgang erwartet. Das Meme spiegelt diese Enttäuschung wider: der Doomer stellt dem Objekt seiner Begierde eine Frage und wird von ihr enttäuscht – und somit in seinem Nihilismus wieder einmal bestätigt. Hass auf die Welt und die Mitmenschen werden so als Ausdruck von Weisheit, Abgeklärtheit und Lebenserfahrung kultiviert anstatt adäquat betrauert. Auch dieses Meme hat inzwischen seinen Ursprung transzendiert und wird auch in progressiven oder selbstironischen Kontexten verwendet, wie die Abbildung zeigt: Es greift satirisch auf, dass der reguläre Verfasser von Doomer-Memes Frauen unterstellt, sie hätten kein Interesse, sich mit Nischenthemen zu befassen, was als Sexismus entlarvt wird.
Rejected Doomer: eine klassische Version des Memes
Eine subversive Umkehrung und Kritik
Virgin/Chad
Wohl das Incel-Meme. Es stellt den jungfräulichen Versager neben den ihm in allen erdenklichen Kategorien überlegenen Chad, der als muskulös, selbstbewusst und mit einem sehr großen Penis ausgestattet dargestellt wird. Wie die meisten Memes hat auch »Virgin vs. Chad« seinen ursprünglichen Kontext inzwischen transzendiert und wird in der Regel verwendet, um einen Gegenstand in der Gegenüberstellung zu diffamieren; es ist oftmals ein Mittel der Polemik.
Eine neuere Version des Memes bedient sich des bereits referenzierten »Wojack«-Templates, das die überlegene Position des Chads noch verdeutlicht. Ausgehend von der antifeministischen Bezeichnung »Soyboy« für linke und profeministische Männer wird der Charakter des »Wojack« je nach Kontext als »Soyjack« tituliert, um aufzuzeigen, wie sehr ihn Feminismus verweichlicht hätte. Hier nimmt der Meme-Ersteller weniger selbstironisch die Rolle des Incels ein, sondern affirmativ die des maskulinen Chads, der dem Loser weit überlegen ist. Dieses Meme-Template wird auch regelmäßig verwendet, um stereotypisierte Darstellungen von weiblichem im Gegensatz zu männlichem Verhalten zu zeigen.
Der jungfräuliche Versager neben einem überlegenen Chad
Neuere Version des Memes: Soyboy vs. Incel in der Rolle des Chads
Stereotypisierte Darstellung von weiblichem Verhalten
Clown Pepe/Honkler
Zahlreiche gekränkte Männer im Internet haben eine meines Erachtens ausgesprochen ungesunde Faszination für den Batman-Schurken Joker; ein psychisch kranker Clown, dessen Handeln Ausdruck nihilistischen Wahns und für den alles ein großer Witz ist. Die aktuelle Joker-Verfilmung von Todd Phillips – der besser bei seinem Hangover-Franchise hätte bleiben sollen (er selbst sagte, die »Political Correctness« hätte ihm die Comedy ruiniert) – wurde sowohl von Incels als auch Kritiker*innen, inklusive der Verfasserin dieses Buches, als Film für Incels zelebriert, respektive kritisiert. Es gibt zahlreiche Memes, die den Joker abbilden, und er macht ungezählte Profilbilder auf dem großen Incel-Forum incels.co aus. Das Meme, das auf dem 4chan-Board politically incorrect seinen Ursprung fand, ist Ausdruck des Habitus, das Leiden der Welt als zynischen Witz aufzufassen; statt einen depressiven Blackpill-Nihilismus zu zelebrieren, solle man lieber über die eigene Umwelt lachen. Dies bedeutet konkret – wir reden schließlich über das 4chan-Board, auf dem das Kokettieren mit Menschenfeindlichkeit zum guten Ton gehört –, über das Leid anderer, und vor allem Marginalisierter, zu lachen. Auch das Clown-Emoji wird regelmäßig von Rechten verwendet, um sich Eingeweihten gegenüber zu »outen«.
Clown Pepe, eines der beliebtesten Memes
Happy Merchant
Das als »Happy Merchant« bekannt gewordene Meme stammt ursprünglich aus der Feder des amerikanischen Neonazis Wyatt C. Kaldenberg und zeigt die antisemitische Karikatur eines grinsenden Juden, der sich die Hände reibt. Auch der »Happy Merchant« fand seine Verbreitung durch 4chan und wird verwendet, um jüdische Verschwörungen zu suggerieren. Hierzu zählen der »Große Austausch«, Feminismus, der Holocaust als jüdische Propaganda oder auch die Idee eines »Zionist Occupied Government«. In der Incel-Subkultur wird das Meme vor allem verwendet, um den Feminismus als jüdische Erfindung zu denunzieren oder die jüdische Kontrolle über die Medien zu untermalen. Wir haben uns entschlossen, das Bild aufgrund seines extrem antisemitischen Inhaltes nicht abzubilden.
Von der Selbsthilfeseite zum misogynen Terror: Eine kurze Geschichte der Incel-Bewegung
Es ist eine bittere Ironie der Geschichte, dass der Begriff »Incel« von einer queeren Frau eingeführt wurde. Auch wenn das erste Forum für Menschen mit Schwierigkeiten bei der Partner*innensuche die bereits 1988 entwickelte Newsgroup alt.support.shyness war, etablierte Alana, die ihren Nachnamen lieber anonym belassen möchte, den Begriff in einer 1993 gegründeten Mailingliste, die später zu der Webseite Alana’s Involuntary Celibacy Network wurde. Solche frühen Incel-Foren wie Alanas Projekt oder alt.support.shyness stehen in starkem Kontrast zu dem, was sich heute als Incel-Community bezeichnet. Alana gründete die Seite, nachdem sie ihre erste Partnerin gefunden hatte, um einen Ort des Austauschs und der Reflexion zu schaffen und anderen, die sich in einer ähnlichen Situation befanden, eine Perspektive zu geben. Der »Involuntary Celibate«-Zustand wurde in diesem Kontext nicht als etwas die Identität vollständig Konstituierendes und Unabänderliches verstanden, sondern als etwas Temporäres, das überwunden werden kann. Eines ihrer Postings lautete: »Mein schwierigster Kampf war es, die Wahrheit darüber zu erkennen, was ich wahrnehme und was ich fühle. Ich konnte nicht mit Dating beginnen, bevor ich mir nicht selbst die Wahrheit vor Augen hielt: dass ich eine Partnerin wollte und dass ich eine liebenswerte und attraktive Person war. Dann musste ich das Risiko auf mich nehmen und anderen die Wahrheit erzählen: dass ich mich zu ihnen hingezogen fühlte. Jetzt, da ich meine Gefühle wahrnehmen und anderen darüber berichten kann, habe ich wesentlich mehr Kontrolle über mein Leben und meine Zukunft. Falls Du denkst, dass Du niemals eine*n Partner*in haben wirst, obwohl Du eine*n möchtest – ich hoffe, meine Geschichte hat gezeigt, dass es möglich ist. Und andererseits: vielleicht hast auch Du Schwierigkeiten überwunden, Beziehungen zu beginnen. Je mehr wir miteinander teilen, desto besser können wir einander helfen!«14 Dies ist meilenweit entfernt von dem weinerlichen und anklagenden Tenor, der heutzutage auf Incel-Foren herrscht.
Der Begriff des »Invcels«, der kurze Zeit später zu »Incel« wurde, sollte ursprünglich vorurteilsbelastete und mit dem Bild des »Losers, der im Keller seiner Mutter wohnt«, assoziierte Vorstellungen des Wortes »Jungfrau« vermeiden, wie Alana in einem sehr hörenswerten Interview mit dem Podcast Gimlet ausführt.15 Auf ihrer Mailingliste waren insgesamt ungefähr 100 Männer und Frauen unterschiedlicher sexueller Orientierungen vertreten. Die Seite war auf solidarischen Austausch und Selbstreflexion angelegt und verwies auf professionelle Hilfsangebote für Menschen mit Depressionen und Sozialängsten. Alana spricht in dem Podcast davon, dass es zwar »viel Empathie, aber wenig Lösungsansätze« gab, wie man das Problem, keine Beziehungen führen zu können, adäquat angehen konnte. Alana verließ die Gruppe 1997, da die Mitglieder weniger Interesse daran hatten, ihre Position durch (Selbst-)Reflexion zu überwinden, als vielmehr in Alana eine Therapeutin suchten – eine Aufgabe, der sie sich nicht gewachsen fühlte.
Anders als die Incel-Szene in ihrer aktuellen Form stellten frühere Seiten tatsächlich Selbsthilfegruppen dar. Vor allem auf der Seite IncelSupport, die 2004 zu IncelSite umbenannt wurde, war die Analyse des Incel-Zustandes wesentlich differenzierter als das heute vorherrschende »Ich bin hässlich und habe deswegen keinen Sex«. »Incel« beschrieb hier keine unausweichliche Identität, sondern einen temporären Zustand – auch Personen, die sich in einer sexlosen Ehe befinden, könnten sich laut der Seite als »Incels« bezeichnen; statt von einem objektiv unansehnlichen Äußeren wurde von einer negativen Selbstwahrnehmung gesprochen. Generell war die Herangehensweise an den Incel-Status eine eher analytische, die sowohl äußere Umstände (Umzug in eine andere Stadt, finanzielle Probleme) als auch persönliche Erfahrungen (toxische Familienbeziehungen und daraus resultierende Bindungsängste, schlechte Erfahrungen in vorherigen Beziehungen, Angst vor Dating) als mögliche Gründe für das Incel-Dasein benannte. Die Seite IncelSupport fokussierte sich darauf, Mittel und Wege aufzuzeigen, dem Incel-Dasein durch – manchmal etwas neoliberal anmutende – Selbstoptimierung zu entkommen.
Die User*innen sollten erlernen, wie man andere Menschen ansprechen und kennenlernen kann, ohne in die toxischen Aufreiß-Mechanismen von Pick-up-Artists zu verfallen. Im Gegenteil, es wurde explizit erwähnt, dass es wichtig ist, die Grenzen anderer Personen zu respektieren. Es fanden sich dort zahlreiche profeministische und patriarchatskritische Analysen sowie Verweise auf Therapiestellen. Gleichzeitig war IncelSite ein Ort, an dem man von eigenen Erfahrungen sprechen konnte. Er bot auch zahlreichen frustrierten Durchschnittsmännern Raum, allerdings wurde zum Beispiel User*innen auch empfohlen, ihrer Unsicherheit durch einen Besuch im Stripclub Herr zu werden. Es steht außer Frage, dass eine Objektivierung von Frauen kein adäquater Weg ist, im Umgang mit ihnen selbstsicherer zu werden und sie als Subjekte wahrzunehmen.
Viele der Probleme, sich auf zwischenmenschliche Beziehungen einlassen zu können, wurden als in früheren Erfahrungen begründet erkannt. IncelSupport postulierte zudem »Sieben Todsünden«, denen die User*innen sich verweigern sollten, um ihr unfreiwilliges Zölibat überwinden zu können: Apathie, Ausflüchte und Rechtfertigungen, Überanalysierungen des eigenen Elends, Naivität, Angst, Wut und Scham. Eine Umfrage auf der Seite, wieso man Incel sei, verorteten die Ursache hier in äußeren Umständen wie »Stress« oder »soziale Isolation«, und noch nicht in der eigenen Unattraktivität und weiblicher Oberflächlichkeit.16
Umfrage der Seite IncelSupport, wieso man Incel sei.
Wenn sexuell frustrierte Männer über ihre sexuelle Frustration sprechen, ist Misogynie jedoch nie weit. Es ist Teil einer patriarchalen Sozialisation, vermittelt zu bekommen, man hätte ein irgendwie geartetes Recht auf weibliche Aufmerksamkeit. Und es ist wesentlich einfacher, dem Feindbild Frau die Schuld für die eigene Sexlosigkeit in die Schuhe zu schieben, anstatt hegemoniale Geschlechtervorstellungen oder die eigene Persönlichkeit zu hinterfragen. User, denen die Moderation auf IncelSupport zu viel Wert auf respektvollen Umgang und antisexistisches Verhalten legte, emigrierten auf die 2003 gegründete Seite love-shy.org. Die Seite, die wie alle frühen Incel-Seiten im Vergleich zu den heutigen relativ harmlos erscheint, wurde nach einigen Jahren von einem User namens »Rammspieler« übernommen. Auf einem noch bei IncelSupport veröffentlichten Posting artikulierte er seine Begeisterung für den frauenfeindlichen Mörder George Sodini und die beiden Schützen des Columbine-Massakers und bezog sich, ebenfalls positiv, auf den kroatischen Blogger Marjan Siklic, der, lange bevor der Incel-Begriff »government-assigned girlfriend« an Bekanntheit gewann, verlangte, dass die Regierung allen Männern Partnerinnen zur Verfügung stellt.17
Diese Ideologie sollte den Tenor von Love-shy vorgeben. Ein anderer Einfluss kam aus dem inzwischen zur Brutstätte der Alt-Right-Bewegung verkommenen Imageboard 4chan, vor allem von dem 4chan-Board /r9k/, kurz für »Robot 9001«, auf dem User sich über ihr mangelndes Sozialverhalten austauschten und gehässige Kommentare über das Sexleben anderer verfassten. Während die Incel-Szene zu Beginn nicht inhärent toxisch war, basierten später viele der chan-Boards auf emotionaler Kälte, Zynismus, vermeintlich ironisch zelebrierter Menschenfeindlichkeit und infantilem Provokationsgehabe. Laut dem Kulturwissenschaftler Tim Squirrell entwickelte sich 4chan zu »einer Community, in der die extremsten Dinge gesagt wurden, um mit der eigenen Traurigkeit umzugehen. Und weil sie nie gelernt haben, die eigenen Emotionen rational zu verarbeiten [...], externalisieren sie die Schuld auf alle, außer sich selbst [...]. Sie sagen Dinge, die so extrem sind, dass man sie extrem schwer zurücknehmen oder sich davon distanzieren kann.«18 Eine auf YouTube verfügbare Dokumentation namens Shy Boys der Regisseurin Sarah Gardephe folgt unter anderem einer Gruppe Love-shy-Mitglieder, zu denen auch ein Pickup-Artist zählt, der sich vorgenommen hat, den anderen Mitgliedern der Gruppe beizubringen, wie man »Frauen rumkriegt«. Den Pick-up-Artist zu beobachten verursacht fast physische Schmerzen, aber die Dokumentation ist sehr interessant.
Auf Love-shy wurde erstmals die Idee postuliert, das eigene Aussehen determiniere für immer den Dating-Erfolg – oder dessen Ausbleiben. Selbst einem Frauenfeind wie »Rammspieler« wurde es bei Love-shy gegen Ende zu toxisch, als populäre User begannen, sich offen für Vergewaltigung auszusprechen.19
Nicht wenige Nutzer, die auf Love-shy verkehrten, fanden sich früher oder später auf den Seminaren von sich als »Verführungskünstler« labelnden Tätern wieder, um zu erlernen, wie man denn Frauen für sich begeistern könnte. Der Erfolg blieb aus. Dies ist nicht verwunderlich, wenn man sich die Techniken der sogenannten Pick-up-Artists näher anschaut: Hinter dem schöngeistigen Begriff des »Verführungskünstlers« oder im Englischen »Pickup-Artist« (PUA) steckt die frauenfeindliche »Redpill«-Ideologie, nach der Frauen nichts anderes als Sexobjekte seien, die einem Untertan gemacht werden müssten. Diese Ideologie, der Pick-up-Artists anhängen, popularisierte sich Anfang der 2010er Jahre, das Subreddit r/Redpill wurde 2012 gegründet.
Redpiller, zu denen neben Pick-up-Artists auch andere Männerrechtsaktivisten zählen, hängen dem Irrglauben an, Männer seien gesellschaftlich unterdrückt und abgehängt. Frauen würden Männer mittels Schwangerschaften oder falscher Vergewaltigungsanschuldigungen kontrollieren, weswegen Männer ihr Dasein in permanenter Angst vor dieser gefährlichen weiblichen Sexualität fristen würden. Sie seien gezwungen, in einer Welt zu leben, in der man Frauen nicht einmal mehr Komplimente machen könne, ohne direkt eine Anzeige wegen Vergewaltigung am Hals zu haben (dass nur ein Bruchteil angezeigter Vergewaltigungen überhaupt verurteilt wird und viele Opfer sexueller Gewalt aufgrund von Stigmatisierung, unsensibler Polizeibeamter oder Angst vor dem Täter gar nicht erst anzeigen, wird natürlich ignoriert). Während Frauen dank überall drohender Paritäts- und Quotenregelungen Karriere machen, werde der Mann zunehmend verschwult und verweichlicht, ja, seiner Männlichkeit geradezu beraubt. »Redpiller« haben daher beschlossen, diese Entwicklung der Welt zu bekämpfen, ungeachtet der Tatsache, dass es sich dabei um ein projektiv aufgeladenes Hirngespinst handelt. Sie treffen sich im Internet und auf überteuerten Seminaren, um eine »ursprüngliche Männlichkeit« wiederzuentdecken, oder versuchen, Frauen zum Sex zu nötigen.
Wie eine Sekte haben auch die sogenannten »Verführungskünstler« ihren eigenen Jargon: der Umgang mit Frauen ist demnach ein »Game«, das es zu gewinnen gilt; Frauen werden auf einer Nummernskala von eins bis zehn angeordnet, attraktive Frauen bezeichnet man als »Hot Babes«. Man manipuliert Frauen mit Techniken wie dem »Push and Pull« und »Negging«, deren Prinzip darin besteht, eine Frau durch Abwertung zu verunsichern und anschließend durch ein Kompliment wieder an sich zu ziehen. Ein Beispiel hierfür wäre: »Du wirkst so kühl und selbstsicher. Andere Männer kannst Du sicher damit täuschen, aber ich sehe sofort, dass Du dich eigentlich nach Sicherheit und einer Schulter zum Anlehnen sehnst« oder »Ich mag deine blonden Haare – zu schade, dass sie offensichtlich gefärbt sind«.
Man(n) soll sich unnahbar und unbeeindruckt geben, »die richtigen Knöpfe drücken«, und schon hätte man eine Frau in der Tasche. Diese Vorstellung basiert auf der reaktionären Geschlechtervorstellung, dass Frauen eigentlich gar nichts anderes wollen, als von dominanten Männern gebrochen zu werden, lediglich der lästige Feminismus hätte ihnen den Floh ins Ohr gesetzt, als Subjekt respektiert werden zu wollen. Doch zum Glück wissen es die Pick-up-Artists besser und teilen bereitwillig ihre Weisheit! Nach Absolvierung des Seminares zieht man dann im Rudel los, um die erlernten Fähigkeiten in der Öffentlichkeit zu erproben. Für jene Frauen, die das Pech haben, sich zum selben Zeitpunkt wie die Brigade angehender Sexgötter in der Innenstadt aufzuhalten, bedeutet dies: sexuelle Belästigung, dumme Sprüche, Bedrängung. Anstatt zu dem naheliegenden Schluss zu kommen, dass diese aufdringliche und sexistische Masche nicht dazu geeignet ist, die Herzen der Damenwelt zu erobern, glauben die liebesschüchternen jungen Männer, sie seien schlicht zu hässlich, um von Frauen begehrt werden zu können – und Frauen seien ohnehin alle oberflächliche Schlampen. Dieses Denken bildet den Grundstein der »Blackpill«-Ideologie, und damit jener Überzeugung, der Incels anhängen: Frauen sei es unmöglich, einen unattraktiven Mann zu begehren. Unsere Gesellschaft sei oberflächlich und sexbesessen, und Glück und Erfolg messen sich nur daran, das »Game« zu gewinnen, was Incels aufgrund ihrer Unattraktivität und der daraus folgenden Sexlosigkeit für immer verwehrt bliebe. Sie hatten diese Gedanken schon auf 4chan und Love-shy gelesen, nun hatten sie ihre unzweifelhafte Richtigkeit am eigenen Leib erfahren. Enttäuscht fanden sie sich auf dem Anfang der 2010er Jahre aktiven Forum PUAHate zusammen, um ihrem Hass auf Frauen Ausdruck zu verleihen. Der Frauenhass zeigt sich in Postings wie dem Folgenden: »Ich möchte jeden auf PUAHate ermutigen, Dating-Profile von richtig fetten/hässlichen/deformierten/geistig behinderten Weibern anzulegen und sich so selbst zu beweisen, dass alles, was eine Frau braucht, um qualitativ höchstwertige Männer anzuziehen, ein paar Titten und eine Fotze sind«20. Andere User fragen, ob Frauen nicht per Gesetz daran gehindert werden sollten, das Haus zu verlassen, wenn sie nicht den »richtigen« Body-Mass-Index vorweisen könnten.21 2013 registrierte sich Elliot Rodger auf der Seite PUAHate, die später übrigens in Sluthate umbenannt wurde. Inzwischen ist das Forum geschlossen, was vor allem der medialen Aufmerksamkeit zu verdanken ist, die es nach Rodgers Anschlag erhielt.
Zu einem ähnlichen Zeitpunkt – Ende der nuller Jahre – begannen die antifeministischen YouTuber William Greathouse, Dwayne Holloway und Steve Hoca das Konzept der »Erzwungenen Einsamkeit« zu vertreten und weitere Grundsteine für die moderne Incel-Subkultur zu legen. Eine der von ihnen ins Internet geseierten Verschwörungstheorien behauptete, der Feminismus sei der Grund, warum Männer in Sachen Liebe und Sex so wenig Erfolg hätten. Holloway stellte die immer noch von selbsterklärten »Nice Guys« vertretene Behauptung auf, Männer hätten Sex verdient, nachdem sie sich dazu herabgelassen hätten, nett zu einer Frau zu sein. Hoca klagte darüber, dass »diese Weiber« einfach zu anspruchsvoll seien. »Diese Kombination aus Opferkomplexen, Anspruchsdenken und Antifeminismus ist charakteristisch für den Großteil zeitgenössischer Incel-Communities«, so Tim Squirrell. Zeitgleich begannen sich über Meme-Seiten wie ifunny oder 9Gag zunehmend junge Männer über die himmelschreiende Ungerechtigkeit der sogenannten »Friendzone« zu empören. Der Begriff der »Friendzone« beschreibt den tragischen Umstand, dass man Zeit und Energie in die Freundschaft zu einer Frau investiert hat, aber dieses Miststück zum Austausch nicht einmal mit einem schlafen will! Frauen werden in dieser Vorstellung als Automat wahrgenommen, der Freundlichkeit gegen sexuelle Gefälligkeiten eintauschen soll. Nimmt eine Frau einen Freund als das wahr, was er für sie ist – ein platonischer Freund –, ist dies eine vernichtende Kränkung. Für Männer, die über die »Friendzone« jammern, ist eine aufrichtige Freundschaft zu einer Frau lediglich der Weg zu einer Beziehung; Frauen werden von ihnen nicht als Subjekte wahrgenommen, sondern auch hier wieder als bloße Projektionsfläche für ihre Fantasie einer idealen Partnerin. Auch wenn die vom Internet als »Nice Guys« betitelten Männer, die sich auf erwähnten Meme-Seiten darüber beklagen, dass ein netter Kerl wie sie keine Weiber abbekommt und lediglich als Schulter zum Ausheulen dient, da Frauen nur auf Arschlöcher stehen, noch nicht bei den misogynen Vernichtungsfantasien eines Incels angekommen sind, ist hier das patriarchale Anspruchsdenken bereits angelegt.
Der Weg vom gekränkten »Nice Guy« über den Pick-up-Artist zum Incel ist ein Weg, den viele Männer beschritten haben. Incels verbleiben mitnichten im Internet, sondern tragen ihren Frauenhass mit erschreckender Regelmäßigkeit auf die Straße. Die radikalste Form dessen ist der frauenfeindliche Terroranschlag. Hier eine (unvollständige) Auswahl:
1989 ermordete Marc Lépine 14 Studentinnen des Polytechnischen Instituts von Montreal in einem explizit antifeministischen Angriff. Er drang bewaffnet in einen Seminarraum ein und forderte die männlichen Studierenden auf, den Raum zu verlassen – sie taten es. Die Studentinnen wurden erschossen. Er hinterließ einen Brief, in dem er behauptete, Feministinnen hätten sein Leben ruiniert, und forderte, dass seine Tat als politischer Akt begriffen werden müsse.
Im April 2007 ließ Seung-Hui Cho der Frustration über seine Sexlosigkeit freien Lauf, indem er 32 seiner Kommiliton*innen des Virginia Polytechnic Institute erschoss. Er hatte zuvor mehrere Kommilitoninnen belästigt, zwei von ihnen meldeten Cho bei der Polizei. In einem Dokument, das Cho hinterließ, geißelte er Dekadenz und Hedonismus und artikulierte seine Bewunderung für die Attentäter von Columbine, die im April 1999 bewaffnet in ihre High School eindrangen und 15 Menschen ermordeten. Erst Jahre später wurde thematisiert, dass sie faschistischem und rassistischem Gedankengut anhingen.
2009 ermordete George Sodini, der in Incel-Kreisen als Vorläufer von Elliot Rodger verehrt wird, drei Frauen in einem Yoga-Studio in Pittsburgh. Einige Monate zuvor hatte er sich auf seinem Blog darüber beklagt, dass Frauen ihn nicht begehrenswert finden würden. Auch Tim Kretschmer, der Amokläufer von Winnenden, attackierte gezielt Schülerinnen und weibliche Lehrkräfte.
Im Mai 2014 erlangten Incels durch den in der Community als »Heiligen« und »Helden« verehrten Elliot Rodger größere Bekanntheit: das Ausleben seiner Rachefantasien kostete sechs Menschen das Leben, er verletzte 14 weitere. Ich werde Rodger noch einer ausführlichen Analyse unterziehen.
Chris Harper-Mercer ermordete 2015 neun Menschen in einer Schießerei an einem Community College in Oregon und publizierte ein Manifest, in dem er darüber klagte, keine Freundin zu haben, und in dem er explizit auf Rodger Bezug nahm, den er geradezu vergötterte.22
Im Dezember 2017 erschoss William Atchison zwei Schüler*innen seiner ehemaligen High School in New Mexico. Sein Online-Username lautete »Elliot Rodger«, Atchison bezeichnete sich selbst als »Supreme Gentleman«.23