Kitabı oku: «Incels», sayfa 3

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Im Februar 2018 ermordete Nikolas Cruz 17 Mitschüler*innen seiner High School in Parkland, Florida, nachdem seine Ex-Freundin begann, mit einem anderen Jungen auszugehen, außerdem vertrat er rechtsextreme Ansichten. Auf YouTube schrieb er: »Elliot Rodger wird nicht vergessen werden«.24

Im April 2018 raste der Kanadier Alek Minassian mit einem Auto in eine Menschenmenge und tötete 10 Menschen; zuvor postete er auf Facebook: »The Incel Rebellion has begun. We will overthrow all the Chads and Stacys. All hail the Supreme Gentleman Elliot Rodger.«25

Neun Monate später drang Scott P. Beierle in ein Yoga-Studio in Florida ein, erschoss zwei Frauen und anschließend sich selbst; auch Beierle suchte regelmäßig misogyne Online-Foren auf und ließ seinem Frauenhass auf Social Media freien Lauf.

Auch der Mörder der Influencerin Bianca Devins, der die junge Frau im Sommer 2019 aus Eifersucht und Anspruchsdenken ermordete und Bilder ihrer Leiche auf Instagram postete, verortete sich in Incel- und chan-Board-Kreisen.

Der Neonazi, der an Jom Kippur 2019 versuchte, in die Synagoge von Halle einzudringen und – nachdem er daran scheiterte – Jana L. und Kevin S. erschoss, war zwar nicht explizit Incel, aber auch er verortete sich auf Imageboards wie 4chan, und die in dem Livestream immer wieder geäußerten Selbstgeißelungen lassen darauf schließen, dass er der Incel-Ideologie zumindest ideell nahe stand.

Im Februar 2020 stach ein gerade erst 17 Jahre alter Incel auf die Sexarbeiterin Ashley Noelle Arzaga ein, die in einem erotischen Massagesalon in Toronto arbeitete. Arzaga erlag ihren Wunden, eine weitere Frau und ein Mann wurden verletzt.

Im Mai 2020 plante ein junger Mann im US-Bundesstaat Virginia, eine Bombe in einem Einkaufszentrum zu legen, um sich an den »heißen Cheerleaderinnen« zu rächen, die ihm den Sex verweigert hätten. Das Attentat schlug fehl: die Bombe explodierte bei ihm zuhause, der Täter verstümmelte sich selbst die Hand.

Incels stehen Attentaten, die nicht explizit aus ihrer Community stammen, auch selten ablehnend gegenüber: Schießereien wie jene in Las Vegas 2017, Poway 2018, El Paso 2019 oder Christchurch 2019 werden entweder glorifiziert – die Täter seien »Supreme Gentlemen« –, entschuldigt – die Täter konnten angesichts der männerfeindlichen, »verjudeten« und antirassistischen Gesellschaft gar nicht anders handeln – oder man bezieht die Attentate auf sich, um ein bisschen den eigenen Opferstatus zu perpetuieren – man sorgt sich, dass Medien und Behörden Attentäter mit der Incel-Community in Verbindung bringen, auf dass diese dann politisch verfolgt wird. Gedenken an die Opfer hingegen sucht man vergeblich.

Wären Incels primär selbstzerstörerische Opfer einer auf Schönheit fixierten Gesellschaft, könnte man Mitleid mit ihnen aufbringen. Allerdings sind zahlreiche Incels entweder auf dem besten Weg, Soldaten in einem Krieg gegen Frauen zu werden, oder sie haben ihr Leben bereits diesem Krieg verschrieben. Insgesamt sind in den USA und Kanada über 50 Menschen durch Incel-Attentate ums Leben gekommen.26 Inzwischen werden Incels in Nordamerika als Gefahr für die innere Sicherheit anerkannt und dementsprechend behandelt. In Deutschland, einem Land, das erst 2017 sexuelle Belästigung als Straftat anerkannt hat und in dem Femizide immer noch als »Familiendrama« gelabelt werden, ist man davon leider noch weit entfernt. Daher ist es kein Wunder, dass der durchschnittliche Polizist keinen blassen Schimmer davon hat, was ein Imageboard ist – es sei denn, er zählt zu jenen rechtsradikalen Polizisten, die besagte Imageboards aufsuchen.

Alana betreibt übrigens seit 2018 die Seite Love, not Anger, auf der sie ehemaligen Incels hilft, ihre toxische Weltsicht zu überwinden.

Rote Pille, schwarze Pille: Ein Blick in den Online-Medizinschrank

Auch wenn der Begriff »Incel« erst seit vergleichsweise kurzer Zeit mit misogynem Terror assoziiert wird und sich die Szene anfangs nicht durch Vernichtungswillen, Selbstinfantilisierung und Frauenhass auszeichnete, haben sich diese Momente durchgesetzt. Von Alanas ursprünglichem Selbsthilfeprojekt ist tragischerweise nichts übriggeblieben, der Begriff »Incel« wird für immer mit Männern wie Rodger verbunden werden. Auch wenn laut einer im März 2020 getätigten Umfrage auf dem Forum incels.co 96,2 Prozent der User der Ansicht sind, Medien würden Incels dämonisieren und unfair darstellen27, geben sie sich keinerlei Mühe, ihrer Selbstbezeichnung einer »Supportgruppe« gerecht zu werden. Von dem Selbstanspruch früher Incel-Gruppen, sich durch die eigene Sexlosigkeit nicht verbittern und frustrieren zu lassen, lässt sich in den aktuellen Foren kaum etwas finden. Für eine »Ehrenrettung« des Begriffs »Incel« ist es meines Erachtens zu spät; und es ist bezeichnend, dass Alana ihr aktuelles Projekt »Love, not anger« getauft und sich von dem Label »Involuntary Celibate« als Referenzpunkt verabschiedet hat.

Wie bereits erklärt, basiert das Weltbild von Incels auf der sogenannten Blackpill-Ideologie, die auf der sogenannten Redpill aufgebaut ist. Der Begriff der Redpill stammt aus dem Film The Matrix, einem Film, der mit Lana und Lilly Wachowski übrigens von zwei trans Frauen gemacht wurde, und der inzwischen von Filmkritiker*innen als Allegorie auf eine Transition gelesen wird28 – was die antifeministischen und transfeindlichen Redpiller geflissentlich ignorieren. In Matrix wird dem Protagonisten Neo eine rote und eine blaue Pille angeboten; schluckt er die blaue, verbleibt er weiter in der Illusion der Matrix, schluckt er die rote, lüftet er den Schleier der Verblendung und erkennt die Welt, wie sie wirklich ist. Die Vertreter der Redpill betrachten sich selbst also als Erleuchtete, mit dem Fluch gesegnet, die Welt zu erkennen, wie sie in Wirklichkeit ist. Sie haben es geschafft, die Indoktrinierung durch »Fake News« und linksgrünversiffte Mainstream-Propaganda zu durchschauen.

In ihren Augen ist die Welt eine von Kulturmarxismus und Political Correctness beherrschte Dystopie, in der Frauen Männer durch ihre Sexualität kontrollieren und mit feministischen Superwaffen wie »falschen Vergewaltigungsandrohungen« in Schach halten, und in der Männer so eingeschüchtert, verweichlicht und entmannt sind, dass sie nichts anderes tun, als jede erdenkliche Laune dieser kapriziösen Weiber zu erfüllen. Feminismus ist für Redpiller eine »sexuelle Strategie«, um Männer zu unterdrücken und zu kontrollieren. Frauen sind aus ihrer Perspektive von Grund auf verkommen, triebhaft, oberflächlich, hypersexuell, egoistisch, gleichzeitig dumm und manipulativ, und generell ganz schlechte Menschen. Diese Eigenschaften seien ihnen, so die immer biologistisch argumentierende Welterklärung, von Natur aus eingeschrieben und müssten durch das soziale Korrektiv des Patriarchats gebändigt werden. Kurz zusammengefasst erklärt sich das antifeministische, antisemitische und antikommunistische (drei Ausprägungen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, die übrigens sehr gerne Hand in Hand miteinander gehen) Weltbild hinter der Roten Pille folgendermaßen:

Die Vertreter der Frankfurter Schule haben sich direkt nach der Immigration in die Vereinigten Staaten die Universitäten und die Kulturindustrie unter den Nagel gerissen und begonnen, die amerikanische Bevölkerung mit ihrem egalitären Gedankengut zu indoktrinieren, was beispielsweise die Bürgerrechtsbewegung, die Frauenemanzipation oder die Proteste gegen den Vietnamkrieg zur Folge hatte. Dies führte dann auf direktem Wege zum Zerfall der bürgerlichen Kleinfamilie und dem Ende der patriarchalen Herrschaft. Inzwischen hält der »Kulturmarxismus« den westlichen Wertekanon fest umklammert. Der Begriff des »Kulturmarxismus« wurde übrigens bereits in den neunziger Jahren von reaktionären Kräften wie dem Antisemiten Lyndon LaRouche genutzt, um die Degeneration der westlichen Welt zu beschreiben. Vor allem aber drang er durch das Manifest des Massenmörders und Rechtsterroristen Anders Breivik ins öffentliche Bewusstsein, für den Feminismus und Sozialismus maßgeblich die Schuld am Untergang der weißen Rasse tragen. Denn, so die Redpill-Ideologie weiter, der Kulturmarxismus geht nicht nur mit dem Feminismus, sondern auch mit einer Agenda der Political Correctness und der Homolobby einher. Während Frauen sich geschlechtsfremden Anwandlungen wie dem Recht auf körperliche, berufliche und finanzielle Selbstbestimmung widmen, würden Jungen und Männer zunehmend ihrer natürlichen Männlichkeit beraubt. Sie studieren Geistes- statt Ingenieurswissenschaften, trinken Aperol Spritz anstatt Bourbon und wechseln die Windeln ihrer Kinder, statt ihre Partnerin zu verprügeln. Diese sozialistischfeministische Agenda sei inzwischen so weit gegangen, dass man als heterosexueller, weißer cis-Mann permanent unter der Fuchtel der matriarchalen Unterdrückung leben müsse; dank #MeToo darf man als erfolgreicher Produzent nicht einmal mehr Frauen vergewaltigen, ohne Konsequenzen zu erfahren. Zum Glück gibt es ein paar wenige mutige Männer, die gegen die Sexismus-Kritik der Feminist*innen und die Tatsache, dass man keine rassistischen Witze mehr machen darf, ankämpfen. Sie werden das Matriarchat stürzen, koste es, was es wolle!

Das Patriarchat ist Vergangenheit, die Frankfurter Schule hat die Zügel der Gesellschaftsentwicklung in der Hand, wir bewegen uns unausweichlich auf den Kommunismus zu – wie sehr man sich doch wünscht, dass diese herumopfernden Verschwörungstheoretiker Recht hätten.

Oftmals geht die Redpill-Ideologie Hand in Hand mit der Verschwörungstheorie des »Großen Austauschs«, die inzwischen Standard in einem rechtsradikalen Repertoire ist und von der AfD über Donald Trump und die Identitäre Bewegung bis hin zu Rechtsterroristen wie den Attentätern von Christchurch, Poway, El Paso oder Halle vertreten wird. Brenton Tarrant, der im März 2019 in zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch eindrang und 51 Menschen muslimischen Glaubens ermordete, war von der paranoiden Angst vor dem »Großen Austausch« getrieben. Auch Stephan B., der Attentäter von Halle, nannte zu Beginn seines Livestreams den »Großen Austausch« als Grund für seine Tat. Während nämlich weiße Männer, Feminismus sei Dank, allesamt zu Pantoffelhelden verkommen seien, leiten jüdisch konnotierte »Eliten« und »geheime Kräfte«, allen voran George Soros, Ströme von Geflüchteten nach Europa und in die USA, auf dass diese dort weiße Frauen schwängern und sich vermehren. Dass Einzelpersonen wie der Holocaustüberlebende und liberale Philanthrop Soros, der seit Jahren Feindbild Nummer eins der weltweiten Rechten ist, Menschen zur Flucht bewegen, ist natürlich sehr viel wahrscheinlicher, als dass jemand vor Krieg, Hunger oder politischer und religiöser Verfolgung Schutz sucht. Die weißen Männer sind, je nach Auslegung, zu unmännlich geworden, um etwas gegen die einfallenden Flüchtlingshorden zu tun, oder sie empfinden sogar Lust bei dem Gedanken, dass die eigene Frau von einem hyperpotenten Schwarzen oder Araber penetriert wird. Gerade bei der Idee des »Großen Austauschs« fallen also Antisemitismus, Antikommunismus, Antifeminismus, Rassismus und Maskulinismus ineinander. Kein Wunder, dass sich diese Ideologie bei der Rechten einer derartigen Popularität erfreut, vereint sie doch sämtliche Kampffelder unter ihrem Schirm.

Und, nun ja, dieser gesellschaftlich verordneten Entmannung kann man sich eben erwehren, indem man die »Rote Pille« schluckt, dem Feminismus den Kampf ansagt und seine ursprüngliche, harte Männlichkeit wiederentdeckt. Das erreicht man über die konsequente Abwertung von Frauen. Konkret äußert sich das beispielsweise darin, dass man sich maskulinistischen Gruppen wie den Pick-up-Artists oder »Men going their own way« anschließt.

»Men going their own way« kann man sich als Gruppe vorstellen, deren Ziel es ist, Frauen zu boykottieren und autark von ihnen zu leben – strikt heterosexuell natürlich. Auch hier sind Frauen, die ein selbstständiges Leben führen, Ursprung allen männlichen Leids. In der Vorstellung von »Men going their own way« verbringen Frauen ihre Zwanziger damit, »das Schwanzkarussel zu reiten«, um sich anschließend, wenn sie alt und verbraucht sind, mit einem »Beta Male« zur Ruhe zu setzen und sich von diesem aushalten zu lassen. Aber auch dieser »Beta Cuck« wird mit allem betrogen, was sich die alternde Gattin noch krallen kann, weil: Frauen sind einfach wirklich schlechte Menschen, ausschließlich gesteuert von dem Wunsch nach sexueller Bestätigung. Das Einzige, was man dagegen tun kann, ist es, sich Heirat, Beziehungen, Frauen generell zu verweigern. Es gibt vier Level von »Men going their own way«. Auf Level null schlucken Männer die »Rote Pille« und erkennen die Welt als vom westlichen Marxismus gesteuert. Auf dem ersten Level verweigern sie sich langfristigen Beziehungen, auf Level zwei hat man auch keine kurzfristigen Beziehungen oder One-Night-Stands mehr. Auf Level drei ist man auch ökonomisch von Frauen unabhängig, man kann sich das Ganze quasi als eine gegen das weibliche Geschlecht gerichtete BDS-Bewegung vorstellen. Auf Level vier zieht man sich dann auch auf sozialer Ebene von Frauen zurück und lebt autark im Männerbund vor sich hin. Konkret »geht man den eigenen Weg«, indem man den ganzen Tag auf Reddit herumhängt und sich gegenseitig durch das Ausmalen fiktiver Szenarien wie »Ich rackere mich auf Arbeit für meine Frau ab, aber anstatt dass sie mir Essen hinstellt, geht sie sich mit ihren Mädels die Nägel machen« darin bestätigt, wie schlimm Frauen seien.

Das Ganze wird untermalt mit einer Vorstellung permanenter Selbstoptimierung. Es geht darum, das »Game« zu gewinnen. In einer Welt, in der Männern von Grund auf die schlechteren Karten ausgeteilt worden sind, müsse man eben lernen, dieses Spiel trotzdem zu den eigenen Gunsten entscheiden zu können – und das gelingt, indem man eben zu einem chauvinistischen, rücksichtslosen, manipulativem Arschloch wird. Großes Vorbild der MGTOW-Bewegung ist der rechtsradikale Männerrechtler Jack Donovan. Donovan war bis 2018 Mitglied der vom italienischen Faschisten Julius Evola inspirierten neopaganistischen Rockergruppe »Wolves of Vinland«. Er veranstaltet Seminare, bei denen die Teilnehmer ihre ursprüngliche Männlichkeit wiederentdecken, indem sie durch den Wald robben und Tiere erlegen, und legt eine massive Abwehr gegen alles Weibliche an den Tag. Donovan ist seit über 20 Jahren in einer Beziehung mit einem anderen Mann, bezeichnet sich aber nicht als »schwul«, sondern als »androphil«, da »schwul« für ihn Ausdruck einer verweichlichten, hedonistischen und degenerierten Szene sei. Donovans Werke, die illustre Titel wie Ein ganzerer Mann oder Nur Barbaren können sich verteidigen tragen, werden in Deutschland über den neurechten Verlag Antaois publiziert.

Incels haben die Vorstellung, das »Game« gewinnen zu können, bereits aufgegeben. In ihrer Blackpill-Ideologie, die den Antifeminismus und die Täter-Opfer-Umkehr der Redpiller in allen Aspekten auf eine wahnhafte Spitze treibt, ist die Möglichkeit, das »Game« zu gewinnen, von Anfang an zum Scheitern verurteilt.

Dass Frauen in den Augen von Incels oberflächlich, triebhaft und schlecht sind, wurde bereits erwähnt. Obwohl sie ganz versessen darauf sind, »das Schwanzkarussell« zu reiten, geben sie sich nicht mit einem x-beliebigen Mann zufrieden. Genügen kann nämlich nur ein »Chad«, der nichts anderes ist als eine Klischeezeichung von Hypermaskulinität, ein Quarterback aus einem High-School-Film.

Obwohl Chads nur 20 Prozent der Männer ausmachen, haben sie die sexuelle Verfügung über ausnahmslos alle Frauen, die kämen nämlich niemals auf die Idee, ihre Aufmerksamkeit an einen Nicht-Chad zu verschwenden.

Incels teilen Menschen auf einer »Attraktivitätsskala« von eins bis zehn ein; attraktive Frauen nennen sie »Stacys«, eine durchschnittlich attraktive Frau trägt den Namen »Becky«. Hätten früher Frauen mit einem Partner ihres »Attraktivitätslevels« verkehrt, ihrem sogenannten »Looksmatch«, seien durch den Feminismus ihre Ansprüche ins derart Unermessliche gestiegen, dass nur ein Chad ihnen genügen kann. Deswegen, so die logische Konklusion, reißen sich nun alle Frauen der Welt um Chads, während für den Durchschnittsmann nur noch Frauen übrig bleiben, die ihren »sexuellen Marktwert« aufgebraucht haben, also zu alt und verbraucht sind, um von Chads begehrt zu werden.

Für Incels ist die binnenmännliche Hierarchie primär auf Attraktivität aufgebaut; mit Attraktivität geht all das einher, was die australische Geschlechterforscherin Raewyn Connell als »hegemoniale Männlichkeit« analysiert: Hegemoniale Männlichkeit ist »jene Form von Männlichkeit, die in einer gegebenen Struktur des Geschlechterverhältnisses die bestimmende Position einnimmt, eine Position allerdings, die jederzeit in Frage gestellt werden kann«.29 Hegemoniale Männlichkeit soll die Dominanz von Männern untereinander, gleichzeitig die Herrschaft aller Männer über alle Frauen gewährleisten. Mit Attraktivität geht für Incels gleichzeitig immer Erfolg, Vermögen und auch Potenz und Virilität einher. Sind die Männer unattraktiv, können sie Frauen zwar durch Reichtum für sich begeistern, die Frau wird es jedoch immer nach einem Chad verlangen. Incels selbst betrachten sich als Verlierer der »genetischen Lotterie« und sehen sich demzufolge am untersten Ende der Männlichkeitskette. Sie haben keine Chance, jemals von Frauen geliebt zu werden oder außerhalb von Pornos eine Vulva zu Gesicht zu bekommen, da ihr Augenwinkel die falsche Form hat, ihr Handgelenk zu schmal ist, sie zu klein oder zu dick oder zu behaart respektive glatzköpfig sind. Incels betrachten sich als Ausgeburten der Abnormalität, als Zwillingsbruder von Gollum, und deswegen ist für sie in einer von Attraktivität bestimmten Gesellschaft der Zug zu Liebe und Glück schon längst abgefahren. Da Aussehen primär von der Knochenstruktur bestimmt wird, so Incels, ist ihr Martyrium auch nicht zu überwinden.

Eine Grafik, die das Prinzip »Looksmatching« veranschaulicht

Ein Incel-Meme zur Bedeutung der Knochenstruktur für das Aussehen

Humor, Intelligenz, Warmherzigkeit, Charme, all das ist in der Incel-Wahnwelt für Frauen irrelevant, deren einziges Interesse darin besteht, dass ein Mann einen kantigen Kiefer, eine Körpergröße von mindestens 1,85, einen stechenden Blick, ausgeprägte Muskeln und einen großen Penis hat. Darüber hinausgehend hat nichts für Frauen Relevanz; ihr ganzes Leben ist darauf ausgerichtet, »das Schwanzkarussell zu reiten«.

Zwar gibt es einige Incels, die versuchen, ihre Probleme durch sogenanntes »Looksmaxxing« zu lösen, also versuchen, durch Sport, Mode und plastische Chirurgie ihre Chancen zu verbessern, daneben gibt es jedoch auch die sogenannten »Truecels«. Die sich selbst als »Truecels« bezeichnenden, wahren Incels haben das alles als vergebliche Liebesmühe erkannt, denn: eine Frau ist schlicht nicht in der Lage, einen Mann zu lieben, der nicht wie Idris Elba aussieht. Für Incels stand ein glückliches und erfülltes Leben einfach nie zur Debatte. Deshalb verschreibt man sich der Blackpill, suhlt sich im eigenen Elend, und findet Triebabfuhr in den Echokammern des Internets, in denen man sich darüber austauscht, wie unfair die Welt im Allgemeinen und Frauen im Besonderen doch sind.

Dass ihre Weltsicht von Neurosen, Kränkungen, gesellschaftlich vermitteltem Frauenhass, Selbstzweifel und Paranoia bestimmt und, milde ausgedrückt, vollkommen wahnhaft ist, wollen Incels nicht begreifen. Wie alle Verschwörungsdenker sind sie in einer totalitär in sich geschlossenen, ideologischen Blase gefangen, die sich durch rationale Argumentation nicht penetrieren lässt. Und wie alle Verschwörungsdenker halten sich Incels für die einzig Aufgeklärten, für diejenigen, die die Welt so sehen, wie sie wahrhaft ist. Sie verachten Geisteswissenschaften, sehen sich selbst als rational und logisch Denkende und versuchen ihre Ideologie unter dem Begriff der »Scientific Blackpill« mit Pseudowissenschaft zu untermauern. Die »Scientific Blackpill« hat einen eigenen, mehrere hundert Beiträge umfassenden Bereich im Incel-Wikipedia und erklärt, wieso der paranoid gefärbte Hass auf Frauen eigentlich etwas total vernünftiges ist. Dabei bedient man sich so gut wie ausschließlich halbgarer Evolutionspsychologie und -biologie, denn nicht das Sein bestimmt das Bewusstsein, sondern zwischenmenschliche Verhaltensmuster aus der Steinzeit, über die man natürlich auch bestens und unzweifelhaft Bescheid weiß.

Frauen würden anstatt liebevoller Partner narzisstische und brutale Männer präferieren, da rücksichtslose Männer schon immer besseren Schutz und mehr Nahrung gewährleisten konnten und sich diese pseudowissenschaftlichen Steinzeit-Mythen natürlich immer noch auf die Dating-Präferenzen auswirken. Dass das Patriarchat sich in missbräulichen Beziehungen ausdrückt und Frauen missbräuchliche Partnerschaften eingehen, da ihnen sämtliches Gefühl von Selbstwert und Selbstermächtigung genommen wurde, liege in der Biologie begründet und nicht in einer Gesellschaft, in der Gewalt gegen Frauen systematisch ist! Es sei normal, dass Männer jugendliche und präpubertäre (!!) Mädchen begehren, weil Männer historisch gesehen »Frauen monopolisiert haben um sexuelle Exklusivität zu garantieren«, weshalb Männer »sich entwickelt haben, jugendliche, submissive und einfach zu kontrollierende Weibchen [zu] präferieren«30.

Anstatt mit wissenschaftlichen Fakten werden Zusammenhänge aus dem Kontext gerissen und aus der Brille der Blackpill verklärt: so wird Frauen zugeschrieben, dass ihre einzige Angst vor der Vergewaltigung »die urtümliche Angst davor ist, von einem als ‚unterlegen’ wahrgenommenen Mann geschwängert zu werden«.31

Die Tatsache, dass Frauen masochistische Fantasien und Begehren wie Rape Play haben, wird damit erklärt, dass Frauen Freude daran empfinden würden, von einem dominanten Mann überwältigt zu werden, weswegen sie Vergewaltigungen nur zur Anzeige bringen, um unattraktiven Männern aus Scham, dann doch aus Versehen mit ihnen geschlafen zu haben, eine reinzuwürgen (wer kennt’s nicht). Dies verkennt, dass weibliche Sexualität oft patriarchal verformt ist und Frauen deswegen, anstatt eigenes Begehren zu entwickeln, patriarchale Vorstellungen von Sex als die vermeintlich eigenen internalisieren. Der Gegenpol dazu, der ebenfalls Grund sein kann, wieso Frauen »brutale« Pornographie konsumieren oder sich beim Sex einer submissiven Rolle hingeben, ist, dass weibliche Submissivität auch ein Mittel sein kann, sich erfahrenes Leid und erfahrene Unterdrückung im lustvollen Spiel selbstbestimmt wieder anzueignen, wie es die feministische Psychoanalytikerin Jessica Benjamin in ihrem Werk Die Fesseln der Liebe erläutert.32 Dass Incels feministische Theorie lesen, kann jedoch getrost bezweifelt werden. Komplett ignoriert wird auch die Differenz zwischen Fantasie und Realität: in der erotischen Vorstellung ist man immer Herrin im Haus, in der Realität leider nicht.

Ob es sich nun um incels.co, incels.net oder diverse Subreddits handelt: die User dort haben die Blackpill geschluckt, und sind der festen Überzeugung, dass Frauen schuld sind an ihrem unausweichlichen Leid. Diese Foren sind unser Einblick in das Denken von Incels; sie fungieren als Echokammern, in denen die User sich den Frust von der Seele schreiben, sich austauschen und andere von ihrer Position überzeugen können. Sie fungieren auch als Räume, in denen man sich »unter sich« wähnt und der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit freien Lauf lassen kann, da kein zensierender Faktor dabei stört. Sich die thematischen Schwerpunkte in den Foren anzuschauen, ist also für eine Analyse der Incel-Subkultur unerlässlich.

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