Kitabı oku: «Die zwölf Jünger Jesu», sayfa 5

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1.2.3.2 Kritische Anfragen an die redaktionskritische Trennung zwischen Redaktions- und Traditionsstoff und die Irrelevanz des Zwölferkreises

Norman Perrin definiert die redaktionskritische Methodik folgendermaßen:

„It is concerned with studying the theological motivation of an author as this is revealed in the collection, arrangement, editing, and modification of traditional material, and in the composition of new material or the creation of new forms within the traditions of early Christianity.“1

Gemäß dieser Definition manifestiert sich die Theologie des Redaktors in den redaktionellen Anteilen des Evangeliums, die aus zwei Elementen besteht: erstens aus dem Arrangement und der Komposition des Materials (das wird in der Forschung unter dem Stichwort „Kompositionskritik“ und teilweise unter dem Stichwort „Literarische Kritik“ behandelt) und zweitens aus der Trennung zwischen Tradition und Redaktion (das wird als „editorial criticism“ oder als „klassische Redaktionskritik“ bezeichnet).2 Die folgenden kritischen Anfragen richten sich in erster Linie gegen das zweitgenannte Element. Demnach kommt dem Redaktionsstoff und den redaktionellen Veränderungen eine besondere theologische Bedeutsamkeit zu, während die theologische Bedeutsamkeit des übernommenen Traditionsstoffs nivelliert wird. Eine wesentliche Folge davon ist, dass der Traditionsstoff im Lichte des Redaktionsstoffs gelesen wird.3 Gelegentlich werden inhaltliche Spannungen im MtEv damit erklärt, dass die Aussagen jeweils verschiedenen Traditionsstufen entstammen und der Redaktor ältere Überlieferungen übernommen hat, ohne sie ausreichend in Einklang mit seiner eigenen Theologie gebracht zu haben.4 Diese klassische redaktionskritische Methodik wurde auch auf die zwölf Jünger im MtEv angewandt. Das wirkte sich nicht nur auf die Auswahl der Textstellen zum Thema „Der Zwölferkreis im MtEv“ aus, sondern auch auf die Verhältnisbestimmung „Zwölf (Jünger) – Jünger“, ebenso wie auf die konkrete Deutung der Zwölf (Jünger).5 Z.B. konnte Strecker aufgrund bewusster Absehung von traditionellen Elementen argumentieren, dass für Mt die Jünger mit den Zwölf „synonym“ sind. Luz dagegen konnte die Gleichsetzung der Jünger mit den Zwölf nur deswegen für „selbstverständlich“ erklären, weil er die Zwölf-Passagen vom MkEv her las. Im Anschluss an Luz hat man häufig folgendermaßen argumentiert: weil der Redaktor Mt die Zwölf im Vergleich zu seinen Vorlagen nicht weiter ausbaue, den Ausdruck „Zwölf“ stattdessen gelegentlich streiche und häufig durch sein Vorzugswort „Jünger“ ersetze, müsse diese „Isotopie der Veränderungen“6 auf zweierlei Weise gedeutet werden: erstens als mangelndes (theologisches) Interesse an den textuellen bzw. den historischen Zwölf. Und zweitens als besonderes Interesse am Jünger-Sein der Zwölf. Durch ihr Jünger-Sein erscheinen sie den Adressaten wie typische Gemeindechristen (oder wie typische Gemeindeleiter), was zur Folge hat, dass sich die Adressaten mit den (Zwölf) Jüngern identifizieren und sie zu Vorbildern nehmen können. Gegen eine solche klassische redaktionskritische Methodik und ihre Folgen für das Verständnis des Zwölferkreises lassen sich u.a. folgende kritische Anfragen richten.

Das linguistische Prinzip der Kontextualität und die synchrone Lektüre des Endtextes. Ein prominenter Einwand gegen die klassische Redaktionskritik, der häufig von Vertretern des „literary criticism“ eingebracht wird, ist texthermeneutischer Art: äußert sich die theologische Intention des Evangelisten tatsächlich nur im Redaktionsstoff? Denn gegen eine derartige Fragmentierung eines Textes spricht das linguistische Prinzip der Kontextualität, womit die Kohärenz eines Textes zusammenhängt.7 Der Autor beabsichtige seinen Adressaten mittels des ihnen vorliegenden Textes bestimmte Inhalte zu kommunizieren. Deswegen sollte ein Text synchron analysiert werden. Aus diachroner Perspektive betrachtet bedeutet das, dass der Redaktor sein Interesse (auch) am Traditionsstoff darin zeigt, dass er ihn mit dem Redaktionsstoff zu einer kohärenten Einheit komponiert. Wenn der Evangelist den Traditionsstoff unverändert übernimmt, dann stimmt er dem Text in seiner vorliegenden Gestalt zu, da er zu seinen eigenen theologischen Überzeugungen und seinen pastoralen Anliegen passt.8 Folgt man aber der methodischen Annahme, dass das Interesse des Redaktors im intakten Gesamttext – bestehend aus Traditions- und Redaktionsstoff – zu erkennen ist, dann ist eine über Markus hinausgehende Akzentuierung nicht nötig, um ein Interesse des Matthäus an bestimmten Themen zu belegen. Ähnlich wie der Evangelist Matthäus – gemäß der klassischen 2Q-Hypothese – das ihm vorliegende MkEv als Endtext gedeutet hat und darin die mk Theologie enthalten sah, ohne nach chronologisch vorauslaufenden redaktionellen Veränderungen der Vorlage(n) des MkEv durch den Evangelisten Markus zu fragen, so ähnlich deutet die lesende oder hörende Gemeinde das MtEv, ohne es mit dem MkEv zu vergleichen. Sollten nun inhaltliche Spannungen auftauchen, so sollte man sich zunächst darum bemühen, alle Textelemente in kohärenter Weise zusammenzudenken.9 Daraus ergeben sich einige Schlussfolgerungen. Wenn nun das MtEv eine kompositorische Einheit darstellt, dann wirkt sich das auch auf das Thema „Zwölferkreis“ aus. Erstens muss man dann die (theologische) Bedeutung und Funktion der Zwölf entsprechend umfassend behandeln. Wenn aber alle Vorkommen der Zwölf im MtEv bedeutsam sind, dann darf man eine Analyse der Zwölf nicht auf einzelne redaktionell interessante Vorkommen beschränken, wie z.B. auf die Aussendungsrede im MtEv (so aber z.B. Freyne). Übrigens: Wenn man vom intakten Gesamttext ausgeht und sämtliche Vorkommen berücksichtigt, dann sollte man grundsätzlich auf den Begriff „Tendenz“ verzichten, weil er unpräzise ist. Denn wie soll man solche Fälle erklären, die nicht der redaktionellen „Tendenz“ entsprechen: als „Überbleibsel“ der Tradition, Zeichen der fehlenden Konsistenz oder fehlenden Kunstfertigkeit des Redaktors?10 Außerdem: Wenn es stimmen sollte, dass Mt häufig die „Zwölf“ durch „Jünger“ ersetzt (aus diachroner Perspektive), dann muss man sich fragen, wieso die „Zwölf“ im MtEv (noch) vorhanden sind, statt überall durch „Jünger“ ersetzt? Zweitens ist die Aussage, dass die Zwölf und ihr Apostolat für Mt „selbstverständlich“ seien, irreführend (gegen Bultmann, Luz, Trilling u.a.). Denn bereits aus der einfachen Erwähnung der Zwölf im MtEv sollte man stattdessen schließen, dass Mt sich für die historischen zwölf Jünger interessiere und sie (eine) bestimmte Funktion(en) im MtEv haben. Dabei ist ihr Vorbild als Jünger nur eine von verschiedenen möglichen Funktionen. Drittens sollte die Frage, ob Mt die Zwölf mit den Jüngern gleichsetzt, d.h. sie synonym macht, oder ob er beide unterscheidet, auf der Grundlage des intakten Gesamttextes – unter Einbeziehung sämtlicher Wortvorkommen – entschieden werden (gegen Strecker). Viertens sollten die Einzelpassagen, in denen die zwölf Jünger vorkommen, im näheren und weiteren Kontext des Gesamttextes ausgelegt werden. Man sollte dabei auf die „Komposition“ des Textes achten, nämlich die inhaltliche und formale Struktur, sowohl innerhalb von Einzelpassagen als auch innerhalb der Makro-Struktur.11 Auf diese Weise lassen sich thematische und theologische Schwerpunktsetzungen erkennen.

Die Synoptische Frage. Die größte Schwierigkeit für die klassische Redaktionskritik besteht wohl darin, geeignete Kriterien für die Unterscheidung von Redaktionsstoff und Traditionsstoff zu finden.12 Damit eröffnen sich weitreichende Fragen der Quellen-, Form- und Traditionskritik, die sich v.a. in der Debatte um die Synoptische Frage bündeln. Weil die meisten im Forschungsüberblick vorgestellten Positionen die Zweiquellenhypothese zugrunde liegen haben, wäre eine Revision dieser Positionen eine natürliche Konsequenz, falls die Zweiquellenhypothese nicht stimmen sollte.13

1.2.3.3 Kritische Anfragen an die redaktionskritische Verhältnisbestimmung zwischen „Jünger“ und „Zwölf (Jünger)“

Fast alle Matthäusforscher, die die klassische redaktionskritische Methodik auf die zwölf Jünger anwandten, haben die Zwölf unter den „Jüngern“ subsumierend behandelt.1 Das geschah unabhängig von den unterschiedlichen Jüngerdeutungen: als man annahm, dass die Jünger für normale Gemeindechristen oder für Gemeindeleiter transparent sind, als man die innergemeindliche Struktur und das Amtsverständnis anhand bestimmter Personen und Funktionen des Textes rekonstruierte, als man mögliche Unterschiede zwischen Petrus und den sonstigen Jüngern diskutierte, als man die Jünger als historisch distanzierte oder transparent gemachte Personen betrachtete. Während die einen Mt-Forscher die Überzeugung vertraten, dass der Gebrauch des Begriffs „Jünger“ für die historischen Zwölf reserviert sei, d.h. „Jünger“ und „Zwölf“ Synonyme seien (z.B. Strecker), plädierten die anderen Mt-Forscher für einen breiteren, über die Zwölf hinausgehenden, Gebrauch des Begriffs „Jünger“ (z.B. Luz). Doch auch die letztgenannte Gruppe ging in gewisser Weise von einer Gleichsetzung beider Entitäten aus. An diese Verhältnisbestimmung(en) lassen sich kritische Anfragen richten. Dabei werden zwei Prüfkriterien angelegt: erstens die Konsistenz und zweitens die Textsemantik.

Konsistenz: Sind mit „Jünger“ ausnahmslos immer nur die Zwölf gemeint? Auf die Frage, ob im MtEv die „Jünger“ und die Zwölf identisch – im Sinne von „(deckungs-) gleich“ – sind, finden sich in vielen der besprochenen redaktionskritischen Arbeiten Aussagen, die nicht konsistent sind. Z.B. sagt Luz einerseits über das Substantiv μαθηταί, dass es – mit Ausnahme von Mt 17,6 – immer nur die Zwölf bezeichne. S.E. sind im MtEv die Jünger und die Zwölf „identisch“. Dabei bevorzuge Mt den Begriff „Jünger“ und vermeide es von den „Zwölf“ zu reden. Andererseits sagt Luz, dass das Substantiv μαθηταί und das Verb μαθητεύω zusammen gehören.2 Wie aber kann Luz beide Seiten konsequent zusammenhalten: wie bewertet er die Ausnahme 17,6? Und müsste Luz dann nicht zumindest auch Joseph von Arimathäa (27,57) als eine weitere Ausnahme neben 17,6 zählen?3 Ähnlich wie Luz argumentierte Wilkins: einerseits werden s.E. die beiden Konzepte „Zwölf“ und „Jünger“ von Mk und Mt „identifiziert“, womit Wilkins offensichtlich eine Deckungsgleichheit bzw. eine absolute Synonymie beider Konzepte meint. Andererseits lehnt er eine Beschränkung des Konzepts „Jünger“ auf die Zwölf ab. Seine Position bringt er im Lexikonartikel „Disciples“ auf den Punkt: normalerweise gebrauchen Mk und Mt die Jünger und die Zwölf als identische Größen, aber der Begriff „Jünger“ dürfe nicht auf die Zwölf beschränkt werden, denn es gebe auch andere Jünger im MtEv, z.B. Joseph von Arimathäa.4 Wilkins’ divergierende Aussagen stehen in einer Spannung zueinander, die nur auf den ersten Blick durch den Ausdruck „generally“ harmonisierbar zu sein scheinen.5 Ein weiteres Beispiel ist Minear: Einerseits stellt er fest, dass auch andere bestimmte sowie unbestimmte Individuen abseits des Zwölferkreises „Jünger“ genannt werden können. Andererseits geht er stets mit großer Selbstverständlichkeit davon aus, dass mit „Jünger“ immer die Zwölf gemeint sind. Wie problematisch Minears pauschale Gleichsetzung ist,6 zeigt z.B. seine Behauptung, dass Jesus mitsamt den Zwölf in 8,12-22 auf die andere Seite des Sees entwichen sei.7 Wie aber können die Zwölf dabei gewesen sein, wenn doch die Berufung des Zwölferkreis-Mitgliedes Matthäus chronologisch erst danach in 9,9 erfolgte? Diese argumentative Schwäche der fehlenden Konsistenz lässt sich bei einigen weiteren Forschern feststellen.8 Die an diesen Beispielen erkennbare Spannung sollte stattdessen durch eine konsequente eindeutige Positionierung aufgelöst werden: entweder setzt Mt die Zwölf und die Jünger bei allen Vorkommen gleich, d.h. er versteht sie immer als Synonyme oder aber nur in einer Teilmenge der Vorkommen. Im zweiten Fall wäre es aber nicht legitim, von einer grundsätzlichen Gleichsetzung zu sprechen, und die alternativen Gebrauchsweisen als Abweichungen vom „Normalen“ zu deklarieren bzw. zur Ausnahme zu degradieren.9

Die linguistische Unterscheidung von „Begriff“, „Bedeutung“ und „Referent“.10 Das „Semiotische Dreieck“ (von Ogden / Richards)11 mit drei Zeichenaspekten begründet, dass der Begriff (Signifikant)12 und die Referenzgröße (Signifikat) zwar aufeinander bezogen, aber nicht zeit- und kontextlos stabil verbunden sind. Denn die Bedeutung wohnt einem Ausdruck nicht inne, sondern die Bedeutung wird dem Ausdruck in einem bestimmten sozialen und situativen Kontext von einer Sprachgemeinschaft zugesprochen, d.h. die Bedeutung eines Ausdrucks kann sich verändern.13


Aus linguistischer Perspektive ist die Unterscheidung von Bedeutung und Referent fundamental.14 Die Bedeutung gehört zum Sprachsystem (langue) und wird im Lexikon beschrieben (Beispiel: ein „Haus“ wird definiert als „ein Gebäude, das zum Wohnen dient“). Der Referent gehört zur Sprachverwendung (parole) und stellt dasjenige Element dar, worauf sich der Begriff im Einzelkontext bezieht, d.h. welches konkrete Segment der (realen oder kognitiv vorgestellten) Wirklichkeit benannt wird (Beispiel: ein bestimmtes Haus, mit einer bestimmten Farbe, Größe, usw.; z.B. mein eigenes Haus, weiß verputzt, dreistöckig, usw.).15 Welche der lexikalischen Bedeutungsvarianten zur Anwendung kommt (so im Falle von Polysemie) und auf welche Referenzgröße diese eine Bedeutungsvariante bezogen ist, entscheidet immer der sprachliche sowie außersprachliche Kontext.16 Denn ohne Kontext ist ein intendierter Referent nicht ermittelbar. Deswegen muss man stets auf den Begriff als Bestandteil des Textes achten, weniger auf den im Lexikon isolierten Begriff.17 Von diesen linguistischen Beobachtungen ausgehend lassen sich folgende Behauptungen im Zusammenhang der Thematik „Zwölferkreis“ kritisch bewerten:18 Erstens die Behauptung, dass die statistische Häufigkeit der Begriffe „Jünger“, „Zwölf“, „Apostel“ usw. die Stärke des auktorialen Interesses am jeweiligen Gegenstand anzeige. Man hat diese Argumentationsweise folgendermaßen angewandt: Mt interessiere sich nicht für die zwölf Jünger im Allgemeinen, sondern lediglich für ihr Jünger-Sein im Speziellen, weil er den Begriff „Zwölf“ meide und stattdessen über 70 Male den Begriff „Jünger“ gebrauche.19 Und analog dazu hat man argumentiert: Mt interessiere sich nicht für die „Apostel“ bzw. die Apostolizität der Jünger, weil der Begriff „Apostel“ im MtEv nur ein einziges Mal vorkomme. Gegen eine solche Argumentationsweise zeigt das semiotische Dreieck, dass sich das Interesse des Autors an einem bestimmten Inhalt nur bedingt durch die statistische Häufigkeit eines bestimmten Begriffs belegen lässt. Ein gehäuft auftretendes Wort kann das inhaltliche Thema anzeigen, muss es aber nicht. Die Wortstatistik, die auf der Grundlage einer Konkordanz erstellt wird, ist deswegen nicht mehr als ein ergänzungswürdiges Indiz. Es kann aber auch in die Irre führen. So könnte man theoretisch folgenden Schluss ziehen: weil Mt viel häufiger als Mk den Begriff „Jesus“ gebraucht, habe Mk weniger Interesse an Jesus als Mt. Diese Behauptung trifft aber mit Sicherheit nicht zu.20 Weil es letztlich um die Referenzgröße bzw. den kommunizierten Sachverhalt geht, müssen sämtliche Begriffe und lexikalische Bedeutungen in Betracht gezogen werden, die auf diesen Sachverhalt verweisen, beispielsweise Pronomen.21 Der Evangelist Mt kann durchaus ein großes Interesse an der Referenzgröße, dem Realitätsausschnitt „Zwölferkreis“ offenbaren, obwohl er den Begriff „Zwölf“ selten gebraucht. Zweitens ist die Behauptung kritisch zu bewerten, dass mit einem Begriffswechsel, nämlich vom referenzstärkeren (mk) „die / seine zwölf (Jünger)“ oder „Apostel“ hin zum referenzschwächeren (mt) „die / seine Jünger“ ein Referenzwechsel vollzogen werde, d.h. damit auf eine andere Personengruppe der (realen oder kognitiv vorgestellten) Wirklichkeit verwiesen werde, z.B. auf die Mitglieder der sogenannten mt Gemeinde, die sich evtl. als „Jünger“ bezeichnen. Dagegen spricht, dass die Wahl einer referenzschwächeren Bezeichnung für eine Person für sich genommen eben nicht ein vermeintliches „Desinteresse“ an der Person belegt, etwa in dem Sinne, dass eigentlich eine andere Person gemeint sei. Das Interesse des Autors an den Jüngern und sein Desinteresse an den Zwölf lässt sich also nicht durch das Ergebnis des synoptischen Vergleichs, dass Mt den mk Begriff „die Zwölf“ durch „die Jünger“ ersetze, begründen. Denn: die (theologische) Bedeutung eines Textes äußert sich nicht in der Begriffswahl.22 Vielmehr ist entscheidend, ob Mt auch den Referenten ändert, wenn er den Begriff ändert. Man sollte also stattdessen fragen: worauf bezieht sich im jeweiligen Textkontext der Begriff „Jünger“? Zu selten werden in der oben beschriebenen Mt-Forschung folgende Möglichkeiten im synoptischen Vergleich der Begriffswahl von „Jünger“, „Apostel“, „Zwölf“ usw. diskutiert: hat Mt spezifiziert und expliziert, was bei Markus implizit gemeint war? Wann war der Referent bei Mk (unabsichtlich oder absichtlich) mehrdeutig? Und wann widerspricht Mt seiner Vorlage? Gibt es ein Muster in seinen Veränderungen? Usw. Denn: Möglicherweise sieht Mt im MkEv an verschiedenen Stellen tatsächlich nicht speziell die Zwölf angeredet und belässt es bei dem allgemeinen „Jünger“, dann wäre Mt dem MkEv gegenüber konservativ, da er keine Referentenwechsel vornimmt. Und dann wäre es unangemessen zu behaupten, Mt habe kein Interesse an den Zwölf, weil er die Zwölf nicht dort einfügen möchte, wo sie schon bei Mk nicht gemeint waren. Drittens ist die Behauptung kritisch zu bewerten, dass der Evangelist einen bestimmten Begriff wähle, um durch ihn auf direktem Wege bestimmte Leser-Gruppen zu adressieren. Luz, Zumstein, Wilkins, Sheridan u.v.a. hatten argumentiert, dass Mt den Begriff „Jünger“ bevorzuge, weil er für die Adressaten leichter zugänglich sei: er ermögliche den Lesern eine „Identifizierung“ mit diesen Textfiguren. Im Gegensatz dazu stünden historisch konkrete Personen, wie z.B. namentlich bekannte Jünger oder die Zwölf, die den Lesern eine „Identifizierung“ erschweren oder gänzlich verhindern.23 Doch wendet man das semiotische Dreieck auf dieses Argument an, dann lässt sich daraus schließen, dass sich der Begriff „Jünger“ meistens auf textinterne Personen bezieht. Wie unter I,1.2.3.1 bereits eingeräumt, kann ein Begriff zwar tatsächlich die Identifizierung erleichtern. Aber die eigentliche „Kluft“ zwischen dem Leser und dem textuellen Jünger wird dadurch nicht aufgelöst oder wesentlich geschmälert, da der Leser des MtEv aufgrund des textuellen Kontextes erkennen kann, dass sich der Begriff „Jünger“ in fast allen Fällen eindeutig auf historisch entfernte Personen bezieht, und nicht auf den Leser selbst, – unabhängig davon, ob diese im Text mit „Jünger“ bezeichnete Person namentlich bekannt ist oder nicht. Die textinternen, kontextuell wesentlich näherliegenden Referenten der Begriffe „Jünger“, „Schriftgelehrte“, „Propheten“ usw. werden bei dieser Argumentationsweise häufig übergangen und die Gemeindechristen oder Teile davon zu „heimlichen“, aber „eigentlichen“ Referenten erklärt. Doch selbst wenn „Jünger“ ein „doppelbödiger“ Begriff sein sollte, so ist der jeweilige Referent von „Jünger“ zuallererst innertextuell zu suchen. Ob und wie der Leser die im MtEv beschriebenen Jüngerpassagen auf sich anwendet, ist zwar eine wichtige, aber sekundäre Frage. Jedenfalls steht fest, dass das Genre des „Evangeliums“ sich von den ntl Briefen u.a. insofern unterscheidet, dass es keine konkreten Handlungsanweisungen in direkter Weise an konkrete Personen der Gemeinde(n) richtet (wenngleich durchaus in indirekter Weise). Viertens ist die Behauptung kritisch zu bewerten, dass der Begriff „Jünger“ die Bedeutung „nachfolgewilliger Christ“ oder die Bedeutung „Mitglied der zwölf Jünger Jesu“ habe.24 Doch wendet man das semiotische Dreieck auf diese Definitionen an, dann lässt sich daraus schließen, dass sämtliche Begriffs-Vorkommen (im MtEv und in anderen Texten) einbezogen werden müssen, um die „normale“ Bedeutung des Begriffs „Jünger“ abzuleiten. Denn die Bedeutung eines Begriffs bildet den kleinsten gemeinsamen Nenner aller Merkmale sämtlicher Einzelreferenten.25 Mit anderen Worten: Im Lexikon findet man im besten Fall diejenigen Merkmale in Form einer Definition zusammengefasst, die mit allen konkreten Verwendungen des Ausdrucks kompatibel sind, vorausgesetzt sie lassen sich kohärent einem semantischen Wortfeld zuordnen (wenn sie sich nur verschiedenen Wortfeldern zuordnen lassen, dann liegt Polysemie vor). Es sollten deswegen weder zu viele noch zu wenige Merkmale in die lexikalische Definition aufgenommen werden. Zum ersten Fehler: Werden zu viele Merkmale aufgenommen, dann liegt ein „illegitimate totality transfer“ vor.26 Eine ähnliche Form dieses Fehlers ist ein falscher terminus technicus, nämlich wenn man nur die Referenten einer Teilmenge der Begriffs-Vorkommen in die Bedeutung aufnimmt und behauptet, dass diese Bedeutung bei allen Begriffs-Vorkommen vorliegt.27 Wenn allerdings die Bedeutung „Jünger“ weniger konkrete Merkmale enthält, was sich allein aus den genannten Stellen ergibt, dann ist dieses Konzept vielfältiger anwendbar. Zum zweiten Fehler: Werden zu wenige Merkmale aufgenommen, droht die Gefahr Mehrdeutigkeiten gewaltsam in ein Bedeutungsfeld zwängen zu wollen, indem man nur sehr wenige Merkmale der semantisch verschiedenen Wortfelder durch ein zu hohes Abstraktionsniveau unter einer gemeinsamen Oberkategorie vereint.28 Diese Ausführungen zu den beiden genannten möglichen Fehlern bedeuten zweierlei: Erstens muss man mit dem Gebrauch des Begriffs „Jünger“ im MtEv beginnen, bevor man sich den Vorkommen im MkEv oder im LkEv zuwendet.29 Zweitens darf man sich nicht auf die redaktionellen Veränderungen beschränken. Das bedeutet: man muss auch die vermeintlichen redaktionellen „Reste“ als wesentliche Bestandteile des Begriffsverständnisses berücksichtigen; es gibt innerhalb einer lexikalischen Bedeutung keine „Ausnahmen“, vorausgesetzt sie gehören zu demselben semantischen Wortfeld. Alle Bedeutungsmerkmale müssen zu allen Referenten passen.30 Wer dann aber im Einzelfall mit „Jünger“ gemeint ist und welche spezifischen Merkmale hervorgehoben oder hinzugefügt werden (z.B. wessen Jünger ist das? Welche spezifischen Merkmale hat diese Jüngerschaft?), ergibt sich aus dem jeweiligen Kontext. Fünftens ist die Behauptung kritisch zu bewerten, dass die Bedeutung des Begriffs μαθητής von der Bedeutung des Verbs μαθητεύω (Mt 13,52; 27,57; 28,19) zu trennen sei. So hatte z.B. Strecker für eine Trennung beider plädiert, um seine These zu stützen, dass der Begriff μαθητής allein für die Zwölf reserviert sei. Doch aus linguistischer Sicht ist diese Trennung fragwürdig, weil beide zu einem einzigen semantischen Wortfeld gehören.31 Man darf ebensowenig das Verb (im Passiv) auf den Aspekt „unterwiesen werden“ reduzieren, da auch das Nomen „Jünger“ mehr als den Aspekt des Unterwiesen-Werdens umfasst.32 Und sechstens ist die Behauptung kritisch zu bewerten, dass es für die Bestimmung der spezifischen Bedeutung oder Referenzgröße von „Jünger“ relevant sei, ob Mt „die Jünger“ oder „seine Jünger“ sage.33 Dagegen lässt sich aus linguistischer Sicht einwenden: Nicht an einem Artikel oder Personalpronomen für sich genommen, sondern am weiteren Kontext lässt sich klären, wer mit „Jünger“ jeweils gemeint ist. Außerdem steht diese These auf „wackeligem Boden“, weil einige Vorkommen des possessiv gebrauchten Personalpronomens „seine“, die jeweils im Zusammenhang mit „(die) Jünger“ stehen, textkritische Varianten aufweisen.34

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