Kitabı oku: «Faulfleisch», sayfa 4

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Liam nickte, bezweifelte aber Hübis Uneigennutz. »So, ich will mal wieder, ne«, verabschiedete sich Hübi.

Liam schätzte, dass Hübi nach eigener Einschätzung schon viel zu viel von sich erzählt hatte, aber er wollte in Erfahrung bringen, was es mit dem Gerichtsvollzieher auf sich hatte.

»Und was ist das für ein Typ, der Gerichtsvollzieher? Mann, du warst echt sauer auf den.«

Hübi verharrte und sammelte sich. Er guckte links an Liam vorbei und überlegte, ob und was er sagen sollte.

»Keine Ahnung, weissu. Kommt wohl aus Hamburg, ne. Hat einfach den Hof gekauft und kommt immer erst sehr spät zurück. Kommt fast nie raus und hat immer die Vorhänge zu, weissu. Manchmal kommen da Männer zu Besuch, oder so, aber der hat ja auch keine Frau und keine Kinder da, weissu.«

Emotional fühlte sich Liam sonderbar mit dem Herrn Gerichtsmediziner verbündet, denn verdeckte Ressentiments waren ihm gerade von der alt eingesessenen Dorfbevölkerung auch entgegengeschlagen. Sobald im Kindergarten bekannt war, dass Sandra und er sich in einer schwierigen Phase befanden und sogar in Trennung lebten, verhielten sich einige Mütter abweisend, fast arrogant. Meistens die, die einen Landwirtschaftsbetrieb hatten. Auf der anderen Seite war der Gerichtsmediziner sonderbar. Und ja, die verdammte Hand hatte er gesehen. Wenn es denn nicht irgendein Tier gewesen war. Liam überlegte und Hübi wartete auf eine Reaktion.

»Weissu, wie ich mein, ne?«

»Ja, ja.« Liam nickte abwesend. »Ja, klar, versteh’ ich voll.« Beide schwiegen.

»Stubenhocker, ne. Schwuler Stubenhocker!« Hübi erwartete eine anerkennende Reaktion von Liam, doch Liam schwieg beharrlich.

»Na ja, ich muss weiter, doh.« Hübi verabschiedete sich freundlicher als vorher. Liam blieb mit verschmutzter Skijacke auf der Brücke stehen und schaute sich nachdenklich den Sonnenuntergang in der Oberalsterniederung an. Er wusste nicht einzuordnen, was er von einem Gerichtsmediziner mit solchen Neigungen halten sollte. Er wusste nicht, was ein Gerichtsmediziner genau arbeitete. Er vermutete, dass er sich um die ungeklärten Todesfälle kümmerte und die Leichen obduzierte. Auf der einen Seite hatte Liam dann für solche, in seinen Augen kranken, Neigungen, wie Sado-Maso-Spiele, Verständnis, andererseits wurde ihm der Mann dadurch unheimlicher. Er beschloss, sich das Moor genauer anzuschauen und stieß sich von dem Geländer der Brücke ab. Er schätzte es jetzt auf ein Uhr, hatte aber keine Lust, sich mit einem Blick auf sein Handy zu vergewissern.

Bis auf Hübi, der mit Teufel gleich um die Kurve am Waldrand gehen würde, war er hier allein. Wahrscheinlich war die Mittagszeit hier auf dem Dorf noch eine heilige Zeit. Dann hatte das Mittagessen dampfend auf dem Tisch zu stehen, und die Familie speiste gemeinsam. Sie sprachen ein Tischgebet. Liam spürte, wie der Zynismus in ihm hochkroch. Eigentlich wünschte er es sich nichts anderes. Abgesehen von dem Tischgebet.

Die Straße vor ihm führte ins Wakendorfer Moor. Links und rechts säumten Waldstücke den Weg. Selten zuvor hatte Liam so viele verkrüppelte Bäume beieinander stehen sehen. Einzig zahlreiche halbhohe Birken verliehen dem Anblick etwas Ordnendes. Die Asphaltierung wich einem Schotterweg mit respektablen Schlaglöchern. Dahinter führten links und rechts des Weges kleinere Wege ins Unterholz. Linkerhand sah Liam, dass der Weg einige Meter weit befahrbar war, danach wurde er zu einem Wildpfad. Liam spürte das Kribbeln des Entdeckers. Die Anfänge des Moores auf der rechten Seite des Weges, mit brackigen Wasserlöchern und einzelnen, auf kleinen Inseln stehenden, verkrüppelten Bäumen, umgekippten und moosbehangenen Baumstümpfen, waren von seiner Warte zu erkennen und faszinierten ihn. Zur linken Hand sah es aus, als wäre vor langer Zeit Erde abgetragen worden. Das Gelände sah von Menschenhand bearbeitet aus. In dem eingestanzten Rechteck stand hellbraunes Gras kniehoch, ab und an eine Birke. Um das Rechteck führte ein Weg und dahinter senkte sich ein weiteres Rechteck in die Tiefe. Hier war früher Torf gestochen worden. Staunend ging Liam den Weg weiter.

Hier musste er mit Jack hin. Er würde sich eine spannende Geschichte zu ihrem Ausflug ausdenken, ein abgestürztes Flugzeug und die Besatzung hatte hier noch, bevor sie von der Polizei geschnappt wurde, einen Schatz vergraben. Liam nickte und sah sich mit Jack trittsicher das moorige Unterholz erkunden. Bei den Wasserlöchern, wo es schon sumpfig wurde, musste er natürlich aufpassen. Ihm selbst waren sie auch unheimlich. Er stellte sich vor, aus einem dieser Löcher würde eine Hand herausragen und bei diesem Gedanken genoss er eine wohlige Gänsehaut, die ihm den Rücken hinaufkroch.

Rechts führte ein Damm durch das sumpfige Gebiet. Offenbar lag auch diese Seite damals höher, nur die Urtümlichkeit ließ es nicht mehr erahnen. Er überlegte. Welchen Weg würde Jack an seiner Stelle wählen? Liam wählte den Dammweg tiefer in das Moor.

Er ging an einem Wildfutterhäuschen vorbei und konnte sich die Arbeit eines Jägers gut vorstellen. Die Vegetation wurde uriger und auch feindseliger. Er verfing sich mehrmals an Brombeersträuchern und stieß sich schmerzhaft an einem überwucherten Baumstumpf den Fuß. Wie ein Vorhang lichtete sich links und rechts das Unterholz. Direkt an das Moorgebiet grenzend lagen Wiesen und Koppeln, auf der linken Seite sah er in der Ferne ein altes Holzgatter und einen Feldweg. Die Sonne am Horizont schimmerte rötlich und tauchte die Landschaft in ein Licht, in dem Liam sich angenehme Traumsequenzen vorstellten konnte. Er war beeindruckt und blieb stehen. Er ließ den Blick über den Horizont gleiten und atmete tief ein. Zum ersten Mal an diesem Tag war er eins mit sich und er genoss den Augenblick, ehe er erschrak.

Am Horizont, hinter einem Laubwaldstück, stand ein altes Bauernhaus. Liam brachte seine letzten Überlegungen, die er auf der Steinbrücke hatte, ehe Teufel ihn mit seinem Pansenatem beglückte, in Übereinstimmung mit seiner weiteren Wanderung. Es konnte sein, dass das der alte Königshof war. Vorhin hatte er nur die alte Holzbrücke sehen können, da war er auf der anderen Seite der Alster gewesen.

Das würde er prüfen.

Der vor ihm liegende Feldweg bog später nach rechts ab, also zurück zur Alster, und von dort konnte er einen freien Blick in Richtung Laubwald und Gehöft bekommen. Aufgeregt beschleunigte er seinen Schritt und blieb nach der Biegung stehen. Hinter einem Baumstumpf (er schätzte, es war eine Weide, weil nur Weiden seiner Ansicht nach solche Triebe hatten), aus dem mehrere kleine Stämme austraten, stand eine Gestalt. Verharrte regungslos und beobachtete mit einem beeindruckenden Fernglas den Horizont. Gedungene Statur, durch die Kälte in sich zusammen gekauert, passable Tarnkleidung. Sie verschmolz mit dem dunkelgrünschwarzen Baumstumpf. Liams Herzschlag beschleunigte sich. Er brachte die Gestalt augenblicklich mit den Geschehnissen auf dem Königshof zusammen. Der Gerichtsmediziner wurde schon beobachtet. Trotzdem wollte er sich zurückhaltend und vorsichtig verhalten. Er entspannte sich, atmete durch und versuchte dann, so normal wie möglich, seinen Weg fortzusetzen.

Das Fernglas war nicht auf den Königshof gerichtet, analysierte Liam. Gut. Was gab es hier sonst zu beobachten? Vielleicht ein Naturfreund. Oder ein Spanner. Vielleicht wimmelte es in diesem Moor ja nur so von Perversen. Liam unterdrückte ein Lachen bei diesem Gedanken. Entweder war es eine Frau oder ein kleinerer Mann. Sie trug einen Rucksack von Zermatt in Tarnfarben, eine dunkle Outdoorjacke und die Haare blieben durch eine Kapuze verborgen. Liam stand wenige Schritte hinter ihr und wartete darauf, dass sich die Person rührte. Nichts. Liam räusperte sich. Erschrocken drehte sich eine ältere Frau um. Eine graumelierte Strähne fiel ihr in die Stirn. Hinter Tränensäcken blickten neugierige Augen, umrahmt von durch Kälte geröteten Wangen. Liam fand die Frau auf Anhieb sympathisch.

»Was beobachten Sie denn dort, wenn ich fragen darf?« Er reckte den Kopf gen Horizont.

»Schäfer«, stellte sie sich vor und reichte ihm die rechte Hand hin. Mit der linken zog sie etwas aus der Jackentasche, zeigte ihm einen Ausweis mit einem Foto von ihr aus tränensackärmeren Tagen.

»DOG, Deutsche Ornithologen-Gesellschaft. Ich bin Lehrerin«, erklärte sie ihm das Akronym und nannte ihren Beruf. Liam war von ihrem Auftreten überrascht und suchte nach einer adäquaten Antwort. Es fiel ihm nichts ein also fragte er. »Und was beobachten Sie?«

Sie nickte, als würde sie jetzt seine Frage mit ihrem Tiefgang erkennen können. Sie steckte den Ausweis wieder ein und nahm den Feldstecher, der an ihrem Hals hing, ab. »Sumpfohreulen. Letztes Jahr habe ich an mehreren Stellen in den Schlehenbüschen auf der anderen Seite des Weges Gewölle gefunden. Jetzt hier. Aber noch kein Nest.« Aus einem Reflex heraus schaute sich Liam die kahlen Äste der knöchernen Bäume an.

»Es sind Bodenbrüter«, belehrte sie ihn und Liam wusste, dass er sich zumindest nicht als Vogelexperte ausgeben konnte, wollte er mit ihr im Gespräch bleiben.

»Ja, das wusste ich gar nicht«, gab er zu. »Ich kenne die Gegend erst seit kurzem, vielmehr lerne ich sie eigentlich gerade erst kennen. Aber mir ist schon aufgefallen, wie viele verschiedene Vogelarten es hier gibt. Erstaunlich.« Liam zeigte sich ernsthaft interessiert. In diesem Moment war er es auch. Wahrscheinlich führte dieser Umstand zu einem Brechen des Eises, wie man sagt, denn Frau Schäfer entspannte sich und lächelte.

»Hundertdreiundsechzig«, sagte sie und nickte stolz und anerkennend zugleich. Liam verstand nicht. »Es gibt hier in diesem Moor«, sie deutete um sich herum, »… hundertdreiundsechzig Vogelarten. Und seit vier Jahren lassen sich hier Kraniche nieder.« Ihre Augen strahlten euphorisch unter der Kapuze und Liam hätte sie niemals für eine Lehrerin gehalten, die sich über den ständigen Stress in der Schule beklagte und vor allem über unmotivierte Schüler. Aber Ornithologie war ihr Hobby und kein Unterrichtsfach und wahrscheinlich unterrichtete sie in ihren Fächern, weniger begeisternd. Liam ließ sich von ihrer Begeisterung anstecken.

»Hundertdreiundsechzig!«, er pfiff als Zeichen des Respekts. »Ich hätte Schwierigkeiten, sie alle auseinander zu halten. Na ja, ich hätte wahrscheinlich schon Schwierigkeiten überhaupt ein paar zu erkennen«, gestand er. »Kann man denn jetzt welche beobachten?«

»Klar.« Sie drehte sich zum Horizont. »Dort hinten im Schilf«, sie deutete auf einen entfernten Schilfgürtel, »sind mehrere große Brachvögel.« Umgehend fixierte sie die erwähnte Stelle mit ihrem Fernglas und justierte mit dem rechten Mittelfinger ein kleines Rädchen.

»Ja …«, murmelte sie, »ja, da ward ihr doch eben.« Sie schwenkte nach links, dann wieder nach rechts. »Ah ja. Da sind sie. Wenn der Frühling kommt, kann man sie hier sehr gut hören«, erklärte sie ihm und konzentrierte sich dabei.

»Nehmen Sie mal«, sagte sie, drehte ihr Gesicht zu ihm und hielt das Fernglas unverändert in die Richtung.

»Na los, schauen Sie mal.« Liam zuckte kurz mit der Schulter und nahm die Einladung an. Behutsam nahm er ihr das Fernglas ab und brachte es auf seine Augenhöhe. Er sah unscharf, doch bevor er etwas sagen konnte, forderte sie ihn auf, die Einstellung zu verstellen. Das Bild wurde schärfer und er konnte drei beigebraune Vogelköpfe mit langen gekrümmten Schnäbeln zwischen den dichten Halmen ausmachen. Sehr groß, sehr nah. Die Vögel guckten dümmlich, so, als wäre ihnen gewahr geworden, dass sie beim Kacken beobachtet wurden und Liam kam sich voyeuristisch vor. Andererseits belustigte ihn die Vorstellung.

»Ich hab’ sie. Sie sehen irgendwie lustig aus. Großer Brachvogel, ja?«

»Mmh«, bestätigte sie neben ihm. »Im Frühling ruft er immer ›kuri–wi‹.«

»Ah, das hab ich schon mal gehört«, erinnerte sich Liam an diese Melodie. Er fragte sich, wo das gewesen sein könnte, aber die kackenden, großen Brachvögel interessierten ihn mehr. Sie huschten hysterisch und aufgeregt durch das hohe Gras.

»Toll, wirklich. Vor allem, wie nah man sie damit ran bekommt.« Er drehte sich zu ihr und bemerkte, dass sie die letzte Äußerung verstimmt hatte.

»Ja, es ist schon ein sehr hochwertiges Fernglas. Zeiss Victory 8x56«, antwortete sie sachlich. Liam mutmaßte, sie kannte das von ihren Schülern. Anstatt sich für die Sache an sich zu begeistern, war das Interesse an der technischen Umsetzbarkeit größer.

»Nein, das meine ich nicht«, widersprach Liam. »Ich meine, es wirkt fast so, als würden sie sich beobachtet fühlen. Als würden sie spüren, dass ich hier stehe. Könnte das sein?«

Sie überlegte und jonglierte den Gedanken hin und her. »Ja, ich glaube, ich weiß, was sie meinen. Vögel scheinen über eine Art siebten Sinn zu verfügen. Kurz vor dem Tsunami damals wurde aus ganz vielen Gegenden von ausziehenden Vogelschwärmen berichtet. Ungefähr sechs Stunden vor dem Seebeben sind die küstennahen Arten auf erhabene Gebiete ausgewichen. Stämme, also so einheimische Gruppen, sind ihnen gefolgt und haben den Tsunami so auch überlebt. Von einigen Vögeln spricht der Volksmund sogar, dass sie den nahenden Tod spüren können. Vor allem der Kauz gilt als Totenvogel.«

»O.K«, Liam stellte fest, dass Frau Schäfer nicht nur über akademisches Wissen zu dem Thema verfügte.

»Dort hinten in den Vogelbeeren leben Birkenzeisige«, deutete sie in die andere Richtung und Liam folgte ihrem Finger.

»Nein, eher dort.« Sie korrigierte etwas und Liam sah eine Ansammlung struppigen Dickichts, in dem eine Schar von kleinen, graubraunen Vögeln herumhüpfte. Das voyeuristische Gefühl in ihm nahm ab, vielleicht weil es so viele Zeisige waren. Er fand es spannend, sie so beobachten zu können und schwieg fasziniert. Frau Schäfer genoss, ebenfalls schweigend, diesen Zustand.

Im Hintergrund konnte Liam unscharf eine kleine Straße erkennen. Die beiden Autos, die sich entgegen kamen, hatten Licht an.

Drei Zeisige stritten um etwas. Was es war, konnte Liam nicht erkennen, mal hatte es der eine, dann wieder der andere im Schnabel.

Das dunkle Auto war eckig.

Der eine Zeisig flog mit dem Teil im Schnabel zu einem anderen Gebüsch, die beiden anderen folgten ihm.

Das dunkle Auto war ein Volvo und fuhr zum alten Königshof. Liams Atmung setzte aus und er wechselte unauffällig sein Ziel. Den Fahrer konnte er nicht erkennen, aber es war der Wagen des Gerichtsmediziners. »Toll, oder?«, wollte Frau Schäfer wissen.

»Mmh.« Der Wagen hielt auf dem Hof, dort wo Liam ihn schon einmal hat stehen sehen. Der Gerichtsmediziner stieg aus und lief zur Haustür, schloss diese auf und lief zum Auto zurück. Einer der beiden Hunde schoss durch die Tür und wollte den Arzt springend begrüßen. Er drückte den Hund unwirsch weg. Aus dem Auto holte er einen dunkelgrauen Plastiksack, den er mit Schwung schulterte. Offenbar war der Inhalt schwer, es musste ein reißfester Plastiksack sein. Vielleicht einer, den Gerichtsmediziner in ihrem Berufsalltag benutzten. Der Hund erschnüffelte etwas für ihn Interessantes in dem Sack und scharrte mit einer Pfote. Der Arzt trat kräftig zu und der Hund hielt Abstand. Angestrengt trug er den Sack ins Haus und eilte zurück, um einen weiteren Sack zu holen. Liam wurde angestupst, nicht zum ersten Mal.

»… so Spannendes?«, hörte er das Ende von Frau Schäfers Frage. Seine Verwirrung schüttelte er ab.

»Ähm, dort hinten, der da schleppt so komische Säcke in sein Haus.« Frau Schäfer nickte und nahm ihm sanft das Fernglas aus den Händen.

»Erster ethischer Grundsatz von mir: Ich beobachte Vögel und keine Menschen.«

»Äh ja, es ist nur …«, er schüttelte verzweifelt den Kopf und beließ es bei dieser Reaktion. »Sie haben Recht, wahrscheinlich kann man nur mit dieser Einstellung sinnvoll arbeiten«, nickte er ihr zu.

»Genau so ist es, auch wenn es manchmal schwer fällt, zu widerstehen. Aber anders geht es nicht«, bestätigte sie ihn. Liam hatte den Eindruck, sie würde sich gerne wieder der Sumpfohreule widmen. Er verabschiedete sich und ging den Weg weiter, der seiner Orientierung nach wieder auf den Hauptweg stoßen musste. Den gesamten Rückweg über musste Liam die gesehenen Bilder verarbeiten und er fragte sich, ob der Berufsstand Gerichtsmediziner im allgemeinen Arbeit mit nach Hause nahm.

Tod reimt sich auf Abendbrot

Sandra war nur flüchtig da. Er konnte kurz mit Lina schmusen und merkte an ihrem Verhalten, dass sie sich entfremdeten. Sandra war ihm auch fremd vorgekommen. Derzeit konnte er an dem Zustand nichts ändern. Jack freute sich auf ihn. Jack und er spielten mit Playmobil ein Ritter-Wikinger-Cowboy-Szenario nach. Jacks Freude an der Aufbauphase hatte nachgelassen, er wollte frei spielen, wobei das freie Spielen aus erbitterten Kämpfen unter den Figuren bestand. Jack hatte wie immer drei Lieblingsfiguren, die allen anderen an Kampfgeschick überlegen waren. Und sie konnten zaubern. Jacks Kreativität beindruckte ihn. Jack ließ sich aus dem Stegreif einen Zauber einfallen, womit seine Figuren wie Licht fliegen konnten. Liam fragte sich, welche Vorlagen Jack für solche Ideen hatte, oder ob er sich das frei erdachte.

Später saßen sie im Pyjama am Küchentisch und aßen Abendbrot. Liam hatte großen Hunger, vor ihm standen zwei Scheiben Vollkornbrot, eine mit Käse und Tomaten, die andere mit Kassler und Senf belegt. Jack hatte in seiner »Winnie Puuh«Schüssel Honeyballs und das Essen war für ihn nebensächlich. Wichtiger war das Gespräch. Im Hintergrund summte die Geschirrspülmaschine.

»… hat Lukas erzählt, dass er als ein Tier geht.« Jack stand vor Aufregung auf und aß im Stehen weiter.

»Und als was für ein Tier geht Lukas?« Liam wusste, dass Lukas in der Bärengruppe bei den Vorschulkindern betreut wurde. Jack war ganz aufgeregt, weil bald Fasching sein würde. Er hatte es bislang vergessen, aber offenbar hatte er etwas bei Sandra aufgeschnappt. Liam wäre gerne informiert gewesen, aber Sandra hatte keine Zeit und musste schnell weiter, um noch rechtzeitig einchecken zu können. Jack guckte ihn verständnislos an, seine Lippen formten stumme Töne.

»Als was, Jack? Als Elefant vielleicht, oder als Löwe?« Es arbeitete in Jack und die erste kleine Wutfalte zeigte sich auf seiner Stirn. In diesen Momenten, so mutmaßten Sandra und er immer, dachte Jack wohl darüber nach, wie dumm seine Eltern wirklich waren. Warum sie nichts verstanden. Warum sie offenbar seine Sprache vergessen hatten und, seinem verächtlichem Blick nach, wünschte er sich intellektuell ebenbürtige Gesprächspartner. Liam musste in solchen Situationen aufpassen, dass er nicht lachte.

»Als das Tier, Liam.« Jack schüttelte verständnislos den Kopf, der Löffel mit Honeyballs gefror in der Luft. Liam fragte vorsichtig nach.

»Ah. O.K. Was macht das Tier denn?«

Auf Jacks Gesicht zeigten sich Sonnenschein und Heiterkeit.

»Also das ist so einer«, der Löffel wurde in der Schüssel geparkt, denn Jack brauchte für seine Erklärung beide Hände, »der ist ganz bleich im Gesicht, hat zwei lange Zähne hier so.« Erst zeigte Jack auf seine beiden Eckzähne, da er aber wusste, dass sein Vater manchmal begriffsstutzig war, hob er Liams Oberlippe an und drückte Liams Eckzähne.

»Dann kann er fliegen.« Jack flatterte zwei Schritte von seinem Stuhl weg und wieder zurück.

»Und er trinkt Blut von Menschen.« Liam wartete.

»Und er schläft, aber das hab ich nicht verstanden, wo. Ich glaube, Lukas aber auch nicht.« Jack musterte ihn mit großen Augen.

»Als so ein, also wie so einer will ich auch verkleidet sein, Liam, auch so mit den Zähnen.« Aus reiner Liebe zu seinem Sohn hätte er »Ja« gesagt, aber er besann sich auf eine Absprache mit Sandra.

»Ich werde das mit Mami besprechen, und dann gucken wir mal Jack, aber weißt du, meinst du vielleicht einen Vampir?« Jack sprang hoch, es fehlte ihm die ganze Zeit dieses Wort. »Genau, das hat Lukas gesagt. Und weißt du, wie die schlafen? In einer Kiste, oder so?«

Liam nickte. »Ja, in einer Holzkiste meistens.« Liam überlegte. »Na ja, einige auch in Kisten aus Stein«, sagte er. Jack nickte und sah aus, wie jemand, der sich über seinen besten Freund freute, weil der ihn in den Sachen, wenn es darauf ankam im Leben, nicht enttäuschte. Liam spürte das und strich seinem Sohn über den Kopf.

»Ich hab dich lieb, Jacko.«

»Ich dich auch, Liam.« Solche Augenblicke hätte Liam am liebsten für immer konserviert, Jack aber zog es wieder weiter.

»Kann so ein Vampir totgehen, Liam?«

»Du meinst, ob er sterben kann?«, verbesserte Liam unauffällig. Jack nickte.

»Ja, Vampire können sterben.« Insgeheim hoffte Liam, dass Jack seine Fragerei einstellte, aber er glaubte nicht daran.

»Aber ein Vampir lebt doch nicht, oder? Hat Lukas gesagt.«

»Nein, ein Vampir lebt nicht.« Liam hatte in einem Erziehungsbuch gelesen, dass man Kindern nur erzählen sollte, was sie auch wirklich fragten. Zusatzwissen in sensiblen Bereichen würde sie verstören, deshalb hielt er sich zurück.

»Wie kann er sich denn bewegen, wenn er nicht lebt, Liam?« Es fing die Phase an, in der er für seine Antworten länger nachdenken musste. Danach kam meistens die Phase in der er keine Lust mehr hatte und unwirsch reagierte.

»Ein Auto lebt auch nicht, oder Jack? Und wenn es sich die ganze Zeit bewegt, dann muss ich manchmal wohin mit dem Auto. Weißt du noch wohin, Jack?«

»Zum Tanken?«

»Richtig. Gut, Jack. Wenn ein Auto also kein Benzin mehr hat, dann kann man es nicht mehr bewegen, also fahre ich häufig zum Tanken und gebe dem Auto Benzin. Ein Vampir braucht kein Benzin, aber was meintest du nochmal, was er trinken würde?«

»Blut von Menschen.«

»Genau! Das ist so was wie Benzin für Vampire.« Jack überlegte und schob sich einen Löffel Honeyballs in den Mund und Liam hoffte auf einen Waffenstillstand.

»Lukas hat gesagt, wenn ein Vampir … wenn einer vom Vampir gebissen wird, so am Hals, da beißen sie nämlich, da so«, er nahm Liams Hand und führte sie an Liams Hals, »dann wird der auch zum Vampir. Stimmt das?«

»Sag mal, woher weiß Lukas das alles?«, entfuhr es Liam aus Hilflosigkeit. »Phhh«, schindete er Zeit, um zu überlegen.

»Ja«, antwortete Liam dann knapp.

»Dann hat Lukas Recht«, nickte Jack und nahm einen weiteren Löffel zu sich.

»Macht er das, weil er keine Freunde mehr hat, wenn er tot ist, Liam? Andere beißen?«

»Vielleicht.«

»Wenn ein Vampir nicht lebt, wie kann er denn sterben?«

»Tja, das … ist gar nicht so einfach. Also sie sterben nicht von allein, sondern man muss sie töten. Menschen töten Vampire, weil sie Angst vor Vampiren haben. Aber Vampire gibt es nicht, Jacko. Nur in den Filmen, die Lukas wahrscheinlich guckt und zum Fasching.« Jack ignorierte sein pädagogisches Gefasel.

»Wenn ein Vampir einen beißt und der auch Vampir ist, dann hat er aber einen Freund, der auch nicht tot gehen kann. Nur wenn Menschen ihn töten, oder Liam?«

»Vielleicht.«

»Wenn ich ein Vampir bin, beiß ich dich, Liam.« Wieder hatte Liam das Bedürfnis, die aufkommende unglaubliche Liebe zu seinem Sohn festhalten zu müssen. Und dieses war auch der letzte schöne Moment für Liam, den er so bewusst mit seinem Sohn genoss.

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