Kitabı oku: «Die Fahrt zum Leuchtturm», sayfa 4
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Aber sein Sohn haßte ihn. Er haßte ihn, weil er zu ihnen kam, weil er stehenblieb und auf sie herabblickte; er haßte ihn, weil er störte; er haßte ihn wegen der Leidenschaftlichkeit und Hoheit seiner Bewegungen; wegen seines edel geschnittenen Kopfes; wegen seiner anspruchsvollen Selbstsucht (denn da stand er nun und verlangte Beachtung); am stärksten aber haßte er ihn wegen der schwirrenden, zitternden Erregung, die von ihm ausging und ihm, James, die vollkommene Einfachheit und Vernünftigkeit des Verhältnisses zur Mutter zerstörte. Er blickte starr in sein Buch und hoffte, daß er so den Vater zum Weggehen veranlassen könnte; er deutete mit dem Finger auf ein Wort und hoffte, damit die Aufmerksamkeit seiner Mutter wiederzuerobern, die, er wußte es voll Zorn, ihm entglitt, sobald der Vater stehenblieb. Aber nein. Nichts in der Welt konnte Mr. Ramsay zum Weitergehen veranlassen. Da stand er und forderte Mitgefühl.
Mrs. Ramsay, die lässig dagesessen hatte, den Arm um ihren Sohn gelegt, straffte sich und wandte sich halb zur Seite; es war, als risse sie sich mit Anstrengung hoch, als entsende sie sogleich einen Strom von Kraft in die Luft, eine sprühende Säule; sie sah zugleich belebt und lebenweckend aus, als wären alle ihre Kräfte zu einem einzigen Strom verschmolzen, der brannte und leuchtete (obwohl sie ganz ruhig dasaß und ihren Strumpf wieder zur Hand nahm); und in diese köstliche Fruchtbarkeit, in diese sprühende Springsäule aus Leben warf sich die tragische Unfruchtbarkeit des Mannes, ein erzener Schnabel, kahl und nackt. Er verlangte Mitgefühl. Er sei ein Versager, sagte er. Mrs. Ramsay ließ ihre Nadeln blitzen. Mr. Ramsay wiederholte, indessen er keinen Blick von ihrem Gesicht ließ, er sei ein Versager. Sie tat die Worte verächtlich ab. »Charles Tansley …«, sagte sie. Aber das genügte ihm nicht. Mitgefühl wollte er, seines Genies wollte er vor allem versichert werden, und dann wollte er aufgenommen werden in den Blutkreis des Lebens, wollte sich wärmen und hegen lassen; seine Sinne sollte sie wieder ins Gleichgewicht bringen, aus seiner Unfruchtbarkeit sollte sie Fruchtbarkeit machen, alle Räume des Hauses sollte sie mit Leben füllen – das Wohnzimmer, hinter dem Wohnzimmer die Küche, über der Küche die Schlafzimmer, jenseits der Schlafzimmer die Kinderzimmer; sie mußten ausgestattet, sie mußten mit Leben gefüllt werden.
Charles Tansley halte ihn für den größten Metaphysiker der Zeit, sagte sie. Aber er brauchte mehr als das. Er brauchte Mitgefühl. Er brauchte die Versicherung, daß auch er im Herzen des Lebens lebte; daß man seiner bedurfte; nicht nur hier, sondern in der ganzen Welt. Während sie ihre Nadeln blitzen ließ, zuversichtlich, aufrecht, erschuf sie Wohnzimmer und Küche, ließ sie hell aufleuchten; lud ihn ein, es sich darin behaglich zu machen, ein und aus zu gehen, sich daran zu freuen. Sie lachte, sie strickte. James, der sehr steif zwischen ihren Knien stand, fühlte, wie all ihre Kraft aufflammte, um getrunken und ausgelöscht zu werden von dem erzenen Schnabel, dem unfruchtbaren Säbel des Mannes, der erbarmungslos zuschlug, wieder und immer wieder, weil er Mitgefühl verlangte.
Er sei ein Versager, wiederholte er. Nun, er möge doch sehen, möge fühlen. Während sie ihre Nadeln blitzen ließ und um sich blickte, aus dem Fenster, ins Zimmer, auf James herab, gab sie ihm durch ihr Lachen, ihre Unbeirrbarkeit, ihr Sachverständnis (wie eine Kinderfrau, die ein Licht durch ein dunkles Zimmer trägt und dadurch ein empfindsames Kind beruhigt) die Sicherheit, daß alles wirklich war: das Haus war voll; der Garten blühte; kein Schatten eines Zweifels blieb zurück. Wenn er ihr blind vertraute, so konnte nichts Schlimmes ihn treffen; wie tief er sich auch vergrub, wie hoch er auch klomm, nicht eine einzige Sekunde würde sie von seiner Seite weichen. Als sie sich so ihrer Kraft zum Umhegen und Schützen rühmte, blieb kaum noch die äußere Hülse ihres Ichs übrig, an der sie sich hätte wiederkennen können; alles wurde verwendet und verschwendet; und James, der steif zwischen ihren Knien stand, fühlte, wie sie zu einem rosig überblühten Fruchtbaum voller Blätter und tanzender Äste aufwuchs, in den der erzene Schnabel, der unfruchtbare Säbel des Vaters, des selbstsüchtigen Mannes, schlug und stieß, weil er Mitgefühl verlangte.
Angefüllt mit ihren Worten, wie ein Kind, das gesättigt aufhört, aufgerichtet, erneuert, sah er sie schließlich voll demütiger Dankbarkeit an und sagte, er wolle nun einen kleinen Rundgang machen; er wolle den Kindern beim Kricketspiel zusehen. Er ging.
Sogleich war es, als faltete Mrs. Ramsay sich zusammen, ein Blumenblatt schloß sich ins andere, und das ganze Gebilde sank erschöpft in sich zusammen, so daß sie nur noch die Kraft besaß, in köstlicher Hingabe an ihre Erschöpfung den Finger über die aufgeschlagene Seite des Grimmschen Märchenbuches gleiten zu lassen, indessen das Entzücken gelungener Schöpfertat in ihr zitterte, wie die Spannung in einer Feder, die sich zu voller Länge gedehnt hat und nun langsam schwingend zur Ruhe kommt. Jedes Zittern dieser Spannung schloß, so schien es ihr, sie und ihren Mann ein, wie er nun fortging, gab ihnen beiden die tröstliche Lust, die zwei Töne, einer hoch, der andere tief, einander zu spenden scheinen, wenn sie zusammen angeschlagen werden. Doch als der Nachhall erstarb und sie sich wieder dem Märchen zuwandte, fühlte Mrs. Ramsay sich nicht nur körperlich erschöpft (das geschah ihr nach solchen Augenblicken immer), sondern in ihre körperliche Ermüdung mischte sich irgendein leises Unbehagen anderen Ursprungs. Nicht daß sie, während sie James das Märchen vom ›Fischer un syner Fru‹ vorlas, genau gewußt hätte, woher dieses Unbehagen rührte; sie wollte für ihre Unzufriedenheit auch keine Worte finden, als sie beim Umwenden einer Seite innehielt und dumpf, mit unheilvollem Klang eine Welle sich brechen hörte und den Grund für das Gefühl erkannte: Es war ihr nicht recht, wenn sie sich auch nur eine Sekunde lang ihrem Mann überlegen fühlte; auch konnte sie es nicht ertragen, wenn sie der Wahrheit dessen, was sie zu ihm sagte, nicht vollkommen sicher war. Daß die Universitäten und die Leute ihn brauchten, daß Vorlesungen und Bücher Dinge von allerhöchster Bedeutung waren – all das zog sie auch nicht einen Augenblick in Zweifel; aber es war ihr Verhältnis zu ihm, das ihr zu schaffen machte, war die Tatsache, daß er zu ihr kam wie eben jetzt, ganz offenkundig, so daß jeder es sehen konnte; denn nun würde es heißen, er wäre von ihr abhängig, wo sie doch wissen mußten, wie unendlich viel größer seine Bedeutung war als ihre und wie belanglos das, was sie der Welt gab, wenn man es an seinen Gaben maß. Aber das allein war es auch nicht – es war die Tatsache, daß sie ihm nicht die Wahrheit zu sagen wagte, über das Gewächshausdach zum Beispiel und die Kosten, die durch die Reparatur entstehen würden, fünfzig Pfund etwa; und dann über seine Bücher: denn sie fürchtete, er könnte ihren leisen Verdacht erraten, daß sein letztes Buch nicht sein bestes war (sie schloß das aus William Bankes' Worten); schließlich die Notwendigkeit, allerlei kleine alltägliche Dinge vor ihm zu verbergen, und die Kinder merkten es, und es bedrückte sie – all das minderte ihre volle Freude, die reine Freude am Zusammenklang der beiden Töne und war schuld daran, daß der Klang ihr nun trübe und matt im Ohr erstarb.
Ein Schatten fiel auf das Buch; sie blickte auf. Es war Augustus Carmichael, der vorüberschlurfte, ausgerechnet jetzt, in diesem Augenblick, wo es schmerzlich war, an die Unzulänglichkeit menschlicher Beziehungen erinnert zu werden: daß auch die vollkommenste nicht fehlerlos ist und der Prüfung nicht standhält, die sie, die ihren Mann doch liebte, mit ihrem Instinkt für Wahrheit vornahm; wo es für sie schmerzlich war, sich des Unwerts überführt, durch diese Lügen und Übertreibungen an der Erfüllung ihrer Aufgabe gehindert zu fühlen – gerade in diesem Augenblick, da sie sich jämmerlich im Kielwasser ihrer schöpferischen Entzückung abquälte, schlurfte Mr. Carmichael in seinen gelben Pantoffeln vorüber, und irgendein böser Geist in ihr trieb sie dazu, ihn anzurufen: »Wollen Sie ins Haus, Mr. Carmichael?«
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Er antwortete nicht. Er nahm Opium. Die Kinder sagten, damit habe er auch die gelben Flecke in den Bart gemacht. Möglich. Klar war ihr jedenfalls, daß der arme Mann unglücklich war, daß es ein Entrinnen für ihn bedeutete, wenn er alljährlich zu ihnen kam; und doch hatte sie Jahr für Jahr das gleiche Empfinden: er traute ihr nicht. Sie sagte: »Ich gehe zur Stadt. Soll ich Ihnen Briefmarken, Papier, Tabak besorgen?« – und fühlte, wie er zurückzuckte. Er traute ihr nicht. Daran war seine Frau schuld. Mrs. Ramsay entsann sich, wie sie sich in dem widerwärtigen kleinen Zimmer in St. John's Wood zu Stahl und Diamant verhärtet hatte, als sie die Gehässigkeit mitansehen mußte, mit der das abscheuliche Weib ihn aus dem Hause trieb. Er war ungekämmt; er beschmierte sich den Rock mit allem möglichen; er war so lästig, wie es nur ein alter Mann sein kann, für den es auf der Welt nichts mehr zu tun gibt; und sie setzte ihn vor die Tür. Sie sagte in ihrer abscheulichen Art: »So, und jetzt wollen Mrs. Ramsay und ich uns ein Weilchen unterhalten«, und Mrs. Ramsay sah so deutlich, als stünden sie vor ihr, die zahllosen Nöte seines Lebens vor sich. Hatte er wohl Geld genug, Tabak zu kaufen? Oder mußte er seine Frau darum bitten? um eine halbe Krone? um achtzehn Pence? Oh, es war unerträglich, über die kleinen Kränkungen nachzudenken, mit denen sie ihn quälte. Und nun stand es so, daß er sich immer (sie konnte sich nicht denken, warum, wenn eben nicht dieses Weib daran schuld war) vor ihr zurückzog. Er sprach nie ein offenes Wort zu ihr. Konnte sie aber mehr tun, als sie tat? Er bekam ein sonniges Zimmer. Die Kinder waren freundlich gegen ihn. Nie ließ sie ihn fühlen, daß er unerwünscht war. Sie war ganz besonders freundlich zu ihm. Brauchen Sie Briefmarken, brauchen Sie Tabak? Hier ist ein Buch, das Ihnen vielleicht gefällt, und so weiter. Und schließlich – schließlich (hier sammelte sie sich unmerklich physisch, als sie sich, wie es selten geschah, der eigenen Schönheit bewußt wurde) – schließlich fiel es ihr doch sonst nicht schwer, sich die Zuneigung der andern zu erwerben; George Manning zum Beispiel und Mr. Wallace; die kamen zuweilen, berühmt wie sie waren, abends zu ihr, um ruhig mit ihr am Kamin zu plaudern. Sie trug nun einmal die Fackel ihrer Schönheit, und es war nicht ihre Schuld, daß sie es wußte; sie trug sie hocherhoben in jeden Raum, den sie betrat; mochte sie Schleier darüber breiten, mochte es ihr grauen vor der Eintönigkeit der Haltung, die sie ihr aufzwang – ihre Schönheit blieb offenbar. Man hatte sie bewundert. Man hatte sie geliebt. Sie hatte Zimmer betreten, in denen Trauernde saßen. Tränen waren in ihrer Gegenwart geflossen. Männer, auch Frauen, waren zu ihr gekommen, um der Vielfalt der Dinge zu entrinnen und sich die Entspannung zu gönnen, die ihnen die Einfachheit schenkte. Es kränkte sie, daß Mr. Carmichael vor ihr zurückwich. Es schmerzte sie. Doch es war kein klarer reiner Schmerz. Daß er ihr nicht traute; daß all ihr Verlangen, zu geben, zu helfen, Eitelkeit war, das bekümmerte sie, gerade jetzt, als es ihr ihres Mannes wegen so unbehaglich zumute war: in diesem Augenblick mußte Mr. Carmichael vorbeischlurfen, in seinen gelben Pantoffeln, ein Buch unterm Arm, und ihre Frage nur mit einem Nicken beantworten. Geschah es nur zu ihrer eigenen Befriedigung, daß sie den triebhaften Wunsch spürte, zu helfen und zu geben, damit die Leute von ihr sagen sollten: ›O Mrs. Ramsay! liebe Mrs. Ramsay … ja, natürlich, Mrs. Ramsay!‹, sie brauchten und holen ließen und bewunderten? War es nicht insgeheim das, wonach es sie verlangte, und fühlte sie sich deshalb in diesem Augenblick, als Mr. Carmichael ihr auswich und sich in eine Ecke zurückzog, wo er endlose Stunden über Akrostichen saß, nicht nur in ihrem angeborenen Trieb schmerzlich verletzt, sondern auch auf einen kleinlichen Zug in ihrem Wesen, in allen menschlichen Beziehungen hingewiesen, wie brüchig, wie jämmerlich, wie eigennützig sie im Grunde genommen sind? Armselig und erschöpft und wohl keine Augenweide mehr (ihre Wangen waren hohl, ihr Haar war weiß), tat sie besser daran, ihre Gedanken auf die Geschichte vom Fischer un syner Fru zu richten und so das Nervenbündel, ihren Sohn James, zu beruhigen (kein anderes ihrer Kinder war so reizbar wie er).
»Dem Mann wöör syn Hart so swoor«, las sie laut, »un wull nich; he säd by sik sülwen: ›Dat is nich recht‹, he güng awerst doch hen. As he an de See köhm, wöör dat Water ganß vigelett un dunkelblau un grau un dick un goor nich meer so gröön un geel, doch wöört noch still. Do güng he staan un säd …«
Es wäre Mrs. Ramsay lieber gewesen, wenn ihr Mann sich nicht gerade diesen Augenblick ausgesucht hätte, um bei ihnen stehenzubleiben.
Warum war er nicht, wie angekündigt, gegangen, um den Kindern beim Kricketspiel zuzusehen? Aber er sagte nichts; er sah sie nur an; er nickte; er war einverstanden; er ging weiter. Als er wieder die Hecke vor sich sah, die so oft schon ein wägendes Innehalten zum Erfolg gerundet, einen Schluß mit Sinn erfüllt hatte, als er seine Frau und sein Kind sah, als er die Steinvasen mit den hängenden roten Geranien erblickte, die sich so oft schmückend um Gedankengänge gerankt hatten und sie nun inmitten ihrer Blätter aufgezeichnet trugen, als wären es Papierschnitzel, auf die man in der Hast des Lesens Notizen kritzelt – als er all dies vor sich sah, glitt er sacht in eine Betrachtung hinüber, zu der ihn ein Aufsatz in der ›Times‹ über die Zahl der Amerikaner, die alljährlich Shakespeares Haus besuchen, angeregt hatte. Wenn, so fragte er sich, Shakespeare niemals gelebt hätte, würde die Welt dann heute viel anders aussehen? Hängt der Fortschritt der Zivilisation von den großen Männern ab? Ist das Los des Menschen, allgemein gesehen, heutzutage besser als zur Zeit der Pharaonen? Und übrigens: Ist das Los des Durchschnittsmenschen, so fragte er sich, überhaupt der Maßstab, an dem wir den Stand der Zivilisation messen? Möglicherweise nein. Möglicherweise fordert die höchste Entwicklung das Vorhandensein einer Sklavenklasse. Der Fahrstuhlführer in der Untergrundbahn ist eine ewige Notwendigkeit. Der Gedanke war ihm widerwärtig. Er warf den Kopf zurück. Um ihm zu entrinnen, wollte er einen Weg finden, das Übergewicht der Künste zu mindern. Er wollte beweisen, daß die Welt für den Durchschnittsmenschen da ist; daß die Künste nur ein äußerer Zierat des menschlichen Lebens sind; daß sie aber kein Ausdruck dieses Lebens sind. Und daß Shakespeare nicht notwendig ist. Weshalb er eigentlich darauf aus war, Shakespeare herabzusetzen und sich auf den Helfer des Mannes hinauszuspielen, der ewig in der Tür des Fahrstuhls steht, wußte er selbst nicht genau, und er riß mit scharfem Ruck ein Blatt von der Hecke. All dies würde er im nächsten Monat den jungen Herren in Cardiff auftischen müssen, dachte er; hier, auf seiner Terrasse, unternahm er nur Streifzüge und verlustierte sich (er warf das Blatt weg, das er so verdrießlich abgerissen hatte) wie einer, der beim Reiten vom Gaul herunter nach einem Rosenbusch langt oder sich die Taschen mit Nüssen vollstopft, indessen er nach Herzenslust durch die Heckenwege und über die Felder einer Gegend streift, die ihm seit der Knabenzeit vertraut ist. Alles war ihm vertraut; hier die Wendung der Straße, da der Zauntritt, dort der Richtweg quer über die Felder. Stunden konnte er an manchen Spätnachmittagen damit verbringen, daß er, seine Pfeife rauchend, hin und her und ein und aus in den alten Heckenwegen und auf den Gemeindewiesen schweifte, die hier mit der Geschichte dieser Schlacht, dort mit dem Leben jenes Staatsmannes behaftet waren, mit Gedichten und Anekdoten und Gestalten: hier ein Denker, dort ein Kriegsmann; all das sehr lebendig und klar; schließlich aber führte ihn der Weg durch Heckenwege, über Felder und Gemeindewiesen, vorüber am früchteschweren Nußbaum und der blühenden Hecke zu jener ferneren Wendung der Straße, wo er jedesmal abstieg, sein Pferd an einen Baum band und zu Fuß weiterging, allein. Er kam zum Rand des Rasens und blickte auf die Bucht hinab.
Es war nun einmal, er mochte wollen oder nicht, sein Schicksal, seine Besonderheit, immer wieder auf ein solches Stückchen Land zu gelangen, das die See langsam wegfrißt, und dazustehen wie ein einsamer Meervogel, ganz verlassen. Er besaß die Kraft, die Gabe, plötzlich alles Überflüssige von sich abzutun, gleichsam zu schrumpfen und sich zu mindern, so daß er kahler aussah und sich magerer vorkam, sogar körperlich, dabei aber nichts von der Spannkraft seines Geistes verlor und nun so auf seinem Streifchen Landes stand, vor sich die Finsternis menschlicher Unwissenheit, denn wir wissen nichts, und das Meer frißt den Grund weg, auf dem wir stehen, das war sein Schicksal und seine Gabe. Da er aber, wenn er so vom Pferd stieg, alle eitlen Gebärden und alle Nichtigkeiten von sich getan, die ganze Beute an Rosen und Nüssen fortgeworfen hatte, da er eingeschrumpft war, so daß er nicht nur allen Ruhm, sondern sogar seinen eigenen Namen vergaß, so bewahrte er sich selbst in dieser Verlassenheit eine wache Schärfe, die kein Trugbild schonte und in keinem Traum schwelgte; und mit dieser Verwandlung flößte er William Bankes (nicht immer) und Charles Tansley (der ihm blindlings ergeben war) und seiner Frau in diesem Augenblick, als sie ihn am Rande des Rasenplatzes stehen sah, tiefe Verehrung und Mitleid ein, auch Dankbarkeit, wie ein ins Kanalbett gerammter Pfahl, auf dem die Möwen rasten und gegen den die Wellen schlagen, in den fröhlichen Fahrgästen der Schiffe ein Gefühl der Dankbarkeit erweckt, weil er, einsam in den Fluten, die Pflicht auf sich genommen hat, das Fahrwasser zu bezeichnen.
»Aber dem Vater von acht Kindern bleibt keine Wahl …«
Er murmelte es halblaut, brach ab, wandte sich, seufzte, hob die Augen, suchte mit dem Blick die Gestalt seiner Frau, die dem kleinen James vorlas, stopfte sich die Pfeife. Er wandte sich ab vom Anblick menschlicher Unwissenheit und menschlichen Schicksals und der See, die den Grund unter unseren Füßen wegfrißt – einem Anblick, der ihn vielleicht zu etwas geführt hätte, wenn er ihn unverwandt hätte betrachten können; und fand Trost in kleinen Dingen, die im Vergleich zum Ernst des eben noch durchdachten Gegenstandes so geringfügig waren, daß er sich versucht fühlte, verächtlich über diesen Trost hinwegzugehen, als wäre es für einen ehrlichen Mann das schändlichste aller Verbrechen, sich in dieser Welt des Elends bei einem Glücksgefühl ertappen zu lassen. Es ließ sich nicht leugnen: er war zumeist glücklich; er hatte seine Frau; er hatte seine Kinder; er hatte sich verpflichtet, in sechs Wochen den jungen Herren in Cardiff ›irgendwelchen Unsinn‹ über Locke, Hume, Berkeley und die Ursachen der Französischen Revolution zu erzählen. Dies aber und die Lust, die er daran empfand, an den Sätzen, die er baute, an der feurigen Glut der Jugend, an der Schönheit seiner Frau, an den Huldigungen, die ihm aus Swansea, Cardiff, Exeter, Southampton, Kidderminster, Oxford, Cambridge gezollt wurden – all das mußte unter der verächtlichen Redensart vom ›Unsinn erzählen‹ verhehlt werden, weil er im Grunde nicht vollbracht hatte, was er hätte vollbringen können. Es war ein Vorwand; es war die Zuflucht eines Mannes, der den Besitz eigener Gefühle scheute, der nicht zu sagen wagte: Das da schätze ich – das da bin ich; und es kam William Bankes und Lily Briscoe wohl einigermaßen erbärmlich und widerwärtig vor, weil sie sich nicht vorstellen konnten, weshalb solch Versteckspielen notwendig sein sollte; weshalb er ohne Huldigungen nicht auskam; weshalb ein Mann von solcher Kühnheit im Gedanklichen so furchtsam im Leben war; und auf wie seltsame Art er zu gleicher Zeit verehrungswürdig und lächerlich war.
Lehren und Predigen geht über Menschenkraft, dachte Lily zweiflerisch. (Sie packte ihre Sachen zusammen.) Wer sich auf Höhen hebt, muß irgendwann einen schweren Sturz tun. Mrs. Ramsay gäbe ihm, was er verlangte, allzu bereitwillig. Da müßte der Gegensatz ihn doch ganz aus dem Gleichgewicht bringen, sagte Lily. Er kommt zu uns herein aus der Welt seiner Bücher und findet uns beim Spielen und Unsinnschwatzen. Man muß sich den Gegensatz zu den Dingen vorstellen, über die er nachdenkt, sagte sie.
Er segelte auf sie zu. Nun blieb er still stehen und blickte schweigend aufs Meer hinaus. Und nun hatte er sich abermals abgewandt.
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