Kitabı oku: «Theorien des Fremden», sayfa 4

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2.3. HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich Phänomenologie des Geistes. Lektüre des Abschnitts über HerrHerr und KnechtKnecht

Wenden wir uns zunächst einmal jenem Text zu, der in der französischen NachkriegsphilosophieFranzösische Nachkriegsphilosophie eine so erstaunliche wie nachhaltige Wirkung erfahren hat, nämlich dem Abschnitt aus HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich PhänomenologiePhänomenologie des GeistesGeist. Diese Abhandlung hat – neben der RechtsphilosophieRechtsphilosophie – für die KonstitutionKonstitution der Marxschen Theorie, etwa seines Konzepts des KlassenantagonismusKlassenantagonismus, eine bemerkenswert untergeordnete Rolle gespielt. Es ist, wie gesagt, jener Text, in dem die Figur des Anderen als einer bestimmenden InstanzInstanz in der okzidentalen Philosophie debütiert.

HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich Philosophie lässt sich vielleicht am besten verstehen, wenn man sie als Teil jener Philosophie begreift, die die idealistische Philosophie Immanuel KantsKant, Immanuel und Johann Gottlieb FichtesFichte, Johann Gottlieb unter anderen Vorzeichen fortschreiben und zur Vollendung bringen möchte. Dabei steht sie in einem merkwürdigen Nahe- und zugleich Abgrenzungsverhältnis zu einer Zeitströmung, in der die AlteritätAlterität schon eine wichtige Rolle spielt. Gemeint ist die RomantikRomantik, in der das Andere, als Gegenpart zur VernunftVernunft, in der Gestalt des DoppelgängersDoppelgänger und des Spiegelbildes auftritt (→ Kapitel 3). Die Romantik ist der feindliche Bruder von Hegels Vernunftphilosophie, ihr Gegenpart. Es lässt sich sagen, dass es ein Schreckbild der ModerneModerne gibt, gegen das Hegels Denken anschreibt. Es hat mit der Konfiguration des Fremden als eines UnheimlichenUnheimliche, das zu tun. Mehrfach erwähnt sein Œuvre die Gestalt des schrecklichen Gespenstes E.T.A. HoffmannHoffmann, E.T.A.. Hegel selbst scheint diese Unheimlichkeit gekannt und reflektiert zu haben, denn in einer seiner Jugendschriften, der Jenaer Realphilosophie (1805/06), die vor dem endgültigen Bruch mit seinem Weggefährten und Studienkollegen Friedrich Wilhelm Joseph SchellingSchelling, Friedrich Wilhelm Joseph, dem zeitweiligen Weggefährten der deutschendeutsch Frühromantiker, verfasst wurde, findet sich folgende, sprachlich beeindruckende Passage:

Der MenschMensch ist diese leere NachtNacht, dieses leere NichtsNichts, das alles in ihrer Einfachheit enthält, ein Reichtum unendlich vieler Vorstellungen, BilderBild, deren keines ihm gerade einfällt oder die nicht als gegenwärtige sind. Dies (ist) die Nacht, das Innre der NaturNatur, das hier existiert – reines SelbstSelbst. In phantasmagorischen Vorstellungen ist es ringsum Nacht; hier schießt ein blutig Kopf, dort eine andere weiße Gestalt plötzlich hervor und verschwinden ebenso. Diese Nacht erblickt man, wenn man dem Menschen ins Auge blickt – in eine Nacht hinein, die furchtbar wird; es hängt die Nacht der WeltWelt hier einem entgegen. – MachtMacht, aus dieser Nacht die Bilder hervorzuziehen oder sie hinunterfallen zu lassen: Selbstsetzen, innerliches Bewusstsein, Tun, Entzweien.1

Abb. 1

Johann Heinrich FüssliFüssli, Johann Heinrich, „Der Nachtmahr“ (1790)

Johann Heinrich FüsslisFüssli, Johann Heinrich proto-romantisches BildBild aus dem Jahr 1790 lässt sich – neben Francisco de GoyasGoya, Francisco de berühmtem Capriccio – als Veranschaulichung der philosophischen ‚Urszene‘ des jungen HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich nutzen. Denn auch bei Hegel ist es die NachtNacht, die ZeitZeit des Traumes und dunkler, non-rationaler unbewussterunbewusst Kräfte, der das ‚leere‘ SelbstSelbst ausgeliefert ist. Es ist in Füsslis Darstellung nicht zufällig, dass das ausgelieferte Selbst durch eine junge schutzlos hingestreckte FrauFrau repräsentiert wird, deren Gestik Schrecken und Hingabe an die fremdefremd GewaltGewalt versinnbildlicht. Dieses Befremdliche und Unbekannte ist das Andere der VernunftVernunft. Aber weil das Selbst in dieser nächtlichen Situation leer ist, wird es zugleich zum Anderen der Vernunft, das hier als erschreckend und unheimlichunheimlich aber zugleich auch als widersprüchlich dargestellt ist: „blutiger Kopf und weiße Gestalt“. Die von Hegel hervorgehobene LeereLeere hat zwei Bestimmungen, wird sie doch mit dem „reinen Selbst“ verbunden, das in dem Schrecken der Nacht – um eine spätere Denkfigur Hegels zu verwenden – gleichsam zu sich kommt. Diese Nacht wird beim intensiven Blick in die Augen des Anderen gewärtig. Aber dies scheint nicht der Endpunkt der narrativen Szene zu sein. ManMan, Paul de kann diese Bilder der Nacht auch „hinunterfallen“ lassen. An dieser Stelle kündigt sich der Wille und das Vermögen („MachtMacht“) des vernünftigen SubjektsSubjekt an, es nicht bei diesem schrecklichen Ausgeliefert-SeinSein des Selbst zu belassen, sondern sich selbst zu setzen. Interessant ist, dass diese Selbst-Setzung von Hegel selbst als eine AntwortAntwort auf die Schrecken der Nacht, in der sich das Selbst als leer und nichtig erfährt, verstanden wird.

In gewisser Weise ist HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich Philosophie der Kunst und der Dichtung also in ständig negativem DialogDialog mit jenen Dichtern begriffen, die dieses Grauen der NachtNacht für Hegel verkörpern: die Romantiker, die das Andere stets als etwas Abgründiges verstanden haben, aus dem sie ihr literarisches Potential schöpfen. Zugleich aber lässt sich die romantische LiteraturLiteratur als jene symbolische Anstrengung verstehen, die das Andere der VernunftVernunft, das fremdefremd UnbewussteUnbewusste, das sich etwa im TraumTraum manifestiert (→ Kapitel 3), zeigen und im Sinne einer anderen Vernunft bearbeiten will. In diesem Sinn werden wir dem Anderen in der PhänomenologiePhänomenologie des GeistesGeist nicht begegnen. Die deutschedeutsch Literaturgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts ist Hegels vernichtendem Urteil wesentlich gefolgt und hat für lange ZeitZeit die deutsche RomantikRomantik als eine eigentlich progressive und modernemodern BewegungBewegung verschattet. Umgekehrt hat sich Hegels Denken negativ an dieser Herausforderung durch die frühmoderne Romantik geschult und gerieben. Seine letztendlich antimodernistische und klassizistische ÄsthetikÄsthetik ist nicht zuletzt das Resultat einer verschwiegenen Auseinandersetzung mit dieser.

Es gibt allerdings Gemeinsamkeiten zwischen der Philosophie HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich und der RomantikRomantik: Auch letztere operiert in ihrer narrativen Grundstruktur des UrsprungsUrsprung (EinheitEinheit–TrennungTrennung–WiederherstellungWiederherstellung der Einheit des Getrennten) mit einer triadischen, im NeuplatonismusNeuplatonismus verankerten Gedankenfigur, die erst durch Hegel philosophischen Weltruhm erlangte: Die DialektikDialektik im Sinne Hegels überschreitet diese klassische LogikLogik insofern, als sie die binären Gegensätze „aufhebt“. Die SyntheseSynthese, der dritte und maßgebliche Schritt der Hegelschen Dialektik, basiert einerseits auf einem Gegensatz, beispielsweise zwischen dem Selben und dem Anderen. Andererseits wird dieser im Fortgang von Hegels großer dialektischer und post-aufklärerischer Erzählung überwunden. Die Synthese ist also immer zugleich BewahrungBewahrung und BeseitigungBeseitigung, sie ist das dritte Element, das die binären Gegensätze überschreitet. Sie ist wie eine Brücke, die das SubjektSubjekt immerfort mit sich trägt.

Ungeachtet zahlreicher Kritik und gerade wegen der Vielfalt ihrer Interpretation ist die PhänomenologiePhänomenologie des GeistesGeist, HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich Frühwerk, sein einflussreichstes Buch geblieben, insbesondere jenes förmlich aus dem Werk herausspringende Kapitel über HerrHerr und KnechtKnecht im Abschnitt über das SelbstbewusstseinSelbstbewusstsein.

Dem Werk ist selbst ein literarisches NarrativNarrativ unterlegt, eine OdysseeOdyssee des GeistesGeist. Es handelt sich hierbei um eine Metapher, die sich schon bei SchellingSchelling, Friedrich Wilhelm Joseph findet.2 Mit der KonnotationKonnotation von IrrfahrtIrrfahrt und Umweg – der homerische HeldHeld kehrt ja bekanntlich nicht auf direktem Weg in die HeimatHeimat zurück – wird die lineare Erzählung des Weiterkommens modifiziert. Auch bestimmte Fehlschläge auf der Ebene des Geschehens werden durch ihre interpretierende Erzählung im Nachhinein als wesentliche Elemente von Fortschritt und Heimkehr des MenschenMensch zu seiner ‚wahren‘ Bestimmung verstanden. Der Weg, den das Bewusstsein nimmt, führt in diesem dialektischenDialektik Verfahren stets über das Hindernis des Gegensatzes, der überwunden werden muss, um zum Ziel zu gelangen. Die Odyssee des Geistes ist gleichsam das Abenteuer, das das Bewusstsein von vorbewussten Stadien („sinnliche Gewissheit“) bis zum absoluten Geist besteht, um schließlich in diesem Zustand zur Ruhe zu kommen.

HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich erstes bedeutendes Werk weist, wie schon früh vermerkt wurde, überraschende Ähnlichkeit mit zwei zentralen Genres um 1800 auf: dem BildungsromanBildungsroman und der AutobiographieAutobiographie.3 Die PhänomenologiePhänomenologie des GeistesGeist lässt sich als die GeschichteGeschichte eines rudimentären Anfanges lesen, die in der Schädelstätte des absoluten Geistes ihre Vollendung findet. Die individuelle BildungBildung des einzelnen, wie sie uns GoethesGoethe, Johann Wolfgang von Wilhelm Meister-RomaneRoman exemplarisch vorführen, wird zur narrativen Folie des Fortschritts eines allgemeinen Geistigen, der seiner ganzen LogikLogik nach im Absoluten enden muss.

Das Kapitel über das SelbstbewusstseinSelbstbewusstsein, in dem sich der knapp zehnseitige Abschnitt „Selbständigkeit und Unselbständigkeit: HerrschaftHerrschaft und KnechtschaftKnechtschaft“ als maßgeblicher Wendepunkt findet, basiert auf einer Art von Gründungsmythos. Die zentrale TheseThese HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich ist, dass der KampfKampf um bzw. auf LebenLeben und TodTod die Voraussetzung dafür bildet, Selbstbewusstsein zu erlangen. Er ist das ontogenetische Abenteuer des zu Selbstbewusstsein fähigen Lebewesens, des MenschenMensch. Das schließt einen Gedankenzirkel mit ein, der für die Hegelsche DialektikDialektik charakteristisch ist: Denn das Selbstbewusstsein, das Resultat des Kampfes ist, wird stillschweigend schon am Anfang vorausgesetzt. Die Hegelsche Philosophie löst diesen WiderspruchWiderspruch mit einem terminologischen Kniff. Es wird argumentiert, dass das Selbstbewusstsein sich anfänglich auf der Stufe des an sich befindet, aber durch die Begegnung mit dem Andern, zu einem für sich emporsteigt. Ansonsten wäre nämlich der Kampf zwischen den beiden ‚Selbstbewusstseinen‘, die um ihre AnerkennungAnerkennung ringen, gar nicht denkbar.

Der KnechtKnecht ist derjenige, der sein LebenLeben nicht riskiert hat. Der nunmehrige HerrHerr, der sein Leben aufs SpielSpiel gesetzt hat, ist wiederum jener, der dem Unterlegenen das Leben schenkt. Obwohl der KampfKampf in diesem Abschnitt als einer auf Leben und TodTod konzipiert ist, kommt der Unterlegene nicht zu Tode, schon einfach deshalb nicht, weil er diesem aus dem Weg gegangen ist. Es geht also nicht nur darum, dass er den Kampf verloren, sondern im entscheidenden Moment kapituliert hat. Der eine wird der Diener, der andere der Herr. Aber nun kommt es zu einer seltsamen dialektischenDialektik Kippbewegung: Der Knecht, der für ihn arbeiten muss, behält einen realen Zugang zur WeltWelt, während der Herr diesen nicht nur verliert, sondern, ohne es zu wollen, in AbhängigkeitAbhängigkeit von seinem arbeitenden Instrument, dem Knecht, gerät. Er lebt buchstäblich davon, dass der Knecht für ihn arbeitet. Ohne den Knecht ist er nichts. Der Knecht bekommt nur in diesem Kapitel einen prominenten Auftritt, verschwindet aber dann wieder aus der PhänomenologiePhänomenologie.4 Denn im nachfolgenden Kapitel über die VernunftVernunft steht zu lesen:

Damit, daß das Selbstbewußtsein VernunftVernunft ist, schlägt sein bisheriges Verhältnis zu dem Anderssein in ein positives um. Bisher ist es ihm nur um seine Selbständigkeit und FreiheitFreiheit zu tun gewesen, um für sich selbst auf Kosten der WeltWelt oder seiner eigenenEigentum WirklichkeitWirklichkeit, welche ihm beide als das Negative seines Wesens erschienen, zu retten und zu erhalten. Aber als Vernunft, seiner selbst versichert, hat es die Ruhe gegen sie empfangen und kann sie ertragen; denn es ist seiner selbst als der RealitätRealität gewiß, oder daß alle Wirklichkeit nichts anderes ist als es; sein Denken ist unmittelbar selbst die Wirklichkeit; es verhält sich also als Idealismus zu ihr.5

Das „selbständige“6 SelbstbewusstseinSelbstbewusstsein, das sich im KampfKampf mit dem Anderen konstituierte, strebt nunmehr und im Gegensatz zum unselbstständigen und unglücklichen Selbstbewusstsein seiner nächsten Entwicklungsstufe, der VernunftVernunft, entgegen. In der Auseinandersetzung mit dem Anderen war das Selbstbewusstsein negativ bestimmt. Ausfluss dieses Gegensatzes war der Kampf. Dieses Kapitel ist nunmehr geschlossen. Das Selbstbewusstsein hat seine IdentitätIdentität – das meint ja das ‚SelbstSelbst‘ – zunächst ex negativo erlangt, durch die NegationNegation des Anderen. Im nächsten Schritt bezieht es sich lediglich „positiv“ auf sich selbst und erlangt damit seine „Ruhe“. Mit dem Eintritt in die Vernunft ist die OdysseeOdyssee des GeistesGeist beendet, wie das BildBild der Eintracht mit sich selbst, die HegelHegel, Georg Wilhelm Friedrich in der zitierten Passage beschwört, sinnfällig macht.

2.4. KojèvesKojève, Alexandre ‚Re-Vision‘ von HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich Konzeption von HerrHerr und KnechtKnecht

Der russisch-französische Philosoph Alexandre KojèveKojève, Alexandre (1902–1968) entwirft eine anthropologische Version der Hegelschen Philosophie, in der der TodTod des MenschenMensch mit dem Ende der GeschichteGeschichte zusammenfällt. Das Ende der Geschichte tritt ein, wenn der Mensch als handelndes, tätiges SubjektSubjekt seine historischen Ziele erreicht hat. Es ist ein HumanismusHumanismus in und durch die Geschichte, der von der prinzipiellen Überwindung der EntfremdungEntfremdung ausgeht:

Die Theologie stellt sich vor, dass der theologische DiskursDiskurs einer ist, in dem der MenschMensch (SubjektSubjekt) von GottGott (ObjektObjekt) spricht, während es ein Diskurs ist, in dem Gott von sich selbst spricht, das heißt vom Menschen, aber ohne es zu wissen.1

KojèvesKojève, Alexandre affirmative und zugleich revisionäre Lesart des Textes, der auf Vorlesungen beruht, die der Philosoph zwischen 1933 und 1939 gehalten hat,2 bricht mit dem in der Textpassage programmatisch verkündeten Idealismus und lenkt das Augenmerk nunmehr auf eine ‚materialistische‘, d.h. historisch-gesellschaftliche Perspektive, die unzweideutig (post-)marxistische Züge trägt. Der Autor denkt dabei nicht nur über den UrsprungUrsprung von HerrschaftHerrschaft, sondern auch über deren ZukunftZukunft nach. Demnach wäre, wie wir noch sehen werden, das Ende der in HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich Kapitel beschriebenen Herrschaft des Einen über den Anderen zugleich das von Hegel prognostizierte Ende der GeschichteGeschichte. Denn das Hegelsche Kapitel hinterlässt eine Leerstelle, verschwindet doch die Figur des unterlegenen anderen SelbstbewusstseinsSelbstbewusstsein spurlos wie eine Nebenfigur in und aus einem RomanRoman. Kojève führt diese Nebenfigur wieder ein und macht sie im GeistGeist des MarxismusMarxismus zu einer Hauptfigur, die die entscheidende Wende der Geschichte herbeiführt.

KojèveKojève, Alexandre stellt den Text in unmittelbaren Zusammenhang mit einem berühmten Satz HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich aus einem Brief an seinen FreundFreund und Kollegen Friedrich Immanuel Niethammer:

Den Kaiser – diese Weltseele – sah ich durch die Stadt zum Rekognizieren hinausreiten; – es ist in der Tat eine wunderbare Empfindung, ein solches IndividuumIndividuum zu sehen, das hier auf einen Punkt konzentriert, auf einem Pferde sitzend, über die WeltWelt übergreift und sie beherrscht.3

Der rhetorisch brillante Text, dem die Mündlichkeit des Vortrags noch anzumerken ist, treibt schon sehr bald auf die scheinbar naive FrageFrage zu: „Wer bin ich, wenn ich HegelHegel, Georg Wilhelm Friedrich bin?“4 Diese scheinbar harmlose Frage bekommt eine so naheliegende wie zugleich abseitige und atemberaubende AntwortAntwort:

Ich bin nicht nur ein denkendes Wesen; ich bin Träger eines absoluten Wissens: Und gegenwärtig, im Augenblick, da ich denke, ist dieses Wissen in mir, in HegelHegel, Georg Wilhelm Friedrich, inkarniert. Also ich habe nicht nur ein denkendes Wesen; ich bin auch noch – und vor allem – Hegel. Was ist denn nun dieser Hegel?

Zunächst einmal ein MenschMensch von Fleisch und Blut, der weiß, daß er dies ist. Und dann schwebt dieser Mensch nicht im luftleeren Raum. Er sitzt auf einem Stuhl an einem Tisch und schreibt mit einer Feder auf Papier. Und er weiß, daß all diese Gegenstände nicht vom Himmel gefallen sind; er weiß, daß die ProdukteProdukt ein gewisses Etwas sind, das man menschliche ArbeitArbeit nennt. Er weiß auch, daß diese Arbeit in einer menschlichen WeltWelt vollbracht wird, im Schoße einer NaturNatur, der er selber angehört. Und diese Natur ist in seinem Geiste in eben jenem Augenblick gegenwärtig, wo er schreibt, um auf die FrageFrage ‚Was bin ich?‘ zu antworten. So hört er von Ferne kommende Geräusche; er weiß außerdem, daß diese Geräusche von Kanonenschüssen herrühren, und er weiß, daß auch die Kanonen Produkte von Arbeit sind, diesmal für einen KampfKampf auf LebenLeben und TodTod zwischen den Menschen hergestellt. Darüber hinaus weiß er, daß das, was er hört, die Kanonen NapoleonsNapoleon in der Schlacht von Jena sind; er weiß also, daß er in einer Welt lebt, in der Napoleon handelt.5

Es ist die ‚reale‘ (WeltWelt-)GeschichteGeschichte – in der narrativen Interpretation KojèvesKojève, Alexandre –, die eine Situation herbeiführt, in der HegelHegel, Georg Wilhelm Friedrich, der Philosoph, als der Träger des absoluten Wissens, das jenes um das Ende der Geschichte mit einschließt, möglich wird. Die damit verbundene Unbescheidenheit, die Hegel förmlich auf den Philosophenthron setzt, ist in diesem Denken in ihrem ganzen Aberwitz systemimmanent. Er weiß etwas, das andere Philosophen vor ihm, DescartesDescartes, René oder Plato zum Beispiel, nicht wissen konnten, dass nämlich NapoleonNapoleon nicht nur irgendein Politiker, Heerführer und Herrscher ist, sondern jene Person der WeltgeschichteWeltgeschichte, die ihren Sinn erfüllt. Kritisch gesprochen liegt dieser Erzählung von Hegel und Napoleon, erzählt von Hegel und nacherzählt von Kojève (der 1937 übrigens Stalin an die Stelle von Napoleon setzen wird6) ein Denkmechanismus zugrunde, den Hans BlumenbergBlumenberg, Hans als eine FormForm von historischer Selbstzentrierung analysiert hat. Er spricht von der verführerischen Vorstellung, Weltzeit und eigeneEigentum Lebenszeit zur Deckung zu bringen: „Es spricht sich gut vom Weltgeist, weil der Standpunkt des Sprechenden nur am Ende seiner Geschichte vorgestellt werden kann […].“ Blumenberg fügt indes hinzu, dass der MessianismusMessianismus, der die Offenbarung in die ZukunftZukunft verlegt, eine stärkere DynamikDynamik zu entfalten vermag, als die Hegelsche Formel eines Endes der Geschichte, das freilich nur von einem privilegierten einzelnen, nämlich Hegel, wahrgenommen worden ist.7

Dass sich die GeschichteGeschichte am Ende als eine Geschichte der VernunftVernunft erweist, wäre demnach die Plotstruktur des Hegelschen NarrativsNarrativ. Zugleich ist die Geschichte aber auch von einer letztendlich anthropologischen Setzung bestimmt, die den MenschenMensch als begehrendes und arbeitendes Wesen begreift. ManMan, Paul de kann diese Vorstellung KojèvesKojève, Alexandre als Abwandlung des auf MarxMarx, Karl zurückgehenden Basis-Überbau-Schemas lesen, demzufolge alle menschlichen Beziehungen aus den ökonomischen Bedingungen, dem Wider- und Zusammenspiel von Produktivkräften (TechnikTechnik) und Produktionsverhältnissen (EigentumsEigentum- und Aneignungsformen) abzuleiten sind.

Die Basis, den Unterbau also, bildet die „Gesamtheit der menschlichen Taten, die im Laufe der WeltgeschichteWeltgeschichte vollbracht worden sind.“8 Sie gipfeln in NapoleonsNapoleon militärischem Triumph und in HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich Philosophie. Der MenschMensch ist Material (Ziegel) und zugleich Agens (Maurer), HandwerkerHandwerker und Baumeister seiner GeschichteGeschichte. Er errichtet ein Gebäude, in dem er wohnen kann und wohnen wird. Die Geschichte der MenschheitMenschheit ist zugleich eine AutobiographieAutobiographie der GattungGattung, die sich von den bescheidenen Anfängen passiven Betrachtens zum absoluten GeistGeist erhebt.9

Das absolute Wissen ist objektiv möglich geworden, weil in und durch NapoleonNapoleon der wirkliche Prozeß der geschichtlichen Entwicklung, in dessen Verlauf der MenschMensch neue Welten geschaffen hat und sich selbst in diesem SchattenSchatten verwandelt hat, an sein Endziel gelangt ist.10

Dieses NarrativNarrativ, das nach vielen Irrungen und Wirrungen – hier ließe sich noch einmal auf die narrative Konfiguration der OdysseeOdyssee Bezug nehmen – auf ein endgültiges und glückliches Ende der WeltgeschichteWeltgeschichte zustrebt, ist eine große Erzählung im Sinne Jean-François LyotardsLyotard, Jean-François,11 vermutlich ist sie sogar eine Meta-Erzählung, die alle großen Erzählungen mit einschließt. Sie bildet das Kernstück von HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich Philosophie, wie sie bereits in der PhänomenologiePhänomenologie des GeistesGeist vorliegt.

Der französische Kommentator spannt HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich Philosophie in einen geschichtsphilosophischen Bezugsrahmen, in dessen ZentrumZentrum BegehrenBegierde (Begierde), KampfKampf und ArbeitArbeit stehen. Der MenschMensch konstituiere sich, so KojèvesKojève, Alexandre Hegel-Interpretation, durch die Begierde. Durch diese werde er erst eigentlich zum Ich und durch sie werde er zu sich gebracht.12 In einem nächsten Schritt operiert der Kommentar mit einer binären Unterscheidung von Mensch und TierTier (→ Kapitel 9). Das menschliche Begehren hat immer schon, über das primäre Begehren nach Dingen, eine sekundäre soziale und kulturelle Dimension: Es drückt sich zum Beispiel in einem Streben nach AnerkennungAnerkennung aus. Wird er in der passiven „sinnlichen Gewissheit“, wie Hegel den anfänglichen und ‚embryonalen‘ Zustand der VernunftVernunft nennt, von dem Ding, dem ObjektObjekt der Außenwelt, absorbiert, so zielt das Begehren darauf, das Ding durch eine Tat zu verwandeln und zu negieren. An dieser Stelle kommt die Arbeit ins SpielSpiel. Denn sie ist ein Tun, das mit der Begierde Hand in Hand geht und die Voraussetzung für die Erfüllung des Verlangens schafft. Voraussetzung für das menschliche SelbstbewusstseinSelbstbewusstsein ist darüber hinaus, dass es stets mehrere Begierden gibt, die sich wechselseitig begehren.

Die Begehrlichkeiten des MenschenMensch gehen über die primären animalisch-biologischen, wie den Hunger, hinaus. Jenes reziproke Verlangen, das auf AnerkennungAnerkennung zielt, kann jedoch nur um den Preis befriedigt werden, dass der Mensch sein biologisches LebenLeben aufs SpielSpiel setzt.13 KojèveKojève, Alexandre zufolge sagt HegelHegel, Georg Wilhelm Friedrich,

[…] dass ein Wesen, das nicht imstande ist, sein LebenLeben zur Erreichung nicht unmittelbar lebenswichtiger Ziele aufs SpielSpiel zu setzen, d.h., das sein Leben nicht in einem KampfKampf um die AnerkennungAnerkennung, in einem reinen Prestigekampf einsetzen kann, kein wirklich menschliches Leben ist.14

KojèvesKojève, Alexandre Konzept der BegierdeBegierde kennt insgesamt vier Bestimmungen:

1 Sie ist meine BegierdeBegierde und geht Hand in Hand mit der ErfahrungErfahrung des Ich, Ich will.

2 Die BegierdeBegierde negiert, assimiliert oder verwandelt das begehrte Ding.

3 Das menschliche BegehrenBegierde bezieht sich nicht auf ein Daseiendes, sondern auf ein Nicht-Seiendes. „Die Begierde muss, um anthropogen zu sein, sich auf ein Nichtseiendes beziehen, d.h. auf eine andere Begierde, auf ein anderes lechzendes Leeres, auf ein anderes SelbstSelbst.“ Sie ist auf eine andere Begierde verwiesen.

4 Der MenschMensch ist das bedürftige Wesen, das um seine Bedürftigkeit weiß.15

Durch das BegehrenBegierde und seine Verschränkungen kommt die Konfiguration des symbolisch unmarkierten Anderen ins SpielSpiel. Dabei ist diese Konfiguration sowohl ein Hindernis als ein Ermöglichungsgrund:

Der MenschMensch muß ein Leeres sein, ein NichtsNichts, das nicht reines Nichts ist, sondern ein Etwas, das insofern ist, als es Seiendes vernichtet, um auf seine Kosten sich selbst zu verwirklichen und im SeinSein zu richten.16

Unverkennbar und der Diktion HegelsHegel, Georg Wilhelm Friedrich folgend, dominiert in diesem Konzept von AlteritätAlterität eine agonale Dimension, die überdies den MenschenMensch, der nicht sein LebenLeben riskiert und der den knechtischen Aspekt des SelbstbewusstseinsSelbstbewusstsein ausmacht, merkwürdig, ja auf skandalöse Weise belastet. Seine Situation der MarginalisierungMarginalisierung ist im KantKant, Immanuelschen Sinne selbstverschuldet,17 weil er sein biologisches Leben nicht aufs SpielSpiel zu setzen imstande gewesen ist. Umgekehrt erfährt die ‚herrische‘ Position eine Legitimation, nicht nur weil sie die einer Siegerposition ist, sondern weil sie das Ergebnis einer heroisch- ‚romantischen‘ Bereitschaft darstellt, sein Leben um seiner selbst aufs Spiel zu setzen. Selbstbewusstsein wird in KojèvesKojève, Alexandre umfangreichem Kommentar negativ als das „Ausschließen alles anderen“ definiert. Das würde linear zu Ende gedacht zur Vernichtung des störenden Anderen führen. Aber in Hegels Philosophie wird das andere bedrohliche, potentielle ebenfalls mit sekundärer BegierdeBegierde ausgestattete, aber scheiternde Selbstbewusstsein nicht vernichtet so wie die Dinge, die ObjekteObjekt dieser WeltWelt, vielmehr wird der Gegner ‚dialektischDialektik‘ aufgehoben.18 Aufheben hat im Denken Hegels, wie schon erwähnt, stets eine doppelte Bedeutung, verschränken sich doch in ihm zwei Momente, BeseitigungBeseitigung und BewahrungBewahrung. Die Hegelsche Dialektik, an der sich die zweite GenerationGeneration der französischen NachkriegsphilosophieFranzösische Nachkriegsphilosophie abarbeiten wird, vollbringt das Unmögliche, die VerbindungVerbindung der Gegensätze. So wird das Gegenüber im KampfKampf um AnerkennungAnerkennung symbolisch vernichtet und auf einen minderwertigen, ‚tierischen‘ Status herabgedrückt. Biologisch überlebt der marginalisierte Andere allerdings in der nun entstandenen asymmetrischenAsymmetrie RelationRelation von HerrHerr und KnechtKnecht.

Warum ist es, wie KojèveKojève, Alexandre an mehreren Stellen seines Kommentars betont, notwendig, dass beide Gegner am LebenLeben bleiben und dass es einen Sieger gibt, dessen superiore Position von dem Anderen anerkanntAnerkennung werden muss, dem der Sieger wiederum das Leben schenkt?19 Kojève formuliert das an einer Stelle sehr pathetisch und affirmativ. Er geht davon aus, dass Menschwerdung und HerrschaftHerrschaft einander scheinbar bedingen:

Der MenschMensch wurde geboren und die GeschichteGeschichte begann mit dem ersten KampfKampf, der mit dem Auftauchen eines Herrn und eines Knechts endete. Das heißt, daß der Mensch ursprünglich immer entweder HerrHerr oder KnechtKnecht ist; und es gibt keinen wirklichen Menschen, wo es nicht einen Herrn und einen Knecht gibt.20

Warum ist es nun notwendig, dass der Unterlegene am LebenLeben bleibt? Vordergründig deshalb, damit der Sieger jemanden hat, der ihn als Sieger anerkennt. Der KnechtKnecht arbeitet für den Herrn und befriedigt dessen Bedürfnisse, ohne dass letzterer sich selbst anstrengen muss. Die Pointe besteht aber darin, dass nur das Überleben jene sekundäre BegierdeBegierde befriedigen kann, die den Ausgangspunkt des KampfesKampf bildete: die AnerkennungAnerkennung durch einen Anderen, der mit derselben sekundären Begierde nach Anerkennung ausgestattet ist.

So ist der Andere Bedrohung und Bedingung der Möglichkeit eines selbstbewussten SeinsSein. Er ist eine Bedrohung, insofern wir in einem Rivalitätsverhältnis zueinander stehen, er ist die (einzige) Möglichkeit, um SelbstbewusstseinSelbstbewusstsein zu erlangen. Denn ohne AnerkennungAnerkennung kann aus einem potentiellen kein ‚wirkliches‘ Selbstbewusstsein werden–nichts anderes bedeuten die von HegelHegel, Georg Wilhelm Friedrich verwendeten Kategorien des an sich und für sich. Etwas Ähnliches meint übrigens eine weitere zentrale Kategorie im Hegelschen Denken: Vermittlung. Der Andere ist ein Mittel, ein ‚Medium‘ in diesem Bewusstseinsprozess, er ist aber auch eine mediative InstanzInstanz, die immer dann in Erscheinung tritt, wenn in Hegels Philosophie die Gegensätze aufeinanderprallen und eben dialektischDialektik ‚vermittelt‘, das heißt überbrückt, genauer ‚aufgehoben‘ werden.

HerrschaftHerrschaft bedeutet abstrakt betrachtet, dass der eine, der den KampfKampf aufgibt, für den anderen arbeiten muss, während der andere womöglich kämpft, aber nicht arbeitet. Beide sind am LebenLeben geblieben und aufeinander angewiesen, insbesondere aber der HerrHerr auf die ArbeitArbeit, die der KnechtKnecht für ihn leistet. Umgekehrt liegt das Leben des Knechtes in der Hand des siegreichen und kampfbereiten Herrn.

KojèvesKojève, Alexandre Überlegungen zu HegelHegel, Georg Wilhelm Friedrich enden mit der Darstellung all jener ‚knechtischen‘ Philosophien, die er als Reaktionsformen auf die menschheitsgeschichtliche Konstellation von HerrHerr und KnechtKnecht begreift und die an dieser Stelle nur kurz resümiert werden sollen: Im StoizismusStoizismus wird FreiheitFreiheit als abstrakt in mir befindlich verstanden; eine solche Auffassung erfüllt eine kompensatorische Funktion und macht es möglich, die wirklichen knechtischen Existenzbedingungen als nebensächlich anzusehen. SkeptizismusSkeptizismus und NihilismusNihilismus sind Philosopheme, die das Dasein und seinen WertWert aktiv verneinen, während das ChristentumChristentum, das in gewisser Weise als eine ‚dialektischeDialektik‘ SyntheseSynthese verstanden werden kann, sich eine andere jenseitige WeltWelt mit einem absoluten transzendenten Herrn schafft, der auch den Knecht anerkennt. Damit nimmt Hegel übrigens NietzschesNietzsche, Friedrich Kritik an dem ‚knechtischen‘ Christentum vorweg. Die Französische RevolutionFranzösische Revolution und potentiell der aus ihm hervorgegangene SozialismusSozialismus wären demgegenüber die wirkliche Aufhebung, die „die dialektische Aufhebung sowohl des Knechts wie auch des Herrn vollbringt.“21 Aus dieser LogikLogik ergibt sich ein triadisches Modell der WeltgeschichteWeltgeschichte, jener Weltgeschichte, die in dieser mythischen Denkfigur mit dem KampfKampf als Konstitutionsmoment menschlichen SelbstbewusstseinsSelbstbewusstsein gründet. Sie umfasst

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