Kitabı oku: «Die falsch gestellten Weichen», sayfa 6

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6. PROUDHON, DER KONSERVATIVE SOZIALIST

Der französische Fourierismus kam dank der Schriften und Ideen eines Mannes zum Erlöschen, der unglücklicherweise von Marx verdrängt wurde – von Pierre Joseph Proudhon. Wie Fourier in Besançon geboren, entstammte er den Unterschichten. Sein Vater arbeitete als Faßbinder in einer Bierbrauerei, er aber zuerst am Feld, hatte dann das Glück in einem (katholischen) collège aufgenommen zu werden, wo er Lateinisch, Griechisch und Hebräisch lernte. Er verlor aber bald seinen Glauben und wurde Sozialist. Doch auch in seinem Atheismus, der sich gegen Ende seines Lebens verflüchtigte, hatte er zum Unterschied von Marx eine echt humanistische, wenn nicht metaphysische Weltschau. Auch war er ein „Personalist“, ein „Distributist“ eher denn ein Kollektivist und stand auch der Demokratie äußerst kritisch gegenüber. Zwar fürchtete er die Riesenunternehmen, aber auch nicht weniger den zentralistischen Staat, und zwar beide als Feinde der Freiheit. Ein Konservativer wird in den Schriften Proudhons erstaunlich viel Rüstzeug für seine Ideologie finden, und hätte sich Proudhon in Kreisen der Rechten bewegt, würde er vielleicht seine linken Überzeugungen bald verloren haben. Henri de Lubac SJ schrieb ein ausgezeichnetes Buch Proudhon et le christianisme.1) Constantin Frantz, der große deutsche Konservative, konnte seine Bewunderung für Proudhon nicht verbergen und bedauerte, daß er einen „Französischen Radikalen“ zitieren müsse, denn Deutschland, das klassische Land der Denker, sei unfruchtbar geworden.2) Proudhon andererseits, war überzeugt, daß sein Frankreich ein „Land der Mittelmäßigkeit“ war.

Wir möchten hier nur einige Stellen aus den Schriften Proudhons zitieren, um zu zeigen, wie seine Anschauungen mit den sozialistisch-kommunistischen Thesen, die diktatorisch, zentralistisch und demokratisch waren, in Konflikt geraten mußten. Also hören wir:

„Die Februarrevolution (1848) hat das Klassenwahlrecht abgeschafft, aber damit ist der demokratische Puritanismus noch immer nicht zufriedengestellt. Einige wollen das Wahlrecht auch den Frauen und Kindern geben. Andere protestieren gegen die Entziehung des Wahlrechts bei den Bankrotteuren, entlassenen Verbrechern und Zuchthäuslern. Man muß sich wundern, daß sie nicht Pferden und Eseln das Stimmrecht geben wollten.“3)

„Die Demokratie ist die Staatsform ohne Grenzen.“4)

„Geld, Geld und wieder Geld – das ist der Lebensnerv der Demokratie.“5)

„Die Demokratie ist teurer als die Monarchie, sie ist mit der Freiheit unvereinbar.“6)

„Die Demokratie ist nichts als die Tyrannis der Mehrheit: sie ist die allerabscheulichste Tyrannei, denn sie ruht weder auf der Autorität eines Monarchen, noch auf dem Adel einer Rasse oder auf den Privilegien von Besitz oder Talent. Ihre Grundlage sind Zahlen und Ziffern und ihre Maske der Name des Volkes.“7)

„Die Demokratie ist die Aristokratie der Mittelmäßigkeit.“8)

„Die Autorität, die in der Monarchie das Prinzip des Regierens ist, wird in der Demokratie das Ziel der Regierung.“9)

„Das Volk wird dank seiner Minderwertigkeit und seines Elends stets die Stoßtruppe für Freiheit und Fortschritt sein – aber aufgrund seines Unwissens und der Primitivität seiner Instinkte, der Dringlichkeit seiner Bedürfnisse und der Ungeduld in seinen Wünschen wird es immer einfache Formen der Autorität suchen. Es kümmert sich keinesfalls um Rechtsgarantien, von denen es keine Ahnung hat…, es hat Vertrauen in einen Führer, dessen Ziele es zu kennen glaubt…, diesem Führer gibt es Autorität ohne Grenzen und eine unwiderstehliche Kraft… Das Volk glaubt nicht an Prinzipien, die allein es retten könnten: Es fehlt ihm völlig die Religion der Ideen.“10)

„Die Demokratie ist tatsächlich in ihrer Essenz militaristisch.“11)

„Jeder Staat hat dank seiner Natur die Tendenz, annexionistisch zu sein.“12)

„Wenn man sie allein läßt oder wenn sie nicht von einem Tribun geführt sind, werden die Massen nie etwas erreichen. Sie schauen immer in die Richtung der Vergangenheit. Sie haben keine Traditionen…, von der Politik verstehen sie nichts als die Intrigen, vom Regieren nur den Vergeud und die bloße Gewalt, von der Justiz nur die Anklagen, von der Freiheit lediglich die Schaffung von Idolen, die am nächsten Tag wieder gestürzt werden. Der Aufstieg der Demokratie stellt den Anfang einer Ära der Rückständigkeit dar, die Nation und Staat umbringen wird.“13)

„Nimm die Situation, in der du dich befindest, wie ein Mann an, und überzeuge dich ein für allemal, daß der der glücklichste Mensch ist, der am besten weiß, arm zu sein.“14)

„Meine Anschauungen über die Familie sind dieselben wie die des alten römischen Gesetzes. Der Familienvater ist für mich ein Souverän.“15)

„Wenn wir sagen: ‚das Volk’, dann verstehen wir darunter unweigerlich den am wenigsten fortschrittlichen Teil der Gesellschaft, den unwissendsten, den feigsten und den undankbarsten.“16)

„Wenn die Demokratie sich auf die Vernunft beruft, dann soll sie sich vor allem der Demopädie, der Erziehung des Volkes widmen.“17)

„Das zwanzigste Jahrhundert wird eine Periode der Föderationen einleiten oder die Menschheit wird ein tausendjähriges Fegefeuer erleiden müssen.“18)

Mit diesen und anderen Aussagen mußte Pierre Joseph Proudhon, der ein Autodidakt war, ein selbstloses Leben führte und von hohen Idealen, von der Liebe viel mehr als vom Haß bewegt wurde, mit einem anderen Denker in Konflikt geraten – mit Karl Marx. Beide waren Sozialisten, aber das Leitmotiv Proudhons (der nicht mit vollem Unrecht oft als Anarchist bezeichnet wurde) war eben doch ein christliches. Für seine Ideen brachte er die größten Opfer dar.

Sein Buch Système de contradictions économiques ou Philosophie de la misère (1846) war die Ursache seines Zusammenstoßes mit Marx. Der Bourgeois aus Trier attakkierte Proudhon in einem wüsten Pamphlet, La misère de la philosophie. Marx war ein rein intellektualistischer Revolutionär, der bereit war, über Leichen zu gehen, Proudhon ein sensitiver Revolutionär, dem die menschliche Persönlichkeit am Herzen lag. Wie Henri de Lubac hervorhob, kam er aus der Franche Comté, einem Teil Frankreichs, der lange unter spanischer Herrschaft stand und spezifisch spanischen Einflüssen ausgesetzt gewesen war. Dort blühte auch ganz besonders die Liebe zur persönlichen Freiheit. Marx hingegen kam aus einem ganz anderen gesellschaftlichen, politischen und religiösen Milieu.

7. KARL MARX

Wer aber war dieser Karl Marx nun wirklich, der seit mehr als drei Generationen so unendliches Elend über die Welt gebracht hat – durch seine Ideologie, deren Afterideologien und Gegenideologien? Man denke da nur an Kambodscha, wo unter marxistischen Vorzeichen ein Drittel der Bevölkerung ausgerottet wurde! Geboren wurde er 1818 in der Familie eines hochgebildeten, wohlhabenden jüdischen Advokaten in der alten Bischofsstadt Trier als Untertan des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm III. Als er sechs Jahre alt war, nahm sein Vater den evangelischen Glauben an: die verschiedenen Familienmitglieder wurden in Abständen von einem preußischen Armeekaplan getauft, da es in der Stadt keine lutheranische Kirche gab. Der junge Karl studierte zuerst im sogenannten Jesuitengymnasium1) und las mit seinem Vater die Werke von Voltaire. Die Familie lebte ganz und gar im Geiste der Aufklärung, nur die Mutter klammerte sich noch eine zeitlang an die Traditionen des Judentums.2) Marx setzte dann seine Studien auf den Universitäten von Berlin und Bonn fort und schrieb eine Dissertation für die Universität von Jena über Epikur, der ein früher Materialist war. Schon in Berlin wurde Marx von Hegel beeinflußt, dessen Dialektik er später „umstülpte“.

Von vielleicht größter Wichtigkeit für uns ist die seelische Entwicklung des Gründers des „wissenschaftlichen“ Sozialismus. Sein Verhältnis zur Mutter blieb getrübt, dem Vater, der früh starb, blieb er tief verbunden. (Engels legte ihm das Bild seines Vaters ins Grab.) Der Vater jedoch durchschaute seinen Sohn und klagte, daß Karl zwar einen brillanten Verstand, aber kein Herz habe. Als Marx ihm einmal in einem Brief gestand, daß er ein „zerrissener Mensch“ war, rügte ihn der Vater scharf und schrieb ihm, daß dies die Sprache von jungen Leuten wäre, die sich nicht damit abfinden könnten, kein Schloß, keine Equipagen und keine Million Thaler auf der Bank zu haben.3) Tatsächlich aber bekam Marx als Student von seinem Vater einen großen Monatswechsel, und es wurde bis heute nicht erhellt, für welche Zwecke er dieses Geld verwendet hatte. Zweifellos gehörte der junge Marx der deutschen Romantik an, und Ernst Kux hat sehr recht, wenn er schreibt, daß Marx ein Mann war, der zuerst fühlte und dann seine Gefühle „wissenschaftlich“ zu bestätigen suchte.

Der „junge Marx“, der sich heute bei der ‚Neuen Linken’ einer besonderen Beliebtheit erfreut, kannte tatsächlich Bettina von Arnim, war mit Arnold Ruge befreundet und war ein guter Bekannter von Heinrich Heine, der ihn bald unerträglich fand, einen docteur en révolution und einen „gottlosen Selbstgott“ nannte. Der junge Marx war auch ein Künstler, beziehungsweise ein verhinderter Künstler, der einmal plante, eine Theaterzeitschrift herauszugeben. Er dichtete auch und seine nicht besonders gelungene Lyrik ist ein äußerst wichtiger Schlüssel zu seinem Charakter. Als verhinderter Künstler wollte er aus Rache die Welt zerstören, die ihm nicht die gebührende Achtung entgegenbrachte. Kein Wunder, denn die Kunst ist Schöpfung, und ein Mann, dem man nicht erlaubt, schöpferisch zu wirken, ist restlos „frustriert“. Daher auch sein antitheistisches Wüten:

Hat ein Gott mir alles hingerissen,

Fortgewälzt in Schicksalsfluch und Joch,

Seine Welten – alles – alles missen!

Eins blieb. Die Rache blieb mir doch!4)

Oder auch die Zeilen:

An mir selber will ich stolz mich rächen

An das Wesen, das da oben thront…5)

Ferner:

Einen Thron will ich mir auferbauen

Kalt und riesig soll sein Gipfel sein.6)

Ein herostratisch-selbstbezogenes Gedicht endete hingegen mit den Worten: „Und wir, die Affen eines kalten Gottes.“

Sein Größenwahn drückte sich in seinen Versen über das Weltgericht aus:

Götterähnlich darf ich wandeln

Siegreich ziehn durch ihr Ruinenreich

Jedes Wort ist Blut und Handeln

Meine Brust dem Schöpferbusen gleich.7)

Und wenn man die Worte des Äschylus im Gefesselten Prometheus liest, in dem der Heros seinen ohnmächtigen Haß gegen „Vater Zeus“ ausdrückt, die von Marx in seiner Doktoratsthese als Zitat gebraucht wurden, dann sieht man vielleicht tiefer in seine gequälte Seele hinein.8) Wie sehr er aber Künstler sein wollte und nur ein Amateur war, ersieht man aus seiner utopischen Vision einer sozialistischen Gesellschaft, in der jedermann heute das und morgen jenes tun kann, in der Früh auf die Jagd gehen, Mittag fischen, am Abend etwas Viehzucht treiben, daneben auch nach der Mahlzeit sich als Kritiker betätigen ohne aber wirklich ein Jäger, ein Fischer, ein Schäfer oder auch ein Kritiker zu sein.9) Wie man deutlich sieht, ist Marx auch hier wieder von Fourier beeinflußt. Andererseits spielte er schon lange wie Nietzsche mit der Idee des Übermenschen, als der er sich fühlte. In dieser Beziehung steht er zugegebenermaßen der Neuen Linken näher als dem Leninismus. Doch seine künstlerischen Süchte und Sehnsüchte verließen ihn nie – wie auch Hitler, einen anderen „frustrierten“ Künstler. Marx blieb immer auch ein Ästhetiker. Doch war er kein Ethiker, denn wie kann man – in strikter Logik – ein Moralist und ein Determinist sein? Wenn eiserne, geschichtliche Gesetze alles vorschreiben und vorbestimmen, kann man doch kaum mehr über einen Menschen „urteilen“. Besonders im Alter beschäftigte ihn dieses Problem: er kam zu dem einfachen, aber nicht überraschenden Schluß: „Die Kommunisten predigen keine Moral.“10) Jede Moralität führt zu einer Ideologie (wie er die bourgeoise Weltanschauung nannte), und eine Ideologie führt nicht zu einer Tragödie, sondern zu einer Komödie. Jeder Philosoph, der ein ethisches System verkündet, ist kindisch genug um zu glauben, daß ein anderes oder ein wenig geändertes Gewissen den Gang der Dinge beeinflussen kann. Wie aber könnte das sein, wenn die Geschichte vorausbestimmt und in ihren Gesetzen unwandelbar ist? Mit diesen Ansichten aber enden wir wieder beim biologischanatomischen Determinismus des Marquis de Sade.

Ursprünglich wollte Marx eine akademische Laufbahn ergreifen und strebte eine Professur in Bonn an. Seine Freunde rieten ihm jedoch davon ab, doch wurde er mit 24 Jahren Chefredakteur der Rheinischen Zeitung in Köln. Ein Jahr darauf wurde diese Tageszeitung auf Anordnung der preußischen Regierung verboten, was aber Marx nicht davon abhielt, Jenny von Westphalen, die Tochter eines preußischen Offiziers, zu heiraten. Mit ihrem Vollbruder Edgar verband ihn eine enge, immerwährende Freundschaft, nicht aber mit ihrem Halbbruder Ferdinand von Westphalen, der königlich preußischer Innenminister wurde. Adelige Damen schwärmen bekanntlich nur zu oft für führende Sozialisten und spielten eine nicht geringe Rolle in linken Bewegungen. Dafür gibt es verschiedene psychologische Erklärungen. Auf jeden Fall bildeten in Marxens Leben die verwandtschaftlichen Beziehungen eine große Rolle. Von ihm besonders verehrt wurde ein Onkel durch Heirat, der Niederländer Philips in Zaltbommel. Es ist dies der Großvater des hochkapitalistischen Gründers des weltweiten Philips-Konzerns.11)

Es ist wahr, daß Marx seine Frau und Töchter liebte und dies, obwohl er ein fürchterliches Familienleben führte; es war aber nicht die Liebe, die sein Leben formte, sondern über alles bloße Kritisieren und Verhöhnen hinaus echter, glühender Haß. Arnold Ruge, mit dem er anfänglich in Paris zusammengearbeitet hatte, schrieb an Fröbel über Marx: „Der heuchlerische Egoismus und die geheime Genießsucht, das Christusspielen, das Rabbinertum, der Priester und die Menschenopfer (Guillotine) kommen sogleich wieder zum Vorschein… Zähne fletschend und grinsend würde Marx alle schlachten, die ihm, dem neuen Babeuf, den Weg vertreten. Er denkt sich dieses Fest, das er nicht feiern kann.“12)

Die beste Beschreibung von Marx kam jedoch von Carl Schurz, dem deutschen Achtundvierziger und späteren amerikanischen Senator, der Marx bei einem Kongreß des Demokratischen Vereins in Köln begegnete. Über Marx schrieb er in seinen Lebenserinnerungen:

„Er war damals dreißig Jahre alt und bereits das anerkannte Haupt einer sozialistischen Schule. Der untersetzte, kräftig gebaute Mann mit breiter Stirne, dem pechschwarzen Haar und Vollbart und den dunkeln, blitzenden Augen zog sofort die allgemeine Aufmerksamkeit an sich. Er besaß den Ruf eines in seinem Fache sehr bedeutenden Gelehrten, und da ich von seinen sozialökonomischen Entdeckungen und Theorien sonst wenig wußte, so war ich umso begieriger des berühmten Mannes Worte der Weisheit zu sammeln. Diese Erwartung wurde in einer eigentümlichen Weise enttäuscht. Was Marx sagte, war in der Tat gehaltsreich, logisch und klar. Aber niemals habe ich einen Menschen gesehen von so verletzender Arroganz des Auftretens. Keiner Meinung, die von ihm wesentlich abwich, gewährte er die Ehre einer einigermaßen respektvollen Erwägung. Jeden, der ihm widersprach, behandelte er mit kaum verhüllter Verachtung. Jedes ihm mißliebige Argument beantwortete er entweder mit beißendem Spott über die bemitleidenswerte Unwissenheit oder mit ehrenrührigen Verdächtigungen der Motive dessen, der es vorgebracht. Ich erinnere mich wohl des schneidend-höhnischen, ich möchte sagen des ausspukkenden Tones, mit welchem er das Wort ‚Bourgeois’ aussprach, und als ‚Bourgeois’, das heißt als ein unverkennbares Beispiel einer tiefen geistigen und sittlichen Versumpfung denunzierte er jeden, der seinen Meinungen zu widersprechen wagte. Es war nicht zu verwundern, daß die von Marx befürworteten Anträge in der Versammlung nicht durchdrangen.“13)

Marx war schon einmal, im Jahre 1843, nach Paris übersiedelt, wo er unter dem Régime Louis-Philippes größere Freiheit erwartete als im Rheinland, das 1814 von Preußen annektiert worden war. Mit Arnold Ruge veröffentlichte er damals die Deutsch-Französischen Jahrbücher, doch nach dem Erscheinen der ersten Nummer zerstritten sich die Herausgeber, und damit war das Ende dieser Zeitschrift gekommen. In Frankreich geschah es auch, daß Marx mit Hegel brach und lediglich die Hegelsche Dialektik der Geschichte weiter anerkannte. In Paris traf er auch mit Proudhon zusammen, erhielt er die ersten Briefe von Friedrich Engels und schrieb den ersten haßerfüllten Essay gegen die Juden, in denen er die Verkörperung dès bourgeoisen Kapitalismus sah.14) Doch hatte, wie wir sehen werden, der ‚Antisemitismus’15) bei Marx nicht nur einen soziologisch-ökonomischen, sondern auch einen echt ‚rassistischen’ Charakter. Zudem war er in dieser Beziehung auch von Bruno Bauer beeinflußt worden, einem evangelischen Theologen und Freund aus jungen Jahren, der bezeichnenderweise einer der Begründer der neueren Bibelkritik gewesen ist. Bauers Ansichten aufgrund seines Studiums waren ausgesprochen judenfeindlich.16 Philosophisch ein Hegelianer, erntete er Marxens Haß nach dessen Bruch mit Hegel, und so schrieb Marx zusammen mit Engels eines seiner giftigsten Pamphlete: Die heilige Familie gegen Bruno Bauer und Compagnie.

Friedrich Engels war übrigens einer der ganz wenigen Leute, vielleicht sogar der einzige Mann, dessen Freundschaft Marx zu erhalten verstand. Dieser reiche Fabrikant aus dem Wuppertal hatte ein Vermögen, mit dem er den Gründer des internationalen Sozialismus und Kommunismus sein Leben lang unterstützen konnte. Also nur einer von Lenins „nützlichen Idioten“? Vielleicht doch nicht, denn Engels glaubte nicht nur ehrlich an die Theorien des „Mohren“ (wie Marx von seinen Freunden genannt wurde), sondern war auch imstande, sie redaktionell zu verwerten und „praktisch“ weiterzuentwickeln, sodaß einige Autoren meinen, man sollte in Wirklichkeit nicht vom Marxismus, sondern vom „Engelsismus“ reden.

Briefe, in denen Marx Engels kritisierte, wurden jedoch von den Töchtern nach dem Tod des „Mohren“ vernichtet.

Wie schwierig aber Marx in allen seinen menschlichen Beziehungen war, ersieht man auch aus den Aufzeichnungen eines preußischen Offiziers, Gustav Adolf Techow, der nach seiner Bekehrung zum Sozialismus Marx in London aufsuchte und von ihm schrieb: „Hätte er ebensoviel Herz wie Verstand, ebensoviel Liebe wie Haß, würde ich für ihn durchs Feuer gehen.“17) Dieser Techow erzählt uns auch, wie er einen feuchtfröhlichen Abend mit Marx verbrachte, bei dem sein Gastgeber frisch von der Leber her redete. Dem erschütterten Exoffizier gestand der „Mohr“, daß er über die Narren lache, die seinen Proletarierkatechismus ernst nähmen, und daß er in Wirklichkeit nur für die Aristokraten Achtung aufbrächte. „Ich habe den Eindruck mitgenommen, „schrieb Techow einem Freund, „daß seine persönliche Herrschaft der Zweck all seines Treibens ist, und alle seine Socien sind weiter unter und hinter ihm, und wagen sie das einmal zu vergessen, so stuckst er sie in ihr Verhältnis zurück mit einer Unverschämtheit, die eines Napoleon würdig.“18)

Nicht nur auf Marx, sondern auch auf Engels machte der Materialismus von Ludwig Feuerbach einen tiefen und bleibenden Eindruck, und dies beschleunigte auch ihren Bruch mit dem deutschen Idealismus. Feuerbachs Kritik der Religion im allgemeinen und des Christentums im besonderen wurde von den beiden mit einem radikalen Materialismus kombiniert. „Der Mensch ist, was er ißt!“19 Hier wurde die Grundlage für den unstillbaren Haß von Karl Marx für alle Formen des Glaubens gelegt. Feuerbachs Überzeugung, daß Kultur und Erziehung die Religion ersetzen sollten, hat einen romantischen und spezifisch deutschen Charakter, doch seine Forderung, daß die Bereitschaft zu glauben dem Entschluß zu wollen weichen muß, zeigte an, in welcher Richtung das Denken von Marx und Engels sich bewegen sollte. Feuerbachs Überzeugung, daß die Moral nicht durch die Religion, sondern lediglich durch bessere Lebensbedingungen gefördert wird, gehört allerdings primär zur Säkularreligion der amerikanischen Linken; wenn nicht zur amerikanischen Folklore. Schließlich ist es für naiv Ungläubige in diesem Tal der Tränen ein großer Trost, daß es einen (automatischen) Fortschritt gibt, daß die Kinder oder Kindeskinder es einst „durch den Fortschritt besser haben werden“. Hier sehen wir die Erfüllung von Dostojewskijs Prophezeiung durch den Mund des Großinquisitors in seinen Brüdern Karamazow20) daß die Zeit kommen werde, in der die Wissenschaft die Existenz von Verbrechern in Abrede stellen wird, daß es keine Sünder mehr geben werde, sondern höchstens Hungernde (und die kann man bei gesteigerter Produktion füttern). Also erzeugt „sehr logisch“ die Armut den Schrei nach dem Sozialismus oder den communism of the stomach. Aber so einfach ist das natürlich nicht. In Italien nistet der Kommunismus auch in Schlössern und Luxuswohnungen, in den Vereinigten Staaten in Hollywood und Park Avenue! Doch während Marx Feuerbach nur aus Büchern und Essays kannte, befreundete er sich in Paris mit Schülern von Saint-Simon und so auch mit dem früheren Sekretär des Roten Grafen, mit Auguste Comte, dem Schöpfer des Positivismus.21) Comtes Versuch, die gesellschaftlichen Gesetze durch Naturgesetze zu erhellen, beeindruckte auch Marx.

Im Jahre 1845 verlangte die preußische Regierung von den französischen Behörden, Marx als gefährlichen Agitator auszuweisen, und die Franzosen gaben diesem Ersuchen statt. Marx ging dann nach Brüssel,22) wo er 1847 sein Pamphlet gegen Proudhon herausgab. Im Jahre darauf veröffentlichte er in Zusammenarbeit mit Engels das Kommunistische Manifest. Einen Monat später befahl ihm die belgische Regierung, das Land zu verlassen, worauf er mit Engels nach Paris zurückfuhr, wo gerade nach dem Fall Louis-Philippes die Revolution ihren Höhepunkt erreicht hatte. Von Paris reiste er dann wieder nach Köln, wo Marx erneut ein Tagblatt, die Neue Rheinische Zeitung mit dem Untertitel „Demokratisches Organ“, publizierte. Im November desselben Jahres forderte die Zeitung ihre Leser auf, keine Steuern mehr zu zahlen und der preußischen Regierung mit der Waffe in der Hand Widerstand zu leisten. Daraufhin wurde das Blatt konfisziert, Marx wurde verhaftet, vor Gericht gestellt, aber eine bürgerliche Jury sprach ihn frei. Es gab eben stets „bürgerliche“ Elemente, die vor Marx einen Heidenrespekt hatten und vor ihm katzbuckelten. Geistig gibt es diese auch heute noch.

Um einer zweiten Verhaftung auszuweichen, ging Marx nocheinmal nach Frankreich zurück, doch war die Regierung dort nun weniger von linken Ideen begeistert und ließ ihm die Wahl, sich entweder außerhalb von Paris anzusiedeln oder das Land zu verlassen. Marx aber war ein echter Bücherwurm; ohne große Bibliotheken war sein Leben verfehlt und so ging er in ein Land, in dem schon eine fix- und fertige sozialistische Bewegung (wenn auch nicht nach seinem Geschmack) bestand – nach England, das immer, nach der Schweiz, der kontinentalen Linken ein rettender Hafen gewesen war. Marx fand eine Wohnung in London, wo er im Lesesaal des Britischen Museums ohne Unterlaß bis zu seinem Tod arbeitete. Sein Unterhalt wurde zu großem Teil von Engels bestritten, der in Manchester arbeitete und dessen Verwandte ihn „ausbezahlt“ hatten; auch hatte Marx ein Nebeneinkommen von der New York Tribune, deren Europa-Korrespondent er Jahre hindurch war. (Doch wissen wir heute, daß er ein fauler Schreiber war und Engels immer wieder seine Artikel schreiben mußte.) Ohne die Thaler, Pfunde und Dollars des ‚Kapitalismus’ hätte es vielleicht keine sozialistisch-kommunistische Bewegung gegeben…

Kehren wir aber zum Kommunistischen Manifest zurück, das alsbald in viele Sprachen übersetzt wurde, auch ins Dänische, aber vorläufig nicht ins Russische. (Marx war stets antirussisch gestimmt gewesen und hatte überhaupt für die Slawen und andere „niedere Völker“ nichts als Verachtung übrig.)23) In Brüssel hatte sich Marx dem „Bund der Kommunisten“ angeschlossen, der früher einmal „Bund der Gerechten“ geheißen hatte. (Auch heute herrscht in Jugoslawien nicht eine kommunistische Partei, sondern der Savez komunista, der „Bund der Kommunisten“.) Das Manifest, eine Kurzschrift von ungefähr 12 000 Worten, gibt eine kompakte Übersicht von den politisch-wirtschaftlichen Überzeugungen der beiden Autoren. Der Stil dieses Pamphlets ist farbig, klar und herausfordernd, aber das Vokabular des deutschen Urtexts ist doch so, daß es vom durchschnittlichen Arbeiter kaum verstanden worden wäre. Meine eigene Ausgabe aus dem Jahre 1921,24) als das allgemeine Bildungsniveau schon bedeutend höher war als im Jahre 1848, hat ein Glossar von zwölf eng bedruckten Seiten. Das allein schon bezeugt, daß der Sozialismus-Kommunismus eine Bewegung von Intellektuellen mit eigenartigen psychologischen Motivationen ist, die aber durch ihre populären (oder popularisierten) Schriften, ihre rednerischen Begabungen oder ihren persönlichen Magnetismus die Massen mobilisieren konnte. Der internationale Sozialismus-Kommunismus wurde nicht von „Werktätigen“25) in die Welt gesetzt. Noch wurde er (mit ganz wenigen Ausnahmen) von Männern erdacht und erfunden, die für die Armen und Bedrückten blutende Herzen hatten, sondern von giftgeschwollenen Hassern. Auch im Gemütsleben von Karl Marx, das wir außerordentlich gut kennen, findet man kaum Liebe, Mitleid oder Zärtlichkeit. War er vielleicht ein Satanist? Auch eine solche Theorie gibt es.26)

Das Kommunistische Manifest, in Brüssel geschrieben, aber in London, der damaligen Hauptstadt des ‚Weltkapitalismus‘, zuerst veröffentlicht, beginnt mit den seitdem berühmten Worten: „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen das Gespenst verbündet, der Papst und der Zar, Metternich und Guizot, französische Radikale und deutsche Polizisten.“ Nach dieser Präambel versucht das Manifest, die Weltgeschichte höchst einfach als Geschichte von Klassenkämpfen darzustellen, doch wird auch die Bemerkung eingeflochten, daß die prähistorischen Völker weder Klassen noch den Privatbesitz kannten. Mit anderen Worten: Die Autoren kopierten Rousseaus Theorie von einem paradiesischen Urzustand, einem Goldenen Zeitalter, einer säkularen Vision der biblischen Geschichte.

Das Manifest preist dann die Bourgeoisie für ihre Großtat: die Vernichtung des Feudalismus und seiner Kultur. Es klagt sie aber an, ein eisern-strenges Régime ihrerseits errichtet zu haben. Dann folgt eine vernichtende Kritik der Bourgeoisie und diese enthüllt den Hauptcharakterzug von Marx: Selbsthaß. Marx, ein typisches Produkt des Bürgerstandes, ist bürgerfeindlich. Marx, jüdischer Abkunft, ist ein Judenhasser. Marx, der seine Zelte im Herzen der ‚kapitalistischen‘ Welt aufgeschlagen hat, ist „Antikapitalist“. Marx, der eine Aristokratin geheiratet hat, ist zwar von der Aristokratie beeindruckt und will bei seinem Ausflug nach Berlin in ihre Salons eindringen, bekämpft sie aber. Im dritten Teil seines Manifests ergeht er sich sogar in wüsten Ausfällen gegen einen „aristokratischen Sozialismus“27). Der Selbsthasser haßt natürlich auch andere; doch will er keine irgendwie gearteten Bundesgenossen in seinem Kampf, nicht solche zumindestens, die seiner Kontrolle entgehen könnten.

Doch Marx preist die Bourgeoisie, daß sie die Herrschaft der Stadt über das Land gefestigt, daß sie eine Massenabwanderung vom Land in die Stadt eingeleitet hat, um sie dem „Idiotismus des Landlebens“ zu entreißen und somit zur Bildung eines städtischen Proletariats, seines Proletariats, beizutragen. Das ist die Stimme des wurzellosen Intellektuellen.

Auch lobt Marx die Bourgeoisie für ihren antifeudalen Kampf, weil sie dadurch für die Schaffung einheitlicher Staaten von einer Nation, einer Regierung, eines nationalen Klasseninteresses, eines einheitlichen Zollgebietes („Douanenlinie“ nennt er sie) gekämpft hatte. Er freut sich über alle diese (typisch linken) „Errungenschaften“, wie er auch dann später mit Engels ein Bewunderer Bismarcks wird, denn Marx ist eben auch ein früher ‚Nationalsozialist‘. Dann aber versucht er zu beweisen, daß die Technik im krassen Gegensatz zu der gegenwärtigen Produktionsweise stünde. Die Bourgeoisie befindet sich in einer furchtbaren Krise: Kriege, Hungernsnöte und wirtschaftliches Chaos bedrohen die bourgeoise Gesellschaft. Die Produktion ist zu hoch. Die einzige Lösung des Problems ist die Eroberung neuer oder die noch brutalere Ausbeutung alter Märkte. Um zu überleben, muß die Bourgeoisie neue Krisen gebären. Doch hat sie das Proletariat geschaffen, das die Bourgeoisie genau so vernichten möchte wie diese seinerzeit die Aristokratie.

Was aber nun folgt ist überraschend oder doch vielleicht nicht so überraschend, wenn man die deutsche Romantik kennt. Es ist dies eine wütige und doch nicht völlig ungerechte Kritik der modernen Industrie, des Maschinenzeitalters, der Knechtschaft, die dem Arbeiter durch die Vorläufer des Fließbandes aufgezwungen wird. Der Arbeiter, sagten Marx und Engels, ist durch die Maschine und durch die Vorarbeiter im Dienste einer ausbeutenden Bourgeoisie versklavt. Und schließlich kommen die beiden Autoren zum Grundübel: Der Arbeiter bekommt nur einen Teil seines ihm zustehenden, gerechten Lohns.

Doch da gibt es einen Trost in Form einer ausgleichenden, dialektischen Gerechtigkeit: Zwar zwingt die Bourgeoisie alle Menschen auf das proletarische Niveau hinunter, aber das Große, das Kolossale, die Masse wird überall siegen. Schon gibt es auch Kleinbürger, die, ob sie es nun wollen oder nicht, vom Proletariat verschlungen werden. Doch innerhalb des Proletariats gibt es bereits eine neue Kultur: Die Beziehungen des Proletariers zu Frau und Kind, zu Staat und Nation sind schon ganz andere als die des Bourgeois. Er hat kein Vaterland,28) keine bourgeoise Moral, keine Religion. Und während in der Vergangenheit nur Minderheiten für ihre Interessen kämpften, ist die Bewegung der Proletarier eine unabhängige Bewegung, die der großen Mehrheit im Interesse der großen Mehrheit. Das klingt nicht nur, das ist tatsächlich höchst demokratisch – freilich auch nur so lange, als das Proletariat eine wirkliche Mehrheit bildet. (Was sie längst nicht mehr in den meisten industrialisierten Ländern tut.) Laut des Manifests ist jedoch sehr logisch der erste Schritt in der Revolution der Arbeiter der Kampf um die Verwirklichung der Demokratie, der Regierung der Mehrheit von Gleichen.