Kitabı oku: «Der Reichtagbrandprozess», sayfa 4

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In Wirklichkeit war keine der Brandstiftungen durch das Eingreifen der Feuerwehr aufgefallen. Auch hatte man die Pressemeldungen durchaus nicht groß aufgemacht. Sie beschränkten sich zudem auf den Brand im Schloss; denn von den Bränden im Wohlfahrtsamt und im Rathaus erfuhr die Polizei erst durch Lubbes Geständnis, einen Tag nach dem Reichstagsbrand. Auch stand weder im "Angriff" noch in sonst irgendeinem Blatt, dass im Schloss "eine Menge Brandmaterial" gefunden worden sei.

Schulze-Wildes Story geht dann so weiter: "Am Sonntag-Morgen erklärte Paul Waschinsky ... seinem Freund Marinus, wie begeistert die Mitglieder der Terrorgruppe über die gestern erfolgten Aktionen gewesen seien; sie würden sich freuen, wenn er am Montag bei einer geplanten Großunternehmung mitmache; einer der Führer wolle ihn heute in Spandau kennen lernen." Denn: "In der Tat hat Waschinsky von Helldorf den Befehl erhalten, den Holländer im Bahnhofswartesaal von Spandau einmal dem Oberführer Ernst vorzuführen."

Unverständlich bleibt, warum die Nazis wegen des trampenden Holländers, der nicht einmal Mitglied der Kommunistischen Partei war, soviel Aufhebens machten und warum es ihnen nicht gelang, einen einzigen abtrünnigen echten Kommunisten zu finden.

"Gegen halbelf Uhr vormittags", so erzählt Schulze-Wilde, "treffen die beiden am Ziel ein. Waschinsky bestellt sich ein Bier, van der Lubbe will 'Melk' haben. Der Kellner glaubt nicht recht gehört zu haben; Milch steht nicht auf seiner Getränkekarte. Schließlich entscheidet sich der Revolutionär für Schokolade, - das nährt, sättigt und schmeckt gut. Pünktlich stiefelt Ernst mit seinem Adjutanten, der aber an der Theke stehen bleibt, in den Wartesaal. Er trägt keine Mütze und hat sich einen Zivilmantel übergezogen.

"Er nimmt am Tisch der beiden Burschen Platz und ist beim Anblick sowohl des Holländers wie der Schokolade entsetzt; kurzsichtig scheint der Kerl auch noch zu sein."

Als van der Lubbe dann gewohnheitsgemäß gar "zu einer Rede ansetzt", verliert Karl Ernst die Geduld. Er gießt seinen Zorn mit einem Korn hinunter und sagt zu Waschinsky die klassischen Worte: "Dein Heini hat wohl nicht alle Tassen in't Schrank? Der ruft ja nach der Mama, wenn's mulmig wird! Nich in die Tüte, det mach'n wa alleene.' Und weg ist er!"

Die Redaktion der "Frankfurter Hefte" hat wohl diesen Passus gemeint, als sie in einer Vorbemerkung schrieb: "Der Typus des Berichts passt sich der Eigenart der Ereignisse und der handelnden Personen an." Merkwürdigerweise fehlt die dokumentarisch bedeutsame Aussage in der später erschienenen Buchfassung "Die Machtergreifung".

Paul Waschinsky ist freilich durch nichts aus der Ruhe zu bringen. Zwar hatte ihn schon Dr. Goebbels abgelehnt, dem er "einerseits zu wach, anderseits nicht fest genug" war, - trotzdem machte Waschinsky weiter mit. Aber auch nachdem der SA -Führer Karl Ernst im Spandauer Wartesaal erklärt hat: "Det mach'n wa alleene", gibt "Paule" nicht auf:

"Van der Lubbe ist zwar enttäuscht, aber er entschuldigt selbst seinen Freund Paul, als dieser erklärt, 'Karl' habe so schnell gehen müssen, weil ein Polizist am Eingang des Wartesaals aufgetaucht sei...

"Sie marschieren durch den Spandauer Forst bis zum Arbeitervorort Hennigsdorf. Dort sehen sie sich eine SA-Demonstration an, dann beschließt Waschinsky, in die Stadt zurückzufahren, 'um die Sache einzurenken'." Er lässt van der Lubbe also allein. Schulze-Wilde: "Van der Lubbe meldet sich bei der Polizei, um ins Hennigsdorfer Asyl eingewiesen zu werden. Er ist der einzige Gast."

Das "Einrenken" in der Nacht zum Sonntag - der letzten vor dem Brand - geht unerwartet einfach vonstatten: "Mit Erstaunen stellt der V-Mann bei Gruppenführer Helldorf fest, dass Oberführer Ernst einen gewaltigen 'Anpfiff' wegbekommen hat. Der Holländer sei sofort zu veranlassen, morgen Abend Punkt neun Uhr in den Reichstag einzusteigen und dort Feuer zu legen!"

Aber der bisher so aktive und gewissenlose Paul Waschinsky bekommt es plötzlich mit der Angst zu tun, so dass der gräfliche Gruppenführer ihn ermuntern muss: "Seine (Waschinskys) Aufgabe sei lediglich, den Holländer zu überreden, in den Reichstag einzusteigen, und zwar Punkt neun Uhr abends, dann zur Wache am Brandenburger Tor zu laufen und dort Meldung zu erstatten. Anschließend habe er sich unverzüglich im Gaubüro einzufinden ..."

Helldorf will Waschinsky gleich im Wagen des Oberführers Ernst nach Hennigsdorf zurückbringen lassen. "'Ich kann doch aber vor dem Asyl nicht mit einem Horch vorfahren!' wehrt sich Waschinsky gequält. Helldorf und Ernst lachen laut auf; die Vorstellung ist prachtvoll, dass ein Obdachloser mit einem 'pfundigen Wagen' vor der Polizeiwache ankommt und um ein kostenloses Obdach bittet."

Man einigt sich also nach Schulze-Wilde darauf, Waschinsky nur bis zum Stettiner Bahnhof zu bringen; von dort aus soll er die Vorortbahn nehmen. Waschinsky fährt nach Hennigsdorf und erteilt dort seinem Schlafgenossen van der Lubbe letzte Instruktionen.

Am Montagabend tritt gleichzeitig mit van der Lubbe und Waschinsky das Sonderkommando des SA-Führers Ernst in Aktion: "Gegen acht Uhr sammelt sich die Gruppe z. b. V., insgesamt zehn Mann, auf dem Bahnhof Friedrichstraße. Von da schlendern sie zwei und zwei nach dem Reichstagsufer. Vom Garten des Präsidentenpalais führt ein eisernes Tor nach dieser Straße. Man hat sich Schlüssel beschafft und braucht deshalb die Portierloge nicht zu passieren; zwar sitzt dort die Stabswache von Oberführer Ernst, die nicht zu fürchten ist, aber je weniger Mitwisser, umso besser."

Die "Stabswache" in der Portierloge? Dort saß doch, wie sich im Prozess einwandfrei ergab, allein der Nachtpförtner Paul Adermann!

"Die zehn Mann überqueren lautlos - es liegt Schnee - den Garten und verschwinden in den Heizungsraum." Dann beginnen sie ihren Marsch durch den unterirdischen Gang, der zum Reichstag führt.

Die Phantasie und der Hang zum Geheimnisvollen fanden im "geheimen Gang" ihr kriminalistisches Gruselstück. Dieser ganz prosaische Röhrentunnel, der von den Kelleranlagen des Reichstagsgebäudes unter der Friedrich-Ebert-Straße und unter dem Palais des Reichstagspräsidenten hindurch zum Kessel- oder Maschinenhaus führte, wo die acht Riesenkessel für die Heizung standen, ist neben der "Mephisto"-Figur Waschinsky ein Kernstück der Legende vom Reichstagsbrand geworden.

Als der Baumeister Paul Wallot 1894 - nach zehnjähriger Bauzeit - das Reichstagsgebäude aus feuerfestem Sandstein fertig gestellt hatte, verlegte er dennoch die Heizungsanlagen in das 120 Meter entfernte Kessel- oder Maschinenhaus jenseits der späteren Friedrich-Ebert-Straße, um jedwede Feuergefahr nach menschlichem Ermessen auszuschalten.

Ein Verbindungsgang nahm die Rohre für Heizung und Lüftung sowie die Kabel für Strom und Telefon auf. Im Keller des Reichstags befand sich die "Heizungszentrale", eine Verteilerstelle, von der aus Heizung und Belüftung im Reichstagsgebäude gesteuert wurden.

Der Gang hatte einen Durchmesser von etwa zwei Metern. Die dicken Heizungsrohre ruhten übereinander auf Sockeln an der Wand. Der Gang wurde vom technischen Personal des Reichstags, den Heizern und den Handwerkern häufig benutzt.

In der Anklageschrift heißt es daher auch: "Der Gang wird auf beiden Seiten durch eiserne Türen, und zwar nach dem Maschinenhaus durch eine rote und nach der Reichstagsseite durch eine schwarze Tür, abgeschlossen. Diese beiden Türen stehen am Tage offen, da der Gang häufig, besonders vom Kesselhaus aus, dienstlich betreten werden muss. Nach Dienstschluss werden die Türen aber regelmäßig verschlossen."

Das Braunbuch und die Darstellungen von Gisevius, Dr. Wolff und Schulze-Wilde haben sich die Sache einfach gemacht: Mit "Nachschlüsseln" konnten die zehn SA- Männer ohne weiteres in den "Heizraum" gelangen. Gemeint ist offenbar das Maschinenhaus. Das geht nach Schulze-Wilde aufregend genug vor sich: "Doch bevor die Gruppe losgehen kann, muss erst noch das Signal aus dem Reichstag kommen, dass alle Abgeordneten das Haus verlassen haben und der einzige Nachtwächter, der zurückblieb, seinen obligaten Rundgang gemacht hat."

Schulze-Wilde verschweigt leider, wie und von wem dieses "Signal" gegeben wurde. Eine Telefonverbindung zu den Kellerräumen existierte jedenfalls nicht. Oder waren die SA-Männer gar mit Funkgeräten ausgerüstet?

Um 20 Uhr 40 ist es dann soweit: "Alle stehen startbereit, die Uhr zeigt acht Uhr vierzig. Wer keine Schuhe mit Gummisohlen hat, muss auf Socken gehen." Schulze-Wilde weiß offenbar nicht, dass zwischen 20 Uhr 45 und 20 Uhr 55 der Postbote Willy Otto durch die Gänge des Reichstags zu den Postkästen ging. Wären Ernst und seine Männer um 20 Uhr 40 losmarschiert - der Marsch auf Socken dauerte "keine fünf Minuten" -, dann hätten sie dem Postboten eigentlich begegnen müssen.

Doch der Postbote störte sie nicht. Bei Schulze-Wilde gibt es ihn gar nicht. "Nachdem sie ungesehen die Portierloge im Reichstag passiert haben ..."

Welche? Es gab fünf, und nur eine davon, am Portal V, war mit einem Pförtner besetzt; gerade diese aber lag vom Zugang zum Keller weit entfernt.

Nachdem die SA-Männer also die Portierloge passiert haben, "stürzen sie die teppichbelegten Treppen nach oben in den Plenarsaal. Erst als sich die dicke Eichentür hinter ihnen geschlossen hat, zündet der Oberführer seine Pechfackel an. Im Schein des gespenstischen Lichts laufen die Männer die Bankreihen entlang und gießen ihre Flaschen aus ...

"Alles hat bis jetzt geklappt, aber dann gibt es auch hier den unvermeidlichen Zwischenfall. Einer der Männer lässt beim Rückmarsch in dem unterirdischen Gang seine Jacke, die er dort deponiert hat, hängen."

Die hängen gebliebene Jacke stammt aus dem Braunbuch II, hier hängt sie allerdings an der Tür zum unterirdischen Gang; sie ist von einem "vorbeikommenden" Feuerwehrmann gefunden worden - an einer Stelle tief unten im Keller-Labyrinth des Reichstags, wo kein Feuerwehrmann etwas zu suchen hatte.

"Bereits wenige Minuten nach neun Uhr", so geht es bei Schulze-Wilde weiter, "verlässt der erste der Z.b.V.-Gruppe den Heizungsgang und verschwindet durch das eiserne Tor zum Reichstagsufer hin ... Ohne Aufenthalt fährt Ernst ins Gaubüro in der Hedemannstraße; den jackenlosen Mann setzt er im SA-Heim ab."

Jetzt braucht nur der tumbe "Faust" aus Holland nach den Befehlen seines "Mephisto" Waschinsky zu handeln und sich mit seinem Kommunistenausweis erwischen zu lassen. Schreibt Schulze-Wilde: "Vorne an der Auffahrt-Seite des Reichstages hat van der Lubbe seine Rolle gespielt. 'Los!' hatte Waschinsky gerufen, als es schon fünf Minuten nach neun Uhr war und van der Lubbe sich noch einmal erstaunt umsah, weil sonst niemand erschien. 'Die Anderen sind schon eingestiegen - an der andern Seite!' Er wird etwa zehn Minuten später, als er keuchend durch die Gänge des brennenden Gebäudes rennt, von einem Wachtmeister namens Poeschel und dem Hausinspektor Scranowitz verhaftet: auf frischer Tat im Reichstag gestellt!"

Gefasst, weil sein Verführer Waschinsky die Polizeiwache am Brandenburger Tor alarmierte. Die Regie hat geklappt: Der Reichstag steht in lodernden Flammen, und ein Kommunist ist als Brandstifter verhaftet.

Der Illustrierten-Geschichtsschreiber Peter Brandes, alias Curt Riess, lässt den Verführer Waschinsky genauso geheimnisvoll verschwinden, wie er aufgetaucht war: "Der Name taucht nur noch einmal auf - im Sommer 1934, Wenige Tage nach dem 30. Juni ... Einem von der SA ist es gelungen, sich über die Grenze zu flüchten, er macht seinen Weg nach Paris, er trifft dort ein paar ehemalige deutsche Journalisten, denen er alles erzählt, was er weiß, und er weiß eine Menge." Damit ist auch Peter Brandes wieder bei dem Kolporteur der Waschinsky -Legende, Harry Schulze-Wilde, angelangt.

Die Wahrheit über den zweiten Gast im Hennigsdorfer Asyl und über den Brandmelder in Schaftstiefeln sieht nun allerdings anders aus. Aus den Akten des Leipziger Reichsgerichts, aus Zeugenaussagen und aus dem Übernachtungsbuch der Hennigsdorfer Polizei ergibt sich nämlich folgendes:

Am Sonntag, dem 26. Februar 1933, befindet Marinus van der Lubbe sich in Hennigsdorf und geht gegen Abend gewohnheitsgemäß zur nächsten Polizeiwache, um seine Unterkunft für die Nacht sicherzustellen. Auf der Wache empfängt ihn als Diensthabender ein 35jähriger Polizeihauptwachtmeister mit dem ostpreußischen Namen Karl Adomeit, nimmt ihm den Pass ab und vermerkt in der Übernachtungskladde zunächst die genaue Uhrzeit der Ankunft van der Lubbes: 18 Uhr 20. Dann stutzt er: Ein Ausländer. Er fragt mit beruflichem Misstrauen, was Lubbe denn in Deutschland wolle. Van der Lubbe: "Arbeit suchen." Darauf hält ihm Adomeit griesgrämig vor, dass es in Deutschland doch wahrlich schon genug Arbeitslose gebe, die keine Aussicht hätten, Beschäftigung zu finden.

Dann führt er den nicht sehr willkommenen Gast ins Asyl, einen kleinen Raum im Hause der Polizeiwache. Er schließt auf, lässt van der Lubbe hinein und - schließt hinter ihm wieder ab.

Van der Lubbe aber ist nicht allein. Von den vier Betten im Asyl ist eins bereits belegt. Von einem Gast, der nicht noch ihm, sondern etwas früher, nämlich um 17 Uhr 43, von dem Polizeiwachtmeister Schmidt in Empfang genommen und ins Asyl eingeschlossen worden war. So steht es in der Polizeikladde.

Auch der erste Gast war Arbeitsloser. Er kam aus Rottenbuch in Oberbayern und hieß Watschinski. Seine Eltern hatten ihn allerdings, wie seinem Ausweis zu entnehmen war, nicht Paul, sondern Franz genannt. Franz Watschinski und der Holländer Marinus van der Lubbe aus Leiden verbrachten gemeinsam die Nacht vom 26. auf den 27. Februar 1933 im Polizeiasyl in Hennigsdorf, wo sie - den Vorschriften entsprechend - für die Dauer der Nacht eingeschlossen worden waren.

Am 27. Februar, morgens um 7 Uhr 45, ließen die Hennigsdorfer Polizisten die beiden wieder hinaus. Nachdem Lubbe und Watschinski im Lokal der Frau Wolter in der Hennigsdorfer Hauptstraße, gegenüber dem Polizeirevier, Kaffee getrunken hatten, machten sie sich gemeinsam auf den Weg nach Berlin; sie trennten sich jedoch vor der Stadt.

Franz Watschinski ging seiner Wege. Sein Name jedoch, besser gesagt sein missverstandener Nachname, wurde zum Inbegriff einer Legendenfigur. Unter Beifügung eines passenden Vornamens, Paul - "zwanglos Paule genannt" -, und unter Verwendung der Tatsache, dass der von Oberwachtmeister Buwert im Dunkel des Brandabends nur verschwommen wahrgenommene "Zivilist im dunklen Mantel" später scheinbar spurlos verschwand, sah man hier die Möglichkeit, den fehlenden "Mephisto" des Reichstagsbrands hervorzuzaubern. Als der Reichstag schon brennt, alarmiert dieser Bursche noch die Polizei und verschwindet dann für immer. Jammert Peter Brandes in Anlehnung an das Braunbuch noch Ende 1957: "Der Mann ... scheint wie vom Erdboden verschwunden zu sein."

In Wirklichkeit war der junge Mann, der die Polizeiwache am Brandenburger Tor alarmierte, keineswegs verschwunden. Er tauchte später während des Reichstagsbrandprozesses wieder auf. Denn der Mann, der am Brandabend den Auftrag des Oberwachtmeisters Buwert so gehorsam ausführte, die Polizei alarmierte und dann auch noch mit den Beamten zum Reichstag zurückfuhr, hieß nicht Waschinsky, sondern Neumann. Er war es, der sich zu Buwert gesellte, als der Student Flöter nach Hause gegangen war. Er war es, der neben Buwert herlief. Er war es, der mit Leutnant Lateit ins Auto stieg, und zum brennenden Reichstag fuhr. Als dann die Polizei beim Eintreffen der Feuerwehr mit der Absperrung begann, wurde er mit anderen Schaulustigen zurückgedrängt und ging schließlich nach Hause.

Am nächsten Morgen kam es ihm nicht in den Sinn, noch einmal zur Polizei zu gehen, um sich dort wegen seiner Rolle als Brandmelder wichtig zu tun. Denn schließlich hatte er ja das Einsteigen van der Lubbes gar nicht gesehen, sondern war lediglich dazugekommen, als Buwert zur Einstiegstelle rannte.

Als Neumann dann nach Prozeßbeginn den Presseberichten entnahm, dass man sein Verschwinden und ihn selbst als "geheimnisvoll" bezeichnete und rügte, dass seine Personalien in der Aufregung nicht aufgenommen worden waren, meldete er sich unverzüglich bei der Polizei. Er wurde an den Oberreichsanwalt verwiesen. Man verhörte ihn, nahm auch seine Personalien auf, widmete ihm aber kein sonderliches Interesse, da ja seine Aussage zur Aufklärung des Falles nichts beitragen konnte. Immerhin - so sagte man ihm - wäre es möglich, dass man seiner noch bedürfe.

So wurde er vorsorglich geladen, als am 10. Oktober 1933 die Beweisaufnahme in Berlin begann. Bei dieser Gelegenheit wurde der Zeuge Nr. 1, Hans Flöter, später Dozent in Bremen, mit ihm bekannt, und die beiden unterhielten sich im Zeugenzimmer und später in einem Charlottenburger Lokal über den Prozess. Neumann berichtete Flöter über seine Eigenschaft als "Reservezeuge".

Er wurde tatsächlich nicht gebraucht, denn damals ahnte ja niemand, dass viele Jahre später die ausschweifende Phantasie eines Journalisten aus Neumanns Kurzstreckenlauf zur Polizei am Brandenburger Tor eine neue Reichstagsbrand-Legende und aus ihm selbst "einen Mann namens Waschinsky" machen würde.

Unerlässlich für die kommunistische Waschinsky-Legende war die Existenz des unterirdischen Ganges. Das Stichwort freilich, van der Lubbes Helfershelfer könnten diesen Gang benutzt haben, kam nicht von den Kommunisten, sondern von dem Reichstagspräsidenten Hermann Göring.

Schon im September 1932, also vor dem Machtantritt der Nationalsozialisten, war die Polizei durch die Falschmeldung alarmiert worden, es sei ein Sprengstoffattentat auf den Reichstag geplant. Die Sprengladung sei irgendwo im Keller des Gebäudes versteckt. Offenbar hätten die Attentäter den unterirdischen Gang benutzt.

Die politische Polizei untersuchte den Gang mit großer Sorgfalt. Wenige Jahre zuvor nämlich, am 1. September 1929, war tatsächlich ein Sprengkörper im Reichstag explodiert: Rechtsradikalisten hatten eine Bombe in den Luftschacht eines Kellerfensters manövriert. Der Schaden war zwar gering gewesen, dennoch erinnerten sich die Angestellten des Reichstags noch an das Attentat. Der Gang musste seitdem von den Nachtpförtnern mehrmals kontrolliert werden.

Am Abend des 27. Februar 1933 kam Göring gegen 21 Uhr 35 am brennenden Reichstag an, wenige Minuten nachdem Pförtner Paul Adermann vom Reichstagspräsidenten-Palais aus Görings Sekretärin, Fräulein Grundtmann, alarmiert hatte. Nach den ersten Meldungen der Polizeioffiziere und des Berliner Oberbranddirektors Gempp war es für Göring ausgemacht, dass Kommunisten den Brand gelegt hatten. Da sich aber außer van der Lubbe kein weiterer Täter fand, obwohl das Reichstagsgebäude abgesperrt und jeder Winkel eifrig abgesucht worden war, stand Göring vor einem Rätsel. Wo waren die anderen Brandstifter geblieben? Im Hause waren sie nicht Herausgekommen waren sie auch nicht.

In diesem Augenblick muss Göring der Heizungsgang eingefallen sein. Schon 1932 hatte man ja doch die Kommunisten im Verdacht gehabt und - entgegen parlamentarischem Brauch - sogar ihre Fraktionsräume durchsucht. In seiner Vernehmung vor dem Reichsgericht am 4. November 1933 schilderte Göring seine Gedankengänge am Brandabend so:

"Ich hatte vor, van der Lubbe in der Nacht sofort aufzuhängen. Wenn ich es nicht getan habe, so nur aus dem Grund, weil ich mir sagte: Wir haben nur den einen, aber es muss eine ganze Schar gewesen sein. Vielleicht brauche ich den Mann noch als Zeugen."

In der Tat wäre es von Göring ja sehr unklug gewesen, van der Lubbe sofort hinrichten zu lassen, denn dann hätte ihm jedermann vorwerfen können, er habe einen unbequemen Mitwisser aus dem Wege geschafft.

Görings Vermutung, kommunistische Brandstifter hätten den unterirdischen Gang benutzt, wurde zur Gewissheit, als der Garderobier Robert Kohls die Kommunisten Torgler und Koenen als die Personen bezeichnete, die das Haus als letzte verlassen hatten Göring vor dem Reichsgericht: "Der Ausländer (van der Lubbe) hat den Ausgang nicht gekannt. Er ist umhergelaufen wie ein wilder Igel. Die anderen sind längst entschlüpft. Meiner Überzeugung nach haben sie den unterirdischen Gang benutzt. Der führt hinten zum Maschinenhaus hinaus. Es ist eine Leichtigkeit, von dort über die Mauer zum Spree-Ufer zu kommen."

Noch in der Brandnacht ordnete Göring die Durchsuchung des unterirdischen Gangs an. Er gab den Befehl an seinen Adjutanten, Hauptmann Jakoby, der wiederum Görings SS-Leibwächter und Kraftfahrer Walter Weber mit der Durchsuchung beauftragte. Mit einer Bedeckung von drei wahllos beorderten Schutzpolizisten begab sich Weber zum Präsidenten-Palais. Die Schupo-Begleitung beruhigte die Portiersfrau, die - ohne weiter zu fragen - die Schlüssel zum Gang aushändigte.

Die vier betraten den ominösen Gang. Weber wandte sich in Richtung Reichstagskeller. Er fand dort die Tür ordnungsgemäß verschlossen und traf auf dem Rückweg mit den Polizisten zusammen, die den Teil des Ganges in Richtung Maschinenhaus durchforscht hatten. Sie hatten auch am dortigen Ausgang die Tür verschlossen vorgefunden. Nach sieben bis acht Minuten trafen sie wieder beim Pförtner im Präsidenten-Palais ein.

Wenn Göring den Reichstag tatsächlich angesteckt hatte und andererseits die Kommunisten verdächtigen wollte, durch den einzig möglichen Weg gekommen und entwischt zu sein, hätten er oder seine Helfershelfer doch wenigstens die Türen offen gelassen, statt sie wieder sorgfältig zu verschließen. Was man aber aufgrund seiner Anweisung feststellte, war praktisch die Widerlegung seiner eigenen These.

In der Anklageschrift hieß es denn auch: "Jedenfalls steht durch die Aussagen des Zeugen Adermann sowie der beiden anderen Pförtner des Präsidentenhauses, Müller und Wutstrack, völlig einwandfrei fest, dass vom Präsidentenhaus aus irgendwelche Mittäter des Angeschuldigten van der Lubbe auf keinen Fall durch den unterirdischen Gang in das Reichstagsgebäude hinein oder auf diesem Wege nach der Tat wieder hinausgelangt sein können. Ebenso erscheint es außerordentlich unwahrscheinlich, dass von dem Kesselhaus, also dem Grundstück Reichstagsufer 5, am Brandtage jemand unbefugt in das Reichstagsgebäude eingedrungen sein könnte. Denn von keiner Seite ist in dieser Beziehung irgendwie etwas Auffälliges wahrgenommen worden.

"Dass es einem Mittäter des Angeschuldigten van der Lubbe am Abend des Brandtages gelungen sein sollte, auf diese Weise durch den unterirdischen Gang aus dem Reichstagsgebäude ungesehen zu entkommen, ist gleichfalls nicht anzunehmen. Denn wie festgestellt ist, waren zur Zeit des Brandes sämtliche Türen des Ganges fest verschlossen. Unmittelbar nach der Brandstiftung ist der Gang von dem Zeugen Weber zusammen mit drei Schutzpolizeibeamten kontrolliert worden.

"Auch bei dieser Kontrolle sind die Türen, die den unterirdischen Gang nach dem Reichstagsgebäude und dem Präsidentenhaus abschließen, fest verschlossen vorgefunden worden. Die Reichstagsbrandstifter hätten also, abgesehen davon, dass sie in diesem Fall über ganz genaue Ortskenntnisse hätten verfügen müssen, sämtliche Türen aufschließen und hinter sich wieder ordnungsgemäß abschließen müssen. Dies muss aber nach den ganzen Umständen als ausgeschlossen angesehen werden.

"Nach alledem wäre also an sich die Schlussfolgerung berechtigt, dass das Entkommen eines Mittäters aus dem Reichstagsgebäude nach neun Uhr abends weder durch eines der fünf Portale noch durch den unterirdischen Verbindungsgang möglich gewesen ist."

Dieser Gedankengang war logisch, richtete sich aber gegen die These Görings, dem nach der Expedition Webers und der drei Polizisten nur die Lösung offen blieb: Die Brandstifter müssen über Schlüssel verfügt haben, um den vierfach verschlossenen Gang benutzen zu können.

Die Täter konnten sich Nachschlüssel verschafft oder sogar die normalen Schlüssel benutzt haben. Auf jeden Fall mussten sie von Angehörigen des Reichstagspersonals unterstützt worden sein. Das allein blieb als Ausweg übrig, wenn die Nazi-These von den kommunistischen Mittätern Lubbes aufrechterhalten werden sollte.

Um diesem auch in den Vernehmungsprotokollen ausgesprochenen Verdacht zu begegnen, jemand von ihnen habe den kommunistischen Brandstiftern geholfen, waren die Angestellten des Reichstags eifrig bemüht, zur Aufklärung der Tat etwas beizutragen. Nicht ein einziger von ihnen war ja seit der Machtübernahme Hitlers entlassen oder ausgewechselt worden. Kein Wunder, dass die misstrauischen neuen Herren sie in den Personenkreis der Verdächtigen einbezogen. Ein halbes Dutzend der im Maschinenhaus und in der Heizzentrale Beschäftigten wurde denn auch wegen "marxistischer Einstellung" am 1. März vom Dienst abgelöst.

Douglas Reed, der Korrespondent der Londoner "Times", schreibt in seinem Buch "The Burning of the Reichstag" über die Reichstagsangestellten: Der Durchschnitts-Laie malt sich vielleicht das Reichstagsgebäude als eine große Halle aus, die zwischen den Sitzungstagen menschenleer, frostig und düster ist. Er hat jedoch keine Vorstellung von der Kompliziertheit eines solchen Gebäudes mit seiner riesigen Maschinerie für Heizung, Beleuchtung und Entlüftung und keine Ahnung vom Umfang des menschlichen Gemeinwesens, das darin ständige Beschäftigung findet. Er weiß nichts von den kleinen Reibereien, den Nebenbuhlerschaften und Streitigkeiten, die darin eine Rolle spielen.

"Mehr als einmal während des Prozesses konnten Beobachter dieses menschliche Element beim Studium der vielen Reichstagsbediensteten, die ihre Aussagen machten, wahrnehmen. Es gab schweigsame Zeugen, die mehr gewusst haben mögen, als sie sagten. Es gab zungenfertige Zeugen, deren Art erkennen ließ, dass sie mehr sagten, als sie in Wirklichkeit wussten."

Ein solcher zungenfertiger Zeuge war Paul Adermann, der Nachtpförtner im Reichs-tagspräsidenten-Palais. Er war es nämlich, der durch seine Angaben vor dem Unter-suchungsrichter und später vor Gericht Kopfschütteln bei seinen Kollegen, bei den Kommunisten im Ausland aber lärmenden Triumph hervorrief, denn er sagte aus, er habe vor dem Brand mehrfach Schritte in dem unterirdischen Gang gehört.

Zwischen dem Senatspräsidenten Bünger und Adermann entspann sich in der Verhandlung am 18. Oktober 1933 folgender Dialog:

BÜNGER: Sie haben früher einmal nachts Schritte im Gang gehört?

ADERMANN: Ja, das war mehrmals zwischen elf und ein Uhr nachts, das letzte Mal etwa zehn Tage vor dem Brand. Das war eine Person, und ich nahm an, dass jemand kontrollieren wollte, ob wir nicht etwa schlafen. (Tatsächlich war ein Nachtpförtner entlassen worden, weil er im Dienst geschlafen hatte.)

BÜNGER: An sich würden Sie - wenn der Brand nicht gewesen wäre - dabei nichts gefunden haben?

ADERMANN: Nein, gar nichts.

Adermann begründete diese Auffassung auch recht einleuchtend, indem er anführte, dass etwaige Bösewichter ja sicherlich nicht so deutlich hörbar und herzhaft, aufgetreten, sondern vermutlich leise geschlichen wären.

Immerhin hatte Adermann vor dem Brand seinem Vorgesetzten, dem Hausinspektor Scranowitz, von den "Schritten im unterirdischen Gang" berichtet. Der wies ihn an, gut aufzupassen, wenn er wieder etwas hören sollte. Das Aufpassen betrieb Adermann auf recht komplizierte Weise: Er klebte auf die rote Tür zum Maschinenhaus einen roten, auf die schwarze zum Reichstag einen schwarzen Papierstreifen. Außerdem spannte er Fäden über die Türspalten und legte Klötzchen unter die Laufplatten.

Einige seiner so aufschlussreichen Erlebnisse hatte Paul Adermann bereits bei der Kriminalpolizei zum Besten gegeben. Am 3. März hatte er ausgesagt: "Ungefähr drei bis vier Wochen vor dem Brande wurde in der Nacht so zwischen 21.30 Uhr bis ein Uhr hinten im Beamtenhaus stark geklopft. Es hörte sich mitunter so an, als wenn jemand mit einer Ramme auf das Pflaster schlägt."

Wurde da etwa ein unterirdischer Stollen vorgetrieben? Der Obermaschinenmeister Eugen Mutzka gab der Polizei am nächsten Tage, am 4. März, die folgende Aufklärung: "Die Erzählungen über die starken Klopfgeräusche sind stark aufgebauscht. Die Klopfgeräusche stammen aus der Wohnung des Botenmeisters Prodöhl. Prodöhl besitzt einen erwachsenen Sohn, der geistig etwas beschränkt sein soll, welcher in den Abendstunden wiederholt mit Händen und Füßen auf den Tisch in seiner Stube getrommelt hat."

Die Kriminalpolizei tat daraufhin Adermanns Bekundungen in ihrem Protokoll mit den Sätzen ab: "Die ganze Klopftonangelegenheit wird diesseits als erledigt betrachtet, da sie nach Lage der Sache mit dem Brand im Reichstagsgebäude in keinen verständlichen Zusammenhang gebracht werden kann. Es hat sich bei den Ermittlungen auch kein Anhalt dafür ergeben, dass die angeblichen Beobachtungen mit einer anderen, etwa geplanten strafbaren Handlung Zusammenhang gehabt haben."

Es war nämlich ein offenes Geheimnis - und Adermann selbst musste es vor Gericht zugeben -, dass der Gang "aus Bequemlichkeitsgründen sehr oft von technischen Reichstagsangestellten benutzt worden ist". Das sollten sie zwar nicht. Aber sie taten es. Allein aus dieser Tatsache erklärt sich die Sherlock-Holmes -Rolle Adermanns vor Gericht. Er wusste genau, dass da keine gefährlichen Leute herumgeisterten; deshalb machte er seine Mätzchen, um Material für seine Wichtigtuerei zu haben.

Der Obermaschinenmeister Eugen Mutzka bestätigte auf Befragen des Oberreichsanwalts in seiner Vernehmung vom 16. Oktober 1933, dass "die Heizungsleute unten frei verkehren konnten".

OBERREICHSANWALT: "Auch durch den unterirdischen Gang?"

MUTZKA: "Ja, auch durch den unterirdischen Gang!"

So erklärten sich die nächtlichen Schritte recht einfach: Einer der Heizungsleute benutzte hin und wieder den Gang aus Gründen der Bequemlichkeit.

Douglas Reed von der "Times" traut dem "üblen Schwätzer" Paul Adermann durchaus zu, von den Brandstiftern bestochen gewesen zu sein. Denn es war zwar möglich, mit Hilfe von Nachschlüsseln durch das unbewachte Maschinenhaus in den unterirdischen Gang zu gelangen; dann aber mussten die Brandstifter den Gang direkt unter der Pförtnerloge des Präsidentenpalais passieren. Und der Tunnel war mit losen Metallplatten ausgelegt, die - wie Douglas Reed selber wahrnehmen konnte - "ein Getöse verursachten, das vom Pförtner gehört werden musste".

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