Kitabı oku: «Der Goldvogel», sayfa 3
04 Normalerweise war das Labor nicht Tischlers bevorzugter Aufenthaltsraum, aber da sie nichts zu tun hatte, leistete sie dem Kollegen von der Spurensicherung Gesellschaft. Außerdem war sie neugierig, wie die Fingerabdrücke auf dem Papier sichtbar gemacht wurden. Dafür verwendet man kein Einstaubpulver, sondern Ninhydrin. Dieses Reagenz färbt Aminosäurespuren aus dem Hautschweiß violett und kann so Fingerabdrücke sichtbar machen, was bei älteren Spuren oft kaum mehr möglich ist.
»Und dir sind wirklich die Leichen ausgegangen?«, fragte Paul Siewert spitz.
»So ist es. Keine Kugel, die sich in einen weichen Leib bohrt, kein Metzgerbeil, das fälschlicherweise einen Menschen in Stücke haut statt das eigentlich vorgesehene Schwein, nicht einmal eine alte Frau, deren Todesursache als ›vielleicht nicht natürlich‹ angegeben wird. Keine verdächtigen Toten. Nichts.«
»Andere Arbeitslose gehen aufs Arbeitsamt …«
»… das heißt doch Agentur für Arbeit, Paul«, korrigierte die Hauptkommissarin.
»Verzeihe meine ungenaue Terminologie, andere gehen zur Agentur für Arbeit, wenn sie keinen Job haben, und Frau Tischler kommt ins Labor und schaut uns auf die Finger.«
»Mach ich dich nervös?« Tischler versuchte, so lasziv wie möglich zu klingen, was ihr aber nur bedingt gelang.
»Frauen machen mich immer nervös«, entgegnete Siewert. »Aber auch dieser Brief.«
»Was ist damit?«, fragte Tischler neugierig.
»Langsam kristallisieren sich einige Fingerabdrücke heraus. Aber ich brauche noch ein bisschen. Jemand hat den Brief achtlos aus dem Umschlag genommen?«
»Genau. Dieser Polonius, der Künstler, von dem ich dir vorher erzählt habe.«
»Der mit der Tolle? Er hat also das Dokument versaut. Seine Fingerabdrücke, soweit ich das erkennen kann, sind ausschließlich an den Rändern. Aber hier in der Mitte haben wir noch ganz schwache Reste. Sie müssten von der Hand stammen, die das Blatt gefaltet und in das Kuvert gesteckt hat.«
»Also von Olga Sibowska?«, fragte Tischler nach, die den skeptischen Unterton in Siewerts Stimme gehört hatte.
»Das glaube ich eben nicht. Ich kann mich noch an die Dame erinnern. Sie war schließlich einen Tag gewissermaßen bei uns. Sie war doch, bitte korrigiere mich, wenn mich mein Gedächtnis trügt, gerade mal einen Meter zweiundsechzig groß und brachte dreiundfünfzig Kilo auf die Waage?« Siewert blickte sie über seinen Brillenrand an.
»Ja, ein zartes Persönchen, zweifellos. Bei den Weight Watchers hatte sie nichts verloren.«
»Diese Fingerabdrücke sind klobiger, gröber.« Siewert schüttelte den Kopf. »Die passen nie im Leben zu einer dürren Heugeige wie der Sibowska. Und wenn du meine unmaßgebliche Meinung hören willst, sie stammen von einem Mann. Da bin ich mir ziemlich sicher.«
Tischler runzelte die Stirn. »Das macht das Rätsel nicht eben kleiner. Wieso sollte ein Mann diesem Polonius einen leeren Brief schicken?«
»Das herauszufinden, dürfte dein Job sein.«
»Oh nein«, wehrte Tischler ab. »Ich bin raus aus dem Fall.«
»Barbara, mach nicht einen auf beleidigt und bind mir keinen Bären auf. Ich kenne dich doch. Es brennt dir unter den Nägeln, das Rätsel zu knacken.«
»Das schon, aber die im LKA sind stärker. Wir sollten allerdings noch etwas untersuchen, und zwar … wie sage ichs am besten.« Die Kommissarin druckste ein wenig herum. »Ich hoffe, du lachst mich nicht aus und hältst mir vor, ich hätte in meiner Jugend zu viele ›Die drei ???‹-Bücher gelesen, aber wäre es nicht möglich, dass der Brief eine versteckte Botschaft enthält.«
»Ah, geschrieben mit geheimster Geheimtinte, wie man es aus der Sendung mit der Maus kennt«, meinte Siewert ironisch.
»So in etwa. Ich kann mich noch an ein paar Möglichkeiten erinnern. Gehen nicht Essig und Zwiebelsaft?«
»So ist es«, bestätigte der Fachmann. »Wahlweise kannst du auch Zitronen, Milch und Tintenkiller benutzen, wenn du jemandem eine Botschaft schicken willst, die nur Eingeweihte lesen können.«
»Und wie macht man sie wieder sichtbar? Ich fürchte, meine Erinnerung an die Sendung mit der Maus ist hier ein wenig verblasst.«
»Ganz einfach: erwärmen. Im Prinzip reicht eine Kerze, aber wir wollen etwas vorsichtiger sein mit dem guten Stück und keinen Brand riskieren.«
Siewert stand auf und verschwand. Nach kurzer Zeit kam er mit einer Wärmelampe zurück. Sie war verchromt und hatte einen schweren Standfuß sowie einen Panzerschlauch.
»Stylisches Teil«, meinte Tischler und pfiff anerkennend.
»War auch nicht ganz billig. Die nimmt man in besseren Restaurants her, um das Essen warm zu halten. Zweihundertfünfzig Watt hat die Birne. Damit mache ich dir alle Tinten aus dem Kinderfernsehen sichtbar.« Siewert steckte die Lampe ein und stellte sie auf den Tisch.
»Gibt es noch andere?«
»Aber klar. Es gibt noch einige andere Möglichkeiten wie Phenolphthaleinlösung oder Kaliumrhodanid, aber da brauchst du auch einen Chemiebaukasten, um die Schrift lesbar zu machen. Und das halte ich denn doch für ausgeschlossen. Ich meine, dieser Polonius hätte wissen müssen, dass eine geheime Botschaft auf ihn wartet und wie er diese entziffern kann. Hat er aber offensichtlich nicht. Insofern wäre es ein sinnloses Unterfangen. Wenn du mich fragst, glaube ich allerdings auch nicht an Essig und Zitronensaft-Botschaften. Aber wir werdens gleich sehen.«
Siewert schaltete die Lampe ein und legte das Papier darunter. Gespannt blickten zwei Augenpaare auf das Blatt, doch es tat sich nichts.
»Das wars«, meinte Siewert lakonisch nach kurzer Zeit. »Keine geheime Botschaft. Schade. Irgendwie hätte mich das auch gefreut.«
»Mich auch. Tja, dann verschwinde ich mal wieder«, meinte Tischler, die eine gewisse Enttäuschung nicht verleugnen konnte.
»Moment, junge Frau, wo willst du denn hin. Wir wollten uns doch noch mit der Handschrift auf dem Kuvert beschäftigen. Die müssen wir mit der von der Sibowska vergleichen.«
»Klar, aber das müssen die vom LKA übernehmen.«
»Mitnichten. Das kann ich auch«, meinte Siewert, der ausgesprochen gern mit Tischler zusammenarbeitete. Er schätzte ihren Humor. Und ihre Verbissenheit.
»Haben wir denn noch Vergleichsmaterial?«, fragte Tischler erstaunt.
»Aber klar doch«, grinste Siewert. »Meinst du, ich habe den Fuzzies vom LKA alles gegeben, ohne Kopien zu machen? Das war unser Fall.«
Tischler klopfte ihm anerkennend auf die Schultern. »Gut gemacht, Soldat. Dann auf in die Schlacht.«
Siewert räumte seine Utensilien auf, verschweißte den Brief mit den Fingerabdrücken und gab ihn der Kommissarin. »Die lassen wir später durch den Computer laufen, mal schauen, ob wir unseren Brieffreund kennen.«
Dann gingen sie in Siewerts kleines Büro. Es war eng und ungemütlich. Für Pflanzen war darin kein Platz und Bilder oder anderer Wandschmuck waren für den prosaischen Spurensucher überflüssiger Schnickschnack. Er ließ sich in seinen Drehstuhl fallen und rollte zu einem metallenen Wandschrank, den er mit einem Ruck öffnete. Auf den ersten Griff hatte er die Akte Sibowska in der Hand. Mit einem dumpfen Knall ließ er sie auf seinen aufgeräumten Schreibtisch fallen.
»Wieso hast du eigentlich Schriftproben von der Sibowska genommen? Kann mich nicht erinnern, dass das bei den ersten Untersuchungen eine Rolle gespielt hätte«, meinte Tischler, als Siewert zwei von der Sekretärin beschriebene Blätter aus seinem Folianten zog.
»Routine, Barbara. Routine. Diese beiden Seiten lagen auf ihrem Schreibtisch. Sie muss sie an ihrem letzten Erdentag beschrieben haben. Und das heißt, vielleicht liefern sie uns irgendwann einmal entscheidende Hinweise.« Siewert zog die Kopien aus der Hülle und breitete sie aus. Daneben legte er den Briefumschlag.
»Keine Frage. Was hat sie denn geschrieben? Einen Liebesbrief an ihren unbekannten Lover? Oder eine Ode an die Melancholie? Oder eine kryptische Botschaft an die Russenmafia?«
»Nein, nein. Das eine Blatt besteht aus Arbeitsnotizen.«
Siewert schob es der Kommissarin zu, die das Papier aufmerksam studierte.
»15 Uhr Termin mit Seibusch verschieben, Brief an Markwort nicht vergessen, Toner bestellen. Das ist eine Art To-do-Liste. Wenn mir nichts Doppeldeutiges entgangen ist, hat das alles für uns keinen großen Erkenntniswert.«
»Vermutlich. Außerdem müssen sich damit die LKA-Fuzzies rumschlagen.«
»Du scheinst mir weitaus angesäuerter zu sein von der feindlichen Übernahme unseres Falles als ich«, stellte Tischler fest.
»Ja klar, wer gibt schon gern sein Kind her? Außerdem, was bitte wollen die herausfinden, was wir nicht könnten?«
»Das sind Spezialisten für organisierte Kriminalität. Die haben in der Beziehung wesentlich mehr Ahnung von der Materie als ich«, gab die Kommissarin unumwunden zu. »Diesen Boris Bylkow kenne ich beispielsweise gar nicht. Wenn du mir erzählt hättest, das wäre ein sibirischer Kaviarfischer, hätte ich es glatt geglaubt.«
»Sibirischer Kaviarfischer«, lachte Siewert, »auch nicht schlecht. Aber welchen Beweis hatten die für Bylkows Schuld? Keinen. Reine Mutmaßungen.«
»Stimmt, aber so beginnt bei uns halt meist die Arbeit.« Tischler zuckte kaum merklich mit den Schultern. Gerade bei den verzwickten Fälle baute man sich erst einmal wackelige Gerüste aus Annahmen, die bei leichtesten Erdstößen in sich zusammenbrachen.
»Mag sein, aber ich fühle mich zurückgestuft und unterschätzt, fast schon ein bisschen missachtet.«
»Dann stellen wir die verlorene Ehre des Paul Siewert wieder her und knacken das Geheimnis des leeren Briefes. Was steht denn auf dem zweiten Blatt? Was Interessanteres oder ihre Einkaufsliste für Aldi?«
»Nein, offensichtlich Notizen für einen Brief. Schau sie dir selbst mal an.«
Siewert schob der Kommissarin die Kopie über den Schreibtisch.
»Du hast Recht«, meinte Tischler, nachdem sie die Seite genau studiert hatte, »das ist ein Entwurf für einen Brief, und zwar an Jürgen Mielbach.«
»Soll mir der Name was sagen? Zu welcher Mafiagruppe gehört der?«
»Zur Bauunternehmermafia«, entgegnete Tischler trocken.
»Oh, gleich die allerschlimmste Sorte«, lachte Siewert.
»Mielbach hatte vor ein paar Monaten einen saftigen Korruptionsprozess am Hals. Ich kann mich nicht mehr an die Details erinnern, aber er hat einige Leute in diversen städtischen Bauämtern subventioniert, um an öffentliche Aufträge zu kommen.«
»Das ist doch keine Straftat. Das machen doch alle«, meinte Siewert lakonisch.
»Schon, aber Mielbach hat wohl den Bogen überspannt. Aufgeflogen ist sein ganzer Sumpf, weil er sich die Genehmigung für ein Einkaufszentrum in einem Naturschutzgebiet mit einer Finca auf Mallorca erkauft hat.«
»Oh Gott, eine Finca auf Mallorca!« Theatralisch verdrehte Siewert die Augen und hob die Hände flehend zum Himmel. »Barbara, warum arbeiten wir nicht im Bauamt?«
»Wahrscheinlich weil ich gar nicht nach Malle will. Zu heiß, zu viele Teutonen auf dem Grill. Nichts für mich.«
»Du Kostverächterin. Die Insel ist wunderschön, zumindest abseits vom Ballermann. Zieht es dich mehr nach Norden?«
»Nein, so masochistisch bin ich auch nicht veranlagt. Mir reicht der lange Winter hier. Und dass in jedem zweiten Sommer die Regenjacke zum wichtigsten Kleidungsstück wird. Danke. Nein. Ich fahre gern in den Süden, aber ich mag einfach keine Menschenmassen. Der Kampf um den täglichen Handtuchplatz, da vergeht mir die Lust am Urlaub.«
»Verstehe ich«, entgegnete Siewert, »aber Sandra ist auf die Balearen abonniert. Da kann ich nichts machen. Die Frauen sind nun mal die Stärkeren in der Beziehung.«
Das Thema wollte Tischler allerdings weiträumig umschiffen, deshalb wandte sie sich demonstrativ wieder dem Brief zu.
»Wallenberg war offensichtlich der Staatsanwalt in dem Prozess gegen Mielbach. Wenn ich mir aus diesen Stichpunkten das gesamte Schreiben zusammenreime, würde ich sagen, Wallenberg bestätigt, dass das Verfahren nach Ableistung einer Geldbuße eingestellt wird und keine weiteren Ermittlungen erfolgen.«
»Der Obergangster ist also mal wieder davongekommen, während wir nach dem dritten Mal schwarzfahren schon eingesperrt werden«, seufzte Siewert.
»Übertreib nicht, erst nach dem vierten Mal bekommst du ein Ticket nach Stadelheim. Aber weißt du, an diesen Notizen ist etwas seltsam.«
»Dann schieß mal los«, meinte Siewert neugierig.
»Da steht am Ende eine Art Schlussfloskel. ›Dank für Kooperation‹.«
»Und was ist daran so komisch? Das könntest du auch zu deinen geständigen Mördern sagen.«
»Jaja, das schon. Aber Olga Sibowska hat diese Formel mit einem Smiley versehen.«
Tischler zeigte ihrem Kollegen den Brief. Erstaunt sah er, dass die Sekretärin offensichtlich als Kommentar zu dieser Notiz ein grinsendes Gesicht gezeichnet hatte.
»Sag mal, die Sibowska galt doch eigentlich als die personifizierte Seriosität?«, wunderte sich Siewert über den Smiley. »Das sieht ihr gar nicht ähnlich.«
»Stimmt, aber darüber sollen sich die Herren vom LKA kümmern, nicht wir. Aber die Handschrift, die vergleichen wir noch.«
»Kein Problem«, entgegnete Siewert. »Ich denke, das schaffe ich auch ohne technische Hilfsmittel. Auf den ersten Blick würde ich sagen, eindeutig dieselbe Handschrift und auf den zweiten Blick …«
Der Fachmann für Spurenanalyse nestelte an seiner Brille herum und legte die Zeigefinger auf je einen Buchstaben auf dem Notizblatt und auf dem Kuvert.
»Hier, vergleiche das kleine b in Sibowska«, er deutete auf den Absender links oben auf dem Umschlag, »mit demselben Buchstaben hier bei dem Namen Mielbach. Was fällt dir auf?«
»Der Strich oberhalb des Buchstabenbauches ist geschwungen, fast schon wie eine kleine Schlange.«
»Tja, da konnte die Sibowska wohl ihre Herkunft nicht verleugnen. Im kyrillischen Alphabet schreibt man das kleine b so oder zumindest so ähnlich.«
»Und das heißt, sie hat definitiv den leeren Brief abgeschickt, aber auf dem Blatt keine Fingerabdrücke hinterlassen. Seltsam. Sehr seltsam.«
Als David Walker erwachte, hatte er das Gefühl, sein Gehirn würde von tausend Kaktusstacheln durchbohrt. Der Schmerz war höllisch, schlimmer als der Trümmerbruch im rechten Bein, den er sich bei einem Absturz von einer Felswand zugezogen hatte, auch schlimmer als die Kugel, die ihn einmal im Brustkorb erwischt hatte. Ein Steckschuss, der schnell verheilt war. Dieser Schmerz war schlimmer als alles, was ihn jemals gepeinigt hatte. Eine Höllenqual, die ihn an den Rande der Bewusstlosigkeit brachte und dazu, etwas zu tun, was er vor Schmerz auch seit Jahrzehnten nicht mehr gemacht hatte: Er schrie, nicht allzu laut, aber er schrie. Die Pein musste heraus, musste artikuliert werden.
Allmählich wurde es etwas erträglicher. Vermutlich war es nur die Gewöhnung. Walker traute sich dennoch nicht, sich zu bewegen. Er hatte Angst, sein Kopf würde zerplatzen. Langsam und bedächtig öffnete er die Augen. Er sah zunächst nichts als eine weiße Decke. Es war ein schmutziges, modriges Weiß, das ins Gelbliche ging, Ablagerungen vom Rauch tausender Zigaretten, Nikotinsediment. Der Gelbton rührte jedoch auch von der Lichtquelle her. Irgendwo musste eine alte Glühbirne brennen.
Sonnenlicht erhellte diesen Raum jedenfalls nicht. Er vermochte also nicht zu sagen, welche Tageszeit man hatte, geschweige denn, wie spät es war. Er wusste auch nicht, wo er sich befand und wie er hierher kam. Die Erinnerung ließ ihn im Stich und der stechende Schmerz verhinderte, dass er angestrengt nachdachte.
Er hätte nicht einmal bestimmen können, wie lange er einfach nur dalag und vor sich hinstierte, unfähig zu einer Regung. Da spürte er eine jäh aufkommende Übelkeit. Schon schmeckte er die ersten Vorboten der Magensäure in seinem Mund. Dann setzte der Würgereflex ein. Er rülpste und plötzlich schoss ihm der saure Mageninhalt aus dem Mund. Er konnte sich gerade noch leicht zur Seite drehen, dennoch traf der Großteil des Erbrochenen ihn selbst. Seine Schulter, sein linke Wange, seinen Oberarm. Auch die zweite Welle kam nicht weiter.
Das Unmögliche trat ein. Die unerträglichen Schmerzen wurden noch schlimmer. Lange verharrte er in der leichten Neigung, bis sich sein Kopf etwas beruhigt hatte. Walker spuckte die letzten Reste von Erbrochenem aus und versuchte, sich aufzurichten.
Es war schwer, doch unter Aufbringung all seiner Kräfte schaffte er es. Bedächtig wischte er sich ab und blickte sich um. Er war in einem fensterlosen Kellerraum. In der Ecke stand ein kleiner Tisch, auf dem sich eine rote Lampe, die ihre besten Jahre lang hinter sich hatte, befand. Sie sorgte für das funzlige Gelblicht.
Der Tisch war für eine Person gedeckt. Auf der rot-weiß karierten Decke stand ein großer Brotzeitteller. Er bot alles, was das Herz begehrte. Einige Streifen Geräuchertes mit Kren, Essiggurken, gesalzener und gepfefferter Emmentaler, Butter, eine Tomate und ein Stück Camembert, dazu zwei Scheiben Bauernbrot. Komplettiert wurde die Mahlzeit von einer Flasche stillem Wasser.
Als Walker den Teller sah, konnte er nur mühsam einen weiteren Brechreiz unterdrücken. Das Wasser machte ihn weitaus mehr an. Er war dehydriert und verspürte einen ungeheuren Durst. Er hätte ein Fass austrinken können, so ausgetrocknet fühlte er sich.
Langsam, ganz langsam erhob er den Oberkörper und drehte sich. Trotz der rasenden Kopfschmerzen setzte er sich auf. Er sah, dass ihm eine braune, geblümte Plüschcouch als Bett gedient hatte. Ein hässliches Teil aus dem letzten Jahrhundert.
Walker versuchte, sich an die Sitzhaltung zu gewöhnen. Er fühlte sich schwach, unendlich schwach. Gerade er, der sein erfolgreiches Gaunerleben nicht nur seiner Geschicklichkeit, sondern auch seiner Stärke zu verdanken hatte. Aber auch seiner Vorsicht.
Er wusste, er durfte nichts überstürzen, keinen schnellen Schritt wagen. Bedächtig stützte er sich auf die Plüschcouch und stand auf. Er war wacklig auf den Beinen, aber er wollte sich nicht mehr hinsetzen. Langsam zu der Flasche kommen, das war sein Ziel. Er musste trinken. Unbedingt.
Lediglich drei Schritte trennten ihn vom Tisch. Vorsichtig setzte er ein Bein vor das andere und versuchte, sich auf die Koordination seiner Bewegungen zu konzentrieren und seine Schmerzen zu ignorieren. Endlich konnte er die Rückenlehne des Stuhles ergreifen. Erschöpft stützte er sich auf und atmete erst einmal tief durch. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn.
Dann setzte er sich und nahm die Flasche. Selten hatte ihm, dem Whiskyconnaisseur und Biertrinker, Wasser so gut geschmeckt. Dennoch trank er Schluck für Schluck. Nur nichts überhasten. Er durfte keine falsche, keine übereilte Bewegung machen. Er war schwer verletzt, das wusste er.
Das Wasser tat ihm gut. Jeder Schluck spülte den Geschmack des Erbrochenen hinweg und weckte ein wenig die letzten verbliebenen Lebensgeister. Als sein Durst gestillt war, blickte er sich vorsichtig in dem Raum um. Es standen einige Kisten darin herum. Und ein Metallregal mit irgendwelchem Krimskrams, eine Luftpumpe, zwei gelbe, weißverspritzte Farbeimer, drei Paar uralte Schuhe. Wo war er? Die Erinnerung war immer noch nicht zurückgekehrt.
Die Tür. Das musste sein nächstes Ziel sein. Sie befand sich nur wenige Schritte entfernt. Der Raum war klein und maß bestenfalls fünfzehn Quadratmeter. Langsam schlurfte er zur Tür, auf den Weg in die Freiheit. Er brauchte einen Arzt, genauer gesagt ein Krankenhaus.
Endlich fand seine Hand die Klinke. Doch, er hatte es bereits befürchtet, die Tür war verschlossen und der Schlüssel steckte nicht. Normalerweise wäre das für ihn eine der leichtesten Übungen gewesen, dieses primitive Schloss zu knacken, doch in seinem Zustand war nicht daran zu denken, obwohl er vermutlich das nötige Werkzeug dabei hatte. Er musste sich konzentrieren und den Schmerz ablenken, dann würde es vielleicht klappen.
Wer hatte ihn eingesperrt? Und warum? Diese Fragen zermarterten Walker allmählich das Gehirn genauso wie die Schmerzen. Doch dann kam die Erinnerung schlagartig zurück. Und er hörte, wie sich ein Schlüssel in das Schloss bohrte.