Kitabı oku: «Der Goldvogel», sayfa 5

Yazı tipi:

07 Auf dem Weg durch den Ostpark entdeckten die Polizisten keine weiteren Blut- oder Kampfspuren. Tischler kam lediglich zur Erkenntnis, dass Kemal einen verdammt weiten Nachhauseweg hatte. Selbst wenn er schnell ging, war er eine dreiviertel Stunde unterwegs. Sie hatte Respekt vor dem Jungen, aber auch ein wenig Mitleid.

Bis zu seinem Unfall war Kemal ein mustergültiger Sportler und ein guter Schüler gewesen. Der Blitzeinschlag hatte ihn jedoch aus der Bahn geworfen. Langsam erst fing er sich wieder. Und ein Silberstreif am Horizont war sichtbar. Da er mit dem Sprechen Fortschritte machte, wollte er sich im Wintersemester an der Universität für Sportwissenschaften einschreiben. Die mysteriösen Vorkommnisse der letzten Nacht und vor allem die Folgen, nämlich sein Rückfall in die Sprachlosigkeit, machten ihm allerdings schwer zu schaffen. Was würde er tun, wenn er ein Referat an der Uni zu halten hatte? Solche Fragen gingen ihm durch den Kopf, als er seine Wohnung in Neuperlach erreichte.

»Respekt, Kemal. Die Strecke gehen Sie in der Nacht und das auch noch mit ein paar Bierchen im Leib«, meinte Tischler anerkennend. »Das wäre nichts für mich. Bevor ich Sie entlasse, möchte ich noch ein paar Dinge mit Ihnen abklären.«

Kemal blickte die Kommissarin erwartungsvoll an.

»Gehen Sie in der nächsten Zeit ans Telefon?«

Der Kickboxer schüttelte vehement den Kopf. »Nur Handy«, flüsterte er ergänzend.

»Gut, die Nummer haben wir ja. Dann erübrigt es sich, dass wir Ihren Anschluss abhören lassen. Wünschen Sie Polizeischutz?«

Wiederum schüttelte Kemal den Kopf.

»Nein? Dann bedenken Sie aber bitte, dass Sie in Gefahr sind. Sollten Sie wirklich einen Mord gesehen haben, haben Sie den Mörder gesehen, es jedoch vergessen! Der Mörder aber kennt Sie, weiß nichts von Ihrer Krankheit und muss davon ausgehen, dass Sie ihn wiedererkennen.«

Kemal wedelte mit den Händen, was seine Ablehnung des Polizeischutzes verstärken sollte.

»Ich möchte aber nicht, dass Sie hier allein leben. Das ist zu gefährlich. Sie sind möglicherweise Zeuge in einem Mordfall und ich muss Sie schützen. Haben Sie eine Vertrauensperson, die bei Ihnen schlafen kann oder – was mir noch lieber wäre – bei der Sie schlafen können.«

Kemal überlegte kurz und nickte dann. »Meine Schwester Aische«, hauchte er.

»Wollen Sie bei Ihr wohnen?«

Wiederum bejahte der Kickboxer die Antwort.

»Ralf, gib ihm bitte deinen Block. Kemal soll Adresse und Telefonnummer der Schwester notieren.«

Kemal schrieb mit krakeligen Buchstaben, was man von ihm wollte. Dann verabschiedete er sich. Die Kommissarin bestand allerdings darauf, noch mit in seine Wohnung zu kommen. Man wusste ja nicht, ob nicht ein Killer wartete. Doch die Wohnung war leer, auf dem Anrufbeantworter keine Nachricht. Beruhigt gingen die Polizisten wieder hinunter.

»Und nun?«, fragte Mangel unentschlossen.

»Nun rufen wir uns erst mal ein Taxi. Ich geh die Strecke auf jeden Fall nicht zurück.«

»Denk an unsere Spesenrechnung.«

»Ich denke Tag und Nacht an nichts anderes«, meinte Tischler.

»Vor zwei Monaten hast du einen Anschiss bekommen, weil sie so hoch war.«

»Da musste ich aber auch undercover in einem Zwei-Sterne-Restaurant ermitteln und in so einem noblen Futter-Trog kann ich mir ja wohl keinen Cheeseburger bestellen«, entgegnete Tischler und zückte ihr Handy.

»Ich habs ja nicht mit Scampi im Trüffelsabayon«, gestand Mangel.

»Ich weiß, Ralf. Du bist ein Schweinsbraten-Jünger und Weißwurst-Guru.«

»Meine Mama hat den besten Krustenbraten der ganzen Hallertau gezaubert. Nach dem hätte sich dein Sterne-Koch die Finger geleckt.«

»Ganz sicher. Aber wie du dich vielleicht erinnern kannst, wurde meinem Mordopfer, diesem Spitzenkoch, ein Küchenbeil in den Kopf gerammt. Der schleckt vielleicht noch die Radieschen von unten ab. Ganz ohne Salz, also ganz unbayrisch.«

»Barbara, du redest oft wie eine Zuagroaste«, beschwerte sich Mangel.

»Nein, ich bin in München geboren, du in Niederbayern, das ist der ganze Unterschied.«

»Einigen wir uns darauf: du bist in München aufgewachsen, ich in Bayern.«

»In Ordnung.«

In diesem Moment fuhr das Taxi heran und beendete das weißblaue Streitgespräch.

»Wo solls denn hingehen?«, fragte der Fahrer, ein Mittvierziger mit schütterem Haar und Pferdeschwanz, der sie wenige Minuten später am Kampfsportzentrum in der Schlüsselbergstraße wieder aussteigen ließ.

»Ich hab da eine Theorie«, hob Mangel an, als er in den Dienstwagen einstieg.

»Ich brenne darauf, sie zu erfahren.«

»Die Russen, mit denen dieser Leo im Clinch liegt, die hab ich im Visier.«

»Weil sie Russen sind?«

»Nein.«

»Weil sie Wodka trinken und für sündteures Geld Fischeier verkaufen?«

»Nein«, antwortete Mangel mit einem Anflug von Ärger. »Lass mich halt ausreden. Diese Gangs halten zusammen, egal, was passiert. Die lauern Kemal auf, folgen ihm bis zu den Kleingärtnern und fallen über ihn her.«

»Daran habe ich auch schon gedacht, aber woher kommen die Goldspuren in der Fahrertür?«

Fast mitleidig grinste Mangel. »Barbara, diese Russen tragen doch alle Goldkettchen und Goldringe. Einer von denen bekommt einen Tritt von Kemal und saust gegen den Wagen. Bumms. Schon haben wir die schönste Delle mit Goldstaub.«

»Verwechselst du die Russen nicht mit den Zuhältern aus den Achtzigerjahren?«, fragte Tischler nach. »Und dann wäre die Sache mit dem beobachteten Mord. Kemal hätte diese Nachricht an sich selbst auf keinen Fall geschrieben, wenn er in eine Schlägerei verwickelt worden wäre.«

»Stimmt. Daran habe ich schon auch gedacht. Ich glaube, dass Leo von seinem Balkon aus beobachtet hat, wie seinem Freund ein paar Russen nachgestiegen sind. Er macht sich auf die Socken, stößt später hinzu und macht einen Russen platt.«

»Dann hätte sich Kemal niemals die Notiz ›Habe vielleicht Mord gesehen‹ geschrieben. Außerdem: Wo steckt die Leiche? Die Russen-Gang hätte keinen Grund, Leo nicht anzuzeigen oder ihn zu attackieren.«

»Bandenehre: Gehe niemals zur Polizei.«

»Ach komm, Ralf. Das ist kein Rockerkrieg wie ihn die Desperados und die Hells Angels ausfechten. Das sind Jugendliche, die gelegentlich ihr überschüssiges Testosteron abbauen müssen.«

»Ist ja recht. Ich rede ja immer nur Schmarrn daher, wie?«, antwortete Mangel beleidigt.

»Nein, Ralf, Gott sei Dank nicht immer, aber seltener ist es in den letzten Jahren auch nicht geworden.«

»Was meint dann Fräulein Allwissend, was passiert ist?«

»Das weiß ich nicht. Ich meine, wir sollten erst die Ergebnisse der Spurensicherung abwarten, dann zimmere ich mir die eine oder andere Theorie. Und du läufst bis dahin nicht den Russen hinterher, klar?«

Mangel brummte wie ein Schwarm Hornissen. Er hätte zu gern in Neuperlach weiter recherchiert.

Das Atelier von Polonius bot dem Betrachter nur teilweise das kreative Chaos, das viele Leute von Künstlerbehausungen erwarten. Küche und Schlafzimmer waren durchaus spartanisch eingerichtet. Polonius selbst würde freilich den Ausdruck minimalistisch bevorzugen. Sehr funktional eben unter Verzicht auf überflüssige Dinge.

Polonius hatte Geschmack und wollte zu jedem seiner Einrichtungsgegenstände gewissermaßen eine Beziehung haben. Die Dinge sind ein Spiegelbild der Seele, meinte er. Und wer seine Wohnung mit Müll vollstopfe oder mit Dutzendware, der beweise, welch verwechselbaren Charakter er habe, so sein Credo.

Individualität beginne bei der Zuckerdose. Und die war bei Polonius aus dem 19. Jahrhundert, ein Sammlerstück aus dem Biedermeier, das er auf einem seiner zahlreichen Flohmarktbesuche ergattert hatte. Zwölf-lötiges Silber mit Blumengravur, eine Zierde für jede Küche, allerdings nicht gerade billig. Für jeden Gast hätte er das Schmuckstück auch nicht auf seinen marmorierten Pariser Bistrotisch gestellt, aber für seine beste Freundin Irina war ihm nichts zu schade.

»Und du willst sicher nicht zur Polizei gehen?«, fragte Irina, selbst Künstlerin, allerdings hatte sie ihre kreative Seele der Malerei verschrieben.

»Zu diesen Ignoranten? Den Herren und Damen habe ich heute schon einen Besuch abgestattet. Das ist verlorene Lebenszeit, nichts weiter«, entgegnete Polonius und unterstrich seine Abneigung mit einer abfälligen Handbewegung. »Und Zeit ist unser wichtigstes Gut. Also lass es uns genießen, zum Beispiel mit diesem köstlichen Espresso.«

Der Künstler stellte zwei Art-Deco-Tassen auf seinen glatt polierten Tisch, auf den angeblich schon Sartre und Camus ihre Croissants gebröselt hatten.

»Die Crema meiner neuen Maschine ist umwerfend. Du wirst begeistert sein«, lobte Polonius seine anthrazitfarbene Butterfly von La Scala, die einen traumhaften Espresso zauberte.

»Du hast recht, der Kaffee ist ein Gedicht«, stimmte Irina in die Lobrede ein. Die Künstlerin war eine Rubensschönheit. Griffig und üppig. Sie trug gern die alten olivgrünen Bundeswehrunterhemden ihres Vaters und eine abgewetzte Jeans, dazu zierte ihre Stupsnase eine mit Fensterglas gefüllte schwarze Hornbrille.

»Doch was diesen Einbruch anbelangt, muss ich dir widersprechen. Du solltest das nicht so auf die leichte Schulter nehmen.«

»Aber die haben nichts gestohlen. Es fehlt keine Antiquität, kein Kunstwerk. Nicht einmal ein Stück Würfelzucker haben sie mir gestohlen«, entgegnete Polonius und süßte demonstrativ seinen Espresso.

»Aus Jux und Dollerei hat dir freilich keiner die Tür aufgebrochen. Die haben was gesucht, Polly.«

»Aber nicht gefunden.«

»Weil es nicht hier ist, stimmts?«

»Stimmt«, gab Polonius zu.

»Das heißt, die werden weiter suchen, bis sie es gefunden haben.«

»Da wäre ich mir nicht so sicher. Übrigens ist mir nicht klar, was diese Leute suchten. Da gäbe es durchaus mehrere Stücke zur Auswahl.« Zum ersten Mal an diesem Tag huschte ein diebisches Lächeln über das ernste Gesicht des Künstlers. »Eine Schutzmantelmadonna aus dem Spätmittelalter zum Beispiel. Welch Anmut und Grazie in der Haltung, so unfasslich in ihrer Entrückung und doch beherbergt sie in ihrem Mantel, der von ausgesuchtem Blau ist, eine ganze Schar an Bürgern. Allein der Faltenwurf der Kopfbedeckung ist eine unglaubliche Herausforderung.«

»Woher hast du das Schmuckstück?«

»Das, meine liebe Irina, darf ich nicht einmal dir anvertrauen. Auch nicht den Ort, an dem sich die Madonna befindet und auf ihren Klon wartet. Den kenne nur ich. Und so soll es bleiben.«

Polonius nahm die beiden Kaffeetassen zur Hand und räumte sie in die Küche. Von dort holte er eine Flasche Bordeaux und zwei Kristallgläser aus dem Wien zur Zeit Sisis und Franz Josephs.

»Lass uns ein Glas trinken auf die Kunst. Auf dass sie uns weiter gut ernähre und für unser täglich Brot und Wein sorge«, sagte Polonius mit spöttischem Unterton.

»Wenns danach geht, sorgt sie bei mir nur für mein täglich Leitungswasser, aber das ist bekanntlich auch recht gut.«

Mit einem dumpfen Plopp entkorkte Polonius die Flasche und schenkte Irina und dann sich selbst vorsichtig ein.

»Du musst einfach pragmatischer werden, meine Liebste. Die Welt ist noch nicht bereit für deine Farbattacken, sie liebt das Immergleiche. Die ewige Wiederkehr des Immergleichen. Schalte das Radio an und höre dir dieses immergleiche Gewinsel an. Immer dieselben einfachen Phrasen, immer dieselben Rhythmen und Tonfolgen. Warum? Weil der Massenmensch konditionierte Sinne hat. Ein einfacher Hund, der auf ein Signal mit Sabbern reagiert. Du musst den Leuten dieses Signal geben.«

»Oder ich suche mir endlich einen vernünftigen Galeristen. Harry ist ein lieber Kerl, aber er hat einfach keine Connections.« Irina nahm einen tiefen Schluck auf diese Erkenntnis und hielt Polonius ihr Glas hin. Sie war durstig und in der Stimmung, sich zu betrinken.

»Aber, aber, du Undankbare.« Theatralisch gab Polonius Irina einen Knuff auf die Schulter. »Hat er dir nicht bei sämtlichen Volkshochschulen in der Münchner Prärie Kurse und Ausstellungen verschafft?«

»Nein, die in Ebersberg hat er ausgelassen. Aber im Ernst, manchmal denke ich mir, diese ganze Künstlerscheiße ist ein einziger Irrweg. Ein großes Missverständnis.« Dann leerte sie abermals ihr Glas, schenkte sich diesmal aber selbst nach.

»Nein, nein«, widersprach Polonius ernst. »Du bist gut, Irina, sehr gut. Du hast Kraft im Pinsel wie nicht viele Leute. Dir ist die Gabe verliehen, Farben neu zu sehen. Du darfst dein Talent nicht verschwenden. Das wäre Verrat an der Kunst und damit Verrat am Leben.«

»Vielleicht. Aber wie mich die Kunst behandelt, ist Verrat an meinem Bankkonto.«

»Das ist Bockmist, oberflächlicher, kleinbürgerlicher, defätistischer Bockmist.«

»Sag das meinem Vermieter. Der Drecksack hat mir schon mit Kündigung gedroht, nur weil ich mit der Miete zwei Monate im Rückstand bin.«

»Irina, bevor du in der Gosse landest oder gar van Goghs Schicksal teilst, pumpst du mich an. Und du weißt, ich will kein Geld zurück. Außerdem war der letzte Auftrag durchaus lukrativ.«

»Der, wegen dem du in nach Tschechien gefahren bist?«

»Genau der.« Polonius nahm einen Schluck und badete genüsslich damit seine Zunge, auf dass jede Geschmacksknospe getränkt wurde. »Der Wein ist flüssiges Balsam, fast schon ein Aphrodisiakum. In jedem Fall aber ein Geschenk von Dionysos.«

Dann fasste Polonius Irina an den Bauch, streichelte sie und glitt mit der Hand unter ihr T-Shirt. Die Künstlerin hatte üppige Brüste, die sie nicht selten deutlich zur Schau stellte, da sie trotz ihrer Oberweite eine angeborene Abneigung gegen BHs hatte.

»Warte mal noch ein bisschen«, sagte Irina und schob die Hand wieder weg. »Ich bin noch nicht so weit für Eros. Erst noch ein bisschen Dionysos, sei mir nicht böse.«

Wiederum füllte sie ihr Glas. Sie musste nicht betrunken sein, um mit Polonius zu schlafen. Aber sie war einfach zu verspannt, innerlich verspannt, um an Sex zu denken. Und da konnte der Wein einiges beitragen, damit sich ihre Verspannungen lösten.

08 Walker lag auf der Couch und versuchte, jede Bewegung, und sei es auch nur das geringste Zittern, zu vermeiden. Ebenso versuchte er, dem Schmerz eine Farbe und eine Gestalt zu geben. Das war eine Meditationsübung, die er schon des Öfteren erfolgreich angewandt hatte, beispielsweise als ihn ein chronisches Magengeschwür plagte. Dann musste man den visualisierten Schmerz in einen Käfig sperren. Idealerweise würde er so, wenn nicht verschwinden, zumindest erträglich werden.

Doch diesmal half alle Autosuggestion nichts. Das Kopfweh war übermenschlich und ließ sich nicht zähmen, eine Bestie, die den ganzen Menschen terrorisierte.

Aber auch Walkers Seele fand keinen Frieden. Er ärgerte sich maßlos über sich selbst. Zweifellos hatte er seinen Widersacher unterschätzt, ihn für einen Naivling gehalten, den man leicht übers Ohr hauen konnte. Die alte Masche aber hatte nicht gezogen. Oder doch. Im Prinzip war sie erfolgreich. Der Vogel wurde ausgelagert und an einem vermeintlich sicheren Ort versteckt.

Adler, flieg zu deinem neuen Horst, auf dass ich dich abhole, hatte sich Walker gedacht. Doch er hatte nicht damit gerechnet, dass der Horst bewacht würde. Wie oft hatte er diesen Trick schon erfolgreich angewandt? John Bearns, einem Sammler in Los Angeles, hatte er einmal im Auftrag eines japanischen Multimillionärs, eines völlig Verrückten, mit dem er aber mehrere einträgliche Geschäfte machte, ein überaus großzügiges Angebot für ein Samurai-Schwert aus dem 17. Jahrhundert unterbreitet, das dieser nicht ablehnen konnte.

Mithilfe all seiner rhetorischen Künste hatte er Bearns allerdings den Floh ins Ohr gesetzt, dass Yakuzas hinter dem Objekt her seien und ihn überfallen wollten, deshalb müsse er das wertvolle Stück an einem unscheinbaren Ort deponieren, wo es niemand vermuten und deshalb niemand finden würde. Das war Bearns’ Blockhaus am Rande der Mojavewüste gewesen, das er, Walker, selbstverständlich kannte.

Der routinierte Kunstdieb hatte lediglich abzuwarten, bis die Hütte für kurze Zeit leer stand, weil sich der Besitzer ein paar Cheeseburger bei McDonald’s besorgte, und schon schlug er zu. Er hatte sogar noch die Chuzpe besessen, Bearns in Los Angeles aufzusuchen und das Schwert zu verlangen. Mit gespielter Wut und Enttäuschung, ja anklagender Verbitterung hatte er auf die Nachricht reagiert, das Prachtstück sei gestohlen.

Aber auch in seiner goldenen Zeit in den Staaten hatte er sich einmal verspekuliert. Es war ein glatter Einbruch. Alles hatte funktioniert wie am Schnürchen. Das Kaufgespräch mit dem Scheinangebot, die Überlistung der Alarmanlage und die Flucht auf leisesten Sohlen. Bedauerlicherweise hatte die Münzsammlung aus dem 18. Jahrhundert einem Mafia-Paten gehört, der eins und eins zusammenzählen konnte. Plötzlich fand sich Walker auf der Abschussliste wieder.

Und nun lag er mit zertrümmertem Schädel in einem miefigen Keller, starrte die Decke an und ärgerte sich. Wie konnte er nur übersehen, dass der Besitzer des Adlers in seiner Hütte war? Und wie konnte er diesem ohne Not seinen Schlüsselbund zeigen? So war er seiner Dietriche beraubt, der einzigen Möglichkeit, dieses Gefängnis zu verlassen.

Aber sein Widersacher würde den Chevrolet finden und ihn in ein Krankenhaus fahren. Es konnte sich nur noch um Minuten handeln. Walker versuchte, sich bis dahin abzulenken. Er dachte an einen Tauchurlaub in der Karibik, glitt durch das klare türkisfarbene Meer und sah Papageienfische, Adlerrochen, Riesenschildkröten. Der Schmerz war plötzlich wie verschwunden und sein Bewusstsein löste sich in dem Erinnerungstraum auf. Doch das Klicken des Türschlosses holte ihn schnell in die Gegenwart zurück. Walker öffnete die Augen, versuchte aber ansonsten, sich möglichst nicht zu bewegen.

»Und? Hast du den Wagen und den Vogel gefunden?«, fragte er mit gepresster Stimme.

»Nichts«, lautete die niederschmetternde Antwort. »Du Drecksack. Glaubst du, du kannst mich hier verarschen? In deinem Zustand?« Der Hausherr war sauer, um nicht zu sagen wütend.

»Mann, reg dich ab. Das kann nicht sein, ich …«

»Es ist aber so. Zum letzten Mal: Wo ist mein Vogel?« Der Mann ging zu Walker und packte ihn an der Schulter.

»Im Auto«, schrieb Walker unter höllischen Schmerzen. Daraufhin packte ihn der Mann an den Haaren und zog Walkers Kopf nach oben, dass diesem schlecht wurde und er sich übergab.

»Kerl, mach nicht auch noch eine Sauerei. Ich hab dir gesagt, du kommst nicht eher in ein Krankenhaus, bis ich meinen Vogel wieder habe.«

»Der Türke gestern. Ich hab ihn dem Türken gegeben. Der hat ihn versteckt.«

»Scheiße. Ausgerechnet diesem Kerl. Der ist gefährlich und verdammt schlagkräftig.« Der Mann dachte nach.

»Und was ist mit mir? Ich brauche ein Krankenhaus. So schnell wie möglich, sonst gehe ich drauf.«

»Hör mal, ich mache keine Witzchen. Ich habe dir gesagt, erst den Vogel, dann die Operation. Und sei mir nicht böse, was bist du für ein Meisterdieb? Erst klaust du so etwas Wertvolles und dann lässt du es dir von einem dahergelaufenen Schläger mopsen. Das ist erbärmlich, ehrlich.«

Alles Bitten und Flehen von Walker half nichts. Die Unterredung war beendet. Walker hörte noch, wie sich die Tür schloss, dann fiel er in ein tiefes schwarzes Loch.

Mit einem Block in der Hand kam Mangel in Tischlers Büro. Er hatte seine Fleißaufgaben gemacht und musste seiner Chefin Bericht erstatten.

»Also, es sind heute zwei Vermisstenanzeigen eingegangen. Lisa-Marie Gröblinger, eine sechzehnjährige Schülerin, ist seit letzter Nacht nicht von einer Party nach Hause gekommen.«

»Woher?«, fragte Tischler nach.

»München.«

»Ralf, das ist mir auch klar, dass die nicht aus Castrop-Rauxel kommt, aus welchem Stadtteil?«, entgegnete die Kommissarin unbeherrscht.

»Tschuldigung, dass ich lebe, du hast ja heute eine Stimmung!«

»Welcher Stadtteil?«

»Pasing.«

»Dann scheidet sie wohl als mögliches Opfer aus. Die wird zu irgendeinem Typen nach der Party gefahren sein, aber kaum in eine Kleingartensiedlung am anderen Ende der Stadt. Zweite Vermisstenanzeige?« Tischler war ungeduldig. Sie wollte keine Zeit mit unnützem Geplänkel vergeuden und sie kannte Mangel, der sich gern in abstruse Theorien verwickelte oder sich in Nebensächlichkeiten verbiss.

»Manfred Jordan.«

»Ist hoffentlich letzte Nacht nicht über selbigen gegangen.«

»Was meinst du?«, fragte Mangel nach.

»Nichts. Nur ein Späßchen am Rande. Mach weiter, Ralf«, entgegnete Tischler in versöhnlichem Ton.

»Also, Manfred Jordan, wohnhaft in Berg am Laim.«

»Schau an. Das könnte unser Mann sein.«

»Möglich. Er ist allerdings aus dem Seniorenheim Sankt Michael ausgebüxt.«

»Oh«, bemerkte Tischler, »dement oder hat er die Feinschmeckerküche im Altersheim nicht mehr ausgehalten?«

»Hochgradig dement, aber ich glaube nicht, dass die schlecht kochen. Das sind die Barmherzigen Schwestern«

»Ist in Ordnung, Ralf. Du musst nicht alle katholischen Einrichtungen verteidigen. Wo liegt das Altersheim?«

»Da fällst du von der Kleingartensiedlung zweimal um, dann bist du dort«, erklärte Mangel.

»Wie alt ist Jordan?«

»Sechsundachtzig Lenze.«

»Ralf, hast du heute deinen poetischen? Was kommt als nächstes? Er feierte sein sechsundachtzigstes Wiegenfest?«

»Jaja, mach dich nur immer über mich lustig«, gab Mangel beleidigt zurück. »Ich will halt nicht immer dieselben abgegriffenen Wörter benutzen.«

»Kritik akzeptiert. Soll nicht wieder vorkommen – bis zum nächsten Mal. Aber sag mal, wenn der Knabe sechsundachtzig ist, dann kann ich mir schwerlich vorstellen, dass er mit Kemal in eine Schlägerei verwickelt war«, meinte Tischler skeptisch. Mangel aber grinste wissend.

»Deinem Gesichtsausdruck zufolge siehst du das anders, Ralf, stimmts?«

»Aber freilich. Schau mal, der …«

»Lass mich raten«, unterbrach ihn Tischler und hob die Hand als Bitte, sie brauche noch ein wenig Zeit. »Jordan ist Mitglied einer Bande von Alt-Nazis, die in Sankt Michael einen eingeschworenen Zirkel bilden. Alles alte SS-ler und Hitler-Jungen, die für den Führer heute noch in den Tod gingen. Jordan ist wegen seiner Demenz jedoch ein Problemfall. Denn er weiß zu viel und ist schon debil genug, auch geheimste Geheimnisse auszuplaudern. Also verfolgt man den Flüchtigen und stellt ihn. Leider kommt gerade ein kickboxender Türke, dem man eins aufs Maul geben möchte, aber anständig Prügel bezieht. Bei der ganzen Schlägerei kommt Jordan allerdings zu Tode und seine Waffenbrüder verscharren irgendwo die Leiche.«

»Du hast ja eine blühende Phantasie.« Mangel klatschte Beifall, während Tischler aufstand und sich verbeugte.

»Danke, aber ich kenne dich zu lange, als dass dein Ideenreichtum nicht auf mich abfärben würde.«

»Und wie erklärst du dir in deiner Theorie den Goldstaub auf der Autotür?«, hakte Mangel nach.

»Jordan ist mit einer Goldreliquie, was weiß ich, dem Goldnapf von Hitlers Schäferhund Blondi oder einem seltenen Goldorden ausgebüxt, den die alten SS-Männer unbedingt wiederhaben wollten. Die Reliquie war gewissermaßen ihr Baal, ihr Totem, das sie anbeteten.«

»Deine Geschichte wird immer besser. Ich würde sagen, wir führen einen dieser Entnazifizierungstests aus der Nachkriegszeit durch und schauen mal, ob wir ein paar mittlere Fische ins Netz bekommen.«

»Genau das machen wir. Wir sind schließlich Beamte und dürfen legal unsere Arbeitszeit verblödeln. Im Ernst, mir scheint die Jordan-Spur kalt wie eine Huskieschnauze im Dezember.«

»Mir nicht«, hielt Mangel dagegen. »Ich glaube, dass Jordan bei seinem Streifzug etwas gesehen hat, was er besser nicht gesehen hätte. Einen Raub oder eine Vergewaltigung oder so etwas.« Erwartungsvoll blickte er seine Chefin an.

»Möglich. Mach weiter.«

»Der oder die Täter gehen auf Jordan los und bringen ihn um. Just in dem Moment taucht Kemal auf und mischt sich ein. Er kämpft mit dem Mörder und schlägt ihn vielleicht sogar in die Flucht, verliert dabei aber seine Geldbörse.«

»So weit, so gut. Aber jetzt musst du den Goldstaub erklären.«

»Dann schließen wir die Vergewaltigung aus und beschränken uns auf den Raub. Unser Täter hat etwas Goldenes gestohlen, allerdings nicht den Goldnapf von Blondi. Und schon funktioniert die Geschichte. Und sie ist ausnahmsweise etwas glaubwürdiger als deine Verschwörungstheorie mit den Alt-Nazis.«

»Wirklich? Dabei habe ich dir noch nicht von meiner Vermutung erzählt, dass Hitler im April 1945 von Außerirdischen entführt und als Manfred Jordan ins Altenheim zurückgebracht wurde.« Tischler lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und blickte kurz zur Decke. »Im Prinzip hast du recht, völlig aus der Luft gegriffen ist deine Version nicht. Aber wo ist dann die Leiche geblieben?«

Mangel strich sich übers Kinn und legte die Stirn in Runzeln. »Daran habe ich auch schon gedacht und mir sind da ein paar Ideen gekommen, die ich aber besser noch für mich behalte.«

»Ach nein, Ralf. Ich habe dich doch nicht entmutigt, oder? Mir macht der ganze Job keinen Spaß mehr ohne deine Theorien«, alberte Tischler.

»Nein, ich mach nicht mehr den Kasper für dich. Ich werde einiges selbst recherchieren und dir dann die Ergebnisse präsentieren. Was ich vorhin sagen wollte: Das Problem mit der verschwundenen Leiche haben wir immer, egal ob Jordan am Tatort war oder nicht.«

»Stimmt. Da hast du völlig recht. Wir müssen also von einem Täter ausgehen, einem Opfer und mittendrin unser Kemal, der zu einer für ihn ungünstigen Zeit vor der Kleingartensiedlung auftauchte. Sollte es eine Leiche gegeben haben, hat sie wohl der Täter irgendwann nach der Auseinandersetzung verschwinden lassen.«

»Genau. Und sollte es keine Leiche gegeben haben, sondern nur einen Schwerverletzten, müssen wir uns mal in den Krankenhäusern umhören.«

»Ralf, du sagst es. Du bist also für die nächste halbe Stunde beschäftigt. Viel Spaß beim Telefonieren.« Dann wies sie mit einer Hand zur Tür.

»Wieso muss eigentlich immer ich die niederen Tätigkeiten ausführen?«, maulte Mangel.

»Weil ich zwei Sterne mehr auf meiner Generalsuniform habe, ganz einfach. Außerdem habe ich ein wichtiges Telefonat zu führen.«

Mürrisch verließ Mangel das Büro. Dann griff Tischler zum Telefonhörer. Nach kurzer Wartezeit hatte sie ihren Kollegen vom LKA in der Leitung.

»Barbara, ich bin unter Druck. Brutal unter Druck. Machs kurz.« Oberkommissar Bechthold klang, als würde er gerade auf dem Frankfurter Börsenparkett Aktien für Billionen durch die Welt schaufeln.

»Ist dir das Wörtchen bitte aus dem Vokabular gestrichen worden oder handelt es sich um eine Dienstanweisung, dass man fortan mit den Lokalpolizisten ein bisschen schroffer umspringt?«

»Nein. Sei nicht schon wieder so anstrengend«, seufzte Bechthold. »Bitte.«

Tischler und ihr Kollege vom LKA hatten bislang kaum etwas miteinander zu tun. Eigentlich waren sie sich zum ersten Mal begegnet, als der Fall Olga Sibowska übergeben wurde. Da es Tischler – milde ausgedrückt - gegen den Strich ging, sich von der Morduntersuchung zu verabschieden, war sie bisweilen etwas kratzbürstig, bisweilen aber auch spitzfindig und ironisch, was ihrem Kollegen gehörig auf die Nerven ging.

Er selbst hatte immer versucht, jeglichen Anflug von Arroganz oder Überheblichkeit zu vermeiden und sich zu den Leuten von der Kripo so kollegial wie möglich zu verhalten. Normalerweise wurde dies auch goutiert, bei Tischler war er sich da allerdings nicht sicher. Dennoch mochte er sie, obwohl sie anstrengend sein konnte.

»I will do my very best, Mister Bechthold«, meinte Tischler und berichtete in Kürze von dem leeren Brief und den seltsamen Fingerabdrücken. Gespannt wartete sie auf die Reaktion ihres Kollegen, die freilich ganz anders ausfiel als erwartet.

»Gut und schön. Das ist eine mysteriöse Geschichte. Der Punkt ist der, und deswegen steh ich so unter Starkstrom, wir haben heute Nachmittag einen Zugriff.«

»Bylkow?«, fragte Tischler nach.

»Genau. Er hat sich mit ein paar seiner Getreuen im Norden verschanzt. Wo genau, darf ich dir nicht sagen. Die Bude wird auf jeden Fall heute noch gestürmt.«

»Da würde ich gern mitstürmen. Die Sturmtruppen waren schon in meiner Kindheit mein Lieblingscomic.«

»Nein, Barbara. Das ist nur was für …«

»Für harte Männer, die im Stehen pinkeln? Für LKA-Fuzzies?« Tischler war gespielt aufgebracht. Sie wusste, dass sie eigentlich bei dem Einsatz nichts verloren hatte, aber ein bisschen Empörung hat noch nie geschadet, wenn man ein Ziel erreichen will.

»Nein, aber es ist einfach unser Einsatz.«

»Bitte. Ich halte mich auch brav im Hintergrund und spiele Mäuschen.«

»Nein.« Bechthold klang nicht mehr ganz so ablehnend, was Tischler aufgefallen war.

»Weißt du was, ich bringe dir sofort den Brief vorbei. Das ist schließlich euer Beweisstück. Und ich tue, als wüsste ich von nichts. Du lädst mich für meine Nettigkeit als Gast zur Verhaftungsparty ein. Ist doch eine Superidee, gelle?«

Tischler wartete die Antwort nicht ab, sondern legte sofort auf. Überrumpelungstaktik, dachte sie, klappt manchmal auch bei Polizisten.

Dieser Engel sah aus wie Scarlett Johansson, ja, sie war das Mädchen mit dem Perlenohrring in der Filmversion, also das Zitat des Zitats, wenn man so wollte, oder die Bearbeitung der Bearbeitung. Die etwas blässliche, wie keusche Schönheit mit den sinnlichen Lippen, die fast schon verboten rot leuchteten. Ähnlich wie auf dem Filmplakat, drehte sich Vermeers Muse um und blickte den Betrachter direkt an, als wolle sie ihm ein Geheimnis anvertrauen.

Und jener Engel daneben glich Emily Blunt, hatte also nicht das blütenweiße, antiseptische der klassischen Engel, sah eher aus wie ein Himmelsbote auf Dope, der nicht genau wusste, ob er zufrieden sein sollte mit seiner postmortalen Zuweisung. Vielleicht wäre es in der Hölle doch spritziger gewesen, scheint sich der Blunt-Engel zu denken.

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.

₺434,05

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
382 s. 5 illüstrasyon
ISBN:
9783940839329
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок
Metin
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок