Kitabı oku: «Viva la carpa! Als die Mafia den Aischgründer Spiegelkarpfen haben wollte», sayfa 5
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Beppo Neugebauer war der größte Teichwirt in Dachsbach. Seine Fischweiher umfassten eine Gesamtfläche von ungefähr fünf Hektar. Okay, sie waren zugegebenermaßen etwas kleinstrukturiert, aber fünf Hektar insgesamt sind nicht gerade zu verachten. Beppo war kein Kind von Traurigkeit, war es nie gewesen. Jedermann im Dorf wusste das. Auch seine Frau Maria und sein bester Freund Daniel Krumm, Teichwirt aus Lonnerstadt, genauer gesagt aus dem dortigen Ortsteil Fetzelhofen. Doch Daniel und Maria wussten eben ein bisschen mehr über Beppo als der Rest der Dorfbewohner. Die drei bargen ein dunkles Geheimnis, welches nie ans Tageslicht kommen sollte. Aber wie das Leben eben oftmals so spielt … die Sonne bringt es doch irgendwann an den Tag … Vor siebenundzwanzig Jahren, kurz nachdem Beppo die Fischzucht von seinem Vater übernommen hatte, kamen, wie jedes Jahr, Erntehelfer aus Polen ins Fränkische. Meistens blieben sie von Anfang September bis Ende November, um beim Abfischen der Karpfenweiher mitzuhelfen. Sie waren damals schon billige Arbeitskräfte, langten aber ordentlich zu. Auch Tomasz und Jagoda Grabowski aus einem kleinen Kaff in der Nähe von Warschau kamen schon seit Jahren nach Dachsbach. Jagoda war damals eine überaus attraktive junge Frau und, obwohl verheiratet, konnte es einfach nicht lassen, auch mit anderen Männern zu flirten, sie herauszufordern ihr den Hof zu machen. Darin war sie ganz geschickt. Sie spielte gerne mit dem Feuer und fand es lustig, den jungen Burschen den Kopf zu verdrehen. Der junge Beppo Neugebauer war auch so ein Heißsporn, der scharf auf sie war. Es war Anfang September, als er mit Jagoda allein auf Einkaufstour unterwegs war. Hinten auf dem kleinen Anhänger des Fendt-Traktors stauten sich die Säcke mit Karpfenfutter, welche Beppo und Jagoda bei der Baywa in Höchstadt eingekauft hatten. Die zwei befanden sich bereits wieder auf dem Heimweg nach Dachsbach, als Jagodas Rock auf dem höher gelegenen Beifahrersitz immer weiter nach oben rutschte. Ob zufällig oder absichtlich? Schwer zu sagen. Beppo hatte da seine eigene Interpretation. Immer wieder glitt sein Blick auf die festen polnischen Oberschenkel. Als Jagoda ihre Beine etwas spreizte, meinte Beppo Neugebauer gesehen zu haben, dass sie nicht mal einen Schlüpfer trug. Er kam ins Schwitzen. Seine Gedanken kreisten. Dann traf er eine Entscheidung. Kurz vor Uehlfeld bog er plötzlich auf einen Feldweg ab und stoppte sein Gefährt hinter einer hohen, nicht einsehbaren Schlehenhecke. Dann griff er an. Das Blut pochte in seinen Schläfen, als er der Polin an die Wäsche ging. Die wehrte sich. Reine Scheinheiligkeit. Das war Beppo klar. In Wirklichkeit war sie heiß wie eine läufige Hündin. Scharf wie Paprika. Die zierte sich nur. Durch das Geziere angespornt ging Beppo nun erst richtig zur Sache. Was sollten diese plumpen, unnötigen Abwehrversuche? Er verstand die Welt nicht mehr. Ob die das brauchte, um richtig auf Touren zu kommen? Anscheinend! Dieses Rumgeeiere kostete doch nur Zeit. Er wollte endlich zum Schuss kommen. Hatte sie ihn nicht direkt dazu aufgefordert? Wer hatte denn den Rock so weit hochgezogen, dass er ihren schwarzen Busch sehen konnte? Beppo war in seiner Geilheit nicht mehr zu bremsen. Er fiel über die Erntehelferin her und vergewaltigte sie. Mehrmals. Mitte November verkündete ihm die Polin, dass sie schwanger sei. Von ihm. Ihrem Mann Tomasz habe sie von der Vergewaltigung erzählt. Vergewaltigung! Wie sich das anhörte. Du meine Güte! Sie wollte doch auch, hatte doch nicht mal einen Schlüpfer an. Einhunderttausend Deutsche Mark wollten die beiden von ihm, dann würden sie schweigen wie ein Grab, nicht zur Polizei gehen, würden nie wieder nach Dachsbach kommen. Andernfalls … In seiner Verzweiflung weihte Beppo seinen besten Freund Daniel ein. »Wenn du zahlst, werden sie dich weitermelken wie eine Milchkuh, das ist doch so sicher wie das Amen in der Kirche«, hatte er ihm prophezeit. Beppo ging die Angelegenheit nicht aus dem Kopf. Den ganzen Tag grübelte er darüber nach, wie er sich aus diesem Schlamassel befreien konnte. Nachts konnte er nicht mehr schlafen. Schließlich nahm er sich ein Herz und beichtete seine Untreue und die drohenden Folgen daraus auch seiner Frau Maria. »Du bist doch bled, wie die Nacht finster«, musste er sich anhören, »hast dei bissla Hirn in deim Schwanz sitzn? Na ja, viel passt da ja net nei.« Wie Daniel war auch sie davon überzeugt, dass die verdammten Polacken keine Ruhe geben und immer mehr und mehr Geld fordern würden. »Die greifn doch, wenn sie geborn werdn, scho der Hebamm nach der goldenen Armbanduhr«, bekräftigte sie ihre Meinung über Jagoda und Tomasz Grabowski. »Die nehmen uns aus wie a Weihnachtsgans.«
Nur wenige Tage, nachdem er seine Verfehlungen seiner Frau gebeichtet hatte, lief ihm Jagoda im Hof über den Weg, einen Korb mit feuchter Wäsche unter dem Arm. Heimlich folgte er ihr zum Wäschetrockenplatz hinter dem Haus und stellte sie zur Rede. Ein Wort gab das andere. Sie lachte ihn aus. »Wenn du nicht zahlst, ich werde erzählen von Vergewaltigung und Folgen in ganze Dorf«, drohte sie. »Mal sehen, was hat Polizei dazu zu sagen, wenn ich erstatte Anzeige.«
»Ich werd behaupten, dass du lügst, dann werdn wir scho sehn, wem die Polizei mehr glaubt, mir oder einer daherglaufenen Polackin«, konterte der junge Teichwirt.
»Können ja nachgucken bei deine Schwanz«, ließ sich Jagoda nicht aus der Fassung bringen, »wenn ich Polizei erzähle, dass du hast schwarze Warze auf Sack. Woher soll ich wissen, wenn nicht selbst gesehen?«
»Du Luder, du verrecktes«, rastete Beppo Neugebauer aus. In seiner Wut griff er sich eine in der Nähe liegende Wäscheleine und schlang sie der Polin um den Hals. Dann zog er zu. Fester und immer fester. Er war wie im Rausch. Blanker Hass vernebelte sein Gehirn. Speichel lief ihm aus dem Mund. Er ließ nicht ab, bis seine Frau Maria, die über den Hof gerannt kam, von hinten versuchte, ihn von seinem Opfer wegzuziehen. Es war bereits zu spät. Die junge Frau aus dem Osten rührte sich nicht mehr. Sie lag am Boden und starrte das Ehepaar mit gebrochenen Augen an. Um ihren weißen Hals hatten sich dunkelblaue Striemen ausgebildet, die an ihren Rändern in ein dunkles Rot übergingen. Maria fasste sich als Erste. »Die steht nimmer auf. Die is verreckt. Tot. Mausetot. Wir müssen sie wegbringen. Unauffällig und schnell. Renn und hol die große Schubkarrn und ein paar leere Kartoffelsäck. Beil dich. Mach scho!«
Sie karrten die Tote in die Scheune und legten sie in eine große, leere Holztruhe. Dann rief Beppo Neugebauer seinen Freund Daniel Krumm an. »Du musst mir helfen«, bat er ihn am Telefon.
»Ich komm gleich vorbei«, versprach Daniel.
*
Der Kaufvertrag, den dieser stinkende, südländische Typ mit der ekeligen Pomade im Haar mitgebracht hatte, lag immer noch auf dem Küchentisch. Er würde ihn nicht unterschreiben. Ein lächerlicher Preis, weit unter Wert. »Ich sags Ihnen nochmals«, wiederholte sich Beppo Neugebauer zum fünften Mal, »wir verkaufen unsere Weiher net. Scho gar net zu so an mickrichen Preis.« Sein breites Bauerngesicht glänzte feuerrot vor Wut und er wischte sich den Schweiß von seinem breiten Schädel. Seine blutunterlaufenen Augen starrten den unerwarteten Besucher an und seinen Unterkiefer hatte er angriffslustig nach vorne geschoben. »Und etz schauas, dass verschwinden, sonst werd ich ungemütlich und ruf die Polizei.«
Der Fremde ließ sich nicht beeindrucken. »Ssade, is meine letzte Oferta«, verkündete er. »La verità non invecchia. Oh, wie man sagt in Deutss? Die Wahrheit nicht altert. Entweder Sie rufen Polisei und wir warte gemeinsam oder mir sagen, wo ist nexte Poliseistation? Dann ich gehe freiwillig zu Polisei. Habe Meldung zu machen. Was mache nun? Wollen wir warte, bis Sie aben angerufe policia, eh? Sollten wissen: Sie erinnern an Tomasz und seine Frau Jagoda? Ich wisse, lange Seit her, aber wie gesagt. La verità non invecchia. Müsse wisse, ich kenne ganze Gessichte von Jagoda und Tomasz. Gar nichte ssön, he?«
Maria Neugebauer saß neben ihrem Mann und hatte ihm das Wort überlassen. Auch ihr stand der Schweiß auf der Stirn und ihr gewaltiger Busen wogte beim Atmen auf und ab. Als sie die Namen der beiden polnischen Saisonarbeiter vernahm, stieß sie einen langen spitzen Schrei aus.
»Liebe Frau, müsse nix so ssreien. Tomasz und Jagoda lange tot. Machen nix mehr. Wollen keine Geld mehr. Ruhen in Frieden in tiefe Erde. Hat Daniel doch mit seine Bagger tiefes Loch gemacht. Ganz tief, draußen in Nähe von Fissweiher. Dort, unter hohe Baum. Vergesse Tomasz und Jagoda, unterssreibe Kaufvertrag und alles gut. Dann Giovanni versswinde wieder ganz ssnell.«
Beppo Neugebauer hing in seinem Stuhl. Kalter Schweiß stand ihm nun auf der Stirn und der Oberlippe, obwohl die Quecksilbersäule draußen immer noch bei achtundzwanzig Grad stand. Siebenundzwanzig Jahre alte Erinnerungsfetzen tauchten wieder auf und setzten sich in seinem Gehirn wie ein Puzzle, ein riesiges Puzzle, zu einem Ganzen zusammen. Tomasz Grabowski machte damals einen riesigen Aufstand, als seine Frau weder zum Abendessen noch während der folgenden Nacht auftauchte. Er schrie herum und gebärdete sich wie wild. Er warf den Eheleuten vor, sie hätten Jagoda in irgendeinem Raum eingesperrt, um ihr Angst zu machen und sie von ihrer Geldforderung abzubringen. Nur allmählich gelang es Beppo und Maria Neugebauer ihn zu beruhigen. »Tomasz, wir haben keine einhunderttausend Mark, das musst du uns glauben«, sprach er damals auf den Polen ein, »aber wenn ihr mit der Hälfte zufrieden seid und sofort verschwindet, könnte daraus ein Handel werden.« Er erinnerte sich, wie Tomasz Grabowski ins Grübeln kam, überlegte und mit sich selbst rang.
»Jagoda auch muss zustimmen«, meinte der Pole nach einer Weile. »Wo sie ist?«
»Nein«, lehnte Maria Neugebauer energisch ab, »Jagoda ist ein rachsüchtiges, geldgieriges Weib. Du musst eine Entscheidung für euch beide treffen und außerdem wollen wir, dass du uns einen Abschiedsbrief hinterlässt. Wie sollen wir sonst den anderen polnischen Arbeitern verständlich machen, wo ihr abgeblieben seid? Mitten in der Nacht, ohne Ankündigung einfach abzuhaun? Werden die uns das glaubn? Pass auf, wir diktiern dir den Brief, dann unterschreibst du, ich geb dir das Geld und ihr verschwindet sofort. Auf Nimmerwiedersehn.«
Eine halbe Stunde später lag der von Tomasz Grabowski handschriftlich verfasste und von ihm unterschriebene Abschiedsbrief auf dem Küchentisch, dort, wo jetzt dieser schäbige Kaufvertrag lag.
»Nun ihr gebt mir fünfzigtausend Deutsche Mark und dann mich führt zu meine Frau«, forderte der Pole, nachdem er den Kugelschreiber zur Seite gelegt hatte. Es waren seine letzten Worte. Maria Neugebauer stand hinter ihm und ließ den Spaten, mit aller Kraft, die in ihr steckte, auf den Kopf des Gastarbeiters niedersausen. Das Werkzeug spaltete ihm den Schädel. Dann rief Beppo Daniel Krumm an. Der rückte am nächsten Morgen in aller Frühe vor Sonnenaufgang mit seinem Liebherr-Bagger an. Die Sonne machte sich rar an diesem Tag. Die Novembernebel verschluckten die außergewöhnliche Bestattungsszene, dort im Uferbereich des Karpfenweihers, unter der stattlichen Eiche. Nur der Motor des Liebherrs kündete hinter der dichten Nebelwand von Aktivitäten nahe am Gewässer. Es gab keine Zeugen. Erst als um die Mittagszeit die Herbststrahlen der Sonne die nebelige Suppe aufgelöst hatten, sah man Beppo Neugebauer und seine Frau Maria, wie sie in der Nähe eines Karpfenweihers einen riesigen Holzstoß errichteten. Kaminholz für die kommenden Winter. Tiefe Reifenspuren hatten die Grasnarbe rund um den Holzstoß aufgewühlt. Daniel Krumm und sein Liebherr waren längst verschwunden, genau wie Jagoda und Tomasz.
Beppo Neugebauer kehrte in seiner Gedankenwelt aus der Vergangenheit in die Wirklichkeit zurück. Er sah seiner Frau Maria in die Augen. Die schien immer noch weit entrückt zu sein. Zumindest reagierte sie nicht. Sie saß einfach nur wortlos da und starrte auf den Fußboden. Dann wanderte sein Blick wieder auf den Kaufvertrag, auf dem Küchentisch.
»Eh, was isses jetzt?«, vernahm er die Stimme des Südländers, »musse ich jetzt gehe zu policia oder unterssreibe Vertrage?«
»Ham Sie einen Kugelschreiber einsteckn?«, hörte sich Beppo Neugebauer fragen.
»Anche i pesci del re hanno spine. Wie sage in Deutss? Auch pesci des Königs abe Gräten. Hier, Herr Neugebauer, abe echte Montblanc-Kugelssreiber. Dürfe behalten. Als Andenke.«
*
Oben auf dem Lauberberg, unweit von Höchstadt an der Aisch und nahe der Ortschaften Lappach und Sterpersdorf, streckte die kleine Kapelle ihre spitze Kirchturmspitze in den wolkenlosen, blauen Augusthimmel. Das Kirchlein gehört zur Pfarrei St. Vitus der Gemeinde Sterpersdorf und ist dem Heiligen Antonius geweiht. Heutzutage ist der Lauberberg ein beliebtes Ausflugsziel, steht doch oben auf der Kuppe, gleich neben dem kleinen Gotteshaus, auch ein bewirtschaftetes Anwesen, welches bereits in der siebten Generation seinen Gästen regionale Gaumenfreuden offeriert. Aber nicht nur wegen der fränkischen Leckerbissen machen sich die Ausflügler auf den Weg zum Lauberberg hoch, nein, die Gegend hat auch einen gewissen Mythos an sich und ist sagenumwoben. Eine gewisse Sybilla Weis, eine Seherin, soll hier vor langer Zeit ihr Unwesen getrieben haben. Vor mehr als sechshundert Jahren soll sie schon prophezeit haben, dass Weibsleute irgendwann lange Hosen tragen werden, dass Eisenungeheuer durch das Land brausen und dass Wagen ohne Zugtiere fahren. Im nahen Ailsbach soll sie gelebt haben, die Seherin, und ständig soll sie sich auf dem Lauberberg herumgetrieben haben. Heute pilgern Menschen zu ihrer Grabstätte, droben auf dem Lauberberg, gleich neben der Antoniuskapelle, um sich anschließend den Genüssen hinzugeben und die Aussicht auf das Aischtal zu genießen. Eine Steinplatte, umgeben von einem dahinrostenden Eisenzaun, erinnert an Sybilla Weis.
Auch heute, am 20. August versammelte sich eine große Menschenmenge um ihre letzte Ruhestätte. Es waren allerdings keine Wallfahrer. Die meisten trugen grüne Uniformen und dazu passende Mützen auf ihren Schädeln. Andere hatten sich von Kopf bis Fuß verkleidet. Eingemummt. Nur ihre Gesichter schauten aus den weißen Ganzkörperanzügen heraus, welche sie trugen. Einer von ihnen, der, der die ganze Zeit den Ton angab und Anweisungen erteilte, war Dr. Thomas Rusche, Forensiker und Rechtsmediziner. Nur wenige der Anwesenden waren normal gekleidet. Gerald Fuchs, Kommissar der Mordkommission Erlangen, und seine attraktive Assistentin Sandra Millberger gehörten zur letzteren Spezies. Die beiden standen etwas abseits und warteten darauf, dass die Verkleideten von der Spurensicherung ihre Arbeit beendeten. Noch war es nicht so weit. Noch fotografierten die Vermummten den toten Mann mit dem riesigen Loch in der rechten Schläfe. Der lag rücklings auf der Steinplatte von Sybilla Weis’ Grabstätte. Einer der SpuSi-Mitarbeiter drehte den leblosen Körper um und las laut vor, was in die Steinplatte eingemeiselt war. »Grabstätte: Jener frommen adeligen Frau, welche laut Volkssage vor mehr als sechshundert Jahren in einem Schlosse bei Ailsbach wohnte und von da oft und gern auf die von ihr reichlich ausgestiftete Lauberbergkapelle pilgerte.«
»Das hilft dem Toten auch nicht weiter«, kommentierte Dr. Rusche und kroch unter dem rot-weißen polizeilichen Absperrband hindurch. Der Rechtsmediziner ließ es sich in der Regel nicht nehmen, ein Mordopfer direkt am Tatort einer ersten groben Untersuchung zu unterziehen. »Es hilft mir, wenn ich es später auf meinem Seziertisch habe«, war schon immer seine Überzeugung, »ich habe dann eine bessere Vorstellung davon, worauf ich bei der Autopsie besonders achten muss.« So rückte er bei Mordfällen, wann immer es ihm möglich war, mit den Mitarbeitern der Spurensicherung aus.
»Weiß man schon, wer der Tote ist?«, war die erste Frage des Kommissars, als der Rechtsmediziner näher kam.
»Nein, noch nicht. Der Tote hat keinerlei Dokumente bei sich, weder Ausweis noch Führerschein, noch sonst irgendetwas. Alle Taschen sind leer. Die SpuSi hat ihm Fingerabdrücke abgenommen. Vielleicht ist er ja aktenkundig.«
»Ermordet oder Suizid?«
»Aufgesetzter Kopfschuss. Die Grabplatte, auf der die Kollegen von der SpuSi noch tätig sind, ist allerdings nicht der Tatort. Kaum Blutspuren. Die Leiche wurde hier nur abgelegt. Deshalb tippe ich eher auf Mord. Ist aber nur eine rein vorläufige Vermutung. Zudem fehlt die Tatwaffe.«
»Was können Sie uns sonst noch sagen? Gibt es irgendwelche Auffälligkeiten?«, schaltete sich Sandra Millberger in das Gespräch ein. Ungeduldig zupfte sie an ihren Haaren, die sie in einem hübschen Pagenschnitt trug. Ihre dunkelblauen Augen versprühten knisternde Energie, als sie ihre Sonnenbrille von ihrem scharfgeschnittenen Nasenrücken in ihre Frisur verlagerte. Mit ihren schlanken einen Meter fünfundsiebzig, ihrem aparten Gesicht und den Designer-Klamotten eines italienischen Modehauses zog sie viele Blicke auf sich. Besonders ihre engen Jeans und das knappe, kaminrote T-Shirt brachten ihre attraktive Figur treffend zur Geltung.
»Oh ja, hübsche Frau, ich denke Sie werden noch Ihren Spaß bei der Klärung des Falls haben«, antwortete Dr. Rusche.
»Und das wäre?«, hakte die Assistentin des Kommissars nach.
»Auf der Brust des Opfers liegt eine Art Botschaft, ein Karton, DIN-A4, weiß mit schwarzer Schrift. Ich vermute mit Tusche geschrieben.«
»Eine Botschaft? Und wie lautet die?«
»Es lebe der Karpfen!«
»Es lebe der Karpfen!?«
»Genau«, bestätigte der Rechtsmediziner.
»Können wir uns den Toten schon aus der Nähe anschauen?«, wollte der Kommissar wissen.
»Nur zu, aber bleiben Sie vorerst noch hinter der Grabplatte, bis die Spurensicherung fertig ist.«
»Kein Problem«, meinte Sandra Millberger und lief auf die letzte Ruhestätte von Sybilla Weis zu. »Da hängt noch ein Schild an dem Eisengitter«, rief sie ihrem Chef zu, als sie näher kam, »scheint aber eher touristischen Zwecken zu dienen.«
»Und was steht drauf?«, wollte der wissen.
»Einen Moment, muss erst näher ran: Eine fromme, adelige Frau aus dem Schloss bei Ailsbach wurde vom Volk sehr geliebt«, begann sie vorzulesen, »denn sie war eine Wohltäterin der Armen. Ihr Name war Sybilla Weis, denn sie war weise, konnte in den Sternen lesen und Krankheiten heilen. Oft kam sie über die Wiesen des Aischtales zum Lauberberg, um dort zu beten. Eines Tages wurde sie auf dem Berg vom Teufel versucht, dem ihre Tugend ein Dorn im Auge war. Er versprach ihr alle Schätze und Genüsse der Welt, aber vergeblich. Schließlich wollte er sie mit Gewalt abspenstig machen. In höchster Seelenangst richtete sie ein Stoßgebet zum Heiligen Antonius und augenblicklich wurde der Satan von der Erde verschlungen. Aus Dankbarkeit ließ Sybilla Weis ihrem Retter zu Ehren an Ort und Stelle eine Kapelle errichten und sie stattete ihre Stiftung mit Feldern, Wiesen und Wäldern aus. Wie sie es sich gewünscht hatte, wurde nach ihrem Tod der Leichnam auf einen Esel gehoben. Der trug die tote Herrin von selbst auf die Höhe des Lauberberges. Daran erkannten die Dienstleute, dass sie hier begraben werden wollte. Schon bald kamen die Bewohner des Aischtals, um am Grab ihrer Wohltäterin zu beten und in der Kapelle den Heiligen Antonius zu verehren.«
»Ob den Toten auch ein Esel den Berg hoch getragen hat?«, grübelte Gerald Fuchs.
»Kaum«, bemerkte Thomas Rusche, »Eselshaare hat die SpuSi, soweit ich weiß, nicht gefunden, und ob der arme Kerl zum Heiligen Antonius beten wollte, bezweifle ich auch sehr. Vielleicht hatte er ja einen Bezug zu Sybilla Weis?«
»Eher zu den Aischgründer Spiegelkarpfen«, vermutete der Erlanger Kommissar. »Mal sehen, wie schnell es uns gelingt, die Leiche zu identifizieren. Ansonsten müssen wir wohl über die Presse gehen.«
6
Zehn Tage lief der Prozess gegen Luigi Antonelli und seine mitangeklagten Mafiosi-Kumpane bereits. Immer mehr und neue Details kamen ans Tageslicht. Am Freitag, den 21. August, flatterte der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main ein Rechtshilfeersuchen von Dr. Fernando Vincelli auf den Tisch. Drei deutsche Banken, die Deutsche Bank, die Commerzbank Frankfurt und die Frankfurter Filiale der JP Morgan Chase sollen Millionenbeträge anonym an das Istituto per le Opere di Religione, das im Volksmund als Vatikanbank bekannte privatrechtliche Kreditinstitut, überwiesen haben, welches sich im Besitz des Heiligen Stuhls befindet. So hieß es im Schreiben von Dr. Vincelli. Der italienische Staatsanwalt sprach von mehr als acht Millionen Euro. Gegen die in Frankfurt ansässigen Banken gebe es keine Verdachtsmomente, so Fernando Vincelli, aber es gebe gewisse Hinweise, dass möglicherweise eine italienische Mafia-Organisation ihre Hände im Spiel habe – die kalabrische Ndrangheta, so die römische Staatsanwaltschaft. Man wolle der möglichen Einschleusung illegal erwirtschafteten Geldes in den legalen Finanz- und Wirtschaftskreislauf nachgehen. Dr. Vincelli bezog sich in seinem Gesuch auch auf das deutsche Strafgesetzbuch, Paragraf 216, wonach Geldwäscherei ein Strafvergehen darstelle und mit Freiheitsstrafen zwischen drei Monaten und fünf Jahren geahndet werde. Sollte sich der Verdacht der Geldwäscherei bestätigen, so der römische Oberstaatsanwalt, werde man das Rechtshilfeersuchen wahrscheinlich erweitern. Man befürchte, dass die Geldüberweisungen insbesondere im Zusammenhang mit illegalem Kokainhandel stünden, äußerte er sich vorsichtig.
Die zuständige Frankfurter Oberstaatsanwältin, Dr. Kerstin Fleischhammer, saß in ihrem Büro in der Konrad-Adenauer-Straße 20 und hielt das Schreiben aus Rom in Händen. Sie ahnte Schlimmes. Arbeit kam auf sie zu. »Aawaid machds Leewe siieß, awwer am meischde deene, die se de annere iwwerlasse«, meinte sie gelangweilt. »Des is wie Wasser in de Maa schidde. Des krieje mer net so schnell gebacke.« Dann nahm sie Dr. Vincellis Gesuch und versah es mit einem handschriftlichen Vermerk. Eiligst der Sache nachgehen und BuR, schrieb sie mit giftgrüner Tinte auf Fernando Vincellis Rechtshilfeersuchen und legte die drei Seiten in den internen Ausgangskorb. Sollten sich doch ihre Mitarbeiter der Sache annehmen. BuR – Bitte um Rücksprache. Irgendeiner von denen würde sich demnächst schon bei ihr melden.
*
Spät in der Nacht des gleichen Tages, es ging bereits auf Mitternacht zu, betrat Basti Rehhäußer die Höchstadter Disco Cue. Basti genoss die Schulferien seit exakt einundzwanzig Tagen und sah dem erneuten Schulbeginn, Anfang September, bereits mit gemischten Gefühlen entgegen. Bis jetzt hatte sich der neunzehnjährige Lonnerstadter immer mit viel Glück und Dusel durch seine schulische Laufbahn geschummelt. Na ja, die Neunte hatte er am Gymnasium Höchstadt an der Aisch vor drei Jahren schon mal wiederholt. Das kommende Schuljahr sollte sein letztes sein. Das Entscheidende. Dass er durchs Abi kam, daran glaubten auch nur seine Eltern. Seine bisherigen schulischen Leistungen trugen jedenfalls nicht viel dazu bei, große Hoffnung zu nähren. Er war einfach zu faul. Das wusste er aber selbst. Außer mit Sport stand er mit jedem anderen Fach auf Kriegsfuß. Aber seit er vor einem halben Jahr mit dem Crack-Rauchen begonnen hatte, machte ihm selbst sein Lieblingsfach keinen großen Spaß mehr. Er fühlte sich immer so erschöpft, so groggy, so ausgelaugt. Beim Dreitausend-Meter-Lauf schnappte er schon nach weniger als einem Kilometer nach Luft. Dann kam er sich vor wie ein Karpfen in der kleinsten Pfütze. Das war ihm früher nicht passiert. Immer häufiger verfiel er in regelrechte Panikattacken, begleitet von schweren Depressionen und Angstzuständen. Doch heute, heute wollte er das alles mal wieder hinter sich lassen. Auf dem Weg zum Cue hatte er sich ein Pfeifchen zubereitet und das Crack geraucht. »Geiler Stoff«, bestätigte er sich selbst auf seinem Weg zur Disco. Nun ging es ihm wieder gut. Er fühlte sich, als ob er die ganze Welt aus den Angeln reißen könnte. Dieses berauschende Hochgefühl, welches er schon so oft erlebt hatte, kroch von seinem Gehirn in alle Gliedmaßen. Er fühlte sich wie ein King. Dann stand er vor dem Eingang des Cue und tauchte wenige Minuten später ein in die von grünen Lichteffekten zuckende Main Area Grand Club, wo von »House and Charts« bis zu den »All Times Classics« alles abgespielt wurde, was tanzbar ist. Rings um ihn herum räkelten sich die verführerischen Leiber junger Mädchen in wilden Bewegungen. Er hätte sie alle bumsen können. Alle. Eine nach der anderen. Na ja, die Milchkuh, die da drüben an der Bar stand, die Dicke mit den beiden Melonen unter der dünnen Bluse, lieber nicht. Die ähnelte eher einem kapitalen Mutterkarpfen als einem weiblichen Wesen. Selbst Barteln wuchsen ihr auf der Oberlippe.
Der holländische DJ kündigte das nächste Musikstück an. Tiefe Bässe hämmerten aus der neuen Soundanlage. Die rund zweitausend Quadratmeter des Cue-Nightlife, mit seinen verschiedenen Dance Floors, Lounges, Séparées und Bistros, waren gefüllt wie eine Dose portugiesischer Ölsardinen. Die Lichtanlage wechselte nun in rote, smaragdgrüne, dunkelblaue und orangefarbene Effekte. Basti fühlte sich gut. Extrem gut. Das neue Crack, welches seit wenigen Tagen auf dem Markt war, war der absolute Hammer. Das zog vielleicht rein. Zum Scheißen gut. Der junge Drogenabhängige hatte sich richtig schick gemacht. Sein Haupt bedeckte ein leichter, heller Strohhut, der mit einem schwarzen Seidenband umwickelt war. Sein kurzärmeliges, schwarzes T-Shirt trug »Hardrock-Café Barcelona« mit dem berühmten orangefarbenen Logo. Seine um die Knie zerschlissenen, schwarzen Jeans und die ebenfalls schwarzen Sneakers rundeten sein cooles Outfit ab. Zwischenzeitlich hatte er sich bis in die Mitte der Tanzfläche vorgearbeitet. Seine wilden Verrenkungen wurden immer verrückter. Der Schweiß rann ihm in breiten Bächen von den Schläfen herab, welche in sein Hardrock-T-Shirt krochen und sich auf Brust und Rücken zu einem wahren See ausbildeten. Dennoch, Basti fühlte sich ganz oben auf. Er hatte das Bedürfnis, sein Glücksgefühl in die ganze Welt hinauszuschreien. Langsam formten seine Lippen die ersten Worte. Zuerst ganz leise, dann in der Lautstärke anschwellend. Die Bässe aus der Soundanlage jammerten tief und dröhnend. Niemand verstand ihn wirklich. Schließlich schrie er gegen die Hammermusik in einer Intensität an, dass ihm die Adern aus dem Hals quollen, denn er wollte, dass alle, alle um ihn herum, von seinem Glückszustand erfahren sollten. Er schrie seine Botschaft in die Menge:
»Des Kokain, des is so clean.
Oh hundsverreck, ich bin auf Crack.«
Einige der Jugendlichen in seiner unmittelbaren Umgebung, welche seine Worte verstanden hatten, hielten für einen kurzen Moment in ihren Tanzrhythmen inne und sahen sich gegenseitig verständnislos an. Zwei, drei tippten sich mit den Zeigefingern an die Stirn, vergrößerten ihren Abstand zu dem wild um sich schlagenden Basti und verfielen alsbald wieder in ihre eigenen leidenschaftlichen Tanzbewegungen. Basti Rehhäußer kümmerte sich nicht weiter um sie. Ununterbrochen wiederholte er seinen Reim und schrie weiterhin so laut er konnte gegen die Musik an. Vierzig Minuten ging das so, dann begann der Lonnerstadter allmählich unruhig zu werden. Er spürte wie seine Glücksreise allmählich zu Ende ging. Er kannte diese Phase und hasste sie. Ein Gefühl der Übelkeit kam in ihm auf. Seine Atmung beschleunigte sich, sein Pulsschlag wütete in ihm. Seinen Singsang hatte er längst beendet. Die Stimmbänder schmerzten. Irgendwo in ihm kroch ein starkes Angstgefühl langsam bis in seinen Kopf hoch und setzte sich dort fest. Wo befand er sich überhaupt? Wenn ihm bloß nicht so schlecht wäre. Zum Kotzen schlecht. Er würgte das aufkommende Gefühl in sich hinunter. So viele Leute um ihn herum. Panik bemächtigte sich seiner. Dann drang diese widerliche Stimme wie durch Watte an seine Ohren.
»Platz da. Lassen Sie uns durch. Wo ist der junge Mann? Platz da, Polizei!« Polizeihauptwachtmeister Max Wunderlich von der Polizeiinspektion Höchstadt an der Aisch stapfte, mit einem Kollegen im Schlepptau, durch die Räumlichkeiten des Cue-Nightlife. Der zweite Beamte hielt sich die Ohren zu und schüttelte nur seinen Kopf. Vor zwanzig Minuten hatte der Pächter der Edeldisco bei der Polizei angerufen und mitgeteilt, dass sich offensichtlich ein unter Rauschgift stehender junger Mann im Cue aufhalte. Jedenfalls behaupte der junge Mann dies in seinen stetigen Sprüchen, die er von sich gab und welche den anderen Gästen allmählich auf den Sack gingen. Wie ein Tornado wütete Max Wunderlich durch die Tanzfläche, um vor einem jungen Mann Halt zu machen, der verstört auf dem Boden saß und sich schweratmend die Arme schützend über den Kopf hielt. »Is des des Früchtla, weswegen wir angrufn wordn sind?«, richtete er seine Frage an den Geschäftsführer des Cue, welcher dem Polizisten dichtauf gefolgt war.
»Genau, das ist er«, bestätigte der.
»Mitkumma, Früchtla!«, richtete Max Wunderlich seine Ansprache an Basti Rehhäußer, der immer noch verängstigt zu den Umstehenden aufblickte. Er machte keinerlei Anzeichen der Aufforderung nachzukommen. »Schorsch, daher«, rief der Polizeihauptwachtmeister seinem jüngeren Kollegen hinter sich zu und deutete auf den auf dem Boden Sitzenden. »Der will net. Den packmer etz und bringa ihn ins Krankenhaus und dann aufs Revier.«
»Nein«, schrie Basti verzweifelt und voller Angst, als die beiden Gesetzeshüter nach ihm griffen. Die meisten Jugendlichen in der Disco hatten ihre tänzerischen Darbietungen längst unterbrochen und standen im Kreis um Basti und die beiden Polizisten herum. Auch der DJ hatte seine Anlage abgestellt. Nur die Lichteffekte zuckten weiterhin durch den Raum, gepaart mit dem Gemurmel der jungen Gäste. Nun verfolgten sie interessiert und neugierig das Einschreiten der Staatsgewalt.
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