Kitabı oku: «»Wir kriegen euch alle!« Braune Spur durchs Frankenland», sayfa 3

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»Hallo, was ist mit Ihnen los? Können Sie mich hören? Brauchen Sie Hilfe?« Die Fragen kamen vom Ort des Überfalls. Dann gellten laute Hilferufe durch die Nacht.

Der Täter konnte nie ermittelt werden, und Bernd Auerbach, der kräftige junge Mann, der normalerweise immer innere Ruhe ausströmte und für seine Mitmenschen Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft in einer Person verbildlichte, hatte Blut geleckt. Niemand vermutete, dass sich hinter diesem attraktiven jungen Mann mit den strahlend blauen Augen und dem wie mit dem Lineal korrekt gezogenen Seitenscheitel ein Mensch mit so hohem Gewaltpotenzial versteckte. Bald würde er nun die Türken und Bimbos in Mittelfranken aufmischen. Diese Nichtsnutze. Er freute sich auf seine neue Aufgabe. Die Franken würden ihm insgeheim dankbar sein. Davon war er fest überzeugt.

Um zehn Uhr vormittags, am 2. September, trat Bernd Auerbach in das Bürgerbüro des Röttenbacher Rathauses ein. Vierzig Minuten später verließ er es wieder und hielt seine Gemeinde-Anmeldung und seinen Gewerbeschein in den Händen. »Beratertätigkeit« stand in dem Feld Beruf. Er würde oft unterwegs sein, um mit Thomas Keller »Beratergespräche« zu führen. Er machte sich auf den Weg zur örtlichen Sparkasse. Schließlich brauchte ein Beratungsunternehmen auch ein Geschäftskonto, auf welches seine Kunden die Gelder für seine Dienstleistungen überweisen konnten. Morgen würde er sich noch einen Laptop, einen Geschäftsstempel und Visitenkarten für seine Firma Auerbach-Asylberatung besorgen. Ach ja, zum Finanzamt Erlangen musste er auch, um eine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer zu beantragen. Seine Finanzplanung für die nächsten drei Geschäftsjahre hatte er peinlichst genau vorbereitet. Alles musste seine Ordnung haben. Nur nicht negativ auffallen. Nur nicht gegen gültige Gesetze verstoßen, zumindest nicht nach außen hin. Immer schön den Schein wahren. Die Gespräche, die er bisher mit Thomas Keller geführt hatte, waren für ihn wie ein »Aha-Effekt«. Sie erweiterten seinen intellektuellen Horizont. Noch nie hatte er die Dinge so klar gesehen. Thomas Keller war ein kluger Kopf, reich an Erfahrung. Auch die Geschichte bestätigte, dass Veränderungen nur von wenigen, klugen Köpfen ausgingen. Er wollte ein Teil dieser Veränderungen werden, koste es, was es wolle.

4

Drei Wochen vergingen, und wieder einmal war es Zeit für die Röttenbacher Kirchweih. Die Kirchweihburschen trafen sich schon seit zwei Wochen regelmäßig beim Sauers-Wirt, um das lokale Großereignis vorzubereiten und dem Kirchweihablauf ein festes Programm zu verpassen. Auch Norbert Amon war, wie auch im letzten Jahr, wieder dabei.

»Wo ist denn der Walter?«, wollte der Müllers Luggi von ihm wissen, »kommt der nicht mehr? Ihr zwei seid doch die besten Freunde?«

»Keine Ahnung«, entgegnete der Gefragte lustlos, »hab ihn schon länger nicht mehr gesehn. Seit der mit der Türkin zamm ist, interessiert der sich nicht mehr für mich.« Norbert Amon antwortete oberflächlich und emotionslos, aber innerlich hatte ihn die Frage sehr aufgewühlt. Er war stinksauer auf seinen Freund Walter Fuchs. Walter war mit dieser geilen Türkin eine Beziehung eingegangen, ohne seiner bisherigen Freundin etwas davon zu sagen. Er hatte sie einfach links liegengelassen. Kein feiner Zug. Auch Akgüls bisheriger Freund, dieser Türke mit der Riesengurke im Gesicht, einer Nase die ihresgleichen suchte, wusste offensichtlich von nichts. Aber am meisten ärgerte er sich, dass Walter auch für ihn keine Zeit mehr hatte. Er rief nicht mal mehr an. Norbert Amon konnte nicht mehr an sich halten vor Wut, wenn er darüber nachdachte. Vor zwei Tagen griff er zum Erlanger Telefonbuch und suchte nach der Telefonnummer von Yilmaz Müselüm.

»Mit was für einer Türkin?”, wollte der Faulhammers Jupp wissen, der gerade seinen Bierkrug leerte und rülpsend auf den Tisch stellte. »Herbert, bring mir noch eins!«

»Herbert, bring uns noch fünf!«, schrie der Holzmanns Hanni, ein weiterer Kirchweihbursche, dem Wirt hinterher.

»Na, mit der Akgül aus der Amselstraß«, antwortete Norbert Amon widerstrebend, »und etz lass mir meine Ruh mit der Gschicht. Ich will nix mehr davon hörn!«

»Aber die hat doch einen türkischen Freund, den Müselüm«, wunderte sich Josef Faulhammer.

»Gehabt«, stellte Norbert Amon richtig. »Gehabt!«

»Oh weh«, äußerte sich der Holzmanns Hanni, »das gibt Ärger! Wenn der das erfährt …«

»Wenn er es nicht schon weiß, wenn er es nicht schon weiß”, orakelte Norbert Amon und stierte weiterhin finster vor sich hin.

»Wer?« Günther Siebenschläger war immer etwas schwer von Begriff.

»Na der Türke, der Müselüm.«

»Hast du es ihm wohl schon erzählt?«, mutmaßte der Faulhammers Jupp.

»Könnt schon sein«, brummte Norbert zurück.

»Dann gibts Mord und Totschlag!«

»Soll nicht meine Sorge sein und etz endgültig Schluss mit dem Thema.«

»Wenn das auffliegt, gibts noch einen viel größeren Ärger«, mischte sich nun auch der Wirt in die Unterhaltung ein, welcher der Diskussion der Kirchweihburschen zugehört hatte.

»Warum?«, kam es mehrstimmig zurück.

»Denkt doch mal nach«, forderte der Sauers-Wirt die Meute auf.

»Auweierla, die Doris!«, fiel es dem Jupp ein.

»Genau, die Doris!«, bestätigte der Wirt, und knallte fünf Steinkrüge, bis zum Rand mit seinem dunklen, süffigen Kellerbier gefüllt, auf die dicke, hölzerne Tischplatte. »Hoffentlich weiß die das noch nicht!«

»Aber die zwei sollen doch beim Betzn-Raustanzen mit dabei sein?« Günther Siebenschläger runzelte die Stirn, und blickte fragend in die Runde.

»Günther, bist bleed? Da wird doch nix mehr draus«, klärte ihn Jupp Faulhammer auf.

»Aber dann merkt die Doris das doch?«, ließ Günther Siebenschläger nicht locker.

»Hast du das auch schon geschnallt?«

5

Nicht nur im Kreise der Kirchweihburschen sorgte die vermeintliche neue Liebschaft für heftige Diskussionen. Auch im Familienkreis der Familie Özkan war Feuer unterm Dach. Vor vier Jahren waren die Özkans aus der südostanatolischen Stadt Urfa, vierzig Kilometer von der türkisch-syrischen Grenze entfernt, nach Deutschland gekommen. Nach einem sechsmonatigen Aufenthalt in einem Asylantenheim in Niedersachsen wurde der Familie politisches Asyl gewährt. Vater Özkan konnte den deutschen Behörden gegenüber glaubhaft nachweisen, dass der syrische Geheimdienst, in seinem Fall die Abteilung für militärische Aufklärung, ihn massiv unter Druck gesetzt hatte, syrische Oppositionelle auf der türkischen Seite zu denunzieren. Nachdem seinem Asylantrag endlich stattgegeben wurde, machte ihn ein Bekannter, der schon längere Zeit in Deutschland lebte, auf eine Stellenausschreibung der Firma Schaeffler im fränkischen Herzogenaurach aufmerksam. »Du bist doch gelernter Maschinenschlosser«, ermunterte er ihn. Ahmet Özkan bewarb sich und wurde eingestellt. So kamen die Özkans vor drei Jahren nach Röttenbach und leben seitdem zurückgezogen in einem kleinen Häuschen in der Amselstraße. Anschluss an die einheimische Bevölkerung suchten sie nicht. Sie wollten lieber unter ihresgleichen bleiben. Ahmet Özkan war ein konservativer, frommer Muslim und wollte keinen zu nahen Kontakt zu den Ungläubigen. Das galt nicht nur für ihn, auch seiner Familie untersagte er diese Kontakte. Er vermisste die Moschee seiner Heimatstadt. Allah hatte ihm eine schwere Prüfung auferlegt, aber er würde nicht klagen. Nach dem Anruf von Müselüm, dem Freund seiner Tochter, war er regelrecht schockiert. Er glaubte ihm nicht und bezichtigte ihn der Lüge. »So etwas macht Akgül nicht«, hielt er ihm am Telefon vor. »Meine Tochter ist keine Hure.« Doch die Informationen, die sich sein Sohn Kemal daraufhin besorgte, deuteten auf eine eindeutige Situation hin. Er hatte tatsächlich eine Hure im Haus, in der eigenen Familie. Er verfluchte den Tag, an dem er entschieden hatte, mit der ganzen Familie nach Deutschland zu ziehen. Gut, er hatte Glück gehabt mit seinem Asylantrag, und einen gut bezahlten Job hatte er auch relativ schnell gefunden, aber das Leben hier in Deutschland hatte er sich ganz anders vorgestellt. Er verfluchte die vielen nackten Frauen im Fernsehen und auf den Titelblättern der Zeitungen. Selbst in dem kleinen Kaff Röttenbach liefen sie im Sommer halbnackt auf den Straßen herum. Er verehrte Karpfen als heilige Tiere. Hier wurden sie in viel zu engen Teichen gezüchtet. Und was machten die fränkischen Barbaren mit den heiligen Tieren? Sie töteten sie, und verspeisten die Fische mit einer abartigen und perversen Wolllust. Das Schlimmste aber waren die Demütigungen so mancher Dorfbewohner und Arbeitskollegen: »Du stinkst heut wieder. Schlimmer wie a ganze Odelgrubn.« »Hast dich in Knoblauch gwälzt, Ahmet?« »Stinkn alle Türkn so wie du?« Er hasste diese Deutschen. Wäre er doch nur in Urfa geblieben.

*

Ahmets siebzehnjährige Tochter Akgül saß heulend und verängstigt in einem tiefen, roten Plüschsessel. Sie hatte gegen das ungeschriebene Gesetz der Özkans verstoßen, indem sie in kompromittierender, unzüchtiger Weise mit einem jungen, deutschen Mann gesehen worden war. Heiße Tränen rannen ihr ohne Unterlass aus ihren kohlschwarzen Augen. Ihr zarter, feingliedriger Körper bebte und wurde von heftigen Weinkrämpfen geschüttelt. Ihr gegenüber, auf dem roten Sofa, saßen ihr wutentbrannter Vater und ihr ebenso wütender zwanzigjähriger Bruder Kemal, der gerade heftig auf sie einredete.

»Was du glaubst du bist? Eine Hure! Bringst Schande über die ganze Familie und Schande über Müselüm. Muss Müselüm von Dorfburschen erfahren, dass du hast deutschen Freund? Ich dich schlagen tot, wenn nix ist Ruhe damit! Sieh an Vater Ahmet, wie traurig und wütend ist. Du bist Türkin und nix deutsches Mädchen. Nix deutsche Freund. Ist kein Moslem. Nix glauben an Allah und Propheten. Ist ungläubig. Was er haben gemacht mit dir?«

Bei diesen Worten zuckte Akgüls Oberkörper wieder wie unter Peitschenhieben zusammen. Mit tränenerstickter, leiser Stimme antwortete sie: »Nix gemacht mit Walter, nur geküsst.«

»Schweig«, herrschte sie nun ihr Vater an, »ich will nix hören Name von deutsche Teufel.

In der Küche brach nun auch Kamuran Özkan, Akgüls Mutter, in Tränen aus. Sie konnte die lauten, an ihre Tochter gerichteten Beschuldigungen deutlich vernehmen. Sie rückte ihr buntes Kopftuch zurecht und hielt die gefalteten Hände zur Decke gestreckt. »Allahu akbar«, betete sie innbrünstig. Im Wohnzimmer brüllten Vater Ahmet und Sohn Kemal weiter auf ihre Tochter ein.

»Und nun, was du machst nun?«, wollten sie von ihr wissen.

»Ich nix lieben Müselüm«, versuchte Akgül sich zu verteidigen, »Müselüm ihr habt ausgesucht für mich. Zu alt für mich und hässlich, hat Nase wie krumme Gurke. Immer ich soll machen, was er sagt. Sagt ich soll Kopftuch tragen. Ich bin schön und nicht will bedecken mein schönes Haar. Nicht leben wie in achtzehntes Jahrhundert, wie in Urfa.«

»Müselüm hat recht, du nicht gekleidet wie türkisches Mädchen«, brüllte sie ihr Bruder an, »Hose an Arsch zu eng und Bluse zu durchsichtig. Kann jeder sehen deine Unterwäsche durch Stoff. Kann nicht glauben, dass deutscher Freund da nicht schon hat hingelangt. Vielleicht auch schon anderswo? Vielleicht du bist schon geöffnet und keine Jungfrau mehr? Müssen gehen zu Arzt und feststellen.«

»Nein«, kreischte Akgül verzweifelt, »das nicht stimmen, was du sagen. Du bist türkisches Männer-Arschloch. Macho.«

Sie reagierte zu spät, als ihr Bruder, wie von der Tarantel gestochen, über den kleinen Couchtisch hechtete, sein Glas, gefüllt mit aromatischem Apfeltee, verschüttete, und ihr einen kräftigen Faustschlag auf die rechte Wange hieb. Sein schwerer Metallring, den er am rechten Mittelfinger trug, riss ihre feine bronzefarbene Gesichtshaut auf, und augenblicklich war ihre weiße Bluse mit dicken Bluttropfen besprenkelt. Akgül schrie vor Schmerzen auf, und ihre Mutter stürzte aus der Küche herbei, um ihre Tochter in die Arme zu nehmen und sie vor weiteren Angriffen zu schützen.

»Weib, geh in Küche, hier kein Platz für dich!«, herrschte sie ihr Ehemann an.

6

Doris Kunstmann lebte noch zuhause bei ihren Eltern, in Röttenbach, in der Weiherstraße. Die achtzehnjährige Blondine, mit den himmelblauen Augen und der kräftigen Oberweite bereitete sich auf das Abitur vor, welches sie im kommenden Jahr mit Bravour bestehen wollte. Im Moment stand ihr der Sinn allerdings nicht nach Lernen, und ihr Interesse an der Schule war gerade in weite Ferne gerückt. Ausgerechnet ihre Intimfeindin, diese flachbrüstige, krummbeinige Hannelore Adam – wie konnte man nur Hannelore heißen? – hatte ihr mit höchster Schadenfreude die neueste Nachricht verkündet, welche sie noch immer nicht so recht glauben wollte: Ihr Walter solle angeblich seit Neuestem mit dieser türkischen Schlampe aus der Amselstraße liiert sein, diesem geilen Miststück. Wie hieß sie doch noch gleich? Akgül! Da war ja sogar Hannelore ein schönerer Name. Im fernen Coburg hat man die beiden gesehen, wie sie innig miteinander knutschten. Sie glaubte kein Wort davon. Sie musste sich selbst Sicherheit verschaffen. Jetzt, sofort. Ihre Gedanken kreisten hin und her. Walter hatte ihr doch immer wieder seine Liebe erklärt. Erst kürzlich. Vor zwei Wochen. Aber was besagt das? Es stimmt schon, in letzter Zeit hatte er sich immer rarer gemacht.

»Wenn du im Moment keine Zeit net hast, ist‘s net so schlimm«, waren seine Worte. »Die Matheschulaufgab ist im Moment wichtiger für dich. Nimm dir nur Zeit zum Lerna. Wir treffn uns halt danach wieder.«

Sie erinnerte sich an diesen Satz aus seinem Mund, und wieder wurde sie von heftigen Zweifeln geplagt. Die ganze unschöne Angelegenheit wühlte sie innerlich auf. Schlechte Nachrichten schlugen bei ihr immer auf das vegetative Nervensystem. Dann bekam sie meist Schwierigkeiten mit der Atmung, manchmal auch mit der Verdauung und dem Stoffwechsel. War das alles nur Süßholzraspeln, was Walter ihr kürzlich ins Ohr flüsterte? Nur leere Worte? Dachte er dabei bereits an das nächste Wiedersehen mit dieser türkischen Nutte? Nein, das konnte nicht sein. Ihr Walter war anders als die anderen jungen Männer. Er las ihr doch immer jeden Wunsch von den Augen ab, und er konnte so zärtlich sein, wenn er sie in die Arme nahm. Nein, Walter ging nicht fremd. Aber wer weiß, vielleicht hatte ihm dieses türkische Satansweib doch schöne Augen gemacht, und er ist auf sie hereingefallen? Sie sah ja extrem gut aus. So exotisch. Das musste man ihr lassen. Der Teufel in Person. Falls …, na dann konnte die was erleben. Sie würde ihr ihre schwarzen Glubschaugen auskratzen. Sie würde ihr ihren türkischen Arsch bis zum Gehtnichtmehr aufreißen. So ein Luder. Doris Kunstmann nahm ihr iPhone zur Hand und wählte die eingespeicherte Nummer von Norbert Amon. Norbert war Walters bester Freund. Die beiden steckten doch ständig zusammen. Wenn jemand Bescheid wusste, dann Norbert. Das Mobiltelefon tickerte. Besetzt. Die beiden quatschten bestimmt gerade miteinander. Sie würde es später noch einmal probieren und wehe, an der Sache war was dran, dann würde sie nicht nur dieser türkischen Amazone den Arsch aufreißen. Dann war auch Walter dran, aber daran mochte sie im Moment noch gar nicht denken. Und wenn doch? Auf jeden Fall ließ sie sich nicht vor dem ganzen Dorf lächerlich machen. Das stand außer Zweifel.

7

Müselüm Yilmaz war höchst verärgert. Nein er war hochgradig wütend. Unruhig tigerte er in seiner Erlanger Zweizimmerwohnung auf und ab. So eine Schande. Sie hatte ihm Hörner aufgesetzt, dieses Weib. Müselüm rieb sich seinen überdimensionalen Riechkolben. Das tat er immer, wenn er in höchster Aufregung war. Seine siebzehnjährige Freundin hatte ihn gedemütigt. Vor aller Welt. Das war ihm nun klar. Sie hatte ein neunzehnjähriges dahergelaufenes Bürschlein, einen Deutschen zudem – noch grün hinter den Ohren – ihm, einen gesunden und kräftigen vierundzwanzigjährigen türkischen Mann, vorgezogen und damit gegen alle traditionellen Regeln der türkischen Lebensanschauung verstoßen. Das musste Konsequenzen haben. In beide Richtungen. Er würde sich diesen Deutschen, dem noch die Eierschalen hinter den Ohren klebten, bei nächster Gelegenheit ordentlich vornehmen. Er musste seine verletzte Würde wieder ins rechte Lot bringen. Aber auch Akgül musste bestraft werden. Da ging kein Weg daran vorbei. Sie würde schon noch lernen, den ihr versprochenen zukünftigen Ehemann zu achten und seine Anordnungen zu befolgen. Wie oft hatte er ihr schon gesagt, dass er es nicht mochte, wenn sie sich so aufreizend kleidete. Er war wohl bisher zu weich und nachsichtig mit ihr gewesen. Das war ein Fehler, doch das würde sich ab sofort fundamental ändern. Ganz sicher. Er konnte auch andere Saiten aufziehen, wenn er wollte. Da würde sie sich noch wundern. Doch Müselüms größte Sorge war, dass Akgül zwischenzeitlich keine Jungfrau mehr war. Diese deutschen Halbstarken wären die reinsten Hurenböcke, hatte er gehört. Immer wieder tauchte dieser schreckliche Gedanke im hintersten Winkel seines Gehirns auf und versetzte ihn in Panik. Er mochte gar nicht daran denken, was geschehen würde, wenn dies der Fall sein sollte. Wirklich nicht auszudenken. Er würde dem Deutschen eigenhändig den Schwanz abschneiden. Er würde ihm seine Eier einzeln ausreißen. Eine unbändige Wut stieg in ihm hoch, wenn er nur daran dachte. Der Zweifel nagte tief in ihm und ließ ihm keine Ruhe. Dann griff er, immer noch hoch erzürnt, zum Telefon und wählte Ahmet Özkans Nummer. Er wollte endlich wissen, was sein Schwiegervater in spe über Akgüls Seitensprung herausgefunden und was der Familienrat beschlossen hatte.

8

Auch Walter Fuchs hatte daheim Probleme mit seinen Eltern.

»Bring uns fei bloß keine türkische Schnalln ins Haus geschleift«, musste er sich von seinem Vater, Moritz Fuchs, anhören, »und wehe du machst dieser Zigeunerin ein Kind! Ein türkischer Balg kommt mir fei net ins Haus. Sonst enterb ich dich. Merk dir das!«

»Dass du überhaupt mit so einem Madla was anfängst«, geiferte seine Mutter Gerta, »die stinkn doch alle nach Knoblauch. Dass du dich da net ekelst! Waschn tun die sich wahrscheinlich auch net. Die hat es doch bloß auf unser Haus abgsehn. Dass du das nicht merkst! Du bist doch unser einziger Bu!«

»Etz lasst mich doch endlich in Ruh«, geiferte der junge Mann zurück, »schließlich bin ich erwachsen und kann machen und tun, was ich will. Und dass ihr das endlich mal wisst: Auf eure Bruchbudn kann ich sowieso gern verzichtn.«

»Da pass etz aber auf, was du sagst”, fing Vater Moritz erbost zu schreien an, »solang du deine Füß unter unsern Tisch ausstreckst, hast du herinna überhaupt nix zu sagen. Das sag ich dir! Wenn du willst, kannst du morgen scho ausziehn, und glaub bloß net, dass wir dir irgendeine Träne nachgreina!«

»Papa«, klagte Gerta Fuchs nun ihren Mann an, »um Himmels Willn, etz sei doch nicht so streng mit unserm Bubm. So was sagt mer doch net zu seinem eigenen Fleisch und Blut.«

»Na, weils doch wahr ist«, ließ Moritz Fuchs nicht locker. »Soll er doch schaun, wie er allein zurechtkommt, das Siebngscheiderla. Erwachsen will er sein, mit seine neunzehn Jährli, dabei hat er noch keinen Strich gärwert. Dass ich fei net lach! Sein ganzes Leben hat er noch nix gschafft. Der hockt doch bloß in der Schul rum und reißt Türken-Weiber auf.« Dann wandte er sich wieder an seinen Sohn: »Wie ich so alt war wie du, da hab ich scho fünf Jahr aufm Bau gärwert und Geld verdient! Da hab ich keine so Flausn im Kopf ghabt wie du.«

»Warst halt auch a weng zu bleed für das Gymnasium”, konterte sein Sohn sichtlich aufgebracht.

»Walter, das sagt man fei net zu seim Vadder! Jahrzehntelang ham wir nur buckelt und gärwert. Und für wen? Doch nur für dich. Du sollst es doch mal besser ham als wir.«

»Siehst du«, brauste Moritz Fuchs auf, »frech wird er auch noch zu seine Eltern, der Rotzlöffel! Wer hat denn dir das alles ermöglicht, das schöne Leben, das wo du heut führst? Vom Maul ham wir uns das alles abgspart, ich und dei Mudder. Und dann kriegst du so was gsagt! Do hört sich doch alles auf. Undank ist der Welt Lohn! Wenn ich des vorher gewusst hätt …, dann hätt ich andere Saitn aufzogen. Das kannst mir glauben. Etz weiß ich auch, warum deine Notn in der Schul immer schlechter werdn … , weilst dieser türkischn Büchsn nachstellst. Die hat dich ja scho ganz schön am Wickel, das Luder. Is dir das bisserla, was von deinem Verstand noch übrig is, auch scho in die Hosn grutscht? Der Lack vo derer Türkin wird fei a bald abgschleckt sein, gell Mudder? Dann kommt der Alltag, … mit dera Schlampn. Da möcht ich net amol dran denkn. Was meinst, wie die aufgehn, wenns amol verheiratet sind? Wie ein Hefeküchla, sag ich dir. Schau dir die Mama an.«

Walter Fuchs konnte sich das Genörgel seines Vaters nicht mehr länger anhören. Genervt und wutentbrannt sprang er von seinem Sessel auf und verließ grußlos das Wohnzimmer, in welchem seine Eltern ihn zur Rede gestellt hatten. Er dachte an Akgül. Ob sie zuhause ähnliche Probleme hatte? Hoffentlich nicht. Er hatte nicht vor, seine Beziehung zu seiner neuen Freundin zu beenden. Egal, wer oder was da komme. Er würde es seinen Eltern schon zeigen. Er war neunzehn. Da ließ man sich doch nicht mehr wie ein Zehnjähriger herumkommandieren.

»So ein Früchtla«, waren die letzten Worte seines Vaters an seine Mutter, bevor Walter außer sich vor Zorn die Haustüre von außen zuknallte, »ich frag mich im Nachhinein bloß, wie du den so erziehn hast können, den Bangert, den nichtsnutzigen?«

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
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Litres'teki yayın tarihi:
23 aralık 2023
Hacim:
470 s. 1 illüstrasyon
ISBN:
9783957448378
Telif hakkı:
Автор
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