Kitabı oku: «Die grusinische Braut», sayfa 3

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Theodor Dreyling war von General Paskewitsch zum Militärgouverneur der Stadt und der dazugehörenden Provinz Mechetien ernannt worden. Der Oberst und sein Regiment würden hier bleiben, während der Rest der Kaukasusarmee weiter Richtung Westen vorstossen sollte, um die Türken ein zweites und ein drittes Mal aufs Haupt zu schlagen.

Der Oberst, der lieber hinter den Muselmanen hergejagt wäre, war zuerst ungehalten gewesen. «Seine Durchlaucht, der Graf von Jerewan, degradiert mich zum Gendarmen!», hatte er gebrüllt. Immer wenn er von Iwan Fjodorowitsch als «Seine Durchlaucht» sprach, wusste Vitus, dass der Onkel vor Wut schäumte. Bald hatte Dreyling aber realisiert, dass er als Gouverneur mit der Festung Rabat über eine standesgemässe Residenz verfügte, in der sich komfortabel leben liess. Zusammen mit seinem Neffen bewohnte er die luxuriösen Gemächer des vor den Russen geflohenen Paschas. Und er zweifelte nicht daran, dass es ihm innert kürzester Zeit gelingen würde, den türkischen, tatarischen, armenischen und jüdischen Bewohnern, welche die Stadt vorderhand nicht verlassen durften, den nötigen Respekt vor dem Zaren und Mütterchen Russland einzubläuen. Als Erstes liess er bei der Bevölkerung die Kriegskontributionen eintreiben. Dann gab er Anweisung, die zur Festung gehörende Moschee in eine Kirche umzuwandeln. Obwohl er Gottesdienste nur besuchte, wenn es sich nicht vermeiden liess, war er entschlossen, Alchaziche im Zeichen des Kreuzes zu regieren.

Ein paar Tage nach dem Sieg meldete sich Feldweibel Timofejew im Vorzimmer von Oberst Dreyling. Leutnant von Fenzlau schaute von den Papieren hoch, mit denen er beschäftigt war. Der graubärtige Unteroffizier stand stramm und meldete, er habe seinen Auftrag erfüllt. Draussen im Korridor würden fünf Weiber warten, die er mit seinen Leuten befreit habe.

Vitus erinnerte sich. Sein Onkel hatte den Feldweibel angewiesen, mit sechs Soldaten in der Stadt die Häuser der Reichen zu durchsuchen und sämtliche russischen und deutschen Sklaven zu befreien. «Ihre Neger und die übrigen Heiden mögen die Hurensöhne behalten», hatte er bestimmt. «Ebenso die gefangenen Tscherkessen, Inguschen, Tschetschenen und Dagestanen – kurz: das ganze Gesindel, gegen das wir im Nordkaukasus Krieg führen.» Dann hatte Dreyling seinem Neffen befohlen: «Gib Timofejew Rashid mit. Der spricht leidlich Russisch und kann ihm als Übersetzer dienen.»

«Ist der Mann auch vertrauenswürdig?», hatte Vitus wissen wollen.

«Wir haben seine Frau und seine Kinder in Geiselhaft genommen. Wenn er sie wiedersehen will, so wird er sich als nützlich erweisen müssen.» Theodor Dreyling hatte dröhnend gelacht.

Jetzt stand der Feldweibel also da und wartete darauf, dass der Flügeladjudant ihm sagen würde, was weiter zu geschehen habe.

«Nur fünf Frauen», staunte der Leutnant, «mehr nicht?»

«Nein, Euer Gnaden.» Mit einer vagen Geste drückte der Veteran, der über seine fünfundzwanzigjährige Dienstzeit hinaus in der Armee geblieben war, sein Bedauern aus. Alchaziche sei nur ein Umschlagplatz für den Sklavenhandel. Die meisten gefangenen Weissen seien ins Innere des Osmanischen Reichs geschafft und dort verkauft worden. «Nur fünf Weiber. Deutsche. Ich kann sie nicht verstehen.» Er zuckte mit den Schultern.

«Bring sie herein!»

Es stellte sich heraus, dass sie aus Katharinenfeld, Helenendorf und Annenfeld stammten. Bei den Überfällen vor zwei Jahren waren sie in Gefangenschaft geraten und hatten seither als Mägde für ihre muslimischen Herrschaften gearbeitet. Der Leutnant liess eine um die andere vortreten und nahm ihre Personalien auf. Er notierte schwäbische Namen: Käthe Sackmann, Maria Dangel, Babette Bart und Hilde Wegner. Als Balte hatte er keine Schwierigkeiten, sich mit ihnen zu verständigen.

Eine von ihnen, die Jüngste, hielt sich hinter den vier anderen versteckt. Ihr Haar war vollständig von einem Kopftuch bedeckt. Ausserdem trug sie einen viel zu grossen russischen Uniformmantel, den ihr der Feldweibel gegeben haben mochte. Sie trat als Letzte vor von Fenzlaus Schreibtisch und vermied es, ihn anzusehen.

«Wie heisst Ihr, und woher kommt Ihr?»

«Mein Name ist Barbara Grathwohl. Ich stamme aus Katharinenfeld», sagte sie leise.

Vitus hob den Kopf. «Seid Ihr etwa die Frau von Johannes Grathwohl?» Und als sie ihn mit grossen Augen anschaute und nickte: «Ihr seid frei, und ich werde dafür sorgen, dass Ihr zu ihm zurückkehren könnt.»

Barbara, die auf der langen Reise nach Georgien ihre Eltern und Geschwister verloren hatte, von einer Nachbarin an Kindes statt aufgenommen worden war und als Siebzehnjährige, kurz nachdem man sie verheiratet hatte, in die Gefangenschaft von Sklavenhändlern geraten war, begann zu weinen. «Frei», schluchzte sie. «Guter Herr Jesus, ich bin frei!»

Von Fenzlau stand auf. «Sorg dafür, dass die vier anderen unterkommen!», wies er den Feldweibel an. «Mit dieser hier», er fasste Barbara am Ellenbogen, «habe ich zu reden.»

Er führte die junge Frau in sein Zimmer, das Stube und Wohnraum in einem war. Dort liess er sie auf dem Sofa Platz nehmen, setzte sich neben sie und erzählte ihr von seiner Begegnung mit Johannes Grathwohl. «Euer Mann hat Euch nicht vergessen» schloss Vitus seinen Bericht. «Jeden Tag betet er um Eure Rückkehr.»

Sie schlug die Hände vors Gesicht und weinte.

«Jetzt ist doch alles gut», versuchte Vitus sie zu trösten. «Ihr werdet Euren Mann wiedersehen und gemeinsam ein neues Leben beginnen.»

«Wie soll ich ihm nur gegenübertreten?», schluchzte sie.

«Freut ihr Euch denn nicht, ihn wiederzusehen?»

«Weshalb sollte ich?» Erneut schlug sie die Hände vors Gesicht. Dann, mit stockender Stimme: «Als die persischen und tatarischen Teufel vor zwei Jahren unser Dorf überfielen, rissen sie jungen Mädchen und Frauen, auch mir, die Kleider vom Leib. Sie vergewaltigten uns vor den Augen der Umstehenden. Die Männer unseres Dorfes, die uns helfen wollten, wurden niedergeschlagen. Dann trieben die Unmenschen mich und die anderen wie Vieh nach Alchaziche, wo man uns verkaufte.»

Schweigend sassen sie nebeneinander, bemüht, sich mit den Schultern nicht zu berühren. Zwei junge Menschen, sie neunzehn, er einundzwanzig Jahre alt, getrennt durch ihr Schicksal, ihre Herkunft und ihren Stand.

Nach einer Weile sagte sie hart: «Mein Besitzer, Menhügan Agha, hat mich zur Hure gemacht. In den vergangenen zwei Jahren hat er mich mit drei anderen Nebenfrauen in seinen Haremsgemächern eingeschlossen. Ich war seine Lieblingssklavin.» Sie lachte bitter. «Er hat mich erniedrigt und missbraucht. Ich musste jederzeit bereit sein, seiner bösen Lust zu dienen, und wurde von der Hausherrin, die eifersüchtig auf mich war, geschlagen. Ich habe meine Ehre verloren und bin es nicht mehr wert, die Frau eines aufrechten und frommen Mannes zu sein. Ich kann nur beten, dass mein Johannes zu mir steht. Was soll mit mir geschehen, wenn er mich nicht mehr zurücknimmt?»

Darauf hatte Vitus keine Antwort. Kein Mann aus seinen Kreisen, der auf sich hielt, würde eine Frau zurücknehmen, die andere benutzt hatten. Je nach den Umständen würde man sie mit einem kleinen Geldbetrag abfinden.

Von Fenzlau suchte nach Worten. «Die Seele eines gläubigen Menschen kann auch in einem geschändeten Körper vor Gott bestehen», sagte er schliesslich. Er hatte diesen Satz vor Jahren einmal in einer Predigt des lutherischen Bischofs im Dom von Riga gehört. Das war vor seiner Zeit in der Kadettenanstalt gewesen. Er war damals noch fast ein Kind, und das Wort «geschändet» hatte ihn, ohne dass er wusste, was damit gemeint war, ausserordentlich beeindruckt. «Ja», bekräftigte er, «Gott sieht allein die Seele.»

«Gott schon, aber ein Ehemann?» Barbara erhob sich und schaute ihn verzweifelt an. Erneut füllten sich ihre Augen mit Tränen. «Verzeiht, dass ich Euch mit meinem Kummer behellige», stammelte sie. «Schaut mich an, schaut, was aus mir geworden ist!» Sie löste ihr Kopftuch. Ihr offenes, blondes Haar fiel auf ihre Schultern. Sie knöpfte den Uniformmantel auf und zog ihn aus. So stand sie vor ihm, eine kleine Gestalt in einem dunkelroten, mit Stickereien verzierten, hochgeschlossenen Kleid aus Musseline. Noch immer trug sie die Halsketten, Armreife und Ohrringe, die wohl Geschenke ihres Herrn waren. «Ich bin eine Hure», wiederholte sie flüsternd.

Sowohl in der Kadettenanstalt als auch später, unter den Offizieren der Kaukasusarmee, waren die Frauengemächer reicher Muselmanen Gegenstand schlüpfriger Diskussionen gewesen, welche die Phantasie der Jünglinge und Männer angestachelt hatte. Als Vitus jetzt zum ersten Mal eine Frau sah, die aus einem Harem kam, fühlte er sich unbehaglich und befangen. Ihm fiel Hanna Engist ein, die gesagt hatte, über den Schreckenstag von Katharinenfeld gebe es mehr als vierhundert verschiedene Geschichten. Wahrscheinlich war jene, die er soeben gehört hatte, nicht einmal die schlimmste. Er stellte fest, dass die junge Frau am liebsten vor Scham im Boden versunken wäre. Gleichzeitig sah er die Angst in ihren Augen und spürte, dass sie darauf wartete, dass er ihr etwas sagte, etwas, das ihr Hoffnung gab.

Er erhob sich und legte ihr die Hand auf die Schulter, zog sie aber sofort wieder zurück, als er spürte, wie sich ihr Körper versteifte. Offenbar missdeutete sie seine Geste. Glaubte sie, er wolle ihr zu nahe treten? Was bildete sie sich ein? Vitus war verletzt. Andererseits: Was verstand er schon von Frauen? Seine Mutter, Baronin von Fenzlau, und ihre Schwägerin, Leonore Dreyling, waren Damen: stolz, kühl, unnahbar. Er hatte nie herausgefunden, was sie dachten und fühlten. Dann gab es die Töchter aus adeligen Häusern, denen er in Sankt Petersburg an Bällen und Soireen im Haus des Onkels am Newskij Prospekt begegnet war. Sie trugen anmutige Abendkleider aus teuren Seidenstoffen, und ihre weiblichen Formen wurden durch ein Satinband betont, das unter der Brust zu einer Schleife gebunden war. Ausserdem rochen sie nach teuren Parfums. Ihr Daseinszweck schien einzig darin zu bestehen, darauf zu warten, dass ein meist deutlich älterer Gutsbesitzer, ein hoher Beamter oder ein Offizier um ihre Hand anhielt. Und schliesslich waren da noch die Mägde und Freudenmädchen, mit denen sich ein junger Mann aus gutem Haus gegen ein geringes Entgelt vergnügen konnte, wenn ihm danach der Sinn stand. So wie das Vitus von Fenzlau im Verlauf des Feldzugs der vergangenen zwei Jahre oft getan hatte.

Obwohl sie sich als Hure bezeichnet hatte, gehörte Barbara Grathwohl in keine dieser Kategorien. Doch was ging ihn ihr Schicksal an? «Ich bringe Euch zu den andern zurück», sagte er kühl. «Morgen werde ich Eure Rückkehr nach Katharinenfeld in die Wege leiten.»

5

Theodor Dreyling hatte seinen Neffen nach der Eroberung von Alchaziche zum Hauptmann befördert und dafür gesorgt, dass er als Kompaniekommandant in die Armee Iwan Fjodorowitsch Paskewitschs eintrat. Der Oberst war der Meinung, ein junger Offizier könne sich nicht mit Ruhm bekleckern, wenn er nichts anderes zu tun habe, als in einer eroberten Provinz für Ruhe und Ordnung zu sorgen. «Du brauchst Kampferfahrung und wirst lernen müssen, unter den Heiden Angst und Schrecken zu verbreiten. Später, wenn du einmal deine Hörner abgestossen hast», schloss er wehmütig lächelnd, «kannst du immer noch irgendwo im Hinterland als Militärstatthalter auf deinen Ruhestand warten.»

Und so war Vitus dabei gewesen, als der zum Marschall avancierte Graf von Jerewan in die Osttürkei vordrang, wo er die Bevölkerung drangsalierte, Dörfer in Flammen aufgehen liess, Kars, Dogubeyazit und Erzurum einnahm, die eroberten Gebiete Transkaukasien einverleibte und endlich dem gedemütigten Sultan im fernen Istanbul den erbetenen Frieden gewährte. Anschliessend folgte der frischgebackene Hauptmann seinem neuen Oberkommandierenden nach Dagestan.

In der Kadettenanstalt hatte man Vitus beigebracht, dass russische Truppen in Transkaukasien stünden, um die christlichen Georgier und Armenier vor der Tyrannei der Muslime zu schützen: den Bergtataren im Norden, den Persern im Süden und den Türken im Westen. Natürlich war das eine fromme Lüge. Die Zaren gierten nach dem fruchtbaren Land zwischen dem Kaspischen und dem Schwarzen Meer. Ausserdem bildete das Kaukasusgebirge die perfekte Grenze ihres Reichs aus Fels und Eis.

Aber auch wenn Alexej Petrowitsch Jermolow, der damalige Generalgouverneur der transkaukasischen Provinzen, bereits 1820 in schamloser Übertreibung der tatsächlichen Lage nach Sankt Petersburg gemeldet hatte, «die Unterwerfung des stolzen kriegerischen und bis dahin unbesiegten Landes liegt zu den geheiligten Füssen Eurer Majestät», mochten die Bergvölker unter ihrem Imam, Ghazi Muhammed, die Herrschaft Zar Niklaus’ noch immer nicht anerkennen. Sie verweigerten dem Feind eine offene Schlacht und fügten stattdessen den Russen empfindliche Verluste zu, indem sie deren Patrouillen aus dem Hinterhalt angriffen und die Festungen und Forts der kaukasischen Linie überfielen, welche die Zaren im Gebirge zwischen dem Schwarzen und Kaspischen Meer hatten bauen lassen.

Derbent, die alte, von einem Kastell und hohen Mauern geschützte, orientalische Stadt am Kaspischen Meer, durch deren mächtige Tore Karawanen Richtung Russland zogen, wurde für von Fenzlau für ein paar Jahre zur neuen Heimat. Man wies ihm eine Wohnung im Haus der Frau eines gefallenen Offiziers zu. Sein Diener Wassilij wurde in einer Kammer unter dem Dach einquartiert. Der Russe war zwei Jahre älter als sein Herr. Er war als Leibeigener auf einem Gut in der Gegend von Kasan geboren und als Achtzehnjähriger von seinem Besitzer an die Armee verkauft worden, wo er den gnadenlosen Drill, mit dem man ihn zum Soldaten machte, über sich ergehen lassen musste, bevor er dem jungen Leutnant von Fenzlau als Offiziersbursche zugeteilt worden war. Wassilij hatte seinen Herrn auf den Feldzügen gegen die Perser und Türken begleitet und diente ihm auch jetzt, im Krieg gegen die aufständischen Bergtataren im Grossen Kaukasus.

Im Winter ruhte der Krieg. Aber wenn der Frühling die Bergweiden des Kaukasus in blühende Blumenteppiche verwandelte, kämpfte Vitus wieder gegen die Ungläubigen. Unter grauenhaften Verlusten erstürmte die Armee Paskewitschs Berg um Berg und verwandelte die weit verstreuten Dörfer im Gebirge in rauchende Trümmer.

Es war ein schmutziger Krieg. Was das bedeutete, erfuhr von Fenzlau schon bei seinem ersten Einsatz im Herbst 1830. Drei Tagesritte von Derbent entfernt lag ein dagestanisches Dorf, in dessen Nähe fünf russische Soldaten aus einem Hinterhalt erschossen worden waren und das nun dem Erdboden gleichgemacht werden sollte.

Mit der Exekution des Befehls wurde Major Pjotr Ivanowitsch Baranow betraut. Er galt als Haudegen – kompromisslos, brutal und schlau. Der Vierzigjährige, der aus Moskau stammte, war eine eindrucksvolle Gestalt: Gross und massig, mit kurzem dunklem Haar und einem Vollbart, der weit vor der Zeit weiss geworden war und ihm bei den Soldaten den Spitznamen «Sankt Nikolaus» eintrug. Seine Nase, ein mächtiger Zinken, spielte farblich ins Violette und zeugte von übermässigem Alkoholgenuss. Von Fenzlau kommandierte eine der vier Kompanien seines Bataillons, das durch eine Eskadron Kosaken und einen Trupp Artilleristen mit zwei leichten Kanonen verstärkt worden war.

Während die Soldaten am frühen Abend des 18. Oktobers ihr Lager aufschlugen, befahl der Major seine Offiziere zum Rapport. Sie standen am Rand einer Hochebene, von der ein steiler Hang in ein Tal abfiel. Mückenschwärme tanzten im milden Licht der tiefstehenden Sonne, die bald hinter den frisch verschneiten Gipfeln des Gebirges versinken würde. Von den silbernen, seidenhaarigen Fäden der verwelkten Weideröschen gingen Millionen von Samen ab, die wie Schneeflocken durch die klare Herbstluft segelten. Das Laub von Birken, Eichen und Buchen flammte rot und gelb zwischen den dunklen Tannen. Im Schutz des Waldes sahen die Offiziere unter sich in der Biegung eines Flusses eine tatarische Siedlung. Etwas mehr als drei Dutzend Hütten gruppierten sich um eine kleine Moschee. Zwischen den Behausungen, Ställen und Speichern tummelten sich spielende Kinder. Ein paar Frauen arbeiteten in den winzigen Gemüsegärten hinter dem Dorf. Andere knieten am Flussufer und wuschen Kleider im kalten Wasser. Etwas ausserhalb des Auls drosch ein Halbwüchsiger auf einem abgeernteten Äckerchen Getreide, indem er fünf eng aneinander gebundene Ochsen im Kreis über einen dicken Teppich aus Garben trieb. Ausser einem Alten, der sich auf einer Bank vor seiner Hütte an den letzten Strahlen der Sonne wärmte, waren keine Männer zu sehen.

«Wir werden das Dorf morgen früh angreifen», sagte Pjotr Ivanowitsch und wandte sich an den Artilleriehauptmann. «Bei Sonnenaufgang zerstört Ihr als Erstes die Moschee. Die vierte Kompanie und die Kosaken decken uns den Rücken, die erste, zweite und dritte halten sich dort, dort und dort in Bereitschaft.» Er wies mit der Rechten auf die entsprechenden Standorte. «Eine Viertelstunde nach Beginn des Bombardements werdet ihr den Aul von drei Seiten stürmen. Wer bis dahin nicht geflohen ist, wird niedergemacht.»

«Auch Frauen und Kinder?», wagte Vitus zu fragen.

Baranow schaute ihn stirnrunzelnd an. Dann lachte er dröhnend und schlug ihm seine Pranke auf die Schulter. «Unser Freund ist sich von den Feldzügen gegen die Perser und Türken an eine Kriegsführung gewohnt, in der sich zwei Armeen gegenüberstehen», erklärte er seinen Offizieren, die in sein Gelächter einstimmten. «Wenn Sie zum ersten Mal in einen tatarischen Hinterhalt geraten, Herr von Fenzlau», belehrte er seinen neuen Hauptmann, «wenn Leute von Ihnen getötet werden und sich der Feind blitzschnell zurückzieht, ohne sich dem Kampf zu stellen, werden Sie verstehen, dass das, was wir morgen dort unten tun, die einzige Sprache ist, welche dieses Geschmeiss versteht. Und was die Weiber betrifft: Die bringen kleine Tataren zur Welt, die einmal grosse Draginer, Awaren, Lesghier, Tschetschenen, Tscherkessen oder was auch immer werden, dazu erzogen, Russen zu töten. Es ist besser, wenn wir das Ungeziefer vorher zur Hölle schicken. Sonst noch Fragen?»

Als am nächsten Morgen die ersten Sonnenstrahlen das Tal in helles Licht tauchte, suchte der Major den Blickkontakt mit dem Artilleriehauptmann, dessen Leute die beiden Kanonen geladen und in Stellung gebracht hatten. Er hob die Hand und liess sie fallen. Von Fenzlau hörte den Knall und sah, dass die schwere Eisenkugel in einem Haus unmittelbar neben der Moschee einschlug. Pjotr Ivanowitsch schrie dem Artillerieoffizier etwas zu. Der war aber schon dabei, die andere Kanone zu justieren. Kurz darauf erfolgte erneut der Befehl zum Feuern, und das zweite Geschoss riss ein grosses Loch in die Lehmmauer des Gotteshauses. Inzwischen hatte man das erste Geschütz wieder geladen, und nun legten die Kanoniere Schuss für Schuss jenes Gebäude in Trümmer, in dem die Bewohner des Auls, wie schon ihre Vorfahren, täglich gebetet, in dem sie den Koran gelesen und in dem der Mullah Buben und Mädchen den Glauben an Allah und den Propheten gelehrt hatte.

Durch seinen Feldstecher beobachtete von Fenzlau, wie Frauen, Kinder und Alte aus ihren Hütten kamen, wie sie fassungslos vor ihrer Moschee standen, wie Mütter ihre Säuglinge an ihre Brust drückten, während die Grösseren sich an sie drängten. Es waren keine Männer da, die ihre Familien hätten verteidigen können. Er sah, wie zwei Kinder stürzten und liegenblieben, wie der Kopf des Alten, der sich gestern an der Sonne gewärmt hatte, vom Rumpf getrennt wurde und wie eine Blutfontäne aus dem entseelten Körper schoss. Eine Frau, vielleicht seine Tochter, warf sich über ihn. Von Fenzlau begriff, dass der Greis und die beiden Kinder Opfer eines Schrapnells waren, eines Geschosses, das mit bösartigen Kugeln und Eisenstücken gefüllt war, die, wie er in der Kadettenanstalt gelernt hatte, vor dem Aufschlag mittels einer Treibladung ausgestossen werden. Er hörte Schreie, und dann vernahm er das Trompetensignal, das die drei Kompanien, die in Bereitschaft lagen, losmarschieren liess, dreihundertsechzig Mann mit gefällten Gewehren, auf denen die aufgepflanzten Bajonette blitzten.

Unten im Aul liefen die Dorfbewohner panisch durcheinander. Viele ergriffen die Flucht, suchten sich talaufwärts in Sicherheit zu bringen, andere rannten in ihre Hütten zurück. Wollten sie ihre Habe retten? Dazu haben sie doch keine Zeit, dachte von Fenzlau. Sehen sie denn nicht, dass wir in wenigen Minuten über sie herfallen werden?

Inzwischen schwiegen die Kanonen. Der Major hatte das Bombardement einstellen lassen, damit seine Soldaten nicht Gefahr liefen, von der eigenen Artillerie beschossen zu werden. Der Aul wurde umzingelt. Es war ein tödlicher Ring, aus dem es kein Entkommen gab. Auf die Befehle ihrer Vorgesetzten, zu denen auch Vitus gehörte, drangen die Männer ins Dorf. Sie traten die Türen der Hütten ein. Schüsse fielen, Frauen und Kinder liefen schreiend aus ihren Behausungen, streckten flehend ihre Arme aus und wurden gnadenlos erschossen oder erstochen. Alle, ohne Ausnahme. Nach weniger als einer halben Stunde war es vorbei. Über dem Aul breitete sich eine unheimliche Stille aus.

Hauptmann von Fenzlau betrachtete die Gesichter der Mörder. Russische Soldaten: Leibeigene, ehemalige Bauern, wie ihre Opfer. Man hatte sie aus ihrem Leben gerissen, sie gezwungen, ihre Dörfer und ihre Familien zu verlassen, um dem Zaren im fernen Kaukasus als Soldaten zu dienen. Einige von ihnen machten jetzt Jagd auf Hühner und Gänse, die sich aufgeregt schnatternd vor ihrem Zugriff zu retten versuchten. Andere plünderten die Vorräte der Bewohner des Auls. Sie würden der Truppe als Verpflegung dienen.

Indessen sassen die Offiziere im Schatten der Weiden am Flussufer und liessen sich von ihren Dienern ein üppiges Frühstück servieren, das in der Feldküche zubereitet und herbeigeschafft worden war. Dazu gab es Wodka. Mit zahlreichen Trinksprüchen feierte man den Erfolg der Strafexpedition. Einer sprach sogar von einem siegreichen Feldzug. «Sieg?», sagte von Fenzlau. Seine Stimme zitterte ein wenig. «Gab es denn Gegner, gegen die wir gekämpft haben? Ich jedenfalls habe keine tatarischen Krieger gesehen.»

Es wurde still. Alle Augen richteten sich auf ihn. Auch sein Diener Wassilij sah seinen Vorgesetzten überrascht an. «Diese Kakerlaken, junger Freund», sagte schliesslich Pjotr Ivanowitsch, «haben sich in die Berge zurückgezogen. Sie wussten, dass wir kommen und zählten darauf, dass wir ihre Weiber und ihre Brut am Leben lassen würden. Sie haben sich getäuscht.» Er hob sein randvoll mit Wodka gefülltes Glas: «Auf das Ungeziefer», sagte er und trank es in einem Zug leer.

Zwei Jahre und zahllose Überfälle und Vergeltungsschläge später liess sich Paskewitsch, Graf von Jerewan, als Besieger der Bergvölker Dagestans feiern und reiste nach Warschau, wo er im Auftrag von Zar Nikolaus den Oberbefehl im Kampf gegen die Polen übernahm, die, ähnlich wie die Tataren, auf ihrer Unabhängigkeit bestanden.

Allerdings hatte der Marschall nicht viel mehr erreicht, als die Küstengebiete am Kaspischen Meer und damit die wichtige Handelsstrasse von Persien nach Russland zu sichern. Der Krieg im Gebirge aber ging unvermindert weiter. Anstelle des im Kampf gefallenen Ghazi Muhammed wurde der sufistische Imam Schamil Anführer der Aufständischen, die erst 1859 endgültig unterworfen werden sollten.

Hauptmann von Fenzlau blieb im Nordkaukasus. Als Baranow 1834 Oberst und Festungskommandant von Derbent wurde, avancierte er, protegiert von seinem Onkel, zum Major und übernahm Pjotr Ivanowitschs Bataillon. Für Vitus von Fenzlau war das Töten und Tötenlassen endgültig zum Beruf geworden.

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