Kitabı oku: «Das Mitternachtsschiff», sayfa 2
2
Er hörte die Tritte der Boten, als sie noch durch die Nebengasse liefen. Der Wind, schon am Nachmittag von den Bergen gesandt, war stärker geworden, selten an einem Abend zu dieser Jahreszeit, als zeige Melkart seiner Stadt an, dass sich Ungewöhnliches ereignen werde. Er löschte die schwimmenden Dochte auf den Fenstern, durch die bereits der frische Atem der baldigen Nacht in die Kammern drang. Abdi-ashirta öffnete das Haustor, er wischte sich über die Lippen, als eine Bö ihm ihren Staub ins Gesicht wehte. Er musste Hir-Rectars Gesandte selbst empfangen, die Wirtschafterin hatte auch an diesem Tag ihre Pflicht nicht getan.
»Die Stunde ist nahe, Herr, zu der Hir-Rectar dich ruft.« Sie kreuzten die Arme und verneigten sich voller Ehrerbietung. Noch war die Dunkelheit nicht über Zor gekommen, die Boten entzündeten aber die Dochte ihrer Laternen und führten ihn in die Altstadt.
»Der Auftrag dient nicht dem Rat, sondern Zor und jedem seiner Bewohner. Wir bringen dich über Markt und Hafen zum Palast, um das anzuzeigen«, beantworteten sie den verwunderten Blick des Admirals, der sich den Umweg nicht erklären konnte.
Abdi-ashirta berührte die Lehmwände der vertrauten Häuser, es waren auch die Straßen seiner Kindheit, durch die ihn die blassen Laternen führten. Auch die Hände seines Vaters streiften einst die Mauern, an jenem Abend, der sein letzter in Zor gewesen war. Als Oberer Verwalter des Regierungsbezirks hatte er den Auftrag erhalten, Quart-hadascht zu helfen, das Steuersystem zu ordnen. Lange war er im Sonnenuntergang mit dem Jungen durch die Stadt gelaufen. Die Mutter hatte ihre Kammer nicht verlassen wollen, ihre Tränen waren hinter den Mauern geblieben.
Am Haus des Sandalenmachers hielt Abdi-ashirta inne. Die Seitenwand durchzog ein Riss, in den sie als Kinder schon die Finger hinein gesteckt hatten. Sie verzweigten sich in der Fantasie zu Armen der Lotosblüte, eine von Putz entblätterte Fläche war das Innere Meer. Diese Stelle hatte er von der Schlafkammer seiner Eltern aus gesehen, als er mit Samranu am Fenster stand. Seine Mutter hatte zurückgeblickt, bevor sie dem Vater auf der breiten Straße zum Hafen folgte. Es war ihm verboten worden, mit ihnen zu gehen, er hatte es nicht verstanden. Ihr schwerer Zopf schwang nach rechts, nach links, noch einmal nach rechts, dann war er nur eine Erinnerung. Trotzig hatte er das Wasser aus den Augen gewischt.
»Herr!«
Abdi-ashirta bat mit einer Geste um Verzeihung, er ging den Boten mit schnellen Schritten nach.
»Siralu, mein Kleiner, so komm doch, komm ins Haus! Siralu!« Der Junge lief in die Arme seiner Mutter.
»Du hast ihn Siralu genannt!“ Der Admiral sprach die Frau an. Sie sah hoch, hielt erschrocken die Hände vor den Mund.
»Herr, o Herr! Warum richtest du das Wort an mich Unwürdige?«
»Rede nicht mit mir, als stündest du in der Ratskammer. Sprich als Frau aus Zor zu einem Mann aus Zor.«
»Siralu war dein Schiffsmeister, als du die Zinninseln suchtest.«
»Ja. Er stürzte über die Wandung, als er mich zurück riss. Das geschah auf einem harten Meer.«
»Ich habe meinem Kind diesen Namen gegeben. Nun lebt er weiter als Erinnerung. Viele Familien ehren so die Helden unserer Stadt. Ich gehöre zu ihnen.«
Abdi-ashirta blickte auf den Leib der Frau, die nicht zu ihm aufsah. Er hob ihren Kopf.
»Dieser Brauch ehrt nicht allein die Verstorbenen, er ehrt auch euch. Du trägst ein Kind in dir? Hoffentlich wirst du es nicht bald Abdi-ashirta nennen.«
»Es wird ein Mädchen, vielleicht.« Die Frau lächelte.
Die Häuser hatten ihre Augen geschlossen. Das Zedernholz schützte die Bewohner vor dem kräftigen Atem des Libanon. Das Portal des Stadtpalastes knarrte unter den Schultern der Wachen, irgendwo fiel eine Tür zu, um die Balken des Speichers heulte der Wind.
»Ich grüße Zors Großen Helden!« Hir-Rectar, der Oberste des Rates, von vielen schon als König verehrt, öffnete die Arme. Noch in der Verbeugung wurde Abdi-ashirta das Unglaubliche dieser Begrüßung bewusst. Der Herr von Zor empfing ihn bereits am Eingang des Audienzsaals. Dessen Fenster waren geschlossen, auf den Tischen flackerten die Lichter, der Wind war zum Sturm geworden, wie er nur selten auf die Stadt blies. An der Tafel saßen drei wichtige Männer des Rates, Verantwortliche der Seefahrt und Verhandlungspartner für fremde Gesandtschaften.
«Ich entbiete meinen Gruß …«
»Lass die Förmlichkeit, Admiral. Es ist nicht die Zeit für untertäniges Geschwätz. Höre mich und schweige. Dann frage, vielleicht muss auch ich schweigen. Verzeih uns, dass wir dich schon wenige Tage nach deiner Rückkehr rufen müssen. Wir dienen damit Zor und Sidonien.« Hir-Rectar presste die Lippen aufeinander. Seine Hände umfassten einen Leuchter, trotzdem war sichtbar, wie sie zitterten.
»Wohl ist die Zeit nicht fern, dass Zor wieder das Haupt der Küste ist.«
»Hir-Rectar, König von Zor!«, rief eines der Ratsmitglieder. Ärgerlich gebot der Oberste ihm Einhalt. »So kann es in den Jahren sein, die wir alle noch erleben.« Er sprach nicht weiter, und als Diener die Öllichter austauschten, schwieg er noch immer. Der Admiral kannte das Spiel der Mächtigen, die Schritte selbst zu bestimmen.
»Nun höre alles«, begann der Oberste des Rates endlich. »Nach vier Dekaden bringt dich die Rose von Zor zum Mittleren Großen Arm des Hapi. Ein Boot Kemets trägt dich nach Menfe. Keine Nachricht dringt davon in die Ohren des Volkes. Der Vorsteher des Tempels der Neith ist dein Vertrauter. Du sollst der Vollstrecker des Willens Nechos sein, eine Expedition in den Süden zu führen.«
»In den Süden?«, der Admiral sprang auf.
»In den Süden«, bestätigte Hir-Rectar betont leise. »Du hast es verstanden!«
»Verzeih die Erregung, Herr.« Abdi-ashirta fiel stöhnend auf die Bank zurück. Dieser Auftrag hatte nichts Gleiches: »Sidoner waren noch nie im Süden!«
»Nein? Der große Hiram schickte in zehn Jahren vier Schiffe zu diesem Südlichen Haus. Es waren Küstenboote, am Lazurwasser zusammengesetzt. Sie sollten Ophir finden.«
»Davon weiß niemand!«
»Ich weiß es.« Zum ersten Mal lächelte Hir-Rectar. »Zor bewahrt seine Geheimnisse gut. Wir danken deinem Großvater auch dafür«.
»Wohin?« Abdi-ashirtas Stimme war heiser, er fragte nur mit einem Wort.
»Wohin?«, fragte auch Hir-Rectar. »Du bist ein Mensch, der denjenigen von zwei Pfaden geht, der am wenigsten betreten ist. Also habe ich dich gewählt. Necho hat Sais verlassen und regiert in Menfe. Dort fühlt er sich seinen Ahnen näher. Was will er im Südlichen Haus, wirst du gleich fragen. Vielleicht sucht er so die Garamanten, weil der Sandweg ihm die Füße brennt? Vielleicht sollst du seine Tausende Soldaten heim bringen, die nach Nub desertiert sind … Schau nicht so vorwurfsvoll! Ich mache aus dir keinen Narren. Zu den Garamanten führt kein Wasser und die Desertierten hat Anubis schon vor hundert Jahren gefressen. Was will er im Süden, der Herrscher beider Ägypten? Der Freund deines Großvaters hat mir den Text einer Stele aufgeschrieben und so für meine Gastfreundschaft gedankt. Tanut-amun, Sohn des Schabaka, ließ sie errichten. Höre den König:
Im Jahre 1, als er zum König gekrönt wurde, sah Seine Majestät zwei Schlangen, eine zu seiner Rechten, eine zu seiner Linken. Seine Majestät erwachte, fand sie aber nicht.
Seine Majestät sagte: »Warum ist mir das geschehen?«
Darauf erklärte man ihm: »Du besitzt Oberägypten. Erobere Unterägypten. Die beiden Herrinnen sind auf deinem Kopf erschienen, um dir das Land in seiner Länge und Breite zu geben, ohne dass ein anderer es mit dir teilt.«
Schau mich nicht so an! Ich bin kein blöder Spaßmacher. Ich rede von Politik, Admiral, von Politik. In Menfes Thronsaal geht die Angst um. Der Süden tötete einst den Großvater des Pharao. Kemet befürchtet neue Eroberungen, hast du die Stele nicht verstanden? Auf dem Hapi fährt keiner nach Punt. Vielleicht gelangt man über das Lazurwasser schneller nach Kerma und Meroe? Von den heute Lebenden weiß es niemand. Mein Fluch über Kemets Priesterschaft. Mögen die Götter mit Necho sein und den Hapi bald durch seinen Kanal fließen lassen. Ich träume davon, eine Flotte hinter die Berge zu schicken, die sich nach Babylon erheben. Was hinter seinen Säulen liegt, hat Melkart nicht erzählt, aber im Osten erstrecken sich Länder, von Wassern umspült, die für uns befahrbar sind. Sei still! Dein Kopf versteht ohne zu fragen, was uns der Weg durch den Kanal bedeutet. Du bist ein Admiral! Wir hoffen auf Necho, die Kemeten sind Freunde Sidoniens. In unserer Zeit.«
Die anderen Ratsmitglieder hatten während Hir-Rectars Rede hefig genickt, ihre Mimik bezeugte Bewunderung. Auch Abdiashirta erstaunten die Kenntnisse des Obersten von Zor.
»Dein Gesicht ist ja so lang?«, fragte Hir-Rectar spöttisch. »Du wunderst dich, dass regierende Männer auch wissend sein können? Ich habe Samranus Tafeln gelesen, bevor ich sie vergraben ließ. Wer viel weiß, dem widerspricht man seltener.«
»Wohin?«, fragte Abdi-ashirta zum zweiten Male.
»Du sidonischer Esel!«, schrie Hir-Rectar und rieb sich die Stirn. »Dein Vater war meine Stütze, ihn schickte ich nach Quart-hadascht, um unseren Einfluss auf die Siedlung zu stärken. Das stach den Suffeten wohl ins Auge. Am Abend von Samranus Tod gab es in einigen Stuben des Ostviertels Wein«. Hir-Rectar rieb sich die Wangen, seine Hand war faltig, sie verriet sein Alter. Abdi-ashirta ahnte, dass die Verantwortung die Seele des kommenden Königs bedrückte und eine Amtsstube kein geschützter Ort war.
»König! Ich werde König sein und wenn es am letzten Tag meines Lebens ist«, flüsterte der Oberste Zors. »Ich weiß es auch nicht, wohin du fahren wirst!«, brüllte er plötzlich.
Abdi-ashirta öffnete den Mund, sein Gesicht wirkte noch schmaler. Ein Windstoß riss an den Fensterläden, die Tischlichter flackerten und bewegten Hir-Rectars Schatten an der gekalkten Wand, der sich für einen Atemzug zu den Deckenbalken ausbreitete und auf den Admiral zu stürzen schien. Der Regent beugte sich vor und sagte: »Wohin du fährst, wissen nur der Erhabene in Menfe und wenige seiner Vertrauten. Behalte den Namen Kerifer-Neith in deiner Erinnerung. K-e-r-i-f-e-r …« begann er zu buchstabieren.
»Ich spreche kemetisch«, fiel ihm der Admiral ins Wort.
»Ja, du hast die Worte aus Nurfrets Mund gesogen wie die Milch aus der Mutterbrust.«
»Ich kenne aber nur die Volksschrift.«
»Die Bilderschrift haben die Kemeten selbst vergessen, sogar die Priester schreiben sie falsch. Du wirst Necho helfen, die Bäume seiner Feinde zu fällen. Er wird dich beschenken wie einen Gott. Du erhältst nach deiner Rückkehr das Landgut eines Fürsten, eine Frau der Oberschicht wird an deiner Seite sein. Du siehst Menfe die erste Zeit zwar nur aus der Kammer einer Herberge, aber bald wohnst du in ihrem Stadthaus. Du wirst ein Kemete werden! Nach so einer Fahrt fährt niemand wieder auf ein Meer. So kamen Nechos Worte zu mir. Und er ließ mir gesiegelt mitteilen, dass er dir nicht befehlen, sondern eine Bitte aussprechen wird. Du darfst den Auftrag ablehnen und du darfst, wenn es dein Wunsch sein sollte, in dein Haus im Ostviertel zurückkehren. Abdi-ashirta, du bist ein freier Mann, frei in deiner Entscheidung. Wer von uns Machtausübenden ist das schon! Der Pharao glaubt, nur so ein Mann kann seinen Auftrag erfüllen. Und er hat Recht!« Hir-Rectar verzog den Mund. »Unsere guten Wünsche werden dich begleiten. Und nicht nur sie.«
»Was willst du mir damit sagen?«
»Nichts.«
»Warum hast du mich gewählt, Herr?«
»Du bist der beste Seefahrer in unserer Zeit. Du hast die Schiffe auch durch schwere Meere geführt. Du bist gebildet. Und du trägst eine wichtige Eigenschaft deiner Mutter in dir.« Hir-Rectar erhob sich, er stöhnte und streckte den Rücken.
»Meine Männer werden mit dir besprechen, was dich am besten auf die Reise nach Kemet vorbereitet. Ich bin ungeduldig zu erfahren, was die nächste Zeit dir und Zor bringt, ich bin erwartungsvoll wie ein Jüngling, bei dem zum ersten Mal ein Weib hockt.«
Er ging zur Tür, kehrte noch einmal um, breitete die Arme aus und umarmte seinen Admiral.
»Noch eine Antwort, Herr«, bat Abdi-ashirta: »Was war die wichtige Eigenschaft meiner Mutter?«
»Ihr war in Zor kein Mensch gleichgültig.«
3
In den Dekaden bis zur Abfahrt hatte der Wind fast täglich den Geruch der Berge in die Stadt getragen. Der Abendgesang der Hirten begleitete den Admiral, wenn er im Fackellicht des Daches auf den Papyrusblättern das Schreiben kemetischer Wörter übte.
In der Nacht des letzten Tages hatte der Wind gedreht und am Morgen der neuen Zeit trieb die Rose von Zor nach Sidon, das seit drei Herrschaften die Führungsstadt der Gemeinschaft war. Abdi-ashirta stand an der Wandung, band das Haar im Nacken nach und lehnte das Angebot des Schiffsführers ab, ihm Gesellschaft zu leisten. Usu und die Insel blieben zurück, hoben sich nur manchmal noch über die Wellen. In einer der heftigeren Bewegungen des Schiffes sah er das Ostviertel vor den Bergen und glaubte sein Haus zu erkennen, er bemerkte die Schemen des Baumes, zu dem Familien Todgeweihte trugen, um im Gebet die Hilfe der Götter zu erflehen. Dann nahm sich das Meer die Heimat. Er presste die Hände in das Holz, als ihm die Augen feucht wurden. Ma‘at, Nurfrets Göttin der Wahrheit, hatte ihm die Botschaft gesandt, dass er dieses vertraute Land so bald nicht wiedersähe.
Sie kreuzten im Wind, machten gute Fahrt, und als sie sich der Küste endlich wieder näherten, lobte er den Schiffsführer für dessen Geschick. Er sah auf Sidon, die herrschende Stadt, die ihm entgegentrieb. Der Palast im vom Ufer entfernt liegenden Zentrum erhob sich höher über die umgebenden Handelsgebäude als Hir-Rectars Residenz in Zor. Unbeachtet von der den Hafen bevölkernden Menge legten sie zwischen zwei Transportschiffen an. Im Erscheinungsfenster des Amtes stand der König von Sidon und der Küste. Ein Begleiter wickelte dem Weißhaarigen ein Purpurgewand um die Schultern und stützte den dünnen Leib. Der Regent starrte auf die Rose von Zor und gab dem Hafenmeister ohne ein Wort das Zeichen, unverzüglich die Glocke zur Weiterfahrt zu läuten.
»Bei Melkart! Ist das der Abschied durch den Gekrönten?« Der Admiral stampfte auf die Planken. »Dafür saßen die Männer so viele Stunden in den Bänken?«
»Nun wird er Boten nach Kemet schicken, die den Hof unterrichten, dass er es war, der dich auf den Weg gebracht hat. Und er trägt sogar die Wahrheit im Maul«, schimpfte der Schiffsführer und befahl, den Bug auf das Meer zu drehen.
Über die Tage waren die Segel von Sidoniens Wind gefüllt. Elisar, der Befehlshaber, suchte die Nähe des Admirals. »Du hast uns gelehrt, die Farben des Wassers zu lesen. Wir haben deine Papyri Wort für Wort im Kopf gespeichert«, sagte er voller Ehrerbietung.
»Die Farben des Meeres, die Form der Wellen, das Salz des Wassers und dessen Temperatur, der treibende Seetang, der Weg der Wolken und die Gestirne des Himmels weisen dem Sidoner den Weg« zitierte Abdi-ashirta den Beginn seiner ersten Niederschrift.
»Ich habe Sidoniens Küste noch nie verlassen.« So sprachen sie am Morgen des dritten Tages, da war die Lotosblüte schon näher als Zor. »Das ist meine erste große Fahrt ,und ich fahre einen Admiral! Du bist einer aus Zor und siehst doch nicht aus wie wir. Deine Augen blicken über meinen Kopf hinweg, deine Nase ist wenig gebogen, und das Braun deiner Augen ist heller als das Braun derer, die ich kenne.«
Abdi-ashirta lachte: »Danach habe ich meinen Großvater auch gefragt, als wir einmal Tafeln in die Berge trugen. Vor fünfmal dreißig Dekaden an Jahren, so berichtete er mir, blieb der Himmel für viele Tage dunkel, als der Vulkan Santorin die Burg und die Stadt im Ring auf den Meeresgrund zog. Meine Mutter glich jenen Frauen, die von uralten Schriften beschrieben wurden, denn die Menschen Santorins kamen in das kanaanäische Land, lehrten Sidon die Seefahrt und Kemet den Bau seiner großen Gräber, die wohl keine sind. Die Wurzeln meiner Mutter und so auch meine, liegen am Rande jenes alten Inneren Meeres, das damals nicht bis Zor reichte. Die Kenntnis davon haben die Völker vergessen. So ähnlich war die Antwort meines Großvaters, und er sagte, dass vielleicht die Tafeln in den Bergen davon reden. Weißt du jetzt, wer ich bin?«
»Nein.«
»Ich weiß es auch nicht. Auch Samranu glaubte die Geschichte wohl nicht. Ich habe die lustigen Falten um seinen Mund gesehen.«
Gott Melkart wollte die Rose von Zor in seinem Reich nicht länger dulden, er trieb sie in hoher Fahrt zur Lotosblüte.
Die Ruderer waren vorwiegend Freie, die im Lohn des Rates standen und ihre Arbeit willig taten, sie konnten nach dieser Fahrt in ihrer Stadt einige Dekaden davon leben.
»Willst du sie mitnehmen auf deine Reise?«, fragte Elisar.
»Vielleicht nehme ich dich mit, Schiffsführer. Aber du wirst Kemet nicht sehen. Am Ausgang des Großen Mittleren Arms wartet ein Flussboot Pharaos. Es wird zu einer dunklen Stunde in Menfe anlegen. Die Hafenbeamten werden mich nicht treffen, nicht die Herren im Palast, und auch der Pöbel begafft mich nicht. Eine verhängte Sänfte trägt mich zur Herberge. Dort muss ich warten, lange Tage. Hier endet mein Wissen.«
»Du gehst auf Fahrt und kennst das Ziel nicht! Ich wünsche dir, dass du es erreichst.«
»Das wünsche ich dir auch!« Abdi-ashirta zeigte auf den dunklen Streifen am Horizont. »Du bist eine Stunde zu weit im Westen angekommen. Setz die Ruderer ein, wir drehen gegen den Wind!«
»Das war der Admiral von Zor!«
»Ja, Schiffsführer! Jetzt beginnt meine Zeitrechnung!«
II
Und bringe mir eine neue Welt!
Necho, Pharao Kemets
1
»Abdi-ashirta!« Der Wirt schlug gegen die Türbretter. »Abdiashirta von Zor! Ein Priester des Großen Hauses kommt zu dir! Er selbst! Er läuft neben der Sänfte! Soldaten sind bei ihm! Welcher Ruhm für meine Herberge! Oh ihr Götter! Man wird mich an die Mauer hängen! Meine Gäste schmähten dich, weil du ein Phenesch bist! Vergib mir und dem Haus!«
»Still, Amasis! Ich fühlte mich wohl bei dir.« Der Sidoner verließ sein Zimmer und stieg in den Schankraum hinab. Wie gewöhnlich hockte Kap-tah, der Kesselflicker, auf der Eckbank.
»Phenesch!« Seine zittrige Hand stieß gegen den Becher, rot tröpfelte der Wein auf den gestampften Lehm. Abdi-ashirta beachtete den Alten nicht. Er richtete seinen Gürtel und trat auf die Straße.
Amasis wischte mit dem Arm über den Tisch. Der einsame Gast stierte auf die nasse Haut. »Ein Seemann aus Zor wird als Edler behandelt? Ein Phenesch! Was für Zeiten!«
»Sieh nur!« Amasis zeigte zum Fenstergeviert. »Wie die Gardisten grüßen! Die Hände vor den Knien! Als wäre er ihr Befehlshaber!« Der Rücken eines Soldaten verdeckte die Öffnung. »Was für Zeiten!« Der Wirt schlurfte in die Vorratskammer nach neuem Wein.
Abdi-ashirta verbeugte sich vor dem Priester. »Euer Kommen ist meine Ehre. Die Untätigkeit machte die Tage lang.«
Zwischen zwei Türpfosten erschien ein Gesicht. »Was gibt es in unserer Straße? Oh, Osiris!« Die Peitsche eines Gardisten trieb den Neugierigen hinter die Mauer. Der Soldat folgte ihm in den Wohnraum und warf ihn über das Herdfeuer.
Der Priester lächelte. »Es erwartet dich eine angenehme Umgebung. Ich bin Kerifer-Neith. Wie du hörst, trage ich im Namen die Göttin, der ich diene. ›Er komme zu Neith.‹ Sprich mich nicht so an, es ist nicht Sitte.« Er zeigte auf bröckelnde Hütten, die den Regen fürchteten. Unter den hastenden Füßen der Bewohner sank der Staub in den Gassen nur selten zu Boden.
»Du tauschst das graue Viertel gegen das grüne Land. Dieser Wechsel lässt dich nach Besserem streben. Nun musst du lernen, einem Gott zu begegnen.«
»Du kommst mit Soldaten?« fragte Abdi-ashirta.
»Syrer. Pharao Psammetichs Beute. Der Pöbel ist in Aufruhr. Kemets Feinde säen Gift in die Herzen. Unser Land wollen sie drehen wie ein Boot. Wer keinen Ochsen hat, schreit nach einer Herde, wer kein Korn hat, giert nach dem Speicher. Neith wird sie strafen. Sakinu! Uliliya!« Zwei der Bewaffneten salutierten. »Deine Bewacher. Jeder von ihnen nimmt es mit zwanzig Ruderern auf. Das Metall ihrer Schwerter haben die Götter gesandt.«
Sie liefen durch Menfes Mitte, die Straße lag ruhig. »Du bist Sakinu?« Abdi-ashirta berührte die Stirnnarbe des Gardisten.
»Psammetichs Soldaten, edler Herr. Ich wehrte mich, als sie kamen.«
»Sakinu! Du sprichst sidonisch?«
»Meine Mutter wurde in deiner Stadt geboren. Uliliya aber versteht uns nicht.«
»Schweig, syrische Zunge!« Der Priester wies nach vorn. »Der Große Markt.«
Die Menschen schoben sich durch die Gassen und ballten sich auf dem Platz zu einer erregten Menge. Die Gardisten schützten die Herren mit ihren Leibern. Wie ein Fluss teilte sich das Volk an den Schilden und strömte als schreiender Haufen wieder zusammen. Aus einer Bäckerei stank es nach brennendem Eselsmist. Gerber mit krummen Messern bedrängten zwei Stadtwächter. In den Bierstuben verstummte der Lärm, als die Gruppe vorüber ging.
»Fremder Herr! Kauft einen Ring für Eure Dame! Kommt!«
Uliliya stieß den aufdringlichen Goldschmied zurück. Ein Garkoch mit Tragbrettern drückte sich in eine Mauernische. Der riesige Soldat flößte ihm Furcht ein.
Die Straße wurde breiter, Eukalyptusbäume unterbrachen die Hauszeilen. Die Stimmen des Marktes verstummten.
»Schaff Platz. Hier bedroht uns niemand!« Der Priester stieß Sakinu die Faust in den Rücken. »Frage mich, Seefahrer aus Zor! Ich sehe in deinem Gesicht, was dich quält. In dir steckt die Neugier von zehn Marktweibern.«
»Du kennst meinen Auftrag, Herr?«
»Der Allgewaltige schenkt dir die Gnade seiner Stimme. Ich bin nur der Finger, der dich ruft. Die Kühnheit seiner göttlichen Ideen soll sich unverfälscht auf deinem Gesicht spiegeln.«
»Du versteckst dein Wissen in bunten Worten. Der Kanal! Es ist der Kanal! Er füllt die Hirne in unseren Amtsstuben. Soll ich nach Punt fahren, wie einst König Hirams Gesandtschaft? Oder gar Ophir suchen? Ophir, das wäre unglaublich.«
Aus schmalen Augen blickte der Priester auf den erregten Mann. Sie gingen nebeneinander, manchmal berührten sie sich an Armen und Hüften. Kerifer-Neith schob die Soldaten beiseite. »In Zor ersehnt man den Kanal wie ein Blinder das Sonnenlicht. Das Band nach Süden. Die Straße zum Lazurwasser. Der Weg in das Weihrauchland Punt.«
»Ja, Herr, so ist es! Sidoniens Kaufleute geben schon neue Schiffe in Auftrag, Kartenkundige sitzen an den Tischen der Stadtfürsten. Die Vorsteher der Werften suchen nach Zimmerleuten.«
»Der Kanal! Der Kanal! Jahre schon graben sie wie Erdwürmer, Tragtiere mit schwarzen Laken sind oft gerufen worden in den letzten Monaten.«
»Die Menschen starben nicht vergeblich. Der Kanal wird unsere Länder verbinden. In drei Jahren …«
»… schüttet der Sanddrache ihn zu. Lassen wir das. Schau nach links. Der Tempel des Ptah. Wiedererrichtet auf Befehl des göttlichen Necho.«
Abdi-asirta hörte nicht zu. Der Sanddrache wird ihn zuschütten, das hatte auch der Kesselflicker in der Schankstube von Amasis geschrien. Priester und Volk reden mit einer Zunge! Auch in Zors Ämtern wurde mancher Zweifel gesät.
»Der Tempel ist uralt.« Kerifer-Neith strich mit den Fingerspitzen über die Mauer vor den Säulen. »Diesen früheren Teil ließ man stehen, es geschah auf den Wunsch einer Frau, die Neferheres heißt. Ah, du hebst den Kopf, gut, gut! Einst war der Granit glatt wie Glas. Der Wüstensand hat die Bilder zerstört.« Einem Pflüger fehlten die Ochsen, ein Soldat stritt ohne Wagen. Ein Heerführer zog zur Parade vor seinen König. Die Armee war ausgelöscht.
»So wandelt sich das Werk der Menschen, allein das Kemet der Götter besteht ewig. Vergiss dein bisheriges Leben, Abdiashirta von Zor. Du wirst einen Auftrag erhalten, wie keiner vor dir.«
Gardisten mit rußgeschwärzter Haut liefen vorbei, irgendwo lärmte die Stadt.
»Gehen wir durch die Mauer des Hapi!« mahnte der Priester. »Heute morgen sind die Patrouillen verstärkt worden. Wir rechnen mit Unruhen. Gut, dass die wichtigen Bezirke von Wällen umgeben sind.«
Sakinu schlug gegen die Pforte. In einer Luke zeigten sich Augen. Kerifer Neith hielt sein Amulett hoch. Knarrend öffneten sich die Bohlen.
»Das Viertel der Hochgeborenen?«, fragte Abdi-ashirta. Der Priester nickte und wies zum Fluss. Zwei Falken kreisten über dem Wasser. Die Mauer trennte die Villen am Ufer der Mächtigen von der Volksstadt Menfes. Kerifer-Neith bemerkte den Blick des Sidoners. »Hier ist nicht Zor. Ich hatte Augen ausgesandt und Zungen gaben mir weiter, was diese Augen sahen. Du kannst von deiner Oststadt in den Hafen gehen, ohne dass aus einer Nische schmutzige Finger nach dir greifen. Du lebst jetzt für Dekaden in Menfe, hier trifft sich die Welt und nicht nur ihr bester Teil. Der Schutz ist nötig. Es lebt sich nicht leicht im Zentrum der Macht. Du wirst hier wohnen, denn dein Weg in den Palast führt über Neferheres Haus.«
Sklaven kamen mit der Sänfte. »Steig ein«, forderte der Priester. »Gib der Schönen, was ihr gebührt. In solche Häuser geht man nicht auf eigenen Füßen.« Er zog die Vorhänge zu. »Ist es nicht angenehmer, mit blinden Augen getragen zu werden, als den Schmutz der Gosse zwischen den Zehen zu spüren?«